Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1959 geborene Kläger absolvierte nach dem Hauptschulabschluss zunächst von August 1974 bis Juli 1977 eine Berufsausbildung zum Landwirt (Bl. 75 eVA). Im März 1979 schloss er eine ab August 1977 durchgeführte Weiterbildung zum staatlich geprüften Wirtschafter im Landbau ab (Bl. 77, 79 eVA). Bis Oktober 1995 war er als Landwirt versicherungspflichtig beschäftigt. Von 1995 bis 1996 absolvierte der Kläger eine Weiterbildung zum Fleischkontrolleur und war ab Mai 1996 bis zur Rentenantragstellung bzw. Krankschreibung als Fleischkontrolleur (Aufgabengebiet Fleischhygiene-, Tiergesundheit- und Tierschutzkontrollen, Bl. 95 eVA) beim Landratsamt N1-Kreis (Veterinäramt) versicherungspflichtig in einem Umfang von 6,24 Stunden täglich (Bl. 92 eVA) beschäftigt. Seit Januar 2017 ist der Kläger aufgrund von Beschwerden der Wirbelsäule arbeitsunfähig krankgeschrieben. Im Versicherungskonto des Klägers sind von April 1979 bis Oktober 2020 lückenlose Pflichtbeitragszeiten - auch durch den Bezug von Sozialleistungen - gespeichert (vgl. Versicherungsverlauf vom 29.09.2023, Bl. 30 ff. Senatsakte).
Der Kläger legte bis 31.07.2021 Pflichtbeitragszeiten zur landwirtschaftlichen Alterskasse zurück und bezieht seit 01.08.2021 eine Altersrente von der landwirtschaftlichen Alterskasse aufgrund einer seit 1995 ausgeübten selbständigen Tätigkeit (Gesellschafter einer GbR) im eigenen bzw. landwirtschaftlichen Betrieb (85 Hektar) eines Familienangehörigen, in dem er nach eigenen Angaben seit Beginn seiner Krankheit nicht mehr und zuvor in einem Umfang von zwei Stunden täglich tätig war (vgl. Bl. 34, 87 eVA). Die Regelaltersrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) kann der Kläger frühestens ab 01.06.2025 beziehen (vgl. Auskunft Beklagte Bl. 29 Senatsakte). Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 20 anerkannt (vgl. Bl. 34 Senatsakte).
Der Kläger befand sich vom 23.08.2017 bis 13.09.2017 zur stationären Rehabilitationsbehandlung in der Klinik „R1“ R2, Abteilung Orthopädie. Von dort wurde er unter den Diagnosen Lumboischialgie beidseits, Bandscheibenprotrusion L3/4 links betont, Bandscheibenprotrusion L4/5 rechts und latente arterielle Hypertonie als arbeitsunfähig und mit der ärztlichen Einschätzung eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr für die Tätigkeit als Fleischkontrolleur und mittelschwere körperliche Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine überwiegende bis dauerhaften Zwangshaltungen der Wirbelsäule wie insbesondere Vor- und Rückneigung sowie Rotation der LWS, keine angespannten Körperhaltungen, Vermeidung von Nässe, Kälte, Zugluft bzw. erforderliches Tragen witterungsbedingter Kleidung) und der Empfehlung einer invasiven Schmerztherapie entlassen (vgl. ärztlicher Entlassungsbericht vom 14.09.2017, Bl. 397 ff. eVA).
Am 01.07.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund bestehender Beschwerden des Haltungs- und Bewegungsapparates (Bl. 21 ff. eVA). Er könne nicht mehr stundenlang am Schlachtkörper stehen, um u.a. bei gravierende Temperaturunterschieden bestimmte Proben zu entnehmen und Organe und Fleischkörper auf Tauglichkeit zu kontrollieren (Bl. 491 eVA).
