L 26 KR 227/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 1711/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 KR 227/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung und Übernahme der Kosten zur Durchführung einer Nadelepilation zur Entfernung von Barthaaren im Gesicht bei nichtärztlichen Leistungserbringerinnen hat.

 

Die im Jahr 1990 mit männlichen Geschlechtsorganen geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Es liegt (gemäß ICD-11) eine behandlungsbedürftige Mann-zu-Frau-Geschlechtsinkongruenz vor (gemäß ICD-10 Transsexualität). Für die Klägerin sind ein Grad der Behinderung von 80, Merkzeichen B, G, H und RF sowie ein Pflegegrad 4 anerkannt.

 

Am 24. Mai 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme unter Übersendung eines Kostenvoranschlags des Fachzentrums für ästhetische Hautbehandlungen DGmbH über 50 Einzelbehandlungen zur dauerhaften Haarentfernung im Gesicht durch Nadelepilation zu einem Einzelpreis in Höhe von 156,00 Euro und einem Gesamtpreis in Höhe von 7.800 Euro. Der Kostenvoranschlag enthielt den Hinweis, dass die Behandlung „bei Bedarf“ durch Ärzte überwacht werde, die für die DGmbH tätig seien. Mit Bescheid vom 2. Juni 2020 lehnte die Beklagte eine Kostenbeteiligung ab, weil die Behandlung bei D GmbH nicht ärztlich angeordnet und verantwortet sei, die Verantwortung liege vielmehr bei den die Behandlung ausführenden Kosmetikerinnen. Die Klägerin erhob Widerspruch und verwies auf die in Aussicht gestellte ärztliche Betreuung bei Bedarf.

 

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten im Rahmen der geschlechtsangleichenden Maßnahmen neben einer geschlechtsangleichenden feminisierenden Operation mit Antrag vom 25. September 2020 erneut die Kostenübernahme für eine Nadelepilation zur Entfernung ihrer Bartbehaarung im Gesicht unter Übersendung eines Kostenvoranschlags der Facharztpraxis für Dermatologie Dr. IJ, Berlin, über 50 Behandlungseinheiten (Kostenvoranschlag über 50 Behandlungseinheiten à 155,11 € = 7.755,50 €). Nach Einholung einer medizinischen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK - vom 23. Oktober 2020), wonach die medizinischen Voraussetzungen für die Durchführung der beantragten Maßnahme der Epilationsbehandlung vollständig erfüllt sind, übernahm die Beklagte mit Schreiben vom 5. November 2020 gegenüber der Klägerin eine Kostenbeteiligung für maximal 50 Behandlungseinheiten bei der Fachärztin Dr. J zu einem Vertragssatz von 75,12 € pro Behandlungseinheit, insgesamt 3.756 €. Für insgesamt 32 Epilations-behandlungen, beginnend am 9. November 2020 bis zum 25. Februar 2021, stellte die Arztpraxis Dr. J der Klägerin jeweils 75,12 Euro in Rechnung, die Beklagte erstattete der Arztpraxis jeweils den Betrag. Weitere Termine stornierte die Praxis  Dr.  J  am 28. Februar 2021 aus betrieblichen Gründen.

 

Die Klägerin informierte die Beklagte darüber, dass die Ärztin Dr. J die Epilation zwar jeweils für 4 Tage pro Woche abgerechnet habe, tatsächlich aber nur jeweils ein Termin pro Woche mit 2 Stunden Behandlung stattgefunden habe, die abgerechneten 32 Stunden seien daher doppelt so viele Stunden wie sie tatsächlich erbracht habe, die Klägerin habe lediglich 16 Behandlungsstunden erhalten. Sie verfolge mithilfe eines Rechtsanwaltes gegenüber der Ärztin Dr. J auf dem Zivilrechtsweg einen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Beträge und bitte die Beklagte um Unterstützung bei der Frage, wo die noch ausstehenden Epilationsbehandlungen durchgeführt werden können, konkret um die Benennung anderer (behandlungsbereiter) Fachärzte bzw. -ärztinnen auch außerhalb von Berlin. Die Beklagte benannte ärztliche Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer in Köln und Mannheim sowie drei Ärzte/Ärztinnen in Sachsen, nämlich Burgstädt, Chemnitz und Glauchau.

 

Am 23. März 2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Nadelepilation zur Entfernung von Gesichts- und Barthaaren unter erneuter Übersendung eines Kostenvoranschlags von DGmbH vom 23. März 2021 über 50 Einzelbehandlungen zum Einzelpreis in Höhe von 131,09 Euro. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. März 2021 eine Kostenbeteiligung unter Berufung auf die fehlende Eigenschaft von D GmbH als Vertragsarztpraxis sowie die fehlende ärztliche Beaufsichtigung und Verantwortung der Behandlung ab. Die Klägerin erhob am 6. April 2021 Widerspruch und verwies darauf, die beantragte Behandlung sei für sie die einzige Möglichkeit, die bereits begonnene Behandlung fachgerecht fortzusetzen.

