Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Übernahme des nicht behinderungsbedingt anfallenden Eigenanteils für Freizeitveranstaltungen in den Jahren 2021, 2022 und 2023 in Höhe von 1.360,00 €.
Der 1995 geborene Kläger leidet an einer dauerhaften geistigen Behinderung bei Trisomie 21. Er ist seit seiner Geburt schwerbehindert. Es wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen „G“ und „H“ festgestellt. Der Kläger ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe P1 e.V. tätig und bezieht vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Arbeitsbereich nach § 111 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie für die Zeit ab dem 1. Oktober 2022 weitere Assistenzleistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets in Höhe von 520,00 € monatlich. Die Mutter des Klägers, W1, ist dessen rechtliche Betreuerin.
In den Jahren 2021, 2022 und 2023 nahm der Kläger an Freizeiten der Lebenshilfe P1 e.V. (offene Hilfen) teil. Gemäß Rechnungen fielen dabei folgende Kosten an:
Rechnung vom 9. Juni 2021
Freizeitbetreuung § 45a/b SGB XI (Freizeit G1, 21. bis 26.06.2021): 600,00 €
Freizeit Eigenanteil Sachkosten (Freizeit G1 21. bis 26.06.2021): 400,00 €
Rechnung vom 25.07.2022
Freizeitbetreuung § 45a/b SGB XI (Freizeit B1, 30.10. bis 4.11.2022): 600,00 €
Freizeit Eigenanteil Sachkosten (Freizeit B1, 30.10. bis 4.11.2022): 360,00 €
Rechnung vom 15. Juni 2023
Freizeitbetreuung § 45a/b SGB XI (Freizeit D1, 18. bis 24.09.2023): 770,00 €
Freizeit Eigenanteil Sachkosten (Freizeit D1, 18. bis 24.09.2023): 600,00 €
Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechnungen wird auf Bl. 405 bis 407 der elektronischen Verwaltungsakte verwiesen.
Die Betreuungskosten, welche für den Einsatz von „pädagogischen Fachpersonen oder erfahrenen Betreuungskräften“ (vgl. Bl. 400 der elektronischen Verwaltungsakte) im Rahmen der Freizeiten anfielen, wurden ausweislich eines Schreibens von der Lebenshilfe über den Entlastungsbetrag mit der Pflegekasse abgerechnet (vgl. Bl. 384, 385 und 392 der elektronischen Verwaltungsakte) und nach Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe am 11. Juni 2024 von der T1-Krankenkasse als Pflegekasse übernommen.
In einem zuvor geführten Gespräch zwischen der Betreuerin des Klägers und dem Beklagten wurde die Frage erörtert, ob die Kosten für die Freizeiten übernommen werden könnten. Mit E-Mail vom 1. August 2023 übersandte der Kläger formlos die vorgenannten Rechnungen. Auf eine Nachfrage des Beklagten, welche Anteile von der Pflegekasse übernommen worden seien, antwortete die Betreuerin des Klägers am 4. Januar 2024 per E-Mail, dies ergäbe sich aus den Rechnungen. Man habe bereits im Juli 2023 die Übernahme des Eigenanteils der Freizeitmaßnahmen beantragt und erwarte eine Entscheidung.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2024 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Freizeitmaßnahmen ab. Nach § 90 Abs. 1 SGB IX sei es die Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspreche und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung solle sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Gemäß § 19 Abs. 5 SGB IX sei es die besondere Aufgabe der sozialen Teilhabe, die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stellten Urlaubsreisen als Form der Freizeitgestaltung ein legitimes soziales Teilhabebedürfnis dar. Ein Anspruch gegen den Sozialhilfe- bzw. Eingliederungshilfeträger löse jedoch nicht schon das bei den behinderten Menschen selbst bestehende Urlaubsbedürfnis aus, weil dieses bei nichtbehinderten wie behinderten Menschen in gleicher Weise entstehe. Kosten für den eigenen Urlaub seien deshalb grundsätzlich nicht als Leistung der Eingliederungshilfe zu übernehmen, sondern vom behinderten Menschen selbst zu tragen. Die geltend gemachte Übernahme des Eigenanteils (Sachkosten) der Freizeitmaßnahme mit der Offenen Hilfe stellten keine Teilhabeleistung im Sinne des SGB IX dar. Anders könne es bei behinderungsbedingten Mehrkosten wie z.B. den Reisekosten einer notwendigen Begleitperson liegen. Denn mit diesen Kosten sei der behinderte Mensch allein aufgrund seiner Behinderung konfrontiert. Diese behinderungsbedingten Mehrkosten könnten als Teilhabeleistung übernommen werden, sofern sie angemessen und notwendig seien. Beim Kläger seien behinderungsbedingte Mehrkosten in Form von Betreuungskosten angefallen. Nach Angaben im Prospekt der Offenen Hilfe der Lebenshilfe P1 könnten Betreuungskosten, sofern ein Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse bestehe, mit der Pflegekasse im Rahmen der Verhinderungspflege (§ 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XI -) bzw. dem Entlastungsbetrag (§ 45b SGB IX) abgerechnet werden. Nach Angaben des Klägers sei bei ihm Pflegegrad 4 festgestellt; somit bestünden grundsätzliche Ansprüche gegenüber der Pflegekasse. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2023 habe man dazu aufgefordert mitzuteilen, ob und wenn ja in welcher Höhe die Pflegekasse die Betreuungskosten für die Freizeitmaßnahme mit den Offenen Hilfen der Lebenshilfe P1 im September 2023 übernommen habe. Daraufhin habe der Kläger mit E-Mail vom 4. Januar 2024 mitgeteilt, dass er in seinem Antrag vom 1. August 2023 um Übernahme der Kosten des Eigenanteils (Sachkosten) gebeten habe und der Anteil der Pflegekasse sich aus den beigefügten Rechnungen ergäbe. Es sei davon auszugehen, dass die Betreuungskosten (behinderungsbedingte Mehrkosten) vollständig von der Pflegekasse des Klägers übernommen worden seien und dass kein offener (behinderungsbedingter) Bedarf mehr bestehe. Der Antrag werde für alle Freizeiten abgelehnt.
