L 2 SO 1237/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 19 SO 135/24
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1237/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. März 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form von Leistungen zur Sozialen Teilhabe und Assistenzleistungen im eigenen Wohn- und Sozialraum.

Der 1995 geborene Kläger leidet an einer dauerhaften geistigen Behinderung bei Trisomie 21 (sog. Down-Syndrom). Er ist seit seiner Geburt schwerbehindert. Es wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen „G“ und „H“ festgestellt (vgl. Schwerbehindertenausweis, gültig ab 30.10.1995). Der Kläger ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe P1 tätig und bezieht vom Beklagten inzwischen (ergänzend) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Die Mutter des Klägers, W1, ist dessen rechtliche Betreuerin.

Mit Schreiben vom 20.10.2022, eingegangen beim Beklagten am 24.10.2022 (Bl. 67 VA), beantragte der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin, Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines persönlichen Budgets „rückwirkend zum 01.01.2021 bzw. zum 01.12.2021“. Man habe von diesem Anspruch erst am 13.10.2022 erfahren und könne den Antrag daher erst jetzt stellen. Eigentlich habe der Beklagte hier eine Auskunfts- und Beratungspflicht gehabt.

Mit Schreiben vom 17.04.2023, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe am 18.04.2023, lies der Kläger Untätigkeitsklage erheben und begehrte die Bescheidung seines Antrages auf Eingliederungsleistungen. Dieses zunächst beim SG unter dem Aktenzeichen S 5 SO 904/23 geführte Verfahren wurde ausgesetzt, dann unter dem Aktenzeichen S 5 SO 1919/23 fortgesetzt und die Untätigkeitsklage mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2023 abgewiesen. Die hiergegen erhobene Berufung ist beim Senat unter dem Aktenzeichen L 2 SO 3242/23 geführt und mit Urteil vom 15.05.2024 zurückgewiesen worden.

Mit Bescheid vom 14.08.2023 (Bl. 308 VA) bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur sozialen Teilhabe gemäß § 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 in Verbindung mit § 105 Abs. 4 und § 29 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Form von Assistenzleistungen im eigenen Wohn- und Sozialraum als persönliches Budget ab 01.10.2022 bis auf weiteres. Der Zahlbetrag belaufe sich auf 520,00 Euro monatlich.
Die Betreuerin erhob am 01.09.2023 Widerspruch gegen diesen Bescheid.

Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 06.09.2023 (Bl. 527 VA) mit, dass der Kläger hinsichtlich einer rückwirkenden Auszahlung/ Nachzahlung des persönlichen Budgets ab dem 01.01.2021 bzw. 01.12.2021 noch einen separaten rechtsmittelfähigen Bescheid erhalte.

Mit Bescheid vom 07.09.2023 (Bl. 529 VA) lehnte der Beklagte dann den Antrag auf rückwirkende Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe ab dem 01.01.2021 bzw. 01.12.2021 ab. Leistungen der Eingliederungshilfe würden nur auf Antrag erbracht (vgl. § 108 Abs. 1 SGB IX). Dieser sei vom Kläger erstmals am 20.10.2022 gestellt worden, so dass eine frühere Gewährung nicht in Betracht komme.