 

Die Klägerin beantragte am 20. April 2021 mit Kostenvoranschlag der Praxisklinik Dr. H, Fachärzte für Dermatologie und Allgemeinmedizin Berlin, die Genehmigung zur Abrechnung einer Laserepilation gemäß den entsprechenden Abrechnungsziffern des einheitlichen Bewertungsmaßstabs, EBM-Ziffern 02325, 02326, 02327 und 02328, d.  h. , die Epilation mittels Lasertechnik bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen im Gesicht und/oder am Hals. Ein Behandlungsversuch dieser Praxis blieb erfolglos, weil die Laserepilation nur dunkle Härchen zuverlässig entfernen konnte, nicht hingegen die blonden Härchen der Klägerin. Mit Blick darauf hielt diese ihren Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2021 und die Ablehnung der Nadelepilation bei D GmbH aufrecht.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Erstattung/Übernahme der Kosten einer Nadelepilation bei einem nichtärztlichen Leistungserbringer zurück. Der in § 15 SGB V für ärztliche Behandlungen formulierte Arztvorbehalt beinhalte einen generellen Ausschluss für die Erbringung der entsprechenden (ärztlichen) Leistungen durch nichtärztliche Leistungserbringer. Die Nadelepilation bei einer nichtärztlichen Leistungserbringerin wie einer Kosmetikerin oder Elektrologistin stelle keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (zuletzt vom 17. Dezember 2020 – Aktenzeichen: B 1 KR 4/20 R und B 1 KR 6/20 B, B 1 KR 19/20 R, B 1 KR 28/20 R) unterliege die Nadelepilation als ärztliche Leistung dem Arztvorbehalt. Daher könne die Beklagte die Kosten für die Nadelepilation bei der D GmbH nicht übernehmen. Auch ein Systemversagen lasse den Arztvorbehalt als berufliche Mindestqualifikation nicht entfallen. Die Nadelepilation könne auch nicht als Heilmittel beansprucht werden, da sie in der Heilmittelrichtlinie nicht als verordnungsfähig aufgeführt werde. Zudem sei die D GmbH insoweit kein zugelassener (Heilmittel-)Leistungserbringer.

 

Am 19. Oktober 2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage eines Kostenvoranschlags von Dres. M/F/S/B (Facharztpraxis für Dermatologie in K) die Kostenübernahme für eine Nadelepilation im Umfang von 120 Behandlungsstunden und Abrechnung entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ) zu 93,84 € pro Behandlungsstunde. Die Beklagte bewilligte diese Behandlung unter Berücksichtigung der von Dr. J bereits abgerechneten Epilation mit Bescheid vom 12. Januar 2022 im Umfang von noch 18 Behandlungen im Rahmen einer Einzelfallentscheidung. Die Zusage begrenzte sie auf den Zeitraum von sechs Monaten. Die Klägerin nahm diese Behandlung in der Praxis Dres. M/F/S/B (Facharztpraxis für Dermatologie) in Köln am 24. Januar 2022 einmalig in Anspruch. Weitere Behandlungen erfolgten mit Blick auf die große Entfernung der Praxis vom (neuen) Wohnort der Klägerin nicht.

Die Klägerin hat am 15. Oktober 2021 Klage zum Sozialgericht Berlin gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. September 2021 und die Ablehnung der Kostenübernahme für die Nadelepilation durch D GmbH erhoben. Wegen des rechtswidrigen Verhaltens der Fachärztin Dr. J führe sie gegen diese ein zivilgerichtliches Verfahren vor dem Amtsgericht Wedding zur Erstattung bereits gezahlter Vergütung (Az: 21-013 ZR F). Die Ablehnung der Beklagten beruhe auf Diskriminierung, dafür spreche, dass diese ihr, der Klägerin, wiederholt falsche Adressen für die Durchführung der Behandlung benenne. Die von der Beklagten nun im Gerichtsverfahren u.  a.  über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin benannten drei Arztpraxen, u.  a.   Dr. H, böten allesamt keine Nadelepilation an. Die örtlich nächst gelegene ärztliche Praxis, die diese Leistung anbiete, sei die Facharztpraxis für Dermatologie in K. Soweit die Beklagte insoweit nun die Kostenübernahme für diese Praxis bewilligt habe, sehe bereits diese Arztpraxis selbst keinen Sinn in einer wöchentlich notwendigen Behandlung, denn der Weg dorthin sei – insbesondere mit Blick auf den neuen Wohnsitz der Klägerin in T – mit ca. acht Stunden regulärer Zugfahrt unzumutbar; außerdem biete diese Arztpraxis dieselben Leistungen an wie sie die D GmbH in Berlin bereitstelle. Eine Laserepilation stelle in ihrem Fall keine alternative Behandlungsmöglichkeit dar. Daher habe sie auch eine Laser-Behandlung in der Praxis Dr. H mangels Erfolgsaussicht nicht weiterverfolgt. In Deutschland führe keiner der von der Beklagten benannten (Vertrags-)ärzte die begehrte Behandlung durch. Bei (nichtärztlichen) Elektrologen handele es sich um eine Zusatzausbildung zu Kosmetikerinnen, die Behandlung selbst erfordere einige Erfahrung.

 

Die Klägerin hat dem Sozialgericht einen Kostenvoranschlag der Elektrologistin T B (vom 1. April 2023) über 40 Stunden Elektroepilation zu einem Preis in Höhe von 150,00 Euro pro Stunde übersandt sowie ein Attest der behandelnden Fachärztin für Gynäkologie Dr. S, wonach die fachgerechte Behandlung durch Kosmetikerinnen indiziert und aus fachärztlicher Sicht verantwortet werden könne und bei der Klägerin ein hoher Leidensdruck bestehe.

