1.
Eine auf Feststellung der unangemessen langen Dauer eines gerichtlichen Verfahrens beschränkte Entschädigungsklage nach § 198 GVG ist zulässig. Weder für die Zulässigkeit einer solchen isolierten Feststellungsklage, noch für den materiellen Feststellunganspruch ist die Anbringung einer Verzögerungsrüge während des Laufs des Ausgangsverfahrens eine Voraussetzung.
2.
Im Falle eines Vielklägers, der bei dem Ausgangsgericht innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nahezu dreißig Hauptsache- und Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anbringt, ist dem Ausgangsgericht mit Blick auf diese Verfahren eine erhöhte Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen.
Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht Itzehoe mit dem Aktenzeichen S 22 SO 2/13 und dem Landessozialgericht Schleswig-Holstein mit dem Aktenzeichen L 9 SO 11/17 eine unangemessene Dauer gehabt hat.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Klageverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Klageverfahrens wird auf 933 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Überlänge des von ihm vor dem Sozialgericht Itzehoe (SG) zum Aktenzeichen S 22 SO 2/13 und vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) zum Aktenzeichen L 9 SO 11/17 gegen den Kreis Pinneberg geführten Verfahrens.
Der 1959 geborene, mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehinderte Kläger bezieht seit 1991 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und seit März 1999 Pflegegeldzahlungen aus der sozialen Pflegeversicherung. Zudem bezog der Kläger seit 1991 ergänzende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) von der Stadt Elmshorn als zuständiger Sozialhilfeträger. Seit 1996 erfolgte diese Leistungsgewährung auf Grundlage eines vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleichs, nach dem der Kläger zusätzlich zum Regelsatz der Sozialhilfe Leistungen für Mehrbedarfe wegen Erwerbsunfähigkeit, kostenaufwändiger Ernährung und des Erfordernisses hauswirtschaftlicher Versorgung sowie besonderer Bekleidung erhielt. Seit dem 1. Januar 2005 gewährte der Kreis Pinneberg als zuständig gewordener Leistungsträger dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII), dies ohne Berücksichtigung der dem Kläger in vorgenanntem Vergleich zuerkannten Mehrbedarfe. Die Leistungsgewährung ab dem 1. Januar 2005 war Gegenstand zahlreicher Klagverfahren, die der Kläger gegen den Kreis Pinneberg vor dem SG und dem LSG führte. Nach Abschluss des vor dem LSG zum Aktenzeichen L 9 SO 18/08 geführten Rechtsstreits, bei dem es sich um eines dieser Verfahren handelte, kündigte der Kreis Pinneberg den 1996 vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen Vergleich mit Schreiben vom 14. Juli 2009 mit Wirkung zum 31. Juli 2009. Zum 1. Juli 2011 stellte der Sozialhilfeträger die Leistungsgewährung nach dem SGB XII ein, weil der Kläger seinen Bedarf durch die von ihm bezogene Erwerbsminderungsrente und einen von dem Kläger geltend zu machenden Wohngeldanspruch vollständig decken könne.
Am 3. Dezember 2012 beantragte der Kläger bei dem Kreis Pinneberg gleichwohl die Gewährung einer Mehrbedarfsleistung in Höhe von 850,00 EUR zur Anschaffung von Winterbekleidung aus Baumwolle sowie die Gewährung von laufenden Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der Kosten für die Warmwasserbereitung, dies auch rückwirkend seit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2011. Bereits am 2. Januar 2013 – und mithin bevor eine Entscheidung des Sozialhilfeträgers über den Antrag vom 3. Dezember 2012 ergangen war – erhob der Kläger vor dem SG Klage auf Gewährung der beantragten Leistungen (Aktenzeichen beim SG: S 22 SO 2/13). Mit Bescheid vom 15. Januar 2013 lehnte der Sozialhilfeträger den Antrag vom 3. Dezember 2012 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, weil sein Renteneinkommen und der ihm zustehende Wohngeldanspruch seinen sozialhilferechtlichen Bedarf in Höhe des dortigen Regelbedarfs übersteige; er sei mithin nicht hilfebedürftig. Bestandteil des Regelbedarfs seien auch Leistungen für einmalige Anschaffungen wie beispielsweise Winterkleidung. Auch Leistungen zur Bestreitung der Kosten für Warmwasserbereitung seien im Regelsatz enthalten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Sozialhilfeträger mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2013 aus den Gründen des Ausgangsbescheids zurück.
