Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 13. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist in der Sache die Berücksichtigung höherer Kosten der Unterkunft im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig, verfahrensrechtlich die Bevollmächtigung des als Klägervertreter auftretenden Rechtsanwalts S1 (im Weiteren: Rechtsanwalt S.).
Der 2004 geborene Kläger lebt mit seiner im Jahr 1975 geborenen Mutter A1 (im Weiteren: A.) und seiner im Jahr 2007 geborenen Schwester in einer Mietwohnung in U1. Die monatliche Kaltmiete beträgt 650,00 Euro zuzüglich 200,00 Euro Heiz- und Nebenkosten. Nach der Trennung der A. von ihrem Ehemann, dem Vater des Klägers, und der Räumung ihrer bisherigen Wohnung bezog die damals im Bezug von Leistungen nach dem SGB II stehende A. im Jahr 2015 mit dem Kläger, seiner Schwester und dem älteren, 1995 geborenen Bruder die vorgenannte Wohnung ohne eine vorherige Zusicherung des Beklagten. Nachdem der Beklagte für sechs Monate die tatsächlichen Kosten der Unterkunft bezahlt hatte, bewilligte er nach dem Auszug des älteren Bruders des Klägers der aus A., dem Kläger und seiner Schwester bestehenden Bedarfsgemeinschaft nur noch die als angemessen festgesetzten Unterkunftskosten von 510 Euro monatliche Kaltmiete für einen Drei-Personen-Haushalt (s. Gutachten zur Entwicklung von Angemessenheitsobergrenzen für die Kosten der Unterkunft von U1 vom 26. November 2015, Bl. 53 ff. SG-Akte).
Mit Bescheid vom 1. August 2018 lehnte der Beklagte den Antrag der A. auf Übernahme der Kosten der Unterkunft in voller Höhe ab, wogegen Rechtsanwalt S. mit Schreiben vom 24. August 2018 Widerspruch einlegte und mitteilte, dass A. von ihm anwaltlich vertreten werde. Eine Vollmacht legte Rechtsanwalt S. nicht vor, jedenfalls ist eine solche der Verwaltungsakte des Beklagten nicht zu entnehmen. Nachdem der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2018 als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob Rechtsanwalt S. im Namen der A. – ausdrücklich auch als gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder – Klage beim Sozialgericht Ulm (SG; – S 11 AS 3112/18 –). Auf seitens des SG geäußerte Bedenken gegen das von dem Beklagten zugrunde gelegte schlüssige Konzept und einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag, einigten sich die Beteiligten dahingehend, dass der Beklagte den dortigen Klägern für den Zeitraum vom 1. April 2018 bis 30. September 2018 ausgehend von den entsprechenden in der Wohngeldtabelle festgelegten Kosten zuzüglich eines zehnprozentigen Sicherheitszuschlags weitere 696 Euro, bzw. monatlich 116 Euro, für die Kosten der Unterkunft gewährt (Beschluss vom 27. Januar 2022). Eine Vollmacht legte Rechtsanwalt S. auch im Gerichtsverfahren nicht vor.
Mit Bescheid vom 16. April 2020 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg der A. ab dem 1. Februar 2020 eine befristete, mit Bescheiden vom 24. November 2020 und 2. Mai 2022 bis zum 30. April 2024 weiterbewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung (monatlicher Zahlbetrag ab dem 1. Juli 2020: 658,96 Euro, ab dem 1. Juni 2022 657,48 Euro). Der Beklagte führte die A. deswegen im Weiteren nicht mehr als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und nunmehr den Kläger als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft.
Auf den – von der A. unterzeichneten – Weiterbewilligungsantrag vom 13. September 2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Schwester mit Bescheid vom 17. September 2021 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27. November 2021, 15. Februar 2022 und 29. April 2022 vorläufige Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. November 2021 bis zum 30. April 2022 und berücksichtigte dabei 433,34 Euro Grundmiete sowie 133,34 Euro Nebenkosten als Bedarfe der Unterkunft und Heizung der Bedarfsgemeinschaft. Hierbei berücksichtigte der Beklagte auch das ihren Bedarf – einschließlich von Grundmiete- und Nebenkostenanteilen von 216,67 Euro bzw. 66,67 Euro – übersteigende und auf die Bedarfsgemeinschaft des Klägers und seiner Schwester zu verteilende Einkommen der A.
