Entsprechend dem abgestuften gesetzgeberischen Konzept zur Einführung der elektronisch gestützten Prozessführung sind vertretungsberechtigte Verbände in sozialgerichtlichen Verfahren auch dann erst ab 2026 zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet, wenn diese einen für sie tätigen Syndikusrechtsanwalt für die Prozessvertretung einsetzen.
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Hildesheim vom 28. Februar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sozialgericht Hildesheim zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am 14. Juni 1961 geborene Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, wobei ihm die Beklagte im Berufungsverfahren mit Bescheid vom 10. April 2024 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Wirkung zum 1. Juni 2024 zuerkannt hat. Der anfängliche monatliche Zahlbetrag dieser Rente beläuft sich auf 1.977,72 €.
Der Kläger hat 1989 den Meisterbrief als geprüfter Polier im Tiefbau erworben. Vom 29. Juni bis 3. August 2021 gewährte ihm die Beklagte ein stationäres Heilverfahren im Klinikum H. (I. -Klinik II).
Ausgehend insbesondere von den Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer somatoformen autonomen Funktionsstörung im Bereich des oberen Verdauungssystems, einer Lumboischialgie, einer Zervikalneuralgie, einer Schlafapnoe sowie einer essentiellen Hypertonie gelangten die Rehabilitationsärzte zu der Einschätzung eines sechs- und mehrstündigen Leistungsvermögens für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung; eine weitere Tätigkeit als Polier im Tiefbau könne der Kläger hingegen nicht einmal mehr dreistündig verrichten.
Es wurden eine fachärztliche orthopädische Behandlung im Hinblick auf die Rückenbeschwerden und zudem „dringend“ eine ambulante psychotherapeutische Behandlung empfohlen.
Im August 2021 beantragte der Kläger die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 unter Hinweis auf ein fortbestehendes sechsstündiges Leistungsvermögen ab.
Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. J. vom 5. Mai 2022 ein. Der nach Einschätzung des Gutachters stark übergewichtige (133 kg bei einer Körpergröße von 180 cm, entsprechend einem BMI von 41) und stark vorgealtert wirkende Kläger berichtete von Arbeitsplatzkonflikten mit Kränkungserlebnissen im Rahmen einer als Mobbing empfundenen Gesamtsituation. Seine pflegebedürftige Mutter habe er wegen Altersgebrechlichkeit (Pflegestufe 3) in den gemeinsamen Haushalt mit seiner Partnerin aufgenommen. Wegen seiner Schlafstörungen sei er tagsüber oft müde und müsse sich hinlegen. Im Sechsminutengehtest legte er 250 m ohne lastadäquate Pulsschlagbeschleunigung zurück.
Der Gutachter gelangte zu der Einschätzung, dass ambulante Behandlungsmöglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft seien. Innerlich habe sich der Kläger nach seinem Dafürhalten vom Erwerbsleben verabschiedet. Aus medizinischer Sicht könne der Kläger aber noch bis zu gelegentlich mittelschwere Ganztagstätigkeiten verrichten, soweit erhöhte Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen sowie Nachtarbeiten vermieden würden. Eine weitere Tätigkeit als körperlich mitarbeitender Straßenbaumeister komme nicht mehr in Betracht.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 20. September 2022 zurück.
Dagegen richtet sich die im Namen des Klägers vom Sozialverband Deutschland auf dem Postweg am 30. September 2022 erhobene Klage. Der Sozialverband zählt zu den Vereinigungen im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGG, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem Sozialen Entschädigungsrecht oder der Menschen mit Behinderungen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, der Kläger ist Mitglied dieses Verbandes.
Unterzeichnet war die Klageschrift von der beim Sozialverband angestellten Syndikusrechtsanwältin K..
Mit der Eingangsverfügung vom 5. Oktober 2022 teilte die Vorsitzende der zuständigen 41. Kammer des Sozialgerichts dem Sozialverband mit, dass um Begründung der Klage innerhalb von zwei Monaten nach Akteneinsicht gebeten werde. In der Folgezeit hat das Sozialgericht von den behandelnden Ärzten Befundberichte zur Abklärung des dort erfassten Gesundheitszustandes des Klägers eingeholt. Diese Berichte wurden den Beteiligten mit Verfügung der Kammervorsitzenden vom 8. September 2023 zur Stellungnahme übermittelt.
Erst mit Verfügung vom 15. November 2023 äußerte die Kammervorsitzende anknüpfend an das Urteil des BAG vom 23. Mai 2023 – 10 AZB 18/22 – Bedenken hinsichtlich der formgerechten Erhebung der Klage und wies zur Erläuterung insbesondere auf die Vorgaben des § 65d SGG hin, wonach Rechtsanwälte unter Einschluss auch der Syndikusrechtsanwälte schriftliche Anträge und vorbereitende Schriftsätze als elektronische Dokumente einzureichen hätten.
Demgegenüber berief sich der Sozialverband auf die Entscheidung des Gesetzgebers, Verbände im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGG erst mit Wirkung von 2026 an der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs zu unterwerfen. Bei dieser Ausgangslage könne der vom Sozialgericht herangezogenen Entscheidung des BAG nur Wirkung für die Zukunft zukommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2024 hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Diese sei nicht formgerecht erhoben worden, da die den Kläger vertretende Syndikusrechtsanwältin nicht den Formvorgaben des § 65d SGG Rechnung getragen habe. Die Vorgaben des § 65d SGG wären von der tätig gewordenen Syndikusrechtsanwältin ungeachtet dessen zu beachten gewesen, dass der vom Kläger bevollmächtigte Verband bislang nicht der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs unterliege.
Von der tätig gewordenen Syndikusanwältin sei auch bereits im Jahr 2022 zu erwarten gewesen, dass sie aufgrund der vorausgegangenen Einrichtung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) dahingehend „sensibilisiert“ gewesen sei, dieses im Rechtsverkehr mit den Gerichten auch zu nutzen. Bei Zweifel über das Bestehen einer Wahlmöglichkeit aufgrund ihrer Tätigkeit bei einem Verband hätte sie den sichersten Weg wählen müssen.