Am 13. September erweiterte der Kläger seine Klage im Ausgangsverfahren S 22 SO 2/13 vor dem SG auf die Aufhebung der Ablehnungsentscheidung des Kreises Pinneberg. Das entsprechende Schreiben übersandte das SG dem Beklagten des Ausgangsverfahrens mit Verfügung vom 18. September 2013 mit der Bitte um Stellungnahme und bat zugleich um Übersendung der Verwaltungsakte. Mit am 9. Oktober 2013 bei dem SG eingegangenem Schriftsatz verwies der Beklagte Kreis in der Sache auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und reichte dem SG zugleich den Verwaltungsvorgang ein. Noch am selben Tag verfügte die Vorsitzende der fallbefassten Kammer am SG, dass der Schriftsatz des Beklagten dem Kläger zur Kenntnisnahme übersandt werde.
Mit Verfügung vom 20. Dezember 2013 erbat das SG gegenüber den Beteiligten die Mitteilung, ob diese mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien. Unter dem 10. Januar 2014 erklärte der Sozialhilfeträger sein entsprechendes Einverständnis. In dem gerichtlichen Schreiben vom 15. Januar 2014, mit welchem dem Kläger die Einverständniserklärung des Beklagten des Ausgangsverfahrens übersandt wurde, bat das SG den Kläger nochmals um Mitteilung, ob auch er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Darauf reagierte der Kläger zunächst nicht. Erst mit Schreiben vom 3. Mai 2014 (Eingang beim SG am 9. Mai 2014) beantragte der Kläger seinerseits eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Anschließend erfolgte weder eine gerichtliche Verfahrensförderung, noch weiterer Schriftverkehr der Beteiligten (ob das Verfahren ins Sitzungsfach verfügt wurde, lässt sich der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen). Offenbar im Januar 2017 – auch dies lässt sich freilich der Akte des Ausgangsverfahrens nicht eindeutig entnehmen – nahm die Vorsitzende der fallbefassten Kammer am SG telefonisch Kontakt zum beklagten Kreis Pinneberg auf und erbat sich eine sozialhilferechtliche Bedarfsberechnung für den Kläger, bezogen auf Juli 2011. Eine solche Berechnung übersandte der Beklagte des Ausgangsverfahrens dem SG unter dem 20. Januar 2017.
Sodann erging am 28. Februar 2017 ohne mündliche Verhandlung ein Urteil des SG, mit dem dieses die Klage abwies. Die Klage sei zunächst als Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig gewesen; denn sie sei vor Ablauf der Sperrfrist von sechs Monaten nach Stellung des Antrages vom 3. Dezember 2012 erhoben worden. Während des Verfahrens seien jedoch sowohl der Bescheid als auch der Widerspruchsbescheid ergangen, so dass der Mangel des fehlenden Ablaufs der Sperrfrist geheilt worden sei. Der Kläger habe innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs 1 SGG am 13. September 2013 eine Umstellung seiner Klageanträge erklärt. Es handele sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 4 SGG sowie eine Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG. Der Beklagte habe dieser Änderung nicht widersprochen. Im Übrigen sei diese Änderung auch sachdienlich gewesen. Zur Begründung in der Sache verwies das SG gemäß § 136 Abs 3 SGG auf die Begründung des Bescheides der Beklagten vom 10. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2013. Lediglich hinsichtlich der Kosten für die Warmwassererzeugung ergänzte das SG: Der Kläger habe keinen Anspruch auf die geltend gemachten Kosten der Warmwasseraufbereitung nach § 30 Abs 7 SGB XII. Gemäß § 35 Abs 4 Satz 1 SGB XII würden Leistungen für Heizung und die zentrale Warmwasserversorgung in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie angemessen seien. Seit dem 1. Januar 2011 seien die Aufwendungen für Warmwasserbereitung nicht mehr der Haushaltsenergie, sondern den Kosten der Heizung zuzuordnen. Die Kosten für die zentrale Warmwasseraufbereitung seien nunmehr im Rahmen der Unterkunftskosten zu übernehmen bzw. bei dezentraler Aufbereitung als Mehrbedarf. Gemäß § 30 Abs 7 SGB XII werde für Leistungsberechtigte ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt werde (dezentrale Wassererzeugung). Der Beklagte habe in die Bedarfsberechnung (bereits im Jahre 2011) den Mehrbedarf für Warmwasser bei dezentraler Versorgung berücksichtigt. Trotz dieses Mehrbedarfes könne der Kläger seinen Grundsicherungsbedarf durch ein zu beantragendes Wohngeld selbst decken.
