L 21 R 891/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 34 R 2188/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 21 R 891/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27.8.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Weiterzahlung einer Erwerbsminderungsrente.

 

Der am 00.0.0000 geborene Kläger absolvierte die Hauptschule, erlernte den Beruf des Gärtners und schulte zum Bauzeichner um. Eine weitere Umschulung im IT-Bereich schloss er nicht ab. Die erste Ehe des Klägers, aus der drei Kinder hervorgingen, wurde 2009 geschieden. Seit 2014 ist der Kläger in zweiter Ehe verheiratet.

 

2001 wurde der Kläger an der Wirbelsäule operiert. Er war verschiedentlich in schmerzmedizinischer und psychiatrischer Behandlung. Bis 2014 konsumierte er Drogen, u.a. Chrystal Meth.

 

2008 stellte der Kläger einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte ließ ihn vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie K. sowie vom Internisten und Sozialmediziner Z. untersuchen. K. diagnostizierte eine schwere depressive Episode sowie eine Persönlichkeitsstörung. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Z. führte aus, die psychische Problematik stehe im Vordergrund. Die Beklagte gewährte dem Kläger ab März 2009 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet zunächst bis November 2010. Auf wiederholte Weiterzahlungsanträge und jeweils nach Einholung von Befundberichten gewährte die Beklagte wiederholt eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, letztlich bis Januar 2018.

 

Im Mai 2017 stellte der Kläger erneut einen Weiterzahlungsantrag. Die Beklagte holte Befundberichte ein und ließ den Kläger am 20.12.2017 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie W. untersuchen. Dieser diagnostizierte eine Somatisierungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein LWS-Syndrom. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen geklagten Beschwerden und erhobenen Befunden. Der Kläger könne bei gewissen qualitativen Leistungseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch körperlich mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr ausüben. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16.1.2018 die Weiterzahlung der Erwerbsminderungsrente ab Februar 2018 ab. Der Kläger legte am 1.2.2018 Widerspruch ein. W. habe ihn nicht ernst genommen und seine Angaben falsch wiedergegeben. Die Beklagte holte weitere Befundberichte ein, ließ diese beratungsärztlich auswerten und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2018 zurück.

 

Der Kläger hat am 29.10.2018 beim Sozialgericht Dortmund Klage erhoben. Er hat sein Widerspruchsvorbringen wiederholt und vertieft. In seiner Kindheit sei es zu sexuellem Missbrauch durch den Großvater und Misshandlungen durch den Vater gekommen. Außerdem habe er im Heim gelebt. Er habe in erheblichem Umfang Alkohol und Drogen konsumiert.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.1.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2018 zu verurteilen, ihm ab 1.2.2018 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen weiter zu gewähren.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.   

 

Das Sozialgericht hat Befundberichte vom Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde S., vom Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums V., dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie B., von der Allgemeinärztin F. und Behandlungsunterlagen von der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Schmerztherapie des Klinikums V. eingeholt bzw. beigezogen.

 

Das Sozialgericht hat außerdem von Amts wegen Sachverständigengutachten aufgrund ambulanter Untersuchung am 16.3.2020 vom Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie U. sowie am 23.4.2020 von der Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Ärztin für Allgemeinmedizin, Sozialmedizin D. eingeholt.

Der Kläger hat U. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da dieser sich in vorherigen Verfahren negativ über seine Bevollmächtigten geäußert habe. Das Sozialgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 12.2.2020 zurückgewiesen.

U. hat eine rezidivierend depressive Störung mit Somatisierung im Sinne einer Schmerzfehlverarbeitung bei kombinierter Persönlichkeitsstörung, gegenwärtig leicht- bis mittelgradige depressive Episode, Agoraphobie, migränoide Spannungskopfschmerzen und Polytoxikomanie, gegenwärtig abstinent, diagnostiziert. Nach dem Mini-ICF-Rating seien einige Fähigkeiten beeinträchtigt, aber nur leichtgradig. Der Kläger könne werktäglich körperlich und geistig einfache Arbeiten bei qualitativen Einschränkungen vollschichtig ausüben. Trotz gegenteiliger Angaben des Klägers sei dieser zur Nutzung des ÖPNV und eines KfZ in der Lage. Eine schwere depressive Episode wie bei der Begutachtung durch K. sei nicht mehr festzustellen. Es bestehe Übereinstimmung mit W., wobei der Kläger die derzeitige ambulante psychiatrische Behandlung erst nach dessen Begutachtung begonnen habe. Mit B. bestehe keine Übereinstimmung, zumal dieser nicht diskutiere, warum übermäßigen Belastungen nicht durch qualitative Einschränkungen begegnet werden könne.

