- Der Antragsgegner wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4.3.2024 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 26.2.2024 bis zum 31.3.2024 Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt B. aus Recklinghausen beigeordnet.
- Dem Antragsteller wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4.3.2024 für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt B. aus Recklinghausen beigeordnet.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Regelbedarfsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) aufgrund des Antrags vom 30.11.2023 für die Zeit bis 31.3.2024.
Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller wohnt gemeinsam mit seiner geschiedenen Ehefrau seit dem 1.12.2023 in der J.-straße in Y.. Zuvor lebte er in W. und bezog dort Leistungen nach dem SGB XII, die wegen des Wohnsitzwechsels zum 30.11.2023 aufgehoben worden waren. Der Antragsteller hat seit 2010 einen Grad der Behinderung von 80 mit Merkzeichen G und B. Für ihn ist seit Juli 2021 ein Berufsbetreuer bestellt. Zum Aufgabenkreis des Betreuers gehören u. a. die Entgegennahme und das Öffnen der Post und die Vertretung vor Ämtern und Behörden. Die Willenserklärungen des Antragstellers bedürfen in Vermögensangelegenheiten der Einwilligung des Betreuers. Die geschiedene Ehefrau des Antragstellers hat einen Grad der Behinderung von 100, Merkzeichen RF, und steht ebenfalls unter Betreuung. Sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 900,64 € brutto (791,67 € netto; Rentenanpassungsmitteilung vom 1.7.2023) monatlich.
Bei der Beantragung von Leistungen nach dem SGB XII für die Zeit ab 1.12.2023 in Y. wurde der Antragsteller nach einem Vermerk in der Verwaltungsakte des Antragsgegners auf die Beantragung von Bürgergeld verwiesen, da ein Gutachten zur Erwerbsunfähigkeit nicht vorliege. Daraufhin beantragte er durch seinen Betreuer unter Vorlage der Bestellung am 30.11.2023 beim Jobcenter C., Stadt P., Leistungen nach dem SGB II ab 1.12.2023. Der Antrag ist der Stadt Y. nach Klärung des Wohnsitzes ab 1.12.2023 zur weiteren Bearbeitung zugeleitet worden.
Mit Schreiben vom 15.12.2023 forderte der Antragsgegner bei dem Antragsteller die folgenden Unterlagen unter Fristsetzung bis zum 29.12.2023 an:
„- ausgefüllte Antragsformulare (HA (bitte die Adresse angeben), Anlagen WEP (Partnerin), EK für Partnerin, VM für Sie und Partnerin)
- ausgefülltes und unterschriebenes Beratungsprotokoll
- Kopie Personalausweis Partnerin
- Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von Ihnen und Partnerin
- Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Ihnen und Partnerin
- Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
- Nachweis Kindergeld
- Kopie Rentenbescheid Partnerin
- Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
- letzter Bewilligungsbescheid und Aufhebungsbescheid Sozialhilfe von Ihnen
- Nachweise sonstiges Einkommen (falls vorhanden)
- (gegebenenfalls) Nachweis Höhe Kfz-Haftpflichtbeitrag und Kfz-Schein
- (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
- ausgefüllter Fragebogen Migrationshintergrund für Sie
- Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis laufend aller Konten (inklusive Kreditkarten und Onlinebezahlsystemen z.B. Paypal) von Ihnen und Partnerin“
In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass die Geldleistungen ganz oder teilweise versagt werden können, sollten die angeforderten Unterlagen nicht oder nicht vollständig innerhalb der Frist eingehen.
Mit Bescheid vom 8.1.2024 versagte der Antragsgegner, gestützt auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) die Leistungen ab 1.11.2023. Die angeforderten Unterlagen seien nicht fristgerecht eingereicht worden, obwohl sie für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen zwingend erforderlich seien. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar gewesen oder vorgetragen worden, die zu Gunsten des Antragstellers hätten berücksichtigt werden können. Falls die Mitwirkung nachgeholt werde, könne eine erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erfolgen.
Am 11.1.2024 gingen das Beratungsprotokoll, der Fragebogen zum Migrationshintergrund, der Hauptantrag HA, die Anlagen EK, VM, WEP, der Beitragsbescheid zur Krankenversicherung des Antragstellers und seiner geschiedenen Ehefrau, deren Schwerbehindertenausweis und Sozialversicherungskarte in Kopie sowie deren Kontoauszüge und die Rentenanpassungsmitteilung ab 1.7.2023 ein.
