L 10 U 51/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 1 U 522/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 U 51/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 23/24 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.0000 verstorbenen, bei der Beklagten unfallversicherten U. (Versicherter). Dieser arbeitete nach Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im November 1970 zunächst im Bergbau und im Anschluss bis Mai 1975 als angelernter Betonbauer bei einer Fa. I., danach bis Juli 1976 als Straßenbauer bei einer Fa. M., beide in C.. Vom 22.07.1976 bis August 1995, als er arbeitsunfähig erkrankte, war er als Schmelzofenarbeiter im K. AG in N. – Nachfolger: D. GmbH – (D) beschäftigt. Dort arbeitete er zunächst in der Elektrolyseabteilung, die Ende 1978 geschlossen wurde und sodann im Umschmelzbetrieb.

 

Der Versicherte gab bei einer persönlichen Befragung am 17.10.1995 zur Tätigkeit bei der D. an, während der Tätigkeit am Ofen Schutzanzüge aus Asbest getragen zu haben. Schriftlich gab er am 08.11.1995 an, er habe zuerst an der Abflussöffnung des Schmelzofens, die abzudichten gewesen sei, mit Asbest zu tun gehabt. Das Dichtungsmaterial habe Asbest enthalten und er habe Asbeststaub eingeatmet. Dies gelte auch für seine folgende Stelle an der Überführungsrinne in den Gießofen. Später sei er auch mit dem Abdecken des Schmelzofens mit Asbestdecken betraut gewesen und sodann am Gießofen des Nachbararbeitsplatzes. Er könne nicht ausschließen, auch an anderen Stellen mit Asbest zu tun gehabt zu haben.

 

Im Oktober 1995 hatte der den Versicherten behandelnde Arzt T. vom Kreiskrankenhaus N. eine Verdachtsanzeige bezüglich des Bestehens einer Berufskrankheit (BK) erstattet. Der Versicherte sei an einem Pleuramesotheliom/Bronchialkarzinom erkrankt, welches er auf die Einwirkung von Metallstaub, Dämpfen und Asbest zurückführe.

 

Im Auftrag der zuständigen Berufsgenossenschaft (BG) Chemie (Rechtsvorgängerin der Beklagten) erstattete Z., Direktor des Instituts für Pathologie der BG-Kliniken V. in J., nach Obduktion unter dem 19.04.1996 ein pathologisches Gutachten. Als Todesursache stellte er ein weit fortgeschrittenes Tumorleiden im Sinne eines rechtsseitigen bösartigen Lungentumors fest. Das Vorliegen eines Pleuramesothelioms konnte er nicht bestätigen. Die von ihm durchgeführte feingewebliche Untersuchung bot nach seinen Ausführungen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen asbestassoziierter Lungenveränderungen, die auch nur das Ausmaß einer sog. Minimalasbestose erreicht hätten, ebenfalls nicht für asbest-assoziierte Pleuraveränderungen. Die durchgeführte Staubanalyse habe zwar eine Asbestbelastung der Lunge gezeigt, diese habe jedoch nicht die Faserkonzentration wie bei einer Minimalasbestose erreicht.

 

Die BG Chemie holte eine Stellungnahme der D. ein, die im April 1996 mitteilte, der Versicherte sei als Ofenarbeiter beschäftigt gewesen. Er habe im Bereich der Elektrolyse Umgang mit asbesthaltigem Material gehabt. Im Unternehmen seien Asbestmatten und Hitzeschutzverkleidungen sowie Dichtungen mit Asbest verwendet worden. Es seien keine Konzentrationsmessungen auf Asbest durchgeführt worden.

 

Der eingeschaltete Technische Aufsichtsdienst (TAD) der BG Chemie ging auf der Grundlage einer sog. „worst-case“-Berechnung (unter Anlehnung an den BK-Report 1/94) von einer Asbestbelastung im Umfang von 6 Faserjahren aus. Der Versicherte habe in der Elektrolyseabteilung der D. Umgang mit Asbest in Wärmedämmungs- und Isolierungsmaterial gehabt und sei zudem gegenüber Benzo(a)pyren (BaP) im Umfang einer Belastung von 6 Jahren exponiert gewesen. Hingegen habe er im Umschmelzbetrieb keinen Kontakt mehr mit asbesthaltigen Produkten gehabt.

 

Nachdem der TAD sowohl der Bergbau-BG für die Tätigkeit des Versicherten im Bergbau als auch der Bau-BG für die Beschäftigung bei der Fa. A. durch Asbest oder andere krebserzeugende Stoffe verneint hatten, lehnte es die BG Chemie mit Bescheid vom 28.08.1996 (Widerspruchsbescheid vom 26.06.1997) ab, Entschädigungsleistungen zu gewähren, weil eine BK nach der Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) nicht vorliege. Weder habe eine Asbestose vorgelegen noch eine Mesotheliomerkrankung. Auch würden 25 Faserjahre nicht erreicht. Gleichzeitig wies die BG darauf hin, dass noch geprüft werde, ob die zum Tod führende Lungenerkrankung auf BaP zurückgeführt werden könne. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Klage im Verfahren S 6 U 162/97, Sozialgericht (SG) Düsseldorf, die die Klägerin am 22.02.2000 zurücknahm.

