Wird eine Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit unwiderruflicher Freistellung umgewandelt, ist darin nicht von vornherein missbräuchliches Verhalten zu sehen. Die Dauer der unwiderruflichen Freistellung (hier 38 Monate) ist grundsätzlich Ausfluss der Vertragsfreiheit.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.12.2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Die 1959 geborene Klägerin war seit 01.04.1979 bei der Firma H1 GmbH (H1) versicherungspflichtig beschäftigt.
Im Juni 2016 schlossen H1 und der Gesamtbetriebsrat der H1 u.a. eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Freiwilligenprogramm Stellenabbau FY 2016“, die u.a. regelte:
„§ 4 G1 –Option/ Abbau von vorhandenem Langzeitkonto
(1) Mitarbeiter, die vom Personalabbaumaßnahmenprogramms FY2016 betroffen sind und mit H1 im Rahmen dieses Freiwilligenprogramms einen Aufhebungsvertrag abschließen, haben die Möglichkeit, auf die ihnen zustehende Auszahlung Ihrer Zeitwertkonten im Langzeitkonto (LZK) sowie auf die ihnen zustehende Auszahlung Ihrer Abfindung (sog. „G1“, wenn Sie zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens das 55. Lebensjahr vollendet haben) ganz oder teilweise zugunsten einer Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses bei unwiderruflicher Freistellung während dieses Verlängerungszeitraumes zu verzichten.
Eine Verlängerung kann nur in vollen Monaten erfolgen. Die Umrechnung der Abfindung in Verlängerungszeit erfolgt nach folgender Formel: 1 Monat Verlängerungszeit ( = 1,2) x Jahresgehalt (nach § 3 Abs. 4) dividiert durch 12.
Der Faktor 1,2 spiegelt dabei eine pauschalierte Referenzvergütung, auch unter Berücksichtigung der Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung, wieder. Die G1 Option mit dem Faktor 1,2 kann, je nach Verdienst des einzelnen Mitarbeiters insbesondere im Bezug auf die Beitragsbemessungsgrenze und den damit verbundenen individuellen Sozialversicherungsanteilen variieren und im Vergleich zur Option „einmaliger Abfindungsbetrag“ geringer ausfallen.“ (vgl. Bl. 56 ff. der Akte des Landesozialgerichts)
Am 03.09.2017 schloss die Klägerin einen Aufhebungsvertrag, der u.a. folgende Regelungen beinhaltete:
„Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Das zwischen H1 und dem Mitarbeiter bestehende Arbeitsverhältnis wird einvernehmlich zum 28. Februar 2022 (Austrittsdatum) aufgelöst.
Vergütungsfortzahlung
H1 verpflichtet sich, bis zum Austrittsdatum die vertragsgemäße Vergütung weiter zu zahlen.
Freistellung
Der Mitarbeiter wird mit Wirkung zum 01. März 2018 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Pflicht zur Arbeitsleistung unwiderruflich freigestellt.
In der Zeit vom 01. März 2018 bis 06. Dezember 2018 erfolgt eine Anrechnung auf die bestehenden Guthaben aus dem Freizeitkonto.
In der Zeit vom 07. Dezember 2018 bis 31. Dezember 2018 erfolgt eine Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche.
Urlaub/Zeitguthaben
Die bis zum Firmenaustritt noch nicht genommenen Urlaubs- und Freizeitkonten werden ausbezahlt.
Abfindung
H1 hat dem Mitarbeiter in entsprechender Anwendung der §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz eine Abfindung zum Ausgleich der durch den Verlust des Arbeitsplatzes erlittenen Nachteile in Höhe von 240.000,- € brutto angeboten. Der Mitarbeiter hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um 38 Monate umzuwandeln, wobei der Mitarbeiter während dieses Zeitraums (mit Wirkung vom 01. Januar 2019) unwiderruflich unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung (auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit welche über den gesetzlichen, tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Lohnfortzahlungszeitraum hinaus geht) von der Arbeitsleistung freigestellt wird. Die Freistellung erfolgt unter Anrechnung etwaiger in diesem Zeitraum entstehenden Urlaubsansprüche. Entsprechend hat sich auf ausdrücklichen Wunsch des Mitarbeiters die Beendigung des Arbeitsverhältnisses um 38 Monate auf den im ersten Abschnitt genannten Beendigungszeitpunkt verschoben.
Die verbleibende Abfindung in Höhe von 1.619,- € brutto wird entsprechend den Regelungen in diesem Vertrag fällig und ausbezahlt.