Mit der am 8. März 2024 eingelegten Berufung macht der ihn vertretene Sozialverband geltend, dass er von Seiten der Vorsitzenden der 41. Kammer erstmalig Ende Oktober 2023 auf Bedenken hinsichtlich der Formgerechtigkeit einer auf dem Postweg oder per Telefax übermittelten von einer Syndikusrechtsanwältin (bzw. einem Syndikusrechtsanwalt) unterzeichneten Klageschrift hingewiesen worden sei. Zuvor habe es erstmalig im Juni 2023 in einem anderen Verfahren einen entsprechenden Hinweis von der dafür zuständigen 29. Kammer des Sozialgerichts gegeben.
Der Kläger hat ergänzend im Schriftsatz vom 30. Mai 2024 zum Fortgang der neurochirurgischen und psychotherapeutischen Behandlung vorgetragen. Er könne nicht nachvollziehen, weshalb das Sozialgericht nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf die in dem angefochtenen Gerichtsbescheid geltend gemachten formalen Mängel der Klageerhebung hingewiesen habe, zumal der auch von seiner Seite bevollmächtigte Verband jährlich mehrere hundert Kläger vor dem dortigen Sozialgericht vertrete.
Der Kläger beantragt,
- den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 28. Februar 2024 und den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2020 aufzuheben,
- die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab August 2021 unter Anrechnung der ab 1. Juni 2024 zuerkannten Altersrente zu verpflichten,
hilfsweise,
die Sache an das Sozialgericht Hildesheim zurückzuverweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht noch nicht abschließend ermittelt worden sei.
Ausweislich einer Proberentenberechnung der Beklagten vom 4. Juni 2024 würde sich der monatliche Zahlbetrag einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall am 24. Februar 2023 auf 2.249,70 € belaufen.
Mit Verfügung vom 25. März 2024 hat der Senat unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG zu den Geboten des fairen Verfahrens und der gegenseitigen Rücksichtnahme im Verhältnis zwischen Gericht und den Verfahrensbeteiligten und des daran anknüpfenden Verbotes, im Wiedereinsetzungsverfahren aus dem Gericht zuzurechnenden Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten (vgl. etwa BVerfG, B.v. 26. April 1988 – 1 BvR 669/87 –, BVerfGE 78, 123 und B.v. 17. Januar 2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198), die Vorsitzende der 41. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim um ergänzende Stellungnahme dazu gebeten, aus welchen Gründen davon abgesehen worden sei, die Bevollmächtigte der Klägerin bereits im Zeitraum 1. bis 23. Oktober 2022 (innerhalb dessen nach Aktenlage auch unter Zugrundelegung der in der sozialgerichtlichen Entscheidung herangezogenen Auslegung des § 65d SGG noch fristwahrend eine formgerechte Klageerhebung in Betracht gekommen wäre) auf den Formfehler hinzuweisen. Sie ist ferner insbesondere um Erläuterung gebeten worden, wann in der 41. Kammer (im Zeitraum seit Inkrafttreten des § 65d zum 1. Januar 2022) erstmals eine (nicht den Formvorgaben des § 65d SGG entsprechende) Klageerhebung im Auftrag des Sozialverbands durch die Syndikusrechtsanwältin K. oder durch eine/n andere/n für den Sozialverband tätige/n Syndikusrechtsanwalt/-anwältin zu verzeichnen gewesen sei und wann und in welchem Verfahren die Kammervorsitzende den Sozialverband erstmalig einen rechtlichen Hinweis auf die Formwidrigkeit einer solchen Klageerhebung gegeben habe.
Auf diese an die Kammervorsitzende gerichtete Aufklärungsverfügung des Senates hat sich der Direktor des Sozialgerichts Hildesheim am 4. April 2024 gemeldet und mitgeteilt, dass ihm die Verfügung des Senates „zur Prüfung vorgelegt“ worden sei. Er teile dazu mit, dass die aufgeworfenen Fragen „den Kern richterlicher Unabhängigkeit berühren und daher nicht beantwortet werden“ würden. Die Vorsitzende der 41. Kammer erhalte eine Abschrift dieser Mitteilung.
Auf weitere Nachfragen des Senates hat die Vorsitzende der 41. Kammer mit Schreiben vom 25. April 2024 auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides sowie auf die Äußerungen des Direktors des Sozialgerichts Bezug genommen und um ein Absehen von weiteren Nachfragen gebeten. Schließlich hat sie auf erneutes Ersuchen des Senates zur Erläuterung des tatsächlichen Verfahrensablaufs mit Schreiben vom 10. Mai 2024 mitgeteilt, dass sie „den Vorgang“ an die Präsidentin des Landessozialgerichts „zur Prüfung“ weitergeleitet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit an das Sozialgericht zurückzuverweisen ist.
1. Die am 30. September 2024 gegen den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2022 fristgerecht eingegangene Klageschrift war formgerecht.
Nach § 90 SGG ist die Klage bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Im vorliegenden Fall ist die im Namen des Klägers durch den bevollmächtigten Verband erhobene Klage, unterzeichnet durch die beim Verband beschäftigte Syndikusrechtsanwältin L., am 30. September 2022 schriftlich beim Sozialgericht Hildesheim eingegangen. Da der Widerspruchsbescheid vom 20. September 2022 dem Kläger drei Tage später zugestellt worden war, ist auch die einmonatige Klagefrist des § 87 SGG gewahrt worden.