 

Das Sozialgericht Berlin hat Ermittlungen zum Angebot von Nadelepilation bei drei Ärztinnen und Ärzte in Berlin angestellt, welche die Beklagte zuvor über die KV Berlin benannt hat. Im Ergebnis haben alle drei vertragsärztlichen Praxen mitgeteilt, keine Nadelepilation anzubieten.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2023 hat das Sozialgericht die Klage, gerichtet auf Übernahme der Kosten der Nadelepilation entsprechend den Kostenvoranschlägen von D GmbH vom 23. März 2021 sowie der Elektrologistin B vom 1. April 2023, abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Behandlungen bei diesen nichtärztlichen Leistungerserbringerinnen. Das Bundessozialgericht habe in mehreren Urteilen vom 17. Dezember 2020 entschieden, dass Versicherte bei Mann-zu-Frau-Transsexualismus wegen der uneingeschränkten Geltung des Arztvorbehaltes auch dann keinen Anspruch auf Nadelepilation ihrer Barthaare durch nichtärztliche Leistungserbringer-/innen (insbesondere Kosmetikerinnen, Elektrologistinnen) hätten, wenn aufgrund eines Systemversagens kein approbierter Arzt diese Leistung erbringe. Die Leistung der Nadelepilation durch nichtvertragsärztliche Leistungserbringer/-innen könne auch nicht als Heilmittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden. Damit scheide eine Kostenübernahme der Leistungen der Elektroligistin Bali ebenso aus wie die Leistungen der D GmbH.

 

Die Klägerin hat gegen den ihr am 6. Juni 2023 zugestellten Gerichtsbescheid am 6. Juli 2023 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe fehlerhaft die Änderung ihres Begehrens auf Kostenübernahme der Leistungen von Frau B anstelle von DGmbH nicht vollständig akzeptiert. Eine Behandlung in der Hautarztpraxis in K sei ihr nicht zumutbar, zumal diese auch dort nicht von einem Arzt/einer Ärztin, sondern einer Kosmetikerin ausgeführt werde. Im Übrigen sei diese Behandlung mit Blick auf die hohen Fahrkosten, die sie verursache, unwirtschaftlich. Sie verweise auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2016 (S 51 KR 2136/13), wonach eine Versicherte Anspruch auf die Erstattung bereits verauslagter Kosten von Nadelepilationsbehandlungen durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin habe, wenn die Krankenkasse die Leistung im Sachleistungssystem nicht erbringen könne, der Arztvorbehalt stehe dem nicht entgegen. Sie habe die Behandlung bei Frau T B bereits begonnen, diese habe nun aber ihre Tätigkeit aus persönlichen Gründen beendet. Seitdem habe sie die Behandlung in der Epilationspraxis J Ein Berlin fortgesetzt. Seit Januar 2024 habe sie dafür den Betrag in Höhe von 1.680,00 Euro, konkret mit Rechnung vom 10. Juni 2024 berechnet, die Klägerin diesen Betrag bereits bezahlt. Die Beklagte müsse diese bereits verauslagten Kosten erstatten, ebenso die künftig noch anfallende weitere Vergütung bis zum Ende der Behandlung.  

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 26. Mai 2023 sowie des Bescheides der Beklagten vom 29. März 2021 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 16. September 2021 zu verurteilen, die Kosten der dauerhaften Entfernung der Haare im Gesicht mittels Nadelepilation durch die Elektrologistin J E entsprechend der Rechnung vom 10. Juni 2024 in Höhe von bislang 1.680 Euro zu erstatten und weitere Kosten bis Behandlungsende zu übernehmen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweist auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der auszugsweise vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die von der Klägerin erhobene Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

 

1. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 i. V. m.  Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist zulässig. Das gilt auch, soweit die Klägerin mit ihr in der Berufung zuletzt (allein) die Verpflichtung der Beklagten zur Kostenerstattung und Kostenübernahme der dauerhaften Entfernung der Gesichtshaare mittels der Nadelepilation durch die Fachkosmetikerin E begehrt, obwohl sie im Verwaltungs- und Klageverfahren zunächst die DGmbH als Leistungserbringerin benannt hat.

 

Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage richtet sich gegen einen Verwaltungsakt, dessen Recht- und Zweckmäßigkeit vor ihrer Erhebung in einem Vorverfahren nachzuprüfen sind (§ 78 SGG). Die Verwaltungsentscheidung der Beklagten vom 29. März 2021 erfolgte zwar bezogen auf den Kostenvoranschlag der D GmbH, den die Klägerin ihrem Antrag beigefügt hatte. Die Klägerin selbst hat ihren Antrag aber nicht auf eine Leistungserbringung allein durch diesen Anbieter ausdrücklich beschränkt. Der Kostenvoranschlag wurde für sie von DGmbH selbst direkt an die Beklagte übersandt. Die Klägerin hatte sich vorher und parallel dazu allerdings bereits fernmündlich wiederholt an die Beklagte gewandt und um Unterstützung in Gestalt der Benennung von leistungsbereiten Anbietern der Nadelepilation gebeten, nachdem Dr. J die begonnene Behandlung kurzfristig beendet hatte. Streitgegenstand der Klage ist gemäß § 95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Form, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid spätestens in der Gestalt des Widerspruchsbescheids einen Anspruch der Klägerin auf eine Erstattung der Kosten bzw. auf Übernahme der Kosten für die nichtärztlich erfolgte Nadelepilation abgelehnt. Die Beklagte hat ihre Ablehnung – zuletzt im Widerspruchsbescheid –  maßgeblich darauf gestützt, dass der Arztvorbehalt nicht gewahrt ist. Ihre Entscheidung erfolgte erkennbar unabhängig von der Person oder Institution der konkret für die Leistung benannten nichtärztlichen Leistungserbringerin. Der von der Klägerin ausgewählte Leistungserbringer (in ihrem Antrag vom 23. März 2021 die D GmbH) ist daher austauschbar. Das wird auch daran deutlich, dass die DGmbH im Widerspruchsbescheid der Beklagten nur in einer Klammer, damit informatorisch oder beispielhaft, genannt wird. Hingegen wird bereits auf der ersten Seite des Widerspruchsbescheides als Gegenstand der Überprüfung durch den Widerspruchsausschuss die Ablehnung der Kosten für die Nadelepilation bei einem nichtärztlichen Leistungserbringer genannt. Eine behördliche Ablehnung für die Nadelepilation liegt damit nach Auslegung ihrer Entscheidung aus Sicht eines objektiven Dritten wie auch für die Klägerin als Empfängerin für sämtliche nichtärztliche Leistungserbringerinnen vor. Die Ablehnung umfasst mithin auch die Leistungen, die die zuletzt von der Klägerin aufgesuchte Leistungserbringerin E seit Januar 2024 erbringt.

