Die Berufungen des Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Oktober 2019 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger 4/5 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu ersetzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsrecht (OEG) i.V.m. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Streitig ist insbesondere, inwieweit das psychische Krankheitsbild des Klägers auf die erlittenen Gewalttaten zurückzuführen ist.
Der 1980 geborene Kläger leidet unter einem anlagebedingten hoch-funktionalen Asperger-Autismus und zeigte spätestens ab dem Kindergartenalter besondere Schwierigkeiten in sozialen Kontakten. Die Kindheit war überdies geprägt von der Gewaltbereitschaft und der dauernden Gewaltausübung des Vaters gegenüber der Mutter, dem Bruder des Klägers und dem Kläger. Der Kläger besuchte Kindergarten und Grundschule, anschließend die Realschule. Im September 1991 floh er mit seiner Mutter aus der elterlichen Wohnung in das Frauenhaus B-Stadt. Der Kläger wiederholte die 7. Klasse (1993), erlangte 1997 den Realschulabschluss, wechselte anschließend auf das berufliche Gymnasium (Hauptfächer Technikwissenschaft und Mathematik) und legte 2000 das Abitur mit zusätzlicher Qualifikation im Bereich Technik/Datentechnik ab. Er besuchte die Berufsfachschule für Datenverarbeitung, machte dort eine Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten (verkürzt auf ein Jahr) und absolvierte anschließend bis 2002 seinen Zivildienst für die Aidshilfe A-Stadt, wo er bis September 2007 auch weiterhin geringfügig beschäftigt blieb. Im Herbst 2002 nahm er an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ein Mathematikstudium auf (Nebenfach: zunächst Philosophie, später Physik und schließlich Informatik) und lebte bis 2002 in einer Zweier-Wohngemeinschaft. Seit Ende 2006 lebte er allein; im Wintersemester 2006/2007 brach er sein Studium ab und bezog ab April 2007 zunächst Leistungen nach dem SGB II. Seit November 2008 bezieht er Grundsicherung wegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Daneben nimmt der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 53, 54 SGB XII) seit April 2007 Fachleistungsstunden (120 Stunden jährlich) zunächst durch die Einrichtung „Betreutes Wohnen der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie“ und anschließend durch den „A-Stadter Verein Psychosoziale Dienste D.H. / A-Stadter Verein für soziale Heimstätten e.V.“ in Anspruch (u.a. Bescheid des Landeswohlfahrtsverbands Hessen <LWV> vom 27.04.2007). Seit Herbst 2007 wird der Kläger durch das Autismus-Therapieinstitut (Behindertenhilfe in Stadt und Kreis C-Stadt e.V.) in Form eines Haushaltsdienstes ambulant betreut und erhält heilpädagogische Leistungen (Träger: LWV). Außerdem bezieht er seit März 2017 Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe des Pflegegrads I. Im Rahmen von Entlastungsleistungen (§ 45a SGB XI) erbringt der Sozialdienst A-Stadt e.V. hauwirtschaftliche Hilfsdienste (Einkaufen, Haushalt); Kostenträger ist die Pflegeversicherung.
Am 04.05.2009 beantragte der Kläger Versorgungsleistungen nach dem OEG und machte geltend, dass er ab seiner Geburt bis zur Flucht seiner Mutter ins Frauenhaus im Jahre 1991, also ca. 11 Jahre lang physisch und psychisch misshandelt worden sei. Er habe in seiner Familie in einer Atmosphäre der ständigen Angst und Bedrohung durch den Vater gelebt. Er, seine Mutter und sein Bruder seien vom Vater immer wieder regelrecht gefoltert worden, ihm sei mit Körperverletzungen oder mit Ermordung der Mutter gedroht und oftmals sei er mit Gewalt zu demütigenden und entwürdigenden Handlungen genötigt worden. Als Folge dieser jahrelangen Traumatisierung leide er an Depressionen, Panikattacken und gravierenden Angstzuständen, er habe seine Wohnung abgedunkelt und könne diese nicht mehr verlassen.
Der Beklagte nahm diverse Unterlagen zu den Akten, u.a. Auszüge aus Akten des Vormundschaftsgerichts Wiesbaden aus dem Jahr 1991. Hieraus ergab sich, dass der ältere Bruder des Klägers von sich aus beim Jugendamt den Antrag gestellt hatte, wegen der Brutalität des Vaters aus der Familie herausgenommen zu werden. Das Jugendamt bestätigte, dass der Vater als gewalttätig eingeschätzt werde. Ferner zog der Beklagte Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit einschließlich der psychiatrischen Gutachten des Dr. B. vom 30.01.2008 und 11.09.2008 bei. Aus einer Stellungnahme Dipl.-Psych. D. vom Autismus-Therapieinstitut D-Stadt vom 14.10.2008 ging hervor, dass sie den Kläger seit Herbst 2007 behandelte und dass von ihr erstmals ein Asperger-Syndrom festgestellt worden sei; daneben käme es bei dem Kläger zu ausgeprägten depressiven Phasen. Sie behandle den Kläger zuhause, da dieser sich nicht mehr in der Lage fühle, seine Wohnung zu verlassen. Im letzten Jahr habe sich die Situation immer mehr zugespitzt, etwa durch eine sehr ungünstige Konstellation am Arbeitsplatz, den endgültigen Abbruch seines Studiums, gleichzeitig kam es zu einer Veränderung der Medikation. In der Folge sei es dem Kläger zunehmend schwerer gefallen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, in (ungeplantem) Kontakt mit anderen Menschen zu kommen und dabei handlungsfähig zu bleiben. Die Panikanfälle hätten zugenommen, ebenso sei es zu massiven Schlafstörungen, ausgeprägten Konzentrationsproblemen, Wahrnehmungsstörungen sowie einer Überempfindlichkeit für helles Licht und Geräusche gekommen.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.08.2011 Versorgungsleistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG ab. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger Opfer tätlicher Gewalt geworden sei. Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger diverse Zeugen an, die zu den Vorfällen befragt werden könnten, insbesondere seine Mutter. Er habe diverse Psychotherapien durchgeführt bzw. begonnen, die aber keinen nachhaltigen Erfolg gehabt hätten. Der Beklagte holte schriftliche Zeugenaussagen zu den Gewalttaten von der Mutter des Klägers (25.09.2013) sowie von seiner Tante, Frau C. (21.09.2012) ein. Er nahm weitere medizinische Unterlagen zu den Akten, u.a. das Gutachten der Ärztin für Psychiatrie Dr. E. vom Stadtgesundheitsamt vom 23.02.2009, den Befundbericht zur Feststellung der Erwersunfähigkeit des Psychiaters Dr. F. (05.06.2009) sowie Befundberichte der Dipl.-Psych. H. zur Therapie von 1999 bis 2000 (16.02.2013), der Dipl.-Psych. J. zur Therapie von 2003 bis 2006 (15.04.2013), der Psychiaterin Dr. L. zur Therapie von August 2005 bis April 2006 (05.04.2013 vom 27.11.2007) sowie des Hausarztes Dr. K. über die sporadische Behandlung des Klägers zwischen 1994 und 2001 (19.02.2013). Der Ärztliche Dienst des Beklagten stellte in seiner Äußerung vom 07.05.2013 dazu fest, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht klar erwiesen sei und alle anderen psychischen Störungen durch das Asperger-Syndrom erklärbar seien. Dieses sei aber genetisch verursacht und nicht auf Misshandlungen zurückführbar. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2013 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 14.08.2013 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass das bei ihm vorliegende gravierende psychische Krankheitsbild sehr wohl auf die jahrelange fortgesetzte Tyrannei des vaters zurückzuführen sei.
Im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung am 10.10.2014 hat das Sozialgericht die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Daraufhin hat der Beklagte dem Grunde nach anerkannt, dass der Kläger während seiner Kindheit massiver physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt war (Sitzungsniederschrift vom 10.10.2014, Bl. 75 ff. der Gerichtsakte).
In dem sodann vom Sozialgericht veranlassten psychiatrischen Gutachten vom 20.02.2015 ging die Sachverständige Dr. M. davon aus, dass die geschilderten Misshandlungen des Klägers nicht als Gewalttaten i.S. des OEG anzusehen seien und damit auch keine Schädigungsfolgen nach dem OEG vorlägen; Asperger-Symptome würden nachgeahmt; es bestehe eine schädigungsunabhängige schwere neurotische Störung.
