L 12 AL 1264/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 1514/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1264/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Auslegung von § 4.4 Manteltarifvertrag für Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern von 1973, in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung, wonach die ordentliche Kündigung (nur) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres ausgeschlossen ist. Ein zeitlicher Ausschluss der Kündigung liegt darin nicht vor. Auf das 65. Lebensjahr bezogene Altersgrenzen sind regelmäßig dahingehend auszulegen, dass das Arbeitsverhältnis erst zu einem Zeitpunkt enden soll, ab dem der Arbeitnehmer eine Regelaltersrente beanspruchen kann (BAG, Urteil vom 13.10.2015, 1 AZR 853/13).

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.02.2023 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung von Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung einer Entlassungsentschädigung.

Die 1964 geborene Klägerin war (laut Arbeitsvertrag seit 01.11.2001) bis 31.03.2021 bei der B1 GmbH beschäftigt. In der Zeit vom 01.05.2016 bis zum 30.04.2018 war die Klägerin im Rahmen eines Sabbaticals beim Landratsamt Z1 befristet als Sozialarbeiterin in einem Umfang von 39 Stunden pro Woche beschäftigt, bei der B1 GmbH war sie während dieser Zeit unbezahlt freigestellt. Für die Beschäftigten der B1 GmbH galt bis 31.12.2021 der Manteltarifvertrag für Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie in S1 von 1973, der in § 4.4 folgende (bis 31.12.2021 unveränderte Bestimmung) enthielt:
„Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.“
 
Mit am 24.09.2020 unterzeichnetem Aufhebungsvertrag wurde das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen mit Wirkung zum 31.03.2021 beendet; die Klägerin wurde mit Vertragsunterzeichnung unwiderruflich unter Fortzahlung der vertragsgemäßen Bezüge bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Zudem wurde der Klägerin eine Abfindung i.H.v. 162.021,12 € ohne Verhängung einer Sperrzeit bzw. i.H.v. 169.686,76 € bei Verhängung einer Sperrzeit gewährt.

Am 09.03.2021 wurde der Klägerin ein online-Formular übermittelt, das diese am 26.03.2021 der Beklagten zurücksandte; darauf ist eine persönliche Arbeitsuchendmeldung am 12.03.2021 vermerkt. Im Rahmen einer am 23.04.2021 erstellten Arbeitsbescheinigung teilte die B1 GmbH mit, die Klägerin sei dort innerhalb der letzten fünf Jahre vom 01.04.2016 bis zum 31.03.2021 beschäftigt gewesen. Andererseits wurde die Betriebszugehörigkeit in Jahren mit 20 angegeben Die Klägerin sei unkündbar gewesen; ein Ausschluss der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wurde jedoch verneint. Ihr sei eine Abfindung i.H.v. 162.021,12 € unter Zugrundelegung einer Unternehmenszugehörigkeit von 20 Jahren gewährt worden.

Mit Bescheid vom 30.04.2021 teilte die Beklagte mit, dass vom 01.04.2021 bis zum 24.03.2022 kein Arbeitslosengeld gewährt werden könne; der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe bis zum 24.03.2022 wegen des Erhalts einer Abfindung i.H.v. 162.021,12 €. Mit Bescheid vom 03.05.2021 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld mit einer Gesamtanspruchsdauer von 540 Kalendertagen. Für die Zeit vom 01.04.2021 bis zum 24.03.2022 wurde wegen einer Entlassungsentschädigung ein täglicher Leistungsbetrag von 0,00 € angesetzt. Ferner wurde für den Zeitraum vom 25.03.2022 bis zum 31.03.2022 ein täglicher Leistungsbetrag i.H.v. 40,79 €, für die Zeit vom 01.04.2022 bis zum 31.08.2023 ein täglicher Leistungsbetrag i.H.v. 28,62 € sowie für die Zeit vom 01.09.2023 bis zum 23.09.2023 ein täglicher Leistungsbetrag i.H.v. 30,30 € angesetzt.

