1. Die in den Bescheiden der Unfallversicherungsträger weithin verwendete Tenorierung: „Ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen besteht nicht“ stellt bei der gebotenen Auslegung keine Regelung über konkrete Leistungsansprüche dar (BSG, Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R).
2. Zu den Besonderheiten einer Kausalitätsbeurteilung eines Achillessehnenschadens
3. Bei der Miteinbeziehung der Frage der Eignung eines Unfallhergangs in die Kausalitätsbeurteilung ist zu berücksichtigen, dass sich ein solcher angesichts der Schnelligkeit des Ablaufs, der psychischen Situation des Verunfallten (Schreck, Angst, Schmerz) und der beschränkten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit naturgemäß häufig nicht ausreichend klären lässt.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.05.2023 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung des Ereignisses vom 01.10.2019 als Arbeitsunfall.
Der 1959 geborene Kläger war bei der Firma E1 GmbH & Co. KG in R1 als Lagerarbeiter beschäftig. Ausweislich des Durchgangsarztberichts von M1 vom 01.10.2019 erlitt der Kläger an diesem Tag gegen 11.00 Uhr einen Unfall und wurde mit dem Rettungswagen in die zentrale Notaufnahme eingeliefert. Es habe sich bei der Entgegennahme einer Lieferung herausgestellt, dass das elektrische Tor defekt gewesen sei. Der Kläger habe sich deshalb mit der Schulter gegen das Tor gelehnt und sich mit dem rechten Fuß abgedrückt. Dabei habe er ein Knallen und Schmerzen im Bereich des Sprunggelenks verspürt. Sonografisch zeigte sich eine komplette Ruptur der Achillessehne mit Hämatom. Als Erstdiagnose wurde im Durchgangsarztbericht eine Achillessehnenruptur rechts genannt.
Am 09.10.2019 erfolgte im Städtischen Klinikum K1 die Naht der Achillessehnenruptur. Bei der histologischen Auswertung des dabei entnommenen Achillessehnenmaterials wurde Sehnengewebe mit frischen Einrissen und interstitiellen Einblutungen festgestellt. In den übrigen Abschnitten zeigte sich keine Texturstörung und fand sich kein Nachweis von Eisenpigmentablagerungen (histologischer Befundbericht vom 11.10.2019).
In der Unfallanzeige des Arbeitgebers direkt nach dem Unfall schilderte der Kläger das Unfallereignis wie folgt: „Ich habe versucht, ein defektes elektrisches Eisentor aufzuschieben. Das Tor ist etwa 2 Meter hoch und 10 Meter lang und besteht aus Eisen. Es ist schwer und funktioniert normalerweise elektrisch. Beim Schiebevorgang habe ich viel Kraft aufwenden müssen, um das Tor zu bewegen. Das Tor hat sich verklemmt. Mit meinem rechten Fuß habe ich mich vom nassen Boden weggedrückt. Hierbei ist meine Achillessehne gerissen.“ Ergänzend hat der Kläger in einer Stellungnahme vom 16.10.2019 gegenüber der Beklagten mitgeteilt, das Tor sei sehr schwer gewesen und er habe nicht damit gerechnet, dass eine solch starke Kraftanstrengung erforderlich werden würde, um das Tor aufzustemmen.
In seiner von der Beklagten veranlassten schriftlichen Zeugenaussage vom 08.01.2020 erklärte K2, Arbeitskollege des Klägers und beim Unfall zugegen, der Unfall habe sich beim Öffnen des Tors zugetragen. Worauf der Unfall zuzuführen sei, könne er nicht sagen.
Nach Beiziehung eines (hinsichtlich der unteren Extremitäten blanden) Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse des Klägers und ärztlicher Befundunterlagen beauftragte die Beklagte den K3 mit der Erstellung einer beratungsärztlichen Stellungnahme. In seiner Stellungnahme vom März 2020 führte K3 aus, der geschilderte Hergang sei nicht geeignet, eine traumatische Achillessehnenruptur zu verursachen. Letztlich sei es zu einer Überlastung der Sehne gekommen, die dann gerissen sei. Das Wegdrücken eines schweren und auch verklemmten Tors sei ein zielgerichteter Bewegungsvorgang. Insofern könne schon von Anfang an kein Arbeitsunfall unterstellt werden. Ein geeigneter Hergang hätte nur vorgelegen, wenn es zu einem abrupten Wegrutschen des Fußes gekommen wäre.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.03.2020 die Anerkennung des Ereignisses vom 01.10.2019 als Arbeitsunfall ab. Ansprüche auf Entschädigungsleistungen bestünden nicht. Bei dem geschilderten Ereignis habe es sich nach dem ermittelten Hergang nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt, da ein Unfall im Sinne des Gesetzes nicht vorgelegen habe. Der geschilderte Bewegungsablauf sei nicht geeignet, den beim Kläger festgestellten Körperschaden zu verursachen.