Nach Beiziehung von Befundunterlagen der behandelnden Orthopäden und Chirurgen erstattete der W1 auf Veranlassung der Beklagten das Gutachten vom 14.10.2020 (Tag der Untersuchung: 09.10.2020; Bl. 415 ff. eVA). W1 stellte folgende Diagnosen: Intraossärer Bindegewebs- oder Mischtumor temporal links (Zufallsbefund; sehr wahrscheinlich seit der Kindheit und aktuell klinisch stumm [Bl. 373 eVA]), Lumboischialgie bei mäßiger Spinalkanalstenose L4/5, geringe neuroforaminale Einengung L4/5, mögliche Affektion der Spinalnerven L5, Osteochondrosis intervertebralis linksbetont bei L3/4 und rechtsbetont im Segment L4/5, chronische Tendinose der Peronealsehne, mit Sprunggelenksbandage versorgt, Bandescheibenprotrusion L3/4 und L4/5. Die statische Funktion sei im Wesentlichen unauffällig. Aufgrund dieser Erkrankungen seien das Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten, dauerhafte Zwangshaltungen und Rumpfvorbeugehaltungen nicht mehr leidensgerecht. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestehe ein Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche. Auch die letzte berufliche Tätigkeit „als Veterinärhelfer“ könne als leidensgerechte Arbeit in einem Umfang von sechs Stunden und mehr ausgeübt werden. Die Wegstrecke von viermal täglich von mehr als 500 m könne in der Zeit bis 20 Minuten zurückgelegt werden. Die Benutzung von öffentlichen und privaten Verkehrsmittel sei gegeben, der Kläger fahre selbst mit dem Kfz.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.11.2020 (Bl. 139 ff. eVA) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2021 (Bl. 173 ff. eVA) den Rentenantrag ab, nachdem sie die sozialmedizinische Stellungnahme der Beratungsärztin vom 20.10.2020 (Bl. 471 ff. eVA) eingeholt hatte. Der Kläger könne zwar seinen bisherigen Beruf als Fleischkontrolleur nicht mehr mindestens sechs Stunden pro Tag ausüben, andere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien jedoch im arbeitsmarktüblichen Rahmen weiterhin im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zumutbar. Diese seien ihm sozial zumutbar, da der bisherige Beruf als Fleischkontrolleur zu den einfachen Anlernberufen bzw. ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zähle.
Hiergegen hat der Kläger am 01.06.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Seine erheblichen Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet seien ausschlaggebend für seine Leistungseinschränkungen. Die Frage, ob es ihm noch zumutbar sei, Tätigkeiten nachzugehen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblicherweise angeboten würden oder ob die Beklagte und die konsultierten Ärzte sich einen sogenannten Schonarbeitsplatz vorstellten, sei streng von der Frage zu trennen, ob er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt eine Arbeit finde. Es gehe hier nicht um das sogenannte „Arbeitsplatzrisiko", sondern um die korrekte Definition des Begriffs des „allgemeinen Arbeitsmarktes". Gemäß der Sozialmedizinischen Beurteilung des Leistungsvermögens durch die beratende Ärztin der Beklagten sei er berufsunfähig mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden pro Tag, weshalb jedenfalls zumindest eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vorliege. Aufgrund des versperrten Teilzeitarbeitsmarktes sei ihm bereits bei einer Leistungsfähigkeit von drei bis unter sechs Stunden für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt die von der Rechtsprechung entwickelte „Arbeitsmarktrente" und damit eine Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Aufgrund der vorhandenen gesundheitlichen Leiden müsse mindestens von einer solchen teilweisen Erwerbsunfähigkeit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden. Gegen die Möglichkeit der Verweisung auf Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt spreche auch seine nicht vorhandene Wegefähigkeit. Diese resultiere aus den auftretenden Schmerzen, u.a. im Bereich der Lendenwirbelsäule.