Eine Verzögerungsrüge hatte der Kläger im Ausgangsverfahren vor dem SG zu keinem Zeitpunkt angebracht.
Gegen das ihm am 9. März 2017 zugestellte Urteil erhob der Kläger am 22. März 2017 Berufung vor dem LSG. Mit Verfügung vom 24. März 2017 leitete das Rechtsmittelgericht die Berufungsschrift an den Beklagten weiter und bat um Übersendung der Berufungserwiderung binnen eines Monats. Unter dem 24. April 2017 meldete sich zunächst die Rechtsanwalts-Partnerschaftsgesellschaft G für den Beklagten, worauf der Kläger mit am 15. Mai 2017 beim LSG eingegangenen Schreiben die Feststellung beantragte, dass der Sozialhilfeträger auch dann die Kosten des von ihm beauftragten Rechtsanwalts selbst zu tragen habe, sollte er – der Kläger – im Berufungsverfahren unterliegen. Am 22. August 2017 teilte die vorgenannte Rechtsanwaltsgesellschaft sodann mit, dass sie den Kreis Pinneberg nicht mehr vertrete. Unter dem 17. Oktober 2017 meldete sich sodann der Sozialhilfeträger selbst beim LSG, beantragte, die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, und verwies zur Begründung auf seinen erstinstanzlichen Vortrag sowie die nach seiner – des Beklagten – Ansicht zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil. Gemäß Verfügung vom 18. Oktober 2017 wurde die Berufungserwiderung dem Kläger zur Kenntnis- und evt Stellungnahme übersandt; eine klägerische Stellungnahme blieb aus. Mit Verfügung vom 29. November 2017 verfügte die zuständige Berichterstatterin am LSG darauf eine zweimonatige Wiedervorlagefrist. Nachdem ihr die Akte am 1. Februar 2018 wieder vorgelegt worden war, verfügte die Berichterstatterin die Akte schließlich am 25. Februar 2018 ins Sitzungsfach.
Mit Verfügung vom 9. Juli 2020 bestimmte der Vorsitzende des 9. Senats des LSG Termin zur Berufungsverhandlung auf den 24. September 2020. Am 21. August 2020 beantragte der Kläger unter Verweis auf gesundheitliche Beschwerden, dass die Berufungsverhandlung am Amtsgericht Elmshorn durchgeführt werden möge; diesen Antrag lehnte das LSG mit Verfügung vom 3. September 2020 (Schreiben an dem Kläger vom 4. September 2020) ab. Nachdem der Kläger am 16. September ein Attest seines behandelnden Arztes vorgelegt hatte, wonach er – der Kläger – krankheitsbedingt nicht in der Lage sei, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Schleswig zu reisen, teilte die zuständige Berichterstatterin dem Kläger mit Verfügung vom 21. September 2020 mit, dass ihm gestattet werde, auf Kosten des Justizfiskus mit dem Taxi zur Berufungsverhandlung anzureisen. Mit am 23. September 2020 beim LSG eingegangenem Schreiben lehnte der Kläger die Richter des zuständigen 9. Senats am LSG wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Gleichwohl fand am 24. September 2020 in dem Ausgangsverfahren – in Abwesenheit des Klägers – die Berufungsverhandlung statt, in deren Folge das LSG die Berufung des Klägers mit Urteil vom selben Tage zurückwies. Der Senat habe in seiner geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung verhandeln und entscheiden dürfen, da das Ablehnungsgesuch des Klägers schon offensichtlich unzulässig gewesen sei, da es sich gegen den gesamten Senat gerichtet habe. Zudem habe der Senat aufgrund weiteren E‑Mail-Verkehrs mit dem Kläger am 23. September 2020 davon ausgehen dürfen, dass dieser ohnehin nicht länger an dem Gesuch habe festhalten wollen. In der Sache verwies das LSG gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils, führte allerdings ergänzend aus, dass dem sozialhilferechtlichen Bedarf kein – tatsächlich von dem Kläger gar nicht realisierter – fiktiver Wohngeldanspruch gegenübergestellt werden dürfe. Indes hingen die von dem Kläger verfolgten einzelnen Mehrbedarfsansprüche von der grundsätzlichen Anspruchsberechtigung des Klägers im Hinblick auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII ab. Darüber habe der Sozialhilfeträger in seinen angefochtenen Bescheiden gar keine Entscheidung getroffen, so dass diese grundsätzliche Leistungsberechtigung des Klägers auch nicht Gegenstand des Rechtsstreits sein könne.