 

Nicht Streitgegenstand sind dagegen die beiden Entscheidungen der Beklagten zur Nadelepilation aus dem Jahr 2020, konkret auf die Anträge der Klägerin vom 24. Mai 2020 und vom 25. September 2020. Die Klägerin hat mit ihrer Klage allein den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 16. September 2021 angefochten und zur gerichtlichen Überprüfung gestellt. Dieser betrifft die Entscheidung über den Antrag vom 23. März 2021. Gegen den weiteren ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2020 (betreffend Leistungen von D GmbH) hat die Klägerin zwar Widerspruch erhoben, es liegt jedoch kein Widerspruchsbescheid und keine Klage vor. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020 wurde schließlich tatsächlich durch den späteren neuen Antrag vom 25. September 2020 auf Gewährung von Leistungen der Nadelepilation durch die Fachärztin Dr. J überholt. Auf diesen Antrag hin bewilligte die Beklagte der Klägerin die Epilationsbehandlung entsprechend dem Kostenvoranschlag der Fachärztin Dr. J und kam dem Begehren nach. Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid liegt nicht vor. Mit dem Antrag vom 25. September 2020 hat sich der frühere Antrag auf Gewährung von Leistungen durch DGmbH vom Mai 2020 wie auch der entsprechende Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020 auf sonstige Weise erledigt (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X) und wurde deshalb von der Klägerin auch mit Blick auf die positive Entscheidung für die Leistungen von Dr. J nicht weiterverfolgt.

 

2. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf die Erstattung der bereits verauslagten Kosten der Nadelepilation zur Entfernung der Barthaare im Gesicht im Rahmen der geschlechtsangleichenden Maßnahmen noch auf Übernahme der noch entstehenden Kosten. Dies gilt, weil mit Frau E eine nichtärztliche Leistungserbringerin eine ärztliche Leistung erbracht hat und weiter erbringen soll und nur für diese eine Kostenübernahme begehrt wird. Für die Erbringung einer solchen Leistung durch eine/einen nichtärztliche(n) Leistungserbringer fehlt es an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage. Dies gilt selbst in dem Fall, in dem für die medizinische Leistung – jedenfalls praktisch – keine für die Klägerin erreichbaren ärztlichen leistungsbereiten Leistungserbringer zur Verfügung stehen. Selbst im Falle eines sog. Systemversagens darf eine ärztliche Leistung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durch nichtärztliche Leistungserbringerinnen erbracht werden oder sich eine Krankenkasse an den dadurch verursachten Kosten beteiligen.

 

Dabei steht im Fall der Klägerin außer Streit und zur Überzeugung des Senates fest, dass sie einen Anspruch auf Erbringung der notwendigen Behandlung der Nadelepilation zur vollständigen Entfernung der Bartbehaarung im Gesicht gegenüber der Beklagten hat.

 

Rechtsgrundlage eines Leistungsanspruchs der Klägerin ist § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, deren Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Krankenbehandlung umfasst sowohl die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.  V.  m.  § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V) als auch nichtärztliche medizinische Behandlungsleistungen, z. B.  im Wege der Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) und häuslicher Krankenpflege (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB V).

 

Die Klägerin ist Versicherte der Beklagten. Sie leidet unter einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im obigen Sinne, nämlich einer Mann-zu-Frau-Geschlechtsinkongruenz. Im Rahmen ihres Behandlungsanspruchs auf medizinisch indizierte geschlechtsangleichende Maßnahmen hat die Klägerin auch einen Anspruch auf die dauerhafte Entfernung von Barthaaren im Gesicht als Leistung der Krankenbehandlung, um eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen (weiblichen) Geschlechts (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – Rn. 8). Denn ihre Gesichtsbehaarung (Bartwuchs) steht unbehandelt der deutlichen Annährung an den weiblichen Phänotyp entgegen. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Feststellungen des MDK vom 26. Oktober 2020 und wird von der Beklagten im Rahmen des Klageverfahrens auch nicht bestritten. Vor diesen Hintergrund hat die Beklagte der Klägerin mit dem Bescheid vom 5. November 2020 bereits 50 Behandlungseinheiten der Nadelepilation, beruhend auf dem Kostenvoranschlag Dr. I J, bewilligt. Diese Behandlungseinheiten wurden von Dr. J nicht vollständig erbracht, so dass der Anspruch der Klägerin auf Krankenbehandlung noch nicht gänzlich erfüllt ist. Auf den Grund für den vorzeitigen Abbruch der Behandlung durch Dr. J kommt es dabei nicht zuletzt angesichts der Wahlfreiheit der Versicherten hinsichtlich der ihnen geeignet erscheinenden Person der Behandelnden nicht an (§ 2 Abs. 3 SGB V, vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 11/09 R – Rn. 29).

