1. Übernimmt eine Krankenkasse über Jahre widerspruchslos die Ergebnisse von Schiedsverfahren, die ein bevollmächtigter Krankenkassenverband für andere Krankenkassen mit Krankentransportunternehmen geführt hat, ist sie an das Ergebnis eines weiteren solchen Schiedsverfahrens aufgrund einer Duldungsvollmacht gebunden.
2. Eine nach Ablauf des Kalenderjahres der Leistungserbringung vereinbarte Änderung des Abgabepreises hat keine Auswirkungen auf die von den Versicherten geschuldete Zuzahlungshöhe.
3. Die Krankenkasse kann eine Rechnungskürzung wegen Nichtnutzung des elektronischen Datenaustauschs nicht geltend machen, wenn ihr mangels Anerkennung der Vergütungsforderung kein Aufwand für eine Nacherfassung entstanden ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2024 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass von der Beklagten Verzugszinsen auf 48.370,94 Euro erst ab dem 10. Februar 2021 zu zahlen sind.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 48.370,94 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Vergütungsanspruchs eines Krankentransportunternehmens für im Zeitraum von Januar 2016 bis Dezember 2019 erbrachte Krankentransportleistungen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden nur Klägerin) ist ein Krankentransportunternehmen mit Sitz in Berlin. Sie erbringt in Berlin nach dem Gesetz über den Rettungsdienst für das Land Berlin (im Folgenden RDG Bln) qualifizierte Krankentransportleistungen, ist Leistungserbringer nach § 5 Abs. 2 Satz 1 RDG Bln und verfügt über eine Genehmigung nach § 3 RDG Bln. Die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden nur Beklagte) ist die letzte bundesunmittelbare Betriebskrankenkasse (BKK) und nicht Mitglied in einem der Landesverbände der BKKn. Zwischen den Beteiligten bestehen keine über Entgeltvereinbarungen hinausgehende vertragliche Vereinbarungen.
In Vertragsverhandlungen über Entgelte für Krankentransportleistungen in Berlin für das Jahr 2011 vertraten die Krankenkassenverbände einschließlich des BKK Landesverbandes Mitte (im Folgenden BKK LV Mitte) auf Nachfrage der Krankentransportunternehmen die Auffassung, dass der – von der Beklagten nicht gesondert bevollmächtigte – BKK LV Mitte nicht nur für seine Mitgliedskassen, sondern für alle BKKn handele (Schreiben vom 28. Oktober 2010 und 14. Dezember 2010). Dieser Ansicht folgte die Schiedsstelle im Rahmen der Schiedsstellenverhandlung vom 15. März 2011 (vgl. Protokoll vom 11. April 2011). Diese Umstände kannte die Beklagte, widersprach ihnen nicht und zahlte nach Abschluss der Entgeltverhandlungen und in der Folgezeit die zwischen den Kassenvertretern und Krankentransportunternehmen vereinbarten Vergütungen für Krankentransportleistungen in Berlin, ohne gesondert eine eigene Erklärung über die Geltung des Ergebnisses von Schiedsverfahren abzugeben.
Am 24. Februar 2014 schlossen die Klägerin, weitere Krankentransportunternehmen sowie Krankenkassen und ihre Verbände eine Vergütungsvereinbarung über die Höhe des Entgelts für qualifizierte Krankentransporte nach dem RDG Bln im Jahr 2014 (hierzu VG Berlin, Urteil vom 2. Juni 2021 – 25 K 5/21 –, juris Rn. 2). Die in Landesverbänden zusammengeschlossenen BKKn hatten den BKK LV Mitte hierfür mit ihrer Vertretung beauftragt. Die Beklagte hatte dem BKK LV Mitte keine Vollmacht erteilt, trat dem Vertrag nicht nachfolgend bei und gab keine Unterwerfungserklärung ab, zahlte in Kenntnis der Umstände jedoch auf Abrechnungen der Krankentransportunternehmen und auch der Klägerin für im Jahr 2014 erbrachte Krankentransportfahrten die zwischen den Krankentransportunternehmen und u.a. dem BKK LV Mitte vereinbarten Entgelte. Die Vereinbarung vom 24. Februar 2014 wurde im August 2014 mit Wirkung zum 1. Januar 2015 gekündigt.
Eine Einigung zwischen den Krankenkassen und den Krankentransportunternehmen über die Höhe des zu zahlenden Entgeltes für Krankentransportleistungen in Berlin im Jahr 2015 kam nicht zustande. Die Klägerin und andere Krankentransportunternehmen rechneten ihre im Jahr 2015 erbrachten Leistungen zunächst auf Grundlage der für das Jahr 2014 vereinbarten Preise vorläufig ab, welche die Beklagte jeweils vergütete. Nach Einleitung eines Schiedsverfahrens, an dem die Klägerin und für die BKKn der BKK LV Mitte beteiligt waren, nicht aber die Beklagte, die auch nicht vertreten wurde, erging am 11. November 2015 ein Schiedsspruch, der die Erhöhung der Krankentransportentgelte für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 auf 67,16 Euro je werktäglicher Stadtfahrt tagsüber sowie eine Erhöhung des Entgelts für Nachtbeförderungen um 2,53 % zum Gegenstand hatte. Die Beklagte zahlte nach Vorlage einer Nachberechnung durch die Klägerin für die von dieser im Jahr 2015 erbrachten Krankentransportleistungen die Differenz der Entgelte nach, ohne eine gesonderte Erklärung über die Geltung des Schiedsspruchs ihr gegenüber abzugeben.
Gegen den Schiedsspruch vom 11. November 2015 erhoben die Krankentransportunternehmen am 25. Januar 2016 Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Mit Beschluss vom 9. November 2020 erklärte das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin.
Die Klägerin erbrachte für Versicherte der Beklagten in den Jahren 2016 bis 2019 insgesamt 3.876 Einsätze, die sie gegenüber der Beklagten nach Maßgabe der Schiedsstellenentscheidung vom 11. November 2015 i.H.v. 67,16 Euro unter Berücksichtigung der von den Versicherten geleisteten Zuzahlungen abrechnete. Einen Vorbehalt erklärte die Klägerin nicht, ebenso machte sie die Vorläufigkeit der Abrechnung nicht deutlich. Die Beklagte zahlte diese in Rechnung gestellten Entgelte vollständig.
Mit Schreiben vom 27. November 2019 riefen die Klägerin und weitere 33 Krankentransportunternehmen die Schiedsstelle nach § 21 RDG Bln an und begehrten die Festsetzung höherer Entgelte ab dem Jahr 2016. Für die BKKn war am Schiedsverfahren der BKK LV Mitte beteiligt, die Beklagte hatte erneut keine Vollmacht erteilt. Die Ersatzkassen waren am Schiedsverfahren nicht beteiligt. Unter dem 7. September 2020 beschloss die Schiedsstelle die folgenden Entgelte für einen Krankentransport mit Krankentransportwagen in Berlin für die Jahre 2016 bis 2019 (Angaben in Euro):
|
2016 |
2017 |
2018 |
2019 |
Werktags tagsüber … |
76,37 |
78,28 |
80,60 |
82,74 |
Werktags nachts… |
87,46 |
89,65 |
92,31 |
94,75 |
Sonntags |
98,55 |
101,01 |
104,01 |
106,77 |
Feiertags |
120,73 |
123,74 |
127,42 |
130,80 |
Auch der Schiedsstellenbeschluss vom 7. September 2020 wurde von Krankentransportunternehmen und Krankenkassen durch Klage vor dem Verwaltungsgericht angegriffen.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 teilte der BKK LV Mitte den Verfahrensbeteiligten mit, dass die Krankenkassenverbände eine unbürokratische Umsetzung des vollziehbaren Schiedsspruchs durch Übersendung einer Gesamtnachtragsforderung aller Differenzbeträge über eine einheitliche und abgestimmte Excel-Tabelle präferierten, dies bei den Krankentransportunternehmen aber noch keine Zustimmung gefunden habe.