Abweichend von diesen allgemeinen Vorgaben sieht allerdings § 65d SGG (in der bis 2025 maßgeblichen Fassung des Art. 4 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. I, 3786; die mit Art. 13 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021, BGBl. I, 4607, beschlossene Neufassung dieser Bestimmung tritt erst zum 1. Januar 2026 in Kraft) vor, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Gleiches gilt für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 zur Verfügung steht. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig.
a) Die Klageschrift vom 29. September 2022 ist nicht als elektronisches, sondern als schriftliches Dokument dem Sozialgericht übermittelt worden. Dies steht der formgerechten Klageerhebung jedoch nicht entgegen, weil diese durch den bevollmächtigten Sozialverband eingelegt worden ist und dieser seinerzeit nicht der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs unterlag.
b) In Rechtsprechung und Literatur wird unterschiedlich beurteilt, wie das Tatbestandsmerkmal einer Einlegung „durch einen Rechtsanwalt“ im Sinne des § 65d SGG auszulegen ist, wenn zur Prozessführung Vereinigungen bzw. Gewerkschaften im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 5 bis 8 SGG bevollmächtigt werden, welche ihrerseits bei ihnen beschäftigte Syndikusrechtsanwälte mit der Wahrnehmung der Prozessführung beauftragen.
So wird die Einschätzung vertreten, dass das Tatbestandsmerkmal „durch einen Rechtsanwalt“ in § 65d S. 1 SGG jedenfalls im Falle eines Verbandsmitarbeiters wie namentlich eines Rechtsschutzsekretärs, der zur Ausübung eines Nebenberufs über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügt, rollen- und nicht statusbezogen zu verstehen sei (Jung in Beck-Online-Großkommentar, SGG § 65d Rn. 6). Die Pflicht dürfte auch einen Syndikusanwalt treffen, jedenfalls soweit er explizit als Rechtsanwalt für seinen Arbeitgeber auftritt (Mink, in Beck-Online-Kommentar Sozialrecht, 72. Ed. 1.3.2024, SGG § 65d Rn. 3). Rechtsanwälte sollen einbezogen sein, soweit sie im Verfahren als solche tätig werden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 65d Rn. 2a).
c) Zu der arbeitsgerichtlichen Parallelvorschrift in § 46g ArbGG vertritt das BAG – in Auseinandersetzung auch mit abweichenden Einschätzungen in der arbeitsgerichtlichen Literatur – die Auffassung, dass ein Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 5, Satz 3 ArbGG erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt (§ 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BRAO), nach Satz 1 zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, wenn er gegenüber einem Gericht tätig wird und - wie im Streitfall - ein Rechtsmittel einlegt (BAG, Beschluss vom 23. Mai 2023 – 10 AZB 18/22 –, NJW 2023, 2213).
Schon der Wortlaut des § 46g Satz 1 ArbGG, der nicht zwischen Rechtsanwälten und (Verbands-)Syndikusrechtsanwälten differenziere, spreche für ein solches Verständnis. Ihm ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich die Pflicht, den ERV aktiv zu nutzen, nur unmittelbar auf Prozessbevollmächtigte beziehen solle. Die Pflicht für Verbandssyndikusrechtsanwälte, den elektronischen Rechtsverkehr aktiv zu nutzen, werde auch aus dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Bestimmungen deutlich (BAG, aaO).
d) Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Sozialverband und damit eine zur Prozessvertretung berechtigte Vereinigung im Sinne von § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 8 SGG bevollmächtigt. Diese auf das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007 (BGBl I 2840) zurückgehende Regelung erfasst insbesondere jene Vereinigungen und Sozialverbände, die seit jeher zum Kreis der nach § 14 SGG Vorschlagsberechtigten zählen (vgl. BT-Drucks 16/3655 S 95 und BSG, B.v. 30. Juni 2014 – B 9 BL 2/13 B –, Rn. 4, juris). Zu diesen zählt namentlich auch der den Kläger vertretende Verband.
e) Der Sozialverband zählt zu den vertretungsberechtigten Personen im Sinne des § 65d Satz 2 SGG. Für diese Personen gilt die Pflicht zur Nutzung des ERV bislang jedoch nach dem klaren Wortlaut dieser Vorschrift nur, soweit für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 SGG zur Verfügung steht, also ein Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Über einen solchen Übermittlungsweg verfügt der Sozialverband nicht. Ihm steht lediglich ein Übermittlungsweg im Sinne des § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGG zur Verfügung, also ein Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts.
Für diese Vereinigungen hat der Gesetzgeber bislang ganz bewusst davon abgesehen, eine Pflicht zur Benutzung des elektronischen Rechtsverkehrs zu begründen. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung ausdrücklich festgehalten, dass die bislang maßgeblichen Vorgaben des § 65d SGG für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsbefugten Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 4 zur Verfügung steht, noch keine aktive Nutzungspflicht ab dem 1. Januar 2022 begründen. Eine aktive Nutzungspflicht werde für diese vertretungsbefugten Bevollmächtigten vielmehr erst zum 1. Januar 2026 eingeführt (BT-Drs. 19/28399, S. 47).
Entsprechend dem allgemeinen Auslegungsgrundsatz des Vorranges der spezielleren gesetzlichen Regelung (lex specialis derogat legi generali, vgl. nur beispielsweise BGH, B.v.16. Februar 2012 – IX ZB 113/11 – NJW 2012, 1215, Rn. 19), beurteilt sich die Verpflichtung des bevollmächtigten Verbandes zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nach der dafür vom Gesetzgeber normierten spezifischen Regelung des § 65d Satz 2 SGG. Die allgemeinen Vorschriften des § 65d Satz 1 SGG sind auf den Verband nicht anwendbar.
f) Die erläuterte Rechtsprechung des BAG ist nach Auffassung des erkennenden Senates nicht auf sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen. Für prozessbevollmächtigte Verbände und Gewerkschaften im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 5 bis 8 (unter Einschluss der diesen zugeordneten juristischen Personen im Sinne der Nr. 9) sind vielmehr die erläuterten speziellen Vorgaben des § 65d Satz 2 SGG (in der bis Ende 2025 maßgeblichen Fassung des Art. 4 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. I, 3786) anzuwenden.
aa) Nach der Konzeption des § 73 Abs. 2 Nrn. 5 bis 8 SGG ist Prozessbevollmächtigter der Verband bzw. die Gewerkschaft, welche(r) durch seine Organe und mit der Prozessführung beauftragten Vertreter handelt. Ein vor den Sozialgerichten tätig werdender Verbandssyndikusrechtsanwalt ist seinerseits keine vertretungsberechtigte Person iSv § 73 Abs. 2 Nrn. 5 bis 8 SGG. Vielmehr ist es der Verband selbst, den diese Verpflichtung betrifft (so auch BAG, B. v. 23.5.2023 – 10 AZB 18/22 – aaO, Rn. 17, für die entsprechenden Vorschrift des ArbGG).
