L 6 AS 310/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AS 21/23
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 310/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I.     Auf die Berufungen der Kläger zu 1. bis 5. im Verfahren L 6 AS 310/23 und auf die Berufung des Klägers zu 6. im Verfahren L 6 AS 311/23 werden die Urteile des Sozialgerichts Kassel vom 7. August 2023 und die Bescheide des Beklagten vom 15. Dezember 2022 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. Januar 2023 aufgehoben.

II.     Der Beklagte hat den Klägern in beiden Verfahren L 6 AS 310/23 und L 6 AS 311/23 ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 

III.    Die Revision in den Verfahren L 6 AS 310/23 und L 6 AS 311/23 wird zugelassen.


Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Berücksichtigung des sogenannten Einwohner-Energie-Geldes (EEG) der Stadt Kassel bei der Berechnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Monat November 2022.

Die 1997 geborene Klägerin zu 1. sowie ihre vier minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2. bis 5., leben zusammen mit ihrem Lebensgefährten bzw. Vater, dem Kläger zu 6., in einer Bedarfsgemeinschaft und beziehen laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. 

Auf den für die Bedarfsgemeinschaft gestellten Weiterbewilligungsantrag vom 11. März 2022 hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2022 (elektronische Verwaltungsakte [eVA] Bl. 11 ff.), für den Zeitraum Mai 2022 bis April 2023 monatliche Leistungen nach dem SGB II. Mit Änderungsbescheid vom 6. September 2022 (eVA Bl. 72 ff.) erhöhte der Beklagte (u.a.) die Direktzahlungen an den Vermieter von 1.030,- Euro ab Oktober 2022 auf monatlich 1.110,- Euro. Dieser hatte gegenüber den Klägern geltend gemacht, der Gaspreis habe sich mehr als verdoppelt; aus diesem Grund sei eine Anpassung der Vorauszahlungen (im Bewilligungsbescheid vom 21. März 2022 mit 124,68 Euro angesetzt) auf 200,- Euro erforderlich (Schreiben des Vermieters vom 25. August 2022). Ein weiterer Änderungsbescheid vom 15. September 2022 betraf nur die Leistungen für August 2022, für den der Bedarfsgemeinschaft zusätzliche Leistungen in Höhe von 38,52 Euro bewilligt wurden wegen einer Heizkostennachzahlungsforderung. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 21. November 2022 wurde die Leistungsbewilligung für den Monat Dezember 2022 um 5,16 Euro abgesenkt wegen der Auszahlung eines Betriebskostenguthabens. 

In ihrer 14. Sitzung vom 18. Juli 2022 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel das Programm „Kopf hoch, Kassel! – Einwohner-Energie-Geld (EEG)“ zur Gewährung einer einmaligen finanziellen Zuwendung, um die finanziellen Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung für die Kasseler Einwohnerinnen und Einwohnern mit alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz im Stadtgebiet abzumildern. Für die finanziellen Zuwendungen wurden insgesamt 15,4 Mio. Euro im städtischen Haushalt 2022 zur Verfügung gestellt. Der Magistrat der Stadt Kassel wurde im Beschluss zur Umsetzung dieses finanziellen Unterstützungsprogramms ermächtigt. In Umsetzung des Beschlusses wurden am 30. September 2022 entsprechende Förderrichtlinien erlassen (elektronische Gerichtsakte des Sozialgerichts zum Verfahren S 11 AS 21/23 [eGA SG] Bl. 78 f.). Dort heißt es:

„Vorbemerkung:
Um die finanziellen Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung für die Kasseler Einwohnerinnen und Einwohner mit alleinigem Wohnsitz oder Hauptwohnsitz im Stadtgebiet abzumildern, hat die Stadtverordnetenversammlung in ihrer Sitzung am 18. Juli 2022 das Programm „Kopf hoch, Kassel! — Einwohner-Energie-Geld (EEG)" zur Gewährung einer einmaligen finanziellen Zuwendung beschlossen. Für die finanziellen Zuwendungen stehen insgesamt bis zu 15,4 Mio. Euro im städtischen Haushalt 2022 zur Verfügung.
Die nachfolgenden Förderrichtlinien regeln den Fördergegenstand, die Förderberechtigung, die Förderbedingungen sowie das Antragsverfahren.“

§ 1 der Förderrichtlinien lautet:
„(1) Die Stadt Kassel gewährt allen Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Kassel bei Vorliegen der in § 2 dieser Förderrichtlinien genannten Voraussetzungen eine einmalige nicht rückzahlbare Zuwendung in Höhe von 75,-Euro. Die Zuwendung dient der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung während des Winterhalbjahres 2022/2023.
(2) Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung besteht nicht. Der Magistrat der Stadt Kassel entscheidet über die Gewährung einer Zuwendung nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.“

§ 2 der Förderrichtlinien lautet:
„(1) Antragsberechtigt sind alle Einwohnerinnen und Einwohner Kassels, die innerhalb der Zeit zwischen dem 1. Oktober 2022 und dem 31. März 2023 mit alleiniger Wohnung oder Hauptwohnung in Kassel gemeldet gewesen sind.
(2) Eine unberechtigte Inanspruchnahme der Zuwendung verpflichtet zu deren Rückerstattung.“

§ 3 Absätze 6 und 7 der Förderrichtlinien lauten:
„(6) Die Entscheidung über die Bewilligung der Zuwendung erfolgt durch den Magistrat der Stadt Kassel mittels Verwaltungsakt.
(7) Die Zuwendung gilt mit der Auszahlung als zweckentsprechend verwendet.“

Auf den übrigen Inhalt der Förderrichtlinien wird gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Den Klägern zu 1 bis 5 wurde jeweils mit Bescheid vom 21. Oktober 2022 das EEG bewilligt. Die Bescheide lauten (eGA SG Bl. 61 ff.):

„Guten Tag, Ihr Antrag war erfolgreich. Sie erhalten einen Zuschuss in Höhe von 75,-Euro (in Worten: fünfundsiebzig Euro).

Der Betrag wird auf Ihr Konto (IBAN DE82XXXXXXXXXXXXXXX045) überwiesen.

Zweckbestimmung

Der Zuschuss dient der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung während des Winterhalbjahres 2022/2023.

Er gilt mit der Auszahlung als zweckentsprechend verwendet.

Nebenbestimmungen
Grundlage und wesentlicher Bestandteil des Zuwendungsbescheids sind Ihr Antrag und die Förderrichtlinien.

Die Zuwendung erfolgt unter dem Vorbehalt, dass die bei Antragstellung abgegebenen Erklärungen wahrheitsgemäß erfolgt sind. Weiterhin erfolgt die Zuwendung unter dem Vorbehalt, dass sie zweckgebunden genutzt wird.

Sollte festgestellt werden, dass die Erklärungen wahrheitswidrig waren und/oder die Zuwendung nicht zweckgebunden genutzt wurde, wird der Zuwendungsbescheid aufgehoben und die ausgezahlte Zuwendung ist in voller Höhe zurückzuerstatten.