Mit insgesamt sieben Rechnungen machte die Klägerin über einen zentralen Abrechnungsdienst die sich aus dem Schiedsspruch einerseits und den bereits geleisteten Zahlungen andererseits ergebenden Differenzbeträge von insgesamt 48.370,94 Euro für insgesamt 3.876 Einsätze gegenüber dem Abrechnungszentrum der Beklagten geltend. Hierzu stellte sie die Summe der sieben Nachforderungen in Rechnung und fügte jeweils Tabellen bei, welche sortiert nach Abrechnungsjahren die Versicherungsnummern, die Vornamen und Namen der Versicherten, das Datum der Fahrt, die zuvor verwendete Rechnungsnummer und das Rechnungsdatum der vormals gestellten Rechnung, das bislang abgerechnete Bruttoentgelt, das neu geforderte Bruttoentgelt und die Differenz als Zahlbetrag auswiesen. Der Umfang der nachberechneten Leistungen und die Höhe der sich ergebenden Differenzbeträge sind zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die zusammengefassten, zwischen dem 1. Dezember 2020 und 7. Januar 2021 erstellten Rechnungen stellen sich wie folgt dar:
Jahr |
Anzahl Einsätze |
Nachforderung |
2016 |
170 |
1.669,30 Euro |
2016 |
1039 |
9.778,85 Euro |
2017 |
53 |
633,76 Euro |
2017 |
847 |
9.633,77 Euro |
2018 |
1 |
13,44 Euro |
2018 |
676 |
9.207,24 Euro |
2019 |
1090 |
17.434,58 Euro |
Mit Schreiben vom 4. Februar 2021 lehnte die Beklagte gegenüber dem von der Klägerin beauftragten Abrechnungsdienst die Zahlung dieser Differenzbeträge mit der Begründung ab, dass die Nachberechnungen für die Jahre 2016 bis 2019 ihr gegenüber verwirkt und daher nicht zu zahlen seien. Das Schreiben ist beim Abrechnungsdienst der Klägerin am 9. Februar 2021 eingegangen. Das Abrechnungszentrum der Beklagten lehnte nach Rücksprache mit der Beklagten die Begleichung der Rechnungen ebenso ab.
Die Klägerin hat am 5. August 2021 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und von der Beklagten die Zahlung von 48.370,94 Euro nebst Verzugszinsen und Verzugskostenpauschale begehrt. Sie hat ausgeführt, dass die Beklagte als einzige Kasse allen am Entgeltverfahren für 2016 bis 2019 beteiligten Unternehmen keine Nachzahlung geleistet habe. Der Anspruch auf Nachzahlung der Vergütung ergebe sich aus dem Schiedsstellenbeschluss vom 7. September 2020, die Beklagte sei kraft gesetzlicher Ermächtigung des BKK LV Mitte an die Ergebnisse der Entgeltverhandlungen und an die an ihre Stelle tretenden Schiedssprüche gebunden. Gründe für eine Verwirkung der Ansprüche lägen nicht vor. Der Antrag auf Festsetzung der Vergütung ab 2016 sei erst nach Erlass der Verordnung über die Schiedsstelle nach § 21 Abs. 7 RDG (Rettungsdienst-Schiedsstellenverordnung, RDSchVO) am 18. Oktober 2018 und nach der Einrichtung der Schiedsstelle am 8. Mai 2019 möglich gewesen. Die Klägerin und andere Unternehmen hätten mit Schreiben vom 27. November 2019 die Schiedsstelle angerufen, pandemiebedingt habe zunächst nicht mündlich verhandelt werden können. Die Festsetzung der Vergütung durch den Schiedsspruch für das Jahr 2016 sei Zwischenstation fortgesetzter Verhandlung über die Entgelte, weswegen auch die Verjährung gehemmt sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, dass eine Rechtsgrundlage für die Durchführung des Schiedsverfahrens fehle. § 21 Abs. 1 RDG Bln lege die Vertragspartner auf Kassenseite abweichend von § 133 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) fest, wozu der Berliner Gesetzgeber nicht berechtigt gewesen sei, weswegen die Berliner Regelung unwirksam sei. Auch bei Anwendbarkeit von § 21 RDG müssten die Verträge auf Seiten der Kostenträger gemeinsam und einheitlich geschlossen werden. Da die Ersatzkassen nicht beteiligt gewesen seien, sei das Schiedsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Für gewillkürte Schiedsverfahren außerhalb des RDG Bln fehle eine Vertretungsberechtigung des BKK LV Mitte für die Beklagte. Über die Rechtmäßigkeit des Schiedsverfahrens müsse das Sozialgericht zumindest inzident entscheiden, um sie, die Beklagte, nicht rechtsschutzlos zu stellen. Die von der Klägerin übersandten Tabellen könnten eine Fälligkeit der Nachforderung nicht auslösen. Jedenfalls sei die Gesamtforderung nach § 303 Abs. 3 SGB V zu mindern. Die Ansprüche der Klägerin seien zudem verwirkt, da das Schiedsverfahren erst Ende 2019 eingeleitet worden sei, womit die Beklagte nicht mehr habe rechnen können. Zudem habe die Klägerin weder bei der Erstellung der Rechnungen noch in sonstiger Weise deutlich gemacht, dass es sich um vorbehaltliche, nicht endgültige Abrechnungen handele, was wegen der fehlenden Beteiligung der Beklagten am Schiedsverfahren jedoch erforderlich gewesen wäre. Die Beträge für das Jahr 2016 seien zudem verjährt.
Nachdem das Verwaltungsgericht (VG) Berlin die Klage gegen den Schiedsspruch zu Entgelten im Jahr 2015 abgewiesen hatte (VG Berlin, Urteil vom 2. Juni 2021 – 25 K 5/21) und hiergegen Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) erhoben worden war, hat das OVG mit Urteil vom 25. Februar 2022 (OVG 1 B 10/21) den Schiedsspruch vom 11. November 2015 aufgehoben und die Schiedsstelle verpflichtet, erneut über die Entgelte für das Jahr 2015 zu entscheiden.
Im November 2022, zuletzt unterzeichnet mit Datum vom 23. November 2022, haben die Klägerin und weitere Krankentransportunternehmen mit einer Vielzahl von Krankenkassen, u.a. mit den vom BKK LV Mitte vertretenen Betriebskrankenkassen, eine „Vereinbarung zur Erledigung von Entgeltverhandlungen im Krankentransport in Berlin“ geschlossen (im Folgenden Erledigungsvereinbarung). Gegenstand der Vereinbarung ist zum einen die Erhöhung der Vergütung für im Jahr 2015 geleistete Krankentransportfahrten. Unter Einbindung der Ersatzkassen in die Vereinbarung haben die Vertragsbeteiligten zum anderen die Geltung der mit Schiedsspruch vom 7. September 2020 für die Jahre 2016 bis 2019 festgelegten Entgelte vereinbart. Ferner wurde über die Entgelte für die Jahre 2020 und 2021 eine Einigung erzielt und eine vorläufige Regelung für Krankentransportentgelte für das Jahr 2023 getroffen.