 

Mit Bescheiden vom 17.06.1997 lehnte es die BG Chemie nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens u.a. gegenüber der Klägerin ab, die Lungenerkrankung des Versicherten als BK nach § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. § 9 Abs. 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) anzuerkennen und Entschädigungsleistungen zu gewähren. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte die BG u.a. weitere Stellungnahmen ihres TAD ein, der unter dem 08.03.1999 und 01.07.1999 durch den Technischen Aufsichtsbeamten (TAB) Brien darlegte, dass die Elektrolyse nach Angaben der D. 1978 außer Betrieb gegangen sei, so dass der Versicherte nur bis Ende 1978 gegenüber Asbest exponiert gewesen sein könne. Messungen seien im Betrieb nicht durchgeführt worden, es gebe aber solche aus einem vergleichbaren Betrieb. Die Faserjahre seien bislang zu hoch berechnet worden, da die Umsetzung des Versicherten von der Elektrolyse in den Umschmelzbetrieb nicht berücksichtigt worden sei; es seien nur 2,5 Faserjahre anzunehmen. Nachdem bezüglich einer Exposition mit Asbestfasern der TAD der Tiefbau-BG für die Arbeit des Versicherten bei der Fa. M. unter Verweis auf eine Auskunft derselben vom 20.07.1999 festgestellt hatte (Stellungnahme vom 24.08.1999), der Versicherte habe weder Kontakt zu Asbest noch zu teerhaltigem Straßenbaumaterial gehabt, da die größeren Schwarzdeckenarbeiten an eine andere Firma abgegeben und bei kleineren Maßnahmen nur Bitumen verwendet worden sei, wies die BG Chemie den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 05.10.1999 zurück.

 

Auch gegen diese Entscheidung wandte sich die Klägerin unter dem 03.11.1999 mit einer Klage vor dem SG Düsseldorf (S 6 U 214/99). Das SG erhob Beweis durch die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens von W. aus Q., der am 15.02.2003 zu dem Ergebnis gelangte, es bestünden gesicherte Erkenntnisse zur Synkanzerogenese kumulativer Einwirkungen (additiv und/oder multiplikativ). Sie machten es hier wahrscheinlich, dass die nachgewiesenen Expositionen des Versicherten gegenüber Asbest und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) wesentlich ursächlich dafür seien, dass es bei ihm zu einer Lungenkrebserkrankung gekommen sei, an deren Folgen er verstorben sei. Mit Urteil vom 11.02.2005 wies das SG die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung (L 17 U 119/05) blieb erfolglos (Urteil vom 04.07.2007). Nach Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. Rettenmeier, Direktor des Instituts für Hygiene und Arbeitsmedizin des Universitätsklinikums Essen vom 27.04.2007 ging das Landessozialgericht (LSG) davon aus, dass die Lungenkrebserkrankung, an der der Versicherte verstorben sei, nicht wesentlich ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei. Sie stelle weder eine Listen-BK dar noch sei sie als Wie-BK i.S. der geplanten BK „Lungenkrebs durch polyzklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren“ oder der geplanten BK „Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen“ anzuerkennen. Der positive Wahrscheinlichkeitsbeweis der arbeitsbedingten kanzerogenen Verursachung liege bezüglich der letztgenannten geplanten BK vor, wenn bei einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung bei Expositionen gegenüber Asbestfaserstaub und BaP die Summe der vorliegenden Bruchteile von 25 Asbestfaserjahren und 100 BAP-Jahren mindestens den Wert 1 ergebe. Dies sei vorliegend selbst unter Zugrundelegung der von W. berechneten BaP-Dosis von 26,22 Jahren und der von der Klägerin errechneten 2,3 zusätzlichen Asbestfaserjahren nicht der Fall.

 

Am 17.12.2008 beantragte die Klägerin bei der BG Chemie die Überprüfung der bestandskräftig gewordenen Entscheidungen. Mit Bescheid vom 26.03.2009 (Widerspruchsbescheid vom 17.12.2009) lehnte diese die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen weiterhin ab; es lägen keine neuen Erkenntnisse vor, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem SG Düsseldorf (S 16 U 18/10). In seinem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Sachverständigengutachten vom 03.07.2012 kam S. zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 4104 oder der BK 4114 der Anlage 1 zur BKV nicht vorlägen. Mit Urteil vom 11.12.2012 wies das SG Düsseldorf die Klage ab. Im sich anschließenden Berufungsverfahren L 15 U 46/13 verpflichtete sich die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der BG Chemie mit Vergleich vom 09.09.2014 unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 26.03.2009 und 26.08.2011 (betreffend einen weiteren Überprüfungsantrag der Klägerin), den Sachverhalt erneut, insbesondere unter Berücksichtigung u.a. des BK-Reports 1/2013 Faserjahre (Faserjahresreport), zu prüfen.

 

In Stellungnahmen vom 08.01.2015 und 12.04.2016 kam der TAB Brien zu dem Ergebnis, die bisherigen Angaben zu den Expositionen seien weder zu ergänzen noch zu ändern. Auch nach dem aktuellen Faserjahresreport betrage die Gesamtfaserstaubexposition 2,5 Faserjahre. Bezüglich der PAK-Belastung komme es nicht auf den entsprechenden BK-Report an, weil betriebliche Messergebnisse zugrundegelegt worden seien; die ermittelten BaP-Jahre von 4,57 hätten daher weiter Bestand.

 

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 13.07.2016 lehnte die Beklagte erneut die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab. Der Versicherte sei an den Folgen eines Lungentumors verstorben. Diese Erkrankung sei keine BK. Eine BK 4104 habe nicht vorgelegen, weil weder eine Asbestose nachgewiesen sei noch eine Erkrankung der Pleura. Eine Faserjahrdosis von 25 Faserjahren werde nicht erreicht. Auch andere BKen seien nicht anzuerkennen, weil entweder die erforderlichen Expositionen nicht nachgewiesen seien oder Rückwirkungsklauseln entgegenstünden. Mit ihrem Widerspruch vom 27.07.2016 trug die Klägerin vor, dass eine BK nach der Nr. 4103 der Anlage 1 zur BKV nicht geprüft worden sei und dass die entsprechenden Rückwirkungsklauseln nicht zur Anwendung kommen könnten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 30.08.2016 (laut Empfangsbekenntnis zugegangen am 02.09.2016) zurück. Die Rückwirkungsklauseln seien zu beachten. Eine BK 4103 sei inzidenter im Rahmen der BK 4104 geprüft worden.