Frau D. hat zusätzlich chronische Lendenwirbelsäulenschmerzen bei Z.n. Spondylodese L4 bis S1, Tinnitus aurium, chronischen starken Nikotinabusus, chronische Bronchitis und Adipositas diagnostiziert. Die klinisch körperliche und orientierend neurologische Untersuchung habe keine Defizite gezeigt, keine Bewegungseinschränkungen über das altersübliche Maß hinaus und keine internistischen Funktionsstörungen. Psychisch sei der Kläger in keiner Weise bedrückt oder subdepressiv gewesen, die Stimmungslage eher als aufgekratzt zu beschreiben. Hinweise auf einen verstärkten psychophysischen Erschöpfungszustand hätten sich nicht gezeigt. Der Kläger könne körperlich leichte Arbeiten werktäglich noch sechs Stunden und mehr ausüben. Die Wegefähigkeit sei erhalten.

Der Kläger hat Frau D. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese auf den Internetseiten der Beklagten als deren Gutachterin angegeben werde. Frau D. hat hierzu ausgeführt, sie erstelle in ihrer Praxis für Physikalische und Rehabilitative Medizin Formulargutachten für die jeweiligen Kostenträger zur Rehabilitationsfähigkeit und –bedürftigkeit, was zu den typischen Aufgaben in der Praxis gehöre. Gutachten zu Erwerbsminderungsrenten erstelle sie dagegen nur für Sozialgerichte.  Das Sozialgericht hat den Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 17.9.2020 zurückgewiesen.

Der Kläger hat eine Bescheinigung von B. vorgelegt, wonach er - der Kläger - an einer Vielzahl von Erkrankungen leide, u.a. auch an ADHS, phobischer Störung, Insomnie, Restless-Legs-Syndrom und Polyneuropathie. Soweit eine chronische Schmerzstörung bestehe, weise diese zwar eine gewisse psychosomatische Überlagerung auf, basiere aber überwiegend auf entsprechenden organischen Schädigungen. Die bestehenden Erkrankungen stünden in Wechselwirkung und schränkten den Kläger in seiner Lebensführung erheblich ein.

Die Beklagte hat dem Kläger daraufhin eine medizinische Rehabilitationsbehandlung gewährt. Vom 12.11.2020 bis zum 4.12.2020 ist diese in der C. Klinik I. durchgeführt worden. Im Abschlussbericht heißt es, die Maßnahme sei wegen Überforderung des Klägers nach drei Wochen abgebrochen worden. Diagnostiziert worden sind in erster Linie chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen sowie einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden werktäglich tätig sein. Die Nutzung des ÖPNV sowie eines KfZ seien nicht möglich.

Die Beklagte hat unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme vorgetragen, es werde ab der Rehabilitationsmaßnahme (November 2020) von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen. Insofern liege unter Berücksichtigung der aktenkundigen Behandlungsunterlagen eine Verschlimmerung vor. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedoch letztmalig bei einem Versicherungsfall im Februar 2020 erfüllt gewesen, so dass eine Rente nicht gewährt werden könne.

Der Kläger hat eingewandt, seine Erkrankungen und Leistungseinschränkungen seien durchgängig gleich gewesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27.8.2021 die Klage abgewiesen. Beiträge seien zuletzt 2011 gezahlt worden. Danach habe der Kläger nur geringfügige Beschäftigungen ausgeübt, ohne Beiträge zu zahlen. Im Zeitraum von Antragstellung bis zur Rehabilitationsmaßnahme Ende 2020 seien nach den überzeugenden und übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen U. und D., die mit dem Gutachten von W. im Ergebnis übereinstimmten, die sozialmedizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt gewesen. Soweit die Beklagte aufgrund der Rehabilitationsbehandlung Ende 2020 ein aufgehobenes Leistungsvermögen annehme, komme es darauf nicht mehr an.

Der Kläger hat gegen das seinen Bevollmächtigten am 22.9.2021 zugestellte Urteil am 30.9.2021 Berufung eingelegt.