Die Vereinbarung enthält u.a. für die Entgelte in den Jahren 2016 bis 2019 folgende Regelung – wegen der Einzelheiten wird auf die Vereinbarung verwiesen –:
„Es bleibt bei den festgesetzten Entgelten. …
Versichertenanteile gem. 61 SGB V (Zuzahlungen) sind bei diesen Entgelten nicht berücksichtigt. Soweit Differenzen zwischen der bereits vorgelegten Nachberechnung und der hierauf geleisteten Zahlungen bestehen, bleibt die Klärung den hieran beteiligten Unternehmen und Kostenträgern überlassen. ... Soweit im Einzelfall die Nachberechnung bei den o.g. beteiligten Krankenkassen (…) noch nicht vorgelegt wurde, wird hierfür eine Ausschlussfrist bis zum 31. März 2023 vereinbart. Den Kostenträgern wird eine Frist von zwei Monaten ab Eingang der Nachberechnung für den Zahlungsausgleich eingeräumt…
Die Parteien nehmen ihre jeweiligen Klagen zurück ….“
Die Beklagte ist nicht als Vertragspartnerin dieser Vereinbarung aufgeführt, hatte dem BKK LV Mitte keine Vollmacht für Verhandlungen erteilt (und keinem Dritten), ist der Vereinbarung nicht nachträglich beigetreten und hat sich ihr gegenüber der Klägerin nicht unterworfen. Die Beklagte hat auch nach Abschluss der Erledigungsvereinbarung keine Nachzahlung für die Vergütung aus den Jahren 2016 bis 2019 an die Klägerin oder andere beteiligte Krankentransportunternehmen geleistet.
Mit Urteil vom 31. Januar 2024 hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 48.370,94 Euro nebst Verzugszinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 5. Februar 2021 sowie weitere 280 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. August 2021 zu zahlen. Die Klägerin habe einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte aus §§ 3, 17, 21 RDG Bln. Mit der Pflicht zur Erbringung der Krankentransportleistungen korrespondiere ein Vergütungsanspruch, dessen Inhalt und Zustandekommen durch § 21 RDG Bln geregelt sei. Insoweit enthalte das RDG Bln eine landesrechtliche Regelung im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da mit der Inanspruchnahme des Krankentransports der Vergütungsanspruch entstehe. Die Höhe des Vergütungsanspruchs ergebe sich zunächst aus dem Schiedsbeschluss vom 7. September 2020. Nach der Rücknahme der dagegen geführten Klagen vor dem Verwaltungsgericht aufgrund der Erledigungsvereinbarung sei der Schiedsspruch durch das Sozialgericht als rechtmäßig zugrunde zu legen. Er wirke auch gegen die Beklagte. Diese gehe selbst davon aus, durch den Beschluss gebunden zu sein, sofern das Schiedsverfahren als rechtmäßig erachtet werde, was hier der Fall sei. Der BKK LV Mitte habe die Beklagte im Schiedsverfahren vertreten dürfen. Dies habe die Beklagte im Klageverfahren bestätigt und damit eine etwaige vollmachtlose Vertretungshandlung genehmigt. Die Höhe des Anspruchs werde nicht durch etwaige Zuzahlungen der Versicherten reduziert, die Erledigungsvereinbarung sei dahingehend auszulegen, dass der Differenzbetrag voll von den jeweiligen Kassen zu tragen sei. Der klägerische Anspruch sei auch durchsetzbar, er sei weder verjährt noch verwirkt. Verjährung könne nicht eingetreten sein, da bis zum Erlass des Schiedsbeschlusses vom 7. September 2020 keine Entgeltregelung für die Jahre 2016 bis 2019 vorgelegen habe. Denn eine nur vorläufige Weitergeltung der zuletzt festgesetzten Entgelte scheide aus. Erst mit Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung oder einer Entscheidung der Schiedsstelle habe das eigentlich geschuldete, höhere Entgelt verlangt werden können. Die Fälligkeit sei mit dem Beschluss der Schiedsstelle vom 7. September 2020 entstanden, die Verjährungsfristen würden erst mit einem fälligen Anspruch beginnen. Auch die Verwirkung setze voraus, dass ein Anspruch zunächst endgültig feststehe, jedoch über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht werde. Mangels endgültiger Entgeltregelung vor dem 7. September 2020 fehle ein Zeitmoment für die Verwirkung. Darüber hinaus fehle ein Verwirkungsverhalten der Klägerin. Der Anspruch auf Verzugszinsen folge aus § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Verzugszinsen. Eine Abweichung sei weder vertraglich noch durch Rechtsvorschrift vorgegeben. Die Klägerin könne darüber hinaus eine Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 S. 1 BGB beanspruchen, die ab Rechtshängigkeit zu verzinsen sei.
Gegen das der Beklagten am 8. Februar 2024 zugestellte Urteil hat diese am 28. Februar 2024 Berufung zum Landesozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, der geltend gemachte Vergütungsanspruch der Klägerin sei verwirkt, da die Klägerin bis November 2019 mit der Beantragung eines Schiedsverfahrens für die Jahre 2016 bis 2019 gewartet habe, die Leistungen in den Jahren 2016 bis 2019 vorbehaltlos abgerechnet und eine Vorläufigkeit der Rechnungen nicht angezeigt habe. So habe sie, die Beklagte, sich darauf verlassen können, nicht für längere Zeit rückwirkend auf die Zahlung von Vergütung in Anspruch genommen zu werden. Sie sei zwar Schuldnerin der Entgelte, nicht aber Vertrags- oder Schiedspartei nach § 21 RDG Bln. Die Rechtsverhältnisse zwischen dem verhandelnden BKK LV Mitte und den Krankentransportunternehmen auf der einen Seite und den Krankentransportunternehmen und ihr, der Beklagten, auf der anderen Seite seien zu trennen. Da sie nach § 21 RDG Bln nicht Vertragspartei des Schiedsverfahrens sein könne, scheide auch die Annahme einer Duldungsvollmacht aus. Fehlerhaft lege das Sozialgericht die Erledigungsvereinbarung dahingehend aus, die Beteiligten hätten die Ansprüche von Transportunternehmen gegenüber den Krankenkassen ohne Berücksichtigung von Zuzahlungen regeln wollen. Eine solche Interpretation finde im Wortlaut der Vereinbarung keine Stütze, zudem stehe die Frage der gesetzlichen Zuzahlung nicht zur Disposition der Vertragsparteien. Soweit das Sozialgericht darauf verweise, dass sie, die Beklagte, zur Höhe des durch Zuzahlung verringerten Betrages hätte vortragen müssen, verkenne es, dass es Sache der Klägerin sei, den geltend gemachten Anspruch plausibel darzulegen. Dies wäre der Klägerin auch ohne weiteres möglich gewesen, da ihr aus den Abrechnungen der Leistungen bekannt gewesen sei, in welchen Fällen Zuzahlungen zu berücksichtigen gewesen seien. Schließlich sei eine Rechnungskürzung der Klageforderung gemäß § 303 Abs. 3 SGB V zu beachten. Nach der technischen Anlage 1 zu den Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 302 Abs. 2 SGB V über Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens sei unter Ziffer 7 geregelt, dass Rechnungen im Korrekturverfahren zu bereits erstellten Rechnungen per Datenträgeraustausch (DTA) zu übermitteln seien. Somit wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, vermeintliche Nacherstattungsbeträge mit ihr gemäß § 302 Abs. 1 SGB V abzurechnen. Da dies unterblieben sei, sei sie zum Abzug gemäß § 303 Abs. 3 SGB V berechtigt. Im Hinblick auf die Art und Weise der vorgelegten Rechnungen durch die Klägerin