 

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 04.10.2016 Klage zum SG Düsseldorf auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen erhoben. Das Lungenkarzinom, an dem der Versicherte verstorben sei, sei eine BK gewesen. Der Versicherte sei an vier Arbeitsplätzen in Deutschland Asbest und an einem Nickel ausgesetzt gewesen, u.a. auch bei den Firmen I. und M.. Soweit die Beklagte sich bei ihrer ablehnenden Entscheidung auf Rückwirkungsklauseln berufe, dürften diese nicht berücksichtigt werden.

 

Mit Urteil vom 21.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Keine der in Betracht kommenden BKen habe bei dem Versicherten vorgelegen. Insbesondere die BK 4104 könne nicht festgestellt werden, weil entgegen der Behauptung der Klägerin nicht mindestens 25 Faserjahre anerkannt werden könnten. Eine Asbestose oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura habe nachweislich nicht vorgelegen.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 11.01.2019 zugestellte Urteil am 06.02.2019 Berufung eingelegt, die sie auf die Zahlung von Witwenrente beschränkt hat. Die Stellungnahmen der TADs seien unvollständig. Der Versicherte sei in höherem Maße sowohl asbestexponiert als auch höheren PAK-Belastungen ausgesetzt gewesen. Bereits für die Tätigkeit für die D. seien insgesamt 30,28 Faserjahre anzuerkennen, hinzu kämen noch Belastungen durch die Tätigkeiten bei den Firmen I. und M.. Auch seien mehr BaP-Jahre anzuerkennen, als bisher geschehen. Möglicherweise habe es auch Belastungen i.S. anderer BKen gegeben.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2018 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.07.1016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.08.2016 zu verurteilen, die Bescheide vom 28.08.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.1997 und vom 17.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.1999 abzuändern und ihr als Witwe des verstorbenen Versicherten U. Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen.

 

hilfsweise ein arbeitstechnisches Gutachten einzuholen zu den zugrunde zu legenden Werten im Rahmen der Bystanderbelastung und hinsichtlich der zugrunde zu legenden Schichtmittelwerte und Tätigkeitswerte.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil im Wesentlichen für zutreffend und hat weitere umfangreiche arbeitstechnische Stellungnahmen ihres TAD vom 24.03.2021 und 12.08.2021 vorgelegt, wonach sie nunmehr von 5,6 Faserjahren und 9,6 BaP-Jahren ausgeht. Sie hat nochmals darauf hingewiesen, dass im Betrieb der D. nur bis Ende 1985 asbesthaltige Materialien verwendet worden seien, was sich aus den ihr vorliegenden Betriebsakten ergebe.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B., R., E. und H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Anlagen 1 bis 4 zur Sitzungsniederschrift vom 06.10.2021. Der TAD der Beklagten hat durch den TAB L. unter Auswertung dieser Aussagen erneut unter dem 25.11.2021 Stellung genommen und insbesondere ausgeführt, dass bei der D. ab 1979 mit der Substitution asbesthaltiger Stoffe begonnen und dieser Umstellungsprozess 1985 abgeschlossen worden sei. Der TAB L. hat seine Stellungnahmen in der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2023 gegenüber dem Senat eingehend erläutert; wegen der Einzelheiten wird auf die hierüber gefertigte Sitzungsniederschrift verwiesen.

 

Der Senat hat eine Auskunft der G. GmbH eingeholt, die laut ebenfalls eingeholter Auskunft der Nachfolge-Firma der D., der F. GmbH, die Aluminiumwerke der D. übernahm. Diese hat mitgeteilt, es lägen im übernommenen Archiv weder Unterlagen zum Beschäftigungsverhältnis des Versicherten noch zu den Asbestbelastungen im Y. allgemein vor.

 

Des Weiteren hat der Senat auf Antrag der Klägerin Kopien der vom TAD der Beklagten ausgewerteten Betriebsakten der D. beigezogen, auf die Bezug genommen wird.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Unterlagen sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der Vorprozessakten Bezug genommen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs.1 S.1 , Abs.4 SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht abgewiesen, denn die Beklagte hat es mit Bescheid vom 13.07.1016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.08.2016 (§ 95 SGG) zu Recht abgelehnt, die Bescheide vom 28.08.1996 und 17.06.1997 in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide zu ändern und der Klägerin die – alleine noch streitgegenständliche – Witwenrente zu gewähren.

 

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Änderung der Bescheide vom 28.08.1996 und 17.06.1997 nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), wonach, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb u.a. Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, denn die Bescheide vom 28.08.1996 und 17.06.1997 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Der von der Klägerin verfolgte Anspruch auf Hinterbliebenenrente beurteilt sich noch nach den Vorschriften der RVO, weil der behauptete Versicherungsfall am 00.00.0000, vor dem Inkrafttreten des SGB VII zum 01.01.1997, eingetreten wäre (§ 212 i.V.m. § 214 Abs. 1 und 3 S. 1 SGB VII). "Erstmals festzusetzen" i.S. des § 214 Abs. 3 S.  1 SGB VII bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen des jeweiligen Anspruchs erfüllt sind und der Versicherte daher einen Anspruch auf Feststellung des Leistungsrechts hat. Hingegen ist es unerheblich, ob und wann dieses Recht durch Verwaltungsakt festgesetzt wird (BSG, Urteil vom 21.09.2010 – B 2 U 3/10 R, Rn. 13, juris).