Bei der o.g. Abfindung (bzw. deren Umwandlung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses) handelt es sich um die ausschließliche Leistung des Arbeitgebers zum Ausgleich der durch den Verlust des Arbeitsplatzes erlittenen Nachteile.
Auf die Abfindung und etwaige weitere Leistungen aus diesem Aufhebungsvertrag werden all etwa bestehenden sonstigen Ansprüche auf Abfindung im weitesten Sinne (z. B. Ansprüche aus einem bestehenden oder künftigen Sozialplan, Nachteilsausgleichansprüche etc.) angerechnet. Insbesondere erklärt der Mitarbeiter seinen Verzicht auf einen Wechsel in eine etwaige Transfergesellschaft.
Die verbleibende Abfindung wird mit Ablauf des Monats fällig, in den oder auf dessen Ende die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällt. Dieser Betrag unterliegt den beim Auszahlungszeitpunkt geltenden steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen.
(…)
Betriebliche Altersvorsorge
Ab dem Zeitpunkt des Austritts hat der Mitarbeiter Anspruch auf Leistungen aus der für ihn gültigen Versorgungsordnung und erklärt hiermit, dass er diese ab diesem Zeitpunkt in Anspruch nehmen möchte. Sofern diese Leistungen vor dem Alter von 60 gewährt werden, stellen sie bis zum Alter von 60 ein sogenanntes Übergangsgeld, Leistungen ab dem Alter von 60 eine vorgezogene Alterspension dar.
(…)
Sollte eine betriebliche Versorgungsleistung wegen Eintritt des Versorgungsfalles (Invalidität oder Tod) noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses begründet werden können, sind sich der Mitarbeiter und H1 darüber einig, dass auf eine vereinbarte Abfindung kein Anspruch besteht, da in diesem Falle eine Invaliden- bzw. Hinterbliebenenversorgung nach den Bestimmungen des für den Mitarbeiter geltenden Versorgungsmodels gewährt wird.
Nebentätigkeit
Während der Zeit der Freistellung ausgeübte Nebentätigkeiten bedürfen der vorherigen Genehmigung durch H1, Wettbewerbstätigkeiten sind entsprechend der betrieblichen Regelungen weiterhin ausgeschlossen.
Übergabe der Arbeitsmittel
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, an H1 sämtliche Unterlagen, Dokumente etc. gleich in welcher Form und auf welchem Speichermedium sowie sämtliche überlassene Arbeitsmittel (z.B. Laptop, Handy, Firmenausweis, etc.) vollständig und in ordnungsgemäßem Zustand am letzten aktiven Arbeitstag zurückzugeben.
(…)
Hinweis des Arbeitgebers: Der Mitarbeiter ist hiermit auf die gesetzliche Regelung zur frühzeitigen Arbeitssuche (§ 38 Abs. 1 SGB III) hingewiesen worden. Danach ist der Mitarbeiter verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund dieses Vertrages in weniger als 3 Monaten, ist der Mitarbeiter verpflichtet, sich innerhalb von 3 Kalendertagen nach Unterzeichnung dieses Aufhebungsvertrages persönlich beim Arbeitsamt zu melden. Tut er dies nicht, muss er mit Kürzungen beim Bezug des Arbeitslosengeldes rechnen. Insbesondere wurde der Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass es im Falle einer (längeren) unwiderruflichen Freistellung („G1") vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Nachteilen bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes kommen kann und es in der Verantwortung des Mitarbeiters liegt, sich bei seiner für ihn zuständigen Agentur für Arbeit über die Auswirkungen der Freistellung auf sein Arbeitslosengeld frühzeitig zu informieren.“
Die Klägerin meldete sich am 09.11.2021 arbeitsuchend und am 07.12.2021 zum 01.03.2022 arbeitslos. Sie beantragte zum 01.03.2022 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Sie habe den Aufhebungsvertrag zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung geschlossen, da ihr Arbeitsplatz weggefallen sei.
Der Arbeitsbescheinigung vom 21.12.2021 ist zu entnehmen, dass das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2022 durch Aufhebungsvertrag beendet wurde und dass der Arbeitsgeber sonst das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2018 gekündigt hätte. Es sei eine einvernehmliche Freistellung ab 01.03.2018 erfolgt. Als Bruttoarbeitsentgelt für das Jahr 2021 sind monatlich 4.878,03 € angegeben, zusätzlich erfolgten einmalige Zahlungen im Mai (3.629,25 €) und November 2021 (2.439,02 €).
