L 4 KR 1508/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 18 KR 1006/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1508/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Soweit nach § 3 Abs. 1a BeitrVerfGrds SelbstZ Einnahmen eines selbständig Erwerbstätigen, die steuerrechtlich als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit behandelt werden, als Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV gelten, ist bei der Berechnung der Einkünfte im Rahmen der endgültigen Beitragsfestsetzung ein horizontaler Verlustausgleich zulässig.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 24. April 2024 abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerinnen vom 7. November 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2024 wird angeordnet, soweit darin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für das Jahr 2021 aus beitragspflichtigen Einnahmen von mehr als 45.602,00 € festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerinnen tragen ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

 


Gründe

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere nicht ausgeschlossen nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Denn der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollziehbarkeit einer endgültigen Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2021 (resultierender Beitragsrückstand in Höhe von insgesamt 8.462,15 €). Unter Berücksichtigung des Begehrens des Antragstellers, die Beiträge nur nach dem zu versteuernden Einkommen festzusetzen (14.472,00 € statt der herangezogenen 54.529,00 €), übersteigt der Beschwerdewert 750,00 €.

2. Zu Recht ist das Sozialgericht Freiburg (SG) im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass das Begehren des Antragstellers auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) seiner Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2024 gerichtet ist, soweit darin die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für das Jahr 2021 endgültig festgesetzt wurden. Die Beschränkung auf diese (rückwirkende) endgültige Beitragsfestsetzung ergibt sich unmittelbar aus dem in der Klageschrift formulierten Antrag („der Beitragsberechnung des Klägers für das Jahr 2021“). Konkret ist das Begehren auf die Festsetzung dieser Beiträge nach der „gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter der Heranziehung des Steuerrechts (zu versteuerndes Einkommen)“ gerichtet.

3. Die Beschwerde ist nur teilweise begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 7. November 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2024 ist insoweit anzuordnen, als die Beiträge aus jährlichen beitragspflichtigen Einnahmen von mehr als 45.602,00 € festgesetzt wurden. Im Übrigen hat das SG den Antrag zu Recht abgelehnt.

Es hat im angefochtenen Beschluss die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung, die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Beitragsfestsetzungen grundsätzlich entfallen zu lassen (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG), zutreffend dargestellt und zu Recht sowohl ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung unter Nichtberücksichtigung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als auch eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte verneint. Der Senat nimmt insoweit nach eigener Prüfung auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

a) Dass die Beklagten der endgültigen Beitragsfestsetzung für 2021 die sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2021 ergebenden – positiven – Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen zugrunde gelegt haben, ohne diese mit den – negativen – Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu „verrechnen“, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, sondern entspricht den rechtlichen Vorgaben unter Einschluss der hierzu ergangenen Rechtsprechung.

Für freiwillige Mitglieder – wie vorliegend den Antragsteller – wird die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (§ 240 Abs. 1 Satz 1, 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V). In Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben sind die Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler [BeitrVerfGrds SelbstZ]) erlassen worden. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrds SelbstZ sind als beitragspflichtige Einnahmen das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen. Als gesetzlich vorgegebener Mindestumfang bestimmen schon § 240 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Beitragspflicht des Arbeitsentgelts, des Arbeitseinkommens, des Zahlbetrags der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Versorgungsbezüge. Bereits hieraus ergibt sich, dass es entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht auf das „zu versteuernde Einkommen“ i.S. des Einkommensteuerrechts ankommt. Die rechtlichen Grundlagen bieten hierfür keinen Anknüpfungspunkt, insbesondere nicht für eine pauschale Verknüpfung mit dem Einkommensteuerrecht. Lediglich für das Arbeitseinkommen – als eine von mehreren beitragspflichtigen Einnahmen – sieht § 15 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) eine – hierauf begrenzte – Verweisung ins Einkommensteuerrecht vor: Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist.