 

Nach § 589 Abs. 1 Nr. 3 RVO ist bei Tod durch Arbeitsunfall vom Todestag an den Hinterbliebenen eine Rente nach den §§ 590 und 592 bis 599 zu gewähren, wobei nach § 590 Abs. 1 RVO die Witwe des Versicherten unter den Voraussetzungen der Abs. 1 bis 3 RVO Rente beanspruchen kann. Als Arbeitsunfall gilt nach § 551 Abs. 1 S. 1 RVO auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs. 1 S. 2 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung – die BKV – mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet.

 

Hierbei umfasst der Streitgegenstand bei einem Begehren auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente die Verurteilung der Beklagten unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Die Frage, ob ein Versicherungsfall in der Person des Versicherten eingetreten ist und welcher dies war, ist kein selbständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung. Zu prüfen ist, ob irgendein Versicherungsfall vorlag, der den Tod des Versicherten herbeigeführt hat. Damit sind alle überhaupt in Betracht kommenden BKen bzw. Arbeitsunfälle in die Prüfung einzubeziehen (vgl. st. Rspr. des Bundessozialgerichts <BSG> etwa Urteil vom 29.11.2011 – B 2 U 26/10 R -, Rn. 18, juris).

 

Der Versicherte erlitt keinen Arbeitsunfall. Er verstarb auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer BK, denn weder die Voraussetzungen der in der Anlage 1 zur BKV genannten sog. Listen-BKen nach § 551 Abs. 1 RVO (nachfolgend I.) noch diejenigen einer sog. Wie-BK nach § 551 Abs. 2 RVO (nachfolgend II.) sind erfüllt. Schließlich kann auch keine „Gesamt-BK“ aus mehreren Listen-BKen gebildet werden (nachfolgend III.).

 

I. Aus § 551 Abs. 1 RVO lassen sich für die Feststellung einer BK folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen (die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 2).

 

1. Die Lungenkrebserkrankung des Versicherten stellt jedenfalls keine Listen-BK nach den Nrn. 1103 (Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen), 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) oder 1310 (Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide) der Anlage 1 zur BKV dar.

 

Dies gilt für die Nr. 1301 bereits deshalb, weil der Versicherte nicht an einem der dort genannten Krankheitsbilder, die sich sämtlich auf Gesundheitsstörungen der Harnwege beziehen, verstarb.

 

Bezüglich der Nrn. 1103 und 1310 sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt, was auch die Klägerin nicht bestreitet.

 

2. Der Versicherte litt auch nicht an einer BK 4103. Das aufgrund der Obduktion erstellte Gutachten von Z. ergab keine Hinweise auf asbestassoziierte Lungen- bzw. Pleuraveränderungen. Der Gutachter konnte nicht einmal eine Minimalasbestose feststellen. Den gutachtlichen Feststellungen entgegenstehende Befunde insbesondere etwa der behandelnden Ärzte des Versicherten liegen nicht vor. Letztlich ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig, dass nicht nachweisbar ist, dass der Versicherte an einer Asbestose oder einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura litt.

 

3. Auch eine BK nach der Nr. 4105 der Anlage 1 zur BKV (Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards) lag nicht vor. Der Gutachter Z. hat auch das Vorliegen eines Pleuramesothelioms nicht bestätigen können. Der Senat hat auch insoweit keinen Anlass an den gutachtlichen Feststellungen zu zweifeln.

 

4. Der Versicherte litt nicht an einer BK nach der Nr. 4106 der Anlage 1 zur BKV (Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen). Wie bereits in dem Urteil des LSG NRW vom 04.07.2007 (L 17 U 119/05) ausgeführt, sind für diese BK bestimmte röntgenologisch nachweisbare Veränderungen kennzeichnend, die in den erhobenen Röntgenbefunden nicht feststellbar waren. Auch das typische Krankheitsbild einer chronischen Bronchitis mit Emphysem und Einschränkung der Atemfunktion lag nicht vor. Der Senat macht sich diese Ausführungen zu eigen. Auch im vorliegenden Verfahren sind entsprechende Befunde nicht zu Tage getreten. Gegenteiliges hat die Klägerin hierzu auch nicht substantiiert vorgetragen.

 

5. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK nach der Nr. 4109 der Anlage 1 zur BKV (Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen) liegen ebenfalls nicht vor. Es ist bereits nicht feststellbar, dass der Versicherte nachweislich Expositionen durch Nickel oder seine Verbindungen ausgesetzt war. Dies räumt auch die Klägerin der Sache nach nunmehr ein. Entsprechendes gilt hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die BK nach der Nr. 4110 (Bösartige Neubildungen der Atemwege durch Kokereirohgase).

 

6. Die BK nach Nr. 4112 (Lungenkrebs durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid (SiO2) bei nachgewiesener Quarzstaublungenerkrankung (Silikose oder Siliko-Tuberkulose)), Nr. 4113 (Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(Mikrogramm/m³) x Jahre]) und Nr. 4114 können nicht anerkannt werden, weil sie in der bis zum 30.11.1997 geltenden BKV vom 20.06.1968 (BGBl. I, S. 721), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18.12.1992 (BGBl. I, S. 2343) <a.F.> nicht bezeichnet (a) und die Stichtage des § 6 Abs. 3 bzw. Abs. 4 BKV in der aktuellen Fassung vom 10.07.2017 nicht eingehalten sind (b).