Mit Schreiben vom 17.1.2024 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, es fehlten noch folgender Unterlagen:
„- Kopie Personalausweis Partnerin
- Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von Ihnen und Partnerin
- Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
- Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
- Nachweis Kindergeld von Ihnen
- Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
- letzter Bewilligungsbescheid und Aufhebungsbescheid Sozialhilfe von Ihnen
- Nachweise sonstiges Einkommen (falls vorhanden)
- (gegebenenfalls) Nachweis Höhe Kfz-Haftpflichtbeitrag und Kfz-Schein
- (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
- Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten (inklusive Kreditkarten und Onlinebezahlsystemen z.B. Paypal) von Ihnen und Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)“
Am 25.1.2024 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 8.1.2024 ein. Die angeforderten Unterlagen hätten zum Teil gar keinen leistungsrechtlichen Bezug. Dies gelte beispielsweise für den Fragebogen zum Migrationshintergrund und den Nachweis über den Wohngeldantrag der Partnerin. Jedenfalls hätten auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen vorläufige Leistungen nach § 41a SGB II gewährt werden können.
Am 1.2.2024 gingen der Aufhebungsbescheid über die Sozialhilfeleistungen der Stadt W. zum 30.11.2023, der letzte Leistungsbescheid nach dem SGB XII, Kontoauszüge des Antragstellers von Juni 2023 bis Januar 2024, aus denen sich u. a. die Höhe des Kindergeldes ergab, und eine Betriebskostenabrechnung für 2022 beim Antragsgegner ein.
Mit Schreiben vom 5.2.2024 bat der Antragsteller, jedenfalls vorläufige Leistungen zu bewilligen. Soweit noch Angaben seiner Partnerin fehlten, habe er darauf keinen Einfluss. Sie stehe selbst unter Betreuung. Sein eigener Betreuer habe bereits Kontakt aufgenommen, aber noch keinen Erfolg gehabt. Es bestehe Eilbedürftigkeit, da der Lebensunterhalt nicht gedeckt sei. Das Kindergeld lasse sich den Kontoauszügen entnehmen und könne berücksichtigt werden, der Bescheid liege nicht vor.
Ausweislich der Verwaltungsakten lehnte der Antragsgegner den Antrag mit Bescheid vom 9.2.2024 ab. Die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Es fehlten weiterhin die folgenden Unterlagen:
„- Kopie Personalausweis Partnerin
- Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von
Ihnen und Partnerin
- Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
- Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
- Nachweis Kindergeld von Ihnen
- Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
- (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
- Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten Ihrer Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)“
Ohne diese könne über den Leistungsanspruch nicht entschieden werden. Daher seien die Leistungen ab dem 1.11.2023 abzulehnen.
Mit dem am 26.2.2024 bei dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten vorläufige Leistungen nach dem SGB II im Umfang des Regelbedarfs begehrt und Prozesskostenhilfe beantragt. Als Antragsgegner ist „Stadt Y., Jobcenter“ und als Anschrift des Antragstellers „T.-straße, W.“ angegeben worden. Gegen den Versagungsbescheid sei Widerspruch erhoben worden. Ausweislich der Mitteilung der Krankenkasse IKK drohe der Antragsteller versicherungslos zu bleiben. Weder er noch seine Lebensgefährtin verfügten über Einkünfte, um auch nur vorübergehend den Lebensunterhalt sicherzustellen. Der Antragsteller habe keine Möglichkeit, Unterlagen seiner Lebensgefährtin zum Nachweis ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen. Sie selbst stehe unter Betreuung und sei kaum in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus der Mittellosigkeit und dem drohenden Verlust des Krankenversicherungsschutzes.
Der Antragsteller hat schriftsätzlich beantragt,
ihm vorläufig aufgrund des Antrags vom 30.11.2023 Leistungen nach dem SGB II im Umfang des Regelbedarfs zu gewähren.
Der Antragsgegner hat schriftsätzlich beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien nicht geklärt. Lückenlose Kontoauszüge seien dazu maßgeblich. Beide Antragsteller seien aufgefordert worden, Wohngeldanträge zu stellen. Die Nichtaufklärbarkeit des Leistungsanspruchs stamme aus der Sphäre der Antragsteller.