Zur Begründung seines gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, es habe sich um ein sehr schweres Eisentor gehandelt. Es sei eine unübliche und nicht alltägliche Kraftanstrengung erforderlich gewesen, um das Tor zu öffnen. Außerdem sei es sehr nass gewesen und das Tor habe sich verklemmt gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung erfordere ein äußeres Ereignis, für das eine Fehlgängigkeit im Bewegungsablauf vorgelegen haben müsse. Bei dem geschilderten Hergang (Anschieben eines schweren Tores mit Abdrücken bzw. Entgegenstemmen des Fußes) handele es sich hingegen um einen willentlich gesteuerten Bewegungsablauf. In Übereinstimmung mit der gängigen unfallmedizinischen Literatur vertrete der Beratungsarzt im Übrigen die Auffassung, dass abgesehen vom fehlenden Unfallereignis der geschilderte Hergang nicht geeignet sei, eine traumatische Achillessehnenruptur zu verursachen.
Hiergegen hat der Kläger am 03.07.2020 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft hat. Ergänzend hat er erstmalig vorgetragen, er sei mit seinem rechten Fuß beim Öffnen/Wegdrücken des Tors abgerutscht. Hierbei handele es sich gerade nicht um einen willentlich gesteuerten Bewegungsablauf. Vielmehr habe durch das Abrutschen des rechten Fußes eine Fehlgängigkeit im Bewegungsablauf vorgelegen, die letztlich den Riss der Achillessehne rechts zur Folge gehabt habe.
Das SG hat von Amts wegen den C1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom August 2022, gestützt auf eine ambulante Untersuchung, beim Kläger beidseits eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit und Belastbarkeit der Sprunggelenke nach operativer Achillessehnennaht mit Muskelminderung am rechten Oberschenkel festgestellt. Unter medizinischen Gesichtspunkten seien unfallkonkurrierende innere Ursachenfaktoren nicht erkennbar. Die feingewebliche Untersuchung des bei der Operation vom 09.10.2019 entnommenen Präparats sei eindeutig. Es werde Sehnengewebe mit frischen Einrissen und interstitiellen Einblutungen beschrieben; ohne Hinweis auf Texturstörungen, also vorbestehende degenerative Veränderungen in den übrigen Abschnitten. Auch hätten Eisenpigmentablagerungen als Hinweis auf zurückliegende stattgehabte Blutungen nicht nachgewiesen werden können. Weitere konkurrierende Ursachenfaktoren, die zu einer Schwächung der Sehnenstruktur führen könnten, seien ebenfalls nicht erkennbar. Aus medizinischer Sicht sei das Ereignis vom 01.10.2019 als wesentliche Ursache für den Riss der Achillessehne anzusehen.
Die Beklagte ist dem Gutachten unter Verweis auf die fehlende Eignung willkürlich gesteuerter Belastungen der Sehnen für eine traumatische Ruptur entgegengetreten und hat unter anderem auf ihre Auffassung stützende obergerichtliche Rechtsprechung verwiesen (Landessozialgericht <LSG> Hamburg, Urteil vom 19.06.2019, L 2 U 5/19, juris). Es sei nicht generell ausgeschlossen, dass konkurrierende Ursachen nicht vorhanden seien, nur, weil der Gutachter solche nicht erkannt habe.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 10.05.2023 hat der Kläger erklärt, er könne nicht mehr sagen, wie genau sich der Unfall im Einzelnen zugetragen habe. Es sei alles sehr schnell gegangen. Er wisse noch, dass es die ganze Nacht geregnet habe und sehr nass gewesen sei. Nachdem es geknallt gehabt habe, sei er auch sofort am Boden gelegen. Ihm habe es die Füße weggezogen.