Mit Bescheid vom 1. Juni 2022 bewilligte der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2021 bis zum 30. April 2022 endgültig und berücksichtigte dabei die Kosten der Unterkunft und Heizung in unveränderter Höhe.
Mit am 27. Juni 2022 bei dem Beklagten eingegangenen Schreiben vom selben Tag legte Rechtsanwalt S. gegen den Bescheid vom 17. September 2021 Widerspruch ein. Der Kläger werde von ihm anwaltlich vertreten. Der Bescheid sei abzuändern und die Kosten der Unterkunft in voller Höhe zu übernehmen. Die Widerspruchsfrist betrage ein Jahr, da die Rechtsmittelbelehrung falsch sei.
Hierauf forderte der Beklagte mit Schreiben ebenfalls vom 27. Juni 2022 (taggleich per beA übersandt) Rechtsanwalt S. auf, bis zum 11. Juli 2022 eine Vertretungsvollmacht vorzulegen. Sollte diese bis zum genannten Termin nicht vorliegen, werde der Widerspruch als unzulässig verworfen. Eine Reaktion erfolgte nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2022 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Gemäß § 13 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könne sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Der Bevollmächtigte habe auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Dieser Aufforderung sei der Bevollmächtigte nicht nachgekommen. Ohne die Vollmacht sei eine ordentliche Vertretung nicht nachgewiesen, der Widerspruch mithin nicht in zulässiger Weise eingelegt.
Hiergegen hat Rechtsanwalt S. am 6. Oktober 2022 – unter Anzeige der Vertretung des Klägers, aber ohne Vorlage einer Vollmacht – Klage beim SG erhoben, gerichtet auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2022 und Zurückverweisung der Sache an den Beklagten, hilfsweise dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 19. September 2021 (gemeint: 17. September 2021) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2022 höhere Leistungen unter Berücksichtigung der Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe zu gewähren. Es sei so, dass er – Rechtsanwalt S. – die Mutter des Klägers, welche Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft gewesen sei, in der Sache S 11 AS 3112/18 vertreten habe. Der Kläger sei früher Teil dieser Bedarfsgemeinschaft gewesen. Der Beklagte habe nicht davon ausgehen können, er – Rechtsanwalt S. – sei nicht bevollmächtigt. Der Beklagte hat darauf bestritten, dass eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung von Rechtsanwalt S. im Verwaltungsverfahren vorgelegen habe oder im Klageverfahren vorliege.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2023 abgewiesen. Die im Hauptantrag allein gegen den Widerspruchsbescheid, mit dem der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen wurde, gerichtete Klage sei unbegründet. Der Beklagte habe den von Rechtsanwalt S. erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. September 2021 zu Recht wegen Fehlens des Nachweises der Vollmacht des Klägervertreters für das Widerspruchsverfahren als unzulässig verworfen. Die hilfsweise gegen den Bescheid vom 17. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2022 gerichtete Klage sei unzulässig. An einer Sachentscheidung über die mit Bescheid vom 17. September 2021 bewilligten Leistungen sei das Gericht aufgrund der Bestandskraft gehindert.
Gegen die Rechtsanwalt S. am 17. Juni 2023 zugestellte Entscheidung des SG hat dieser am 20. Juni 2023 beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Rechtsanwalt S. hat vorgetragen, dass abzüglich der Postlaufzeit von drei Tagen, die auch bei elektronischer Übermittlung gelte, die Frist zur Vorlage einer Vollmacht elf Tage betragen habe (gemeint wohl die diesbezügliche Fristsetzung im Widerspruchsverfahren – Anm. d. Senats). Dies sei zu kurz. Der Beklagte sei auch zu einer Rüge der Bevollmächtigung nicht mehr berechtigt gewesen, weil die Anforderung einer Vollmacht im Verwaltungsverfahren rechtswidrig gewesen sei. Darüber hinaus stehe einer Rüge des Beklagten auch die partielle Rechtskraft des Gerichtsbescheides entgegen. Darin werde er als Prozessbevollmächtigter benannt. Seine Bevollmächtigung ergebe sich quasi aus dem Rubrum und dem Tenor und somit sogar aus einer öffentlichen Urkunde.