Das Sozialgericht hat daraufhin ein weiteres psychiatrisches Gutachten von Amts wegen bei dem Facharzt für Psychiatrie Dr. P. eingeholt. Der Sachverständige erstellte sein Gutachten vom 22.12.2018 auf der Grundlage von zwei Hausbesuchen im Beisein der behandelnden Psychologin D. am 28.11.2017 und 01.02.2018 und einem längeren Telefonat mit dem Kläger. Der Sachverständige hat bestätigt, dass bei dem Kläger anlagebedingt ein hochfunktionaler Asperger-Autismus mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz vorliege. Ferner liege eine chronifizierte Traumafolgestörung vor, die sogar über eine PTBS hinausgehe. Auch wenn die Kriterien für eine PTBS bei dem Kläger erfüllt seien, so sei das bei ihm bestehende Krankheitsbild am ehesten als eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung zu klassifizieren, die sich seit etwa zehn Jahren (2006/2007) in einem dekompensierten Zustand befinde. Der Kläger sei von Geburt an bis zu seinem 11. Lebensjahr der sadistischen Gewaltbereitschaft und andauernden Gewaltausübung des Vaters ausgesetzt gewesen. Auch wenn primär seine Mutter und sein Bruder vom Vater geschlagen und bedroht worden seien, sei auch der Kläger sehr oft massiv misshandelt und häufig mit dem Tode bedroht bzw. so gewürgt oder geschlagen worden, dass er mehrfach befürchtete, dabei zu sterben. Zudem habe er in all den Jahren den gewalttätigen sexualisierten und sexuellen Handlungen des Vaters und des Ehepaares beiwohnen müssen, was gutachterlich und sozialmedizinisch als sexualisierter Missbrauch zu werten sei. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das gesamte Krankheitsbild durch die massiven Gewaltanwendungen des Vaters gegenüber dem Kläger und durch die Gewaltanwendung an seiner Mutter und seinem Bruder hervorgerufen worden sei. Das Ausmaß der Symptombelastung durch die chronifizierte Traumafolgestörung sei außergewöhnlich hoch und bedinge eine erhebliche soziale Behinderung. Durch die besondere emotionale und kognitive Funktionsweise der autistischen Grunderkrankung habe sich der Schaden durch die massiven Gewalterfahrungen besonders gravierend ausgewirkt. Vorübergehend habe der Kläger die traumatischen Kindheitserfahrungen erstaunlich gut kompensieren können, etwa ab dem 11. Lebensjahr, als seine Mutter mit ihm ins Frauenhaus geflohen gewesen sei. Er habe nach der mittleren Reife das berufliche Gymnasium mit sehr guten Leistungen abschließen können, habe eine Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten absolvieren und ein Studium der Mathematik und Informatik an der Universität A-Stadt aufnehmen können. Während des Studiums habe er einen Studentenjob in der Verwaltung der Aidshilfe gehabt. Als homosexueller Mann habe der Kläger gehofft, dass der Kontakt zur Uni und zur schwulen Szene sein Leben erleichtern und verbessern würde. Das Vordiplom habe er noch mit sehr guten Leistungen geschafft. 2006 habe er aufgrund zunehmender psychischer Symptombelastung das Studium beenden und auch seinen Job kündigen müssen. Zwischen 2005 und 2007 sei es zur Dekompensation gekommen. Die Ursache scheine in der Häufung psychosozialer Belastungen zu liegen. Auf jeden Fall hätten ab ca. 2006 zunehmend die kognitiven Kompensationsstrategien versagt, die psychische Abwehr sei insgesamt brüchiger geworden. Die vorher offenbar verdrängten Erinnerungen an die extremen Gewalterfahrungen hätten ihn zunehmend überschwemmt. In Verbindung mit seiner autistischen Seinsart sei es bei dem Kläger dann zu einer massiven sozialphobischen Reaktion gekommen. Aus Angst vor unkontrollierten Kontakten verlasse er nur gelegentlich und nur nachts das Haus. Der GdS liege nach seiner Einschätzung bei 80.
Der Beklagte hat Stellungnahmen seines Ärztlichen Dienstes vorgelegt von Dr. N. (05.03.2019) und der ärztlichen Dezernentin Dr. R. (01.04.2019). Beide haben dem Sachverständigen entgegengehalten, dass er eine primäre Störung als hochfunktionalen Asperger-Autismus i.S. eines Vorschadens sowie darüber hinaus eine chronifizierte Traumafolgestörung zwar festgestellt, dann aber den Vorschaden nicht ausreichend abgegrenzt und zusammen mit der Schädigungsfolge mit einem GdS von 80 bewertet habe. Frau Dr. N. ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die massiven sozial-phobischen Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massiven Zwängen überwiegend ursächlich auf das schädigungsunabhängige Asperger-Syndrom zurückzuführen seien. Die wesentliche psychische Symptomatik würde dem durchaus klassischen Verlauf eines Asperger-Syndroms entsprechen. Hierfür spreche der zeitliche Verlauf der Beeinträchtigungen. Durch die gewalttätigen Übergriffe des Vaters sei eine PTBS entstanden, auf die die Flashbacks, die depressive Reaktion, die Konzentrationsstörungen, das Erinnerungsvermögen sowie das Misstrauen zurückzuführen seien. Sicher gehöre hierzu auch noch ein Vermeidungsverhalten, das sich mit der Symptomatik des Asperger-Syndroms überschneide. Die Folgen der PTBS seien mit einem GdS von 30 zu bewerten. Der Sachverständige habe nicht darin überzeugen können, dass die heutige psychische Symptomatik mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auch ohne die schweren traumatischen Erfahrungen, aufgetreten wäre. Der Beklagte hat sich anschließend bereit erklärt, bei dem Kläger eine PTBS mit einem GdS von 30 als Schädigungsfolgen der gewalttätigen Übergriffe durch den Vater im Zeitraum 1980 bis 1991 ab Mai 2009 (Antragsmonat) anzuerkennen (Schriftsatz vom 25.04.2019, Bl. 315 der Gerichtsakte); der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis zunächst nicht angenommen.
In seiner hierzu eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2019 bleibt der gerichtliche Sachverständige Dr. P. dabei, dass es die besondere Entwicklung des Asperger-Autismus ohne die jahrelange massive Gewalt und ohne das Ausgeliefertsein gegenüber der vollkommenen Willkür des Vaters nicht gegeben hätte. Es sei vollkommen spekulativ anzunehmen, dass allein die Autismus-Spektrumsstörung zu dem sehr niedrigen Funktions- und Rückzugsniveau geführt hätte. Bei einem Asperger-Autismus handele es sich um die prognostisch günstigste Ausprägungsart einer Autismus-Spektrumsstörung und gerade bei dieser Variante sei der Krankheitsverlauf und die schwergradige Symptomatik nicht zu erwarten. Es könne lediglich von Entwicklungsverläufen ausgegangen werden, die typisch seien für Menschen mit Asperger-Syndrom. Verschiedene Erfahrungsberichte und empirische Studien zeigten, dass Menschen, die „nur“ an einem Asperger-Autismus leiden, in vielen Fällen eine gute Integration ins Berufsleben gelinge, wenn auch mit sozialen Interaktionsschwierigkeiten. Sie seien sogar in der Lage, erfolgreiche berufliche Karrieren zu machen, was insbesondere an der nicht eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit liege. Entgegen der Auffassung der Frau Dr. N., die die massiven sozial-phobischen Ängste und die dadurch bedingten ausgeprägten Störungen der Sozialkontakte wesentlich auf das Asperger-Syndrom zurückführe, sei beim alleinigen Asperger-Syndrom von einem stabilen Verlauf auszugehen, dagegen sei ein fluktuierender Verlauf oder auch eine zeitliche Versetzung von Trauma und Traumafolgen nicht ungewöhnlich. Außerdem sei entgegen der Auffassung der Frau Dr. N. die Symptomatik des Klägers nicht durch die Diagnose des Asperger-Autismus und der PTBS vollständig abgedeckt. Gerade die durch Angst geprägte misstrauische Haltung der Welt gegenüber sowie der extreme soziale Rückzug des Klägers würden weit über das Krankheitsbild einer einfachen PTBS hinausgehen. Nach ICD-10 sollten späte chronifizierte Folgen von extremer Belastung, die noch Jahrzehnte nach der belasteten Erfahrung bestehen, als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung klassifiziert werden. Dass es dazu gekommen sei, hänge mit der besonderen autistoiden Vulnerabilität des Klägers zusammen. Die massive sozial-phobische Angst, die der Kläger mittlerweile erlebe, wenn er sich vorstelle, das Haus zu verlassen oder mit andern Menschen in Kontakt treten zu müssen, seien ebenfalls Traumafolge, wobei auch hier für die Art und Ausgestaltung dieser Angst die autistoide Seinsart des Klägers eine Rolle spiele. Es sei jedoch nicht möglich, den Anteil der autistoiden Seinsart in dem GdS abzugrenzen. Er bleibe dabei, dass das gesamte Schadensbild ursächlich auf die massive Gewalterfahrung in den ersten 11 Lebensjahren zurückzuführen und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei.