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen diesen Bescheid ist Widerspruch zulässig. Dieser ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz oder zur Niederschrift beim Magistrat der Stadt Kassel, Kämmerei und Steuern, Rathaus, Obere Königsstraße 8, 34117 Kassel, zu erheben.“

Den Klägern zu.1.- bis 5. (im Kontoauszug nicht namentlich benannt) floss am 25. Oktober 2022 jeweils das EEG der Stadt Kassel in Höhe von 75,00 Euro zu (Zuwendungsbescheide vom 21. Oktober 2023, s. eGA SG Bl. 61 – 67). Der Kläger zu 6 hatte nach Angaben der Kläger kein EEG beantragt und erhielt dieses nicht (Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 6. Dezember 2022 und anwaltliche Versicherung vom 16. Juli 2024, eGA des Senats Bl. 323). 

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 hörte der Beklagte die Klägerin zu 1. und die Kläger zu 2. bis 5. wegen des Zuflusses des EEG zu einer teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung für November 2022 und Erstattung in Höhe von 13,95 Euro, 79,80 Euro, 79,80 Euro, 79,04 Euro und 78,45 Euro unter Nennung der Rechtsgrundlagen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i. v. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 50 Abs. 1 SGB X an. Mit weiterem Schreiben vom 7. Dezember 2022 hörte der Beklagte auch den Kläger zu 6. zu einer Aufhebung und Erstattung in Höhe von 13,95 Euro wiederum unter Nennung der Rechtsgrundlagen § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i. v. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr..3, § 50 Abs. 1 SGB X) an. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger nahm zu beiden Anhörungsschreiben mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 Stellung. 

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2022 hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat November 2022 für die Kläger zu 1. bis 5. teilweise auf. Insgesamt sei der Bedarfsgemeinschaft ein EEG in Höhe von fünf Mal 75,00 Euro, somit 375,00 Euro, zugeflossen, daher seien (bereinigt um Absetzungsbeträge) 345,00 Euro als einmalige Einnahme anzurechnen. Hieraus resultiere eine geringere Hilfebedürftigkeit aller Kläger. Zugleich verlangte der Beklagte eine Erstattung seitens der Kläger zu 1. bis 5. in Höhe der jeweiligen Aufhebungssumme, insgesamt in Höhe von 331,04 Euro (13,95 Euro + 79,80 Euro + 79,80 Euro + 79,04 Euro + 78,45 Euro).

Mit weiterem Bescheid vom 15. Dezember 2022 hob der Beklagte auch die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Monat November 2022 für den Kläger zu 6. teilweise auf. In dem Bescheid heißt es: „Sie und Ihre Kinder haben am 15.10.2022 einmalig Energiegeld der Stadt Kassel in Höhe von 375,00 Euro erhalten.“ Bereinigt um Absetzungsbeträge seien 345,00 Euro als einmalige Einnahme im November anzurechnen. Die Aufhebungs- und Erstattungssumme betrage 13,95 Euro. 

Gegen beide Bescheide legten die Kläger jeweils unter dem 22. Dezember 2022 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie aus, bei der Zahlung des EEG handele es sich um eine zweckgebundene Zahlung, die nicht als Einkommen anrechenbar sei. Die Stadt Kassel habe allen Bürgern, auch den Sozialleistungsbeziehern, einen Ausgleich für die hohe Inflation der Energiepreise und der Lebenshaltungskosten zukommen lassen wollen. Sie verwiesen auf die Zweckbestimmung in den Zuwendungsbescheiden sowie auf die auf der Webseite der Stadt Kassel befindlichen Hinweise und die Rechtsauffassung des Magistrats der Stadt Kassel zur Anrechnung des EEG bei Erhalt von Sozialleistungen, wo es hieß:

„Bei einer Verwendung für sonstige Kosten der Energieversorgung, die den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts zuzuordnen sind (bspw. Kosten für Haushaltsenergie oder persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens), die durch einen monatlichen Pauschalbetrag abgegolten werden, stellt nach Rechtsauffassung des Magistrats der Stadt Kassel eine Anrechnung des EEG eine grobe Unbilligkeit bzw. eine besondere Härte dar, sodass eine Berücksichtigung als Einkommen unterbleiben könnte (gem. § 11a Absatz 5 Nr. 1 SGB II bzw. § 84 Abs. 2 SGB XII).“

Der Beklagte wies beide Widersprüche jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2023 zurück. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei rechtmäßig, die Anrechnung des EEG als Einkommen sei zutreffend erfolgt. Jenes unterfalle keiner der in § 11a SGB II genannten Ausnahmen. Es handele sich nicht um eine aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbrachte Leistung, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II diene (Absatz 3). Der Zweck der Einmalzahlung ergebe sich bereits aus der Benennung als „Einwohner-Energie-Geld“, es handele sich um einen Zuschuss zu den nach dem SGB II gewährten Unterkunftskosten. Die Zahlung verfolge somit das gleiche Ziel und den gleichen Zweck, die Sicherung des Lebensunterhalts des Leistungsberechtigten. Die Zahlung sei zudem aufgrund rechtlicher Verpflichtung, der von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Förderrichtlinie der Stadt Kassel, erfolgt, sodass auch eine Anrechnungsfreiheit gemäß § 11a Absatz 5 SGB II ausscheide.

Die Kläger zu 1. bis 5. haben hiergegen am 20. Januar 2023 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben (Verfahren S 11 AS 21/23). Der Kläger zu 6. hat am selben Tag gleichfalls Klage erhoben (Verfahren S 11 AS 22/23).

Zur Begründung verweisen die Kläger in beiden Verfahren im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren und ergänzend darauf, die Stadt Kassel habe eine Verwendung nur für Zwecke der Heiz- und somit Unterkunftskosten offengelassen und allgemein auf die Abmilderung der gestiegenen Energiekosten abgestellt. Sie hätten das EEG tatsächlich auch nicht für Kosten der Unterkunft eingesetzt. Deswegen sei die Berücksichtigung des EEG als Einkommen auch grob unbillig. Der Beklagte habe zudem entgegen seiner im Widerspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung die Zahlung vorwiegend dem Regelbedarf zugeordnet.

Die Kläger haben im Verfahren S 11 AS 21/23 sinngemäß beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2023 aufzuheben.

Der Kläger zu 6. hat im Verfahren S 11 AS 22/23 sinngemäß beantragt, den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2023 aufzuheben.

Der Beklagte hat in beiden Verfahren beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen.

Das Sozialgericht hat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage in beiden Verfahren jeweils durch Urteil vom 7. August 2023 abgewiesen und die Berufung jeweils zugelassen.

Zur Begründung hat es – in beiden Verfahren übereinstimmend – ausgeführt, die gemäß § 54 Abs. 1 SGG als Anfechtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage sei unbegründet. Der jeweilige Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 in der Gestalt der Widerspruchbescheide vom 3. Januar 2023 sei rechtmäßig und verletze die beziehungsweise den jeweiligen Kläger nicht in ihren Rechten.

Formelle Bedenken bestünden nicht, insbesondere seien die Kläger vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids ordnungsgemäß angehört worden im Sinne des § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Der jeweilige Bescheid und Widerspruchsbescheid seien auch materiell rechtmäßig.

Die Rechtmäßigkeit der (Teil-)Aufhebung für den Monat November 2022 messe sich an § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Betreffe er – wie vorliegend – Leistungen nach dem SGB II, so sei er mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit u.a. nach seinem Erlass Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).