dürfte der Abzug i.H.v. 5 Prozent angemessen sein. Nach ihrer Ansicht habe die Erledigungsvereinbarung den Formfehler des Schiedsverfahrens heilen sollen, der sich aus der fehlenden Beteiligung der Ersatzkassen gemäß § 21 RDG Bln ergebe. Mit der Erledigungsvereinbarung seien die Abrechnungs- und Zahlfristen erneut in Gang gesetzt worden, sodass die Fälligkeit entgegen der Ansicht des Sozialgerichts erst mit dem Zustandekommen dieses Vertrages gegeben sein könne. Verzugszinsen könnten vor dem Eintritt der Fälligkeit nicht entstanden sein. Aus systematischen Gründen könne nach § 69 SGB V nur der geringe Verzugszinssatz gemäß § 288 Abs. 1 S. 2 BGB begehrt werden. Der Anspruch auf Verzugspauschalen sei ausgeschlossen, da nur ein Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 BGB bestehe. Die Geltendmachung der Verzugspauschale sei zudem unbillig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2024 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie führt ergänzend aus, dass keine Verwirkung eingetreten sei und eine zum Zeitpunkt der Nachberechnung bestehende Zuzahlungspflicht nicht zu berücksichtigen gewesen sei. Die Nachberechnung in Form der elektronisch erstellten Excel-Tabellen habe dem Wunsch der Krankenkassen entsprochen und liege mit Blick auf die Verzugspauschale wegen der Vielzahl der Leistungsposten im Schadensminderungsinteresse der Beklagten. Diese habe den behaupteten Aufwand für die Nacherfassung nicht beziffert oder belegt, es werde bestritten, dass überhaupt ein Aufwand entstanden sei. Die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin sei hinsichtlich der Nebenforderungen weitestgehend korrekt, es ergebe sich eher ein früherer Verzugsbeginn zu ihren Gunsten.
Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 14. Juni 2024 erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den des Verwaltungsvorganges der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das angefochtene Urteil des Sozialgerichts und der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsnachzahlungsanspruch. In zulässiger Weise verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Diese ist statthaft und zulässig. Die Klage eines Leistungserbringers i.S.d. § 133 SGB V auf Zahlung zu Unrecht nicht geleisteter Vergütung gegen eine Krankenkasse – wie hier – ist ein sogenannter Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 22. Februar 2024 – B 3 KR 15/22 R –, juris Rn. 9).
Die Berufung der Beklagten ist – mit Ausnahme eines späteren Verzugsbeginns hinsichtlich der Hauptforderung – jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung verurteilt, an die Klägerin die nachträglich vereinbarte Vergütung (dazu 1.) nebst Zinsen (dazu 2.) zu zahlen.
1.
Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs dem Grunde nach sind erfüllt, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist (dazu a.). Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung aufgrund des Schiedsspruchs vom 7. September 2020, an den die Beklagte aufgrund einer Duldungsvollmacht gebunden ist (dazu b.). Die Klägerin hat über den Anspruch ordnungsgemäß abgerechnet, es bedurfte keiner Nachberechnung der von Versicherten zu leistenden Zuzahlungen (dazu c.). Der Anspruch ist fällig (dazu d.) und unterliegt auch keinem Rechnungsabschlag (dazu e.). Der Anspruch der Klägerin ist nicht verwirkt und nicht verjährt (dazu f.).
a.
Rechtsgrundlage für die Vergütung von qualifizierten Krankentransporten privater Krankentransportunternehmen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist § 133 Abs. 1 SGB V i.V.m. der jeweiligen Entgeltvereinbarung (ähnlich BSG, Urteil vom 22. Februar 2024 – B 3 KR 15/22 R –, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 13/20 R –, juris Rn. 11; kritisch zur unklaren Bestimmung der Rechtsgrundlage Kirchhoff, jurisPR-SozR 17/2022 Anm. 2). Nach § 133 Abs. 1 SGB V schließen die Krankenkassen oder ihre Landesverbände, soweit Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes und anderer Krankentransporte nicht durch landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt sind, Verträge über die Vergütung dieser Leistungen unter Beachtung des § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V (Beitragssatzstabilität) mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen. Landesrechtliche Bestimmungen zur Höhe des Vergütungsanspruchs der Krankentransportunternehmen bestanden und bestehen im Land Berlin nicht, die Gebühren und Entgeltregelungen des RDG Bln regeln nur die Finanzierung des Rettungsdienstes (§ 20 RDG Bln).
Eine Vergütung von erbrachten Krankentransportleistungen durch die Krankenkasse nach Maßgabe des § 133 Abs. 1 SGB V und auf dessen Grundlage mit den Krankentransportunternehmen geschlossenen Vereinbarungen setzt grundsätzlich einen Sachleistungsanspruch von Versicherten auf die Übernahme von Fahrkosten für diese Krankentransportleistungen voraus (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und 3, § 69 Abs. 1 SGB V). Die Voraussetzungen dieses Anspruchs bestimmen sich nach § 60 SGB V (hierzu BSG, Urteil vom 22. Februar 2024 – B 3 KR 15/22 R –, juris Rn. 13). Sämtliche Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs dem Grunde nach sind in jedem der streitigen Leistungsfälle erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen war in den Jahren 2016 bis 2019 jeweils Grundlage der von der Klägerin abgerechneten Leistungserbringung und der von der Beklagten an die Klägerin hierfür geleisteten Vergütung nach Maßgabe der Entgelthöhe gemäß dem Schiedsspruch vom 11. November 2015.
b.
Die Klägerin hat Anspruch auf Nachzahlung von Vergütung für die erbrachten Krankentransportleistungen in tenorierter Höhe. Der Anspruch folgt aus dem auch gegenüber der Beklagten geltenden Schiedsspruch vom 7. September 2020. Die Beklagte ist an diesen zwischen den Krankentransportunternehmen und den Betriebskrankenkassen ergangenen Schiedsspruch nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht aufgrund einer Rechtsscheinvollmacht gebunden (zu den Begriffen Staudinger/Schilken [Stand 15. März 2023] BGB § 167, Rn. 32).
aa. Die Beklagte hat sich nicht als Vertragspartei am Schiedsverfahren beteiligt und ist dem Schiedsergebnis nicht nachträglich beigetreten (zum Beitritt vorverhandelter Optionsverträge zugunsten Dritter BSG, Urteil vom 18. August 2022 – B 1 KR 30/21 R –, juris Rn. 13 ff.). Dem Schiedsspruch kommt auch keine über die Vertragsbeteiligten hinausgehende Bindung Dritter zu, da es sich mangels gesetzlicher Bestimmung nicht um einen Norm(setzungs-)vertrag handelt (anders der Krankenhausversorgungsvertrag nach § 109 Abs. 1 Satz 3 SGB V; hierzu Bockholdt in Hauck/Noftz SGB V, 5. EL 2024, § 109 Rn. 15; zu Kollektiv- und Normsetzungsverträgen Noftz in Hauck/Noftz SGB V, 5. EL 2024, § 39 Rn. 24 ff.).
bb. Die Beklagte wurde vom BKK LV Mitte im Schiedsverfahren nicht rechtsgeschäftlich vertreten, da die Beklagte dem BKK LV Mitte keine Vertretungsvollmacht erteilt hat.