 

a) Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.05.2011, B 2 U 19/10 R, SozR 4-5671 § 6 Nr. 5 zur BK Nr. 4111) tritt der Versicherungsfall einer Listen-BK selbst bei früherem Erkrankungsbeginn (Erkrankungsfall) (zwar) erst mit ihrer Aufnahme in die BKV ein. Dies hätte vorliegend frühestens der November 2002 bzw. der Dezember 2009 oder der Juli 2009 der Fall sein können, so dass grundsätzlich die Vorschriften des SGB VII einschlägig wären. Zu diesen Zeitpunkten war der Versicherte aber bereits verstorben. Bei einem bereits Verstorbenen kann kein Versicherungsfall mehr eintreten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.01.2014 – L 10 U 4227/12, juris, Rn. 21). Für die Entscheidung, ob der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls verstorben ist, ist vielmehr auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Versicherte verstorben ist (BSG, Urteil vom 12.01.2010 – B 2 U 5/08 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rn. 27).

 

b) Leidet ein Versicherter am 01.10.2002 an einer Krankheit nach Nr. 4112 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.11.1997 eingetreten ist (§ 6 BKV Abs. 4 S. 1 BKV). Leiden Versicherte am 01.07.2009 an einer Krankheit nach Nr. 2112, 4114 oder 4115 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist. Leiden Versicherte am 01.07.2009 an einer Krankheit nach Nr. 4113 der Anlage 1, ist diese auf Antrag als BK anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.11.1997 eingetreten ist (§ 6 Abs. 3 S. 1 und 2 BKV). Sämtliche dieser Stichtage sind nicht eingehalten.

 

Es bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Regelungen. Bei der Einführung neuer BKen darf der Verordnungsgeber die Anerkennung von Erkrankungen, die vor einem Stichtag liegen, grundsätzlich ausschließen. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 09.10.2000 – 1 BvR 791/95, SozR 3-2200 § 551 Nr. 15) hat die Vereinbarkeit solcher Stichtagsregelungen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich bestätigt (BSG, Urteil vom 20.03.2018 – B 2 U 5/16 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 29, Rn. 22).

 

7. Soweit die Klägerin den geltend gemachten Anspruch im Rahmen der zu prüfenden Listen-BKen zunächst maßgeblich auf die BK 4104 gestützt hat, sind auch deren Voraussetzungen nicht erfüllt.

 

In Betracht kommt, wie bereits zur BK 4103 ausgeführt, nur die 3. Fallgruppe der BK, die den „Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren“ voraussetzt, da weder eine Asbestose noch eine asbestassoziierte Erkrankung der Pleura nachweisbar sind, was letztlich weiterhin unstreitig ist. Dabei wird das Faserjahr definiert als Exposition mit einer Konzentration von einer Million Asbestfasern pro Kubikmeter Luft während eines Jahres bei 8-stündiger täglicher Arbeitszeit (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, 18.6.1.1.1, S. 1154).

 

Der Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ist auch nach den umfangreichen Ermittlungen im Berufungsverfahren weiterhin nicht erbracht. Es können allenfalls 5,6 Faserjahre zu Gunsten der Klägerin angenommen werden, wobei dahinstehen kann, ob diese Faserjahre, was nicht ausreicht, nicht lediglich glaubhaft gemacht sind. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der im vorliegenden Verfahren sowie in den Vorprozessen und den Verwaltungsverfahren durchgeführten Ermittlungen.

 

Danach kann (allenfalls) als bewiesen angesehen werden, dass der Versicherte überhaupt Asbestexpositionen ausgesetzt war, da das pathologische Gutachten von Z. eine Asbestbelastung der Lunge, wenn auch nicht in einer Faserkonzentration wie auch nur bei einer Minimalasbestose, belegt. Diese Exposition kann zu Gunsten der Klägerin auch der versicherten Tätigkeit zugeordnet werden, da eine Alternativursache nicht erkennbar ist und am Arbeitsplatz des Versicherten bei D., jedenfalls zu Beginn der Tätigkeit, nachweislich Asbest zum Einsatz kam. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da die Expositionen jedenfalls nicht das erforderliche Ausmaß von mindestens 25 Faserjahren erreichen.

 

Der TAD der Beklagten hat durch den TAB L. zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass die Asbestbelastung, der der Versicherte bei D. a) in der Elektrolyseabteilung und b) im Umschmelzbetrieb wohl ausgesetzt war, maximal 5,6 Faserjahren betrug.

 

a) Der Versicherte war während seiner Tätigkeit in der Elektrolyseabteilung Asbestbelastungen in einer Höhe von nicht mehr als 2,74 Faserjahren ausgesetzt. Es handelt sich insoweit allerdings bereits um, jedenfalls der Höhe nach, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesene Expositionen. Der TAB hat vielmehr unter Beachtung der Vorgaben des Faserjahresreportes (siehe dort Ziffer 2.4) eine Wahrscheinlichkeitsberechnung anhand der für die ermittelten asbestexponierten Tätigkeiten nach Dauer und Höhe bekannten, üblicherweise anzunehmenden Expositionen zu Gunsten der Klägerin durchgeführt.