Die Beratungsärztin Dr. N. hat in ihrer weiteren Stellungnahme vom 04.07.2019 eingeräumt, dass es sicher schwierig sei, die autistoide Seinsart und die durch die Gewalt hervorgerufenen psychischen Störungen voneinander zu trennen, dennoch würden sich einzelne klassische Symptome voneinander trennen lassen, so dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Aussage möglich sei. Je nach Ausprägung führe das Asperger-Syndrom durchaus zu unterschiedlich schwieriger sozialer und beruflicher Integration und es sei spekulativ, wie sich der Asperger-Autismus bei dem Kläger ohne die Gewalterfahrung entwickelt hätte. Durch die massive Gewalt und die Todesdrohungen durch den Vater an den Kläger selbst und an seine Mutter und seinen Bruder träten bei dem Kläger Flashbacks, aufdrängende belastende Erinnerung, Schlafstörungen und eine übermäßige Wach- und Schreckhaftigkeit auf. Dies seien Symptome der PTBS - auch aufgrund eines Schockschadens - und hierdurch könne ein durch Angst und misstrauische Haltung geprägter Umgang mit Beziehungen und der Umwelt erklärt werden. Es sei aber nicht ohne weiteres zulässig, dass die Chronizität einer solchen Symptomatik nach Jahrzehnten als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung klassifiziert werde. Es sei weiterhin nicht klar, wodurch bzw. wie es zu dem depressiv sozial-phobischen Zusammenbruch 2006/2007 gekommen sei, dieser lasse sich nicht ohne weiteres ohne Auslöser erkennen. Auch wenn es schwierig sei, die beiden Krankheitsbilder voneinander zu trennen, so ließen sich doch klassische Symptome einer PTBS herausarbeiten, die beschriebenen psychischen Symptome würden dem Vollbild der Symptomatik einer PTBS neben den Symptomen des Asperger-Autismus entsprechen, wobei es sicherlich diskussionswürdig sei, welches Symptom zu welcher Diagnose zuzuordnen sei.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 02.10.2019 der Klage im Wesentlichen stattgegeben und - unter Klageabweisung im Übrigen - den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 verurteilt, dem Kläger Beschädigtenversorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG nach einem GdS von 80 ab dem 01.05.2009 in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Nachdem der Beklagte im Verlauf des Klageverfahrens anerkannt habe, dass der Kläger einer massiven physischen und psychischen Gewalt in den ersten elf Lebensjahren ausgesetzt gewesen sei und inzwischen auch bereit sei, als Folge dieser Gewalttaten eine PTBS nach einem GdS von 30 anzuerkennen, sei nur noch Streitgegenstand, ob und ggf. inwieweit auch das übrige psychische Krankheitsbild in Form der massiven sozial-phobischen Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massiven Zwänge auf die Gewalttaten zurückzuführen sei. Der angefochtene Bescheid sei rechtwidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger stehe für die gesundheitlichen Folgen der erlittenen Gewalttaten eine Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 80 ab dem 01.05.2009 zu. Soweit der Kläger darüber hinaus einen GdS von 100 geltend mache, werde die Klage abgewiesen. Ausgehend von den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des OEG und des BVG, der Versorgungsmedizinverordnung, den anzuwendenden Kausalitätserwägungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung sei das gesamte psychische Krankheitsbild des Klägers ursächlich auf die in seiner Kindheit erlittenen Gewalttaten zurückzuführen und nach einem GdS von 80 zu entschädigen. Bei dem Kläger bestehe ein hochfunktionaler Asperger-Autismus. Hierbei handele es sich um eine schädigungsunabhängige Störung i.S. einer Schadensanlage, dessen Ausmaß allerdings bei Eintritt der Schädigung nicht nachgewiesen und damit auch nicht abgrenzbar gewesen sei. Der Asperger-Autismus sei erstmals im Jahre 2007 festgestellt worden. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass sich die (nicht mehr streitige) PTBS in ihrer Ausprägung im Übergangsstadium zu einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F 62.0 G) befinde. Diese sei ursächlich auf die massive physische und psychische Gewalt zurückzuführen, der der Kläger ausgesetzt gewesen sei. Er sei von Geburt an bis zu seinem elften Lebensjahr der sadistischen Gewaltbereitschaft und andauernden Gewaltausübung des Vaters ausgesetzt gewesen. Zudem habe er in all den Jahren den gewalttätigen sexualisierten und sexuellen Handlungen des Vaters und des Ehepaares beiwohnen müssen, was gutachterlich und sozialmedizinisch als sexualisierter Missbrauch zu werten sei. Es handele sich damit nicht nur um einzelne Tathandlungen, sondern um eine chronisch kumulative Traumatisierung durch das Aufwachsen in einem Umfeld ständiger Angst vor derartigen Misshandlungen und ständigem Bedrohtsein. Diese massive Gewalteinwirkung sei auf dem Hintergrund der autistoiden Seinsart des Klägers geeignet gewesen, bei ihm die zwischen den Beteiligten unstreitige PTBS hervorzurufen, die hier einen chronischen Verlauf genommen habe und in eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F 62.0) übergegangen sei. Bei dem Kläger bestünden - und auch das sei unstreitig - neben den Flashbacks, der depressiven Reaktion, den Konzentrationsstörungen und sich aufdrängenden belastenden Erinnerungen, die der Beklagte als Folge der PTBS bereits anerkannt habe, auch eine durch massive Angst geprägte misstrauische Haltung der Welt gegenüber sowie seit 2007 ein extremer sozialer Rückzug mit übermäßiger Wach- und Schreckhaftigkeit, massive sozial-phobische Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massive Zwänge. Damit seien vorliegend zur Überzeugung der Kammer auch die Krierien der Diagnose F 62.0 als erfüllt anzusehen. Das gesamte Krankheitsbild sei rechtlich wesentlich auf die extremen Gewalttaten zurückzuführen. Dabei könne es dahinstehen, ob es sich bei der seit 2007 dekompensierten Persönlichkeitsstörung mit der massiven sozial-phobischen Angst und den massiven Zwängen um depressive Symptome (so der gerichtliche Sachverständige) oder um eine Verschlimmerung der Auswirkungen des Asperger-Syndroms handele (so die Beratungsärztin), denn dieses psychische Störungsbild sei jedenfalls rechtlich wesentlich auf die Gewalttaten als Ursache im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung zurückzuführen. In der Versorgungsmedizinverordnung Teil C 7a heiße es hierzu: „War bereits im Zeitpunkt der schädigenden Einwirkung ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychsches Geschehen vorhanden, wenn auch noch nicht bemerkt, kommt nur eine Anerkennung i.S. der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung entweder den Zeitpunkt vorverlegt hat, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden in schwererer Form aufgetreten ist, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.“ Nach Versorgungsmedizinverordnung Teil C 8 würden medizinisch gesehen verschiedene Arten der Verschlimmerung unterschieden: Ein schädigender Vorgang könne nur vorübergehend zu einer Zunahme des Krankheitswertes führen, könne anhaltend aber abgrenzbar den weiteren Krankheitsverlauf beeinflussen und damit zu einem gleichbleibenden schädigungsbedingten GdS führen. Ein schädigender Vorgang könne aber auch den weiteren Krankheitsverlauf richtungsgebend bestimmen und damit Anlass zu einem ansteigenden schädigungsbedingten GdS sein. Hier seien der Gesamt-GdS, der GdS für den Verschlimmerungsanteil durch Schädigungsfolgen und das Ausmaß des Vorschadens anzugeben. Dabei sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Betroffene in dem Zustand geschützt, in dem er sich im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses befinde. Dies bedeute, dass die auf der Basis des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu erfolgende Kausalitätsbeurteilung auf den konkreten Geschädigten abzustellen habe und nicht von einem fiktiven Durchschnittsmenschen ausgehen dürfe. Hiervon ausgehend komme den in der Kindheit erlittenen extremen Gewalterfahrungen für die Verschlimmerung der Auswirkungen des Asperger-Syndroms eine überragende Bedeutung zu und sei damit allein als Ursache im Sinne der richtungsgebenden Verschlimmerung verantwortlich zu machen. Das anlagebedingte Asperger-Syndrom komme als wesentliche Mitursache für die seit 2007 vorliegende massive sozialphobische Angst und massiven Zwänge nur dann in Betracht, wenn