Er trägt vor, die bei ihm vorliegenden Erkrankungen seien dauerhafter Art und lägen durchgängig vor. Er verweist auf das Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahme sowie die Stellungnahmen von B.. Es sei ihm nicht möglich, regelmäßig das Haus zu verlassen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27.8.2021 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.1.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2018 zu verurteilen, ihm über Januar 2018 hinaus eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zunächst Behandlungsunterlagen des Hausarztes R. sowie von B. für den Zeitraum 2018 bis 2020 beigezogen und eine ergänzende Stellungnahme nach Aktenlage von U. eingeholt. Dieser hat ausgeführt, eine stationäre Behandlung Anfang 2019 habe laut Entlassungsbericht zu einer Stabilisierung geführt und belege keine überdauernde Einschränkung. Der Reha-Entlassungsbericht lese sich so, dass die dortige Verschlechterung auf das Absetzen des zuvor ärztlich verordneten Cannabis zurückzuführen sei. Ein Rückschluss auf die Zeit bis Anfang 2020 sei nicht möglich.

Der Senat hat den Kläger am 20.5.2022 in einem Erörterungstermin angehört. Dort hat der Kläger angegeben, Psychopharmaka wirkten bei ihm nicht. In Therapie sei er bei B.. Der Kläger hat zudem nähere Angaben zu einem Minijob und dem von ihm und seiner Ehefrau seinerzeit betriebenen Projekt „L.“ gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins Bezug genommen.

Der Senat hat anschließend von Amts wegen Sachverständigengutachten vom Facharzt für Anästhesiologie P. und der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie  N. eingeholt.

P. hat den Kläger am 28.7.2022 untersucht. P. hat ausgeführt, der Kläger habe viel geklagt, im Gespräch aber nicht schmerzbeeinträchtigt gewirkt. In einem Simulationsfragebogen habe der Kläger ein auffälliges Ergebnis erzielt. Während der Untersuchung seien vielfach unter Ablenkung unauffällige Bewegungsmuster zu beobachten gewesen. Bei gezielter Untersuchung sei dann jedoch bei leichtestem Druck ein starkes Schmerzverhalten demonstriert worden. Die Muskulatur sei kräftig gewesen, die Beine durchgängig gebräunt bei Angabe der Nutzung einer Kniebandage. Die Stimmung sei anfangs gedrückt gewesen mit Weinen bei Schilderung psychischer Probleme, im weiteren Verlauf gute affektive Schwingungsfähigkeit und vielfaches Lachen. Es hätten sich keine Hinweise auf kognitiv-mnestische Defizite ergeben. Die Arzthelferin J. habe beobachtet, dass der Kläger mit Ehefrau und Tochter gut gelaunt, etwas humpelnd mit dem rechten Bein, angekommen sei. Im Zimmer habe er dann Schmerzen bekommen und nicht sitzen können. Laut P. steht im Vordergrund eine Somatisierungsstörung, wobei angesichts auch bewusstseinsnaher Diskrepanzen differentialdiagnostisch ein Versorgungsdesiderium im Raum stehe. Zu diesen Diskrepanzen gehörten: Abbruch/Ablehnung von Therapien trotz vorgetragenem hohem Leidensdruck, aktenkundige Verbesserungen im Gegensatz zur Behauptung kontinuierlicher Verschlimmerung, unauffälliges Sitzen bei U. trotz behaupteter Schmerzzunahme beim Sitzen, Angabe einer Reizüberflutung in Reha mit Tragen von Schallschutzkopfhörern im Gegensatz zur Hundepflege, Angabe weitgehender Untätigkeit im Gegensatz zu fehlenden Minderbelastungszeichen und gleichzeitig kräftig ausgeprägtem Muskelapparat, inkonsistente Schmerzangaben, Schmerzangabe bei gezielten Untersuchungen, nicht dagegen unter Ablenkung, auffälliger Simulationsfragebogen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten werktäglich sechs Stunden und mehr ausüben könne. Die Wegefähigkeit sei aus schmerzmedizinischer Sicht nicht eingeschränkt. Die Kraftfahrzeugeignung könne aufgrund des Cannabis-Konsums gefährdet sein. Es bestehe weitergehend Übereinstimmung mit W. und U.. Die behandelnden Ärzte, die anderer Meinung seien, stützten sich allein auf die Angaben des Klägers.

Auf die Einladung des Klägers zur persönlichen Untersuchung durch N. hat der Kläger zunächst ein Schreiben von B. vorgelegt, wonach er - der Kläger - darum bitte, dass der Untersuchungstermin auf einen arbeitsfreien Tag seiner Ehefrau gelegt werde. Der Senat hat dem Kläger zur Erleichterung der Anreise angeboten, dass Übernachtungskosten am Begutachtungsort, ggf. auch für die Ehefrau übernommen werden könnten. Der Kläger hat sodann erklärt, dass ihm eine weitere Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung nicht zumutbar sei.

