1. Einzelfall zu einem Anspruch auf außerklinische Intensivpflege im Rahmen eines Antrags auf einstweilige Anordnung
2. Bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen einer außerklinischen Intensivpflege kann nicht allein auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Tracheostomas abgestellt werden (§ 4 Abs. 2 AKI-RL).
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von außerklinischer Intensivpflege in Form der Krankenbeobachtung für 24 Stunden täglich statt für – wie von der Antragsgegnerin bewilligt – 14,85 Stunden täglich.
Der 1947 geborene und bei der Antragsgegnerin (und Beschwerdegegnerin) krankenversicherte Antragsteller (und Beschwerdeführer) leidet unter neurogener Dysphagie, chronisch inkompletter Querschnittslähmung bei persistierender Medulla oblongata-Kompression und Arnold-Chiari-Malformation. Er ist seit dem 1. September 2016 mit einem Tracheostoma mit Trachealkanüle versorgt, die in den Zeiten von 7.30 Uhr bis 12.00 Uhr und vom 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr entblockt ist und täglich mehrmals, durchschnittlich zehnmal, zu unregelmäßigen Zeiten abgesaugt werden muss. Die Ernährung erfolgt über eine einliegende perkutane Ernährungssonde.
Der Antragsteller lebt seit Januar 2017 in einer Wohngemeinschaft für Intensivpatienten i.S.d. § 132l Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bzw. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege (Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie/AKI-RL) und wird dort von dem Pflegedienst AIB – Ambulante und Intensivpflege Barnim GmbH (nachfolgend: Pflegedienst) intensivpflegerisch betreut und versorgt. Der Antragsteller hat den Pflegegrad 4; der Pflegedienst erbringt auf der Grundlage eines „Vertrag(es) über ambulante Pflege und Betreuung“ vom 17. Januar 2017 sowohl Leistungen der Pflegeversicherung als auch Leistungen der häuslichen Krankenpflege für den Antragsteller. Hinsichtlich der Einzelheiten des Pflegevertrages wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller in der Vergangenheit die Übernahme der vertraglich vereinbarten Kosten des Pflegedienstes für spezielle Krankenbeobachtung, zuletzt mit Bescheid vom 22. Dezember 2022 für den Zeitraum vom 1. Januar 2023 bis zum 30. November 2023 für 22,27 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche.
Am 9. November 2023 verordnete der Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie Dr. M dem Antragsteller für den Verordnungszeitraum 1. November 2023 bis 30. April 2024 außerklinische Intensivpflege für 24 Stunden täglich. Diese Verordnung übersandte der Pflegedienst am 15. November 2023 an die Antragsgegnerin mit der Bitte um Genehmigung. Die Antragsgegnerin schaltete den Medizinischen Dienst Berlin-Brandenburg (MD) ein und informierte den Antragsteller hierüber sowie insgesamt dreimal darüber, dass sich die Erstellung des Gutachtens (weiter) verzögern werde.
Nach einem Hausbesuch bei dem Antragsteller am 15. Februar 2024 gelangte die MD-Gutachterin M in einem Gutachten vom 21. Februar 2024 zu dem Ergebnis, dass in der Gesamtschau der vorliegenden und erhobenen Befunde und Informationen im Falle des Antragstellers die Anwesenheit einer Pflegefachkraft täglich für die Zeiten, in denen die Trachealkanüle geblockt sei – 12.00 Uhr bis 14.30 Uhr sowie 18.00 Uhr bis 7.30 Uhr –, im Rahmen einer außerklinischen Intensivpflege als kontinuierliche Beobachtung und Interventionsbereitschaft zur Verhinderung lebensbedrohlicher Zustände und Sicherung der Vitalfunktionen für den verordneten Zeitraum medizinisch begründbar sei. Mit Bescheid vom 1. März 2024 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Begutachtung durch den MD die Übernahme der Kosten für Außerklinische Intensivpflege für den Zeitraum vom 1. Dezember 2023 bis 30. April 2024 für 14,85 Stunden täglich sieben Mal wöchentlich.