es in seiner Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des vorliegenden Krankheitsbildes der Bedeutung der massiven Gewalttaten annähernd gleichwertig wäre. Dies sei aber gerade nicht der Fall. Mit dem gerichtlichen Sachverständigen sei davon auszugehen, dass jedenfalls von Entwicklungsverläufen auszugehen sei, die typisch seien für Menschen mit Asperger-Syndrom. Bei dem Asperger-Autismus handele es sich um die günstigste Ausprägungsart einer Autismus-Spektrums-Störung. Der gerichtliche Sachverständige führe hierzu unter Hinweis auf zahlreiche Literatur in überzeugender Weise aus, dass bei dieser Art der Autismus-Störung von einer relativ hohen Stabilität bis ins hohe Erwachsenenalter auszugehen sei. Dies liege vor allem in der nicht eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit begründet. Gerade der schulische und akademische Erfolg des Klägers, der ihm ja trotz der Gewalttaten gelungen sei, und seine wiederholten Versuche des Beziehungsaufbaus mit anderen in früheren Jahren spreche jedenfalls dafür, dass es für ihn ohne die massiven zusätzlichen Traumatisierungen nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich gewesen wäre, auch langfristig ein erfolgreiches und zufriedenstellendes Leben zu führen. Soweit die Beratungsärztin hierzu feststelle, die Ausführungen des Sachverständigen seien rein spekulativ, könne dies schon deshalb nicht überzeugen, weil keinerlei Auseinander-setzung mit den wissenschaftlich fundierten Ausführungen des Sachverständigen erfolge. Stattdessen stelle die Beratungsärztin ihrerseits Spekulationen auf, indem die „wesentliche psychische Symptomatik dem durchaus klassischen Verlauf eines Asperger-Syndroms der Beginn der Symptomatik als auch der zeitliche Verlauf entsprächen“. Eine nachvollziehbare Begründung für diese Annahme erfolgte nicht. Später räumte die Beratungsärztin ein, dass das Asperger-Syndrom je nach Ausprägung durchaus zu unterschiedlich schwieriger sozialer und beruflicher Integration führe und es spekulativ sei, wie dieses bei dem Kläger ohne die Gewalterfahrungen gewesen sein könne. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der Beklagte für den Nachweis von Art, Ausmaß und Wirkungsweise eines Vorschadens verantwortlich sei. Vorliegend sei es ihm nicht möglich, einen stärkergradigen Asperger-Autismus nachzuweisen, der geeignet wäre, das bei dem Kläger vorliegende gravierende Störungsbild rechtlich wesentlich zu verursachen. Dem Ursachenzusammenhang mit den Gewalttaten stehe auch der zeitliche Verlauf der Erkrankung mit dem sozial-phobischen Zusammenbruch des Klägers im Jahre 2007 nicht entgegen Ein fluktuierender Verlauf und eine zeitliche Versetzung von psychischen Symptomen nach psycho-physischen Traumata in der Kindheit seien nicht ungewöhnlich. Angesichts der extremen Traumatisierung mit den resultierenden häufigen unerträglichen Flashbacks und Panikanfällen, die den Kläger in seiner autistoiden Seins-Art besonders getroffen hätten, scheine es eher erstaunlich, dass er überhaupt über Jahre hinweg in der Lage gewesen sei, gute schulische und akademische Leistungen zu erbringen, einen Job zu bewältigen und Beziehungen zu knüpfen. Um diesen Zustand irgendwie aufrechterhalten zu können, habe der Kläger bis 2007 immer wieder fachärztliche und wegen der häufigen depressiven Phasen psychologische Hilfe in Anspruch genommen und sei mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt worden. Dies zeige, dass er alles versucht habe, um ein einigermaßen normales Leben zu führen, was angesichts der Schwere der Traumata nicht annähernd zu erwarten gewesen sei. Wenn sich dann - und das ergebe sich schlüssig aus dem Befundbericht der Dipl.-Psych. D. vom 14.10.2008 - die Situation zuspitzt habe durch eine ungünstige Konstellation am Arbeitsplatz, den endgültigen Abbruch des Studiums und der Veränderung der Medikation, so erstaune es nicht, dass die mühsam aufrecht erhaltenen kompensatorischen Fähigkeiten versagten und es dem Kläger in der Folge zunehmend schwerer gefallen sei, in der Öffentlichkeit geplante Kontakte mit anderen Menschen zu haben und handlungsfähig zu bleiben. Die schädigungsbedingten Panikanfälle hätten zugenommen, es sei zu massiven Schlafstörungen, ausgeprägten Konzentrationsproblemen gekommen, die Wahrnehmungsstörungen und die Überempfindlichkeit hätten zugenommen. Es sei zu einer schädigungsbedingten Verstärkung der sowieso störungsbedingt vorhandenen Beeinträchtigungen der Handlungsplanung und Organisation von alltäglichen Arbeiten gekommen. Den geschilderten Teilursachen und dem Asperger-Syndrom kämen für die Entwicklung des psychischen Krankheitsbildes im Verhältnis zu den massiven Traumata eine nur untergeordnete Bedeutung zu. Auch die weiteren Ausführungen der Beratungsärztin seien nicht geeignet, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen. Es sei insbesondere zu bemängeln, dass die im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Kausalitätsgrundsätze verkannt würden. So versuche die Ärztin, allein über die Art der Krankheitssymptome einen Zusammenhang zum Asperger-Syndrom bzw. zur PTBS herzustellen, ohne sich nachvollziehbar mit den rechtlichen Grundlagen des Ursachenzusammenhangs oder mit den fundierten Ausführungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen. Später räume die Beratungsärztin sogar selbst ein, dass es „diskussionswürdig sei, das eine oder andere Symptom zu welcher Diagnose zuzuordnen werde“. Damit stelle sie ihr eigenes Ergebnis in Frage, so dass auch ihre GdS-Zuordnung nicht mehr zutreffen könne. Schließlich überzeugten die Ausführungen der Beratungsärztin auch deshalb nicht, weil sie den Kläger niemals gesehen habe und sich daher auch kein eigenes Bild von dem Krankheitsbild haben machen können. Im Ergebnis gehe die erkennende Kammer mit dem Gutachten vom 22.12.2018 davon aus, dass bei dem Kläger eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung mit einem medizinischen GdS von 80 vorliegte. Unstreitig lägen bei dem Kläger schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, die einen medizinischen GdS von 80 rechtfertigen. Der Kläger leide unter einer massiven sozial-phobischen Angst, Flashbacks, massiven Zwängen, depressiven Reaktionen, massivem Rückzugsverhalten - er verlasse sein Haus wenn überhaupt nur nachts - starkes Misstrauen, sowie unter Beeinträchtigungen der Konzentration, des Erinnerungsvermögens und seiner kognitiven Leistungsfähigkeit. Ein GdB von 80 halte die Kammer insoweit für angemessen. Ein GdS-Anteil für das anlagebedingte Asperger-Syndrom, für das ja auch der Beklagte beweispflichtig wäre, lasse sich nicht abgrenzen. Ein medizinischer GdS von 100, wie vom Kläger beantragt, sei dagegen nicht gerechtfertigt. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Kläger seine Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen würde. Ausgehend von diesem Ergebnis werde der Beklagte bei der Bescheiderteilung auch zu prüfen haben, ob dem Kläger eine höhere Beschädigtenversorgung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und ein Berufsschadensausgleich zustehe.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 09.12.2019 zugestellte Urteil am 08.01.2020 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben; der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 10.12.2019 zugestellte Urteil ebenfalls am 08.01.2020 Berufung eingelegt.
Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 16.03.2021 das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 25.04.2019 angenommen, woraufhin der Beklagte mit einem als „Ausführungsbescheid“ überschriebenen Bescheid vom 18.05.2022 (Bl. 212 der Verwaltungsakte) festgestellt hat, dass der Kläger durch die Gewalttat im Zeitraum von 1980 bis 1991 in E-Stadt eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 1 OEG erlitten habe; als Folge dieser Schädigung werde ab 01.05.2009 eine „Posttraumatische Belastungsstörung“ anerkannt, die einen GdS von 30 bedinge. Eine Höherbewertung des GdS nach § 30 Abs. 2 BVG komme nicht in Betracht, da ein besonderes berufliches Betroffensein nach Aktenlage nicht festzustellen sei. Außerdem hat der Beklagte in diesem Bescheid ausgeführt, dass ein Berufsschadensausgleich abgelehnt werde, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen bzw. ein schädigungsbedingter Einkommensverlust nicht festzustellen sei.