Mit Beschluss vom 4.3.2024 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Dabei hat es als Antragsgegnerin die „Stadt W., vertreten durch den Bürgermeister“ aufgenommen und als Prozessbevollmächtigten das Jobcenter C.. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht glaubhaft gemacht worden. Insbesondere sei nicht geklärt, ob die Lebensgefährtin des Antragstellers über Vermögen verfüge. Aus den Kontoauszügen ergebe sich zumindest ein Sparvertrag bei der M.. Hierzu würden monatliche Raten überwiesen. Der Antragsteller sei aufgefordert worden, Nachweise über die Höhe des Sparvertrages vorzulegen, was jedoch nicht geschehen sei. Die Nichterweislichkeit der Hilfebedürftigkeit gehe zu Lasten des Antragstellers.
Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 4.4.2024 Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt und eine E-Mail des Vermieters vorgelegt, dass rückständige Mieten bis zum 26.4.2024 zu zahlen seien; sonst werde den Mietern gekündigt. Er trägt darüber hinaus vor, es sei ermessensfehlerhaft, seinen Antrag abzulehnen, wenn er die zur Begründung herangezogenen Aspekte nicht beeinflussen könne. Weder er noch sein Betreuer seien hinsichtlich der wirtschaftlichen Umstände seiner Lebensgefährtin verfügungsbefugt. Nach Hinweis des Senats auf den bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 9.2.2024 hat der Antragsteller vorgetragen, der Bescheid sei nicht auffindbar und um Übersendung des Zustellnachweises gebeten sowie im Hinblick auf diesen Bescheid einen Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gestellt. Über den Widerspruch gegen den Versagungsbescheid sei noch nicht entschieden worden. Die Bescheidlage sei widersprüchlich. Die Leistungsansprüche zur gesetzlichen Krankenversicherung ruhten aufgrund der rückständigen Beiträge.
Der Antragsgegner hat mitgeteilt, der Zugangsnachweis des Ablehnungsbescheides befinde sich in der elektronischen Akte, in die Einsicht genommen werden könne.
Am 29.4.2024 hat der Antragsteller einen neuen Fortzahlungsantrag beim Antragsgegner gestellt, woraufhin der Antragsgegner mit Zwischenmitteilung erneut einen Nachweis über das Kindergeld des Antragstellers und den Wohngeldantrag der Lebensgefährtin sowie aller Konten der Partnerin angefordert hat.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.5.2024 ist der Widerspruch des Antragstellers gegen den Versagungsbescheid vom 8.1.2024 als unbegründet zurückgewiesen worden, am 8.5.2024 hat er Klage bei dem SG Gelsenkirchen erhoben.
Seit 15.5.2024 ist der Betreuer des Antragstellers auch zum Betreuer der Lebensgefährtin des Antragstellers bestellt und es sind Kontoauszüge der Lebensgefährtin vom 1.6.2023 bis 4.6.2024 übersandt worden. Von weiteren Konten, auch bei anderen Kreditinstituten, bestehe keine Kenntnis.
Mit Bescheid vom 13.6.2024 hat der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1.4.2024 bis 31.3.2025 bewilligt und mit Schriftsatz vom 8.7.2024 auf Bitte des Gerichts über den Zugangsnachweis des Ablehnungsbescheides vom 9.2.2024 zwei Postzustellungsurkunden, vom 27.2.2024 und 8.3.2024, jeweils mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt verzogen“ übersandt. Der Antragsteller hat die Beschwerde mit Schriftsatz vom 2.7.2024 für die Zeit ab dem 1.4.2024 für erledigt erklärt.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
- den Antragsgegner unter Abänderung des Beschlusses vom 4.3.2024 zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs aufgrund des Antrags vom 30.11.2023 für die Zeit bis 31.3.2024 in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
- ihm unter Abänderung des Beschlusses vom 4.3.2024 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. für die erste Instanz zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der elektronischen Gerichtsakten beider Rechtszüge und der elektronischen Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II.