So liege es hier im Hinblick auf den Monat November 2022. Nach Erlass des Bescheides vom 21. März 2022, zuletzt in der Änderungsfassung vom 6. September 2022, sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Wesentlich sei jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich – zugunsten oder zulasten des Betroffenen – auf den Grund oder die Höhe der bewilligten Leistung auswirke (BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 7/20 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 107, SozR 4-1500 § 86 Nr. 5, Rn. 26). Die Kläger hätten nach Erlass des Bescheides Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum gültigen Fassung erzielt, das in dem genannten Bescheid noch nicht berücksichtigt gewesen sei. 

Als Einkommen zu berücksichtigen seien gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum gültigen Fassung alle Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Den Klägern zu 1. bis 5. und auch dem Kläger zu 6. seien unter dem 15. [richtig: 25.] Oktober 2022 jeweils das EEG der Stadt Kassel zugeflossen, mithin eine Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Diese einmalige Einnahme sei auch nicht gemäß § 11a SGB II von der Anrechnung ausgenommen.

Eine Ausnahme gemäß dem Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II komme nicht in Betracht. Danach seien Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht würden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienten. Hiermit solle einerseits vermieden werden, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch die Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt werde, und andererseits verhindert werden, dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 36/17 R –, SozR 4-4200 § 11b Nr. 11, SozR 4-4200 § 11a Nr. 4 – juris Rn. 22).

Eine öffentlich-rechtliche Vorschrift liege hier vor. Öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 11a Abs. 3 SGB II seien solche, die einen Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung zur Leistung ermächtigten oder verpflichteten. Auf die Art der Rechtsvorschrift komme es nicht an, so dass gesetzliche Leistungen umfasst seien, aber auch solche, die aufgrund von Verordnungen, Satzungen, Verwaltungs- bzw. Förderrichtlinien usw. gewährt würden (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11a (Stand: 07.03.2023), Rn. 37). Das EEG sei den Klägern auf Grundlage der Zuwendungsbescheide der Stadt Kassel gewährt worden, die wiederum in Umsetzung der Förderrichtlinien der Stadt Kassel vom 30. September 2022 ergangen seien.

Die Leistungen dienten zur Überzeugung des Gerichts auch demselben Zweck wie die Leistungen nach dem SGB II. Insoweit sei in einem ersten Schritt zu prüfen, ob mit der zu prüfenden Leistung ausdrücklich ein bestimmter Verwendungszweck auferlegt worden sei (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010 – B 8 SO 17/09 R –, BSGE 106, 62-78, SozR 4-3500 § 82 Nr. 6, SozR 4-3500 § 83 Nr. 1 – juris Rn. 24 f.). Dies sei hier der Fall: Der Zuschuss diene bereits nach seinem Wortlaut, aber auch nach der Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 der Förderrichtlinien und gemäß den Zuwendungsbescheiden der Stadt Kassel der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung während des Winterhalbjahres 2022/2023. Dass die Leistung potentiell auch zur Deckung von Bedarfen nach SGB II eingesetzt werden könne, stehe einer möglichen Privilegierung nicht von vornherein entgegen (so auch Schmidt in: Eicher/Luik/Harich, 5. Aufl. 2021, SGB II § 11a Rn. 20; anders: Entwurfsbegründung BT-Drs. 17/3404, 94).

Mit der Leistung werde jedoch kein Zweck verfolgt, der über die vom SGB II verfolgte Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehe, sodass eine Privilegierung ausscheide. Eine Zweckidentität liege vor, wenn die zweckbestimmte Leistung dem Grunde nach denselben Bedarf decken solle wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, 5. EL 2023, § 11a SGB II Rn. 179; Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 7. Juli 2005 – L 5 B 116/05 ER AS –, juris Rn. 26). Dies sei hier zu bejahen. Das EEG habe nach seiner Zweckbestimmung gerade dazu dienen sollen, die finanziellen Belastungen für die Einwohnerinnen und Einwohner Kassels durch – im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg – gestiegene Energiekosten und ggfs. auch Lebenshaltungskosten abzumildern. Die Leistungen des SGB II dienten der Sicherung des Lebensunterhalts und umfassten in Form des Regelbedarfes insbesondere auch Kosten für Haushaltsenergie oder persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens und Kosten der (Unterkunft und) Heizung. Das EEG diene somit dem gleichen Zweck wie die Leistungen des SGB II. Ein über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehender Zweck sei nicht erkennbar.

Auch eine Ausnahme gemäß dem Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 5 SGB II komme nicht in Betracht. Danach seien Zuwendungen, die ein anderer erbringe, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit 1. ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder 2. sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussten, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären.

Nach Auffassung der erkennenden Kammer sei bereits nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung von § 11a Abs. 5 SGB II zum 1. April 2011 (Art. 2 Nr. 14, 15 und Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch <RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG> vom 24. März 2011, BGBl. I 453, 460 ff., 496) Fallgestaltungen wie die vorliegende überhaupt habe erfassen wollen. Dagegen spreche die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 17/3404, S. 94), wonach Absatz 5 Nummer 1 beispielhaft Anwendung finden solle auf Soforthilfen bei Katastrophen, gesellschaftliche Preise zur Ehrung von Zivilcourage, Ehrengaben aus öffentlichen Mitteln (z. B. bei Alters- oder Ehejubiläum, Lebensrettung), Spenden aus Tombolas für bedürftige Menschen und „Begrüßungsgelder“ für Neugeborene (vgl. BT-Drucks. 17/3404, S. 94). Dass aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften – hier: Förderrichtlinien – erbrachte Leistungen von dieser Vorschrift erfasst werden sollten, liege fern. Dem stehe auch entgegen, dass Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften bereits von § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II erfasst und nur unter den dort genannten Voraussetzungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien. Es stelle einen Verstoß gegen die Gesetzessystematik und eine Aushebelung von § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II dar, hiernach als Einkommen zu berücksichtigende Leistungen als nicht als Einkommen zu berücksichtigende Zuwendungen im Sinne von § 11a Abs. 5 SGB II anzuerkennen. Dies könne gesetzgeberisch erkennbar nicht gewollt gewesen sein.

Darüber hinaus liege aber auch nicht eine ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbrachte Zuwendung im Sinne von § 11a Abs. 5 SGB II vor. Eine Zuwendung liege nach allgemeinem Begriffsverständnis regelhaft nur vor bei einer freiwilligen Geldleistung. Dies unterscheide sie gerade von einer Leistung, mit der regelhaft ein Tun oder Unterlassen zur Erfüllung einer Schuld gemeint sei (vgl. § 241 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Wesentlich für die Privilegierung gemäß § 11a Abs. 5 SGB II sei dementsprechend das Fehlen einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung. Die Bestimmung setze mit anderen Worten voraus, dass der Dritte die Zuwendung aus freien Stücken erbringe (Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II, 5. EL 2023, § 11a SGB 2 Rn. 387).

Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Die Geldleistung in Form des EEG sei vielmehr auf Grundlage der Förderrichtlinien der Stadt Kassel erfolgt, sodass eine rechtliche Pflicht zur Erbringung bestanden habe. Ob eine Rechtspflicht bestehe, sei objektiv durch Analyse des Rechts festzustellen. Voraussetzung zum Erhalt des EEG in Höhe von 75,00 Euro sei allein die Erfüllung der Voraussetzungen in § 2 Abs. 1 der Förderrichtlinien durch die Kläger gewesen. Die endgültige Bewilligung der Zuwendung durch den Magistrat der Stadt Kassel mit entsprechenden Zuwendungsbescheiden sei die zwingende Folge der Erfüllung dieser Voraussetzungen. Die Bewilligung habe allein insoweit im Ermessen des Magistrats gestanden, wie die verfügbaren Haushaltsmittel nicht erschöpft gewesen seien. Dafür spreche die Formulierung in § 1 Abs. 2 Satz 2 der Förderrichtlinien, wonach die Gewährung einer Zuwendung inhaltlich verknüpft werde mit der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln. Es bestünden indes keine Anhaltspunkte, dass die verfügbaren Haushaltsmittel nicht ausreichend dimensioniert gewesen seien, um allen Anspruchsberechtigten das EEG bewilligen zu können. Dies werde letztlich bestätigt durch die Formulierung in § 1 Abs. 1 der Förderrichtlinien, wonach die Stadt Kassel allen Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt Kassel bei Vorliegen der in § 2 genannten Voraussetzungen die einmalige nicht rückzahlbare Zuwendung in Höhe von 75,00 Euro gewähre. Dementsprechend sei im Ergebnis von einer Rechtspflicht auszugehen.

Aus den vorstehenden Gründen komme es nicht entscheidungserheblich auf die Frage einer groben Unbilligkeit im Sinne von § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II und auf die tatsächliche Verwendung des EEG durch die Kläger an, sodass die Kammer diese Frage offenlassen könne.

Nach alledem habe der Beklagte zutreffend das EEG bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II berücksichtigt und stelle sich die (Teil-)Aufhebung als rechtmäßig dar.

Soweit die Kläger offenbar eine Anrechnung des Einkommens (auch) beim Regelbedarf für unzutreffend hielten, werde darauf hingewiesen, dass zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nach § 19 Abs. 3 Satz 2 SGB II stets zunächst die Bedarfe nach den §§ 20, 21 und 23 SGB II und (erst dann) darüber hinaus die Bedarfe nach § 22 SGB II decke. Jenseits dessen sei für die anspruchsberechtigten Kläger, die ihre Leistungen stets aus einer Hand erhielten, ohne Bedeutung, welche Leistung zuerst gemindert werde.

Auch die Erstattungsforderung des Beklagten sei nicht zu beanstanden. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X seien, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden sei, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Die Berufung sei zuzulassen, da die Frage insbesondere Breitenwirkung habe, da sie über den vorliegenden Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung in unbestimmt vielen Fällen habe und weitere Verfahren am Sozialgericht Kassel hierzu bereits anhängig seien.

Die Kläger beider Verfahren haben gegen das ihnen jeweils am 10. August 2023 zugestellte Urteil jeweils am Montag, den 11. September 2023 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat die beiden Verfahren mit Beschluss vom 10. Juli 2024 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. 

Die Kläger tragen vor, entgegen der Auffassung des Beklagten und den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil handele es sich bei dem EEG um eine zweckgebundene Leistung, die nicht als Einkommen anrechenbar sei. Das EEG sei eine privilegierte zweckbestimmte Leistung. Der Magistrat der Stadt Kassel habe das EEG ausdrücklich als einmalige Zuwendung zur Abmilderung gestiegener Kosten deklariert und damit einen Zweck benannt, der über die Sicherung des Lebensunterhaltes hinausgehe. Das EEG sei damit vergleichbar dem Begrüßungsgeld für Neugeborene (siehe Fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 ff SGB II Rdz.11.79). Beide Zuwendungen knüpften am Status als Einwohner an, der Magistrat wolle damit seiner Verbundenheit und Fürsorge für seine Bürger Ausdruck verleihen und honorieren, dass die Empfänger Bürger der Stadt seien. Die vom Magistrat der Stadt gewählte Zweckbestimmung würde durch die Berücksichtigung als Einkommen auch entwertet, was er gerade auch in seiner Rechtsauffassung zum Ausdruck bringe, dass eine Anrechnung auf Sozialleistungen eine unzumutbare Härte wäre. Darin bringe er unmissverständlich zum Ausdruck, dass eine Anrechnung zur Verfehlung des Zwecks führen würde. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Stadt Kassel als alleiniger Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII das EEG nicht als Einkommen anrechne.

§ 11a Abs. 3 SGB II schütze aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbrachte zweckgebundene Einnahmen, die einem anderen Zweck als die Leistungen zum Lebensunterhalt dienten. Es sei schon fraglich, ob es sich um eine Leistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften handele, da die Stadt Kassel in der Förderrichtlinie ausführt, dass kein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung bestehe, die Zuwendung stehe unter der Prämisse der Verfügbarkeit der Haushaltsmittel.

Unterstellt, es handele sich um eine Leistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, handele es sich nach dem Willen des Magistrats der Stadt Kassel um eine privilegierte zweckgebundene Leistung, deren Anrechnung als Einkommen das Ziel, die Folgen der Energiekrise für ihre Bürger abzumildern, unterlaufen würde. Daneben sei zu berücksichtigen, dass die Bundesagentur für Arbeit die an Rentner gezahlte Energiepreispauschale nicht als Einkommen anrechne (vgl. dazu die Ausführungen in deren Wissensdatenbank Stand: 01.07.2023, WDB-Beitrag Nr.: 111135).

Entsprechendes habe auch für das EEG zu gelten. Bei der Zuwendung des EEG handele es sich aber um eine freiwillige Zuwendung, so dass § 11a Abs. 5 SGB II einschlägig sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Inhalt der Förderrichtlinie – Leistungen würden erbracht, soweit Haushaltsmittel zur Verfügung stünden – und werde auch daran deutlich, dass die Stadt Kassel ihre Rechtsauffassung zum Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 11a SGB II veröffentlich habe. Hätte sie die Zuwendung nicht freiwillig ohne rechtliche Bindung erbringen wollen, hätte sie ihre Rechtsauffassung nicht so dargelegt. Leistungen aufgrund von Förderrichtlinien würden als freiwillige Leistungen erfasst (vgl. Gemeinsame Arbeitsanweisung der Berliner Bezirksämter - Sozialämter - über den Einsatz von Einkommen nach dem SGB XII).

Eine Anrechnung stelle auch eine grobe Unbilligkeit dar, da es Ziel des Magistrats der Stadt Kassel gewesen sei, Bezieher kleiner Einkommen zu entlasten. SGB II-Bezieher verfügten über ein das Existenzminimum sicherndes Einkommen, aus dessen Regelleistungen sie die Stromkosten bestreiten müssten. Würde ein Zuschuss zu diesen Kosten als Einkommen angerechnet, wäre dieses grob unbillig, da sie – wie Bezieher kleinerer Einkommen – keinen Anspruch darauf hätte, dass der Beklagte diese zusätzlichen Kosten übernehme.

Die grobe Unbilligkeit ergebe sich auch daraus, dass Energiepreispauschalen für Rentner nicht angerechnet würden und die Stadt Kassel das EEG bei SGB XII Beziehern nicht als Einkommen werte. Zudem wäre eine Anrechnung als Einkommen im Vergleich zu den nicht leistungsbeziehenden Bürgern der Stadt Kassel grob unbillig, da das EEG allen Bürgern unabhängig von ihrem Einkommen gewährt worden sei. Die Kläger selbst hätten das EEG nicht für Kosten der Unterkunft und Heizung eingesetzt.