Der Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor: Die Ausführungen des Sozialgerichts, das gesamte psychische Krankheitsbild des Klägers sei ursächlich auf die in seiner Kindheit erlittenen Gewalttaten zurückzuführen, sei fehlerhaft. Der unstreitig bestehende Asperger-Autismus sei genetisch bedingt und somit nicht auf die Schädigung zurückzuführen. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. P. erfülle nicht die Kriterien eines neutralen Gutachtens und sei daher nicht verwertbar; der Sachverständige sympathisiere mit dem Kläger und treffe wertende Ausführungen über das Handeln des Beklagten. Der vom Sachverständigen selbst erwähnte E-Mail-Verkehr und die mit dem Kläger geführten Telefonate ließen den Schluss zu, dass der Kläger die Untersuchungsbedingungen bestimme. Hinzu komme, dass das Gutachten fast ein Jahr nach den Begutachtungen im häuslichen Umfeld abgefasst worden sei; zur Sicherstellung der Qualität des Gutachtens solle dies zeitnah nach den Untersuchungen abgefasst werden. Da das erstinstanzliche Urteil nahezu vollständig auf dem Gutachten des Sachverständigen P. beruhe, sei ein weiteres Gutachten einzuholen. Rechtsfehlerhaft habe das Sozialgericht die Stellungnahmen der medizinischen Berater des Beklagten zurückgewiesen, weil diese ihre Stellungnahmen nach Aktenlage abgegeben hätten. Die vorliegenden streitgegenständlichen Fragen ließen sich hingegen sehr wohl nach Aktenlage entscheiden. Zudem seien bei dem Kläger bis 2006 keine Brückensymptome aufgetreten. Dass sich das private Umfeld des Klägers in dieser Zeit massiv verändert habe und darauffolgend „die Welt zusammengebrochen sei“, könne nicht auf die Misshandlungen in der Kindheit zurückgeführt werden. Der Beklagte verweist ergänzend auf die Stellungnahmen seiner medizinischen Beraterinnen Dr. T. vom 05.08.2020 (Bl. 473 ff. der Gerichtsakte) und vom 29.12.2020 (Bl. 507 ff. der Gerichtsakte) sowie Dr. N. vom 02.08.2021 (Bl. 613 ff. der Gerichtsakte).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 02.10.2019 soweit aufzuheben, als der Beklagte darin verurteilt wird, den bei dem Kläger ab 01.05.2009 festzustellenden GdS mit mehr als 30 festzustellen und insoweit die Klage gegen den Bescheid vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2013 in der Fassung des Bescheids vom 18.05.2022 abzuweisen und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 02.10.2019 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2013 in der Fassung des am 16.03.2021 angenommenen Teilanerkenntnisses vom 25.04.2019 und des Ausführungsbescheids vom 18.05.2022 zu verurteilen, bei dem Kläger einen GdS von 100 ab 01.05.2009 festzustellen.
Der Kläger trägt zur Berufungsbegründung vor: Der GdS sei seit 01.05.2009 gestaffelt entsprechend der unterschiedlichen Krankheitsphasen festzustellen. Der Kläger schildert hierzu ausführlich seinen psychischen Zustand seit 2009 (Bl. 442 bis 455 der Gerichtsakte). Außerdem könne nicht nachvollzogen werden, warum ein GdS von 80 ausgewählt worden sei, es sei insoweit hinreichend zu begründen, warum kein höherer GdS festzustellen sei. Zu berücksichtigen sei, dass es ihm zeitweise überhaupt nicht möglich sei, seine Wohnung zu verlassen. Außerdem sei eine Entscheidung über das besondere berufliche Betroffensein zu treffen und dieses mit einem GdS von 20 zu berücksichtigen. Auch er rege eine weitere Begutachtung an, zumal die körperlichen Beschwerden - wie z.B. die seit 2015 bestehenden Hüftschmerzen und anderer Schmerzen - bisher nicht berücksichtigt seien. Die Revision sei zuzulassen.
Die Berichterstatterin des Senats hat am 20.12.2021 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt; auf die Sitzungsniederschrift vom 20.12.2021 (Bl. 658, 659 der Gerichtsakte) wird verwiesen.
Der Senat hat darüber hinaus im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen weitere Unterlagen beigezogen:
- Akte der Deutschen Rentenversicherung Bund (Bl. 551 der Gerichtsakte),
- Befundbericht der FÄ für Psychiatrie/ Psychotherapie S. vom 19.04.2021 (Bl. 553 der Gerichtsakte),
- Befundbericht Notarzt Dr. U. vom 04.05.2021 (Bl. 555 der Gerichtsakte),
- Gutachten des MDK zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 14.06.2017 (Bl. 568 ff. der Gerichtsakte/ Bl. 745 ff. der Gerichtsakte),
- Befundbericht der Dipl.-Psych. D. vom Autismus-Therpaieinstitut vom 22.06.2021 (Bl. 591 ff. der Gerichtsakte),
- Befundberichte Dr. Q. vom 07.07.2021 21.02.2022 (Bl. 593 und 693 der Gerichtsakte),
- Schreiben des Autismus-Therapieinstitutes vom 02.02.2022 (Bl. 678 der Gerichtsakte),
- Schreiben des Sozialdienst A-Stadt e.V. vom 14.02.2022 (Bl. 690 der Gerichtsakte),
- Schreiben des A-Stadter Vereins für soziale Heimstätten - Psychosoziale Dienste D.H. vom 09.03.2022 nebst Anlagen (Bl. 704 bis 720 der Gerichtsakte),
- Schreiben der Dipl.-Soz.-Arb. W. von NOW - psychosoziale Unterstützung vom 05.03.2020 (Bl. 721 der Gerichtsakte),
- Verwaltungsakten des LWV, Eingang mit Schreiben vom 07.04.2022 (Bl. 744 der Gerichtsakte).
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die beigezogenen Unterlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 26.07.2022 zum Termin geladen wurde. Die Ladung enthielt den Hinweis gemäß § 110 SGG, dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Die Berufungen sind zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand der Berufungsverfahren ist der Bescheid des Beklagten vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 in der Fassung des am 16.03.2021 angenommenen Teilanerkenntnisses vom 25.04.2019. Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 18.05.2022 dieses Teilanerkenntnis „ausführt“ wird dieser Bescheid insoweit nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Mit der Annahme des Teilanerkenntnisses war sowohl ein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff im Sinne des § 1 OEG (gewalttätige Übergriffe durch den Vater im Zeitraum 1980 bis 1991), eine Schädigungsfolge (PTBS) und ein GdS in Höhe von 30 festgestellt und der Rechtsstreit gemäß § 101 Abs. 2 SGG teilweise erledigt. Der entsprechende „Ausführungsbescheid“ hat diesbezüglich lediglich klarstellenden Charakter und enthält insoweit keine eigenständige Regelung gemäß § 31 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 20/06 R). Allerdings trifft der Bescheid vom 18.05.2022 über die „Ausführung“ dieses Teilanerkenntnisses hinaus weitere Entscheidungen. Zum einen verneint der Bescheid in seiner Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen eines besonderen beruflichen Betroffenseins (bbB); außerdem wird ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs (BSA) abgelehnt. Hierbei ist zu differenzieren: Bei dem bbB bzw. der aus ihm ggf. folgenden Erhöhung des GdS handelt es sich nicht um einen eigenständigen Streitgegenstand. Das bbB ist im Gesetz, anders als der BSA, nicht als selbstständiger Anspruch ausgestaltet. Der GdS im allgemeinen Erwerbsleben - als einer von vielen zu berücksichtigenden Lebensbereichen nach § 30 Abs. 1 BVG - und das bbB nach § 30 Abs. 2 BVG sind als Teilfaktoren einen einheitlichen GdS anzusehen (vgl. BSG, Urteile vom 06.10.1977 - 9 RV 66/76 - juris, Rz. 12, und vom 29.11.1973 - 10 RV 617/72). Die bbB ist lediglich ein Umstand, der neben anderen - auch medizinischen - Bemessungsfaktoren des GdS in Betracht kommen soll (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 9 RV 56/78, juris). Aus diesen Gründen kann in einem Gerichtsverfahren nur insgesamt über die Höhe des GdS entschieden werden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.01.2017 - L 6 VH 789/15 -, Rn. 64, juris). Das Sozialgericht Frankfurt am Main verkennt insoweit, dass nicht nur der „medizinische GdS“ im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG, sondern der gesamte GdS einschließlich des bbB gemäß § 30 Abs. 2 BVG streitgegenständlich ist und hätte das Vorliegen eines bbB überprüfen und in die Bildung des Gesamt-GdB ggf. miteinbeziehen müssen. Insoweit wird der Bescheid des Beklagten vom 18.05.2022 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens, denn die Frage der bbB ist im Rahmen der GdS-Bildung zwingend zu berücksichtigen. Soweit der Bescheid vom 18.05.2022 darüber hinaus einen Anspruch auf Gewährung eines BSA gemäß § 30 Abs. 3 bis 15 BVG ablehnt, wird er hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens gemäß § 96 SGG, denn weder hatte der Kläger einen BSA beantragt noch war ein BSA Gegenstand des Bescheids vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2013 in der Fassung des am 16.03.2021 angenommenen Teilanerkenntnisses vom 25.04.2019. Es handelt sich insoweit um eine neue, eigenständige Regelung, die mangels Durchführung eines Vorverfahrens auch nicht im Wege einer Klageänderung (§ 99 SGG) in das Verfahren einbezogen werden kann. Der Bescheid vom 18.05.2022 enthält keine Rechtsmittelbelehrung; es gilt insoweit eine einjährige Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 66 Abs. 2 SGG).
Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat - im Ergebnis - zu Recht mit Urteil vom 02.10.2019 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 verurteilt, dem Kläger Beschädigtenversorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG nach einem GdS von 80 ab dem 01.05.2009 in gesetzlichem Umfang zu gewähren, denn - unter Berücksichtigung eines bbB - ist ein Gesamt-GdS von 80 aus Sicht des Senats gerechtfertigt.