Mit Bescheid vom 16.03.2022 lehnte die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld ab 01.03.2022 ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Da die Klägerin in den letzten 30 Monaten vor dem 01.03.2022 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig tätig gewesen sei, sei die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Die Klägerin habe im Rahmen des Aufhebungsvertrages vereinbart, dass die gezahlte Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um 38 Monate umgewandelt werde. Die Freistellung unter Verwendung der Abfindungsleistungen habe am 01.01.2019 begonnen. Nach Auffassung der Agentur für Arbeit sei davon auszugehen, dass ein vom Arbeitnehmer selbst finanziertes Arbeitsverhältnis nicht arbeitslosenversicherungspflichtig sein könne.
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, am 25.03.2022 Widerspruch mit der Begründung ein, sie sei vor Abschluss des Aufhebungsvertrages von ihrem Vorgesetzten massiv unter Druck gesetzt worden. Sie habe sich sowohl an den Betriebsrat, als auch an die Personalabteilung gewandt, die bestätigt hätten, dass ihre Stelle wegfalle und sie auf der Personalabbauliste stehe. Sie habe sich auch von der Beklagten beraten lassen, die ihr bestätigt habe, dass sie Arbeitslosengeld erhalte und dass dieses aus dem konkreten Verdienst während der unwiderruflichen Freistellung berechnet werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der von H1 angebotenen „G1“-Option könne das Arbeitsverhältnis durch einen Einsatz von Urlaub, Zeitguthaben und/oder Abfindung verlängert werden. Nach den Angaben im Sozialplan könne auch eine Abfindung zum Einsatz kommen. Die Klägerin habe sich für die Abfindung entschieden, so dass es sich um Mittel der Arbeitnehmerin gehandelt habe, die nicht arbeitslosenversicherungspflichtig seien, so dass die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 23.05.2022 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung auf die Widerspruchsbegründung verwiesen.
Mit Urteil vom 19.12.2022 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Die Anwartschaftszeit sei erfüllt, da die Klägerin bis zum 28.02.2022 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Rechtsmissbräuchliches Verhalten sei in der gewählten Konstruktion nicht erkennbar.
Gegen das ihr am 03.01.2023 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 31.01.2023 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Die Klägerin und H1 hätten nicht das Arbeitsverhältnis fortgesetzt, sondern lediglich eine ratenweise Auszahlung der Abfindung vereinbart. Es handle sich also nicht um versichertes Arbeitsentgelt, vielmehr habe die Klägerin die Freistellungsphase aus eigenen Mitteln finanziert. Bei dem „G1“-Modell der H1 würden letztendlich die Arbeitsvertragsparteien frei darüber entscheiden, ob Versicherungspflicht eintrete oder nicht. Eine solche Wahlfreiheit sei in der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht vom Gesetzgeber vorgesehen. Der Arbeitgeber habe mit dem „G1“-Modell ein Arbeitsplatzabbauprogramm aufgelegt, welches dazu führe, dass die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für einen langen Zeitraum unwiderruflich freigestellt und ohne tatsächliche Arbeitsleistung seien. Eine solche langandauernde Beschäftigungslosigkeit erschwere die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Kosten (z.B. höhere Wiedereingliederungskosten bei nachfolgend notwendiger arbeitsmarktpolitischer Förderung wie z.B. FbW) müsse vor allem die Versichertengemeinschaft tragen, was bei einer einmaligen Auszahlung der Abfindung und anschließender Arbeitslosmeldung nicht der Fall wäre. Gerade im Fall der Klägerin wäre eine Wiedereingliederung zu Beginn der Freistellung noch möglich gewesen, nach deren Ablauf kaum mehr.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.12.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Sie habe ihr Arbeitsverhältnis während der unwiderruflichen Freistellung nicht aus eigenen Mitteln finanziert, sondern von ihrem Wahlrecht dergestalt Gebrauch gemacht, dass sie das Arbeitsverhältnis bis 28.02.2022 aufrechterhalten habe. Dass dies ein „echtes" Arbeitsverhältnis jedenfalls im versicherungsrechtlichen Sinne gewesen sei, ergebe sich auch daraus, dass sie weiterhin davon abhängig gewesen sei, dass eine von ihr evtl. beabsichtigte Nebentätigkeit durch die Arbeitgeberin hätte genehmigt werden müssen und dass darüber hinaus auch für jedwede Tätigkeit ein Wettbewerbsverbot bestanden habe.