Der Antragsteller hat Widerspruch gegen den Bescheid erhoben und am 14. März 2024 zudem einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht gestellt mit dem Begehren, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, ihm ab dem Tag der Entscheidung des Gerichts bis zum Ende des Verordnungszeitraums der aktuellen ärztlichen Verordnung, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, außerklinische Intensivpflege gemäß § 37c SGB V im ärztlich verordneten Umfang zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, er müsse regelmäßig von Sekret aus den oberen Luftwegen befreit werden, um nicht zu ersticken, und sei nicht in der Lage, sich eigenständig das Sekret aus den Atemwegen endotracheal abzusaugen und eigenständig den Trachealkanülwechsel durchzuführen. Die Absaugvorgänge über die Trachealkanüle würden durch das Pflegefachpersonal vor Ort durchgeführt. Ein regelmäßiges Intervall sei nicht vorhersehbar. Ohne die ständige Interventionsbereitschaft drohe eine vitale Gefährdung. Sein Anspruch bestehe daher auch bei nicht täglich auftretender lebensbedrohlicher Situation. Ausreichend sei, dass potenziell solche Situationen unvorhersehbar eintreten könnten. Zur weiteren Begründung seines Antrags hat der Antragsteller eine Stellungnahme des Arztes Dr. M vom 25. März 2024, Ergebnisse einer Schluckdiagnostik vom 22. März 2024 und einen Befundbericht des Facharztes für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde U vom 18. April 2024 eingereicht; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme des MD zu den eingereichten ärztlichen Unterlagen eingeholt und eingereicht (Gutachten des Herrn Andrade vom 21. Mai 2024), hinsichtlich der Einzelheiten wird ebenfalls auf die Gerichtsakte Bezug genommen).
Mit Folgeverordnung vom 6. Mai 2024 verordnete Herr Dr. M dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Mai 2024 bis 31. Dezember 2024 weiterhin außerklinische Intensivpflege über 24 Stunden je Tag.
Mit Beschluss vom 13. Juni 2024 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt: Der Antrag sei teils unzulässig, teils unbegründet. Unbegründet sei er, soweit damit eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung außerklinischer Intensivpflege für den Verordnungszeitraum vom 1. November 2023 bis 30. April 2024 begehrt werde. Die Erbringung einer Sachleistung sei nicht in der Vergangenheit (in natura) möglich, sondern könne nur für Zeiträume nach der gerichtlichen Entscheidung erbracht werden. Unzulässig sei der Antrag in Bezug auf den Zeitraum aus der Folgeverordnung. Auf der Verordnung sei das Datum des Beginns der Verordnung handschriftlich auf den 1. Mai 2024 geändert worden. Wer diese Änderung eingetragen habe, sei nicht ersichtlich. Unabhängig davon liege bisher kein Bescheid der Antragsgegnerin über den Folgezeitraum vor. Damit fehle es bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für ein Tätigwerden des Gerichts.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2024 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Übernahme der Kosten für außerklinische Intensivpflege im Zeitraum vom 1. Mai 2024 bis 31. Oktober 2024 für 14,85 Stunden täglich sieben Mal wöchentlich bewilligt und u.a. ausgeführt: Für die Versorgung von außerklinischer Intensivpflege gelte: Die maximale Verordnungsdauer betrage generell sechs Monate. Sie, die Antragsgegnerin, habe den Zeitraum daher entsprechend kürzen müssen. Für ihre Entscheidung habe sie das Ergebnis einer Begutachtung durch den MD herangezogen. Dieser sei zu der Feststellung gekommen, dass die Anspruchsvoraussetzungen auf außerklinische Intensivpflege gemäß § 37c SGB V nur während der Zeiten mit geblockter Trachealkanüle bestünden. Der Antragsteller hat wegen der Teil-Ablehnung der beantragten Leistung Klage zum Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben.
