Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 21.03.2024 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L., G., beigeordnet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, die auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII von der Beklagte oder nach dem SGB II von dem Beigeladenen gerichtet ist.
Die am 00.00.0000 geborene ledige Klägerin, die bulgarische Staatsangehörige ist, bezog nach Aktenlage im Jahre 2014 und von Dezember 2017 bis zum 07.03.2018 unter dem Namen T. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beigeladenen. Melderechtlich war sie unter diesem Namen seit 2007 bis zum 07.03.2018 durchgehend in G. erfasst. Nach Mitteilung des Beigeladenen lag der damaligen Leistungsbewilligung zu Grunde, dass die Klägerin sich seit mindestens fünf Jahren gewöhnlich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Die Klägerin meldete sich ab dem 07.03.2018 aus ihrer damaligen Wohnung in G. nach Bulgarien ab. Am 01.02.2020 meldete sie sich aus Bulgarien in G. wieder an.
Am 30.07.2022 beantragte sie bei der Beklagten Sozialhilfe. Sie sei hilfebedürftig, es drohe Obdachlosigkeit, derzeit werde sie von Bekannten und Freunden unterstützt. Der Beigeladene hatte zuvor mit Bescheiden vom 06.05.2022 und vom 10.06.2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt, weil die Klägerin als bulgarische Staatsangehörige von Leistungen ausgeschlossen sei und sich nicht seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechungen im Bundesgebiet aufhalte. Sie befinde sich erst seit dem 01.02.2020 wieder in Deutschland.
Mit Bescheid vom 02.12.2022 und Widerspruchsbescheid vom 23.02.2023 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Sozialhilfe ab, weil die Klägerin gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sei. Sie könne sich nicht auf § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII berufen. Hiernach gelte der Leistungsausschluss nicht, wenn sich die betroffene Person seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalte. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall, da sie sich am 07.03.2018 nach Bulgarien abgemeldet und erst zum 01.02.2020 mit Zuzug aus Bulgarien in G. wieder angemeldet habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 22.03.2020 bei dem Sozialgericht Köln Klage erhoben. Sie hat sich auf ihren vor dem Wegzug nach Bulgarien begründeten Daueraufenthalt berufen und geltend gemacht, dieser sei als fortbestehend anzusehen, da der Auslandsaufenthalt weniger als zwei Jahre gedauert habe. Sie lebe von der Unterstützung „ihrer Verwandten und Bekannten, insbesondere ihrer Schwester“ und leide unter „verschiedenen Gebrechen und Krankheiten“.
Nach Beiladung des Jobcenters hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 21.03.2024 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Verweisung auf die Begründung des Widerspruchsbescheides abgelehnt. Hiergegen hat die Klägerin am 25.03.2024 Beschwerde eingelegt. Der Verlust eines einmal erworbenen Daueraufenthaltsrechts trete erst ein, wenn Deutschland für mehr als zwei Jahre wieder verlassen werde. Dies sei bei ihr nicht der Fall.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren.
Gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der - wie die Klägerin ausweislich ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 26.05.2023 - die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Hinreichende Erfolgsaussichten sind grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können, und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würden (BVerfG Beschlüsse vom 16.04.2019 – 1 BvR 2111/17 und vom 20.02.2001 – 1 BvR 1450/00; Beschlüsse des Senats vom 22.04.2021 – L 9 SO 418/20 B und vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B).
Das vorliegende Verfahren wirft schwierige ungeklärte Rechtsfragen auf, aus denen sich die Erfolgsaussichten ergeben.
Zwar dürfte die Klägerin die Voraussetzungen für einen Ausschluss von Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erfüllen, da ein materielles Aufenthaltsrecht außerhalb des Zwecks der Arbeitsuche nicht ersichtlich ist und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht wird. Außerhalb des Verfahrens über die Prozesskostenhilfe ist jedoch klärungsbedürftig, ob der Rückausnahmetatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII greift. Hiernach erhalten abweichend von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde (wofür im Fall der Klägerin nichts ersichtlich ist).