Anknüpfungspunkt für die Beitragsbemessung ist mithin die Summe – nicht Saldierung – aller Einnahmen. Bei der Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen nach § 240 SGB V ist damit entgegen der Auffassung des Antragstellers ein vertikaler Verlustausgleich unter verschiedenen Einkunftsarten nicht zulässig. Neben der Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds anhand der Gesamtheit der Einnahmen ist dabei insbesondere das gesetzliche Ziel zu berücksichtigen, eine Besserstellung freiwillig Versicherter gegenüber versicherungspflichtig Beschäftigten zu verhindern, bei denen das Gesetz einen Verlustausgleich gerade nicht vorsieht. Der vertikale Verlustausgleich ist daher auch zwischen Einkunftsarten, die nur bei freiwillig Versicherten beitragspflichtig sind, ausgeschlossen, weil dieser Ausschluss ein wesentliches Element zur Vermeidung einer beitragsrechtlichen Privilegierung von freiwillig Versicherten, insbesondere freiwillig versicherten Selbständigen, gegenüber versicherungspflichtig Beschäftigten und anderen Versicherungspflichtigen, ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. August 2006 – B 12 KR 8/06 R – juris, Rn. 17). Gerade diese Zielsetzung macht deutlich, dass der Ausschluss eines vertikalen Verlustausgleichs undifferenziert für alle freiwillig Versicherten gilt und insbesondere auch für selbständig Tätige. Der Einwand des Antragstellers, die von den Antragsgegnerinnen und dem SG angeführten Entscheidungen des BSG beträfen andere Versichertengruppen, trägt daher nicht. Gleiches gilt für seinen Einwand, die zitierte Rechtsprechung sei veraltet. Die diese Rechtsprechung tragenden gesetzlichen Grundlagen haben sich nicht geändert. Dementsprechend führt auch das BSG diese Rechtsprechung, der der Senat folgt, weiter (BSG, Urteile vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 21/11 R – juris, Rn. 28; vom 28. Mai 2015 – B 12 KR 12/13 R – juris, Rn. 28; vom 24. November 2020 – B 12 KR 31/19 R – juris, Rn. 21). Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs in der Kommentierung durchgehend bejaht (Ulmer, in: BeckOK Sozialrecht, Stand: Juni 2024, SGB V, § 240 Rn. 16.1 – Stichwort Verlustausgleich; Gerlach, in: Hauck/Noftz SGB V, Stand 2024, § 240 Rn. 62, 63; Vossen, in: Krauskopf, SGB V, Stand Februar 2024, § 240 Rn. 17; Mecke, in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl. 2022, § 240 Rn. 9; Buhr, in LPK-SGB V, 6. Aufl. 2022, § 240 Rn. 9). Soweit der Antragsteller unter Bezug auf die Kommentierung (Beck, in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, SGB V, Stand: März 2022, § 240 Rn. 35) auf allgemeine Regelungsprobleme unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verweist, ergibt sich bereits aus dem Vorstehenden, dass der – für alle freiwillig Versicherten geltende – Ausschluss eines vertikalen Verlustausgleichs der Vermeidung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung versicherungspflichtiger Mitglieder dient, mithin gerade eine Forderung des Gleichbehandlungsgrundsatzes umsetzt. Die weitere vom Antragsteller zitierte Passage dieser Kommentierung hinsichtlich der Heranziehung von Steuerrecht betrifft ebenfalls nicht den vertikalen Verlustausgleich, sondern die – hinzunehmende – Privilegierung der freiwillig Versicherten gegenüber den Pflichtversicherten hinsichtlich der Brutto/Netto-Berücksichtigung von Einnahmen.

b) Ernstliche Zweifel bestehen jedoch an der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung, soweit die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen negativen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (- 8.927,00 €) nicht einkommensmindernd berücksichtigt wurden. Nach § 3 Abs. 1a BeitrVerfGrds SelbstZ gelten Einnahmen eines selbständig Erwerbstätigen, die steuerrechtlich als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit behandelt werden, als Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV. Solche Einnahmen werden durch diese Regelung mithin (beitragsrechtlich) derselben Einkommensart i.S. des § 240 Abs. 1 SGB V (Arbeitseinkommen) zugewiesen wie die (steuerrechtlichen) Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Es handelt sich somit bei einer Saldierung dieser Einkünfte nicht um einen (ausgeschlossenen) vertikalen, sondern um einen horizontalen Verlustausgleich innerhalb derselben Einnahmeart. Ein solcher ist jedoch zulässig (BSG, Urteil vom 9. August 2006 – B 12 KR 8/06 R – juris, Rn. 18 m.w.N.). Da die Antragsgegnerinnen bei der Heranziehung des Arbeitseinkommens zur Beitragsfestsetzung die (steuerrechtlichen) Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 50.360,00 € ohne Abzug der negativen (steuerrechtlichen) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt haben, stellt sich die Beitragsfestsetzung nach summarischer Prüfung in diesem Umfange als rechtswidrig dar. Heranzuziehen waren mithin ein Arbeitseinkommen in Höhe von 41.433,00 € sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen (bereinigt um Werbungskosten) in Höhe von 4.169,00 €, insgesamt also lediglich 45.602,00 €. Hinsichtlich der darüber hinaus vorgenommenen Beitragsfestsetzung war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

c) Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte hat das SG aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen zu Recht verneint. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass den Einwänden des Antragstellers zu seinen laufenden Einkommensverhältnissen, seinen Unterhaltsverpflichtungen und der Sicherung des Lebensunterhalts im Verhältnis zu den Regelsätzen des Grundsicherungsrechts auf einer späteren Stufe im Rahmen der Pfändungsschutzregelungen in der Zwangsvollstreckung ausreichend Rechnung getragen werden kann. Einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf der Stufe der Beitragsfestsetzung bedarf es hierzu nicht. Darüber hinaus stehen die – in einem gesonderten Verfahren geltend zu machenden – Möglichkeiten der Ratenzahlung oder Stundung zur Verfügung. Schließlich hat der Antragsteller, insbesondere unter Berücksichtigung von im Einkommensteuerbescheid ausgewiesener Einkünfte aus Kapitalvermögen, auch nicht substantiiert dargelegt, dass ihm eine Zahlung aus gegebenenfalls vorhandenem Vermögen nicht möglich sein sollte.

4. Die Kostenerstattung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

5. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). 





 

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