bb) In der arbeitstäglichen Praxis lassen die größeren Verbände und Gewerkschaften im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 5 bis 8 SGG die Aufgaben der Vertretung ihrer Mitglieder vor den Sozialgerichten vielfach durch mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wahrnehmen. In diesen Teams finden sich häufig, wie auch im vorliegenden Fall bei dem den Kläger vertretenen Verband, unterschiedliche Qualifikationen und Statuszuordnungen. So arbeiten nicht selten Volljuristen mit Syndikusrechtsanwaltszulassung mit volljuristischen Kollegen ohne eine solche Zulassung und mit anderen Mitarbeitern zusammen, welche die für die Vertretung benötigte Sachkunde durch einen anderen Werdegang erworben haben. Einzelheiten der dortigen internen Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit unter Einschluss ggfs. erforderlicher wechselseitiger Vertretungen berühren im Ausgangspunkt – ähnlich wie bei größeren Anwaltskanzleien – nicht das Außenverhältnis zum Gericht, welchem sich entsprechende Details regelmäßig auch gar nicht konkret erschließen.
Bei dieser Ausgangslage würde eine Übertragung der erläuterten BAG-Rechtsprechung auf sozialgerichtliche Verfahren zu vielfältigen und gar nicht überzeugend lösbaren Abgrenzungsproblemen bei der Beantwortung der Frage führen, welche konkreten Mitwirkungsausprägungen innerhalb eines solchen Teams durch einen beim Verband beschäftigten Syndikusrechtsanwalt eine Pflicht zur Übermittlung von Klagen und Schriftsätzen als elektronisches Dokument auslösen sollen. Bezeichnenderweise weist diesbezüglich bereits die BAG-Rechtsprechung Unklarheiten und Ungereimtheiten auf.
Im o.g. Beschluss v. 23.5.2023 – 10 AZB 18/22 – hat das BAG (Rn. 26 f.) darauf abgestellt, dass die einfache wie auch die qualifizierte Signatur die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen sollen, es komme im Ergebnis darauf an, ob es sich bei dem zu identifizierenden Urheber der Prozesserklärung, also dem Einreicher/Übermittler des elektronischen Dokuments, um einen zugelassenen Rechtsanwalt wie etwa einen Syndikusrechtsanwalt handele.
Davon abweichend hat das BAG im Beschluss vom 21.9.2023 – 10 AZR 512/20 – (NJW 2023, 3253, Rn. 11) allerdings gerade nicht ausschlaggebend darauf abgestellt, ob im konkreten Fall der handelnde Verbandssyndikusrechtsanwalt als solcher durch entsprechende Unterzeichnung oder Benennung „nach außen“ auftrete. „Maßgeblich“ sei vielmehr, dass dieser über eine entsprechende Zulassung verfügt und „Anträge und Erklärungen gegenüber dem Gericht in Ausübung dieser Tätigkeit“ abgegeben werden. Unter welchen Voraussetzungen bei gemischten vom Verband zur Prozessvertretung eingesetzten Teams aus Syndikusrechtsanwälten und Mitarbeitern ohne Syndikusrechtsanwaltszulassung von einer Abgabe von Anträgen und Erklärungen in gerichtlichen Verfahren „in Ausübung der Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts“ (wie sie in solchen Fallgestaltungen nur bei einzelnen Teammitgliedern in Betracht kommt) ausgehen zu sein soll, bleibt unklar.
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass im vorliegenden Verfahren schon im rechtlichen Ausgangspunkt inhaltlich nicht zu hinterfragen sein kann, ob einzelnen Verbandsmitarbeitern erteilte Zulassungen als Syndikusrechtsanwalt materiellrechtlich zutreffend erteilt worden sind.
cc) Schon im verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt sind die im vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen rechtlichen Vorgaben nicht deckungsgleich mit denen in arbeitsgerichtlichen Verfahren. Die Sozialgerichte sind als besondere Verwaltungsgerichte (§ 1 SGG) zur Entscheidung über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten § 51 SGG) berufen. Ihre rechtsprechende Tätigkeit haben sie damit unter Einbeziehung namentlich auch der in Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgarantie auszuüben. Diese beinhaltet ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BVerfG, B.v. 30. April 1997 – 2 BvR 817/90 –, BVerfGE 96, 27, Rn. 47 - 48). Diese Verfahrensgewährleistung beschränkt sich nicht auf die theoretische Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen, sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle (BVerfG, B.v. 2. Dezember 1987 – 1 BvR 1291/85 –, BVerfGE 77, 275, Rn. 25; B.v. 5. Dezember 2023 – 2 BvR 1661/23 –, NStZ-RR 2024, 61, Rn. 42).
(a) Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dem Bürger mithin einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat der Bürger ferner das Recht, sich in einem gerichtlichen Verfahren zu äußern und vom Richter zur Sache gehört zu werden. Normative Ausgestaltungen eines gerichtlichen Verfahrens dürfen das Ziel eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht aus dem Auge verlieren; sie müssen im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtssuchenden zumutbar sein (BVerfG, B.v. 4. Juli 2002 – 2 BvR 2168/00 –, NJW 2002, 3534, Rn. 16).
Entsprechend diesem Verfassungsgebot muss die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs das Ziel einer Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes verfolgen; sie muss im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein. Diese Grundsätze müssen auch die Gerichte bei der Auslegung dieser Normen beachten; sie dürfen den Beteiligten den Zugang zum Rechtsschutz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (BVerfG, B.v. 2. Dezember 1987 – 1 BvR 1291/85 –, BVerfGE 77, 275, Rn. 25). Art. 19 Abs. 4 GG gebietet damit den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (BVerfG, B.v. 5. Dezember 2023 – 2 BvR 1661/23 –, NStZ-RR 2024, 61, Rn. 42).