Am 19. Juni 2024 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den seinen Bevollmächtigten am 18. Juni 2024 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts vom 13. Juni 2024 eingelegt. Zwar möge es zutreffen, dass in den Zeiten der Entblockung der Trachealkanüle bisher keine lebensbedrohlichen Situationen eingetreten seien. Dies sei jedoch nicht entscheidend, vielmehr komme es darauf an, ob eine Lebensgefahr durch das Aufkommen von Sekret in den Atemwegen bestehe oder nicht. Dies sei bei ihm der Fall, da er jedenfalls aktuell noch nicht in der Lage sei, sich selbst vom Sekret aus den Atemwegen zu befreien. Er verfüge auch nicht über eine ausreichende Sensibilität, um das in den Atemwegen befindliche Sekret zu spüren. Daher könne er auch den „Schwesternnotruf“ nicht rechtzeitig bedienen. Es bestehe somit die Gefahr der Aspiration von Sekret, was zu gesundheitlichen Schäden führen würde. Er, der Antragsteller, müsse auch in den Zeiten der Entblockung endotracheal abgesaugt werden. Diese Tätigkeiten seien entsprechend durch die Pflegefachkräfte dokumentiert. Es sei aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend, dass er sich zum Absaugen über den Schwesternruf melde. Zunächst einmal könne es bei Atemwegsverlegungen generell lebenswichtig sein, sofort zu intervenieren. Jede Verzögerung, die durch das Warten auf das Pflegepersonal entstehe, könne die Situation verschlimmern und zu akuten Atemnotfällen führen. Außerdem sei bei absaugpflichtigen Patienten eine kontinuierliche Überwachung erforderlich. Eine Selbstmeldung über den Schwesternruf könne nicht die konstante Aufmerksamkeit und das rechtzeitige Eingreifen des Pflegepersonals ersetzen. Darüber hinaus sei er nicht immer und zuverlässig in der Lage, den Schwesternruf zu betätigen, beispielsweise bei plötzlicher Bewusstlosigkeit oder schwerwiegenden gesundheitlichen Verschlechterungen. In den Zeiten der Entblockung bestehe außerdem ein deutlich höherer Bedarf der Überwachung. Er müsse in der Entblockungszeit seinen Speichel adäquat abschlucken können. Während der Entblockungszeit müsse er in aufrechter Position im Rollstuhl sitzen, wobei aufgrund der instabilen Trachea-Rückwand zusätzliche Aspirationsgefahr bestehe. Es bestehe des Weiteren die Gefahr der Aspirationspneumonie. Hinzuweisen sei auch auf das bei ihm vorliegende Arnold-Chiari-Syndrom, dies sei ein struktureller Defekt im Kleinhirn. Aus diesen Gründen sei es nicht ausreichend, dass er sich zum Absaugen über den Schwesternruf melde. Vielmehr sei die ggf. notwendige sofortige Reaktion und kontinuierliche Überwachung durch das Pflegefachpersonal unerlässlich, um seinen hohen Pflegebedarf und seine Sicherheit zu gewährleisten.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts vom 13. Juni 2024 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die ärztlich verordneten Leistungen der außerklinischen Intensivpflege bis zum 31. Dezember 2024, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, durch eine antragsgemäße Entscheidung würde die im Hauptsacheverfahren zu treffende Entscheidung vorweggenommen. Dies wäre unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu rechtfertigen, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre. Dies könne hier jedoch nicht bejaht werden.