Hiergegen erhob die Betreuerin des Klägers am 19. Februar 2024 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2024 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend zum Bescheid führte er aus, für die Freizeiten der Jahre 2021 und 2022 fehle es (zusätzlich) an der nach § 108 SGB IX erforderlichen vorherigen Antragstellung. Lediglich für die Freizeit in D1 2023 liege ein rechtzeitiger Antrag vor. Der Eigenanteil bzw. die Sachkosten der Freizeitmaßnahmen seien als Kosten für den eigenen Urlaub anzusehen und stellten daher keine Teilhabeleistungen im Sinne des SGB IX dar. Behinderungsbedingte Mehrkosten seien ausschließlich die Betreuungskosten. Diese seien vollständig von der Pflegekasse übernommen worden.
Hiergegen hat der Kläger am 16. April 2024 Klage beim SG erhoben. Er habe ein Recht auf Teilhabe an Freizeitmaßnahmen. Die Übernahme des Eigenanteils von zusammen 1.360,00 € habe der Beklagte abschließend abgelehnt. Deshalb sei Klage geboten.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Ausgangs- und Widerspruchsbescheid wiederholt.
Mit Urteil vom 11. Juni 2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme des Eigenanteils (Sachkosten) für die Urlaubsreisen in den Jahren 2021, 2022 und 2023 in Höhe von 1.360,00 €. Nach § 99 Abs.1 SGB IX erhielten Leistungen der Eingliederungshilfe Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt seien oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht seien, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles Aussicht bestehe, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 90 SGB IX erfüllt werden könne. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspräche und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung solle diese Menschen befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können. Diese Zielsetzung spiegele sich in § 113 SGB IX wider, welcher die zu erbringenden Leistungen zur sozialen Teilhabe nicht abschließend („insbesondere“) beschreibe und auch einen behinderungsbedingten Mehrbedarf für die Teilnahme an einer Urlaubsreise erfassen könne. Es sei festzustellen, dass die vom Kläger geltend gemachten Kosten des Eigenanteils (Sachkosten) in Höhe von 1.360,00 € für die drei Freizeiten in G1, B1 und D1 vollständig solche Kosten erfassten, die keinen Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers hätten, mithin bei einem (fiktiven) Teilnehmer ohne Behinderung in identischer Höhe für Reise, Verpflegung, Unterkunft etc. angefallen wären. Die Übernahme solcher Kosten als Leistungen zur sozialen Teilhabe sei zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen. Auch sonst bestehe kein weiterer Anspruch des Klägers, welcher wie jede hilfebedürftige Person die Sachkosten für eine Urlaubsreise aus den pauschalisierten Grundsicherungsleistungen zu bestreiten habe. Im Übrigen werde nach § 136 Abs. 3 SGG auf die weiteren Gründe im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid verwiesen, welchen sich das Gericht umfänglich anschließe.
Gegen das dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 19. Juni 2024 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 2. Juli 2024 schriftlich beim SG Berufung erhoben. Zur Begründung bringt er vor, für einen Urlaub im Jahr ohne Eltern oder Geschwister bestehe ein Erstattungsanspruch im Rahmen der Eingliederungshilfe. Er beziehe sich auf die Rechtsprechung des BSG. Er habe die einmaligen Urlaube in den Jahren 2021, 2022 und 2023 nicht vor seiner Grundsicherung finanzieren können, weil der Beklagte in dieser Zeit die Zahlungen immer wieder eingestellt habe. Diesbezüglich verweise er auf die Klagen Nr. 1 bis Nr. 44. Ein persönliches Budget sei ebenfalls nicht zur Auszahlung gekommen. Infolge einer Behinderung entstehende Kosten einer Urlaubsreise könnten Gegenstand des Anspruchs auf soziale Teilhabe im Rahmen der Eingliederungshilfe sein.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2024 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar 2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 2024 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Eigenanteil (Sachkosten) der Freizeiten in G1, B1 und D1 in Höhe von insgesamt 1.360,00 € zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 10. Juli 2024 darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit besteht, dass der Senat die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweist, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten, die für den Senat keinen Anlass zu einem anderen Verfahren gegeben hat, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das SG hat zutreffend unter Darstellung der hier maßgeblichen gesetzlichen Normen - §§ 99 Abs. 1, 2 Abs. 1, 90 Abs. 1 und 113 SGB IX - sowie ihrer zutreffenden Anwendung einen Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme für die Sachkosten in Höhe von 1.360,00 €, die anlässlich der Teilnahme an Freizeiten im Jahre 2021, 2022 und 2023 für den Kläger entstanden sind, abgelehnt. Hierzu nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des SG Bezug und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Mit der Berufung hat der Kläger keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, auf die seitens des Senats einzugehen wäre.
Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 1006/24
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2041/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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