L 7 BA 53/24 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 BA 14/24 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 BA 53/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Wenn im Rahmen einer Betriebsprüfung keine A1- Bescheinigung für Tätige aus dem Ausland vorgelegt werden kann, ist eine mit Eilverfahren beantragte Aussetzung der Vollziehung der Nachforderung zur Sozialversicherungsbeiträgen regelmäßig aussichtslos

 

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 14. Mai 2024 wird zurückgewiesen.

II. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren festgesetzt auf 3461,47 Euro.


G r ü n d e :

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Nachforderung der Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Bg) von Sozialversicherungsbeiträgen aufgrund einer Betriebsprüfung, bei der die Bf für fünf Arbeitnehmer keine A1-Bescheinigungen vorlegen konnte.

Die Bf, eine juristische Person nach ungarischem Recht mit Sitz in A und Betriebsstätten in Deutschland, übernimmt als Subunternehmerin Montagetätigkeiten für in Deutschland tätige Baufirmen. Die Montagearbeiten werden ausschließlich von nach Deutschland entsandten Mitarbeitern ausgeführt. Die Arbeitnehmer sind nach den Angaben der Bf bis zu höchstens zwei Jahren in Deutschland tätig und wohnen währenddessen in von der Bf angemieteten Wohnungen. Die deutschen Betriebsstätten nehmen Kontakt zu den Kunden auf und verschicken Angebote; die Verträge werden dann von der Bf in Ungarn abgeschlossen. Verwaltende Tätigkeiten, wie Buchhaltungsvorbereitung, Lohnberechnung, Einholung von A1-Bescheinigungen, Personalgewinnung etc werden in Ungarn durchgeführt.

Mit Bescheid vom 12.01.2024 setzte die Bg wegen Nichtvorlage von A1-Bescheinigungen für fünf Mitarbeiter eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von 13.845,87 Euro fest (davon Säumniszuschläge iHv 6.241,50 Euro). Mit Schreiben vom 16.02.2024 legte die Bf Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Mit Schreiben vom 22.03.2024 beantragte die Bf beim Sozialgericht München die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Mit Beschluss vom 14. Mai 2024 lehnte das Sozialgericht München den Antrag der Bf auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Nach summarischer Prüfung bestünden an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung keine so schwerwiegenden Zweifel, dass ein Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlicher wäre als ein Unterliegen; auch eine unbillige Härte sei nicht glaubhaft gemacht worden.

In Bezug auf die streitgegenständlichen fünf Mitarbeiter sei im Rahmen der Betriebsprüfung - anders als für die übrigen Mitarbeiter - kein Nachweis nach Art. 19 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 (A1-Bescheinigung) vorgelegt worden, so dass für diese eine Bindungswirkung der Bg nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 987/2009 nicht eingetreten sei.

Unabhängig von der rechtlichen Bedeutung der Vorlage einer A1-Bescheinigung sei es nicht glaubhaft, dass in Bezug auf die fünf Mitarbeiter die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 gegeben seien, wonach ausnahmsweise auf die Sozialversicherungspflicht im Entsendestaat abzustellen sei, so dass es bei der grundsätzlichen Regelung des Art. 11 Abs. 3 lit a) VO (EG) 883/2004 verbleibe, also die Mitarbeiter am Ort ihrer Tätigkeit in Deutschland sozialversicherungspflichtig seien.

Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Bf im Entsendestaat Ungarn, "gewöhnlich" tätig sei. Hierzu wäre es nach Art. 14 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 erforderlich, dass gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausgeübt würden, was bei der Bf unter Zugrundelegung der Angaben des Steuerberaters und der Unterlagen der Finanzbehörden nicht der Fall sei. Eine Tätigkeit der Bf in Ungarn sei gerade unter Einbezug der Angaben des Steuerberaters der Bf und unter Berücksichtigung von Unterlagen des Bundeszentralamtes für Steuern nicht erkennbar. In Ungarn würde danach lediglich die Rekrutierung, Abrechnung und Verwaltung erfolgen. Soweit die Bf vortrage, dass eine Einstellung von Mitarbeitern nach der Rechtsprechung auch nur zum Zwecke der Entsendung im Rahmen des Tatbestandsmerkmals "gewöhnlich dort seine Beschäftigung ausübt" zulässig sei, stehe dies rechtlich nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 987/2009 zwar außer Frage, bedeute aber nicht, dass im Entsendestaat keine nennenswerten vergleichbaren Arbeitsplätze vorhanden sein müssten. Bei der Bf gäbe es solche vergleichbaren Arbeitsplätze in Ungarn nicht. Die Bf sei in Ungarn eine juristisch existente, aber wirtschaftlich inaktive Briefkastengesellschaft. An keinem der dortigen Sitze der Bf sei ein dem angegebenen Geschäftszweck entsprechender eingerichteter Geschäftsbetrieb feststellbar; nicht einmal angegebene Telefonnummern seien ausreichend verifizierbar gewesen.