Mit Schreiben vom 11.09.2023, eingegangen beim SG Karlsruhe am 12.09.2023, erhob der Kläger Klage („Klage Nr. 37“) und führte aus, dass der Beklagte den Widerspruch vom 01.09.2023 mit „Schreiben vom 07.09.2023 (…) abgelehnt“ habe. Daher sei Klage geboten. Der Kläger habe bereits am 16.09.2022 einen Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt. Die Akten des Beklagten würden nicht ordnungsgemäß geführt werden. Dieses Verfahren erhielt das Aktenzeichen S 5 SO 2234/23. Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 16.10.2023 in diesem Verfahren mit (Bl. 17 ff. SG-Akte), dass es sich bei dem Bescheid vom 07.09.2023 nicht um einen Widerspruchsbescheid, sondern um einen Ablehnungsbescheid bezüglich der rückwirkenden Gewährung der Eingliederungsleistungen, handle. Die vorliegende Klage sei daher unzulässig. Das SG wies daraufhin nach vorheriger Anhörung der Beteiligten diese Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2023 (Bl. 32 ff. SG-Akte) ab. Die Klage sei bereits mangels abgeschlossenem Vorverfahren unzulässig.
Der Kläger hat gegen diesen seiner Betreuerin am 14.11.2023 zugestellten Gerichtsbescheid mit Schreiben vom 17.11.2023, eingegangen am 21.11.2023, Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben und vorgetragen, es bleibe beim „Vortrag des Klägers samt Beweisangeboten“. Weiterer Vortrag ist nicht erfolgt. Nach Hinweis des Senats in diesem Berufungsverfahren (- L 2 SO 3243/23 -) hat der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2024 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.09.2023 zurückgewiesen (vgl. Bl. 39 f. LSG-Akte). Diese Berufung hat der Senat mit Urteil vom 15.05.2024 als unbegründet zurückgewiesen, da ein Anspruch auf Eingliederungsleistungen vor dem 01.10.2022 mangels Antrag nicht bestanden habe. Auf die weiteren Ausführungen dieser Entscheidung wird Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2023 (Bl. 536 VA) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 01.09.2023 gegen den Bescheid vom 14.08.2023 als unbegründet zurück. Nachdem eine Zustellung per Einwurfeinschreiben nicht erfolgreich war, wurde der Widerspruchsbescheid erneut versandt und der Klägervertreterin am 10.01.2024 per Postzustellungsurkunde zugestellt.

Hiergegen hat der Kläger am 15.01.2024 vorliegende Klage („Klage Nr. 38“) zum SG Karlsruhe erheben lassen und sein Begehren, d.h. die Gewährung von Eingliederungsleistungen bereits vor Oktober 2022, weiter verfolgt. Man habe den Antrag auf diese Leistungen bereits am 16.09.2021 in den Briefkasten des Beklagten eingeworfen. In einem vom SG durchgeführten Erörterungstermin am 06.02.2024 ist das Begehren für den Kläger dahingehend konkretisiert worden, dass man unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide Assistenzleistungen als Leistungen zur sozialen Teilhabe in Form eines persönlichen Budgets in Höhe von 520,00 Euro bereits ab dem 01.12.2021 bis 31.08.2022 begehre. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen (Bl. 31 f. SG-Akte). In diesem Termin haben die Beteiligten zudem einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. 
Das SG hat sodann mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 07.03.2024 die Klage abgewiesen. Streitgegenständlich sei der Bescheid vom 14.08.2023 in der Gestalt des Bescheides vom 07.09.2023 und des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2023 und damit die Frage, ob das mit Bescheid vom 14.08.2023 gewährte Persönliche Budget für Leistungen zur sozialen Teilhabe in Form von Assistenzleistungen im eigenen Wohn- und Sozialraum in Höhe von monatlich 520 Euro bereits frühzeitiger, nämlich bereits ab dem 01.12.2021, zu gewähren sei. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall, da Eingliederungsleistungen nach § 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (nur noch) auf Antrag erbracht würden. Die Leistungen würden frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung erbracht, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorgelegen hätten. Der Antrag sei hier allerdings erst im Oktober 2022 erfolgt. Eine frühere Antragstellung habe der Kläger nicht nachweisen können.

Hiergegen hat der Kläger am 16.04.2024 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erheben lassen. Es bleibe beim Vortrag des Klägers samt Beweisangeboten. Man habe bereits am 16.09.2021 einen Antrag gestellt und der Beklagte verstoße gegen die Beratungspflicht, weil man nicht über Leistungen zur Teilhabe informiert habe.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.


Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ist u.a. auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen worden.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 15.05.2024 darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist allein der Bescheid vom 14.08.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2023. Nicht Gegenstand des Verfahren ist - entgegen den Ausführungen des SG Karlsruhe - der Bescheid vom 07.09.2023, mit dem der Antrag auf Eingliederungsleistungen für die Zeit vor Oktober 2022 abgelehnt worden ist. Bei dem Bescheid vom 07.09.2023 handelt es sich werde um einen Widerspruchsbescheid bezüglich des vom Kläger gegen den Bescheid vom 14.08.2023 erhobenen Widerspruchs noch ist der Bescheid vom 07.09.2023 Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 14.08.2023, wovon das SG Karlsruhe offensichtlich in der angefochtenen Entscheidung ausgeht, geworden. Der Widerspruch des Klägers vom 01.09.2023 wird im Bescheid vom 07.09.2023 zunächst nämlich an keiner Stelle erwähnt. Dem Beklagten ging es mit dem Bescheid offenkundig nicht um Bescheidung des Widerspruchs vom 01.09.2023, sondern des Antrags auf Eingliederungshilfe für die Zeit vom 01.01. bzw. 01.12.2021 bis 30.9.2022 (was mit dem Bewilligungsbescheid vom 14.08.2023 vom Beklagten offensichtlich noch nicht erfolgt ist), also eines anderen Streitgegenstandes. Das ergibt sich auch sehr deutlich aus dem vorangegangenen Schreiben des Beklagten vom 06.09.2023, mit dem er einen separaten Bescheid für diesen Zeitraum in Aussicht gestellt hatte. Konsequenterweise führte der Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Bescheid vom 07.09.2023 auch aus, der Kläger könne Widerspruch einlegen und erteilte keine Rechtsbehelfsbelehrung dahingehend, dass Klage erhoben werden könne bzw. dass der Bescheid Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens werde.
Mit dem hier also allein streitgegenständlichen Bescheid vom 14.08.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2023 entschied der Beklagte - entgegen der Annahme der Klägervertreterin - nur über die Bewilligung von Eingliederungshilfe ab dem 01.10.2022, nicht aber konkludent auch über die Ablehnung für die Zeit davor. Der Bescheid vom 07.09.2023 (nun in Gestalt des am 24.04.2024 ergangenen Widerspruchsbescheides) und damit die Frage einer Leistungsgewährung bereits vor Oktober 2022 ist (allein) Gegenstand des Verfahrens L 2 SO 3243/23 gewesen.

Die so verstandene Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG Karlsruhe vom 22.03.2024 ist somit im Ergebnis nicht zu beanstanden, denn der Bescheid vom 14.08.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten Menschen, die eine wesentliche Behinderung haben oder von einer solchen bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Generell ist es nach § 90 Abs. 1 SGB IX Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Zu den Aufgaben der hier speziell in Betracht zu ziehenden Sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) gehört, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 90 Abs. 5 SGB IX). Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden gemäß § 113 Abs. 1 SGB IX erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen.

Dass diese Voraussetzungen hier grundsätzlich vorliegen, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und zeigt sich bereits darin, dass der Beklagte dem Kläger mit streitgegenständlichen Bescheid vom 14.08.2023 auf seinen Antrag vom 20.10.2022 hin gerade solche Leistungen ab dem 01.10.2022 bewilligte.

Anhaltspunkte, dass hier weitere Eingliederungsleistungen bzw. ein höheres persönliches Budget begehrt werden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die gewährten Leistungen beruhen auf der im Verwaltungsverfahren durchgeführten Bedarfsermittlung. Die Höhe der gewährten Leistungen ist vom Kläger auch zu keinem Zeitpunkt bemängelt worden. Er hat auch nach dem Hinweis des Senats vom 15.05.2024 hierzu keinerlei Ausführungen gemacht. Auf das Schreiben ist bis heute keine Reaktion erfolgt.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
Saved