(b) Das Sozialgericht befürwortet eine Auslegung des § 65d Satz 2 SGG, wonach auch Verbände, die nach der gesetzlichen Regelung in § 65d SGG an sich erst ab 2026 der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs unterliegen, davon bereits ab 2022 erfasst werden, soweit die vom Verband übernommene Prozessvertretung unter Mitwirkung eines Syndikusrechtsanwalts erfolgt. Mit einer solchen Interpretation wird jedoch den betroffenen Bürgern der Zugang zum Rechtsschutz in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert.
Diese Unzumutbarkeit ergibt sich bereits aus der diesbezüglich unzureichenden Klarheit der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben. Der Gesetzgeber hat sich im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich mit der Frage befasst, ab wann er auch den vertretungsberechtigten Verbänden eine Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs zumuten will. Er hat ausdrücklich eine entsprechende Nutzungspflicht erst ab dem 1. Januar 2026 vorgesehen. Bei dieser Ausgangslage ist eine Auslegung der gesetzlichen Vorgaben im Sinne einer Vorverlegung der Nutzungspflicht für die betroffenen Fallgruppen bereits auf den Zeitraum ab Januar 2022 für den Bürger schon mangels Vorhersehbarkeit nicht zumutbar.
(c) Die Zumutbarkeit einer Erschwerung des Zuganges zum Rechtsschutz durch die Vorgabe formeller Anforderungen für eine Klageerhebung wird maßgeblich auch durch die Klarheit ihrer Erkennbarkeit beeinflusst. Auf vom Gesetzgeber klar und deutlich zum Ausdruck gebrachte (sachlich angemessene) formelle Anforderungen können sich die Betroffenen typischerweise mit zumutbarem Aufwand einstellen. Ein Einstellen auf Anforderungen, bezüglich derer Gesetzeswortlaut und Gesetzesmaterialien (wie auch im vorliegenden Zusammenhang) zunächst den Eindruck ihres Nichtbestehens vermitteln und welche erst nach Klageerhebung im Laufe des Verfahrens in der Rechtsprechung im Zuge der Gesetzesauslegung herausgearbeitet werden, fällt sehr viel schwerer und verlässt regelmäßig und auch im vorliegenden Zusammenhang die Grenze der Zumutbarkeit. Da es sich in solchen Fällen im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung nur um die Erfassung bzw. Erahnung möglicher künftiger Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Auslegung der betroffenen Verfahrensnormen handeln kann, fehlt schon ein klarer Prüfungsmaßstab.
Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip begründet für die Rechtsschutzsuchenden den verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren (BVerfG, B.v. 17. Januar 2006 – 1 BvR 2558/05 –, BVerfGK 7, 198).
Hieran anknüpfend muss der Gesetzgeber für die Rechtsmittel, die er bereitstellt, die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit in einer dem Grundsatz der Rechtsmittelklarheit entsprechenden Weise bestimmen. Dieser Grundsatz verbietet es, den Rechtsuchenden mit einem unübersehbaren "Annahmerisiko" zu belasten. Die Rechtsmittelgerichte haben dies auch bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts zu beachten (BVerfG, B.v. 27. Oktober 2015 – 2 BvR 3071/14 –, StV 2017, 729, Rn. 12 mwN).
Der Gesetzgeber hat in den zitierten Gesetzesmaterialien explizit und gerade auch als Ausdruck seines Bemühens um eine sachgerechte Bewertung auch der berechtigten Interessen der betroffenen Vereinigungen seinen Regelungswillen zum Ausdruck gebracht, dass die Verbände erst ab 2026 der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs unterliegen sollen. Bei dieser Ausgangslage würde es weder einen klaren noch einer fairen Interpretation des Prozessrechts entsprechen, wenn gleichwohl bereits vor 2026 den Verbänden für Teilbereiche eine solche Nutzungspflicht auferlegt würde.
(d) Raum für die Annahme einer noch zumutbaren Erschwerung des Zuganges zum Rechtsschutz durch eine Auslegung der gesetzlichen Vorgaben des § 65d in dem vom Sozialgericht befürworteten Sinne ist bei dieser Ausgangslage umso weniger ersichtlich, als keine dafür sprechenden substantiellen öffentlichen Interessen erkennbar sind.
Es lassen sich keine dadurch greifbar geförderten schützenswerten Interessen objektivieren, wenn entsprechend der vom Sozialgericht befürworteten Auslegung des § 65d Satz 2 SGG die gesetzlich explizit vorgesehene Verschonung der vertretenden Verbände von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung partiell (letztlich im Sinne einer Rückausnahme) in Fällen einer Mitwirkung von Syndikusrechtsanwälten auf Seiten des Verbandes durch eine Nutzungspflicht ersetzt würde.
Betroffen von der Auslegungsfrage ist nur die in § 65d Satz 2 SGG in der Fassung des Art. 4 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. I, 3786 normierte Übergangsregelung, welche zum 1. Januar 2026 durch die bereits beschlossene Neufassung dieser Vorschrift aufgrund des Art. 13 des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5. Oktober 2021 ersetzt wird. Ab 2026 unterliegen damit auch die vertretenden Verbände der umfassenden Nutzungspflicht. Für die Zwischenzeit bis Ende 2025 ist nichts dafür zu erkennen, dass eine Auslegung des § 65d Satz 2 SGG in dem vom Sozialgericht befürworteten Sinne ungeachtet der damit verbundenen für die rechtsschutzsuchenden Bürger nach dem Wortlaut der gesetzlichen Vorgaben und den Gesetzesmaterialien nicht hinreichend klar erkennbaren Erschwerungen der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes schutzwürdige öffentliche Interessen greifbar fördern könnte.
Für einen greifbaren Schutz förderungswürdiger Interessen bleibt umso weniger Raum, als ohnehin nach den gesetzlichen Vorgaben (auch nach Auffassung des Sozialgerichts) die Verbände weiterhin bis Ende 2025 nicht zur elektronischen Übermittlung verpflichtet sind, soweit dort ggfs. beschäftigte Syndikusrechtsanwälte nicht hinreichend in die einzelne Prozessvertretung involviert sind.
