Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 verurteilt, dem Kläger Beschädigtenversorgung nach dem OEG i.V.m. dem BVG nach einem GdS von 80 ab dem 01.05.2009 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger 4/5 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsrecht (OEG) i.V.m. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Insbesondere ist -noch- streitig, inwieweit das psychische Krankheitsbild des Klägers auf die erlittenen Gewalttaten zurückzuführen ist.
Der im Jahre 1980 geborene Kläger bezieht auf seinen Antrag vom 12.11.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Am 04.05.2009 beantragte der Kläger Versorgungsleistungen nach dem OEG und machte geltend, dass er ab seiner Geburt bis zur Flucht der Mutter ins Frauenhaus im Jahre 1991, also ca. 11 Jahre lang physisch und psychisch misshandelt worden sei. Er habe in seiner Familie in einer Atmosphäre der ständigen Angst und Bedrohung durch den Vater gelebt. Er, seine Mutter und sein Bruder seien vom Vater immer wieder regelrecht gefoltert worden, ihm sei mit Körperverletzungen oder mit Ermordung der Mutter gedroht und oftmals sei er mit Gewalt zu demütigenden und entwürdigenden Handlungen genötigt worden. Als Folge dieser jahrelangen Traumatisierung leide er an Depressionen, Panikattacken und gravierenden Angstzuständen, habe seine Wohnung abgedunkelt und könne diese nicht mehr verlassen. Ferner liege bei ihm ein Asperger-Syndrom vor.
Der Beklagte nahm diverse Unterlagen zu den Akten, u.a. Unterlagen des Vormundschaftsgerichts Wiesbaden aus 1991. Hieraus ergibt sich, dass der ältere Bruder des Klägers von sich aus beim Jugendamt den Antrag gestellt hatte, wegen der Brutalität des Vaters aus der Familie herausgenommen zu werden. Das Jugendamt hat bestätigt, dass der Vater allgemein als gewalttätig eingeschätzt werde. Ferner zog der Beklagte Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit mit den Psychiatrischen Gutachten des Dr. W. vom 30.01.2008 und 11.09.2008 bei. Aus einer Stellungnahme Dipl.-Psych. D. vom Autismus-Therapieinstitut D-Stadt vom 14.10.2008 ergibt sich, dass sie den Kläger seit Herbst 2007 behandle und dass von ihr erstmals ein Asperger-Syndrom festgestellt worden sei; daneben käme es bei dem Kläger zu ausgeprägten depressiven Phasen. Sie behandle den Kläger zuhause, da dieser sich nicht mehr in der Lage fühle, seine Wohnung zu verlassen. Im letzten Jahr habe sich die Situation immer mehr zugespitzt, etwa durch eine sehr ungünstige Konstellation am Arbeitsplatz, den endgültigen Abbruch seines Studiums (Herr A. war den sozialen Anforderungen seines Studienalltags nicht mehr gewachsen), gleichzeitig zu einer Veränderung der Medikation. In der Folge sei es dem Kläger zunehmend schwerer gefallen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, in (ungeplantem) Kontakt mit anderen Menschen zu kommen und dabei handlungsfähig zu blieben. Die Panikanfälle hätten zugenommen, ebenso sei es zu massiven Schlafstörungen, ausgeprägten Konzentrationsproblemen, Wahrnehmungsstörungen sowie einer Überempfindlichkeit für helles Licht und Geräusche gekommen.
Sodann lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18.08.2011 Versorgungsleistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG ab. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger Opfer tätlicher Gewalt geworden sei.
Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger diverse Zeugen an, die zu den Vorfällen befragt werden könnten, insbesondere seine Mutter. Er habe diverse Psychotherapien durchgeführt bzw. begonnen, die aber keinen nachhaltigen Erfolg gehabt hätten.