Die Beklagte wurde im Schiedsverfahren auch nicht auf gesetzlicher Grundlage durch den BKK LV Mitte vertreten. Denn zum einen gehören nach § 207 Abs. 1 Satz 3 SGB V die Krankenkassen dem Landesverband des Landes an, in dem sie ihren Sitz haben – jedoch ausdrücklich unter Ausnahme der BKKn der Dienstbetriebe des Bundes. Die Beklagte ist eine solche BKK eines Dienstbetriebes des Bundes und damit nicht Mitglied eines BKK LV. Zum anderen ermächtigt § 211 Abs. 2 Nr. 3 SGB V die Landesverbände der Krankenkassen nur zum Abschluss und zur Änderung von Verträgen, soweit sie von der Mitgliedskasse hierzu bevollmächtigt worden sind. Die Mitgliedschaft vermittelt mithin keine gesetzliche Vertretungsbefugnis. Eine gesetzliche Vertretungsbefugnis ergibt sich auch nicht aus § 133 SGB V, da die Vorschrift lediglich das Vertragsmodell für die Entgeltfestsetzung regelt. Auch § 21 Abs. 1 Satz 2 RDG Bln regelt jedenfalls keine gesetzliche Vertretungsbefugnis für nicht in einem Landesverband organisierte BKKn.
cc. Nach Überzeugung des Senats ist die Beklagte jedoch nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht aufgrund einer Rechtsscheinvollmacht an den Schiedsspruch vom 7. September 2020 gebunden. Die Beklagte ist gegenüber der Klägerin so zu stellen, als sei der BKK LV Mitte rechtsgeschäftlich zu ihrer Vertretung im Schiedsverfahren bevollmächtigt worden. Nach diesen Grundsätzen ist anerkannt, dass derjenige gegenüber seinem Vertragspartner für das Handeln eines Dritten einzustehen hat, der es wissentlich initiiert bzw. geschehen lässt, dass der Vertragspartner den berechtigten Eindruck gewinnt, der Dritte trete berechtigterweise für ihn (den Geschäftsherrn) auf. Nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht ist der Vertragspartner schutzbedürftig, wenn er das Handeln des Dritten dahin versteht und nach Treu und Glauben verstehen darf, dass dieser zu seinem Handeln berechtigt ist. Darüber hinausgehend ist – nach dem Rechtsgedanken zur Anscheinsvollmacht – der Vertragspartner sogar dann schutzbedürftig, wenn der Vertretene das Handeln eines „Scheinvertreters“ zwar nicht einmal kennt, es bei pflichtgemäßer Sorgfalt aber hätte erkennen und verhindern können, und wenn der Vertragspartner nach den Umständen annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des (Schein-)Vertreters (hierzu BSG, Urteil vom 8. August 2019 – B 3 KR 18/18 R –, juris Rn. 31 m.w.N.; zu terminologischen Unterscheidungen vgl. Staudinger/Schilken [Stand 15. März 2023]) BGB § 167 Rn. 28 ff).
So liegt der Fall hier. In den Entgeltverhandlungen und Schiedsverfahren mindestens seit 2011 wurde vom BKK LV Mitte der Rechtsschein einer Bevollmächtigung bzw. Vertretungsbefugnis erweckt. Die Beklagte wusste von der durch den BKK LV Mitte im Jahr 2011 geäußerten und von den Schiedspersonen übernommenen Rechtsansicht, der BKK LV Mitte würde kraft Gesetzes auch die Beklagte vertreten. Maßgeblich ist jedoch, dass die Beklagte selbst den Rechtsschein einer Vertretungsbefugnis durch widerspruchslose und nicht auf eine gesonderte rechtsgeschäftliche Erklärung gestützte Übernahme der Verhandlungs- und Schiedsergebnisse setzte. Den Rechtsschein hielt die Beklagte bis mindestens Ende 2019 aufrecht, da sie auch nach Abschluss des Schiedsverfahrens im Jahr 2015 das Schiedsergebnis trotz fehlender rechtsgeschäftlicher Vertretung widerspruchslos übernahm und auf dieser Grundlage bis 2019 Vergütungszahlungen leistete. Aufgrund dessen konnte die Klägerin nach Lage der Dinge und nach Treu und Glauben annehmen, das Verhalten des BKK LV Mitte könne der Beklagten auf der Grundlage einer Vertretungsbefugnis zugerechnet werden. Dieses Verhalten begründete auf Seiten der Klägerin zum Zeitpunkt des Schiedsspruches vom 7. September 2020 (zum maßgeblichen Zeitpunkt: Staudinger/Schilken [Stand 15. März 2023] BGB § 167 Rn. 38) Vertrauen in den Umstand, dass die Beklagte die vom BKK LV Mitte geführten Verhandlungs- und Schiedsergebnisse billige und für sich gelten lassen werde.
Der Anwendung der Grundsätze zur Anscheins- und Duldungsvollmacht steht auch die Vorschrift des § 21 RDG Bln nicht entgegen. Die dortige Regelung, dass die Höhe der Entgelte jeweils zwischen den Aufgabenträgern und den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen usw. vereinbart wird, entspricht für Krankenkassen dem auch in § 303 Abs. 1 SGB V genannten Verhandlungsmandat und schließt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht aus, dass die Beklagte mittels einer Vertretung durch Verhandlungsführer am Verfahren beteiligt wird. Insoweit kommen die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht unzweifelhaft zur Anwendung.
dd. Daher kommt es auf eine nachträgliche Genehmigung der Handlungen des BKK LV Mitte als vollmachtloser Vertreter durch die Beklagte – so das Sozialgericht – nicht an.
Ebenso kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, zu denen sich die Beklagte an das Schiedsergebnis gebunden sieht. Die Beklagte vertritt hierzu die Ansicht, über § 21 Abs. 1 Satz 2 RDG Bln nur an ein ordnungsgemäß durchgeführtes Schiedsverfahren gebunden zu sein, woran es mangels Beteiligung der Ersatzkassen fehle. Ob das am 7. September 2020 beendete Schiedsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, bedarf keiner Prüfung durch den erkennenden Senat. Denn zum einem sind zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Schiedsverfahrens nach § 21 RDG allein die Verwaltungsgerichte berufen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 7. Mai 2020 – 3 B 2/20 –, juris Rn. 5) und wurden die vor dem VG Berlin gegen den Schiedsspruch geführten Klagen zurückgenommen. Zum anderen ist die Beklagte aufgrund der Rechtsscheinvollmacht an das Schiedsergebnis gebunden.
ee. Es kann schließlich dahinstehen, ob sich der Nachzahlungsanspruch – ggf. ergänzend – auch aus der Erledigungsvereinbarung ergibt. Zwar gelten die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Vertretung der Beklagten ebenso für den Abschluss der Erledigungsvereinbarung. Zudem sprechen überwiegende Anhaltspunkte ebenso für die Bindung der Beklagten an die Erledigungsvereinbarung nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht, da die Beklagte im seit August 2021 anhängigen Rechtsstreit eine Vertretungsbefugnis des BKK LV Mitte nur für den Fall eines nicht ordnungsgemäßen Schiedsverfahrens bestritten hat, so dass der Vertretungsrechtsschein auch für den Abschluss der Erledigungsvereinbarung noch nicht beseitigt sein dürfte. Jedenfalls erschöpft sich die Erledigungsvereinbarung betreffend die Entgelte für die Jahre 2016 bis 2019 darin, die Geltung des Schiedsspruchs zu bestätigen und die Rücknahme der hiergegen geführten Klage zu regeln, ohne eigene Ansprüche auf Nachzahlung für die Jahre 2016 bis 2019 zu begründen.
c.