Mit Urteil vom selben Tag hat das SG den Bescheid vom 25.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2020 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 01.10.2019 um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Das SG ist dabei davon ausgegangen, es habe gerade nicht nur ein willentlich gesteuerter, zielgerichteter Bewegungsvorgang vorgelegen, sondern der Kläger sei bei dem Versuch, das schwere Tor aufzuschieben, abgerutscht und hingefallen, wofür man sich auf die Angaben des Klägers im Klageverfahren und insbesondere seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung stütze. Dadurch sei es zu einer unphysiologischen Belastung im Sinne eines indirekten Unfallmechanismus gekommen. Die nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand für die Bejahung eines geeigneten Unfallmechanismus erforderlichen Voraussetzungen seien damit erfüllt. Das SG halte deshalb die insbesondere auf den histopathologischen Befund gestützte Einschätzung des Sachverständigen, das Ereignis vom 01.10.2019 sei die wesentliche Ursache für den Riss der Achillessehne gewesen, für überzeugend.
Gegen das der Beklagten am 30.05.2023 zugestellte Urteil hat diese am 07.06.2023 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Der Kläger habe im Verwaltungsverfahren einen physiologischen motorischen Ablauf als Unfallhergang geschildert, der ausweislich der unfallmedizinischen Literatur eine Achillessehne nicht gefährden könne. Erstmalig im Klageverfahren habe der Bevollmächtigte des Klägers ein Abrutschen auf dem nassen Boden geschildert, während der Kläger gegenüber dem Sachverständigen lediglich ein Wegdrücken berichtet und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG angegeben habe, dass er sich an Details nicht erinnern könne. Im Rahmen der Gesamtwürdigung messe man aber den zeitlich früheren und noch durch versicherungstechnische Überlegungen unbelasteten Aussagen des Klägers, dass die Achillessehne infolge einer erheblichen Kraftanspannung gerissen sei, einen höheren Beweiswert zu. Soweit das SG die Feststellung eines Arbeitsunfalls darauf gestützt habe, dass zur vollen Überzeugung feststehe, dass der Kläger ausgerutscht sei, handle es sich deshalb aus Sicht der Beklagten um eine unzulässige Sachverhaltserweiterung. Die bloße Möglichkeit, dass ein Ausrutschen stattgefunden und letztendlich zu dem Sturz geführt haben könne, reiche für die Annahme als Arbeitsunfall nicht aus. Der Sturz könne auch zwanglos mit einer akut gerissenen Sehne erklärt werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.05.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat vortragen lassen, die Kraftanstrengung, die zum Öffnen des Hoftors aufgewandt worden sei, hätte alleine für sich genommen nie zu dem Achillessehnenriss führen können. Der Riss der Achillessehne sei nur damit zu erklären, dass er beim Öffnen des Tores abgerutscht sei. Dies gelte umso mehr, als die Achillessehne nicht vorgeschädigt gewesen sei. Im Übrigen habe auch der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten überzeugend und schlüssig dargelegt, dass andere Ursachenfaktoren für den Riss der rechten Achillessehne nicht erkennbar seien und das streitgegenständliche Ereignis aus medizinischer Sicht deshalb als wesentliche Ursache für den Riss der Achillessehne anzusehen sei.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28.09.2023 und der Kläger mit Schriftsatz vom 04.10.2023 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten, über welche der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 10.05.2023, mit welchem dieses unter Aufhebung des Bescheids vom 25.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2020 festgestellt hat, dass es sich bei dem Ereignis vom 01.10.2019 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Das SG hat zutreffend die Zulässigkeit, insbesondere Statthaftigkeit, der vom Kläger erhobenen Anfechtungs- und Feststellungsklage bejaht und ebenso zutreffend und ausführlich die Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall dargestellt, weshalb der Senat von einer eigenen Darstellung absieht und die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist noch klarzustellen, dass das SG und die Beteiligten zu Recht davon ausgegangen sind, dass die streitgegenständlichen Bescheide keine über die Ablehnung eines Arbeitsunfalls hinausgehenden Regelungen beinhalten. Soweit die Beklagte im Bescheid vom 25.03.2020 weiterhin ausgeführt hat, ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen bestehe nicht, mag diese Formulierung für sich genommen missverständlich sein. Die gebotene Auslegung in Anwendung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch) ergibt aber, dass damit nicht über konkrete Leistungsansprüche, die einer Klage zugänglich wären, entschieden werden sollte. Dies ist der Begründung des hier streitbefangenen Bescheids und des Widerspruchsbescheids sowie den Begleitumständen und dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens zu entnehmen. Im gesamten Verwaltungsverfahren sind konkrete Leistungen, etwa eine Verletztenrente oder Verletztengeld, weder vom Kläger beantragt noch zu irgendeinem Zeitpunkt von der Beklagten geprüft oder auch nur erwähnt worden. Bei dieser Sachlage konnte für einen verständigen Empfänger des Bescheids kein Zweifel bestehen, dass die Beklagte allein über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls entscheiden wollte und etwaige weitergehende Leistungsansprüche nicht in Erwägung gezogen hat (zum Ganzen Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R, juris). Zwar verwendet die Beklagte auch weiterhin regelhaft die vom BSG (a.a.O.) als missverständlich bezeichnete Formulierung. Dass sie auch annähernd 20 Jahre nach der zitierten Entscheidung des BSG vom 16.11.2005 offensichtlich nicht imstande ist, zu einer präzisen und aus sich selbst heraus ohne weiteres nachvollziehbaren Verfügungstechnik zu finden, ist nicht nachvollziehbar, ändert aber nichts an der vorstehenden Bewertung.