Das SG hat den behandelnden D1 schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat mit Schreiben vom 25.10.2021 (Bl. 32 ff. SG-Akte) von einer Behandlung des Klägers seit 2017 (fünf Termine in 2017, ein Termin in 2018 und zwei Termine in 2021) berichtet und mitgeteilt, dass im Februar 2017 eine Osteochondrose der Wirbelsäule, eine Neuroforaminalstenose, ein Bandscheibenvorfall (NPP) L4/5 und ein Bandscheibenschaden der LWS mit Radikulopathie, im März/Juni 2018 eine rückläufige Ansatztendinitis der Peroneus-brevis-Sehne am rechten Fuß und im Januar 2021 ein Impingement-Syndrom Schultern; eine AC-Gelenksarthrose rechts, eine Omarthrose Grad I - II rechts, eine Gonarthrose medial betont links, eine Innenmeniskushinterhornläsion Grad IV links, eine Chondromalazie mediale Femurcondyle Grad II links und eine Chondromalazie patellae Grad IV links diagnostiziert worden seien. Wegen der Beschwerden der LWS sei die Überweisung an einen Neurochirurgen erfolgt. Ob der Kläger diesen aufgesucht habe, wisse er nicht. In der Folgezeit habe der Kläger nicht mehr über Schmerzen in der LWS geklagt. Die bestehenden Erkrankungen stünden einer körperlich leichten Berufstätigkeit mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel und ohne erhöhte nervliche Belastung im Umfang von sechs Stunden je Arbeitstag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nicht entgegen. Auch sei der Kläger in der Lage, 500 Meter in einer Zeit von weniger als 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Des Weiteren sei es ihm zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen.
Sodann hat das SG auf Antrag und Kosten des Klägers den S1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, dass dieser wegen fehlender Kapazitäten nicht hat erstatten können (vgl. Bl. 71 SG-Akte). Die Benennung eines anderen Gutachters ist dem Kläger nicht möglich gewesen, weshalb er vor dem SG auf die Einholung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verzichtet hat (Bl. 74 SG-Akte).
Mit Gerichtsbescheid vom 08.05.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Darlegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung gem. § 43 SGB VI und einer Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI nicht erfülle. Es folge den überzeugenden Ausführungen des W1, dessen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises verwertbar sei. Dieser habe überzeugend ausgeführt, dass dem Kläger leichte körperliche Tätigkeiten ohne Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten, dauerhafte Zwangshaltungen und Arbeiten in Rumpfvorhalte im arbeitsmarktüblichen Rahmen mindestens sechs Stunden täglich zumutbar seien. Der Auskunft des behandelnden D1 seien keine Befunde zu entnehmen, die eine andere Einschätzung rechtfertigten. Dieser habe auch keine abweichende Beurteilung der Leistungsfähigkeit vorgenommen.
Weitere Ermittlungen seien nicht vorzunehmen gewesen, da der Kläger seinen Anspruch einzig auf Erkrankungen stütze, die durch einen Orthopäden beurteilt werden könnten und sich Anhaltspunkte für einen im Vergleich zur Beurteilung durch W1 geänderten Gesundheitszustand nicht ergeben hätten. Den qualitativen Leistungseinschränkungen könne beispielsweise im Rahmen einer Bürotätigkeit Rechnung getragen werden.
Das SG hat weiter ausgeführt, der Kläger sei auch nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 SGB VI. Unter Berücksichtigung der vom BSG aufgestellten - und vom SG im Einzelnen dargelegten - Grundsätze zur Berufsunfähigkeit, könne der Kläger selbst dann, wenn es sich bei seiner Tätigkeit als Fleischkontrolleur um eine Facharbeitertätigkeit nach dem sog. Mehrstufenschema handeln würde, auf eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter verwiesen werden. Bei dem Kläger bestehe auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung seiner Wegefähigkeit. Denn er könne Arbeitswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Pkw zurücklegen.
Am 06.06.2023 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den ihm am 10.05.2023 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, der Schwerpunkt seiner Leistungseinschränkungen liege im Bereich der Wirbelsäule bzw. der Bandscheiben. Der Kläger habe anhaltende Schmerzen in der HWS, wobei sich die Drehfähigkeit stark verschlechtert habe und in der LWS, bereits beim normalen Stehen. Außerdem habe sich dessen linkes Knie verschlechtert. Er könne lediglich weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Mai 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, zumindest auf Zeit, zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin hat den Kläger mit Schreiben vom 05.12.2023 auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 109 SGG hingewiesen und zur Benennung des Sachverständigen und der Einzahlung des Kostenvorschusses eine Frist bis 18.01.2024 gesetzt (Bl. 35 Senatsakte). Sodann wurde von Klägerseite die fristgerechte Einzahlung des Kostenvorschusses veranlasst. Die Benennung eines Sachverständigen erfolgte indes (auch nach Ablauf der Frist) nicht.