Über den nachträglich vereinbarten Vergütungsanspruch hat die Klägerin ordnungsgemäß abgerechnet. Es bedurfte dabei keiner Nachberechnung der von Versicherten zu leistenden Zuzahlungen.
Die Klägerin hat der Beklagten eine formell ordnungsgemäße Nachberechnung der Vergütungsforderung übersandt. Regelungen über die Art und Weise der Geltendmachung der Nachzahlung wurden weder im Schiedsspruch vorgegeben noch in der Erledigungsvereinbarung geregelt, so dass die gesetzlichen Anforderungen gelten. Diese sind erfüllt. Die der Beklagten übersandten Tabellen weisen aus: die Versichertennummern, die Vor- und Nachnamen, das Datum der Fahrt, die Rechnungsnummer sowie das Datum der Rechnung, mit welcher die Leistungserbringung abgerechnet worden war, das zuvor abgerechnete Bruttoentgelt der einzelnen Fahrt, das neu vereinbarte Entgelt je Fahrt sowie die sich ergebende Differenz. Die Tabellen sind nach Jahren der Leistungserbringung gegliedert und weisen die Summe der nachzuzahlenden Differenzbeträge aus. Die Abrechnung ist damit – unabhängig von der Frage der elektronischen Übermittlung und maschinellen Datenverarbeitung – prüfbar und schlüssig. Da es sich lediglich um eine Nachberechnung höheren Entgeltes handelt, waren zusätzliche Angaben im Sinne von § 302 Abs. 1 Satz 1 SGB V entbehrlich.
Eine Nachberechnung der Zuzahlungen Versicherter war nicht erforderlich. Deren Fehlen steht weder der Fälligkeit der Forderung noch der Richtigkeit der Forderungshöhe entgegen. Der Schiedsspruch vom 7. September 2020 und die Erledigungsvereinbarung enthalten keine Regelungen über die Notwendigkeit einer Neuberechnung von Zuzahlungen oder zur Risikotragung bei Uneinbringlichkeit der Zuzahlung. Die Vertragsparteien haben in der Erledigungsvereinbarung lediglich klargestellt, dass Versichertenanteile nicht eingepreist sind.
Die Höhe der von den Versicherten zu leistenden Zuzahlungen beträgt gemäß § 61 Satz 1 SGB V 10 vom Hundert des Abgabepreises, mindestens jedoch 5 Euro und höchstens 10 Euro. Abgabepreis im Sinne der Vorschrift ist damit die für die Krankentransportleistung von der Krankenkasse des Versicherten geschuldete Vergütung. Die Zuzahlungshöhe berechnete sich zum Zeitpunkt der Leistungserbringung in den Jahren 2016 bis 2019 nach der Höhe der Vergütung der Klägerin gemäß dem Schiedsspruch vom 11. November 2015. Die von der Klägerin von 2016 bis 2019 für Versicherte der Beklagten erbrachten Leistungen sind sämtlich – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Leistungserbringung geschuldeten Zuzahlungshöhe zutreffend abgerechnet worden.
Eine nach Ablauf des Kalenderjahres der Leistungserbringung vereinbarte Änderung des Abgabepreises hat keine Auswirkungen auf die vom Versicherten geschuldete Zuzahlungshöhe. Ob eine zeitlich nach der Leistungserbringung, aber noch im selben Kalenderjahr rückwirkend erhöhte Vergütung die Höhe der Zuzahlung ändert, kann vorliegend dahinstehen, da zwischen den Beteiligten erst mit dem Schiedsspruch vom 7. September 2020 eine Änderung der Vergütung rückwirkend für die Streitjahre 2016 bis 2019 gilt.
Die fehlende Auswirkung der rückwirkenden Änderung der Vergütungshöhe ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 61 Satz 1 SGB V, der nur auf den Abgabepreis abstellt. Dieser für die zuvor erbrachte Leistung geschuldete Abgabepreis hat sich durch die nachträgliche Vergütungserhöhung rechtlich auch geändert. Die fehlende Auswirkung einer rückwirkenden Vergütungserhöhung ergibt sich jedoch aus systematischen Gründen. Zum einen folgt aus den Regelungen zur Berechnung der Belastungsgrenze in § 62 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, dass Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten haben. Damit stellt das SGB V für das insgesamt geschuldete Zuzahlungsvolumen auf einen jährlichen Zeitabschnitt ab. Zum zweiten fehlt es an einer Ermächtigung für die Klägerin, wegen rückwirkend geänderter Abgabepreise die Zuzahlungslast gegenüber den Versicherten nachzuberechnen. Zwar ist die gesetzliche Verpflichtung zur Einziehung der Zuzahlung streitig, jedoch ergibt sich in keinem Fall eine Nacherhebungsberechtigung der Klägerin. Nach einer Ansicht findet auf die Einziehung der Zuzahlung für qualifizierte Krankentransporte i.S.v. § 133 SGB V die Regelung des § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB V analog Anwendung (BeckOGK/Zieglmeier [Stand: 15.5.2024] SGB V § 43c Rn. 9 unter Bezugnahme auf Ausschussbericht BT-Drs. 11/3480, S. 56 zu § 68; LPK-SGB V/Hellkötter-Backes/Murawski, 6. Aufl. 2022, SGB V § 60 Rn. 14). Dann träfe allein die Beklagte die Einziehungslast, so dass eine Berücksichtigung der Zuzahlung von der Klägerin nicht geschuldet wäre. Nach anderer Ansicht hat das Beförderungsunternehmen für Fahrten, die keine Rettungsfahrten sind, nach dem Gesamtzusammenhang des § 60 Abs. 2 SGB V (BeckOGK/Nolte [Stand: 1.9.2019] SGB V § 60 Rn. 20) oder nach § 43c Abs. 1 SGB V (Spickhoff/Nebendahl, 4. Aufl. 2022, SGB V § 60 Rn. 32; Krauskopf/Dettling-Kuchler, 121. EL Februar 2024, SGB V § 60 Rn. 31) die Zuzahlung einzuziehen und mit seinen Vergütungsansprüchen gegen die Krankenkasse zu verrechnen. Die Vorschriften stellen jedoch ersichtlich nur auf Einziehung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Leistungserbringung und deren Abrechnung durch Verrechnung mit der Zuzahlung ab, so dass eine Ermächtigung zur Nachberechnung aus ihr nicht abgeleitet werden kann. Denn die Fälligkeit der Zuzahlung bei Leistungserbringung soll unmittelbar zur Steuerung des Leistungsverhaltens beitragen (BeckOGK/Zieglmeier [Stand: 15.5.2024], SGB V § 43c Rn. 13), was nachträglich nicht mehr erreicht werden kann. Zudem findet nach überwiegender Ansicht die den Leistungserbringer verpflichtende Einziehungsregelung des § 43c Abs. 1 SGB V auf qualifizierte Krankentransporte i.S.v. § 133 SGB V keine Anwendung (Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 15. September 2011 – L 1 KR 117/10, juris Rn. 22; Waßer in jurisPK-SGB V [Stand: 03.01.2022], § 43c Rn. 9; Krauskopf/Wagner, 121. EL Februar 2024, SGB V § 43c Rn. 6).
d.