Das SG ist im Ergebnis auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 01.10.2019 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Der als Lagerarbeiter beschäftigte Kläger befand sich bei einer Verrichtung, die im sachlichen Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand, als er das elektrische Lagertor aufstemmen wollte und zur gleichen Zeit einen Achillessehnenriss erlitt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass für die äußere Einwirkung nicht ein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu fordern ist. Zwar ist ein Unfall ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt, so die Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist aber kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, juris, auch zum Nachfolgenden). Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Die äußere Einwirkung dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das BSG hat dementsprechend eine äußere Einwirkung auch in der (unsichtbaren) Kraft, die ein schwerer und festgefrorener Stein dem Versicherten entgegengesetzt hat, gesehen (BSG, a.a.O.). Dort führte das beabsichtigte Anheben des Steins und die damit einhergehende Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile bzw. Organe des Körpers des Versicherten. Dementsprechend scheitert die Annahme eines Unfalls im Sinne des § 8 SGB VII hier nicht bereits daran, dass kein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu erkennen war. Vielmehr ist die Frage, ob eine und welche äußerliche Einwirkung vorlag, in solchen Fällen mitunter nicht ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen (BSG, a.a.O.). So verhält es sich vorliegend.
Bei der Kausalitätsbeurteilung eines Achillessehnenschadens ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Achillessehne um die stärkste Sehne des menschlichen Körpers handelt und ein Riss nur dann auftreten kann, wenn eine einwirkende Zugbelastung die Zugbelastbarkeit der Sehne zum Belastungszeitpunkt überschreitet, so C1. Nach dem gegenwärtig wohl herrschenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand setzen traumatische Verletzungen der Achillessehne bei einem hier einzig in Betracht kommenden indirekten Unfallmechanismus unphysiologische, also nicht der anatomisch-biomechanischen Bestimmung der Achillessehne entsprechende Belastungen voraus, wobei es sich um Mechanismen im Sinne von Störfaktoren handelt, welche die Sehne unter Belastungsspitzen setzen können, ohne dass sich die Zugspannung, d.h. die durch die Querschnittsfläche der Sehne verlaufende Kraft, – koordiniert gesteuert und gebremst von der vorgeschalteten Muskulatur – systematisch aufbauen kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 423 f.). Als Beispiel einer solchen unphysiologischen Belastung werden genannt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.):
Abrutschen bzw. Verfehlen einer Stufe mit dem Vorfuß beim Hochgehen auf der Treppe oder Tritt mit der Ferse voraus in eine nicht erkennbare Vertiefung, sodass mehr oder weniger das gesamte Körpergewicht auf dem Vorfuß und damit auf der angespannten Sehne lastet,
Sturz aus der Höhe unter gleichzeitiger fußrückenwärtiger Belastung des Fußes,
Sturz nach vorn bei fixiertem Fersenbein,
Sturz nach vorn mit Anwinkelstellung des Fußes
Extrembelastung mit Abweichungen vom geplanten und koordinierten Ablauf, zum Beispiel beim schnellen Antritt.