Klarstellend weist der Senat zunächst darauf hin, dass die Bezeichnung der Schädigungsfolge zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Der Beklagte hat zwar entgegen den Vorgaben der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedVO) die Diagnose einer bestimmten Krankheit und nicht Art und Ausmaß der Störung und die damit verbundenen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt (vgl. BSG Beschluss vom 26.04.2022, B 9 V 39/21 B, juris). Eine Neuformulierung der Schädigungsfolge ist aber weder beantragt noch für die Feststellung des allein streitigen GdS aus Sicht des Senats erforderlich. Nachfolgend wird daher insoweit allgemein auf eine „Traumafolgestörung“ abgestellt.
Die Voraussetzungen der Beschädigtenversorgung gemäß § 1 Abs. 1 OEG in Verbindung mit § 30 Abs. 1 und 2 BVG liegen dem Grunde nach vor; dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig und spiegelt sich in dem am 16.03.2021 angenommenen Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 25.04.2019 wieder. Hinsichtlich der einschlägigen Rechtsgrundlagen wird ergänzend gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
Streitig ist, welche Funktionsbeeinträchtigungen auf den anlagebedingten - und damit schädigungsunabhängigen - hochfunktionalen Asperger-Autismus einerseits und welche auf die Traumafolgestörung andererseits kausal zurückzuführen und mit welchem GdS die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen der schädigungsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sind.
Der Senat folgt dem Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 02.10.2019 in weiten Teilen und vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Auswirkungen der Traumafolgestörung in Form von massiven sozial-phobischen Ängsten, die dem Kläger jede Form des sozialen Kontakts außerhalb der Wohnung sehr schwer machen, aber auch in Form von Flashbacks, depressiven Reaktionen und Konzentrationsstörungen wesentlich auf die gewalttätigen Übergriffe durch den Vater auf ihn selbst, aber auch auf Mutter und Bruder im Zeitraum 1980 bis 1991 zurückzuführen sind und verweist auch insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführliche Begründung im erstinstanzlichen Urteil einschließlich der Bezugnahmen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. P. vom 22.12.2018 und dessen ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2019.
Ergänzend ist anzumerken:
Als Schädigungsfolgen bzw. deren Verschlimmerung sind nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Theorie der wesentlichen Bedingung). Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Konkret bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R). Die Kausalitätsbeurteilung ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie auf die Einzelpersönlichkeit abzustellen. Maßgebend ist auch die individuelle Belastung und Belastbarkeit des Betroffenen; bei psychischen Reaktionen dürfen äußere Einflüsse nicht nur deshalb als wesentliche Bedingung für den Erfolg ausgeschlossen werden, weil bei dem Betroffenen eine insoweit vorhandene „abnorme“ seelische Reaktionsbereitschaft vorliegt (BSG, Urteil vom 29.10.1980, 9 RV 23/80, juris).
Insbesondere bei Krankheiten, die auf seelischen Einwirkungen beruhen, bestehen - anders als bei „organischen“ Verletzungsfolgen - regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang - hier: die Gewalttat nach dem OEG - als die wesentliche - annähernd gleichwertige - medizinische Ursache festzustellen. Es verbleibt meistens die Unsicherheit, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung vorhanden sind. Wenn jedoch ein Vorgang nach den medizinischen Erkenntnissen - etwa fußend auf dem Erfahrungswissen der Ärzte - in signifikant erhöhtem Maße geeignet ist, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen oder - wie vorliegend - einen bestehenden Zustand wesentlich zu verschlimmern, liegt nach Auffassung des Senats die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sich bei einem hiervon Betroffenen im Einzelfall die Gefahr einer Schädigung auch tatsächlich verwirklicht hat.
Nach Auffassung des Senats ist in diesem Zusammenhang auch nach In-Kraft-Treten der VersMedVO insbesondere die Nummer 71 der zuletzt einschlägigen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) 2008 zu den Folgen psychischer Traumen zu berücksichtigen, zumal die Nrn. 53 bis 143 weiterhin Gültigkeit als antizipierte Sachverständigengutachten haben (vgl. zur Begründung zur VersMedV, BR-Drs. 767/08, S.; BSG, Urteil vom 02.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris). Zu den Folgen psychischer Traumen heißt es in Nr. 71 der AHP 2008: „(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach lang dauernden psychischen Belastungen (z. B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsänderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.“ Die genannten Beispielsfälle zeigen an, welchen Schweregrad die psychische Belastung erreicht haben muss, damit von einem Ursachenzusammenhang im vorstehenden Sinne ausgegangen werden kann.
Begründen nach Maßgabe dieser allgemeinen Erkenntnisse im Einzelfall Tatsachen einen Kausalzusammenhang, so ist eine bestärkte Kausalität - eine bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs - gegeben, die wiederum nur widerlegbar ist, wenn eine sichere alternative Kausalität festgestellt wird. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn die psychische Erkrankung erst nach einer Latenzzeit manifest in Erscheinung tritt. Allerdings kann ein größerer zeitlicher Abstand zum schädigenden Ereignis - insbesondere gegen Ende der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Latenzzeit - den Grad der Wahrscheinlichkeit mindern (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2003, B 9 VG 1/02 R - juris).
Der Senat folgt dem Sachverständigen Dr. P. darin, dass die gegenüber dem Kläger, seiner Mutter und seinem Bruder verübten Gewalttaten während der „Gefangenschaft“ im eigenen Elternhaus wesentlich ursächlicher Faktor für die erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers sind. Der Sachverständige verweist zurecht darauf, dass der Asperger-Autismus bei dem Kläger zu einer erhöhten Vulnerabilität, d.h. einer abnormen seelischen Reaktionsbereitschaft des Klägers von Geburt an geführt hat und infolgedessen auch das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen infolge der der Gewalttat deutlich höher ist als bei einem Menschen ohne eine entsprechende „Strukturstörung“ (Bl. 289 der Gerichtsakte). Insbesondere die massiven sozial-phobischen Ängste seien wesentlich Folge der traumatischen Schädigung seiner autistoiden Seinsart, die ohne die Traumatisierungen vermutlich keine relevante Behinderung dargestellt hätten, so der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme. Der Sachverständige verweist unter Bezugnahme auf eine interdisziplinäre S3-Leitlinie zu Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter und weiteren Veröffentlichungen nachvollziehbar darauf, dass insbesondere bei Menschen mit Asperger-Syndrom ohne zusätzliche jahrelange extremtraumatische Schädigung von einer relativ hohen Stabilität bis ins hohe Alter auszugehen sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch nach Auffassung des Senats Ursächlichkeit und Ausmaß der Traumafolgestörung nicht losgelöst von dem Asperger-Autismus beurteilt werden, denn die nahezu elf Jahre andauernde häusliche Gewalt verstärkten die Symptome der Autismus-Störung im Sinne einer Verschlimmerung wesentlich. Dass die durch den Kläger im Rahmen der Begutachtung geschilderten und belegten massiven sozial-phobischen Ängste wesentlich durch den Asperger-Autismus hervorgerufen werden, ist aus Sicht des Senats hingegen nicht ausreichend belegt. Dr. N. verweist insoweit auch darauf, es sei „diskussionswürdig“, welche Symptome der Traumafolgestörung und welche dem Asperger-Autismus zuzuordnen seien.
Den Einwand des Beklagten im Berufungsverfahren, es lägen keine „Brückensymptome“ vor, kann der Senat nicht nachvollziehen. Der Beklagte selbst hat Schädigungsfolgen in Form einer PTBS ab Antrag anerkannt und unter Verweis auf die Stellungnahme der Dr. N. vom 04.07.2019 unstreitig gestellt, dass durch die PTBS und einen Schockschaden „ein durch Angst und misstrauische Haltung geprägter Umgang mit Beziehungen und der Umwelt zu erklären und diese Symptome über Jahre fortbestehen würden, was aufgrund des „Vorschadens“ nachvollziehbar sei“. Offensichtlich geht der Beklagte bzw. seine medizinischen Berater, auf die er sich bezieht, selbst nicht vom Fehlen sog. Brückensymptome aus.
Nach Auffassung des Senats bedingt die Schädigungsfolge entgegen den Feststellungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main einen „medizinischen“ GdS von 70, der jedoch unter Berücksichtigung eines bbB auf einen GdS von 80 zu erhöhen ist.
Zur Ermittlung der Höhe des GdS gilt folgendes: Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Bei der Beurteilung des GdS sind die Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung -VersMedVO-) zu beachten.