Ungeklärt ist, unter welchen Voraussetzungen ein durch einen fünfjährigen Daueraufenthalt erworbener, durch § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII vermittelter Zugang zur Sozialhilfe verloren geht. Das Gesetz enthält hierzu keine Regelung. Auch europa- oder aufenthaltsrechtliche Regelungen sind nicht unmittelbar anwendbar, denn für den tatsächlichen Daueraufenthalt iSd § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII genügt es, dass während der Frist die generelle Freizügigkeitsvermutung bestanden hat; ein materielles Freizügigkeitsrecht oder ein Daueraufenthaltsrecht wird nicht vorausgesetzt (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 Rn. 89a mwN).
Für das europarechtliche Daueraufenthaltsrecht bestimmt Art. 16 Abs. 4 RL 2004/38/EU, dass nur eine Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu einem Verlust eines einmal erworbenen Daueraufenthaltsrechts führt. In Umsetzung dieser Vorschrift regelt § 4a Abs. 7 FreizügG/EU, dass eine Abwesenheit aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund von mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren zum Verlust des Daueraufenthaltsrechts führt. In der Literatur wird für die Phase des Erwerbs des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen, also für den Lauf der Fünfjahresfrist, vertreten, dass zur Vermeidung von Widersprüchlichkeiten zwischen Ausländer- und Leistungsrecht eine europarechtskonforme Auslegung des tatsächlichen Daueraufenthalts iSd § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII geboten sei (Siefert in jurisPK SGB XII § 23 Rn. 115). Dieser für Unterbrechungstatbestände iSd Art. 16 Abs. 3 RL 2004/38/EU vertretene Ansatz könnte auch für den Fortbestand eines einmal erworbenen Daueraufenthaltsrechts gelten, so dass in entsprechender Anwendung von Art. 16 Abs. 4 RL 2004/38/EU, § 4a Abs. 7 FreizügG/EU ein Zugang zur Sozialhilfe aufgrund eines bereits bestehenden Daueraufenthalt für zwei Jahre aufrecht erhalten bleibt.
Da die Klägerin sich vor ihrem Wegzug mehr als fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte und danach weniger als zwei Jahre außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten hat, ist die beschriebene Rechtsfrage im Hauptsacheverfahren abschließend zu prüfen.
Einen grundsätzlichen Zugang zu den lebensunterhaltssichernden Leistungen der Sozialhilfe hat die Klägerin gem. § 21 Satz 1 SGB XII allerdings nur, wenn sie nicht nach SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt ist. Da die am 00.00.0000 geborene Klägerin das 66. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, kann sie dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II haben (§§ 7 Abs. 1, 7a SGB II), weshalb das Sozialgericht das Jobcenter zu Recht zum Verfahren beigeladen hat (§ 75 Abs. 2 HS 2 SGG). Da die Klägerin bislang nicht vorgetragen hat, nicht erwerbsfähig und damit von SGB II-Leistungen ausgeschlossen zu sein (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), kommt eine Verurteilung des Beigeladenen in Betracht; auch diese Möglichkeit kann einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe begründen (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.01.2019 – L 7 AS 1085/18 B). Auch für die Prüfung des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stellt sich die Frage des fortbestehenden Daueraufenthalts als Rückausnahme (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II) zum Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Der Gesetzgeber wollte einen Gleichlauf der Leistungsausschlusstatbestände zwischen dem SGB II und dem SGB XII erreichen (BT-Drs. 18/10211 S. 2, 11, 15), sodass es naheliegt, auch die Frage, ob eine leistungsschädliche Unterbrechung des Daueraufenthalts vorliegt, im SGB XII und im SGB II nach einheitlichen Kriterien zu beantworten.
Nach Klärung dieser rechtlichen Voraussetzungen ist schließlich ggfs. auch die Hilfebedürftigkeit abschließend im Hauptsacheverfahren zu prüfen.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).