Demgegenüber können physiologische und gewollte motorische Abläufe, wie das Umknicken, Schieben, Entgegenstemmen, Heben und Tragen, der Sprung aus der Hocke, der Tritt in die Wade des Standbeins oder der Tritt auf eine Bordsteinkante, eine Achillessehne regelmäßig nicht gefährden. Dieser tradierte Lehrsatz, nachdem eine gesunde Achillessehne bei einem physiologischen Ablauf nicht reißen könne, wird allerdings zunehmend in Frage gestellt. Insoweit kann auf das Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 16.11.2017 (L 6 U 64/16, juris) verwiesen werden, welches unter Bezugnahme auf neuere wissenschaftliche Abhandlungen (u.a. Schröter, Trauma und Berufskrankheit, 2016, S. 66 f), die Auffassung vertritt, eine unphysiologische Bewegung sei nicht erforderlich.
Letztlich kann eine Klärung dieser Frage aber dahingestellt bleiben. Denn bei allen Überlegungen zur Frage der Eignung eines Unfallhergangs darf nicht außer Acht bleiben, dass sich ein solcher angesichts der Schnelligkeit des Ablaufs, der psychischen Situation des Verunfallten (Schreck, Angst, Schmerz) und der beschränkten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit naturgemäß häufig nicht ausreichend klären lässt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das laienhafte Verständnis der Versicherten von Unfallabläufen – insbesondere, was die Gewichtung bzw. Bedeutung der verschiedenen schädigenden (Unfall-)Faktoren angeht – und dementsprechend die hierauf beruhende Unfallschilderung regelmäßig nicht mit den feinsinnig ausdifferenzierten unfallmedizinischen und unfallrechtlichen Erkenntnissen und Erwartungen an einen geeigneten Unfallhergang korrespondiert. Danach ist es vorliegend zwar sicherlich zu weitgehend, wenn das SG „zur vollen Überzeugung“ von einem mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft „kompatiblen“ Unfallhergang in Gestalt eines Ausrutschens des Klägers ausgeht. Der Kläger selbst hat zu keiner Zeit mit Sicherheit angegeben, abgerutscht zu sein. Allerdings hat der Kläger von jeher betont, dass der Boden vor dem Lagertor sehr nass gewesen sei und er vom Gewicht des Lagertors beim Aufstemmen überrascht worden sei. Darüber hinaus hat der Kläger sowohl gegenüber dem Sachverständigen wie dann auch im Rahmen der Anhörung vor dem SG in typischer Weise erklärt, dass er den Unfallhergang im Einzelnen gar nicht wiedergeben könne, weil alles so schnell gegangen sei. Eine unphysiologische Belastung, weil der Kläger bei einer Extrembelastung, dem Aufschieben des sehr schweren Lagertors, mit dem Fuß auf dem sehr nassen Grund möglicherweise keinen Halt mehr gefunden hat und abgerutscht ist, ohne dass dieser dem angesichts der hohen Geschwindigkeit des Ereignisablaufs und des sofort einsetzenden Schmerzes noch große Beachtung geschenkt hätte, ist somit zwar nicht nachgewiesen, aber auch alles andere als fernliegend, so auch C1. Zusammenfassend kann ein geeigneter Verletzungsmechanismus vorliegend nicht ausgeschlossen werden. Angesichts der oben beschriebenen Unsicherheiten beim Unfallhergang gerade im konkreten Fall kann die Ereignisanalyse deshalb in der Zusammenhangsbewertung als Anhaltspunkt, sicherlich aber nicht als alleiniges Argument für oder gegen eine Kausalität gelten.
Die weiteren für die Kausalitätsbeurteilung heranzuziehenden Kriterien sprechen deutlich für eine traumatische Ruptur durch das Unfallereignis, weshalb der Senat, wie bereits das SG, keine Zweifel daran hat, dass die Achillessehnenruptur rechts mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 01.10.2019 zurückzuführen ist.