Die Erweiterung der elektronischen Kommunikation der Gerichte u.a. durch die Vorgaben des § 65d SGG ist Voraussetzung für eine möglichst effektive elektronische Aktenführung bei den Gerichten (BT-Drs. 17/12634, S. 24). Eine von einer sog. Arbeitsgruppe „Zukunft“ der Bund-Länder-Kommission erarbeitete „Gemeinsamen Strategie zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung“ vom 16. März 2011 (sog. Gesamtstrategie der BLK, https://justiz.de/laender-bund-europa/elektronische_kommunikation/erv_gesamtstrategie.pdf;jsessionid=13D6319648EB7E6DA1A0B13D570FC92E ) sieht diesbezüglich ein nachfolgend den gesetzgeberischen Entscheidungen zugrunde gelegtes Stufenkonzept vor, deren Realisierung letztlich Jahrzehnte in Anspruch nimmt, nachdem eine gleichzeitige Einführung der elektronischen Akte bei allen Gerichten sich als nicht realisierbar erwies (BT-Drs. 17/12634, S. 24).
§ 65b Abs. 1a SGG sieht eine Pflicht zur Führung elektronischer Akten erst ab Januar 2026 und damit rund 15 Jahre nach dem o.g. Strategiebeschluss vor. Dabei kann (Satz 3) durch Rechtsverordnung bestimmt werden, dass auch in der Folgezeit Akten, die in Papierform angelegt wurden, in Papierform weitergeführt werden. Auch soweit diese nicht insgesamt in Papierform fortgeführt werden, bleiben nach derzeitigem Planungsstand jedenfalls in der niedersächsischen Sozialgerichtsbarkeit bereits gebildete Papieraktenteile bis zum Verfahrensabschluss für die in ihnen erfassten zurückliegenden Verfahrensabschnitte weiterhin rechtlich maßgeblich. Für diese vergangenen Verfahrensabschnitte werden letztlich nur ergänzend elektronische Pseudoakten hinzugezogen. Bei diesen elektronischen Pseudoakten ist schon mangels eines konkreten definierten Übertragungsvorganges keine verlässliche Wiedergabe des vollständigen Inhalts der schriftlichen Akte gewährleistet, gleichwohl führt aber eine Aufnahme vielfältiger Redundanzinformationen zu einer Aufblähung des Akteninhalts. Dies kann in Einzelfällen sogar zur Folge haben, dass eine Papierakte mit rund 500 Seiten in eine – inhaltlich gleichwohl partiell unvollständige – elektronische Pseudoakte mit mehr als 2.000 Seiten umgewandelt wird.
Für eine erfolgreiche Umsetzung der Einführung der elektronischen Akte unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine effektive Wahrnehmung des den Gerichten anvertrauten Rechtsprechungsauftrages bedarf es nicht nur einer formalen Einführung, sondern der Bereitstellung leistungsfähiger sorgfältig strukturierter und ausgearbeiteter Hard- und Softwaregesamtlösungen. Schon in der o.g. Strategie der Bund-Länder-Kommission ist hervorgehoben worden, dass entsprechende Systeme nur „beherrschbar“ sind, wenn diese auch „hohe ergonomische Anforderungen“ erfülle. Dies wiederum sei nur möglich, wenn die Anwender durch die Systemlösungen aufgabenorientiert unterstützt werden. Es sei nur vorsichtig angemerkt, dass der tatsächliche Stand der Ausgestaltung der elektronischen gerichtlichen Arbeitsplätze gerade Hinblick auf die besonderen Anforderungen komplexer Verfahren bislang deutlich hinter diesem erforderlichen Leistungsniveau zurückbleibt.
Im Rahmen dieses im Ergebnis sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozesses zur Implentierung einer leistungsfähigen elektronischen Prozessführung kommt der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Auslegung des § 65d Satz 2 SGG für den betroffenen Übergangszeitraum 2022 bis 2025 keine greifbare Relevanz zu. Im Zuge der Umstellung auf die elektronische Aktenführung sind die Posteingangsstellen der Gerichte mit leistungsfähigen Geräten zum rechtssicheren Einscannen von in Papierform eingehenden Schreiben ausgestattet worden. Das Einscannen einer Klageschrift ist vielfach nur mit einem geringen Zeitaufwand von ein bis zwei Minuten verbunden. Nach diesem Scanvorgang kann eine in Papierform eingegangene Klageschrift genauso effektiv im Rahmen der elektronischen Aktenführung weiterbearbeitet werden wie eine elektronisch übermittelte Klage.
Die überwiegende Zahl der Klagen wird ohnehin von Rechtsanwaltskanzleien erhoben, die seit 2022 der Nutzungspflicht nach § 65d Satz 1 SGG unterliegen. Der Gesetzgeber hat die Besonderheiten der vertretenden Verbände mit den erläuterten Vorgaben des § 65d Satz 2 SGG angemessen würdigen wollen und diese der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs bewusst erst ab 2026 unterworfen. Damit hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, dass der damit für die Gerichte verbundene Scanaufwand für durch die Verbände in der Zeit bis Ende 2025 einzureichenden Klagen und Schriftsätze (ebenso wie etwa der auch nach 2025 weiterhin zu erwartende Scanaufwand bei entsprechenden Eingaben von Privatpersonen) im verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG besonders geschützten Interesse der rechtsschutzsuchenden Bürger und der diese vertretenden Verbände hinnehmbar ist. Diese – sachgerechte –gesetzgeberische Wertung hat auch der Senat ausgehend von seiner Bindung an das Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG bei der Auslegung der Vorgaben des § 65d Satz 2 SGG zugrundezulegen.
2. Da bereits im Ausgangspunkt von einer form- und fristgerecht erhobenen Klage auszugehen ist, weist der Senat nur hilfsweise darauf hin, dass dem Kläger auf der Basis der vom Sozialgericht vertretenen abweichenden Rechtsauffassung und einer daraus folgenden formellen Unwirksamkeit der schriftlichen Klageerhebung jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die dann anzunehmende Versäumung der einmonatigen Klagefrist zu gewähren ist.