Der Senat hat den Pflegedienst schriftlich befragt und dessen Absaugprotokolle angefordert. Hinsichtlich der Einzelheiten des Antwortschreibens des Pflegedienstes vom 25. Juli 2024 und der von ihm zur Verfügung gestellten Absaugprotokolle wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist der Fall, wenn das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds nach summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich ist. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der geltend gemachte materielle Rechtsanspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), als auch das Vorliegen eines Grundes, aus dem die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache geregelt werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsanspruch im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist nur gegeben, wenn nach summarischer Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrten Leistungen zusteht und er deshalb im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren Erfolg haben wird. Ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des betroffenen Antragstellers unzumutbar erscheinen lässt, ihn zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf eine Entscheidung in der Hauptsache zu verweisen. Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwerwiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer konkreten und objektiven Gefahr unmittelbar bevorsteht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 27 f., m.w.N.). Dabei ist eine Tatsache dann als glaubhaft gemacht anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 294 ZPO). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz.
Der Antragsteller hat jedoch einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Versorgung mit außerklinischer Intensivpflege in der Form der Krankenbeobachtung über 24 Stunden täglich nicht glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren Erfolg haben wird.
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf außerklinische Intensivpflege ist § 37c SGB V. Gemäß § 37c Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V haben Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege Anspruch auf außerklinische Intensivpflege; ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist. Vor der Einführung dieser Vorschrift mit Wirkung vom 29. Oktober 2020 wurde die außerklinische Intensivpflege auf der Grundlage des § 37 SGB V erbracht (Nolte in: beck-online Großkommentar, Stand: 01.03.2021, § 37c SGB V, Rn. 2). Seit der ab dem 31. Oktober 2023 geltenden Neufassung des § 37 Abs. 2 S. 3 SGB V kann bei einem besonders hohen Bedarf medizinische Behandlungspflege nur noch nach Maßgabe des § 37c SGB V beansprucht werden (Knispel in: BeckOK SozR, 73. Ed. 1.6.2024, § 37c SGB V, Rn. 7).
Gemäß § 37c Abs. 1 Satz 8 Nr. 1 SGB V bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien das Nähere zu Inhalt und Umfang der Leistungen sowie die Anforderungen an den besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege nach Satz 2. Diesem Auftrag des Gesetzgebers ist der G-BA mit der AKI-RL nachgekommen; die Erstfassung der AKI-RL ist am 19. November 2021 beschlossen worden und zum 18. März 2022 in Kraft getreten (BAnz AT 17.3.2022 B2). Gemäß § 3 Abs. 1 AKI-RL ist Leistungsinhalt der außerklinischen Intensivpflege die permanente Interventionsbereitschaft, Anwesenheit und Leistungserbringung durch eine geeignete Pflegefachkraft über den gesamten Versorgungszeitraum zur Erbringung der medizinischen Behandlungspflege, zu der insbesondere die spezielle Überwachung des Gesundheitszustandes und die sich daraus ergebenden notwendigen Interventionen (Satz 2 Nr. 1) gehören können. Gemäß § 4 Abs. 1 AKI-RL ist die Verordnung von außerklinischer Intensivpflege bei Versicherten zulässig, bei denen wegen Art, Schwere und Dauer der Erkrankung in den Fällen des § 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 AKI-RL (Unterbringung – wie hier – in einer Wohneinheit i.S.d. § 132l Abs. 5 Nr. 1 SGB V) die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft notwendig ist, weil eine sofortige ärztliche oder pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar erforderlich ist, wobei die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können. Bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen kann nicht alleine auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Tracheostomas abgestellt werden (§ 4 Abs. 2 AKI-RL).
Bei Maßnahmen der Behandlungspflege handelt sich um medizinische Hilfeleistungen nichtärztlicher Hilfspersonen im Rahmen eines ärztlichen Behandlungsplanes. Zur Behandlungspflege zählen alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, eines der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V zu erreichen (Knispel in: BeckOK SozR, 73. Ed. 1.6.2024, § 37c SGB V, Rn. 12). Auch die ständige Beobachtung eines Patienten, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen des Gesundheitszustands des Patienten kommt, ist eine behandlungspflegerische Maßnahme (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R –, Rn. 16; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Mai 2016 – L 1 KR 281/14 –, Rn. 26; Rechtsprechung hier und im Folgenden zitiert nach juris).