Auf Anfrage der Berichterstatterin vom 12.02.2024 erteilten die Beklagte mit Schreiben vom 14.02.2024 (Bl. 47 Senatsakte) und der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 11.03.2024 (Bl. 49 Senatsakte) ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, weil er im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder erwerbsgemindert noch berufsunfähig ist.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat 10.12.1976 - u.a. GS 2/75 -, juris) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die - unter anderem - vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat in den Gründen angefochtenen Entscheidung zutreffend die rechtlichen Grundlagen und die vom BSG aufgestellten Grundsätze für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung und der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit dargelegt und gestützt auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte und als Urkundsbeweis verwertbare Gutachten von W1 sowie der schriftlichen Auskunft des behandelnden Arztes D1 ebenso zutreffend ausgeführt und begründet, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der von W1 beschriebenen qualitativen Einschränkungen nicht weniger als sechs Stunden beträgt. Es hat weiter zutreffend dargelegt, dass der Kläger nicht berufsunfähig ist, weil er unter Berücksichtigung des vom BSG aufgestellten sog. Mehrstufenschemas selbst bei Einordnung seiner zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit des Fleischkontrolleurs in die Gruppe der Facharbeiter auf die ihm gesundheitlich und sozial zumutbare Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters verwiesen werden kann.
Der Senat schließt sich daher der Begründung des SG nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Der Senat stellt fest, dass bei dem Kläger qualitative Leistungseinschränkungen bestehen für das Heben, Tragen und Bewegen mittelschwerer bis schwerer Lasten, dauerhafte Zwangshaltungen und Rumpfvorbeugehaltungen, das Vermeiden von Nässe, Kälte, Zugluft und extrem schwankender Temperaturen, Nachtschicht, häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leiter und Gerüsten sowie für erhöhte nervliche Belastungen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats sowohl aus dem ärztlichen Reha-Entlassungsbericht vom 14.09.2017 als auch aus dem Gutachten des W1, das auch der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet sowie aus der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.10.2020 und der Auskunft des behandelnden Arztes D1.
Wie die Beklagte, geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Fleischkontrolleur des Veterinäramtes nicht mehr leidensgerecht ausüben kann. Denn diese Arbeit findet in erster Linie in Schlacht- und Produktionshallen sowie in Lager- und Kühlhäusern statt und erfordert daher körperlich robuste Gesundheit (vgl. zu den Arbeitsbedingungen in diesem Beruf: https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/13952#taetigkeit_arbeitsumfeld_arbeitsbedingungen; https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/13952#zugangAnforderungen_persoenlicheAnforderungen_gesundheitlicheAspekte). Unter diesen Bedingungen kann der Kläger angesichts seiner Erkrankungen des Bewegungsapparates nicht mehr leidensgerecht arbeiten.
Indes kann - wie schon das SG - auch der Senat im Ergebnis offen lassen, ob die zuletzt von 1996 bis zur Krankschreibung im Januar 2017 vom Kläger versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit nach dem sog. Mehrstufenschema in die Gruppe der Facharbeiterberufe einzustufen ist (vgl. zu den Ausbildungsanforderungen des heute bezeichneten „amtlichen Fachassistenten Fleischkontrolleur“, bei dem es sich um einen anerkannten Ausbildungsberuf handelt: https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/13952#ausbildung_ausbildungsbeschreibung_ausbildungsinhalte).