Die Kläger beantragen in beiden Verfahren jeweils,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 7. August 2023 und den Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2023 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt in beiden Verfahren jeweils,
die Berufung zurückzuweisen.  

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Nicht maßgeblich sei, wie der SGB XII-Träger verfahre. Der Beklagte sei an Recht und Gesetz gebunden, nicht an die Entscheidungen anderer Behörden. Die von der Klägerseite angesprochene Energiepreispauschale sei gesetzlich in den §§ 112 ff. Einkommenssteuergesetz (EStG) bundeseinheitlich geregelt und in § 122 EStG explizit von der Anrechnung ausgenommen worden. An einer entsprechenden Regelung fehle es gerade für die Leistung der Stadt Kassel, so dass die allgemeinen Vorschriften des SGB II zu prüfen seien. Zur Unbilligkeit werde dementsprechend auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11a Abs. 5 SGB II verwiesen; zu einer Anwendbarkeit des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II gelange man erst gar nicht, weil es sich nicht um eine freiwillige Leistung der Stadt Kassel gehandelt habe.

Der Kläger zu 6. sei durch die Anrechnung des Einwohnerenergiegeldes überdies „nur“ mittelbar betroffen, indem übersteigendes Einkommen, resultierend aus der Anrechnung des EEG bei den übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern, bei ihm angerechnet werde (vgl. den Berechnungsbogen zur den Kläger betreffenden Anhörung vom 7. Dezember 2022, eGA L 6 AS 311/24 Bl. 71).

Der Gesetzgeber habe die sich ergebende Bedarfslage aufgrund der gestiegenen Energiekosten im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg erkannt und in verschiedenen Gesetzen hierzu bundeseinheitliche Regelungen getroffen (etwa für Studenten oder Wohngeldbezieher). Selbst wenn man Obiges anders sehen wollte, könne eine grobe Unbilligkeit nicht angenommen werden, da die Anrechnung der Pauschale der Stadt Kassel im Ergebnis nur dazu führe, dass die der Körperschaft der Stadt Kassel zugehörigen SGB II-Leistungsbezieher im Ergebnis so gestellt würden wie jene Leistungsbezieher, die keinen Anspruch auf eine entsprechende kommunale Leistung hätten. Der Lebenssachverhalt (gestiegene Energiekosten aufgrund des Ukrainekrieges), auf den die Gewährung zurückgehe, sei bundeseinheitlich derselbe, denn er knüpfe weder an persönliche noch lediglich lokal vorliegende Umstände an. Eine sich im Ergebnis aus der Anrechnung ergebende Gleichbehandlung mit anderen Leistungsbeziehern könne tatsächlich das Tatbestandmerkmal „grober Unbilligkeit" im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II nicht erfüllen. Die Berufung sei daher zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere des Inhalts des weiteren Vortrags der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Verfahren und der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG).

I. Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegten, statthaften Berufungen der Kläger sind zulässig und begründet. Die Berufungen sind statthaft, da das Sozialgericht Kassel die Berufung in beiden Verfahren zugelassen hat (§ 144 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG). 

II. Die Berufungen sind auch in der Sache begründet.

Streitgegenständlich ist in der Berufung zum Verfahren S 11 AS 21/23 der an die Kläger zu 1. bis 5. gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2023. Streitgegenständlich in der Berufung zum Verfahren S 11 AS 22/23 ist der an den Kläger zu 6. gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 3. Januar 2023.

Tatsächlich ist nur den Klägern zu 1. bis 5. das EEG von 75,- Euro im Oktober 2022 zugeflossen bzw. hat der Beklagte seine Berechnungen hieran ausgerichtet. Zwar heißt es in dem an den Kläger zu 6. gerichteten Bescheid, er habe das EEG bezogen. Der Senat geht aber davon aus, dass es sich hier um eine sprachliche Ungenauigkeit (wiederverwendeter Textbaustein) handelt. Denn tatsächlich hat der Beklagte nur fünfmal das EEG auf das Einkommen der sechsköpfigen Bedarfsgemeinschaft angerechnet. Der Kläger zu 6. ist lediglich infolge der horizontalen Einkommensverteilung hinsichtlich der ihm zustehenden Höhe der Leistungen betroffen. Dass es im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils S 11 AS 22/23 gleichfalls heißt, auch der Kläger zu 6. habe das EEG bezogen, bleibt im Urteil ohne Auswirkungen. Denn auch dieses Urteil geht – so wie der Beklagte in seinen Bescheiden – davon aus, dass den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft insgesamt nur ein Einkommen von 5 x 75,- Euro, somit 375,- Euro, und damit ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 345,- Euro zugeflossen ist. 

(1) Die angegriffenen Bescheide sind formell im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Der gegenüber den Klägern zu 1. bis 5. ergangene Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2022 hat zutreffend die Rechtsgrundlagen der Aufhebungsentscheidung für den Monat November 2022 genannt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Für die Erstattung wäre § 50 SGB X zu zitieren gewesen. Der gegenüber dem Kläger zu 6. ergangene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2022 als auch der ihn betreffende Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 2023 nennen dagegen keinerlei Rechtsgrundlagen. Dies macht diese Bescheide indessen nicht rechtswidrig. Denn es werden jeweils die teilweise aufzuhebenden Bescheide (Bewilligungsbescheid vom 21. März 2022 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. September 2022) in einer Tabelle und auch der Grund der Aufhebung (Zufluss einmaligen Einkommens am 25. Oktober 2022) genannt. Auch der Zeitraum (November 2022), für den die teilweise Aufhebung erfolgt, ist eindeutig benannt. Damit verweisen die Angaben noch hinreichend auf eine Aufhebung nach § 48 SGB X, zumal in den beiden Anhörungsschreiben die Rechtsgrundlagen im Einzelnen und zutreffend aufgeführt worden waren.

(2) Die Anrechnung des zugeflossenen Einkommens von insgesamt 345,- Euro auf die Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach § 11 SGB II ist jedoch im Ergebnis rechtswidrig. 

Zutreffend gehen die angegriffenen Bescheide allerdings davon aus, dass die Kläger Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II hatten. Den Klägern zu 1. bis 5. flossen unter dem 25. Oktober 2022 jeweils das EEG der Stadt Kassel in Höhe von jeweils 75,- Euro zu, mithin eine Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Dem Kläger zu 6. floss eine solche Einnahme zwar nicht zu (s.o.). Gleichwohl ist wegen der Bedarfsanteilsmethode (horizontalen Berechnungsmethode) nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II der Gesamtbedarf dem Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft gegenüberzustellen. Der danach nicht durch Einkommen gedeckte Bedarf ist im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfs am Gesamtbedarf auf die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufzuteilen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14 AS 55/07 R –, SozR 4-4200 § 9 Nr. 4 Rn. 23; s. auch Silbermann in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 9 Rn. 44 m.w.N.). Zu dem Gesamteinkommen im Oktober 2022 gehörten die den Klägern zu 1. bis 5. zugeflossenen 375,- Euro. Entsprechend seinem Anteil am Gesamtbedarf wird das Einkommen der Klägerin zu 1., das – anders als die Einnahmen der Kläger zu 2. bis 5. – nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch bei ihm zu berücksichtigen ist, anteilig auch auf den Bedarf des Klägers zu 6. angerechnet, so dass sich rechnerisch sein Bedarf in gleicher Höhe (13,95 Euro) mindert wie der der Klägerin zu 1. 