Der Beklagte holte schriftliche Zeugenaussagen zu den Gewalttaten ein von der Mutter des Klägers (25.09.2013) sowie von seiner Tante, Frau C. (21.09.2012). Es nahm weitere medizinische Unterlagen zu den Akten, u.a. das Gutachten der Ärztin für Psychiatrie, Frau Dr. F. vom Stadtgesundheitsamt vom 23.02.2009, den Befundbericht zum Antrag auf Erwerbsminderung durch den Psychiater Dr. G. (05.06.2009) und Befundberichte von der Dipl.-Psych. Frau H. zur Therapie 1999 bis 2000 (16.02.2013), der Dipl.-Psych. Frau J. zur Therapie 12/2003 bis 2006 (15.04.2013), der Fachärztin für Psychiatrie Frau Dr. L zur Therapie von 8/2005 bis 04/2006 (05.04.2013 vom 27.11.2007) sowie von dem Hausarzt Dr. K. über die sporadische Behandlung des Klägers zwischen 1994 und 2001 (19.02.2013).
Der Ärztliche Dienst des Beklagten stellte in seiner Äußerung vom 07.05.2013 dazu fest, dass eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nicht klar erwiesen sei und alle anderen psychischen Störungen durch das Asperger–Syndrom erklärbar seien. Dieses sei aber genetisch verursacht und nicht auf Misshandlungen zurückführbar.
Sodann erteilte der Beklagte unter dem 26.07.2013 ablehnenden Widerspruchsbescheid.
Mit der dagegen am 14.08.2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das bei ihm vorliegende gravierende psychische Krankheitsbild sei sehr wohl auf die jahrelange fortgesetzte Tyrannei zurückzuführen.
Im Rahmen des Kammertermins am 10.10.2014 hat das Gericht die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt des Protokolls Bl. 75 ff der Gerichtsakten.
Daraufhin hat der Beklagte dem Grunde nach anerkannt, dass der Kläger während seiner Kindheit massiver physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt war.
In ihrem sodann vom Gericht veranlassten psychiatrischen Gutachten vom 20.02.2015 ging Frau Dr. M. davon aus, dass die Misshandlungen des Klägers nicht als Gewalttaten i.S. des OEG anzusehen seien und es lägen keine Schädigungsfolgen nach dem OEG vor.
Das Gericht hat sodann ein weiteres psychiatrisches Gutachten eingeholt bei dem Facharzt für Psychiatrie, Herrn P. vom 22.12.2018. Die Begutachtung erfolgte im Rahmen von 2 Hausbesuchen im Beisein der behandelnden Psychologin D. am 28.11.2017 und 01.02.2018 und einem längeren Telefonat mit dem Kläger. Der Sachverständige hat festgestellt, dass bei dem Kläger anlagebedingt ein hochfunktionaler Asperger-Autismus vorliege mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz. Ferner liege eine chronifizierte Traumafolgestörung vor, die sogar über eine posttraumatische Belastungsstörung hinausgehe. Auch wenn die Kriterien für eine Posttraumatische Belastungsstörung bei dem Kläger erfüllt seien, so sei das bei ihm bestehende Krankheitsbild am ehesten als eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung zu klassifizieren, die sich seit etwa 10 Jahren (2006/2007) in einem dekompensierten Zustand befinde. Der Kläger sei von Geburt an bis zu seinem 11. Lebensjahr der sadistischen Gewaltbereitschaft und andauernden Gewaltausübung des Vaters ausgesetzt gewesen. Auch wenn primär seine Mutter und sein Bruder vom Vater geschlagen und bedroht worden seien, sei auch der Kläger sehr häufig massiv misshandelt und häufig mit dem Tode bedroht bzw. so gewürgt oder geschlagen worden, dass er mehrfach befürchtete, dabei zu sterben. Zudem habe er in all den Jahren den gewalttätigen sexualisierten und sexuellen Handlungen des Vaters und des Ehepaares beiwohnen müssen, was gutachterlich und sozialmedizinisch als sexualisierter Missbrauch zu werten sei. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das gesamte Krankheitsbild durch die massiven Gewaltanwendungen des Vaters gegenüber dem Kläger und durch die Gewaltanwendung an seiner Mutter und seinem Bruder hervorgerufen worden sei. Das Ausmaß der Symptombelastung durch die chronifizierte Traumafolgestörung sei außergewöhnlich hoch und bedinge eine erhebliche soziale Behinderung. Durch die besondere emotionale und kognitive Funktionsweise der autistischen Grunderkrankung habe sich der Schaden durch die massiven Gewalterfahrungen besonders gravierend ausgewirkt. Vorübergehend habe der Kläger die traumatischen Kindheitserfahrungen erstaunlich gut kompensieren können, etwa ab dem 11. Lebensjahr, als seine Mutter mit ihm ins Frauenhaus geflohen war. Er habe nach der mittleren Reife das berufliche Gymnasium mit sehr guten Leistungen abschließen können, habe eine Ausbildung zum mathematisch technischen Assistenten absolvieren und ein Studium der Mathematik und Informatik an der Uni Frankfurt aufnehmen können. Während des Studiums habe er einen Studentenjob in der Verwaltung der Aidshilfe gehabt. Als homosexueller Mann habe der Kläger gehofft, dass der Kontakt zur Uni und zur schwulen Szene sein Leben erleichtern und verbessern würde. Das Vordiplom habe er noch mit sehr guten Leistungen geschafft. 2006 habe er aufgrund zunehmender psychischer Symptombelastung das Studium beenden und auch seinen Job kündigen müssen. Zwischen 2005 und 2007 sei es zur Dekompensation gekommen. Die Ursache scheine in der Häufung psychosozialer Belastungen zu liegen.