 

Bei der medizinisch indizierten Epilation von Gesichts- und Barthaaren handelt es sich um eine (vertrags-)ärztliche Behandlung, denn sie ist im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) erfasst und gilt damit als eine abrechnungsfähige vertragsärztliche Leistung (konkret EBM-Ziffer 10340 „Kleinchirurgischer Eingriff I und/oder primäre Wundversorgung und/oder Epilation - Epilation durch Elektrokoagulation im Gesicht und/oder an den Händen bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs“, näher BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – Rn. 9 unter Bezugnahme auf den EBM-Ä).

 

Die Klägerin hat nach § 27 SGB V i.  V.  m.  § 15 SGB V Anspruch darauf, die Nadelepilation als vertragsärztliche Leistung zu erhalten. Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten oder auf Übernahme bzw. Freistellung von Kosten für die Erbringung dieser (ärztlichen) Leistung durch nichtärztliche Leistungserbringerinnen, wie eine Kosmetikerin, scheitert daran, dass im SGB V und dem System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf den Arztvorbehalt verzichtet werden darf. Das gilt auch, wenn im Einzelfall ein Systemversagen in Gestalt einer vertragsärztlichen oder sogar einer ärztlichen Versorgungslücke vorliegt.

 

Dies ergibt sich aus § 15 Abs. 1 SGB V. Der darin verankerte sog. Arztvorbehalt besagt, dass eine ärztliche Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V zwingend entweder von Ärztinnen und Ärzten selbst (also eigenhändig) erbracht (Abs. 1 Satz 1) oder von diesen zumindest angeleitet und verantwortet sein muss, wenn die Leistung selbst durch eine nichtärztliche Person an Versicherten ausgeführt wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dies schließt eine selbständige nicht ärztlich angeleitete und damit eigenverantwortliche Behandlung gesetzlich in der GKV Versicherter durch nichtärztliche Heilbehandler-/innen aller Art aus. Denn Arzt im Sinne des § 15 SGB V sind nur entsprechend approbierte Heilbehandler und Heilbehandlerinnen  (näher BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – Rn. 10 ff., 12).

 

Nadelepilationsleistungen können demgemäß als vertragsärztliche Leistung im obigen Sinne durch unselbstständige Hilfspersonen erbracht werden, wenn sie ärztlich angeordnet und verantwortet werden (§ 28 Abs. 1 Satz 2 i.  V.  m.  § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dabei kann es sich um eine mehr oder weniger intensive persönliche ärztliche Anleitung oder Beaufsichtigung handeln, nicht erforderlich ist, dass Ärztinnen und Ärzte persönlich anwesend sein müssen. Der Grad der ärztlichen Einbindung und der Anleitung unterscheidet die Tätigkeit der unselbständigen Hilfspersonen aber von der eigenverantwortlichen Erbringung z.  B.  von Heilmitteln durch nichtärztliche Leistungserbringer-/innen. Bei diesen bildet sich der Arzt bzw. die Ärztin nur in gewissen Abständen ein Urteil über die bereits erzielten Wirkungen der Heilmittel. Bei einer ärztlich verantworteten Krankenbehandlung überzeugen sich Ärztinnen und Ärzte hingegen bei und nach jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme von deren (therapeutischer) Wirkung (näher BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R –, Rn. 15). Aufgrund dieser scharfen Trennung ist eine ärztliche Behandlung schon nach dem Sinn und Zweck des Arztvorbehaltes nicht schon dann von Ärzten/Ärztinnen im obigen Sinne verantwortet, wenn diese das Behandlungsergebnis im Nachhinein, nachdem die Behandlung erbracht wurde, für gut befinden. Dass die nachträgliche Billigung des Behandlungsergebnisses z.  B.  durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung erfolgt, kann insoweit zu keinem anderer Bewertung führen. Auch dann wäre die Epilationsbehandlung selbst nicht ärztlich verantwortet. Für ein abweichendes und insoweit den Arztvorbehalt modifizierendes Modell fehlt es bereits im Wortlaut des § 15 SGB V an einer entsprechenden Formulierung. Der Wortlaut geht entweder von einer eigenhändigen Leistung durch Ärztinnen oder Ärzte oder davon aus, dass diese die von Hilfspersonen erbrachte Leistung verantworten. Eine nachgehende ärztliche Begutachtung des Epilationsergebnisses ist davon nicht ohne Weiteres erfasst. Sie kann schließlich vor allem unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks dem Arztvorbehalt nicht genügen. Die Bindung der Leistungserbringung an die erforderliche Qualifikation (hier konkret der Approbation) dient dem Schutz vor unseriösen, fachlich nicht fundierten Behandlungsangeboten, von denen kein Nutzen ausgeht und die für die Versicherten schädlich sein können (vgl. zur Qualitätssicherung auch des ärztlichen Berufsrechts, BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 11/09 R, Rn. 29).

 

Ausgehend davon sind die von der Klägerin bereits in Anspruch genommenen und von ihr mit ihrer Klage für die Zukunft noch begehrten Leistungen der Nadelepilation keine ärztlich erbrachten oder ärztlich verantworteten Leistungen. Elektrologistinnen und Kosmetikerinnen wie Frau E können selbst dann nicht als "Ärzte" im Sinne des § 15 SGB V angesehen werden, wenn sie eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde nach dem Heilpraktikergesetz (HeilprG) besitzen, was für Frau E nicht nachgewiesen ist. Denn es fehlt ihnen an einer der Approbation als Arzt oder Ärztin entsprechenden ausreichenden Gewähr für die Sachkunde, wie sie speziell die ärztliche Approbation bescheinigt (näher BSG Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R, Rn. 17/18). Dass Ärztinnen und Ärzte „bei Bedarf“ hinzugezogen werden, wie dies formelhaft z.  B.  auf den aktenkundigen Kostenvoranschlägen der D GmbH vermerkt ist, ersetzt die notwendige ärztliche Anleitung und Beaufsichtigung der Leistung gerade nicht.