 

Belegte Werte anhand tatsächlicher Messungen liegen nicht vor. Solche wurden nie durchgeführt, weil die Elektrolyseabteilung seinerzeit zeitnah, als sich der Arbeitsschutz der BG Chemie durch den TAB Voigtländer ab 1978 mit der Gefährdung durch Asbest bei D. zu beschäftigen begann, geschlossen wurde. In der seinerzeitigen Auskunft der D. im Erstfeststellungsverfahren im April 1996 gab diese dementsprechend an, der Versicherte habe im Bereich der Elektrolyse Umgang mit asbesthaltigem Material gehabt, hierzu seien jedoch keine Konzentrationsmessungen durchgeführt worden. In den in den Betriebsakten der Beklagten zur D. noch vorhandenen Listen der asbestexponierten Personen ist der Versicherte nicht einmal aufgeführt. Schließlich hat auch der Versicherte selbst keine näheren Angaben gemacht. Er hat persönlich lediglich angegeben, bei der Tätigkeit „am Ofen“, Schutzanzüge aus Asbest getragen zu haben. Soweit er am 08.11.1995 noch schriftliche Angaben gemacht hat, ist nicht erkennbar, ob damit die Öfen im Umschmelzbetrieb gemeint sind, also die Tätigkeiten ab 1979, was naheliegt, da es sich hierbei um die zuletzt langjährig ausgeübte Tätigkeit handelte, während die Arbeiten in der Elektrolyse nur ca. 2 ½ Jahre zu Beginn des Arbeitsverhältnisses ausmachten.

 

Die vom TAB L. anhand der vorliegenden allgemeinen, von der Person des Versicherten losgelösten, Erkenntnisse aus den Betriebsakten und der übrigen Fachliteratur („Tonerde und Aluminium“ sowie Werkzeitung 1/56) i.V.m. den Angaben der D. entsprechend den Vorgaben des Faserjahresreports berechneten Expositionen mit Asbest betragen höchstens 2,74 Faserjahre. Hierbei sind sowohl Tätigkeiten beim Einbringen des Kohlenbodens und Verfugen mit Stampfmasse an 5 Öfen im Monat, beim Ausbau verbrauchten und Aufbau neuen Ofenmaterials, das Tragen asbesthaltiger Schutzhandschuhe z.B. beim Gassenstopfen und diverse Bystander-Belastungen berücksichtigt. Der TAB hat dabei zugunsten des Versicherten keinerlei Fehlzeiten berücksichtigt und zudem unterstellt, dass letzterer ständig asbesthaltige Schutzhandschuhe trug, wenn er im Ofenhaus arbeitete. Im Übrigen stimmen die Berechnungen des TAB L. im Ergebnis mit denen des TAB Brien überein, der in den vorherigen Verfahren für den TAD der Beklagten bzw. der BG Chemie tätig war, und in etwa die gleiche Belastungshöhe, 2,5 Faserjahre, errechnete.

 

Soweit die Klägerin behauptet, der Versicherte sei höheren Belastungen ausgesetzt gewesen, hat die Vernehmung der von ihr benannten Zeugen dies bzw. entsprechende belastende Tätigkeiten nicht bestätigt. Die Zeugen haben erst nach 1978 mit dem Versicherten zusammengearbeitet und konnten daher zu den Tätigkeiten in der Elektrolyseabteilung keine Angaben machen. Die vom Senat von Amts wegen durchgeführten weiteren Ermittlungen haben ebenfalls keine neuen Erkenntnisse erbracht. Die Fa. G. GmbH, die die Aluminiumwerke der D. übernommen hat, hat auf Anfrage mitgeteilt, es lägen im übernommenen Archiv weder Unterlagen zum Versicherten noch zu den Asbestbelastungen im Y., in dem der Versicherte beschäftigt war, vor.

 

Die Ausführungen des TAD werden auch nicht durch die von der Klägerin vorgelegten eigenen Berechnungen widerlegt. Dies bereits deshalb, weil dort von einer Asbestbelastung nicht nur durch das Tragen asbesthaltiger Handschuhe, sondern auch weiterer asbesthaltiger Schutzkleidung ausgegangen wird. Solche Schutzkleidung hat der Versicherte jedoch nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht getragen. Der Zeuge E. hat sogar ausdrücklich bekundet, man habe bei D. erst seit den 90er-Jahren Schutzkleidung getragen.

 

b) Bei der nachfolgenden Tätigkeit des Versicherten im Umschmelzbetrieb war dieser einer weiteren Exposition von höchstens 2,86 Faserjahren ausgesetzt. Auch insoweit handelt es sich nicht um nachgewiesene Einwirkungen. Der Versicherte war auch insoweit weder in einer Liste mit exponierten Beschäftigten aufgeführt noch bei der Gesundheitsvorsorge – GVS (vormals ZAs) – der gesetzlichen Unfallversicherungsträger, die u.a. die arbeitsmedizinische Vorsorge von asbestexponierten Personen organisiert, oder beim Organisationsdienst für nachgehende Untersuchungen (ODIN), der die nachgehende Vorsorge organisiert, erfasst.

 

Zudem wurden bei den Erftwerken der D. seit zumindest 1979 asbesthaltige Materialien substituiert und seit Ende 1985 wurden überhaupt keine asbesthaltigen Materialien mehr verwendet. Auch dies hat der TAD der Beklagten unter Heranziehung der Betriebsakten sowie der weiteren, auch allgemein zugänglichen, Quellen für den Senat im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt.

 

Bei der Ermittlung der in der Zeit von 1979 bis 1985 höchstens angefallenen Faserjahre hat der TAB L. schlüssig und in einem ausreichenden Ausmaß Tätigkeiten als Ofenmann z.B. beim Wechsel asbesthaltiger Dichtungen, beim Auskleiden von Gießrinnen, beim Sortieren und Chargieren von Aluminiumschrott, beim Ausschlagen der Öfen und bei manuellen Arbeiten mit Dichtungsband berücksichtigt. Er hat zudem in seine Berechnungen einbezogen, dass am Arbeitsplatz des Versicherten Asbesthandschuhe verwendet wurden. Auch für diesen Zeitraum hat er zugunsten der Klägerin Fehlzeiten nicht berücksichtigt und unterstellt, dass der Versicherte Tätigkeiten durchführte, die eigentlich bei D. üblicherweise von Schlossern verrichtet wurden.

