Zum fehlenden Anspruch nach dem SGB V und dem SGB XI auf Versorgung mit dem Neuromodulationsanzug Exopulse Mollii Suit.
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 25. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Exopulse Mollii Suit.
Die 1961 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie erlitt am 16. Dezember 2016 einen Verkehrsunfall, sie wurde als Fußgängerin von einem PKW erfasst. Dabei erlitt sie u. a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit traumatischem Subduralhämatom rechts, im weiteren Verlauf kam es zu einem Hirnstamminfarkt. Sie leidet infolge der erlittenen Verletzungen dauerhaft an einer rechts- und armbetonten Tetraparese und Ataxie, an schwerer Dysarthrie und Dysphagie, an einem hirnorganischen Psychosyndrom, an struktureller Epilepsie und an einem rechtsbetonten Tremor. Sie ist auf den Rollstuhl angewiesen. Zur Behandlung der Spastik im Hand- und Unterarmbereich erhält die Klägerin vierteljährlich eine Botox-Therapie, zudem erhält sie umfangreiche Behandlungen mit Physio-, Ergo- und Sprachtherapie.
Unter Vorlage einer Verordnung des Facharztes für Allgemeinmedizin G vom 15. März 2021 (Bl. 253 d. A.) beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit dem Exopulse Mollii Suit. Dabei handelt es sich nach den Angaben des Herstellers um einen Neuromodulationsanzug, der das Prinzip der transkutanen Elektrosimulation nutzt und bei dem das Senden eines elektrischen Signals an einen antagonistischen Muskel eine Entspannung des Muskels herbeiführt. Für Menschen mit neuronalen Erkrankungen kann der Anzug zur Verbesserung der Mobilität, des Gleichgewichts, der Blutzirkulation und der damit verbundenen Schmerzen beitragen. Weiter heißt es in der Herstellerinformation, der Anzug sei eine nicht invasive, medikamentenfreie Lösung, Spastiken könnten mit Hilfe gezielter elektrischer Impulse reduziert werden. In der Regel wird der Anzug täglich 60 Minuten getragen.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. April 2021 (Bl. 31 d. VwA.) ab. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid am 27. April 2021 Widerspruch (Bl. 36 f. d. VwA.). Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2021 (Bl. 63 ff. d. VwA.) zurückgewiesen.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin am 16. Dezember 2021 Klage zum Sozialgericht. Entgegen der Ansicht der Beklagten werde der Anzug nicht vorrangig zu therapeutischen Zwecken, sondern primär zum unmittelbaren Behinderungsausgleich eingesetzt. Durch das Entspannen der spastischen Muskeln würden aktive Bewegungen ermöglicht. Soweit auch therapeutische Effekte erreicht werden, werde dies gerne hingenommen. Vordergründig ermögliche bzw. steigere das Hilfsmittel jedoch das aktive Bewegungsausmaß der Extremitäten. Da das Hilfsmittel dem Behinderungsausgleich diene, bedürfe es keiner positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.
Das Sozialgericht holte verschiedene Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und beauftragte die Fachärztin für Neurologie S mit der Erstattung eines Gutachtens u. a. zu der Frage, ob die Versorgung aus zwingenden medizinischen Gründen zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung oder zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich ist. Auf das Gutachten vom 24. August 2022 (Bl. 85 ff. d. A.) nebst ergänzender Stellungnahme vom 19. November 2022 (Bl. 138 f. d. A.) wird verwiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 25. Mai 2023 abgewiesen. Der Anzug verfolge ein kuratives Behandlungsziel und nicht einen Behinderungsausgleich. Gegen das am 07. Juni 2023 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 04. Juli 2023 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der die Klägerin unter Wiederholung ihres Vortrags das Begehren weiterverfolgt. Ergänzend trägt sie vor, ihr sei der Pflegegrad 5 zuerkannt worden, daher könnte das Hilfsmittel auch als Pflegehilfsmittel zu qualifizieren sein.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 25. Mai 2023 und den Bescheid vom 13. April 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie mit einem Exopulse Mollii Suit zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie habe den Antrag der Klägerin zu Recht abgelehnt, ein Anspruch auf Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel bestehe nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Exopulse Mollii Suit.
Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Bei dem Exopulse Mollii Suit handelt es sich zunächst nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, das begehrte Hilfsmittel ist auch nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin dient das begehrte Hilfsmittel weder dem mittelbaren, noch dem unmittelbaren Behinderungsausgleich. Zu den Hilfsmitteln im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs zählen etwa Badewannenlifter, Duschhocker, behindertengerechte Toiletten, Sitzschalenstühle, Unterarmstützen sowie Alltagshilfen und Adaptionen. Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich dienen dazu, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen zu ersetzen, z. B. Hörgeräte oder Brillen. Auch Körperersatzstücke dienen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich.
Dass das begehrte Hilfsmittel nicht vorwiegend dem Behinderungsausgleich dient, ergibt sich schon daraus, dass der Anzug nicht zur Ausübung einer gezielten Bewegung getragen wird. Er ersetzt nicht ausgefallene Körperfunktionen in konkreten Alltagssituationen. Denn er soll nach Angaben des Herstellers für eine Stunde täglich bzw. alle zwei Tage getragen werden, um eine nachhaltige Wirkung durch das Entspannen der Muskeln zu erzielen. Zum Zwecke des Behinderungsausgleichs müsste der Anzug jedoch immer dann getragen werden, wenn gezielte Bewegungen ausgeführt werden.
Der Anzug dient daher vielmehr überwiegend therapeutischen Zwecken. Damit wird das Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung eingesetzt, und zwar im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Eine solche darf nach §§ 135, 137 SGB V nur dann als Sachleistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine positive Empfehlung abgegeben hat. Eine solche liegt bislang nicht vor, sodass die Kostenbelastung die Klägerin trifft, falls sie sich die Leistung selbst beschafft.
Ein Seltenheitsfall, in dem eine Prüfung im Rahmen wissenschaftlicher Studien aufgrund nur geringer Fallzahlen nicht möglich ist, liegt bezogen auf die Erkrankung der Klägerin nicht vor.
Die Klägerin kann sich für den Fall, dass die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in der Richtlinie zur vertragsärztlichen Versorgung aufgestellten Zulassungsvoraussetzungen nicht vorliegen, auch nicht mit Erfolg auf eine notstandsähnliche Krankheitssituation unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 06. Dezember 1995, Az.: 1 BvR 347/98) berufen. Auch die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 1a SGB V greift nicht. Danach können Versicherte abweichende, noch nicht im Leistungskatalog enthaltene Leistungen beanspruchen, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegt, für die zugelassene Behandlungsmethoden nicht zur Verfügung stehen, wenn die begehrte Behandlung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Denn die Erkrankung der Klägerin ist zwar schwer, aber nicht lebensbedrohlich. Zudem stehen der Klägerin allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden, nämlich die von ihr umfangreich in Anspruch genommenen Physio-, Ergo- und Sprachtherapien zur Verfügung. Die Spastiken werden regelmäßig mit der Verabreichung von Botox behandelt. Zur Beeinflussung des Tremors und der Ataxie wird das Medikament Artane verabreicht.
Bei dem Exopulse Mollii Suit handelt es sich auch nicht um ein Pflegehilfsmittel. Pflegehilfsmittel sind nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) Mittel, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen. Unterschieden wird zum einen zwischen Verbrauchsprodukten wie z. B. Einmalhandschuhen oder Betteinlagen und technischen Pflegehilfsmitteln wie beispielsweise einem Pflegebett, Lagerungshilfen oder einem Notrufsystem. Um ein technisches Pflegehilfsmittel handelt es sich bereits deshalb nicht, weil es nicht unmittelbar bei den von der Klägerin genannten Verrichtungen (z. B. Transfer vom Rollstuhl auf eine Liege), sondern nur zeitweise getragen wird.
Letztlich ist das Hilfsmittel auch nicht notwendig. Die Sachverständige S hat die CD mit Aufnahmen der Erprobung des Anzugs durch die Klägerin ausgewertet. Sie hat ausgeführt, es sei nur eine kurzzeitige Veränderung der motorischen Funktionen sichtbar. Eine nachhaltige funktionelle Verbesserung könne daraus jedoch nicht zwangsläufig abgeleitet werden. Schließlich hat die Sachverständige ausgeführt, die Spastik spiele bei der Klägerin eine untergeordnete Rolle. Die Ataxie, die bei der Klägerin erheblich ausgeprägt sei und die bestehenden motorischen Störungen erheblich mitverursache, könne nicht durch den Einsatz des beantragten Hilfsmittels beeinflusst werden. Diesen überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen folgt der Senat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.