 

Die Nadelepilation kann nicht als Heilmittel beansprucht werden, dies gilt unabhängig davon, ob im Fall der Klägerin eine entsprechende ärztliche Verordnung vorliegt (nach Aktenlage nicht der Fall). Denn Kosmetikerinnen und Elektrologistinnen erbringen mit der Epilation kein Heilmittel und sind keine für die Heilmittelerbringung zugelassenen Leistungserbringer im Sinne des SGB V. Nadelepilation ist als Heilmittel in den entsprechenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (Heilmittel-RL) nicht aufgeführt. Wegen des Vorbehalts, den § 138 SGB V für neue Heilmittel im Rahmen der Versorgung für GKV-Versicherte im Interesse der Qualitätssicherung formuliert, kann die Nadelepilation nicht als Heilmittel erbracht werden. Für ein insoweit bestehendes Systemversagen, wonach diese Leistung noch keine Aufnahme in die Heilmittel-RL gefunden hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür vorliegen und es deshalb gerechtfertigt ist, sie den GKV-Versicherten zur Verfügung zu stellen, fehlt es an belastbaren Tatsachen, zumal Nadelepilation als ärztliche Leistung im EBM aufgenommen ist (näher BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R, Rn. 20/21).

 

Ungeachtet dessen sind Kosmetikerinnen und Elektrologistinnen keine i. S.  des § 124 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geeigneten Leistungserbringerinnen, weil für sie weder ein gesetzlich geregeltes Berufsbild noch eine einschlägige Hochschulausbildung existiert. Schließlich ist diese Gruppe auch nicht auf andere Weise hinreichend "fachlich qualifiziert", um Heilmittel in der GKV zu erbringen. Denn gerade die Anforderungen einer ärztlich veranlassten, medizinisch indizierten Krankenbehandlung sind weder Gegenstand der Ausbildung zur Kosmetikerin noch zur Elektrologistin. Die maßgebliche Verordnung über die Berufsausbildung zum Kosmetiker/zur Kosmetikerin ist seit dem 9. Januar 2002 unverändert und sieht die Vermittlung entsprechender Fertigkeiten nicht vor (BGBl., I, S. 417). Vermittelt wird im Rahmen der Pflichtqualifikationen allgemein das gefahrlose „Bedienen von Apparaten und Instrumenten“ [Abschnitt 1 Ziff. 1.5 Anlage (zu § 5) Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kosmetiker/zur Kosmetikerin], im Rahmen der Wahlqualifikationseinheiten auch die Durchführung wie Kontrolle der permanenten Haarentfernung [Abschnitt 2 Ziff. 2.1 Anlage (zu § 5) Ausbildungsrahmenplan für die Berufsausbildung zum Kosmetiker/zur Kosmetikerin]. Das gilt auch für das Zertifikat des Deutschen Verbandes Elektro-Epilation e.V., das nach bestandener Prüfung nach Maßgabe der Prüfungsordnung berechtigt, die Zusatzbezeichnung "Zertifizierter Spezialist für Elektroepilation" zu führen (vgl. die Prüfungsordnung in der 5. Fassung vom 20. März 2021, abrufbar unter https://dvee.de/pdf/ZSE_Pruefungsordnung_vom_05-10-2019.pdf, recherchiert am 17.6.2024). Die Prüfung dient dem Nachweis von Fachwissen und Fertigkeiten im Praxiskontext (§ 5 Abs. 2 der Prüfungsordnung). Keine andere Beurteilung rechtfertigen Ausbildungszeugnisse oder Zertifikate aus dem (außereuropäischen) Ausland, wie z.  B.  eine Zertifizierung als Certified Professional Electrologist (CPE) durch die American Electrology Association in den USA.

 

Der Arztvorbehalt gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Leistung als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen wird (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 15 SGB V - Stand: 15.06.2020 - Rn. 22 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Versicherte haben einen Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V, wenn Krankenkassen nicht in der Lage sind, eine unaufschiebbare Behandlung rechtzeitig zu erbringen; dem gleichzustellen ist der Fall, wenn die Behandlung gar nicht erbracht werden kann. Beide Varianten stellen ein sog. Systemversagen dar (näher Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 13 SGB V - Stand: 19.03.2024 - Rn. 46).

 

Bereits nach dem Vortrag der Klägerin liegt ein solches Systemversagen mit Blick auf die Nadelepilation vor, dafür sprechen zur Überzeugung des Senats auch die letzten aktenkundigen Ermittlungen der Beklagten und des Sozialgerichts. Gleiches ergibt sich aus zwei Entscheidungen anderer Senate des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, welche dieses Systemversagen explizit bejahen (Urteil des 28. Senats vom 14. Februar 2022 – L 28 KR 293/18 - unveröffentlicht; Urteil des 4. Senats vom 22. September 2022 – L 4 KR 454/19) Dies kann dem klägerischen Begehren aber nicht zum Erfolg verhelfen. Findet die Klägerin keinen leistungsbereiten Vertragsarzt oder eine Vertragsärztin und ist auch die Beklagte nicht in der Lage, ihr solche zu benennen, liegt insoweit zwar ein spezifisch „vertragsärztliches Systemversagen“ vor (vgl. zum Begriff und den Voraussetzungen, BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 - B 1 KR 19/20 R, Rn. 14 ff.). Die Klägerin ist zur praktischen Überwindung des Systemversagens aber allein berechtigt, privatärztlich tätige Ärzte/Ärztinnen aufzusuchen und hierfür Kostenerstattung von der Beklagten zu verlangen.