Mit § 37c Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V hat der Gesetzgeber an § 1 Abs. 7 S. 3 der Richtlinie des G-BA über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie/HKP-Richtlinie) angeknüpft, die wiederum die Rechtsprechung. des BSG nachgezeichnet hat. Ein Anspruch nach Satz 1 besteht u.a. im Hinblick auf Konstellationen, in denen akute oder lebensgefährdende Veränderungen der Vitalfunktionen mit dem Erfordernis einer sofortigen medizinischen Intervention zu unvorhersehbaren Zeiten wiederkehrend eintreten können. Er kommt vor allem bei so schwerwiegenden Krankheitsbildern in Betracht, bei denen behandlungspflegerische Maßnahmen – wie z.B. endotracheale Absaugungen – rund um die Uhr zur Aufrechterhaltung der Grund- und Vitalfunktionen erforderlich sind. Das Vorhandensein eines Tracheostomas allein kann einen Anspruch gemäß § 37c Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V nicht begründen (Nolte in: BeckOGK, 1.3.2021, § 37c SGB V, Rn. 4).
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege für 24 Stunden täglich erfüllt sind.
Zwar teilt der Senat grundsätzlich die Einschätzung des Antragstellers, dass es nicht entscheidend darauf ankommen kann, ob in der Vergangenheit bereits Interventionen auch in den Zeiten zwischen 7.30 Uhr und 12.00 Uhr und zwischen 14.30 Uhr und 18.00 Uhr, also in den „Entblockungszeiten“ erforderlich geworden sind, solange die Gefahr der Notwendigkeit entsprechender Interventionen im Raum steht. Denn aus einem positiven Verlauf in der Vergangenheit allein kann nicht darauf geschlossen werden, dass eine medizinische Notwendigkeit auch in der Gegenwart nicht gegeben ist (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Februar 2015 – L 9 KR 283/12 –, Rn. 53, zur häuslichen Krankenpflege in der Form der Beobachtungspflege). Jedoch ergeben sich aus den vorliegenden Unterlagen und insbesondere auch aus den vom Antragsteller eingereichten Unterlagen keinerlei Hinweise darauf, dass sich täglich rund um die Uhr lebensbedrohliche Situationen für den Antragsteller ergeben könnten.
Für seine Entscheidung stützt sich der Senat zunächst auf die Feststellungen der MD-Gutachterin M, die diese nach ihrem (gemäß § 37c Abs. 2 Satz 6 SGB V obligatorischen) Hausbesuch bei dem Antragsteller am 15. Februar 2024 getroffen hat. Danach war der Antragsteller bei dem Hausbesuch wach und orientiert und konnte über ein Sprechventil adäquat kommunizieren sowie den Schwesternruf adäquat bedienen und meldete sich zum Absaugen. Hieraus ergibt sich, dass der Antragsteller in der Lage ist, selbstständig zu signalisieren, wann ein Absaugen erforderlich ist. Der ständigen ununterbrochenen Beobachtung durch eine Pflegekraft bedarf es hierfür nicht.
Der MD-Gutachter A hat in seinem Zweitgutachten vom 21. Mai 2024, das er nach Aktenlage unter Berücksichtigung der im Gerichtsverfahren eingereichten Unterlagen erstellt hat, die Leistungseinschätzung der Frau M vollumfänglich bestätigt. Auch er konnte anhand der im Hausbesuch festgestellten Befunde und eingesehenen Unterlagen die Notwendigkeit der ständigen Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft nicht erkennen und keine lebensbedrohlichen Situationen außerhalb der Zeiten, in denen die Trachealkanüle geblockt ist, feststellen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass Notfallsituationen mit entsprechenden Interventionsmaßnahmen weiterhin nicht belegt seien. Schwerwiegende Funktionseinschränkungen gingen aus den Unterlagen nicht hervor. Es bestehe in allen Extremitäten ein ausreichender Kraftgrad von 4 bis 5 nach Janda. Während der Vor-Ort-Prüfung anlässlich des Hausbesuchs sei der Antragsteller vollständig orientiert und kommunikationsfähig gewesen und habe über eine funktionell ausreichende Grob- und Feinmotorik der Hände verfügt. Das Mobiltelefon und Tablet bediene er selbstständig. Auf eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter werde seitens des Pflegedienstes verzichtet. Der Antragsteller fordere die Absaugungen per Schwesternotruf adäquat und selbstständig an. Der Hustenreflex sei vorhanden. Die Absaugungen erfolgten in den im Erstgutachten genannten Zeiten, da dann viel Sekret vorhanden sei. Diesen könne der Antragsteller teilweise abschlucken, teilweise spucke er ihn aber auch aus.