Denn selbst wenn der Beruf des Fleischkontrolleurs ein Facharbeiterberuf wäre, wären Versicherte in diesem Beruf sozial zumutbar auf die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters verweisbar. Dass die Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters für einen Facharbeiter eine zumutbare Verweisungstätigkeit darstellt und dass entsprechende Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, hat das LSG Baden-Württemberg bereits in verschiedenen Urteilen (vgl. Urteile des 10. Senats vom 21.09.2023 - L 10 R 2497/22 -, vom 16.02.2023 - L 10 R 1000/21 -, vom 17.11.2022 - L 10 R 1429/22 -, vom 13.12.2018 - L 10 R 411/15 -, vom 23.03.2006 - L 10 R 612/05 -; Urteile des 13. Senats vom 28.08.2014 - L 13 R 3020/13 -, vom 25.04.2017 - L 13 R 4106/16 -, vom 25.09.2012 - L 13 R 4924/09 -; Urteil des 5. Senats vom 22.07.2020 - L 5 R 1115/18 -, juris) auf der Grundlage umfangreicher Auskünfte von Arbeitgebern im Bereich des öffentlichen Dienstes, von gesetzlichen Krankenkassen, von privaten Versicherungsunternehmen und Bausparkassen im Einzelnen dargelegt. Auf die dortigen Entscheidungsgründe wird hier Bezug genommen.
Der Kläger ist auch gesundheitlich zumutbar auf die Tätigkeit des Poststellenmitarbeiters verweisbar. Denn sein Restleistungsvermögen wird dieser Tätigkeit gerecht.
Die Tätigkeit als Mitarbeiter in der Poststelle umfasst (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 13.12.2018 - L 10 R 411/15 -, a.a.O., wiederum u.a. unter Hinweis auf das Urteil vom 23.03.2006 - L 10 R 612/05 - im Anschluss an den dortigen Sachverständigen, sowie das Urteil vom 25.09.2012 - L 13 R 4924/09 -, a.a.O.) die Entgegennahme und das Öffnen der täglichen Eingangspost (Postsäcke, Postkörbe, Pakete, Briefsendungen, u.a.) sowie der Hauspost, die Entnahme des Inhaltes von Postsendungen, die Überprüfung der Vollständigkeit, das Anbringen eines Posteingangsstempels bzw. eines Eingangs-und Weiterleitungsvermerks, das Anklammern der Anlagen, das Auszeichnen, Sortieren und Verteilen der Eingangspost innerhalb der Poststelle in die Fächer der jeweils zuständigen Abteilungen. Daneben bereiten Poststellenmitarbeiter die Ausgangspost vor. Dies geschieht durch Falzen und Sortieren, Kuvertieren bzw. Verpacken der Post, das Frankieren und Bereitstellen der ausgehenden Post, das Bedienen der Kuvertier- und Frankiermaschine und Beschriften der ausgehenden Aktenpost, das Packen von Päckchen und Paketen, das Einträgen von Wert- und Einschreibesendungen in Auslieferungsbücher. Es handelt sich hierbei regelmäßig um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen und temperierten Räumen im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass gelegentlich Lasten über 10 kg gehoben bzw. getragen werden müssen. Doch sind solche Transporttätigkeiten in größeren Behörden und Firmen nicht typisch für die Tätigkeit in der Poststelle, weil der Transportdienst von und zum Postamt sowie innerhalb der Poststelle dort von nur wenigen, speziell hierfür bestimmten Mitarbeitern wahrgenommen wird (vgl. u.a. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.03.2006 - L 10 R 612/05 -, mit den darin wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen, juris). Demgemäß ist - was für die Benennung auch als körperlich leichte Verweisungstätigkeit genügt - die Mehrheit der Mitarbeiter der Poststelle ausschließlich mit dem Fertigmachen der auslaufenden Post und mit der Bearbeitung der eingehenden Post betraut, sodass die zu verrichtenden Aufgaben nicht den Schweregrad leichter körperlicher Tätigkeiten übersteigen (so bereits LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 26.05.1997 - L 2 I 47/95 -, juris, m.w.N).
Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass das Leistungsvermögen des Klägers diesem Anforderungsprofil entspricht. Denn der Kläger kann entsprechend der obigen Darlegungen jedenfalls leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und unter Beachtung der zuvor vom Senat festgestellten qualitativen Einschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche ausüben. Insoweit nimmt der Senat (erneut) Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Abweichende Feststellungen vermag der Senat auch insoweit nicht zu treffen.