Das Urteil des LSG ist dem Kläger am 22. Januar 2021 zugestellt worden. Eine Verzögerungsrüge hat der Kläger auch während des Laufs des Ausgangsverfahrens in der Berufungsinstanz nicht erhoben.
Am 7. April 2021 hat der Kläger bei dem LSG gegen das Land Schleswig-Holstein eine Klage auf Feststellung der überlangen Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens erhoben. Das Verfahren vor dem SG habe mit dem dortigen Eingang seiner Klageschrift am 2. Januar 2013 begonnen und mit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils bei ihm, dem Kläger, am 9. März 2017 (der Kläger benennt insoweit mutmaßlich irrtümlich und in Abweichung von der in der Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens befindlichen Postzustellungsurkunde den 7. März 2017) geendet, das Ausgangsverfahren vor dem LSG habe mit dortigem Eingang der Berufungsschrift am 22. März 2017 begonnen und mit der erst im Januar 2021 erfolgten Zustellung des Berufungsurteils bei ihm geendet (wiederum benennt der Kläger insoweit ein unzutreffendes, den Angaben auf der aktenkundigen PZU widersprechendes Datum, nämlich den 11. Januar 2021 [statt des tatsächlichen Zustellungsdatums 22. Januar 2021]). Weil das SG – in einem Parallelverfahren des Klägers (Anm. des Senats) – ein einziges Verfahren in 17 Einzelverfahren aufgetrennt habe, habe er – der Kläger – im Rahmen des vorliegenden Ausgangsverfahrens vergessen, die überlange Verfahrensdauer zu rügen. Ihm sei durch einen „mit massiver Hinterlistigkeit angewandten Trick“ des Vorsitzenden des im Ausgangsverfahren zuständigen 9. Senats am LSG die Möglichkeit genommen worden, an der Berufungsverhandlung teilnehmen zu können. Zudem könnten die im Ausgangsverfahren ergangenen Entscheidungen nicht in Rechtskraft erwachsen, weil sie bewusst von einem falschen Sachverhalt insoweit ausgingen, als dort zugrunde gelegt werde, dass sich ein zwischen ihm und der Stadt Elmshorn im Jahr 1996 geschlossener Vergleich über die Modalitäten des Sozialhilfebezugs nicht mehr in Geltung befände.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das vor dem Sozialgericht Itzehoe zum dortigen Aktenzeichen S 22 SO 2/13 und vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht zum Aktenzeichen L 9 SO 11/17 geführte Verfahren überlang gewesen und dass er – der Kläger – „demzufolge entsprechend zu entschädigen ist“.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung dieses Antrags führt es aus, dass bereits nicht ersichtlich sei, ob der Kläger lediglich die Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens begehre oder ob daneben noch eine weitergehende Entschädigung in Geld streitig sei. In beiden Fällen könne der Kläger jedoch mit seiner Klage keinen Erfolg haben. Eine isolierte Feststellungsklage sei schon unzulässig, weil § 198 Abs 4 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kein subjektives Recht des Rechtsschutzsuchenden begründe, sondern lediglich ein von Amts wegen anzuwendendes Recht des Entschädigungsgerichts schaffe. Mit dem Sinn und Zweck des Entschädigungsanspruchs nach § 198 GVG, der auch – in einem präventiven Sinne – darin bestehe, ein gerichtliches Verfahren durch Anbringung der Verzögerungsrüge zu beschleunigen, sei es nicht vereinbar, dass einem Kläger, der in einem (ggf überlangen) Verfahren keine solche Rüge erhoben habe – wie das vorliegend hinsichtlich des Klägers der Fall sei –, anschließend ein Anspruch auf Feststellung der Überlänge eingeräumt werde. Soweit der Kläger seinen Feststellungsanspruch nur neben einem Anspruch auf Entschädigung in Geld verfolge, sei jedenfalls das Leistungsbegehren unbegründet, weil der Kläger die dafür erforderliche Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren weder vor dem SG noch vor dem LSG angebracht habe. Daneben werde indes eingeräumt, dass das Ausgangsverfahren auch unter Berücksichtigung einer regelhaften Bearbeitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten pro Instanz unangemessen lang gedauert habe, weil das SG im Zeitraum von Juli 2014 bis Dezember 2016 keine verfahrensfördernden Handlungen unternommen habe, bei dem LSG sei eine solche Zeit der Untätigkeit im Zeitraum zwischen Dezember 2017 und Juni 2020 zu beobachten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Gerichtsakte des Ausgangsverfahrens S 22 SO 2/13 (SG)/L 9 SO 11/17 (LSG), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist als reine bzw. isolierte Feststellungsklage zulässig.