Auf Bitten des Senats hat N. ihr Gutachten nach Aktenlage erstellt. Sie hat ausgeführt, es könne eine strukturelle Vulnerabilität angenommen und von einer überdauernden psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankung ausgegangen werden. Die sehr diskrepanten Aussagen über das alltägliche Leistungsvermögen sowie die insbesondere im Gutachten von P. auf Aggravation bis Simulation hindeutenden Untersuchungsergebnisse legten aber eine erhebliche motivationale Komponente nahe. Eine ähnliche Dynamik habe sich im Vorfeld des zunächst anberaumten Untersuchungstermins bei ihr gezeigt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger zwar zu P., nicht aber zu ihr habe anreisen können, wobei die Anreise zu ihr nur geringfügig weiter gewesen wäre. Gleichzeitig sei das anfängliche Bestreben des Klägers auffällig gewesen, Einfluss auf den Untersuchungszeitpunkt zu nehmen. Wenn er vortrage, er verlasse das Haus kaum noch, lege dies eine derart schwerwiegende psychische Störung nahe, dass sich diese bei P. in einem entsprechend gestörten Interaktions- und Kommunikationsverhalten hätte zeigen müssen, was aber nicht der Fall gewesen sei. N. diagnostiziert eine chronische Schmerzstörung mit körperlichen und seelischen Faktoren bei rezidivierend auftretender depressiver Störung, die jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung bei P. remittiert gewesen sei, eine Abstinenz von multiplem Drogenkonsum und eine am ehesten kombinierte Persönlichkeitsstörung. In Übereinstimmung mit den Vorgutachtern gehe sie davon aus, dass der Kläger jedenfalls leichte Tätigkeiten werktäglich sechs Stunden und mehr ausüben könne. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit lasse sich nicht objektvieren. Angesichts der motivationalen Komponente sei der Reha-Bericht mit Zurückhaltung zu bewerten. Dies gelte umso mehr, als Gutachten davor und danach ein erhaltenes Leistungsvermögen ergeben hätten.

Der Kläger hat eingewandt, dass die Angaben und Diagnosen seiner behandelnden Ärzte nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Diese bestätigten sein aufgehobenes Leistungsvermögen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und § 151 Abs. 1 SGG fristgerechte Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage zu Recht abgewiesen, da diese zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

 

Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. § 43 Abs. 2 SGB VI regelt die Rente wegen voller Erwerbsminderung. Volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn die Versicherten wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. 

 

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ist der Vollbeweis einer auch nur teilweisen Erwerbsminderung ab Antragstellung nicht erbracht. Im folgenden Zeitraum bis Februar 2020 einschließlich ist auch kein neuer Versicherungsfall eingetreten. Danach sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt gewesen.

 

Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Urteil, § 153 Abs. 2 SGG.

 

Ergänzend und zum Beteiligtenvorbringen sowie dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

 

In somatischer Hinsicht leidet der Kläger maßgeblich an chronischen LWS-Beschwerden. Diese bedingen gewisse qualitative Leistungseinschränkungen, jedoch keine quantitative Leistungseinschränkung. Dies ergibt sich in erster Linie aus dem überzeugenden Gutachten von Frau D., die als Ärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin in besonderem Maße zur sozialmedizinischen Beurteilung dieses Leidens geeignet war. Sie konnte anlässlich ihrer Untersuchung bis auf eine diffuse Klopfschmerzhaftigkeit der unteren LWS einen weitgehend unauffälligen Befund im Bereich der Wirbelsäule und der Gelenke erheben. Dies deckt sich mit der damaligen Beurteilung durch Z., einer fehlenden Behandlungsnachfrage im orthopädischen Bereich und dem von W. sowie U. erhobenen körperlichen Befund. Der einzig hiervon abweichende Befund im Reha-Bericht von Ende 2020, in dem teils massive körperliche Beeinträchtigungen beim Gehen und Sitzen behauptet werden, ist schon vor diesem Hintergrund nicht plausibel. Eine gesundheitliche Verschlimmerung, die diese diskrepanten Befunde erklären könnte, ist nicht ersichtlich. In besonderem Maße spricht gegen die Richtigkeit der Darstellung im Reha-Bericht das nachfolgende Gutachten von P., der überzeugend, u.a. aufgrund spezifischer Testverfahren, eine erhebliche Aggravation bis hin zur Simulation beschreibt. In diesem Gutachten werden etwa eine kräftig ausgeprägte Muskulatur, durchgehend gebräunte Beine und unauffällige Bewegungsabläufe in vermeintlich unbeobachteten Momenten beschrieben.