Am 31.05.2021 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide vom 30.04.2021 und vom 03.05.2021. Entgegen der Annahme der Beklagten sei die Klägerin ordentlich kündbar gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2021, abgesandt am gleichen Tag, beim Bevollmächtigten der Klägerin eingegangen am 04.06.2021, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Da die Klägerin unkündbar gewesen sei, sei für die Abfindung eine Kündigungsfrist von 18 Monaten zugrunde zu legen.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am Montag, den 05.07.2021 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Das Arbeitsverhältnis sei zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages nicht unkündbar gewesen; es habe vielmehr gemäß der allgemeinen gesetzlichen Kündigungsfrist des § 620 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter Einhaltung einer Monatsfrist zum Monatsende gekündigt werden können. Die Arbeitsbescheinigung der B1 GmbH sei widersprüchlich, da zum einen von „unkündbar“ zum anderen aber davon berichtet werde, dass eine ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen gewesen sei. Die Klägerin sei vom 01.05.2016 bis zum 30.04.2018 beim Jugendamt des Landratsamtes Z1 in Vollzeit beschäftigt gewesen, was eine Unterbrechung im Rechtssinne hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses bei der B1 GmbH begründe. Die Klägerin sei in dieser Zeit seitens der B1 GmbH unbezahlt freigestellt gewesen und habe auch in der Folge nicht mehr in Vollzeit, sondern nur noch in Teilzeit mit 52,34 % gearbeitet. Zudem habe sich nach der Freistellung ihr Tätigkeitsbereich geändert. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages habe angesichts der Unterbrechung nur eine Betriebszugehörigkeit von 2 Jahren und 6 Monaten bestanden. Die Voraussetzungen für ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs seien daher nicht erfüllt.

Die Klägerin hat aufgrund eines am 16.07.2021 unterzeichneten Arbeitsvertrages ab dem 03.08.2021 eine Beschäftigung als Aushilfe beim Universitätsklinikum T1 im Umfang von 7,7 Stunde pro Woche entsprechend einem Anteil von 20% der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten aufgenommen. Mit Bescheid vom 31.08.2021 hat die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 03.08.2021 ganz aufgehoben, da die Klägerin eine Beschäftigung aufgenommen habe.

Das SG hat eine schriftliche Zeugenauskunft des Personalreferenten der B1 GmbH, S2, vom 18.10.2021 eingeholt. Dieser hat angegeben, das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe im Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages nicht ordentlich gekündigt werden können; Grundlage hierfür sei § 4.4 MTV, wonach einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet habe und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehöre, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden könne. Die ordentliche Kündigung sei mithin zeitlich begrenzt bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres ausgeschlossen gewesen. Das SG hat in der Folge eine ergänzende schriftliche Zeugenauskunft des Herrn S3 vom 16.12.2021 eingeholt. Danach habe das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ununterbrochen seit 01.11.2000 bestanden. Im Zeitraum vom 01.05.2016 bis zum 30.04.2018 habe die Klägerin sich in einem Sabbatical befunden und sei unbezahlt freigestellt gewesen; das Arbeitsverhältnis habe während dieser Zeit fortbestanden und das Sabbatical berühre nicht die Anwendbarkeit des § 4.4 MTV.

Aufgrund eines am 14.07.2022 unterschriebenen Dienstvertrages hat die Klägerin ab 01.08.2022 eine 50%-Teilzeitstelle bei dem T2 Verein für Sozialtherapie bei Kindern und Jugendlichen – k1 Jugendhilfe angetreten.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2023 hat die Klägerin mitgeteilt, sich bei der Arbeitsvermittlung im August 2021 abgemeldet zuhaben. Sie habe sich zuvor schon auf die entsprechenden Vermittlungsvorschläge beworben. Das Problem sei vor allem gewesen, dass sie ihre Krankenversicherung habe gewährleisten müssen, da ihr Mann privat versichert sei und sie dann freiwillig gesetzlich versichert gewesen sei. Nachdem sie dann die Tätigkeit bei der Uniklinik in T1 bekommen habe, habe sie angerufen und gesagt, dass sie die Sache mit der Vermittlung nicht mehr weitermachen könne, weil sie auch sehr enttäuscht darüber gewesen sei, dass ihr keinerlei Unterstützung zur Erhaltung ihres Krankenversicherungsschutzes von der Beklagten entgegengebracht worden sei.

Mit Urteil vom 20.02.2023 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2021 bis 02.08.2021 Arbeitslosengeld zu gewähren und die Klage, die entsprechend dem in der Verhandlung gestellten Antrag auf Leistungen bis 31.07.2022 gerichtet war, im Übrigen abgewiesen. Zur Überzeugung des SG sei die Klägerin seit 2001 durchgängig bei der B1 GmbH beschäftigt gewesen. Die 2-jährige Freistellung vom 01.05.2016 bis zum 30.04.2018 führe nicht dazu, dass das Beschäftigungsverhältnis geendet habe. Folglich gelte für die Klägerin auch die Regelung des § 4.4. MTV. Jedoch handle es sich bei der genannten Regelung nicht um einen unbegrenzten Ausschluss der Kündigung, da das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht mit Vollendung des 65. Lebensjahres geendet hätte. Über den 02.08.2021 hinaus bestünde jedoch kein Anspruch, da die Klägerin ab dem 03.08.2021 den Vermittlungsbemühungen nicht mehr zur Verfügung gestanden habe und somit nicht mehr arbeitslos gewesen sei.