Der Umstand, dass eine ständige Beobachtung des Antragstellers nicht erforderlich ist, lässt sich auch der Auskunft des Pflegedienstes entnehmen. Denn in der Antwort des Pflegedienstes vom 25. Juli 2024 auf die Fragen der Berichterstatterin wird ausdrücklich ausgeführt, dass „durch eine strukturierte und geplante Pflege, bei der das Absaugen zu festen Intervallen durch das Pflegepersonal durchgeführt wird“, Ressourcen effizienter genutzt werden könnten, was eine reaktive statt einer proaktiven Pflege verhindere. Das Pflegepersonal könne den Zustand des Patienten besser einschätzen und entsprechend handeln. Eine einfache Meldung über den Schwesternruf gebe keine Auskunft über den aktuellen Gesundheitszustand und den genauen Pflegebedarf. Für den Patienten sei es beruhigend zu wissen, dass regelmäßige und geplante Pflege erfolge, anstatt sich ständig melden zu müssen. Dies trage zum allgemeinen Wohlbefinden und Vertrauen in die Pflege bei. Eine aktive und geplante Pflege durch das Pflegepersonal sei unerlässlich, um den hohen Pflegebedarf und die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten. Aus diesen Angaben schließt der Senat, dass auch der Pflegedienst davon ausgeht, dass das erforderliche Absaugen der Trachealkanüle des Antragstellers (die laut der ärztlichen Folgeverordnung vom 6. Mai 2024 durchschnittlich zehnmal pro Tag zu unterschiedlichen Zeiten erfolgt) sich durchaus planen und im Rahmen der üblichen Pflegeroutine erbringen lässt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage in dem Gutachten des Herrn A, wonach auf eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter seitens des Pflegedienstes verzichtet werde, plausibel und glaubhaft. Aus den vom Senat angeforderten und vom Pflegedienst zur Verfügung gestellten Absaugprotokollen aus dem Zeitraum vom 1. März 2024 bis 1. Juli 2024 ist erkennbar, dass täglich mehrfach Absaugungen erfolgt sind. Hierdurch wird jedoch nicht belegt, dass diese Absaugungen aufgrund einer lebensbedrohlichen akuten Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers notwendig geworden wären, die eine sofortige pflegerische Intervention erfordert hätten. Unter Berücksichtigung des Schreibens des Pflegedienstes ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Absaugungen im Rahmen der vom Pflegedienst geplanten festen Intervalle durchgeführt wurden. Auch aus den Angaben des Pflegedienstes erschließt sich demnach nicht, warum eine ständige Beobachtung des Antragstellers über 24 Stunden täglich erforderlich sein soll. Die von der Antragsgegnerin bewilligten 14,85 Stunden erscheinen danach als ausreichend bemessen.