1. Das Rubrum ist gemäß § 138 Satz 1 SGG zu berichtigen.
Der Antragsteller war ab 1.12.2023 und damit auch bei Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren am 26.2.2024 in der J.-straße, 45711 Y. wohnhaft. Der Umzug nach Y. war Anlass für den streitgegenständlichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Jobcenter C. – Stadt Y., das auch den hier angefochtenen Versagungsbescheid vom 8.1.2024 erlassen hat. Sowohl die Adresse des Antragstellers als auch die Zuständigkeit des Jobcenters C. – Stadt Y. und dessen Vertretung durch den C. als Prozessbevollmächtigtem ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich ohne jeden Zweifel aus den Verwaltungs- und Gerichtsakten. Sowohl bei der im Beschluss des SG angegebenen Adresse des Antragstellers in W. als auch bei der „Stadt W.“ als Antragsgegner – gemeint war „Jobcenter C. – Stadt W.“ – und der Bezeichnung des prozessbevollmächtigten C. handelt es sich um offenbare Unrichtigkeiten nach § 138 Satz 1 SGG, die von Amts wegen vom Senat zu berichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 30.6.2016 – B 5 RE 1/15 R, Rn. 17).
2. Die nach § 172 Abs. 1 SGG eingelegte Beschwerde hinsichtlich der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
a) Im Beschwerdeverfahren sind nach Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1.4.2024 durch den Antragsgegner mit Bescheid vom 13.6.2024 und die Teilerledigungserklärung des Antragstellers entsprechend dem erstinstanzlich gestellten Antrag nur noch (vorläufige) Leistungen in Höhe des Regelbedarfs bis 31.3.2024 streitig.
aa) Der Antragsteller wendet sich in der Hauptsache gegen den Versagungsbescheid nach § 66 SGB I vom 8.1.2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.5.2024, gegen den er mit Schriftsatz vom 8.5.2024 Klage bei dem SG Gelsenkirchen erhoben hat.
Der Versagungsbescheid, mit dem der Antragsgegner keine Entscheidung über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen getroffen, sondern alleine auf die fehlende Mitwirkung reagiert hat, hat sich auch nicht durch die Ablehnung des Leistungsantrags mit Bescheid vom 9.2.2024 überholt. Denn dieser Ablehnungsbescheid ist nicht wirksam geworden. Verwaltungsakte bedürfen für ihr formelle Wirksamkeit nach § 37 Abs. 1 SGB X der Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten oder dessen Bevollmächtigtem. Hier ist eine Bekanntgabe nicht erfolgt. Vielmehr konnte der Antragsgegner auf die Bitte des Senats, den behaupteten Zustellnachweis zu übersenden, lediglich die zwei in der Verwaltungsakte befindlichen Postzustellungsurkunden vorlegen, die erkennen lassen, dass eine Zustellung gerade nicht erfolgt ist. Anders als vom Antragsgegner angedeutet, ist die Bekanntgabe auch nicht durch Übersendung der elektronischen Verwaltungsakte im Rahmen des Verfahrens vor dem SG und die dadurch gegebene Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erfolgt. Denn die Bekanntgabe setzt die zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsaktes durch die Behörde voraus (Engelmann, in: Schütze, SGB X, 2020, § 37 Rn. 6). Ebenso wenig stellt die Übersendung einer Abschrift des Bescheides aus der elektronischen Verwaltungsakte durch den Senat während des Beschwerdeverfahrens eine Bekanntgabe dar (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 15.8.2011 - L 19 AS 100/11 B, juris, Rn. 13).
Statthafte Antragsart im Eilverfahren ist hier der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Zwar ist ein solcher Antrag grundsätzlich nur dann statthaft, wenn in der Hauptsache eine andere Klageart als die Anfechtungsklage gegeben ist, weil sich bei dieser der einstweilige Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG richtet (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2023, § 86b Rn. 24 und 26). Dies steht der Zulässigkeit des Eilantrags hier aber nicht entgegen, obwohl richtige Klageart gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I, mit dem die begehrten Leistungen ohne weitere Sachprüfung wegen der fehlenden Mitwirkung versagt worden sind, allein die reine Anfechtungsklage ist - Streitgegenstand in einem solchen Rechtsstreit ist nicht der materielle Anspruch, sondern die Auseinandersetzung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren (vgl. BSG, Urteil vom 19.9.2008 – B 14 AS 45/07 R, Rn. 12; Beschluss vom 25.2.2013 – B 14 AS 133/12 B, Rn. 5). Denn es entspricht insoweit der herrschenden Auffassung, dass zur Wahrung des gebotenen effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt werden kann, obwohl eine Sachentscheidung in der Hauptsache überhaupt noch nicht vorliegt (Burkiczak, in: jurisPK-SGG, § 86b (Stand: 8.4.2024) Rn. 314 m.w.N).