1.
Unzweifelhaft erstrebt der Kläger vorliegend eine Feststellung der unangemessen langen Verfahrenslaufzeit des in zwei Instanzen geführten Ausgangsverfahrens. Nicht nur ist die Klageschrift einleitend überschrieben mit „Klage auf Feststellung überlanger Verfahrensdauer“ und auch im aE der Seite 1 der Klageschrift ausformulierten Antrag ist ausdrücklich die Rede davon, dass beantragt werde, „festzustellen, dass oben angegebenes Verfahren überlang gewesen ist“. Zudem führt der Kläger in seiner Klagbegründung ausdrücklich aus, dass „in diesem Verfahren wohl nur die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer möglich sei“, da er es unterlassen habe, im Rahmen des Laufs des Ausgangsverfahrens eine Verzögerungsrüge anzubringen.
Auslegungsbedürftig ist hingegen, was der Kläger mit der weitergehenden Formulierung im angekündigten Antrag begehrt, die im Anschluss an den vorstehend wiedergegebenen Feststellungsantrag lautet: „…und demzufolge der Kläger entsprechend zu entschädigen ist“. In diesem Zusammenhang führt der Kläger in der Klageschrift aus: „Aus diesem Grunde (gemeint ist die Nichterhebung einer Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren; Anm des Senats) wird wohl in diesem Verfahren nur die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer möglich sein und die daraus resultierende Entschädigung, sofern nicht noch andere Entschädigungsformen gelten“. Der Wortlaut dieses Begehrens ist uneindeutig, so dass nach § 123 SGG im Wege der Auslegung festgestellt werden muss, welches das erklärte Rechtsschutzziel ist. Für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Klageanträge ist die – für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen geltende – Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend anzuwenden. Danach ist nicht an dem Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, der sich nicht nur aus dem Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen ergeben kann (BSG, Urteil vom 22. März 1988, 8/5a RKn 11/87, zitiert nach juris, s dort Rn 11).
In Anwendung dieses Grundsatzes gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger hier allein die Feststellung einer unangemessen langen Dauer des Ausgangsverfahrens beantragen möchte, und nicht noch zusätzlich dazu einen Leistungsantrag, der zwangsläufig auf eine Entschädigung in Geld gerichtet sein müsste, da § 198 GVG neben der Feststellung der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens allein noch die Geldentschädigung als Rechtsfolge der Überlänge eines Verfahrens kennt (vgl § 198 Abs 2 Sätze 2 – 4 GVG). Denn der Kläger schreibt in der Klageschrift (Seite 2, 1. Abs) ausdrücklich, dass vorliegend wohl nur die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer möglich sei „und die daraus resultierende Entschädigung“. Dies interpretiert der Senat dahin, dass der Kläger – quasi mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; dazu näher im Folgenden) – in der Feststellung der Überlänge bereits eine Form der Entschädigung sieht, die er mit der vorliegenden Klage erstrebt. Der weitere Zusatz in der Klageschrift (aaO) „…sofern nicht noch andere Entschädigungsformen gelten“ ist demgegenüber als bloße Bitte um einen gerichtlichen Hinweis im Sinne des § 106 Abs 1 SGG dazu zu verstehen, ob es hier sachdienlich sei, über die Feststellung der Überlänge hinaus noch eine andere Kompensation zu beantragen. Unabhängig davon, dass der Senat an der Erteilung eines diesbezüglichen – abschlägigen – Hinweises gegenüber dem Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung dadurch gehindert war, dass der Kläger zu der Verhandlung nicht erschienen ist, steht für den Senat mithin fest, dass vorliegend allein ein Feststellungsantrag zur Entscheidung gestellt war.