Der Nachzahlungsanspruch ist auch fällig. Die Klägerin hat die Nachforderung gegenüber der Beklagten mit Schreiben aus Dezember 2021 und Januar 2022 geltend gemacht. Es bestehen keine Zweifel, dass die Forderungen spätestens mit Übersendung der Nachberechnung gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 271 Abs. 1 BGB fällig wurden. Prozessuale Gründe stehen dem nicht entgegen. Nach § 21 Abs. 4 Satz 3 RDG Bln hat eine Klage gegen eine Schiedsstellenentscheidung, die nach § 21 Abs. 4 Satz 2 RDG Bln durch Verwaltungsakt entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Der Schiedsspruch war somit sofort vollziehbar. Er wurde mit Rücknahme der gegen den Schiedsspruch geführten Klagen bestandskräftig.
Die Erledigungsvereinbarung trifft keine abweichende Regelung zur Fälligkeit der Nachforderung, sondern bestimmt eine Zahlungsfrist von zwei Monaten (nur) für den Fall, dass die Krankentransportunternehmen die Nachberechnung den Krankenkassen vor Abschluss der Vereinbarung noch nicht übersandt hatten. Dies ergibt sich bei Auslegung der Vereinbarung aus der Regelung zu bereits vorgelegten Nachberechnungen und dem der Fristbestimmung vorangehenden Satz, welche den Fall der noch fehlenden Vorlage der Nachberechnung regelt.
e.
Der Nachzahlungsanspruch unterliegt nicht der Rechnungskürzung in Höhe von fünf Prozent.
Nach § 302 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind die „weiteren Leistungserbringer“ – wie die Klägerin als Krankentransportunternehmen – verpflichtet, den Krankenkassen im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern die von ihnen erbrachten Leistungen nach Art, Menge und Preis zu bezeichnen und den Tag der Leistungserbringung sowie weitere Informationen anzugeben. Nach § 303 Abs. 1 SGB V können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit den Leistungserbringern oder ihren Verbänden vereinbaren, dass der Umfang der zu übermittelnden Abrechnungsbelege eingeschränkt oder bei der Abrechnung von Leistungen von einzelnen Angaben ganz oder teilweise abgesehen wird, wenn dadurch eine ordnungsgemäße Abrechnung und die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen nicht gefährdet werden.
Nach § 303 Abs. 3 SGB V gilt: Werden die den Krankenkassen nach 302 Abs. 1 SGB V zu übermittelnden Daten nicht im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern übermittelt, haben die Krankenkassen die Daten nachzuerfassen. Erfolgt die nicht maschinell verwertbare Datenübermittlung aus Gründen, die der Leistungserbringer zu vertreten hat, haben die Krankenkassen die mit der Nacherfassung verbundenen Kosten den betroffenen Leistungserbringern durch eine pauschale Rechnungskürzung in Höhe von „bis zu 5 vom Hundert des Rechnungsbetrages“ in Rechnung zu stellen.
Die Pflicht zur elektronischen oder maschinell verwertbaren Abrechnung haben die Vertragspartner der Erledigungsvereinbarung vom 27. November 2022 nicht abbedungen oder geändert. Eine Vereinbarung zum eingeschränkten Umfang der zu übermittelnden Abrechnungsbelege wurde für die Nachberechnung ebenso nicht getroffen. Den Vorschlag des BKK LV Mitte im Schreiben vom 20. Oktober 2020 zur unbürokratischen Umsetzung des Schiedsspruchs durch Übersendung einer Gesamtabrechnung mit Excel-Tabellen haben die Vertragsparteien nicht aufgegriffen, so dass auch keine vom Gesetz abweichende Einigung vorliegt.
Vorliegend kann aber dahinstehen, ob die Regelung des § 302 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf den Fall der nachträglichen Änderung der Entgelthöhe für Leistungen, die nach diesen rechtlichen Vorgaben bereits abgerechnet wurden, Anwendung findet oder die „Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 302 Abs. 2 SGB V über Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens mit `Sonstigen Leistungserbringern` sowie mit Hebammen und Entbindungspflegern (§ 301 a SGB V)“ vom 9. Mai 1996, in der geänderten Fassung vom 20. November 2006 Anwendung finden. Ebenso kann dahinstehen, ob die elektronische Übersendung von Excel-Tabellen mit Daten zur Nachberechnung des Vergütungsanspruchs eine elektronische Datenübertragung oder eine maschinell verwertbare Datenübermittlung i.S.d. Vorschrift darstellt, ob bei einem Fehlen der elektronischen Datenübertragung oder maschinell verwertbaren Datenübermittlung mit Blick auf das Verzugsschadensminderungsinteresse ein Vertretenmüssen der Klägerin angenommen werden kann und schließlich, ob die Erhebung einer Kürzungseinrede im Vergütungsprozess genügt, wenn das Gesetz ein „In-Rechnung-Stellen“ vorgibt.
Denn jedenfalls sind die Voraussetzungen der Rechnungskürzung nicht erfüllt. Zum einen hat die Beklagte die übersandten Daten nicht nacherfasst, sondern vertritt die Ansicht, nicht zur Nachvergütung verpflichtet zu sein. Insoweit sind bislang keine Kosten mit der Nacherfassung verbunden. Maßgeblich ist, dass die Beklagte den Höchstbetrag der zulässigen Rechnungskürzung ohne substantiierten Vortrag, ob eine Nacherfassung zu Abrechnungszwecken überhaupt erforderlich ist und ob und in welchem Umfang dies mit Aufwand verbunden wäre, sowie ohne weitere Begründung geltend macht. Die Höhe der Kürzung des Rechnungsbetrags wird lediglich durch die Obergrenze von 5 Prozent beschränkt. Die Entscheidung liegt bis zu dieser Obergrenze im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse (NK-GesundhR/ Schäfer, 2. Aufl. 2018, SGB V § 303 Rn. 7; Spickhoff/von Dewitz, 4. Aufl. 2022, SGB V § 303 Rn. 4; BeckOK SozR/Scholz, 73. Ed. 1.6.2024, SGB V § 303 Rn. 4). Ermessen hat die Beklagte aber ersichtlich nicht ausgeübt, so dass ein Berufen auf eine etwaig zulässige Kürzungseinrede missbräuchlich wäre. Dem erkennenden Senat ist eine Ermittlung oder Schätzung des Aufwandes und ein Ersetzen des Ermessens nicht gestattet. Eine Verpflichtung zur Neubescheidung kommt im Gleichordnungsverhältnis der Beteiligten nicht in Betracht.
f.
Der Nachzahlungsanspruch der Klägerin ist nicht verwirkt und nicht verjährt.
Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände“ liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 – B 6 KA 4/21 R –, juris Rn. 39; BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 10/19 R –, juris Rn. 12).