Auch aus der Stellungnahme des verordnenden Internisten und Pneumologen Dr. M vom 25. März 2024 ergibt sich Gegenteiliges nicht, obwohl dieser darin die Auffassung vertreten hat, dass die Versorgung mit einer Trachealkanüle zum Schutz vor Aspiration und auch die fachliche Betreuung mit Interventionsbereitschaft, etwa endotracheales Absaugen rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, durch qualifizierte Fachpflege weiterhin unerlässlich sei. Herr Dr. M begründet seine Einschätzung allerdings damit, dass der Antragsteller zur Selbstabsaugung nicht in der Lage sei, was aber auch nicht streitig ist; weder der MD noch die Antragsgegnerin haben die Auffassung vertreten, dass der Antragsteller sich selbst absaugen solle. Zudem führt Herr Dr. M anschließend lediglich allgemein aus, dass „bei Patienten mit Tracheostoma“ eine Verlegung der Atemwege „jederzeit, plötzlich und ohne Ankündigung erfolgen und innerhalb kürzester Zeit zu einer Notsituation führen“ könne. Diese allgemeingültige Feststellung führt aber nicht weiter. Dass sie nicht ausreichen kann, um einen Anspruch auf (24-stündige) außerklinische Intensivpflege zu begründen, wird mit Blick auf § 4 Abs. 2 AKI-RL deutlich, der ausdrücklich bestimmt, dass bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die außerklinische Intensivpflege nicht alleine auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Tracheostomas abgestellt werden kann.
Konkret auf den Antragsteller bezogen stellt Herr Dr. M lediglich fest, dass sich beim Trachealkanülenwechsel weiterhin eine relevante sensomotorische Dysphagie mit erhöhtem Speichelpenetrations- und -aspirationsrisiko durch deutlich kraftgeminderte und verzögerte Schutzfunktionen gezeigt habe. Schluckversuche in sitzender Position hätten trotz guter Vigilanz und Führbarkeit manifeste Boluspassagestörungen mit erheblicher Aspirationsgefahr gezeigt. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer 24-Stunden-Beobachtung ergeben sich hieraus aber ebenfalls nicht. Durch die von der Antragsgegnerin bereits bewilligten 14,85 Stunden außerklinische Intensivpflege lässt sich ohne Weiteres sicherstellen, dass der Antragsteller während des Trachealkanülenwechsels und bei Schluckversuchen in sitzender Position durch qualifizierte Pflegefachkräfte betreut werden kann.
Der HNO-Arzt U hat schließlich in seinem Befundbericht vom 18. April 2024 die Einschätzung vertreten, dass ein „regelmäßiges Absaugen der Trachea“ nötig sei, um eine Aspirationspneumonie zu verhindern. Die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft fordert auch er damit aber gerade nicht.
Geht es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung, ist zwar in der Regel eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ausgeschlossen und eine abschließende Prüfung notwendig. Kommt ein solche in diesen Fällen aber aus Zeitgründen im Hinblick auf den Eilcharakter des Verfahrens nicht in Betracht, so ist eine Folgenbetrachtung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Güter des Antragstellers und der diesen drohenden Beeinträchtigungen ausschlaggebend. Das Gericht muss sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. April 2015 – L 5 KR 605/15 ER-B –, Rn. 44; zur sogenannten Folgenabwägung Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 6. Februar 2007 – 1 BvR 3101/06 –, Rn. 18, und vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –, Rn. 26). Eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Folgen, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich in der Hauptsache jedoch herausstellte, dass der geltend gemachte Anspruch besteht, mit denjenigen Folgen, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber in der Hauptsache herausstellte, dass der Anspruch nicht besteht, war vorliegend entbehrlich. Denn eine solche ist lediglich dann erforderlich, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – L 31 AS 2158/18 B ER –, Rn. 21). Dies ist hier aber nicht zu befürchten, da die Antragsgegnerin dem Antragsteller außerklinische Intensivpflege für 14,85 Stunden täglich bewilligt hat, wodurch in der Zusammenschau mit den dem Antragsteller erbrachten Leistungen der Pflegeversicherung erhebliche Lebens- und Gesundheitsgefahren für den Antragsteller ausgeschlossen werden können. Der Antragsteller kann deshalb zumutbar auf das Hauptsacheverfahren (Klageverfahren beim Sozialgericht Frankfurt (Oder)) verwiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Diese Entscheidung kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.