Auf jeden Fall hätten ab ca. 2006 zunehmend die kognitiven Kompensationsstrategien versagt, die psychische Abwehr sei insgesamt brüchiger geworden. Die vorher offenbar verdrängten Erinnerungen an die extremen Gewalterfahrungen hätten ihn zunehmend überschwemmt. In Verbindung mit seiner autistischen Seinsart sei es bei dem Kläger dann zu einer massiven sozialphobischen Reaktion gekommen. Aus Angst vor unkontrollierten Kontakten verlasse er nur gelegentlich und nur nachts das Haus. Der GdS liege bei 80.
Der Beklagte hat Stellungnahmen seines Ärztlichen Dienstes vorgelegt von Frau Dr. N. (05.03.2019) und der Ärztlichen Dezernentin Frau Dr. R. (01.04.2019). Sie halten dem Sachverständigen entgegen, dass er eine primäre Störung als hochfunktionalen Asperger-Autismus i.S. eines Vorschadens sowie darüber hinaus eine chronifizierte Traumafolgestörung festgestellt habe, dann aber den Vorschaden nicht abgegrenzt und zusammen mit der Schädigungsfolge mit einem GdS von 80 bewertet habe. Frau Dr. N. gelangt zu dem Ergebnis, dass die massiven sozialphobischen Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massiven Zwänge überwiegend ursächlich auf das schädigungsunabhängige Asperger-Syndrom zurückzuführen sei. Die wesentliche psychische Symptomatik würde dem durchaus klassischen Verlauf eines Asperger-Syndroms entsprechen. Hierfür spreche der zeitliche Verlauf der Beeinträchtigungen. Durch die gewalttätigen Übergriffe des Vaters sei eine Posttraumatische Belastungsstörung entstanden, auf die die Flashbacks, die depressive Reaktion, die Konzentrationsstörungen, das Erinnerungsvermögen sowie das Misstrauen zurückzuführen sei. Sicher gehöre hierzu auch noch ein Vermeidungsverhalten, das sich mit der Symptomatik des Asperger-Syndroms überschneide. Die Folgen der Posttraumatischen Belastungsstörung seien mit einem GdS von 30 zu bewerten. Der Sachverständige habe nicht darin überzeugen können, dass die heutige psychische Symptomatik mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auch ohne die schweren traumatischen Erfahrungen, aufgetreten wäre.
Sodann erklärte sich der Beklagte bereit, bei dem Kläger eine Posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 30 als Schädigungsfolgen der gewalttätigen Übergriffe durch den Vater im Zeitraum 1980 bis 1991 ab Mai 2009 (Antragsmonat) anzuerkennen.
Dieses Vergleichsangebot hat der Kläger nicht angenommen.