Mit Schreiben vom 27.09.2023 (Beklagte) und vom 28.09.2023 (Klägerin) haben die Beteiligten einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der Einzelheiten im Sachverhalt und im Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld zu gewähren. Dass sich der Antrag der Klägerin und die Entscheidung des SG auf eine Verurteilung der Beklagten dem Grunde nach beschränken, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 06.06.2023 – B 11 AL 38/21 R, juris)
Nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit wer arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3).
Die Klägerin hatte sich am 07.12.2021 arbeitslos gemeldet hatte und war ab 01.03.2022 arbeitslos i.S.d. § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i. V. m. § 138 SGB III. Nach § 138 Abs. 1 SGB III ist arbeitslos, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Die Klägerin war ab 01.03.2022 beschäftigungslos, sie stand den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung und hat sich bemüht, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Sie hat u.a. am 16.12.2021, 24.06.2022 und 19.08.2022 eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. Aus dem V1-Vermerk vom 24.06.2022 geht hervor, dass die Klägerin sich aktiv beworben hat und auch ohne den Bezug vor Arbeitslosengeld arbeitslos gemeldet bleiben wollte. Die Klägerin hat auch nach Ablehnung des Arbeitslosengeldantrags die Unterstützung der Beklagten bei den Bewerbungsbemühungen in Anspruch genommen.
Die Klägerin hat, entgegen der Auffassung der Beklagten, auch die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt 30 Monate und beginnt mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 143 Abs. 1 SGB III). Die Klägerin erfüllte die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen am 01.03.2022. Die Rahmenfrist umfasst daher die Zeit vom 01.09.2019 bis 28.02.2022. Innerhalb dieser Rahmenfrist war die Klägerin versicherungspflichtig im Sinne der §§ 24, 25, 26 und 28a SGB III.
Nach § 24 Abs. 1 SGB III stehen Personen, die als Beschäftigte (oder aus sonstigen Gründen) versicherungspflichtig sind in einem Versicherungspflichtverhältnis. Das Versicherungspflichtverhältnis beginnt für Beschäftigte nach § 24 Abs. 2 SGB III mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis und endet nach § 24 Abs. 4 SGB III mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis. Nach § 25 Abs. 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (versicherungspflichtige Beschäftigung).
Unstreitig stand die Klägerin bis 28.02.2018 in einem Beschäftigungsverhältnis. Das aus der Beschäftigung folgende Versicherungspflichtverhältnis bestand, entgegen der Ansicht der Beklagten, auch während der Freistellung der Klägerin von der Arbeitsleistung ab dem 01.01.2019 bis einschließlich dem 28.02.2022 fort. Wie das BSG bereits entschieden hat, besteht das Versicherungspflichtverhältnis wegen einer Beschäftigung i.S.d. § 24 Abs. 1 Alt. 1 SGB III bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts, auch wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Beschäftigung bereits aufgegeben hat und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich und unwiderruflich freigestellt ist (BSG, Urteil vom 30.08.2018, B 11 AL 15/17 R, juris). Das durch nichtselbständige Arbeit in einem tatsächlich vollzogenen Arbeitsverhältnis begründete versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis endet bei einer Vereinbarung einer Freistellung von der Arbeitsleistung nicht bereits mit der Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung, sondern erst mit dem regulären Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt gezahlt wird (BSG, a.a.O.). Weiterhin darf kein außerhalb der Dispositionsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien liegendes missbräuchliches Verhalten vorliegen (BSG, Urteil vom 03.06.2004, B 11 AL 70/03 R, juris).
In Anwendung dieses Maßstabs ergibt sich, dass die Klägerin in einem Versicherungspflichtverhältnis aufgrund einer Beschäftigung gestanden hat, denn in Folge der mit Aufhebungsvertrag vom 03.09.2018 vereinbarten unwiderruflichen Freistellung von ihrer Arbeitsleistung bei gleichzeitiger Zahlung einer monatlichen Vergütung sowie weiterer Sonderzahlungen schied die Klägerin noch nicht zum 01.01.2019 aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung aus, sondern erst zum einvernehmlich vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses, dem 28.02.2022. Die Klägerin hat mit H1 einen Aufhebungsvertrag geschlossen, der zum einen von Abfindung spricht, zum anderen jedoch von der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Folglich ist der Inhalt des Aufhebungsvertrages durch Auslegung zu ermitteln. Nach § 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Folglich sind Erklärungen so auszulegen sind, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten, und wobei, zunächst vom Wortlaut ausgehend zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen sind, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen, und ebenso die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen sind (u.a. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 101/19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2023, L 3 AL 985/22; beide juris). Vor diesem Hintergrund erachtet der Senat die vom SG vorgenommene Auslegung als zutreffend.