Gegen das am 30.03.2023 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 28.04.2023 eingelegten Berufung. Auch wenn § 4.4 MTV die ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber seinem Wortlaut nach nur bis zum 65. Lebensjahr ausschließe und durch die Anhebung der Altersgrenze für den Eintritt in die Regelaltersrente auf das 67. Lebensjahr eine Lücke eintrete, führe dies nicht zu einem nur noch zeitlich begrenzten Kündigungsausschluss. Vielmehr müsse die Regelung ausgelegt werden. So habe das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Betriebsvereinbarungen, nach denen ein Arbeitsverhältnis mit der Vollendung des 65. Lebensjahres ende, regelmäßig dahingehend auszulegen seien, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst mit der Vollendung des für den Bezug einer Regelaltersrente maßgeblichen Lebensalters erfolgen solle. Dies gelte auch bei der Auslegung tariflicher Regelungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 20.02.2023 aufzuheben, soweit es die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 30.04.2021 und 03.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2021 verurteilt hat, der Klägerin Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.04.2021 bis 02.08.2021 zu gewähren und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil für zutreffend und verweist auf den Vortrag in 1. Instanz.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Die Berufung der Beklagten ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist auch begründet. Der Anspruch der Klägerin ruhte aufgrund einer Entlassungsentschädigung.

Da lediglich die Beklagte Berufung eingelegt hat, ist im Berufungsverfahren nur noch der Zeitraum vom 01.04.2021 bis 02.08.2021 streitgegenständlich. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das SG, auch wenn dies im Tenor nicht zum Ausdruck kommt, den Aufhebungsbescheid vom 31.08.2021 zutreffend als Gegenstand des Verfahren angesehen hat.


Die Bescheide vom 30.04.2021 und 05.03.2021 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.06.2021 in der Fassung des Bescheides vom 31.08.2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen dem Grunde nach bis 02.08.2021. Sie wurde zum 01.04.2021 arbeitslos, nachdem durch einen Aufhebungsvertrag ihr vormaliges Arbeitsverhältnis mit der B1 GmbH zum 31.03.2021 endete. Sie meldete sich auch arbeitslos mit Wirkung zum 01.04.2021. Die Anwartschaftszeit bezüglich des Eintritts des Leistungsfalles der Arbeitslosigkeit zum 01.04.2021 ist ebenfalls erfüllt, sodass ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld ab diesem Zeitpunkt entstanden ist. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr ist – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – im angegriffenen Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 03.05.2021 ausdrücklich der 01.04.2021 als Anspruchsbeginn vermerkt, wodurch die Entstehung des Stammrechts zum Ausdruck gebracht wird.

Jedoch ruhte der Anspruch der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2021 zumindest bis zum 02.08.2021 aufgrund des Erhalts einer Entlassungsentschädigung. Nach § 158 Abs. 1 und 2 SGB III ruht der Leistungsanspruch von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der Kündigungsfrist geendet hätte, wenn die oder der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und außerdem das Arbeitsverhältnis beendet worden ist, ohne dass die ordentliche Kündigungsfrist des Arbeitgebers eingehalten wurde. Die Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt gemäß § 158 Abs. 1 S. 3 SGB III bei 1. zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine Kündigungsfrist von 18 Monaten, 2. zeitlich begrenztem Ausschluss oder Vorliegen der Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund die Kündigungsfrist, die ohne den Ausschluss der ordentlichen Kündigung maßgebend gewesen wäre.

Unstreitig hat die Klägerin eine Entlassungsentschädigung i.H.v. 162.021,12 € erhalten. Zutreffend hat das SG gestützt auf die Angaben des Zeugen S3 zunächst dargelegt, dass das Arbeitsverhältnis der zum Ende des Arbeitsverhältnisses 56-jährigen Klägerin seit November 2001 (bis März 2021) ununterbrochen fortbestand und dass vom 01.05.2016 bis zum 30.04.2018 lediglich ein Ruhen eingetreten war, das den Fortbestand nicht tangierte, so dass § 4.4. MTV zur Anwendung kommt. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat von einer eigenen Begründung ab und verweist auf die Ausführungen des SG (§ 153 Abs. 2 SGG).