Für den Kläger beantragt Rechtsanwalt S., sachgerecht gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 13. Juni 2023 aufzuheben und die Sache unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2022 an den Beklagten zur Entscheidung in der Sache zurückzuverweisen,
hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 13. Juni 2023 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2022, zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Zeitraum vom 1. November 2021 bis zum 30. April 2022 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Mit Verfügung vom 3. Juli 2023, Erinnerungen vom 28. Juli 2023 und 28. August 2023 sowie weiterer Verfügung vom 20. September 2023, dem Rechtsanwalt S. am selben Tag zugestellt (elektronisches Empfangsbekenntnis, Bl. 27 Senatsakte), ist Rechtsanwalt S. aufgefordert worden, seine Bevollmächtigung seitens des Klägers zur Verfahrensführung nachzuweisen, zuletzt unter Setzung einer Frist bis zum 12. Oktober 2023. Mit Verfügung vom 4. März 2024 ist Rechtsanwalt S. ergänzend darauf hingewiesen worden, dass ein fehlender Nachweis der Bevollmächtigung die Unzulässigkeit der Berufung bedingen dürfte. Eine Vollmacht ist von Rechtsanwalt S. nicht vorgelegt worden.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Prozessakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist bereits deswegen unzulässig, weil es an einer Prozessvollmacht des als anwaltlicher Vertreter (nur) des – zwischenzeitlich volljährigen, aber auch bereits bei Klageerhebung gemäß § 71 Abs. 2 SGG i.V.m. § 36 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) prozessfähigen und zu Beginn des zugrundeliegenden Verwaltungsverfahrens auch insoweit gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.Vm. § 36 SGB I handlungsfähigen – Klägers auftretenden Rechtsanwalt S. fehlt und damit an einer Prozessvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung.
Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG können sich die Beteiligten durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmacht ist gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen (§ 73 Abs. 6 Satz 2 SGG). Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden (§ 73 Abs. 6 Satz 4 SGG). Nach § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt.
Vorliegend hat der Beklagte den Mangel der Vollmacht des Rechtsanwalt S. bereits im Klageverfahren gerügt. Diese Rüge wirkt auch im Rechtsmittelverfahren fort (vgl. Bundesgerichtshof <BGH>, Urteil vom 27. Mai 1986 – IX ZR 152/85 – juris Rdnr. 14). Soweit Rechtsanwalt S. meint, der Beklagten sei zur Rüge der Bevollmächtigung im Gerichtsverfahren nicht mehr berechtigt gewesen, weil die Frist zur Vorlage der Vollmacht im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren zu kurz gewesen sei, ist dies abwegig. Ungeachtet der hier nicht entscheidungsrelevanten Frage der erforderlichen Fristdauer zur Vollmachtvorlage, folgen aus dieser keine Auswirkungen auf das Erfordernis der Bevollmächtigung bzw. deren Nachweis für das insoweit eigenständige Klage- und Berufungsverfahren sowie der entsprechenden Rüge.
Trotz wiederholter Aufforderung, zuletzt mit der am 20. September 2023 zugestellten und mit einer Fristsetzung bis zum 12. Oktober 2023 versehenen Verfügung, hat Rechtsanwalt S. – der bereits im Verfahren S 11 AS 3112/18 wie auch dem vorangegangenen Verwaltungs- und Klageverfahren keine Vollmacht vorgelegt hat – seine Bevollmächtigung jedoch nicht nachgewiesen. Der Nachweis der Bevollmächtigung ist auch nicht dadurch geführt, dass Rechtsanwalt S. im Rubrum des Gerichtsbescheides – wie auch des hiesigen Urteils – als Bevollmächtigter des Klägers benannt wird, denn es wird insoweit keine Aussage über das Vorliegen einer (wirksamen) Bevollmächtigung, sondern lediglich über die gegenüber dem Gericht behauptete bzw. angemaßte Stellung als Prozessbevollmächtigter getroffen. Auch ist der Kläger selbst Beteiligter des hiesigen Verfahrens und als solcher im Rubrum aufgeführt, obwohl ein anderer dies als vollmachtloser Vertreter in seinem Namen angestrengt hat (vgl. etwa Bundesfinanzhof <BFH>, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80 –, BFHE 134, 216, BStBl II 1982, 128-130, juris Rdnr. 14).
Die Berufung ist damit nicht in zulässiger Weise eingelegt worden und gemäß § 158 Satz 1 SGG zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 2245/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 1776/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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