Der Senat hat auch keinerlei Zweifel, dass der Kläger in der Lage ist, die Tätigkeit eines Poststellenmitarbeiters nach einer zumutbaren betrieblichen Einweisungs- oder Einarbeitungszeit von längstens drei Monaten (s. auch dazu die entsprechenden Nachweise in LSG Baden-Württemberg Urteil vom 13.12.2018 - L 10 R 411/15 -, a.a.O., sowie das Ergebnis der Ermittlungen des 13. Senats des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 25.09.2012 - L 13 R 4924/09 -, a.a.O.; vgl. auch BSG Urteil vom 22.09.1977 - 5 RJ 96/76 -, juris; Urteil vom 08.09.1982 - 5b RJ 36/82 -juris) vollwertig zu verrichten. Der Kläger hat nichts Gegenteiliges dargetan.
Im Übrigen hat der Kläger auch unter dem Gesichtspunkt einer eingeschränkten Wegefähigkeit keinen Anspruch auf eine Rente wegen (voller) Erwerbsminderung.
Erwerbsfähigkeit setzt das Vermögen voraus, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (vgl. BSG Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R-, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, juris). Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können (vgl. BSG, a.a.O.). Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, a.a.O.).
Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt beim Kläger nicht vor. Der Gutachter W1 ist auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde für den Senat nachvollziehbar zu der Einschätzung gelangt, dass diese sog. Wegefähigkeit des Klägers gegeben ist, er also sowohl täglich viermal mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurücklegen kann und auch öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit nutzen kann. So gab W1 zwar eine „erkennbare Gehbehinderung“ an (Bl. 441 eVA), führte indes zugleich aus, dass der aktive Bewegungsablauf unauffällig verlief und selbsttätige Bewegungsdefizite nicht erkennbar seien. Der Rückenstreckapparat war ebenso wie die unteren Gliedmaßen seitengleich bemuskelt (Bl. 443, 451 eVA), was wiederum für eine gleich- und regelmäßige körperliche Aktivität und eine fehlende - ggf. schmerzbedingte - Schonhaltung spricht. Im Übrigen war auch keine Wurzelreizsymptomatik erkennbar (Bl. 445 eVA). Zusammenschauend legte W1 in diesem Zusammenhang dar, dass zwischen Befund und Befindlichkeit des Klägers eine Diskrepanz bestanden habe.
Im Übrigen reiste der Kläger zur gutachterlichen Untersuchung selbst mit dem Pkw an, so dass auch insoweit für den Kläger die Möglichkeit besteht, eine Arbeitsstelle zu erreichen.
Dass der Kläger in der Lage ist, die üblichen Wege zu und von der Arbeit zurückzulegen, hat im Übrigen auch der ihn behandelnde D1 bestätigt.
Soweit der Kläger im Berufungsverfahren vorgetragen hat, dass sich die Drehfähigkeit seiner HWS und sein linkes Knie verschlechtert habe, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger hat sowohl im Klage- als auch im Berufungsverfahren einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens gem. § 109 SGG gestellt, im Berufungsverfahren sogar den angeforderten Kostenvorschuss eingezahlt, und dennoch keinen zur Begutachtung bereiten Arzt benannt. Daher war ein solches Gutachten nicht einzuholen. Auch hat er die behauptete Verschlechterung seiner HWS- und linksseitigen Kniegelenksbeschwerden nicht im Ansatz durch substantiierten Vortrag oder die Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes untermauert. Angesichts all dessen, hat für den Senat keine Veranlassung bestanden, von Amts wegen Ermittlungen einzuleiten. Der Sachverhalt ist umfassend aufgeklärt.
Da der Kläger nach alledem noch für eine Tätigkeit als Poststellenmitarbeiter mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistungsfähig ist, besteht weder ein Anspruch auf die an engere Voraussetzungen geknüpfte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) noch auf eine im Vergleich dazu an weniger enge Voraussetzungen geknüpfte Rente wegen Erwerbsminderung bzgl. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 SGB VI).
Unerheblich ist, ob dem Kläger überhaupt ein freier Arbeitsplatz angeboten werden kann, denn dieses Risiko trägt die Arbeitsverwaltung, nicht jedoch die gesetzliche Rentenversicherung, welche ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat (vgl. BSG Urteil vom 14.05.1996 - 4 RA 60/94 -, juris).
Aus den vorgenannten Gründen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 1407/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1631/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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