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm nach § 67 Abs. 1 SGG auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß Abs. 2 binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Im vorliegenden Fall hat der bevollmächtigte Verband nach Erhebung der Klage wiederholt auch durch andere Mitarbeiter, die nicht den Status eines Syndikusrechtsanwalts haben und daher auch nach Auffassung des Sozialgerichts nicht der Pflicht zur Nutzung des ERV unterliegen, formgerecht geäußert (vgl. Schriftsatz vom 6. Juli 2023, Band I Bl. 61 GA, Schriftsatz vom 19. September 2023, Band I Bl. 96 GA, Schriftsatz vom 22. November 2023, Band I, Bl. 102 GA, Schriftsatz vom 6. Juli 2023, Band II Bl. 1 GA, Schriftsatz vom 22. November 2023, Band II Bl. 96 GA) und damit zugleich den Willen des Klägers zur Erhebung und Fortführung der Klage zum Ausdruck gebracht. Selbst wenn auf der Basis der vom Sozialgericht vertretenen Rechtsauffassung von einer zuvor innerhalb der einmonatigen Klagefrist nicht formgerecht erhobenen Klage auszugehen wäre, dann wäre diese Fristversäumnis jedenfalls als unverschuldet im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG zu werten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die Verpflichtung des Richters, das Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Insbesondere ist der Richter allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfG, B.v. 17. Januar 2006 – 1 BvR 2558/05 –, NJW 2006, 1579, Rn. 7f. mwN).
Nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 103 Abs. 1 GG dürfen die Gerichte durch ihre Auslegung und Anwendung des Prozessrechts den Beteiligten den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Insbesondere dürfen die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden. Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben. Aus Fehlern des Gerichts dürfen daher keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (vgl. BVerfG, B.v. 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, juris, und B.v. 26. Februar 2008 – 1 BvR 2327/07 –, NJW 2008, 2167, Rn. 22).
Im vorliegenden Fall sind jedoch gerade auf der Basis der vom Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung rückblickend auch Fehler des Sozialgerichts zu konstatieren. Auf dieser Basis hat nicht nur die für den Verband tätig gewordene Syndikusrechtsanwältin, sondern auch das Sozialgericht selbst zunächst die gesetzlichen Formvorgaben verkannt. Bei Eingang der Klage standen dem Kläger noch rund drei Wochen für eine formgerechte Einlegung zur Verfügung. Entsprechend dem erläuterten verfassungsrechtlichen Gebot zur Rücksichtnahme hätte das Sozialgericht gerade auf der Grundlage der nachfolgend in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung so zeitnah nach Eingang der Klage auf den nachfolgend angenommenen Formfehler hinweisen müssen, dass dem Bevollmächtigten eine Korrektur noch innerhalb der Klagefrist möglich gewesen wäre.
Stattdessen hat das Sozialgericht mit der Eingangsverfügung und seinen nachfolgenden Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr hinweg den Eindruck vermittelt, dass auch aus seiner Sicht von einer zulässigen Klageerhebung auszugehen ist. Bei dieser Ausgangslage eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu verweigern, wäre mit dem angesprochenen verfassungsrechtlichen geforderten Fairnessgebot nicht in Einklang zu bringen.
Dies gilt umso mehr, als die 41. Kammer des Sozialgerichts nicht nur im vorliegenden Verfahren, sondern über lange Zeiträume hinweg auch in etlichen weiteren Verfahren, in denen durch den auch den Kläger vertretenden Verband Klagen schriftlich nach Unterzeichnung durch einen Syndikusrechtsanwalt erhoben worden sind, keine Bedenken gegen die Formgerechtigkeit der Klageerhebung aufgezeigt hat. Damit hat es den Verband und dessen Mitarbeiter in der Auffassung bestärkt, dass die gewählte Form der Klageerhebung den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat. Die angesprochenen Fehler des Gerichts, aus denen nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden dürfen, können sich nach Maßgabe des verfassungsrechtlichen Fairnessgebots auch aus einer (im Ergebnis rückblickend anzunehmenden) sachwidrigen Führung anderer Verfahren mit vergleichbaren Konstellationen ergeben.
Unter diesem Gesichtspunkt vermag der Senat allerdings den maßgeblichen Sachverhalt nicht genau zu überblicken, weil seine ihm durch § 103 SGG auferlegten Bemühungen zur Aufklärung des prozessualen Sachverhalts durch die pflichtwidrige Weigerung der Mitwirkung durch die um Auskunft gebetene Vorsitzende der betroffenen 41. Kammer des Sozialgerichts behindert worden sind.
Im Streitfall müssen Rechtsmittelgerichte auch die tatsächlichen Umstände aufklären, um in Betracht kommende Verfahrensfehler der Vorinstanz abklären zu können, soweit sich diese nicht bereits nach Aktenlage erschließen. Zu diesem Zweck pflegen Rechtsmittelgerichte insbesondere dienstliche Äußerungen der betroffenen vorinstanzlichen Richter einzuholen (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 11. Februar 2015 – B 13 R 443/13 B –, Rn. 5, juris; BSG, Beschluss vom 11. Februar 2015 – B 13 R 443/13 B –, Rn. 12, juris; BSG, Urteil vom 28. März 2000 – B 8 KN 7/99 R SozR 3-1750 § 295 Nr 1, Rn. 8; BVerwG, Beschluss vom 15. November 2004 – 7 B 56/04 –, Rn. 10, juris; BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2007 – 5 B 84/06 –, Rn. 3, juris).
Bei Bedarf kommt sogar im Ausgangspunkt eine förmliche Beweisaufnahme durch das Rechtsmittelgericht (ggfs. auch durch das Revisionsgericht) zum Verfahrensablauf in Betracht, soweit eine solche (anders als im vorliegenden Fall) neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse erwarten lässt (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 163 RdNr 6 mwN; BSG, Beschluss vom 1. Oktober 2009 – B 3 P 13/09 B –, SozR 4-1500 § 62 Nr 12).