Voraussetzung für den Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung ist dann allerdings, dass nicht nur die Versagung wegen mangelnder Mitwirkung rechtswidrig ist, sondern der Antragsteller zudem auch glaubhaft gemacht hat, dass die sonstigen Voraussetzungen für die Bewilligung der Leistungen auch vorliegen, weil die Aufhebung des Versagungsbescheides noch nicht zur Leistungsbewilligung führt, wenn dieser - wie hier - nicht in einen bereits bewilligten Leistungszeitraum eingreift, sondern über einen Leistungsanspruch in einem anstehenden Bewilligungszeitraum erstmals zu entscheiden ist (LSG NRW, Beschluss vom 13.9.2018 - L 2 AS 1143/18 B ER, juris, Rn. 15).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
bb) Der Versagungsbescheid ist jedenfalls mit der Nachholung der Mitwirkung im Hinblick auf die für die Leistung erheblichen Tatsachen durch Übersendung von Unterlagen am 11.1.2024 und am 1.2.2024 rechtswidrig geworden (vgl. Voelzke, in: jurisPK-SGB I, § 66 (Stand: 15.6.2024) Rn. 65).
Der Antragsgegner geht in dem Schreiben vom 17.1.2024 und nach Inhalt des – nicht bekannt gegebenen - Ablehnungsbescheides vom 9.2.2024 zu Unrecht weiterhin davon aus, dass für eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen noch Unterlagen fehlen und diese vom Antragsteller beizubringen sind. Im Einzelnen verlangt der Antragsgegner noch die Vorlage der folgenden Unterlagen:
„- Kopie Personalausweis Partnerin
- Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von
Ihnen und Partnerin
- Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
- Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
- Nachweis Kindergeld von Ihnen
- Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
- (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
- Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten Ihrer Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)“
Soweit der Antragsteller um eine Kopie seiner Krankenkassenkarte und um einen Nachweis des Kindergeldes gebeten wird, hat er seine dahingehenden Mitwirkungspflichten bereits erfüllt. Zwar liegt keine Kopie der Krankenkassenkarte vor, aber er hat sowohl mehrfach seine Krankenversicherung und seine Krankenversicherungsnummer angegeben als auch einen Beitragsbescheid übersandt. Für die Entscheidung über den Leistungsantrag ist das ausreichend. Den Nachweis über das Kindergeld hat er durch Übersendung der Kontoauszüge erbracht, aus denen sich Betrag, die Bundesagentur für Arbeit – Familienkasse als Überweisende und der Verwendungszweck ergeben. Mehr ist für eine Entscheidung über den Leistungsanspruch nicht erforderlich, insbesondere da der Antragsteller ausdrücklich gebeten hat, das Kindergeld in der insoweit nachgewiesenen Höhe zu berücksichtigen.
Im Hinblick auf die Unterlagen, die der Antragsgegner vom Antragsteller für seine Partnerin verlangt, stehen diese in mehrfacher Hinsicht einer Entscheidung über den Leistungsanspruch des Antragstellers nicht entgegen. Anders als von dem Antragsgegner im Rahmen der Schriftsätze im Beschwerdeverfahren angegeben, ist die Partnerin des Antragstellers nicht selbst Antragstellerin. Sie begehrt keine Leistungen nach dem SGB II. Sie erhält eine Erwerbsminderungsrente und gehört lediglich zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers. Zur Entscheidung über den Anspruch des Antragstellers ist weder der Personalausweis noch die Sozialversicherungsnummer, die Krankenkassenkarte, ein Nachweis über die Wohngeldantragstellung oder der Schwerbehindertenausweis der Partnerin erforderlich. Der Schwerbehindertenausweis sowie der Nachweis über den Krankenversicherungsschutz durch einen Beitragsbescheid und die Sozialversicherungsnummer lagen dem Antragsgegner zudem längst vor, ebenso die Kontoauszüge. Dass Wohngeld beantragt wurde, hatte der Antragsteller in der Anlage WEP für seine Partnerin bereits angegeben. Ungeachtet der tatsächlich übersandten Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen seiner Partnerin, oblag dem Antragsteller insoweit keine Mitwirkungspflicht (vgl. G. Becker, in: jurisPK-SGB II, § 60 (Stand: 19.4.2022) Rn. 81 m.w.N.; BSG Urteil vom 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 17) und konnte es auch gar nicht, weil er, wie von ihm mehrfach vorgetragen, keine Verfügungsbefugnis hatte. Insoweit gilt: Werden Auskünfte zu einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht selbst Antragsteller ist, nach Ansicht des Leistungsträgers nicht in ausreichendem Umfang erteilt, hat er nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Auskunftsverlangen an eben dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu stellen (Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 60 (Stand: 4. Erg.lfg. 2024) Rn. 39 m.w.N.). Dabei ist dieses nur zur Erteilung der verlangten Auskünfte verpflichtet, nicht aber zu deren Nachweis (BSG, Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 87/09, Rn. 19). Eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Leistungsberechtigten – wie hier mit dem Bescheid vom 9.2.2024 beabsichtigt – ist nicht statthaft, bevor der Träger der Grundsicherung keine Anstrengung unternommen hat, seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Partner nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II durchzusetzen (vgl. BSG, a.a.O.).