In seiner hierzu eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2018 bleibt der gerichtliche Sachverständige dabei, dass es diese Entwicklung des Asperger-Autismus ohne die jahrelange massive Gewalt und ohne die Auslieferung gegenüber der vollkommenen Willkür des Vaters nicht gegeben hätte. Es sei vollkommen spekulativ anzunehmen, dass allein die Autismus-Spektrumsstörung zu dem sehr niedrigen Funktions- und Rückzugsniveau geführt hätte. Bei einem Asperger-Autismus handele es sich um die prognostisch günstigste Ausprägungsart einer Autismus-Spektrumsstörung und gerade bei dieser Variante sei der Krankheitsverlauf und die schwergradige Symptomatik nicht zu erwarten. Es könne lediglich von Entwicklungsverläufen ausgegangen werden, die typisch seien für Menschen mit Asperger-Syndrom. Verschiedene Erfahrungsberichte und empirische Studien zeigten, dass Menschen, die nur an einem Asperger-Autismus leiden, in vielen Fällen eine gute Integration ins Berufsleben gelinge, wenn auch mit sozialen Interaktionsschwierigkeiten. Sie seien sogar in der Lage, erfolgreiche berufliche Karrieren zu machen, was insbesondere an der nicht eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit liege. Entgegen der Auffassung der Fr Dr. N., die die massiven sozialphobischen Ängste und die dadurch bedingten ausgeprägten Störungen der Sozialkontakte rechtlich wesentlich auf das Asperger-Syndrom zurückführe, sei beim alleinigen Asperger-Syndrom von einem stabilen Verlauf auszugehen, dagegen sei ein fluktuierender Verlauf oder auch eine zeitliche Versetzung von Trauma und Traumafolgen nicht ungewöhnlich. Außerdem sei entgegen der Auffassung der Frau Dr. N. die Symptomatik des Klägers nicht durch die Diagnose des Asperger–Autismus und der Posttraumatischen Belastungsstörung vollständig abgedeckt. Gerade die durch Angst geprägte misstrauische Haltung der Welt gegenüber sowie der extreme soziale Rückzug des Klägers würden weit über das Krankheitsbild einer einfachen posttraumatischen Belastungsstörung hinausgehen. Nach ICD-10 sollten späte chronifizierte Folgen von extremer Belastung, die noch Jahrzehnte nach der belasteten Erfahrung bestehen, als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung klassifiziert werden. Dass es dazu gekommen sei, hänge mit der besonderen autistoiden Vulnerabilität des Klägers zusammen. Die massive sozialphobische Angst, die der Kläger mittlerweile erlebe, wenn er sich vorstelle, das Haus zu verlassen oder mit andern Menschen in Kontakt treten zu müssen, seien ebenfalls Traumafolge, wobei auch hier für die Art und Ausgestaltung dieser Angst die autistoide Seinsart des Klägers eine Rolle spiele. Es sei jedoch nicht möglich, den Anteil der autistoiden Seinsart in dem GdS abzugrenzen. Er bleibe dabei, dass das gesamte Schadensbild ursächlich auf die massive Gewalterfahrung in den ersten 11 Lebensjahren zurückzuführen und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei.
Die Beratungsärztin Frau Dr. N. hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 04.07.2019 sodann eingeräumt, dass es sicher schwierig sei, die autistoide Seinsart und die durch die Gewalt hervorgerufenen psychischen Störungen voneinander zu trennen, jedoch würden sich einzelne klassische Symptome voneinander trennen lassen, so dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Aussage möglich sei. Je nach Ausprägung führe das Asperger-Syndrom durchaus zu unterschiedlich schwieriger sozialer und beruflicher Integration und es sei spekulativ, wie sich der Asperger-Autismus bei dem Kläger ohne die Gewalterfahrung entwickelt hätte. Durch die massive Gewalt und die Todesdrohungen durch den Vater an den Kläger selbst und an seine Mutter und seinen Bruder träten bei dem Kläger Flashbacks, aufdrängende belastende Erinnerung, Schlafstörungen und eine übermäßige Wach- und Schreckhaftigkeit auf. Dies seien Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund eines Schockschadens und hierdurch könne ein durch Angst und misstrauische Haltung geprägter Umgang mit Beziehungen und der Umwelt erklärt werden. Es sei nicht ohne weiteres zulässig, dass die Chronizität einer solchen Symptomatik nach Jahrzehnten als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung klassifiziert werde. Es sei weiterhin nicht klar, wodurch bzw. wie es zu dem depressiv sozial-phobischen Zusammenbruch 2006/2007 gekommen sei, dieser lasse sich nicht ohne weiteres ohne Auslöser erkennen. Auch wenn es schwierig sei, die beiden Krankheitsbilder voneinander zu trennen, so ließen sich doch klassische Symptome einer posttraumatische Belastungsstörung herausarbeiten, die beschriebenen psychischen Symptome würden dem Vollbild der Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung neben den Symptomen des Asperger-Autismus entsprechen, wobei es diskussionswürdig sei, dass eine oder andere Symptom zu welcher Diagnose zuzuordnen.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hält der beratungsärztlichen Äußerung insbesondere entgegen, dass Fr. Dr. N. ihre Auffassung nicht begründet habe und sich schon gar nicht mit den medizinisch-wissenschaftlichen Begründungen des gerichtlichen Sachverständigen auseinandergesetzt habe.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 zu verurteilen, dem Kläger Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 100 ab 01.05.2009 in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit es über das Vergleichsangebot vom 25.04.2019 hinausgeht.