 

Der Arztvorbehalt für die Nadelepilation erstreckt sich als zwingende Vorgabe und Mindeststandard für die begehrte medizinische Leistung zu Lasten der GKV auch auf Fälle, in denen gerade wegen eines (auch vertragsärztlichen) Systemversagens im Sinne einer Versorgungslücke Kostenerstattung oder eine Freistellung von den Kosten begehrt wird. Die ausreichende Qualifikation der Erbringer und Erbringerin von Behandlungsleistungen ist Tatbestandsvoraussetzung für einen Behandlungsanspruch gemäß § 27 SGB V, nicht lediglich ein Abrechnungshindernis auf Seiten der die Leistung Erbringenden im Verhältnis zu den Krankenkassen, das deshalb im Fall des Systemversagens verzichtbar wäre (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R, Rn. 27 mit weiteren Nachweisen; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 - B 1 KR 34/17 R, Rn. 22).

 

Die den Versicherten von privatärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte nach der GoÄ ordnungsgemäß in Rechnung gestellte Kosten müssen die Krankenkassen im Fall des vertragsärztlichen Systemversagens gemäß § 13 Abs. 3 SGB V ihren Versicherten erstatten oder die Kosten unmittelbar übernehmen, bzw. von diesen freizustellen auch wenn diese die „Kassensätze“ übersteigen (näher BSG, a. a. O. Rn. 34 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2022 – L 4 KR 454/19, Rn. 24). Die Krankenkasse hat daher die durch die Inanspruchnahme eines Privatarztes entstandenen Kosten  zu übernehmen und ggf. auch direkt mit dem ärztlichen Leistungserbringern abzurechnen, es sei denn, sie ist in der Lage, die Versicherten auf preisgünstigere Möglichkeiten zu verweisen (zu dieser Obliegenheit vgl. zuletzt LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2022 – L 4 KR 454/19, Rn. 24).

 

Im Fall der Klägerin war die Beklagte bislang auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht in der Lage, eine/einen leistungsbereiten Vertragsarzt/Vertragsärztin für die Nadelepilation zu benennen, um den noch offenen Teil des Behandlungsanspruchs praktisch zu erfüllen. Aus parallelen Streitverfahren ist dem erkennenden Senat schließlich bekannt, dass es in Berlin und in der näheren Umgebung keine Vertragsärzte und Vertragsärztinnen gibt, die bereit sind, die Behandlung zu den Bedingungen der GKV (Abrechnung nach EBM-Ä) zu erbringen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2022 – L 4 KR 454/19, Rn. 27). Im Verfahren L 4 KR 454/19 vor dem 4. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hat auch die Fachärztin Dr. J zuletzt angegeben, die streitgegenständliche ärztliche Behandlung nicht nach der entsprechenden Gebührenordnungspositionen (GOP) abzurechnen, weil diese Leistung täglich mindestens eine Stunde unter hohem Konzentrationsaufwand in Anspruch nimmt. Die Klägerin ist daher berechtigt, mit (jedem/jeder) leistungsbereiten Arzt oder Ärztin eine entsprechende Honorarvereinbarung abzuschließen. Ob es sich dabei neben rein privatärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzten auch um einen Vertragsarzt oder eine Vertragsärztin handeln darf, die die Leistungen nach den Bedingungen der GKV erbringen könnten oder sogar gemäß § 72 Abs. 2 und § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V sowie nach dem Vertragsarztrecht im Rahmen ihres Versorgungsauftrags müssen, kann offen bleiben (bejahend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2022 – L 4 KR 454/19 Rn. 31 ff. – nachfolgend BSG, B 1 KR 33/22 R, sonstige Erledigung durch Vergleich). Die Klägerin muss sich auf die Inanspruchnahme der Vertragsärztin Dr. J wegen des zerrütteten Arzt-Patientinnen-Verhältnisses im Zuge der abgebrochenen Vorbehandlung nicht verweisen lassen.

 

Soweit sich die Klägerin auf die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2016 (S 51 KR 2136/13, Abdruck auf Bl. 179 ff. GA II) beruft, ist diese Entscheidung vereinzelt geblieben und mittlerweile durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat folgt, überzeugend widerlegt (Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R).

 

Das Erfordernis, die Nadelepilation durch einen Arzt oder einer Ärztin erbringen zu lassen, entfällt schließlich selbst in dem Fall nicht, in welchem der Leistungsanspruch der Klägerin sich auf § 2 Abs. 1a SGB V stützen könnte, ungeachtet der Tatsache, dass dessen Voraussetzungen in ihrem Fall zur Überzeugung des Senats nicht vorliegen. Denn es liegt hier weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung noch eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor, die der Behandlung bedarf.

 

Die Klägerin kann ihren Anspruch schließlich nicht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.  V.  m.  Art. 1 GG stützen, weil ihre selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung ihrer Persönlichkeit durch die unterlassene Epilation gefährdet ist. Das Erfordernis, dass die Behandlungsleistung durch approbierte Ärztinnen und Ärzte erbracht werden muss, wie es § 15 SGB V formuliert, und seine strikte Geltung stehen auch mit Blick auf den Einzelfall der Klägerin im Einklang mit Verfassungsrecht. Denn der Arztvorbehalt verfolgt mit dem Schutz von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung einen besonders wichtigen Gemeinschaftsbelang, der auch der Klägerin selbst zugutekommt. Dass nicht approbierte Leistungserbringer/-innen die Nadelepilation nicht erbringen dürfen, dient dem Schutz der Versicherten vor den Gefahren für ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Arztvorbehalt ist auch geeignet und erforderlich, um dieses Schutzziel zu erreichen und steht nicht außer Verhältnis zu dem Schutzgut (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R, Rn. 30 ff.).