cc) Der Antragsteller hat auch einen Anspruch auf die begehrten vorläufigen Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Das Sozialgericht hat den Antrag zu Unrecht abgelehnt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf eine eingeschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (LSG NRW, Beschluss vom 1.8.2005 - L 12 B 14/05 AS ER, juris, Rn. 8).
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen des Anspruchs auf (Regelbdarfs-)Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II glaubhaft gemacht. Der Antragteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (Nr. 1); er gilt mangels anderweitiger Feststellung als erwerbsfähig im Sinne der Nr. 2 und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (Nr. 4).
Auch die Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist glaubhaft gemacht. Nach § 9 Absatz 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann. Der Antragsteller verfügt neben dem Kindergeld über kein Einkommen und besitzt auch kein Vermögen. Die Lebensgefährtin des Antragstellers, mit der er - zwischen den Beteiligten unstreitig - in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und deren Einkommen und Vermögen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen sind, bezog im streitgegenständlichen Zeitraum eine Erwerbsminderungsrente, die nach den Berechnungen des Antragsgegners nicht einmal zur Deckung der eigenen Bedarfe reichte. Für im Sinne von § 12 SGB II erhebliches Vermögen der Lebensgefährtin bestehen keine Anhaltspunkte. Es existieren zwei Konten bei der M. eG mit einem Guthaben von insgesamt 1.540,82 € (Stand: 4.6.2024) nach Nachzahlung von Wohngeld i.H.v. 1.176,00 €. Aus den Kontoauszügen ergibt sich darüber hinaus noch ein Lossparen, im Rahmen dessen an die M. eG monatlich 20,00 € auf das Konto DEN01 gezahlt werden. Dieses Konto war jedoch in der Gesamtübersicht für die Lebensgefährtin des Antragstellers, die die Bank erstellt hat, nicht enthalten. Auch wenn insoweit noch die Möglichkeit weiteren Vermögens besteht, ist es überwiegend wahrscheinlich, dass es, soweit es überhaupt berücksichtigungsfähig ist, die in § 12 Abs. 2 SGB II n. F. bestimmten Freibeträge nicht übersteigt. Sollte der Antragsgegner weitere Ermittlungen für erforderlich halten, muss er ein entsprechendes Auskunftsersuchen in zulässiger Form an die Lebensgefährtin des Antragstellers richten.
Angesichts des nach den Unterlagen glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs waren an das Bestehen eines Anordnungsgrundes keine allzu hohen Anforderungen mehr zu stellen, zumal vorliegend existenzsichernde Leistungen im Streit stehen und im streitgegenständlichen Zeitraum das Ruhen der Leistungsansprüche zur gesetzliche Krankenversicherung drohte.
Der begehrte Regelbedarf war ab Eingang des Eilantrags bei Gericht am 26.2.2024 zu gewähren (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2023, § 86b Rn. 35a).
b) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
c) Nach § 73a SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Wegen der hinreichenden Erfolgsaussichten wird auf die Ausführungen unter 2. a) verwiesen. Der Antragsteller ist demnach auch bedürftig i.S.v. §§ 114, 115 ZPO. Die Beiordnung beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.
3. Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe für die erstinstanzliche Rechtsverfolgung ist zulässig und begründet. Wegen der hinreichenden Erfolgsaussichten und der sich daraus ergebenden Bedürftigkeit des Antragstellers (§§ 114, 115 ZPO) wird auch insofern auf die Ausführungen unter 2. a) verwiesen. Die Beiordnung beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.
Soweit die Beschwerde die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren betrifft, sind Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattungsfähig, § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.