2.a)
Der Senat hält diese reine bzw isolierte Klage auf Feststellung der Überlänge des Ausgangsverfahrens für zulässig. Zwar vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) die Ansicht, eine isolierte Klage auf Feststellung der unangemessen langen Dauer eines gerichtlichen Verfahrens sei unzulässig, weil das Gesetz dem Betroffenen keinen Anspruch auf Feststellung der Überlänge neben der Entschädigung einräume (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013, III ZR 73/13, NJW 2014, 789 ff, s Rn 35 des juris-Dokuments). Demgegenüber sieht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) einen gesonderten Feststellungsantrag ohne nähere Begründung als zulässig an (vgl BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, 5 C 23/12 D, zitiert nach juris, s dort Rn 61, zu einem Fall, in dem d Kl neben der Feststellung auch – zulässigerweise – eine Geldentschädigung eingeklagt hatte). Das BSG hat in seinem Urteil vom 15. Dezember 2015 (B 10 ÜG 1/15 R, Breith 2016, 853 ff) erklärt, es neige der Auffassung zu, dass der Betroffene einen gesondert einklagbaren Anspruch auf Feststellung der Überlänge eines gerichtlichen Verfahrens haben müsse, weil allein dies der im Zuge der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommenen Qualifizierung der Feststellung nach § 198 Abs 4 Satz 1 GVG als „kleiner Entschädigungsanspruch“ (vgl dazu BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 2/13 R, zitiert nach juris, s dort Rn 57) entspreche (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2015, B 10 ÜG 1/15 R, aaO, Rn 15 des juris-Dokuments). Diese Judikatur hat ihren Niederschlag in der Kommentarliteratur gefunden:
„Die aufgezeigte Abstufung rechtfertigt es, die Feststellung der Überlänge als eine Art „kleinen Entschädigungsanspruch“ und damit als ein Weniger im Verhältnis zum Anspruch auf Entschädigung in Geld anzusehen. Der Entschädigungskläger kann seine Klage gegebenenfalls auf diesen Anspruch beschränken und im Wege der Feststellungsklage isoliert geltend machen“ (Röhl, in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 198 GVG Rn 157).
Dem ist die sozialgerichtliche Rechtsprechung der Instanzgerichte – soweit ersichtlich – gefolgt (vgl LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Januar 2019, L 11 SF 16/17 EK AS, zitiert nach juris, s dort Rn 14).
Der Senat schließt sich der in der Sozialgerichtsbarkeit entwickelten Ansicht an. Dafür streitet die Konzeption des BSG, die Feststellung der Überlänge als minderen, aber eigenständigen Entschädigungsanspruch anzusehen. Dass § 198 Abs 4 Satz 3 2. Halbsatz GVG bestimmt, dass die Feststellung der Überlänge auch ausgesprochen werden kann, wenn zuvor keine Verzögerungsrüge nach Abs 3 der Vorschrift erhoben wurde – und der Feststellungsausspruch mithin im Ermessen des Gerichts steht –, ändert nichts daran, dass § 198 Abs 4 Satz 1 GVG in Verbindung mit Abs 2 Satz 2 der Vorschrift die Feststellung ausdrücklich als „Wiedergutmachung auf andere Weise“ (als durch eine Entschädigungszahlung) bezeichnet. Weshalb ein Kläger im Rahmen der Antragstellung nicht zwischen zwei verschiedenen Entschädigungsarten, die ihm die Anspruchsnorm gleichsam zur Verfügung stellt, wählen können sollte, wäre nicht erklärlich. Dass für eine Feststellung der Überlänge durch das Entschädigungsgericht die Stellung eines entsprechenden Klagantrages keine Voraussetzung ist, muss im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass es einem Entschädigungskläger verwehrt wäre, einen entsprechenden Antrag anzubringen.