Aus dem geschlossenen Aufhebungsvertrag ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die Beteiligten eine Fortdauer des Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2022 vereinbart und gewollt haben. Zwar enthält der Vertrag auch den Passus „Abfindung“, unter dem vereinbart wird, dass der Klägerin eine Abfindung von 240.000 € angeboten wurde. Jedoch findet sich unter dem gleichen Oberbegriff die Formulierung „Der Mitarbeiter hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um 38 Monate umzuwandeln, wobei der Mitarbeiter während dieses Zeitraums (mit Wirkung vom 01. Januar 2019) unwiderruflich unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung (auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit welche über den gesetzlichen, tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Lohnfortzahlungszeitraum hinaus geht) von der Arbeitsleistung freigestellt wird“. Aus der Formulierung „umgewandelt“ sowie der Gesamtbetriebsvereinbarung Freiwilligenprogramm Stellenabbau FY 2016 schließt die Beklagte, dass es sich hierbei nur um eine Auszahlungsmodalität der Abfindung gehandelt hat. Für die Ansicht der Beklagten könnte auch sprechen, dass es der Vereinbarung, „dass auf die vereinbarte Abfindung kein Anspruch besteht, da in diesem Falle eine Invaliden- bzw. Hinterbliebenenversorgung nach den Bestimmungen des für den Mitarbeiter geltenden Versorgungsmodells gewährt wird“ bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nicht bedurft hätte. Der Ansicht der Beklagten steht jedoch zum einen entgegen, worauf schon das SG hingewiesen hat, dass aus dem Aufhebungsvertrag hervorgeht, dass die Klägerin die Wahl hatte, entweder das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2018 enden zu lassen und eine Abfindung von 240.000 € brutto zu erhalten oder das Arbeitsverhältnis bis zum 28.02.2022 bei gleichzeitiger unwiderruflicher Freistellung ab 01.03.2018 zu verlängern. Letztlich war die einzige arbeitsvertragliche Verpflichtung der Klägerin, die in der Zeit ab dem 01.01.2019 aufgehoben wurde, die Hauptpflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung (bis zum 31.12.2018 erfolgte eine Anrechnung auf Freizeit- und Urlaubskonten). Die Hauptpflicht der H1, nämlich die „vertragsgemäße Vergütung weiter zu zahlen“, blieb als „Leistung des Arbeitgebers“ bestehen. Auch die anderen Verpflichtungen der Klägerin aus dem Arbeitsvertrag blieben bestehen. So musste die Klägerin sich während der Zeit der Freistellung ausgeübte Nebentätigkeiten vorher genehmigen lassen und waren Wettbewerbstätigkeiten ausgeschlossen. Darüber hinaus hat die Klägerin auch Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten und wurden Beiträge zur Sozialversicherung (insb. zur Arbeitslosenversicherung) abgeführt. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass von den Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Weiterzahlung des Arbeitsentgelts („Fortzahlung der vertragsgemäßen Vergütung“) bei unwiderruflicher Freistellung der Klägerin gewollt war.
Wie auch das SG konnte der Senat auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin und der H1 feststellen (vgl. hierzu z.B. BSG Urteil vom 04.07.2021, B 11 AL 16/11 R, juris). Der Senat verweist vor diesem Hintergrund auf die zutreffenden Ausführungen des SG und sieht von einer eigenen Begründung ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Insbesondere erfolgte die Freistellung nicht, um einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld erst zu begründen. Soweit die Beklagte vorträgt, durch die gewählte Konstruktion werde das Bestehen eines versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses letztendlich in das Belieben der Vertragsparteien gestellt, so weist der Senat darauf hin, dass dies Ausfluss der Vertragsfreiheit ist. So steht es den Vertragsparteien, wie sich auch aus der o.g. Rechtsprechung des BSG ergibt, grundsätzlich frei, eine Freistellung bei Fortzahlung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da die Frage, ob es den Arbeitsvertragsparteien freisteht, eine Abfindung in Arbeitsentgelt umzuwandeln, sowie die Frage, wie lange bei einer unwiderruflichen Freistellung ein versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis fortbestehen kann, noch nicht geklärt sind.