 

Der TAB L. ist im Übrigen bei diesen Berechnungen darüber hinaus ebenfalls zugunsten der Klägerin noch über die des TAB Brien hinausgegangen, der seinerzeit angenommen hatte, für die Zeit ab 1979 könne überhaupt keine Asbestbelastung bei D. mehr angenommen werden.

 

Die im Berufungsverfahren durchgeführte Zeugenbefragung hat auch insoweit nichts Gegenteiliges erbracht. Dies gilt für die Berechnungen des TAB L. für die Zeit von 1979 bis 1985 bereits deshalb, weil zum einen drei der Zeugen zu diesem Zeitraum überhaupt keine Angaben machen konnten. Der Zeuge O. hat angegeben, erst seit 1986 für D. gearbeitet zu haben, die Zeugen X. und Mete erst seit 1987. Der Zeuge H. war nach seinen Angaben zwar bereits seit 1985 bei D. beschäftigt. Er arbeitete allerdings in einem anderen Bereich als der Versicherte. Zudem hat er zwar angegeben, dass damals asbesthaltige Matten und Schnüre zum Abdichten benutzt worden seien. Dies wisse er allerdings nur aufgrund mündlicher Auskünfte der Beschäftigten von Fremdfirmen, also vom Hörensagen. Zudem ist der Zeuge als Sohn des Versicherten im Hinblick auf das Beweisthema nicht unbefangen und damit wenig glaubwürdig.

 

Soweit alle Zeugen für die Zeit nach 1985 entgegen den vorliegenden Erkenntnissen die weitere Verwendung asbesthaltiger Materialien beschrieben haben, ist dies nicht glaubhaft. Der Prozess der Umstellung weg von Asbest ist für D. durch zahlreiche Dokumente und durch Korrespondenz mit der Aufsicht der BG Chemie belegt. Zudem ist nach der Darlegung des TAB L. durch die bloße Inaugenscheinnahme von Dichtungen, Schnüren, etc. kein Unterschied zwischen asbesthaltigen und asbestfreien Materialien zu erkennen; dies ist nur mittels Rasterelektronenmikroskop möglich. Die Zeugen können damit aus eigener Anschauung gar nicht wissen, ob noch Asbest verwendet wurde. Zudem haben sowohl der Zeuge X. als auch der Zeuge Mete ausdrücklich eingeräumt, seinerzeit gar keine Kenntnis von irgendeinem Umgang mit Asbest gehabt zu haben; sie hätten dies vielmehr erst später erfahren, der Zeuge X. bezeichnenderweise vom Sohn des Versicherten. Auch der Zeuge O. hat zumindest für die Gießöfen bestätigt, dass er erst „heute, mit 58 Jahren“ wisse, dass damals dort Asbest gewesen sei. Der Zeuge AZ. will dies, wie bereits ausgeführt, ohnehin nur vom Hörensagen wissen. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass der Zeitraum, über den die Zeugen Angaben gemacht haben, bereits mehr als 30 Jahre zurückliegt und ihre Aussagen bereits aus diesem Grund wenig Gewähr für Richtigkeit und Zuverlässigkeit bieten.

 

Soweit die Klägerin die Richtigkeit der Berechnungen des TAD unter Hinweis auf angebliche Schwärzungen der ermittelten Werte zum Umfang der asbesthaltigen Stäube in den Betriebsakten bezweifelt, hält der Senat dies für eine nicht einmal auf hinreichende Indizien gestützte, interessengeleitete Behauptung. Der von der Bevollmächtigten geäußerte Verdacht, der TAB L. habe Schwärzungen vorgenommen, entbehrt zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung dessen glaubhafter, die tatsächlichen Schwärzungen erklärenden Einlassung gegenüber dem Senat jeglicher Grundlage und dies bereits unabhängig davon, dass jegliches Eigeninteresse des TAB L. fernliegt und dieser vielfach Wertungen zugunsten der Klägerin vorgenommen hat. Im Übrigen belegen die von der Klägerin selbst durchgeführten Berechnungen keine höhere Asbestbelastung, weil dort zu Unrecht Expositionen auch für die Zeit von 1985 bis 1990 zugrunde gelegt werden.

 

Weitere Ermittlungen sind auch insoweit nicht möglich. Wie bereits ausgeführt, existiert die D. nicht mehr und das die TK. weiterführende Nachfolgeunternehmen konnte keine Auskunft erteilen.

 

Über die höchstens 5,6 Faserjahre für die Beschäftigung bei D. hinaus können keine weiteren Asbestbelastungen anerkannt werden. In Bezug auf die Tätigkeiten des Versicherten im Bergbau, als Betonbauer bei der Fa. I. und als Straßenbauer bei der Fa. M. ist nach den Stellungnahmen der TADs der Bergbau- und der Bau-BG eine Exposition gegenüber Asbestfasern nicht nachgewiesen und im Übrigen vom Versicherten selbst zu Lebzeiten nie behauptet worden. Insoweit wird ergänzend auf die Ausführungen in der Entscheidung vom 04.07.2007 (L 17 U 119/05) Bezug genommen.

 

Weitere Listen-BKen kommen, auch nach dem Vorbringen der Klägerin, als Todesursache nicht in Betracht.