Es liegt jedoch zur Überzeugung des Senats ein zeitlich unbegrenzter Ausschluss der Kündigung vor. Zwar sieht § 4.4. MTV einen Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres vor und kann die Klägerin erst mit Vollendung des 67. Lebensjahres Regelaltersrente in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund könnte ein befristeter Ausschluss der Kündigung vom 65. bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres möglicherweise angenommen werden (vgl. zum zwischen den Tarifvertragsparteien aufgrund der Sondersituation im Zuge der Privatisierung der Post explizit vereinbarten befristeten Kündigungsausschluss: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.12.1999, B 11 AL 29/99, juris). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind jedoch auch tarifvertragliche Bestimmungen auszulegen. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (statt vieler: BAG, Urteil vom 16.11.2022, 10 AZR 210/19, juris Rn. 13, auch zum Nachfolgenden). Auszugehen ist vom Wortlaut des Tarifvertrags. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt. Außerdem sind Tarifnormen, soweit sie dies zulassen, grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen und damit Bestand haben. Gesetze sind wiederum – soweit Unionsrecht umgesetzt wird – unionsrechtskonform auszulegen, wenn dies möglich ist. Die richtlinienkonforme Auslegung eines nationalen Gesetzes kann sich demnach auf die Auslegung eines Tarifvertrags auswirken.

Zwar scheint der Wortlaut „Vollendung des 65. Lebensjahres“ zunächst klar, jedoch ist zu berücksichtigen, dass dieser aus 1973 und damit einer Zeit stammt, als die Vollendung des 65. Lebensjahres zum Bezug der Regelaltersrente berechtigte, so dass das Tatbestandsmerkmal „Vollendung des 65. Lebensjahres“ auf das Erreichen des jeweils zum Bezug einer Regelaltersrente erforderlichen Lebensalters abstellt (zur Auslegung einer insoweit gleichlautenden Betriebsvereinbarung: BAG, Urteil vom 13.10.2015, 1 AZR 853/13, juris Rn. 23, auch zum Nachfolgenden). Das Regelrentenalter wurde seit dem 01.01.1916 – und daher auch bei Abschluss des MTV 1973 – von den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigten mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht. Dies spricht dafür, die Aufnahme der auf diesen Zeitpunkt abstellenden Voraussetzung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in § 4.4. MTV als Beschreibung des Zeitpunkts zu verstehen, in dem der Mitarbeiter nach seinem Lebensalter zum Bezug einer Regelaltersrente berechtigt ist. Nach § 235 Abs. 2 Satz 1 SGB VI erreichen nur noch Versicherte, die vor dem 01.01.1947 geboren sind, die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Für die nach diesem Zeitpunkt geborenen Beschäftigten erhöht sich das Eintrittsalter für den Bezug einer Regelaltersrente entsprechend der Regelung in § 235 Abs. 2 Satz 2, § 35 Satz 2 SGB VI bis zur Vollendung des 67. Lebensjahres. Auf das 65. Lebensjahr bezogene Altersgrenzen sind daher regelmäßig dahingehend auszulegen, dass das Arbeitsverhältnis erst zu einem Zeitpunkt enden soll, ab dem der Arbeitnehmer eine Regelaltersrente beanspruchen kann (BAG, a.a.O.). Auch die mittlerweile erfolgte Anpassung der Regelung im Zuge einer kompletten Neuregelung des MTV mit Wirkung zum 01.01.2022 (§ 43.2 MTV: „Regelaltersgrenze“) unterstützt dieses Verständnis und macht den Willen der Tarifvertragsparteien deutlich, auf die Regelaltersgrenze abstellen zu wollen. Auch wenn dies ohne rechtliche Bedeutung ist, ging wohl auch die B1 GmbH von einer entsprechenden Auslegung aus, da sie andernfalls der Klägerin, die selbst immer wieder angegeben hatte, aus gesundheitlichen Gründen keinen Schichtdienst mehr leisten zu können, keine Abfindung i.H.v. 162.021,12 € angeboten hätte.

Nachdem die Auslegung des § 4.4 MTV ergab, dass der Klägerin ein unbegrenzter Kündigungsschutz zukam, hat die Beklagte zu Recht ein Ruhen bei Entlassungsentschädigung angenommen. Der Aufhebungsvertrag wurde am 24.09.2020 geschlossen, so dass der Ruhenszeitraum von 18 Monaten am 25.09.2020 begann (§ 158 Abs. 1 SGB III) und mit Ablauf des 24.03.2022 endete.

Die Klägerin hatte somit im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld.

Nach alldem ist der Berufung stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


 

Rechtskraft
Aus
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