Er sieht die Schädigungsfolgen nach wie vor mit einem GdS von 30 hinreichend bewertet und beruft sich insoweit auf die Stellungnahme seiner Beratungsärztinnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten, auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist inhaltlich auch im Wesentlichen begründet. Nachdem der Beklagte im Verlauf des Klageverfahrens anerkannt hat, dass der Kläger einer massiven physischen und psychischen Gewalt in den ersten 11 Lebensjahren ausgesetzt war und inzwischen auch bereit ist, als Folge dieser Gewalttaten eine Posttraumatische Belastungsstörung nach einem GdS von 30 anzuerkennen ist nur noch Streitgegenstand, ob und ggf. inwieweit auch das übrige psychische Krankheitsbild in Form der massiven sozialphobischen Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massiven Zwänge auf die Gewalttaten zurückzuführen ist.
Der Bescheid vom 18.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2013 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht für die gesundheitlichen Folgen der erlittenen Gewalttaten eine Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 80 ab dem 01.05.2009 zu. Soweit der Kläger darüber hinaus einen GdS von 100 geltend macht, war die Klage abzuweisen.
Gemäß § 1 Abs. 1 OEG (Opferentschädigungsgesetz) erhält derjenige, der im Geltungsbereich des Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug in Folge eines vorsätzlichen, rechtwidrigen tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person oder dessen rechtmäßiger Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschiften des BVG (Bundesversorgungsgesetz).
Nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, 1 Abs. 3 Satz 1 BVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen wie Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrechts. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr. 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 B 9 V 5/00 R BSGE 88, 153 = SozR 3 3100 § 5 Nr. 9 Juris RdNr. 32).
Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 01.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend seit Juli 2004 den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 01.01.2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr. 1 b der Anl. zu § 2 VersMedV; vgl. BR Drucks 767/1/08 S 3, 4).
Zu den Folgen psychischer Traumen heißt in Nr. 71 der AHP 2008, - diese gelten auch nach Inkrafttreten der Versorgungsmedizin-Verordnung fort -
„(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach lang dauernden psychischen Belastungen (z. B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsänderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.“
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist die MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) bzw. der GdS (Grad der Schädigung) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Die MdE bzw. der GdS ist gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG nach 10er Graden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird von einem höheren 10er Grad mit umfasst. Bei der Beurteilung der MdE bzw. des GdS sind für die Zeit bis zum 31.12.2008 die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung zu beachten, für die Zeit ab dem 01.01.2009 sind diese durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (VersMedV) abgelöst worden. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft beruhenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten (BSG, Urteil vom 12.06.2003, Az. B 9 VG 1/02 R; BSGe 91,107)
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das gesamte psychische Krankheitsbild des Klägers ursächlich auf die in seiner Kindheit erlittenen Gewalttaten zurückzuführen und nach einem GdS von 80 zu entschädigen.