 

II. Der Versicherte ist auch nicht infolge des Versicherungsfalls einer Wie-BK verstorben.

 

Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Diese Regelung ist keine allgemeine Härteklausel. Vielmehr soll die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen erfüllt sind, der Verordnungsgeber aber noch nicht tätig geworden ist (vgl. für die Nachfolgevorschrift des § 9 Abs. 2 SGB VII: BSG, Urteil vom 12.01.2010 – B 2 U 5/08 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17, Rn. 31). Der Versicherungsfall einer Wie-BK ist hiernach eingetreten, wenn neben den Voraussetzungen der schädigenden Einwirkungen aufgrund der versicherten Tätigkeit, der Erkrankung und der haftungsbegründenden Kausalität im Einzelfall auch die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Krankheit in die Liste der BKen nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfüllt sind (BSG, Urteil vom 12.01.2010, a.a.O., Rn. 32).

 

Vorliegend kommt es damit darauf an, ob es spätestens am Todestag des Versicherten, dem 00.00.0000, wissenschaftliche Erkenntnisse gab, nach denen die Erkrankung Lungenkrebs, wenn sie, wie die Klägerin vorträgt, durch die Einwirkungen von Asbestfaserstaub und PAK gemeinsam (jetzige BK 4114) oder ausschließlich durch PAK (jetzige BK 4113) verursacht worden ist, in die Liste der BKen aufzunehmen war. Dies war nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht der Fall.

 

Wie bereits im Urteil vom 04.07.2007 im Vorprozess (L 17 U 119/05) ausgeführt, lagen für die BK 4113 hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse frühestens mit der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats – Sektion „Berufskrankheiten“ –, die BK in die Anlage 1 zur BKV aufzunehmen, vor; diese datiert von Februar 1998, erfolgte also ca. 2 Jahre nach dem Tod des Versicherten. In die BKV aufgenommen wurde die Erkrankung erst im Dezember 2009. Im Übrigen trägt auch die Klägerin nicht vor, es hätten bereits im Januar 1996 ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegen.

 

Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Wie-BK durch die Einwirkungen von PAK liegen nicht vor; es ist nicht nachgewiesen, dass der Lungenkrebs des Versicherten durch die Einwirkungen von PAK verursacht wurde. Dies ist ebenfalls im Urteil im Vorprozess, auf das auch insoweit Bezug genommen wird, hinreichend dargelegt worden. Soweit die Klägerin vorliegend die Messdaten des TAD der BG Chemie bezweifelt, die der Berechnung der für die Belastung mit PAK maßgeblichen BaP-Jahre zugrundeliegen, geht sie von falschen Vorgaben aus. Der TAD hat eben nicht die Messwerte gekapselter – und damit weniger emittierender – Vergleichsöfen herangezogen, sondern, wie der TAB L. im Termin zur mündlichen Verhandlung nochmals, wie bereits zuvor in seiner Stellungnahme vom 24.03.2021, ausgeführt hat, die eines Ofentyps mit offenem Bau, bei dem höhere Werte anfielen. Der erforderliche Wert von 100 BaP-Jahren wird gleichwohl bei weitem nicht erreicht. Selbst die Berechnungen der Klägerin kommen im Schnitt nur auf ca. 89 BaP-Jahre.

 

Auch für die BK 4114 lagen im Januar 1996 hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass die Erkrankung Lungenkrebs durch die Einwirkungen von Asbestfaserstaub und PAK gemeinsam verursacht wird, noch nicht vor. Der ärztliche Sachverständigenbeirat hat erst am 29.11.2006 – und damit weit nach dem Tod des Versicherten – empfohlen, die BK in die BKV aufzunehmen (Bekanntmachung der wissenschaftlichen Begründung durch das BMAS vom 01.02.2007, GMBl. 2007, S. 474ff.). Erfolgt ist die Aufnahme dann, wie bereits dargelegt, zum 01.07.2009. Auch insoweit trägt die Klägerin nichts Gegenteiliges vor.

 

Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Wie-BK durch die Einwirkungen von Asbestfaserstaub und PAK gemeinsam liegen nicht vor; es ist nicht nachgewiesen, dass der Lungenkrebs durch diese Einwirkungen verursacht wurde.  Auch dies ist im Urteil im Vorprozess, auf das auch insoweit Bezug genommen wird, hinreichend dargelegt worden. Im Übrigen ist selbst der von der Klägerin nach § 109 SGG benannte Sachverständige S. in dem im Verfahren S 16 U 18/10 erstellten Gutachten vom 03.07.2012 zu dem Ergebnis gelangt, dass die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen insoweit nicht erfüllt sind.

 

III. Schließlich ist der Versicherte auch nicht infolge eines Versicherungsfalls einer Art „Gesamt-BK“ aufgrund einer Gesamtbetrachtung oder Kombinationen verschiedener Listen-BKen verstorben. Einen solchen Versicherungsfall gibt es nicht.

 

Wirken auf einen Versicherten die Arbeitsstoffe mehrerer Listen-BKen ein, wie die Klägerin für den vorliegenden Fall behauptet, die im Zusammenwirken eine Krebserkrankung verursachen können (Synkanzerogenese), darf aus diesen Listen-BKen nicht eine neue Gesamt-BK gebildet werden (BSG, Urteil vom 12.01.2010 – B 2 U 5/08 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 17).

 

Weiterer Beweis war weder von Amts wegen noch aufgrund des Hilfsantrags der Klägerin zu erheben. Welche Expositionen u.a. im Rahmen einer Bystander-Belastung zugrundezulegen sind, ist als Tatsachenfeststellung der Beweisführung durch Sachverständigengutachten entzogen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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