Auch rechnerisch begegneten die angegriffenen Bescheide, sofern die streitigen Zahlungen anrechenbar wären, keinen Bedenken. Die Anrechnung der EEG-Zahlungen würde im Falle ihrer Berücksichtigungsfähigkeit bei den Klägern zur Absenkung des vom Beklagten zu übernehmenden Bedarfs im Folgemonat gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II führen, und zwar bei den Klägern zu 1. und 6. in Höhe von jeweils 13,95,- Euro, bei den Klägern zu 2. bis 4. in Höhe von jeweils 79,80 Euro und bei dem Kläger zu 5. in Höhe von 78,45 Euro. 

(3) Der Beklagte ist zudem zu Recht davon ausgegangen, dass die einmalige Einnahme aus den Zahlungen des EEG nicht gemäß § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II von der Anrechnung auszunehmen ist.

Nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen.

Insoweit kann zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen werden, die der Senat sich nach eigener Prüfung zu eigen macht. 

Der klägerische Einwand, es handle sich nicht um eine Leistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmung, weil kein Rechtsanspruch begründet werde, überzeugt nicht. So spricht schon das Gesetz in § 11a Abs. 3 SGB II nicht davon, dass ein öffentlich-rechtlicher Anspruch bestehen müsse. Die Förderrichtlinien, aufgrund derer der mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Zuwendungsbescheid an die Kläger zu 1 bis 5. ergangen ist, sind dementsprechend ohne Weiteres Vorschriften des öffentlichen Rechts im Sinne von § 11a Abs. 3 SGB II. Mit Erlass des Zuwendungsbescheids besteht zudem ein Anspruch auf Zahlung.

Die Leistungen des EEG dienen auch demselben Zweck wie das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld nach dem SGB II. Auch insoweit kann auf die Gründe der sozialgerichtlichen Entscheidungen verwiesen werden, die der Senat sich wiederum nach § 153 Abs. 2 SGG nach eigner Prüfung zu eigen macht.

Das EEG dient bereits nach seinem Wortlaut, aber auch nach der Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 der Förderrichtlinien und gemäß den Zuwendungsbescheiden der Stadt Kassel der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung während des Winterhalbjahres 2022/2023. Die Energieversorgung, also insbesondere das Beheizen von Wohnungen und die Stromversorgung, war im Winterhalbjahr 2022/2023 infolge des Kriegs gegen die Ukraine und der hierdurch bedingten Neuordnung des Energiemarktes sprunghaft teurer geworden. Das EEG milderte diese Folge ab, so dass den Begünstigten mehr Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts im Übrigen blieben. 

Zwar enthält der Zuwendungsbescheid den Passus: „Sollte festgestellt werden, dass die Erklärungen wahrheitswidrig waren und/oder die Zuwendung nicht zweckgebunden genutzt wurde, wird der Zuwendungsbescheid aufgehoben und die ausgezahlte Zuwendung ist in voller Höhe zurückzuerstatten.“ Damit war aber ersichtlich nicht gemeint, dass mit den 75,- Euro pro Person nur eine Energielieferung bezahlt werden durfte. Eine solche Verwendung wäre ohne völlig unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand schon gar nicht überprüfbar gewesen. So enthielt der Zuwendungsbescheid denn auch die Fiktion: „Er [der Zuschuss] gilt mit der Auszahlung als zweckentsprechend verwendet.“ Die Aufhebungsmöglichkeit im Zuwendungsbescheid beschränkte sich damit auf falsche Angaben zur Einwohnereigenschaft der Antragsteller.

Der Stadt Kassel ging es ersichtlich um die Abmilderung einer finanziellen Belastung mit dem Ziel, den Einwohnern ihre Kaufkraft bzw. ihren Lebensstandard ohne große Einbußen an anderer Stelle zu erhalten. Wäre es der Stadt Kassel darum gegangen, dass die begünstigten Einwohner ausschließlich ihre Heizungsenergierechnungen bezahlen, so hätten die Leistungsbezieher nach dem SGB II überdies von der Zuwendung ausgenommen werden müssen. Denn ihre angemessenen Heizkosten werden grundsätzlich vom SGB II-Leistungsträger übernommen (§ 22 Abs. 1 SGB II), so dass die abzumildernde Preiserhöhung nicht sie, sondern den SGB II-Leistungsträger traf. Dies wird im Fall der Kläger besonders anschaulich: Der Vermieter hatte die höheren Gasvorauszahlungen bereits geltend gemacht und der Beklagte hatte mit Änderungsbescheid vom 6. September 2022 diese höheren Aufwendungen für Heizenergie bewilligt und entsprechend höhere Direktzahlungen an den Vermieter veranlasst. Daher ist auch der Vortrag der Kläger, sie selbst hätten das EEG nicht für Kosten der Unterkunft und Heizung eingesetzt, durchaus glaubhaft, denn er zeigt, dass sie das EEG nicht zur Abmilderung der gestiegenen Heizenergiekosten, die sie gar nicht belasteten, einsetzen und das EEG unmittelbar für andere Bedarfe des Lebensunterhalts einsetzen konnten. Dass die Leistung potentiell für andere Bedarfe des Lebensunterhalts eingesetzt werden konnte und im Fall der Kläger zu 1. bis 5. nach ihrem eigenen Vortrag auch tatsächlich hierzu eingesetzt wurde, steht einer Anrechnung nicht entgegen. Entscheidend ist, dass das EEG keine von den Zielen des SGB II abweichende Zweckbestimmung hat (vgl. Schmidt/ Lange in: Eicher/Luik/Harich, 6. Aufl. 2024, SGB II § 11a Rn. 20; noch enger (anderer Zweck zu verneinen, wenn Leistungsberechtigte nicht gehindert sind, die Leistung zur Deckung von Bedarfen nach dem SGB II einzusetzen) Entwurfsbegründung BT-Drs. 17/3404, 94), sondern durch Abmilderung der Heizungsmehrkosten den Einwohnern die Mittel zur Bestreitung der anderen Grundbedarfe erhalten sollte.

(4) Auch der Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II, wonach Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre, ist vorliegend nicht erfüllt. 

Allerdings sieht der Senat in dem EEG eine Leistung, die die Stadt Kassel erbracht hat, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben.