Dies beruht auf folgenden Gesichtspunkten:
Bei dem Kläger besteht ein hoch-funktionaler Asperger-Autismus. Hierbei handelt es sich um eine schädigungsunabhängige Störung i.S. einer Schadensanlage, dessen Ausmaß allerdings bei Eintritt der Schädigung nicht nachgewiesen und damit auch nicht abgrenzbar war. Der Asperger wurde erstmals im Jahre 2007 festgestellt. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass sich die (nicht mehr streitige) Posttraumatische Belastungsstörung in ihrer Ausprägung im Übergangsstadium zu einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F 62.0 G) befindet.
Diese ist ursächlich auf die massive physische und psychische Gewalt zurückzuführen, der der Kläger ausgesetzt war. Er war von Geburt an bis zu seinem 11. Lebensjahr der sadistischen Gewaltbereitschaft und andauernden Gewaltausübung des Vaters ausgesetzt Zudem hat er in all den Jahren den gewalttätigen sexualisierten und sexuellen Handlungen des Vaters und des Ehepaares beiwohnen müssen, was gutachterlich und sozialmedizinisch als sexualisierter Missbrauch zu werten ist. Es handelte sich damit nicht nur um einzelne Tathandlungen, sondern um eine chronisch kumulative Traumatisierung durch das Aufwachsen in einem Umfeld ständiger Angst vor derartigen Misshandlungen und ständigem Bedrohtsein.
Diese massive Gewalteinwirkung war auf dem Hintergrund der autistoiden Seinsart des Klägers geeignet, bei ihm die zwischen den Beteiligten unstreitige Posttraumatische Belastungsstörung hervorzurufen, die hier einen chronischen Verlauf genommen hat und in eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F 62.0) übergegangen ist.
Bei dem Kläger bestehen –und auch das ist unstreitig-, neben den Flashbacks, der depressiven Reaktion, den Konzentrationsstörungen und sich aufdrängenden belastenden Erinnerungen, die der Beklagte als Folge der Posttraumatischen Belastungsstörung bereits anerkannt hat, auch eine durch massive Angst geprägte misstrauische Haltung der Welt gegenüber sowie seit 2007 ein extremer sozialer Rückzug mit übermäßiger Wach- und Schreckhaftigkeit, massive sozialphobische Ängste mit Störung der Sozialkontakte und massive Zwänge. Damit sind vorliegend zur Überzeugung der Kammer auch die Kriterien der Diagnose 62,0 als erfüllt anzusehen.
Das gesamte Krankheitsbild ist rechtlich wesentlich auf die extremen Gewalttaten zurückzuführen. Dabei kann es dahinstehen, ob es sich bei der seit 2007 dekompensierten Persönlichkeitsstörung mit der massiven sozialphobischen Angst und den massiven Zwängen um depressive Symptome (so der gerichtliche Sachverständige) oder um eine Verschlimmerung der Auswirkungen des Asperger-Syndroms handelt (so die Beratungsärztin), denn dieses psychische Störungsbild ist jedenfalls rechtlich wesentlich auf die Gewalttaten als Ursache im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung zurückzuführen.
In den VMG Teil C 7a heißt es hierzu: War bereits im Zeitpunkt der schädigenden Einwirkung ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen vorhanden, wenn auch noch nicht bemerkt, kommt nur eine Anerkennung i.S. der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung entweder den Zeitpunkt vorverlegt hat, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das Leiden in schwererer Form aufgetreten ist, als es sonst zu erwarten gewesen wäre. Nach VMG Teil C 8 werden medizinisch gesehen verschiedene Arten der Verschlimmerung unterschieden: Ein schädigender Vorgang kann nur vorübergehend zu einer Zunahme des Krankheitswertes führen, kann anhaltend aber abgrenzbar den weiteren Krankheitsverlauf beeinflussen und damit zu einem gleichbleibenden schädigungsbedingten GdS führen. Ein schädigender Vorgang kann aber auch den weiteren Krankheitsverlauf richtungsgebend bestimmen und damit Anlass zu einem ansteigenden schädigungsbedingten GdS sein. Hier sind der Gesamt-GdS, der GdS für den Verschlimmerungsanteil durch Schädigungsfolgen und das Ausmaß des Vorschadens anzugeben. Dabei ist Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist der Betroffene in dem Zustand geschützt, in dem er sich im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses befindet, Dies bedeutet, dass die auf der Basis des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu erfolgende Kausalitätsbeurteilung auf den konkreten Geschädigten abzustellen hat und nicht von einem fiktiven Durchschnittsmenschen ausgehen darf.