So ergab die feingewebliche Untersuchung des bei der Operation vom 09.10.2019 und damit ausgesprochen unfallzeitnah (vergleiche zu diesem Erfordernis Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 414) entnommenen Präparats ein eindeutiges Ergebnis (C1). Es wurde Sehnengewebe mit frischen Einrissen und interstitiellen Einblutungen ohne Hinweis auf Texturstörungen, also auf vorbestehende degenerative Veränderungen in den übrigen Abschnitten, beschrieben. Auch konnten Eisenpigmentablagerungen als Hinweis auf zurückliegende stattgehabte Blutungen nicht nachgewiesen werden. Anhaltspunkte für konkurrierende innere Ursachenfaktoren, insbesondere degenerative Prozesse, ließen sich der histopathologischen Untersuchung nicht entnehmen. Vielmehr weist das Ergebnis der feingeweblichen Untersuchung sehr deutlich auf eine traumatische Schädigung hin, so C1.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, so aber die Beklagte, dass die histologische Untersuchung (selbstverständlich) nur Auskunft über den Zustand der untersuchten Gewebeteile geben kann. Relevanz besitzt in erster Linie die Beschaffenheit bzw. Frage der degenerativen Veränderung der Sehne im Rissbereich, während aus einer im sonstigen Sehnenverlauf möglicherweise vorhandenen Abnutzung im Hinblick auf den andernorts angetroffenen Riss nicht auf eine auch dort vorliegende Degeneration geschlossen werden könnte. Die Beklagte lässt außer Acht, dass auch eine konkurrierende innere Ursache, hier eine degenerative Schädigung der Sehne an der operierten Stelle, nach der Rechtsprechung des BSG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen muss und die bloße Möglichkeit nicht genügt (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R, juris; BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 23/05 R, juris), was im Übrigen auch für das Ausmaß der inneren Ursache gilt (BSG, Urteil vom 06.12.1989, 2 RU 7/89, juris).
Auch aus der 1992 operativ versorgten Achillessehnenruptur links lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten im Berufungsverfahren, die darin wohl ein Indiz für eine (angeborene) Schwäche der Sehnenstruktur sieht, kein konkurrierender Ursachenfaktor ableiten. Der Kläger hat diese Verletzung im Rahmen eines Sportunfalls 1992 erlitten, ohne dass irgendwelche Anhaltspunkte für konkurrierende innere Ursachen, die zur Ruptur der Sehne damals beigetragen hätten, bestehen oder daraus eine Indizwirkung für die hier streitgegenständliche Sehnenruptur rechts, die erst 27 Jahre später eingetreten ist, abgeleitet werden könnte. Dementsprechend hat C1, für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, der Achillessehnenruptur im Jahre 1992 keine Relevanz für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs beigemessen.
Weitere konkurrierende Ursachenfaktoren, die zu einer Schwächung der Sehnenstruktur führen könnten, wie beispielsweise Übergewicht, Diabetes, Einnahme von Medikamenten (Kortikoide, Immunsuppressiva, Fluorchinolon-Antibiotika), entzündliche Veränderungen, rheumatische Erkrankungen oder Autoimmunkrankheiten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 422) sind, so der Sachverständige, ebenfalls nicht erkennbar.
Für eine traumatische Achillessehnenruptur spricht in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der histologischen Untersuchung die Schilderung des weiteren Unfallhergangs durch den Kläger in seinen Angaben gegenüber dem D-Arzt, dem Sachverständigen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG. So hat der Kläger konsistent über den charakteristischen Knall beim Zerreißen der Sehne und sofort einsetzende Schmerzen berichtet (LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O., auch zum Nachfolgenden). In gleicher Weise belegen die Notwendigkeit der sofortigen Vorstellung beim Unfallarzt mittels Rettungstransportwagen, dass dort festgestellte Hämatom (vergleiche Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 422) und der dort sofort diagnostizierte Achillessehnenriss einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis.
Zusammenfassend kann lediglich der nicht eindeutig geklärte Unfallhergang gegen einen Zusammenhang zwischen Achillessehnenruptur und Unfall ins Feld geführt werden. Demgegenüber sprechen der eindeutige histologische Befund, fehlende sonstige konkurrierende Faktoren, die Schilderung des Klägers von einem lauten Knall und den sofort einsetzenden Schmerzen, die sofortige notfallmäßige Vorstellung beim Arzt und der dort sofort diagnostizierte Achillessehnenriss für einen unmittelbaren Zusammenhang im rechtlich-wesentlichen Sinne zwischen dem Ereignis vom 01.10.2019 und der Achillessehnenruptur, weshalb C1 das Ereignis vom 01.10.2019 als wesentliche Ursache für den Riss der Achillessehne rechts angesehen hat. Nach alledem ist auch zur Überzeugung des Senats der nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilende Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 01.10.2019 und der Achillessehnenruptur rechts mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit bewiesen. Bei dem Ereignis vom 01.10.2019 hat es sich damit um ein nicht auf einer inneren Ursache begründetes plötzliches Geschehen gehandelt, bei dem ein Gesundheitserstschaden in Form der Achillessehnenruptur rechts eingetreten ist, mithin um einen Arbeitsunfall.
Das SG hat demnach zu Recht festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 01.10.2019 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.