§ 1 der Förderrichtlinien lautet:
„(1) Die Stadt Kassel gewährt allen Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt Kassel bei Vorliegen der in § 2 dieser Förderrichtlinien genannten Voraussetzungen eine einmalige nicht rückzahlbare Zuwendung in Höhe von 75,-Euro. Die Zuwendung dient der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung während des Winterhalbjahres 2022/2023.
(2) Ein Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung besteht nicht. Der Magistrat der Stadt Kassel entscheidet über die Gewährung einer Zuwendung nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.“

Ausgehend von den Förderrichtlinien entstand zwar spätestens mit Erlass des Zuwendungsbescheides eine rechtliche Pflicht der Stadt Kassel zur Erbringung der Zuwendung; dennoch ist nach Auffassung des Senats nicht von einer rechtlichen (oder sittlichen) Pflicht der Stadt im Sinne von § 11a Abs. 5 SGB II auszugehen: Bei den Förderrichtlinien handelt es sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, nicht um eine Rechtsnorm. Damit konnte ein Rechtsanspruch auf die Zuwendung nur im Rahmen der Ermessensausübung entstehen. Im Fall der Förderrichtlinie, die als einziges Kriterium der Leistung die Eigenschaft als Einwohner der Stadt Kassel benennen, war – jedenfalls solange die vorgesehenen Haushaltsmittel nicht erschöpft waren – im Rahmen der Ermessensausübung im Falle der Kläger nur die Entscheidung für eine Zuwendung ermessensgerecht, so dass von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist. Jedenfalls mit Erlass des mit Rechtbehelfsbelehrung versehenen Zuwendungsbescheids entstand eine Rechtspflicht der Stadt Kassel, den bewilligten Betrag zur Auszahlung zu bringen, also zuzuwenden. Die Verwaltung kann sich durch Verwaltungsakt rechtlich selbst binden. Daraus erwächst dann – ebenso wie einer vertraglichen Vereinbarung - eine Rechtspflicht, das durch Verwaltungsakt (oder Vertrag) Zugesagte auch zu gewähren. Mit dieser Maßgabe hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 9. August 2022 - L 2 AS 1178/21 – juris Rn. 31 in einem Fall, in dem es um ein DAAD Stipendium ging, auf das zunächst kein Rechtsanspruch bestand, bis nach Abschluss einer privatrechtlichen Vereinbarung dieser Rechtsanspruch begründet wurde, die Voraussetzungen des § 11a Abs. 5 SGB II „ohne rechtliche Pflicht“ verneint. 

Der Senat sieht vor diesem Hintergrund durchaus, dass spätestens mit Erlass der Zuwendungsverwaltungsakte die Stadt Kassel sich rechtlich gebunden und einen Auszahlungsanspruch der begünstigten Einwohner begründet hatte. Darauf kann es aber im Ergebnis nicht ankommen. Für die ratio legis des § 11a Abs. 5 SGB II kommt es auf diese nachgelagerte Selbstbindung der Verwaltung nicht an (im Ergebnis ebenso Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. April 2020 – L 7 AS 652/17, juris Rn. 58 und Urteil vom 23. April 2020 – L 7 AS 653/17, juris Rn. 57 zu der freiwilligen Förderentscheidung der Deutschen Künstlerhilfe und der nachfolgenden Förderentscheidung zur Höhe dieser Zuwendung). Die nachgelagerte Selbstbindung der Verwaltung ist allein der rechtsförmigen Abwicklung der Förderung geschuldet. Entscheidend ist vielmehr, dass eine rechtliche oder sittliche Pflicht der Stadt Kassel, eine solche Förderung überhaupt zu beschließen, nicht bestand. Vielmehr hat sich diese im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung und des ihr dadurch eingeräumten Bereichs freier Aufgabenwahrnehmung entschieden, ihre Einwohner angesichts der inflationären Entwicklung namentlich im Bereich der Energiekosten zu entlasten, ohne dass insoweit irgendwelche äußere Vorgaben, etwa durch Bundes- oder Landesrecht, bestanden hätten. Wenn also die erfreuliche Haushaltslage der Stadt Kassel im Jahr 2022 es erlaubte, eine solchen Leistung in den Nachtragshaushalt 2022 als größten Aufwandposten einzustellen (https://www.kassel.de/buerger/rathaus_und_politik/haushalt-und-finanzen/index.php), gab es doch keine rechtliche oder sittliche Pflicht dieser Kommune höhere Steuereinnahmen als erwartet, über eine Zuwendung an alle Einwohner zu einem geringen Betrag auszuschütten.

Auch wenn hiernach eine rechtliche oder sittliche Pflicht zur Zahlung des EEG zu verneinen ist, ist doch der Tatbestand des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II nicht erfüllt. Denn eine grobe Unbilligkeit bei Berücksichtigung des EEG als Einkommen, das für den Leistungszeitraum (Winterhalbjahr 2022/2023; s. Förderrichtlinien § 1 Abs. 1) gezahlt wurde, ist zu verneinen. Denn zum einen waren die Kläger von höheren Heizkosten nicht belastet, weil der Beklagte diese Kosten übernommen hat. Zum anderen wurden die erhöhten Stromkosten, die aus den Regelleistungen zu finanzieren sind, noch im Winter 2022/2023, nämlich mit Einführung des Bürgergeldes anstelle des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes zum 1. Januar 2023 über die deutliche Erhöhung der Regelbedarfsleistungen im SGB II jeweils teilweise aufgefangen (vgl. BT-Drs. 20/3873, S. 1 und 46). Die Kläger sind also auch von gestiegenen Stromkosten im Winterhalbjahr 2023/2023 ab Januar 2023 tatsächlich entlastet worden. Eine grobe Unbilligkeit durch Anrechnung des EEG vermag der Senat bei dieser Sachlage nicht zu erkennen. 

Die grobe Unbilligkeit i.S. des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II verlangt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass gegen die Berücksichtigung der Zuwendung als Einnahme bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Typischen abweichende Umstände bzw. Zwecke der Zuwendung sprechen. Maßstab für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „groben Unbilligkeit“ ist das Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen § 11 Abs. 1 SGB II einerseits und § 11a SGB II. Grundsätzlich ist danach die Einnahme dem Bedarf gegenüberzustellen. Es besteht die Obliegenheit, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 SGB II jegliche Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verwenden. Diese Obliegenheit entfällt im Fall des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II – von mit der Höhe der Zuwendung zusammenhängenden Besonderheiten abgesehen – bei Zweckverfehlung, wenn also die Zuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft ist, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 75/20 R, juris Rn. 26 ff.). An einer solchen objektivierbaren Zweckbestimmung des EEG, die einer Verwendung zur Sicherung des Lebensunterhalts entgegensteht, fehlt es. Im Gegenteil, das EEG diente gerade dazu, diesen Lebensunterhalt sicherzustellen. 

Zum anderen führt auch die von den Klägern gerügte Ungleichbehandlung mit Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, bei denen die Stadt Kassel das EEG nicht als Einkommen wertete, nicht zu einer groben Unbilligkeit im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II. § 83 Abs. 1 SGB XII bestimmt, dass Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen sind, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Diese Bestimmung entspricht § 11a Abs. 3 SGB II. § 84 Abs. 2 SGB XII bestimmt, dass Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, als Einkommen außer Betracht bleiben sollen, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Hätte bedeuten würde. Diese Bestimmung ähnelt § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II. Dennoch erwächst aus dieser Ähnlichkeit und der Entscheidung der Stadt Kassel als Sozialhilfeträger, bei Leistungsbeziehern nach dem SGB XII keine Anrechnung vorzunehmen, unter Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz aus einer solchen Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen durch die Stadt Kassel, also einem anderen Rechtsträger als dem Beklagten, kein Anspruch gegen den Beklagten, § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II anzuwenden. Eine grobe Unbilligkeit im Sinne des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II lässt sich aus dieser Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen von Beziehern existenzsichernder Leistungen durch verschiedene Leistungsträger nicht begründen. 