Letztlich bestünden auch Zweifel, ob die Bf nicht auch gegen das Ablöseverbot verstoße und für einen entsandten Mitarbeiter im Anschluss wiederum ein von der Bf entsandter Mitarbeiter beschäftigt werde.

Im Hinblick auf die weiteren Feststellungen im Bescheid zu Säumniszuschlägen und Verjährung ergäben sich nach dieser Sachlage keine Anhaltspunkte für eine überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit.

Hiergegen hat die Bf Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.

Die ungarische Verwaltungsbehörde habe für eine Vielzahl von Mitarbeitern der Bf A1-Bescheinigungen ausgestellt, die der Bg bei der Betriebsprüfung auch vorgelegt worden seien. Schon daraus ergäbe sich, dass die Bf gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als rein interne Verwaltungstätigkeiten in Ungarn ausübe. Hierdurch sei mit Bindungswirkung für die deutschen Behörden und Gerichte durch die ungarische Behörde entschieden, dass die Bf ein "entsendefähiges Unternehmen" im Sinne des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 sei.

Soweit das Sozialgericht einen Verstoß gegen das Ablöseverbot sehe, sei dies unzutreffend. Zwar würden gemäß Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 die Rechtsvorschriften des Entsendestaates nur dann weiter gelten, wenn der betreffende Arbeitnehmer nicht anstelle eines anderen Arbeitnehmers entsandt werde, dessen Entsendezeit abgelaufen ist. Diese Vorschrift sei allerdings eng auszulegen und betreffe nicht alle Ablösungen eines Arbeitnehmers durch einen anderen, sondern nur solche, bei denen der Grund für die Ablösung der Ablauf der Entsendezeit sei. Dies könne letztlich dahingestellt bleiben, da die fünf Arbeitnehmer entgegen der bloßen Vermutung des Sozialgerichts nicht unter Verstoß gegen das Ablöseverbot eingesetzt worden seien.

Im Übrigen habe das Sozialgericht seine Entscheidung in der Sache vor allem auf eine Fehleinschätzung des Bundeszentralamtes für Steuern gestützt, die dieses in eklatanter Verkennung der ungarischen Praxis getroffen habe, ohne der Bf Gelegenheit zu geben, hierzu substantiiert Stellung zu nehmen. Das gelte insbesondere im Hinblick darauf, was die gewöhnliche Tätigkeit der Mitarbeiter im Heimatland anbelange, im Hinblick auf die Angaben des Steuerberaters im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung zu der Fragestellung des Finanzamtes, im Hinblick auf das Schreiben des Bundeszentralamtes für Steuern vom 12.09.2018, das keine Sachkenntnis für die Prüfung der Voraussetzungen des Entsendetatbestandes des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 habe - anders als die Beurteilung der für die Ausstellung von A1-Bescheinigungen zuständige ungarische Behörde - sowie im Hinblick darauf, dass belegt werden könne, dass die Bf keine Briefkastenfirma sei.

Die Bg hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zutreffend hat das Sozialgericht dargelegt, dass angesichts der Entscheidung des Gesetzgebers, Nachforderungsbescheide grundsätzlich sofort vollziehbar zu machen, die Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit nur in Frage kommt, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes muss die Beschwerde ohne Erfolg bleiben. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides sind nicht feststellbar.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bescheid nicht schon deshalb rechtmäßig ist, weil die Bf für die fünf Arbeitnehmer keine A1-Bescheinigung hat und eine A1-Bescheinigung zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Entsendekonstellation ist (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2024 - L 14 BA 111/18 Rz 51; Revision anhängig beim BSG B 12 BA 5/24 R; vgl weiter BayLSG, Beschluss vom 28.02.2022 - L 7 BA 1/22 B ER, wonach eine offene Rechtsfrage kein Grund für die Aussetzung der Vollziehung ist, da eine offene Rechtsfrage im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens zu klären ist).

Es kann weiter dahingestellt bleiben, ob nicht dann, wenn die A1- Bescheinigung rechtlich keine zwingende Voraussetzung für die Anerkennung einer Entsendekonstellation sein sollte, ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Vorliegen einer Entsendekonstellation stets scheitert, wenn keine A1-Bescheinigung vorgelegt wird. Denn zum einen kann eine A1-Bescheinigung auch nachträglich beantragt werden. Zum anderen hat bei Nichtvorlage einer A1-Bescheinigung der jeweilige Arbeitgeber das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entsendung nachzuweisen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2024 - L 14 BA 111/18 Rz 52). Solange - wie hier - ein Nachweis nicht erbracht worden ist, ist es nicht Aufgabe des Eilverfahrens, die Möglichkeit eines nachträglichen Nachweises zu prüfen; dies ist Sache des Hauptsacheverfahrens.