Hiervon ausgehend kommt den in der Kindheit erlittenen extremen Gewalterfahrungen für die Verschlimmerung der Auswirkungen des Asperger-Syndroms eine überragende Bedeutung zu und ist damit allein als Ursache im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung verantwortlich zu machen.
Das anlagebedingte Asperger-Syndrom käme als wesentliche Mitursache für die seit 2007 vorliegende massive sozialphobische Angst und massiven Zwänge nur dann in Betracht, wenn es in seiner Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des vorliegenden Krankheitsbildes der Bedeutung der massiven Gewalttaten annähernd gleichwertig wäre. Dies ist aber gerade nicht der Fall.
Mit dem gerichtlichen Sachverständigen ist davon auszugehen, dass jedenfalls von Entwicklungsverläufen auszugehen ist, die typisch sind für Menschen mit Asperger-Syndrom. Bei dem Asperger-Autismus handelt es sich um die günstigste Ausprägungsart einer Autismus-Spektrums-Störung. Der gerichtliche Sachverständige führt hierzu unter Hinweis auf zahlreiche Literatur in überzeugender Weise aus, dass bei dieser Art der Autismus-Störung von einer relativ hohen Stabilität bis ins hohe Erwachsenenalter auszugehen ist. Dies liegt vor allem in der nicht eingeschränkten kognitiven Leistungsfähigkeit begründet. Gerade der schulische und akademische Erfolg des Klägers, der ihm ja trotz der Gewalttaten gelungen ist, und seine wiederholten Versuche des Beziehungsaufbaus mit anderen in früheren Jahren sprechen jedenfalls dafür, dass es für ihn ohne die massiven zusätzlichen Traumatisierungen nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich gewesen wäre, auch langfristig ein erfolgreiches und zufriedenstellendes Leben zu führen.
Soweit die Beratungsärztin hierzu feststellt, die Ausführungen des Sachverständigen seien rein spekulativ, kann dies schon deshalb nicht überzeugen, weil keinerlei Auseinandersetzung mit den wissenschaftlich fundierten Ausführungen des Sachverständigen erfolgt. Stattdessen stellt die Beratungsärztin ihrerseits Spekulationen auf, indem die „wesentliche psychische Symptomatik dem durchaus klassischen Verlauf eines Asperger-Syndroms der Beginn der Symptomatik als auch der zeitlich Verlauf entsprechen“. Eine nachvollziehbare Begründung für diese Annahme erfolgt nicht. Später räumt die Beratungsärztin ein, dass das Asperger-Syndrom je nach Ausprägung durchaus zu unterschiedlich schwieriger sozialer und beruflicher Integration führe und es spekulativ sei, wie dieses bei dem Kläger gewesen sein könnte ohne die Gewalterfahrungen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Beklagte für den Nachweis von Art, Ausmaß und Wirkungsweise eines Vorschadens verantwortlich ist. Vorliegend ist es ihm nicht möglich, einen stärkergradigen Asperger–Autismus nachzuweisen, der geeignet wäre, das bei dem Kläger vorliegende gravierende Störungsbild rechtlich wesentlich zu verursachen.