(5) Der Senat sieht aber den Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II als erfüllt an. Danach sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Hinsichtlich der fehlenden rechtlichen und sittlichen Pflicht der Stadt Kassel, die Zuwendung zu erbringen, kann auf das oben Gesagte verwiesen werden. 

Den Maßstab, ab wann eine erhebliche Beeinflussung der Lage der Leistungsberechtigten anzunehmen ist, hat das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 75/20 R –, juris Rn. 37 am Fall eines monatlich gezahlten Trinkgeldes in Höhe von 25,- Euro entwickelt. Bei einer Zuwendung, die (monatlich) 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigt, ist hiernach typisierend davon auszugehen, dass die Subsidiarität existenzsichernder SGB II-Leistungen gewahrt bleibt, eine Überkompensation mithin nicht eintritt. Mit diesem Ansatzpunkt wird zum einen der notwendige Abstand zu den Freibeträgen nach § 11b Abs. 2 SGB II gewahrt und die damit verbundene Erwerbsanreizfunktion nicht unterlaufen; sie hält sich zudem in dem Rahmen, in dem (umgekehrt) belastende Minderungen des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten hinzunehmen sein können (vgl. z.B. § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II). Eine solche Grenzziehung trägt auch der Vorstellung des Gesetzgebers vom Anwendungsbereich des § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II Rechnung.

Vorliegend liegen die prozentualen Anteile des – einmalig – gezahlten EEG am Regelbedarf der Kläger allerdings erheblich höher (eVA Bl. 77):
 

  Regelbedarf Anteil EEG in Prozent
Klägerin zu 1 404 Euro 18,56 %
Kläger zu 2 und 3 311 Euro 24,12 %
Kläger zu 4 und 5 285 Euro 26,32 %


 Würde man bei einem Zufluss der EEG im Oktober 2022 für die Beurteilung der Frage, ob die Leistung die Lage des Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären, alleine auf den Anrechnungsmonat November (§ 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II) abstellen, so würde die vom Bundessozialgericht typisierend als Grenze gesetzte Höhe von 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs klar übertroffen. Für eine solche Betrachtung spricht, dass das SGB II eine monatsweise Betrachtung einmaliger Einnahmen vorsieht, sowie die Berücksichtigung im Folgemonat, wenn bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind (§ 11a Abs. 3 Satz 3 SGB II), und dass § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II als Ausnahmeregelung zu diesen Anrechnungsregeln in derselben gesetzlichen Bestimmung steht. Auch deutet der Hinweis des Bundessozialgerichts auf § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II (in der Fassung vor dem 1. Januar 2023) darauf hin, dass das Bundessozialgericht die Grenze von 10 % für eine tiefer im System des SGB II angelegte systematisch Hinnehmbarkeitsschwelle von Schwankungen nach oben und nach unten in den zur Verfügung stehenden Leistungen hält (BSG, Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 75/20 R –, juris Rn. 37). Durch die Änderung des § 42a Abs. 2 Satz1 SGB II durch das Bürgergeldgesetz ist dieses letzte Argument allerdings entwertet, weil der Gesetzgeber nunmehr nur noch belastende Minderungen des Regelbedarfs von Leistungsberechtigten im Wege der Aufrechnung in Höhe von 5 % für hinnehmbar hält. Ob daraus umgekehrt geschlossen werden kann, dass ab 1. Januar 2023 auch nur noch ohne rechtliche Verpflichtung zufließendes Einkommen in Höhe von 5 % des Regelbedarfs nach § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II unberücksichtigt bleibt, kann vorliegend offenbleiben. 

Der Senat hält trotz dieser systematischen Argumente eine andere Betrachtung für rechtlich geboten. Das Bundessozialgericht hat die 10 %-Grenze an einem Fall entwickelt, in dem die Einnahme (Trinkgeld) monatlich immer wieder anfiel. Der vorliegende Fall liegt anders. Der Senat hält es für entscheidend, dass die konkrete Leistung EEG nur einmalig gezahlt wurde und der Abmilderung finanzieller Belastungen durch gestiegene Kosten der Energieversorgung „während des Winterhalbjahres 2022/2023“ diente (§ 1 der Förderrichtlinien). Ihr Zweck bestand darin, die Einwohner Kassels über sechs Monate hinweg von den gestiegenen Energiekosten zu entlasten. Pro Monat des Winterhalbjahres kamen den begünstigten Einwohnern damit 12,50 Euro zugute. Der Senat sieht in dem Umstand, dass das EEG nicht in sechs Tranchen, sondern auf einmal vor dem anstehenden Winter ausgezahlt wurde, allein eine Verwaltungsvereinfachung und Kosteneinsparung für die Stadt. Im Rahmen des § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II kommt es indessen darauf an, ob die ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbrachte Leistung die Lage der Kläger so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach diesem Gesetzbuch nicht gerechtfertigt wären. Für die Frage der Beeinflussung kann – anders als bei der Frage, in welchem Monat die Zahlung ggf. anzurechnen ist (hier November 2022), – ein mehrmonatiger Zeitraum in den Blick zu nehmen sein, hier der Zeitraum, für den eine Entlastung angestrebt wird. Bei einer Verteilung des EEG auf die sechs Monate des Winterhalbjahres würde die Zuwendung 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs bei allen Klägern 1 bis 5 deutlich unterschreiten. Selbst wenn man die EEG-Zahlung nur auf die Monate Oktober bis Dezember 2022 rechnerisch verteilte, weil ab Januar 2023 mit dem Bürgergeld die Leistungen deutlich erhöht wurden und damit die mutmaßlich höheren Stromkosten der Kläger abgedeckt worden sein dürften und es damit keiner Entlastung von diesen mutmaßlich höheren Kosten bedurfte, wird die 10 % Grenze in diesen drei Monaten nicht überschritten. Der Senat geht mit dieser an dem Zweck der Leistung orientierten Betrachtung eines Zeitraums typisierend davon aus, dass die Subsidiarität der existenzsichernden SGB II-Leistungen in diesem Zeitraum gewahrt geblieben ist und die Zahlung des EEG damit nicht zu einer Überkompensation der Kläger geführt hat. 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache wirft ungeachtet des Umstandes, dass es sich bei dem EEG um eine einmalige, spezifische Leistung nur einer Kommune gehandelt hat, zwei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Anwendung des § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II auf:

Erstens: Worauf kommt es bei der Frage, ob eine rechtliche Verbindlichkeit bei einer aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift erbrachten kommunalen Leistung besteht, an: darauf, ob die Leistung abstrakt freiwillig erfolgt, die öffentlich-rechtliche Vorschrift also nicht hätte erlassen werden müssen (so der erkennende Senat); oder darauf, dass die Leistung nach Erlass der öffentlich-rechtlichen Vorschrift und jedenfalls nach Erlass des hierauf gründenden begünstigenden Verwaltungsakts rechtsverbindlich und einklagbar zugesagt ist?

Zweitens: Ist bei einer einmaligen Leistung, die für einen definierten längeren Zeitabschnitt (hier: Winterhalbjahr) gewährt wird, diese Leistung für die Betrachtung der übermäßig günstigen Beeinflussung der Lage der Leistungsberechtigten rechnerisch zeitanteilig auf die Monate des definierten Begünstigungszeitraums zu verteilen (so der erkennende Senat) oder nicht? 
 

Rechtskraft
Aus
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