Nach Ziffer B 3.7 der VersMedVO sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdS von 0 - 20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) werden mit einem GdS von 30 - 40 bewertet. Schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 50 - 70 bzw. mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdS von 80 - 100. Bei mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist für die meisten Berufe von Auswirkungen psychischer Veränderungen auszugehen, die zwar eine Fortsetzung der Tätigkeit grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingten, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt. Erhebliche familiäre Probleme sind in diesem Falle durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung zu erwarten. Es besteht aber noch keine Isolierung und kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden kann. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten in Folge einer psychischen Störung sind dadurch gekennzeichnet, dass eine weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen sei. In diesem Fall seien schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis, bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis, zu finden (vgl. Sachverständigenbeirat beim BMAS, Beschluss vom 18./19.03.1998: „Abgrenzungskriterien für die gutachterliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten“).
Nach 3.5.1 werden tiefgreifende Entwicklungsstörungen (insbesondere frühkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Asperger-Syndrom) ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 10 - 20, mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit GdB von 30 - 40, mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 - 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdB 80 - 100. Weiter heißt es hierzu in der VersMedVO „Soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integrationsfähigkeit in Lebensbereiche (wie zum Beispiel Regel-Kindergarten, Regel-Schule, allgemeiner Arbeitsmarkt, öffentliches Leben, häusliches Leben) nicht ohne besondere Förderung oder Unterstützung (zum Beispiel durch Eingliederungshilfe) gegeben ist oder wenn die Betroffenen einer über das dem jeweiligen Alter entsprechende Maß hinausgehenden Beaufsichtigung bedürfen. Mittlere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche auch mit umfassender Unterstützung nicht möglich ist.
Nach Auffassung des erkennenden Senats bestehen bei dem Kläger infolge einer Traumafolgestörung Funktionsbeeinträchtigungen mit noch mittelgradigen Anpassungsschwierigkeiten, die in ihrer Gesamtheit und Ausprägung im oberen Bereich des Bewertungsrahmens (GdS 50 bis 70) anzusetzen und mit einem GdS von 70 zu bewerten sind. Bei dem Kläger besteht seit 2006 ein ihn sozial sehr behinderndes Vermeidungsverhalten, welches durch massive sozial-phobische Ängste sein ganzes Leben bestimmt. Die Vorstellung, das Vermeidungsverhalten durchbrechen zu müssen, löst anhaltende und vernichtend erlebte Todesangst aus. Es besteht eine deutliche sozial-kommunikative Beeinträchtigung, die sich in einem massiven Rückzugsverhalten äußert: Der Kläger verlässt seine Wohnung fast nicht mehr; er ist erwerbsunfähig und dauerhaft nicht in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Einkäufe und Behördengänge werden im Rahmen der Eingliederungshilfe für ihn durch Dritte erbracht; zusätzlich erhält der Kläger Unterstützung im Haushalt durch die Pflegeversicherung. Ärzte und Therapeuten suchen den Kläger in häuslicher Umgebung auf bzw. verordnen Medikamente auf telefonische Anfragen des Klägers. Wenn überhaupt, verlässt der Kläger seine Wohnung nachts und nur für wenige Stunden.
Vor diesem Hintergrund sind bei dem Kläger insgesamt schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten anzunehmen, die jedoch nach Auffassung des Senats nicht vollständig durch die Traumfolgestörungen hervorgerufen werden; auch der - schädigungsunabhängige - Asperger-Autismus hat Anteil an den dargestellten Funktionsbeeinträchtigungen - auch wenn die Funktionsbeeinträchtigungen - wie dargelegt - wesentlich durch die durch die Gewalttaten hervorgerufenen Traumafolgestörungen bedingt sind.
Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen ist der Anteil der autistoiden Seinsart in dem GdS als Vorschaden „rechtlich“ abzugrenzen, auch wenn die besondere autistoide Vulnerabilität Art und Ausgestaltung der schädigungsbedingten sozial-phobischen Ängste beeinflusst. In Teil C.6. der VerMedVO heißt es unter 6.2.3: „Hat die Schädigung eine Gliedmaße oder ein Organ mit bereits bestehender Gesundheitsstörung betroffen, muss der Grad der Schädigungsfolgen niedriger sein als der Grad der Behinderung, der sich aus der nun bestehenden gesamten Gesundheitsstörung ergeben würde. Der Grad der Schädigungsfolgen lässt sich dabei nicht einfach dadurch ermitteln, dass die Teilhabebeeinträchtigung der bereits bestehenden Gesundheitsstörung vom Grad der Behinderung der gesamten Gesundheitsstörung abgezogen wird. Maßgeblich ist vielmehr, zu welchen zusätzlichen Auswirkungen die Schädigung geführt hat. Wenn jedoch die bereits bestehende Gesundheitsstörung nach ihrem Umfang oder nach ihrer Art keine wesentliche Bedeutung für die gesamte Gesundheitsstörung hat, ist der Grad der Schädigungsfolgen genauso hoch wie der Grad der Behinderung, der sich aus der nun bestehenden gesamten Gesundheitsstörung ergibt.“ Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats auch bei der Beurteilung unterschiedlicher - schädigungsbedingter und schädigungsunabhängiger - psychischer Störungen.
Unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben der VersMedVO ist angesichts der schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten des Klägers insgesamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anzunehmen. Ein höherer GdB von 90 bzw. 100 kommt nach Auffassung des Senats hingegen nicht in Betracht, da der Kläger trotz allem noch in der Lage ist, seinen Alltag, d.h. Haushalt, Körperpflege und Ernährung zu „organisieren“. Er tritt über Telefon, E-Mail und Internet in Kontakt mit der Außenwelt bzw. mit Therapeuten, Ärzten und professionellen Helfern (Eingliederungshilfe: z.B. A-Stadter Verein Psychosoziale Dienste D.H. / A-Stadter Verein für soziale Heimstätten e.V.; Autismus-Therapie-Institut; Dr. Q.) und stellt so nahezu selbstständig z.B. die Versorgung mit Arznei- und Lebensmitteln u.a. sicher. Er kommuniziert mit Behörden, Sozialleistungsträgern und dem Gericht und nimmt seine Interessen gegenüber Dritten selbstständig wahr. Ausweislich des Gutachtens des MDK zur Feststellung des Pflegegrades vom 14.06.2017 wird die Selbstversorgung eigenständig vollzogen; Kompressionsstrümpfe zieht der Kläger selbst an; die Medikamenteneinnahme erfolgt selbstständig.
Der anzunehmenden GdB für den hochfunktionalen Asperger-Autismus ist - wie auch der Sachverständige Dr. P. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2018 nachvollziehbar ausführt - mit einem GdB von 10 bis 20 zu bewerten und entsprechend der Vorgaben der VersMedVO als „Vorschaden“ zu berücksichtigen, denn die autistoide Serinsart ist nicht unwesentlich für Art und Ausprägung der schädigungsbedingten soziophoben Ängste der Traumafolgestörung. Ein schädigungsbedingter GdS von 70 erscheint aus Sicht des Senats daher angemessen.