Dem Ursachenzusammenhang mit den Gewalttaten steht auch der zeitliche Verlauf der Erkrankung mit dem sozialphobischen Zusammenbruch des Klägers im Jahre 2007 nicht entgegen Ein fluktuierender Verlauf und eine zeitliche Versetzung von psychischen Symptomen nach psychophysischen Traumata in der Kindheit sind schon nicht ungewöhnlich. Angesichts der extremen Traumatisierung mit den resultierenden häufigen unerträglichen Flashbacks und Panikanfällen, die den Kläger in seiner autistoiden Seins-Art ja besonders trafen, scheint es eher erstaunlich, dass er überhaupt über Jahre hinweg in der Lage war, gute schulische und akademische Leistungen zu erbringen, einen Job an der Universität zu bewältigen und Beziehungen zu knüpfen. Um diesen Zustand irgendwie aufrechterhalten zu können, hatte der Kläger bis 2007 immer wieder fachärztliche und wegen der häufigen depressiven Phasen psychologische Hilfe in Anspruch genommen und war mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt worden. Dies zeigt, dass er alles versucht hat, um ein einigermaßen normales Leben zu führen, was angesichts der Schwere der Traumata nicht annähernd zu erwarten war. Wenn sich dann – und das ergibt sich schlüssig aus dem Befundbericht der Dipl.-Psych. D. vom 14.10.2008 -, die Situation zuspitzt durch eine ungünstige Konstellation am Arbeitsplatz, den endgültigen Abbruch des Studiums und Veränderung der Medikation, so erstaunt es nicht, dass die mühsam aufrecht erhaltenen kompensatorischen Fähigkeiten versagten und es dem Kläger in der Folge zunehmend schwerer fiel, in der Öffentlichkeit geplanten Kontakt mit anderen Menschen zu haben und handlungsfähig zu bleiben. Die schädigungsbedingten Panikanfälle nahmen zu, es kam zu massiven Schlafstörungen, ausgeprägten Konzentrationsproblemen, die Wahrnehmungsstörungen und die Überempfindlichkeit nahmen zu. Es kam zu einer schädigungsbedingten Verstärkung der sowieso störungsbedingt vorhandenen Beeinträchtigungen der Handlungsplanung und Organisation von alltäglichen Arbeiten. Den geschilderten Teilursachen und dem Asperger-Syndrom kommen für die Entwicklung des psychischen Krankheitsbildes im Verhältnis zu den massiven Traumata eine nur untergeordnete Bedeutung zu.
Auch die weiteren Ausführungen der Beratungsärztin sind nicht geeignet, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen. Es ist insbesondere zu bemängeln, dass die im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Kausalitätsgrundsätze verkannt werden. So versucht die Ärztin, allein über die Art der Krankheitssymptome einen Zusammenhang zum Asperger-Syndrom bzw. zur Posttraumatischen Belastungsstörung herzustellen, ohne sich nachvollziehbar mit den rechtlichen Grundlagen des Ursachenzusammenhangs oder mit den fundierten Ausführungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen. Später räumt die Beratungsärztin sogar selbst ein, dass es „diskussionswürdig ist, das eine oder andere Symptom zu welcher Diagnose zuzuordnen wird“. Damit stellt sie ihr eigenes Ergebnis in Frage, so dass auch ihre GdS-Zuordnung nicht mehr zutreffen kann.
Schließlich vermögen die Ausführungen der Beratungsärztin auch deshalb nicht zu überzeugen, weil sie den Kläger niemals gesehen und sich daher auch kein eigenes Bild von dem Krankheitsbild machen konnte.
Im Ergebnis geht die erkennende Kammer mit dem Gutachten vom 22.12.2018 davon aus, dass bei dem Kläger eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung mit einem medizinischen GdS von 80 vorliegt. Unstreitig liegen bei dem Kläger schwere Störungen mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten vor, die einen medizinischen GdS von 80 rechtfertigen. Der Kläger leidet unter einer massiven sozialphobischen Angst, Flashbacks, massive Zwänge, depressive Reaktion, massives Rückzugsverhalten, er verlässt sein Haus nur nachts, starkes Misstrauen, sowie unter Beeinträchtigungen der Konzentration, Erinnerungsvermögen und seiner kognitiven Leistungsfähigkeit. Ein GdB von 80 hält die Kammer insoweit für angemessen. Ein GdS-Anteil für das anlagebedingte Asperger–Syndrom, für das ja auch der Beklagte beweispflichtig wäre, lässt sich nicht abgrenzen. Ein medizinischer GdS von 100, wie vom Kläger beantragt, ist dagegen nicht gerechtfertigt. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Kläger seine Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen würde.
Ausgehend von diesem Ergebnis wird der Beklagte bei der Bescheiderteilung auch zu prüfen haben, ob dem Kläger eine höhere Beschädigtenversorgung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und Berufsschadensausgleich zusteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz und berücksichtigt das im Tenor wiedergegebene überwiegende Obsiegen des Klägers.