Zutreffend verweist die Beklagte zwar darauf, dass die Klägerin in den Jahren 2016 bis 2019 ihre Rechnungen ohne Vorbehalt gestellt und auch sonst auf die Möglichkeit einer Nachforderung der Vergütung ihr gegenüber nicht hingewiesen hat. Es fehlt jedoch bereits an einer Vertrauensgrundlage, da keine wirksame Entgeltvereinbarung für die Zeit ab 2016 bestand. Die Beklagte konnte daher nicht davon ausgehen, dass die geschuldete Vergütung unverändert bleiben wird.
Auch war die Klägerin bei der Durchsetzung ihrer Rechte nicht verschuldet untätig. Der Abschluss einer neuen Entgeltvereinbarung lag in ihrem Interesse, da nach ständiger Rechtsprechung des BSG § 133 Abs. 1 SGB V weder ausdrücklich noch mittelbar Anspruch auf eine Entgeltbestimmung im Rahmen oder nach Art eines Schiedsverfahrens durch ein gerichtliches Verfahren gewährt (BSG, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 KR 13/20 R –, juris Rn. 13). Die Durchführung eines Schiedsverfahrens war ihr jedoch vorübergehend unmöglich. Denn mit Inkrafttreten des § 21 RDG Bln am 30. September 2016 bedurfte es einer ständig besetzten Schiedsstelle und nicht mehr nur einer auf den Verhandlungsgegenstand beschränkten Schiedsstelle nach der früheren Fassung des RDG Bln. Eine auf Grundlage der Vorgängervorschrift im RDG Bln a.F. erlassene RDSchVO entsprach nicht mehr der Rechtsgrundlage, die Verordnung wurde erst mit Wirkung zum 15. November 2018 durch die zuständige Senatsverwaltung neu gefasst. Bis dahin stand in Berlin keine rechtskonform zuständige Schiedsstelle für Entgeltfestsetzungen im Krankentransport zur Verfügung. Eine Zuständigkeit der Schiedsstelle ergab sich auch nicht aus der Übergangsregelung in § 14 Abs. 2 RDSchVO n.F. (ausführlich VG Berlin, Urteil vom 25. November 2021 – 25 K 111.19 –, juris Rn. 27 - 31). Die Rechtsverfolgung war der Klägerin nachfolgend erst ab Konstituierung der nach Erlass der RDSchVO gebildeten Schiedsstelle ab 8. Mai 2019 möglich.
Die Beklagte kann sich zudem auf eine Verwirkung nicht berufen. Sie ist – wie dargestellt – aufgrund eines Rechtsscheins als Beteiligte des Schiedsverfahrens anzusehen, in welchem die Beteiligten ausdrücklich eine rückwirkende Entscheidung zu Vergütungsregelungen der Jahre 2016 bis 2019 begehrten. Sie kann nicht einerseits dulden, dass der BKK LV Mitte mit Wirkung auch für sie Verfahren über Nachzahlungen führt und andererseits der Klägerin fehlende Hinweise auf einen möglichen Vergütungsanspruch nach Abschluss der Verhandlungen entgegenhalten. Entgegen der Ansicht der Beklagten können das Vertretungsverhältnis zwischen Beklagter und BKK LV Mitte und das Abrechnungsverhältnis zwischen Beklagter und Klägerin nicht losgelöst voneinander betrachtet werden.
Der Nachzahlungsanspruch ist auch nicht verjährt. Der Vergütungsanspruch eines Rettungsdienstes gegen eine Krankenkasse unterliegt einer vierjährigen Verjährungsfrist entsprechend § 45 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I; vgl. BSG, Urteil vom 10. April 2008 – B 3 KR 7/07 R, juris Rn. 20 ff.) Gleiches gilt für Vergütungsansprüche von Krankentransportunternehmen für andere als Rettungsfahrten. Die Verjährung tritt nach § 45 Abs. 1 SGB I vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahrs ein, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Anspruch auf die Zahlung einer erhöhten Vergütung entstand jedoch erstmals mit dem sofort vollziehbaren Schiedsspruch vom 7. September 2020. Die am 5. August 2021 erhobene Klage hat den Verjährungslauf gehemmt, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
2.
Der Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 286, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB, da abweichende vertragliche Vereinbarungen nicht bestehen. Die Beklagte befand sich ab Zugang der Erklärung der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsweigerung im Schreiben vom 4. Februar 2021 in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts trat der Verzug jedoch erst nach dem Zugang der Erfüllungsverweigerung beim Abrechnungsdienst der Klägerin am 9. Februar 2021 mit dem 10. Februar 2021 ein. Insoweit ist die Berufung der Beklagten begründet.
Die Höhe des Zinsanspruchs beträgt – wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat – neun Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 48.370,94 Euro (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 288 Abs. 2, 247 BGB), da es sich um eine Entgeltforderung eines Rechtsgeschäftes handelt, an dem Verbraucher nicht beteiligt sind (zu dieser Zinshöhe bei Leistungen der häuslichen Krankenpflege: BSG, Urteil vom 20. April 2016 – B 3 KR 17/15 R –, juris Rn. 32; BSG, Urteil vom 19. April 2007 – B 3 KR 10/06 R –, Rn. 13, juris; zum Streit in Krankenhausstreitigkeiten: Bockholdt in Hauck/Noftz SGB V, 4. EL 2024, § 109 SGB V, Rn. 208).
Der Anspruch auf die zutreffend je Rechnung und damit sieben Mal in Höhe von 40 Euro zuerkannte Verzugsschadenspauschale folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 286, 288 Abs. 5 Satz 1 BGB, da ebenso keine abweichenden vertraglichen Vereinbarungen bestehen.
Die Rechtshängigkeitszinsen auf die Verzugsschadenspauschale hat das Sozialgericht ab dem Tag nach Zugang der Klageschrift bei der Beklagten zuerkannt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 291 Satz 1 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist. Ist Rechtshängigkeit eingetreten, beginnt der Lauf des Zinsanspruchs in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB mit dem folgenden Tag (BSG, Urteil vom 9. April 2019 – B 1 KR 5/19 R –, juris Rn. 39 m.w.N.). Die Klage ist nach § 94 Satz 1 SGG durch Erhebung bereits am 5. August 2021 rechtshängig geworden, so dass Rechtshängigkeitszinsen ab dem Folgetag hätten zuerkannt werden können. Soweit das Sozialgericht davon abweichend Rechtshängigkeitszinsen erst ab dem 10. Februar 2021 zugesprochen hat, ist die Entscheidung mangels Anschlussberufung der Klägerin rechtskräftig geworden.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites. Das geringfügige Obsiegen der Beklagten hinsichtlich des Zinsbeginns bei der Hauptforderung war bei der Kostenentscheidung nicht zu berücksichtigen.
4.
Die Revision wird zugelassen. Die Sache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da die Rechtsbeziehungen zwischen der bundesunmittelbaren Krankenkasse und einer Vielzahl von Krankentransportunternehmen – auch wegen weiterer anhängiger Klageverfahren – und die Rechtsfrage der Auswirkung einer nachträglichen Änderung der Vergütungshöhe auf die Zuzahlung der Versicherten gemäß § 61 Satz 1 SGB V der höchstrichterlichen Klärung bedürfen.
5.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) und richtet sich nach der Höhe der Klageforderung.