Die Höhe des „medizinischen“ GdS von 70 ist unter Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG wegen einer bbB des Klägers um einen Zehnergrad auf 80 anzuheben. Gemäß § 30 Abs. 2 BVG ist der GdS höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn 1. auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann, 2. zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder 3. die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, sind die Tatbestände des § 30 Abs. 2 Satz 2 BVG nur beispielhaft aufgeführt und stellen Erläuterungen für den in § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG allgemein zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers dar, eine Höherbewertung des GdS vorzunehmen, wenn der Beschädigte in seinem Beruf besonders betroffen ist. In sämtlichen in Satz 2 genannten Fällen steht dem Beschädigten eine Erhöhung des GdS daher nur zu, wenn die in diesen Tatbeständen beschriebenen beruflichen Nachteile ihn subjektiv „besonders“ treffen, weil sie in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht das Maß der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben erheblich übersteigen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1969 - 10 RV 561/66 - juris). Ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil als Ausdruck einer besonderen Berufsbetroffenheit liegt im Regelfall (nur) dann vor, wenn der (schädigungsbedingte) Minderverdienst etwa 20 Prozent erreicht oder wenn wegen der geringen Höhe des Einkommens dennoch der Minderverdienst von erheblicher Bedeutung für den Betroffenen ist (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1977 - 10 RV 19/77 - juris). Dabei verbietet sich aber eine rein prozentuale, am Verdienstausfall orientierte Betrachtung, weil ein bbB auch dann vorliegen kann, wenn der Beschädigte zwar seinen früheren Beruf trotz der Schädigung weiterhin ausübt und dabei keinen Minderverdienst gegenüber gesunden Angehörigen dieses Berufes hat, seine Arbeit jedoch nur unter außergewöhnlicher Energie und/oder Gefährdung seiner Gesundheit weiter verrichten kann. Im Rahmen des § 30 Abs. 2 BVG ist daher eine rein schematische Erhöhung nicht zulässig. Vielmehr ist die Frage, ob die berufliche Schädigung besonders groß ist und der Beschädigte besonders hart betroffen wird, unter Würdigung aller Umstände zu beurteilen, wobei der Gesetzgeber durch die Regelung des § 30 Abs. 2 BVG die Voraussetzungen für eine höchst individuelle Behandlung des einzelnen Beschädigten geschaffen hat. Bei einer Gesamtschau sind daher die wirtschaftlichen und sonstigen Nachteile des Beschädigten, das Ausmaß der Schädigungsfolgen, der Zwang zum Berufswechsel oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit, der berufliche Werdegang und eine etwaige Verhinderung eines weiteren Aufstiegs im Beruf, der vor der Schädigung ausgeübte und der derzeitige Beruf, die schädigungsbedingte Verdiensteinbuße in ihrem betragsmäßigen und prozentualen Wert, aber auch die Höhe des Grades des (rein medizinischen) GdS nach § 30 Abs. 1 BVG zu berücksichtigen. Zusätzlich sind neben dem Alter und den persönlichen und beruflichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere seine Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 1975 - 10 RV 189/74). § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG sieht hingegen nicht vor, dass der Anspruch auf Höherbewertung des GdS ausgeschlossen ist, wenn der Betroffene in jedem Beruf gleichermaßen betroffen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 10. Mai 2012 - L 11 VE 47/09 und vom 5. Dezember 2013 - L 11 VE 57/09 -, jeweils bei juris). Vielmehr bezieht sich das „Besondere“ der beruflichen Betroffenheit nicht auf einen bestimmten Beruf, sondern auf das Ausmaß der individuellen Auswirkungen bei dem Geschädigten in seinem Berufsleben. Demgegenüber ist der „medizinische“ GdS gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Er hängt damit nicht von der konkreten Beeinträchtigung in einem von dem Geschädigten ausgeübten oder angestrebten Beruf ab (vgl. zur MdE: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 - 9 RV 9/95 -, BSGE 77, 147 = SozR 3-3100 § 30 Nr. 15). Die besonderen Auswirkungen im konkreten Beruf des Geschädigten, die sich in der Höhe des medizinischen GdS im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG nicht widerspiegeln, sollen durch § 30 Abs. 2 Satz 1 BVG Berücksichtigung finden. Insgesamt kommt ein Zuschlag um mehr als 10 (v. H.) nur in Betracht, wenn die berufliche Schädigung „außergewöhnlich groß“ ist (Dau in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 30 Rn. 20 m.w.N.).
Der Kläger bezieht seit 2008 Grundsicherung wegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat im Wege der Amtshilfe (§ 45 SGB XII) auf der Grundlage psychiatrischer Gutachten des Dr. B. vom 30.01.2008 und 11.09.2008 (Eingang mit Bl. 551 der Gerichtsakte) zuletzt am 24.07.2009 die volle Erwerbsminderung festgestellt. Ausweislich der Gutachten des Dr. B. sind Hauptursachen der Erwerbsunfähigkeit die massiven Ängste des Klägers, seine Wohnung zu verlassen. In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht Frankfurt am Main im Urteil vom 02.10.2019 und dem Sachverständigen Dr. P. im Gutachten vom 22.12.2018 und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2019 sind auch nach Ansicht des Senats - wie bereits dargelegt - die massiven soziophobischen Ängste wesentlich auf die schädigungsabhängige Traumafolgestörung zurückzuführen und haben damit auch wesentlich die Erwerbsunfähigkeit des Klägers verursacht: Durch die massiven Ängste war der Kläger weder in der Lage sin Studium fortzusetzen, einer Erwerbstätigkeit als mathematisch-technischer Assistent oder auch nur einer Tätigkeit als Aushilfe bei der A-Stadter Aids-Hilfe nachzugehen. Ein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus Studium und Erwerbsleben und der sich anschließende Bezug von Grundsicherung nach dem SGB XII führt nach Auffassung des Senats vorliegend zur Feststellung eines bbB. Dabei ist bei einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles die Erhöhung des GdS um 10 auf insgesamt 80 ab Antrag rechtlich geboten, aber auch ausreichend. Für eine Erhöhung in diesem Rahmen spricht neben dem sich in dem ununterbrochenen Bezug von Sozialleistungen niederschlagenden Einkommensverlust auch der relativ hohe „medizinische“ GdS von 70. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Zwang zur Aufgabe jeder beruflichen Tätigkeit zugleich den Zwang beinhaltet, auch den durch Studium angestrebten Berruf aufzugeben. Der Zwang zur Aufgabe jeglicher Tätigkeit ist aber gerade ein Regelbeispiel für das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit, wie sich aus § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVG ergibt. Für eine außergewöhnlich große berufliche Schädigung spricht dieser Umstand nicht. Deshalb können auch die wirtschaftlich durchaus gravierenden Folgen des Zwangs zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit und des Studiums nicht zur Begründung einer außergewöhnlichen bbB herangezogen werden und eine Erhöhung des GdS um 20 begründen.
Für eine Staffelung des GdS seit Antragsstellung im Mai 2009 sah der Senat keine Anhaltspunkte. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass sich Phasen der Stabilisierung mit Phasen der Verschlimmerung abwechselten. Dass sich jeweilige Phasen über Zeiträume von mehr als sechs Monaten erstrecken (vgl. VerMedVO Teil A.2 f) ist nicht vorgetragen und auch anhand der beigezogenen Akten der unterschiedlichen Leistungserbringer nicht belegbar.
Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, weitere Sachermittlungen von Amts wegen in Form der Einholung eines weiteren Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet, wie von beiden Beteiligten angeregt, durchzuführen. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten im Berufungsverfahren ist das Gutachten des Dr. P. verwertbar. Es bestehen weder Anhaltspunkte für eine Parteilichkeit des Sachverständigen noch kann der Senat Qualitätsmängel des Gutachtens erkennen. Zunächst hat der Senat keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen Dr. P., denn dieser verfügt über vielfältige Erfahrung in der Begutachtung von komplexen psychisch-reaktiven Störungen. Er war über mehrere Jahre Vorsitzender der Kommission der Hessischen Landesärztekammer für die Begutachtung psychisch-reaktiver Traumafolgen, von 1991 bis 1999 war er als Psychiater am Offenbacher Stadtkrankhaus tätig, er arbeitet seit 2000 als niedergelassener Psychoanalytiker und Psychotherapeut und fertigt seit über 25 Jahren Gutachten für Sozialgerichte an. In seinem umfassenden Gutachten vom 22.12.2018 (81 Seiten) stellt der Sachverständige ausführlich dar, wie die Begutachtungen im häuslichen Umfeld sowie die Kontaktaufnahmen mit dem Kläger erfolgten; die zusätzlichen Befunde (teilweise überreicht durch den Kläger) sowie der E-Mail-Verkehr hat der Sachverständige mit dem Gutachten vorgelegt, worauf der Sachverständige auch ausdrücklich hinweist und diese Kontakte (einschließlich Telefonate) auch offen legt. Die Feststellung des Beklagten, zwischen Begutachtung (November 2017 und Februar 2018) und der Abfassung des Gutachtens (Dezember 2018) lägen viele Monate, ist zutreffend, aber aus Sicht des Senats kein Indiz für eine mangelnde Qualität. Dass die Wortwahl des Sachverständigen Zweifel an seiner Neutralität begründen könnten, erkennt der Senat nicht. Kern einer psychiatrischen Begutachtung ist das Gespräch der Sachverständigen mit dem zu Begutachtenden; diese Untersuchungsgespräche hat der Sachverständige ausführlich geschildert; besondere Sympathiebekundungen seitens des Sachverständigen oder „erfolgreiche“ Einflussnahmen durch den Kläger sind für den Senat nicht ersichtlich. Der Hinweis des Sachverständigen, dass der Kläger nunmehr seit über zehn Jahren auf den Abschluss seines Verfahrens wartet, ist ebenso zutreffend wie erwähnenswert: Alle beteiligten Behörden, Ärzte, Gerichte und letztlich auch der Sachverständige haben ihren Anteil an dieser langen Verfahrensdauer.
Eine weitere Begutachtung zur Feststellung organischer bzw. orthopädischer Leiden war entgegen den Ausführungen des Klägers nicht zu veranlassen. Streitgegenständlich sind ausschließlich die schädigungsbedingten Traumafolgestörungen. Andere Schädigungsfolgen sind weder geltend gemacht noch für den Senat ersichtlich.
Die Berufungen waren daher zurückzuweisen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass dem (bis 19.07.2022 im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten) Prozessbevollmächtigten des Klägers mit gerichtlicher Verfügung vom 20.22.2020 umfassend Akteneinsicht gewährt wurde; über den Eingang aller im Rahmen der Sachermittlungen beigezogenen Unterlagen wurde der Prozessbevollbemächtigte des Klägers informiert bzw. die Unterlagen wurden ihm zur Kenntnis- und eventuellen Stellugnahme übersandt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.