 

Im Vordergrund stehen schmerzmedizinische bzw. psychiatrische Erkrankungen, namentlich eine somatoforme Schmerzstörung, eine rezidivierende depressive Erkrankung, eine Polytoxikomanie bei langjähriger Abstinenz und eine am ehesten kombinierte Persönlichkeitsstörung. Darin sind sich die Sachverständigen W., U., P. sowie N. weitgehend einig. Weitere Erkrankungen, wie etwa ein RLS, eine PTBS oder ein AD(H)S, wie sie zum Teil vom behandelnden Psychiater diagnostiziert wurden, konnten von den Sachverständigen nicht bestätigt werden.

 

W., U., P. und N. sind sich darin einig, dass die bestehenden psychischen bzw. schmerzmedizinischen Erkrankungen zu gewissen qualitativen Leistungseinschränkungen führen, körperlich und geistig einfachen Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von werktäglich sechs Stunden und mehr aber nicht entgegenstehen. Der von W., U. und P. erhobene psychopathologische Befund zeigte keine schwere psychische Beeinträchtigung und stützt diese Einschätzung. Frau D., die auch Allgemein- und Sozialmedizinerin ist und als solche fachgebietsübergreifende Beurteilungen vornehmen kann, schilderte ebenfalls einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund. Gegen einen höhergradigen Leidensdruck spricht zudem die Behandlungsnachfrage (vgl. hierzu LSG NRW vom 24.2.2023 – L 21 SB 111/22, Rn. 14, juris): In ambulante psychiatrische Behandlung hat sich der Kläger nach längerer Behandlungspause erst wieder kurz nach Ablehnung seines Weiterzahlungsantrags begeben. Eine Psychotherapie im eigentlichen Sinn wird nicht durchgeführt, Psychopharmaka wurden im relevanten Zeitraum nicht eingenommen. Die Erklärung dieses Umstands durch den Kläger mit fehlender Wirksamkeit sämtlicher Präparate erscheint vorgeschoben.

 

Vor allem aber stehen der Feststellung einer höhergradigen psychischen oder schmerzmedizinischen Erkrankung mit Relevanz für das quantitative Leistungsvermögen die insbesondere von P. dargelegten Hinweise auf eine erhebliche Aggravation bis hin zur Simulation entgegen. Der Senat nimmt Bezug auf die Auflistung dieser Hinweise auf den Seiten 48 bis 52 im Gutachten von P. (vgl. zur Zulässigkeit von Bezugnahmen auf aktenkundige Schriftstücke auch in den Entscheidungsgründen Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2023, § 136 Rn. 7c). Auf ein Auseinanderfallen von Befund und Beschwerdevorbingen hatte bereits W. hingewiesen. N. hält die Ausführungen von P. aus psychosomatisch/psychotherapeutischer Sicht für überzeugend. Sie sieht auf dieser Grundlage eine ganz erhebliche motivationale Komponente. Dazu passe das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der von ihr zunächst angesetzten Untersuchung. Die letztendliche Verweigerung einer Untersuchung durch den Kläger mit Verweis auf seine gesundheitliche Beeinträchtigung sowie die Entfernung zwischen Wohnort und Begutachtungsort sei schon deshalb nicht plausibel, weil dem Kläger kurz zuvor noch die Wahrnehmung des Begutachtungstermins bei P. möglich gewesen sei und ihre Praxis nur geringfügig weiter vom Wohnort des Klägers entfernt liege als die von P.. N. führt weiter überzeugend aus, dass die zuletzt vom Kläger behauptete Limitierung auf sein häusliches Umfeld eine so erhebliche psychische Erkrankung erwarten lasse, dass diese sich in einem entsprechend gestörten Interaktions- und Kommunikationsverhalten bei der Begutachtung durch P. hätte niederschlagen müssen. Ein solches habe P. aber nicht beschrieben.

 

Aus Sicht des Senats passt zu der zumindest teilweisen Erklärung des Verhaltens des Klägers mit seinem Rentenbegehren seine massive Kritik an sämtlichen Sachverständigen im Verwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren bis hin zu deren Ablehnung als befangen.  

 

Die gegenteilige Einschätzung der Leistungsfähigkeit durch den behandelnden Psychiater und die Reha-Klinik Ende 2020 sind vor diesem Hintergrund nicht überzeugend. Eine kritische Überprüfung der vom Kläger bei laufendem Rentenverfahren behaupteten und demonstrierten Leistungsbeeinträchtigungen durch diese Behandler ist nicht erkennbar.

 

Anlass zu weiterer Sachaufklärung bestand nicht.

 

Ein Anspruch auf Rentenleistungen wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nicht, wie in § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vorausgesetzt, vor dem 2.1.1961 geboren ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

 

 

Rechtskraft
Aus
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