 

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin auch berechtigt ist, behandlungsbereite Ärztinnen und Ärzte aufzusuchen, die nicht in ihrem Nahbereich praktizieren, sondern grundsätzlich im gesamten Bundesgebiet einschließlich des erreichbaren europäischen (gemäß § 13 Abs. 4 SGB V) wie auch außereuropäischen Auslands (nach Maßgabe des § 18 SGB V) ärztliche Leistungen in Anspruch nehmen kann. Mit Blick darauf, dass für die Klägerin ein Grad der Behinderung von 80 und das Merkzeichen H im Ausweis über die Schwerbehinderung festgestellt ist, ist dabei auch zu berücksichtigen, dass dies einen Anspruch auf Gewährung der notwendigen Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel für die ambulanten Behandlungen vermitteln kann (§ 60 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 i.  V.  m.  Satz 4, Abs. 3 Nr. 1 SGB V, vgl. dazu LSG Hamburg, Urteil vom  14. Februar 2022 – L 1 KR 121/20, Rn. 27 ff.).

 

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die Erbringung der ärztlichen Leistung in größerer räumlicher Entfernung wie K in ihrem Fall unwirtschaftlich ist, weil u.  U.  die Kosten der Anfahrt die Kosten der Behandlung deutlich übersteigen, folgt daraus keine andere Bewertung. Eine medizinische Krankenbehandlung ist nach dem in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 abs. 1, § 12 Abs. 1 SGB V) bereits dann nicht wirtschaftlich, wenn sie unzweckmäßig ist. Eine Maßnahme ist zweckmäßig, wenn die Leistung hinreichend wirksam ist, um die Behandlungsziele zu erreichen, das meint, dass die Leistung wie auch die Leistungserbringer-/innen grundsätzlich geeignet sein müssen. Die Geeignetheit der Leistungserbringer-/innen ist schließlich auch Voraussetzung einer wirtschaftlichen Behandlung im engeren, d. h.  im rein ökonomischen Sinne: Eine nicht geeignete Leistungserbringerin birgt nicht nur das Risiko, das Ziel der Krankenbehandlung zu verfehlen, sondern auch das Risiko, dass aus der Behandlung selbst Schäden an Körper und Seele entstehen können, für welche die Gemeinschaft der Versicherten – ggf. geschmälert um übergegangene Schadensersatzansprüche gegen die Schädigende (vgl. zum Anspruchsübergang auf Sozialversicherungsträger allgemein § 116 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –SGB X) – aufkommen muss.

 

Findet die Klägerin keine leistungsbereiten ärztlichen Leistungserbringer-/innen, ist sie darauf zu verweisen, sich die Behandlung bei Leistungserbringerinnen wie der Elektrologistin E auf eigene Kosten zu beschaffen, um nicht gänzlich unversorgt zu bleiben. Die Behandlungsleistung kann damit faktisch nicht zu Lasten der GKV erlangt werden (vgl. zu diesem Ergebnis in einem vergleichbaren Fall zu Recht kritisch Knispel, NZS 2019, 319).

 

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind schließlich entsprechend ihrem Sicherstellungsauftrag (§ 72 SGB V, § 75 Abs. 1 SGB V), die Beklagte aus dem Anspruch der Klägerin auf Bereit- und Sicherstellung der für die Behandlung erforderlichen sächlichen und personellen Mittel (§ 2 Abs. 1 SGB V, dazu Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 2 SGB V - Stand: 15.06.2020 -, Rn. 63) zwar jeweils verpflichtet zu gewährleisten, dass Vertragsärzte und Vertragsärztinnen die Nadelepilation erbringen (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 34/17 R, Rn. 24). Es kann im Fall der Klägerin offen bleiben, ob die KV ihren Sicherstellungsauftrag pflichtwidrig verletzt hat, indem sie von ihrer Befugnis zu Aufsichtsmaßnahmen gegenüber den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten keinen Gebrauch gemacht hat. Denn der Sicherstellungsauftrag (§ 75 SGB V) besteht nur im Verhältnis zu den Krankenkassen, nicht im Rechtsverhältnis zu Versicherten, so dass die Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht ohne Weiteres auf eine solche Pflichtverletzung gründen kann. Mangels Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Krankenkasse hat diese schließlich selbst keinen Schaden, den sie ihrerseits gegenüber der zuständigen KV geltend machen könnte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 34/17 R – Rn. 25). Ob die im Zivilrecht anerkannte Rechtsfigur der sog. Drittschadensliquidation die Beklagte überhaupt berechtigen würde, den Schaden der Klägerin gegenüber der KV geltend zu machen, kann offen bleiben. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin verpflichtet ist, einen möglichen fremden Schaden geltend zu machen, bestehen nicht.

 

Das Systemversagen kann im Ergebnis sozialgerichtlich und speziell durch den Senat nicht aufgefangen werden. Das Bundessozialgericht weist zu Recht darauf hin, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, faktische Versorgungslücken für die Gruppe der Versicherten der Klägerin durch geeignete (Vergütungs-)Regelungen zu schließen. Der Senat sieht sich – wie auch das Bundessozialgericht –  mit Blick auf die nach der Gewaltenteilung des Rechtsstaats (Art. 20 Abs. 3 GG) begrenzten Kompetenzen der Gerichte nicht berechtigt, selbst Regelungen kraft Richterrechts zu schaffen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R, Rn. 38).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen mit Blick auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zuletzt vom 17. Dezember 2020 (B 1 KR 4/20 R und B 1 KR 6/20 B, B 1 KR 19/20 R, B 1 KR 28/20 R) nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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