Hier scheitert der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung schon daran, dass es der Bf im Rahmen des Eilverfahrens nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Entsendetatbestandes des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 vorliegen. Für das Vorliegen dieser Voraussetzung trifft die Bf die Beweislast (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2024 - L 14 BA 111/18 Rz 52).

Welches Sozialversicherungsrecht auf die Mitarbeiter aus anderen Herkunftsstaaten anzuwenden ist, wird grundsätzlich in der VO (EG) Nr. 883/2004 in deren Art. 11 ff. geregelt und in Art. 14 ff. der VO (EG) Nr. 987/2009 konkretisiert. Nach Art. 11 Abs. 3 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, wenn sich aus Art. 12 ff. keine Ausnahme ergibt. Für die fünf betroffenen Mitarbeiter kommt als Ausnahmevorschrift nur Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Betracht.

Nach Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 unterliegen entsandte Arbeitnehmer nur dann den Rechtsvorschriften des Entsendestaates, wenn ihr Arbeitgeber dort "gewöhnlich tätig" ist. Diese Ausnahmevorschrift ist hingegen nicht einschlägig, wenn eine Person, die in einem anderen Staat beschäftigt wird, in welchem ihr Arbeitgeber keine gewöhnliche Geschäftstätigkeit ausübt, von diesem in einem anderen Staat eingesetzt wird. Dies soll sicherstellen, dass sich nur Unternehmen, die eine originäre Bindung zu dem Entsendestaat aufweisen, auf die Entsendevorschriften berufen können. Denn es soll vermieden werden, dass Unternehmen, die nur in sehr geringem Umfang im Entsendestaat tätig sind (zB Briefkastenfirmen) das Beschäftigungsstaatsprinzip aushebeln (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2024 - L 14 BA 111/18 Rz 52).

Gemäß Art. 14 Abs. 2 der VO (EG) Nr 987/2009 ist nur dann von einer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Entsendestaat auszugehen, wenn der Arbeitgeber "gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten" auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt. Dies ist bei der Bf nicht der Fall.

Gegenüber den Steuerbehörden hat der Steuerberater der Bf angegeben, dass die Bf im Entsendestaat lediglich reine Verwaltungstätigkeiten ausübt. Dass bzw warum diese Angaben gegenüber den Steuerbehörden falsch waren, hat der Prozessbevollmächtigte nicht hinreichend klar und überzeugend dargelegt. Soweit im Rahmen des Eilverfahrens nunmehr vorgetragen wird, es gäbe eine ernsthafte Geschäftstätigkeit der Bf mit Montagearbeiten ihrer Mitarbeiter in Ungarn, kann dieser Behauptung im Hauptsacheverfahren tiefer nachgegangen werden. Im Eilverfahren fehlt es jedenfalls an der von der Bf zu erbringenden Glaubhaftmachung mittels konkreter Angaben und der Vorlage eindeutiger Unterlagen, die den Bescheid der Bg im Rahmen einer summarischen Prüfung überwiegend rechtswidrig erscheinen lassen.

Aus der Ausstellung von A1-Bescheinigungen für andere Mitarbeiter der Bf durch die ungarische Behörde kann nicht gefolgert werden, dass die Bf das Tatbestandsmerkmal der Ausnahmevorschrift erfüllt und "gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten" in Ungarn erbringt. Vielmehr müsste die Bf im vorliegenden Verfahren auch bezüglich dieser Arbeitnehmer anhand von Tätigkeitsnachweisen darlegen, welche Tätigkeiten diese Arbeitnehmer in Ungarn ausgeübt haben, was die Bf jedoch nicht einmal ansatzwese gemacht hat. Eine Bindungswirkung wie vom Prozessbevollmächtigten der Bf behauptet, käme allenfalls für die Frage des Vorliegens einer Entsendekonstellation beim einzelnen Inhaber einer A1-Bescheinigung in Betracht (vgl insoweit LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2024 - L 14 BA 111/18 Rz 51), nicht aber darüber hinaus, schon gar nicht für die Beurteilung im Rahmen des Art. 14 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 987/2009 , ob "gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten" erbracht werden. Dem Vorliegen zahlreicher A1-Bescheinigungen kommt bei der Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals keine Bedeutung zu, da einzelne A1-Bescheinigungen im Rahmen dieser Prüfung ohne eine solche rechtlich ausdrücklich angeordnete Bindungswirkung auf ihre Richtigkeit geprüft werden müssen.

Nachdem es schon an dem Merkmal "gewöhnlich tätig" fehlt, kommt es auf die übrigen Voraussetzungen für das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 (wie zB die Beachtung des Ablöseverbotes) nicht weiter an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO in entsprechender Anwendung.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 SGG iVm §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nummer 4 GKG und entspricht der zutreffenden und daher auch nicht beanstandeten Festsetzung der ersten Instanz.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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