Die Erteilung entsprechender dienstlicher Äußerungen auf Aufforderung des Rechtsmittelgerichts haben die betroffenen vorinstanzlichen Richter unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben eigenverantwortlich in richterlicher Unabhängigkeit vorzunehmen. Selbst nicht ausdrücklich vorgeschriebene richterliche Handlungen gehören zu dem der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich der Rechtsprechung, sofern sie nur in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (BGH, U.v. 3. November 2004 - RiZ(R) 4/03, NJW-RR 2005, 433, 435 mwN). Dementsprechend ist rechtlich von vornherein unzulässig, dass auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen des Rechtsmittelgerichts an Stelle des um Auskunft gebetenen Richters eine Stelle der Gerichtsverwaltung sich äußert oder sich den Vorgang auch nur zu einer „Prüfung vorlegen“ lässt.
Da im vorliegenden Zusammenhang keinerlei Anhaltspunkte für Auskunftsverweigerungsrechte etwa im Sinne von Zeugnisverweigerungsrechten vorliegen, korrespondiert mit der Amtsermittlungspflicht des Rechtsmittelgerichts nach § 103 SGG natürlich – entsprechend auch § 119 SGG – eine Äußerungspflicht des um Auskunft zu den tatsächlichen Abläufen ersuchten erstinstanzlichen Richters.
Seine richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG wird dadurch nicht berührt. Eine unzulässige Beeinflussung der richterlichen Tätigkeit durch die Exekutive kann mit der Beantwortung des Auskunftsersuchens des Senats schon im Ausgangspunkt nicht verbunden sein, weil der Senat seinerseits gar nicht als Exekutivorgan tätig wird und insbesondere in keiner Weise zur Ausübung der Dienstaufsicht über die erstinstanzlich tätig gewordene Kollegin berufen ist. Der Senat handelt vielmehr ausschließlich in Wahrnehmung seines Rechtsprechungsauftrages.
Auch im Übrigen ist nichts für eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch das Ersuchen des Rechtsmittelgerichts nach Erläuterung der tatsächlichen Verfahrensabläufe ersichtlich. Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (Art. 97 Abs. 1 GG). Ein Gericht braucht deswegen bei der Auslegung und Anwendung gesetzlicher Normen der Rechtsauffassung anderer Gerichte grundsätzlich nicht zu folgen (BVerfG, Beschluss vom 8. April 1998 – 1 BvR 1680/93 –, BVerfGE 98, 17, Rn. 108). Diese Ausgangslage gilt unabhängig von einem Auskunftsersuchen des Rechtsmittelgerichts zu den tatsächlichen Verfahrensabläufen vor und nach dessen Beantwortung. Die gesetzlichen Vorgaben des § 159 Abs. 2 SGG sind in den betroffenen Fallgestaltungen natürlich einzuhalten.
Eine konkrete inhaltliche Antwort auf das Auskunftsersuchen hat der Senat ungeachtet der vorstehend aufgezeigten Rechtslage trotz mehrfacher Aufforderung von der erstinstanzlich zuständigen Kammervorsitzenden nicht erhalten. Dem Senat liegen aber weitere Berufungen gegen Entscheidungen der 41. Kammer vor, in denen bei strukturell vergleichbaren Sachverhalten im Rahmen der erstinstanzlichen richterlichen Verfahrensführung zunächst keine Bedenken gegen die Formgerechtigkeit der Klageerhebung geltend gemacht worden sind und dann erst nach geraumer Zeit im Ergebnis die Klage mangels formgerechter Einlegung als unzulässig abgewiesen worden ist. Vergleichbar ausgestaltete Sachverhalte sind auch bei anderen Senaten des Landessozialgerichts anhängig.
Dementsprechend muss der Senat entsprechend auch den Angaben des bevollmächtigten Verbandes davon ausgehen, dass die 41. Kammer des Sozialgerichts bis Oktober 2023 (und bis Juni 2023 auch die anderen Kammern des Sozialgerichts) keine rechtlichen Bedenken gegen die schriftsätzliche Erhebung von Klagen durch den bevollmächtigten Verband bei Unterzeichnung durch einen Syndikusrechtsanwalt geäußert hat. Mit einem solchen systematischen fortgesetzten Vorgehen der Kammer ist im Ergebnis der bevollmächtigte Verband in seiner Einschätzung bestärkt worden, dass die Vorgaben des § 65d SGG einer solchen Form der Klageerhebung nicht entgegenstehen. Sollte diese Vorgaben gleichwohl (entgegen der dargelegten Rechtsauffassung des erkennenden Senates) einer solchen Klageerhebung entgegenstehen, wäre dies erst recht durch (fortgesetzte) Fehler des Sozialgerichts mitbedingt worden, unter Berücksichtigung derer eine Verweigerung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem angesprochenen verfassungsrechtlichen geforderten Fairnessgebot noch weniger in Einklang zu bringen wäre.
3. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben. Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die Klage rechtsirrtümlich mangels formgerechter Erhebung als unzulässig abgewiesen und daher in der Sache das Rentenbegehren gar nicht geprüft.
Von dem ihm durch § 159 SGG eingeräumten Ermessen macht der Senat im vorliegenden Fall im Sinne der Zurückverweisung Gebrauch. Anderenfalls wäre die im Ausgangspunkt vom Gesetz vorgesehene inhaltliche Prüfung des Rentenbegehrens in zwei Tatsacheninstanzen nicht gewährleistet. Unter Berücksichtigung der beschleunigten Durchführung des vorliegenden Berufungsverfahrens verletzt die Zurückverweisung auch keine schutzwürdigen Interessen des Klägers an der Gewährung zeitnahen Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG, zumal ohnehin erst einmal der medizinische Sachverhalt im Einzelnen weiter aufgeklärt werden muss.
Die Kostenentscheidung bleibt der gerichtlichen Entscheidung im fortzusetzenden Verfahren vorbehalten (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 159 SGG, Rn. 5f).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.