b)
Nach Ansicht des Senats scheitert die Zulässigkeit des von dem Kläger zur Entscheidung gestellten bloßen Feststellungsantrags auch nicht daran, dass der Kläger im gesamten Ausgangsverfahren zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerungsrüge im Sinne des § 198 Abs 3 GVG erhoben hat. Zwar erklärt Satz 1 der Vorschrift unmissverständlich, dass nur derjenige eine Entschädigung wegen einer unangemessen langen Verfahrensdauer erhält, der vor dem Ausgangsgericht eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Satz 2 der Vorschrift enthält zudem Regelungen dazu, ab wann eine – wirksame – Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden kann, und in der Rechtsprechung sind zusätzlich Kriterien dafür entwickelt worden, bis wann eine Verzögerungsrüge zulässigerweise spätestens erhoben sein muss. Insoweit ist anerkannt, dass ein untätiges Zuwarten bzw Mitanschauen des Sich-Hinziehens eines gerichtlichen Verfahrens durch den Kläger dieses Verfahrens nicht durch einen nachfolgenden Entschädigungsanspruch in Geld honoriert werden soll (kein „Dulde und Liquidiere“; vgl dazu Röhl, aaO, § 198 GVG Rn 110, unter Verweis auf BT-Drucks 17/3802, S 21). Eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge ist daher unwirksam und stellt mithin keine taugliche Voraussetzung für einen Geldentschädigungsanspruch nach § 198 Abs 3 Satz 1 GVG dar (vgl dazu auch Urteil des Senats vom 9. Mai 2023, L 12 SF 1/20 EK, ergangen in einem Parallelverfahren des Klägers). Vor diesem Hintergrund mag es auf den ersten Blick verwundern, dass einem Kläger, der nicht nur nicht rechtzeitig eine Verzögerungsrüge erhebt, sondern – wie im hiesigen Ausgangsverfahren – überhaupt nicht, ein „kleiner Entschädigungsanspruch“ in Gestalt der Feststellung der Überlänge zustehen soll. Auf den zweiten Blick resultiert dies indes aus den unterschiedlichen Voraussetzungen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG für den Geldentschädigungsanspruch einerseits und den Anspruch auf Feststellung einer Überlänge des Ausgangsverfahrens andererseits gelten. Dass ein Geldentschädigungsanspruch (als „großer Entschädigungsanspruch“ im Sinne des § 198 Abs 2 GVG) eine solche Rüge voraussetzt, spricht nicht zwingend gegen das Fehlen einer solchen Voraussetzung für den „kleinen Entschädigungsanspruch“ in Gestalt der Feststellung der Überlänge.
Der Konzeption des BSG zur Qualifizierung des Anspruchs auf bloße Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer als kleiner Entschädigungsanspruch liegen Billigkeitserwägungen zugrunde. Ein Feststellunganspruch soll – abgesehen von der Konstellation eines besonders schweren Falles nach § 198 Abs 4 Satz 3 1. Halbsatz GVG – gerade dann in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs nicht vollständig erfüllt sind, insbesondere mangels Erhebung einer wirksamen Verzögerungsrüge durch einen unvertretenen Kläger, eine vollständige Klageabweisung unter Würdigung der Gesamtumstände aber unbillig wäre; in einem solchen Fall soll die Feststellung der Überlänge dem Entschädigungskläger ein Mindestmaß an Genugtuung und Sanktion für die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verschaffen (vgl Röhl, aaO, § 198 Rn 154 und 156). Dieser Herleitung des sog kleinen Entschädigungsanspruchs würde es widersprechen, wollte man für ihn ebenfalls die Erhebung einer wirksamen Verzögerungsrüge als Anspruchsvoraussetzung annehmen; Sinn und Zweck dieses Entschädigungsanspruchs würden dadurch konterkariert.
c)
Schließlich sieht der Senat auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die isolierte Feststellungsklage des Klägers als gegeben an. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (vgl zum besonderen Feststellungsinteresse auch § 55 Abs 1 letzter Halbsatz SGG) fehlt einem Klagebegehren, wenn sich die rechtliche oder zumindest wirtschaftliche (ggf auch bloß die ideelle) Position des Rechtsschutzsuchenden durch einen antragsgemäßen Ausspruch des Gerichts gar nicht verbesserte (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, vor § 51 Rn 16a; BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 24/10 R, zitiert nach juris, s dort Rn 9 – 11). Hier ist insoweit zu beachten, dass das beklagte Land in der Klagerwiderung ausdrücklich eingeräumt hat, dass das Ausgangsverfahren unangemessen lange gedauert habe. Der Senat ist indes der Ansicht, dass dem Wiedergutmachungsinteresse des Klägers dadurch nicht bereits Genüge getan ist bzw dass sich die rechtliche Position des Klägers durch einen diesbezüglichen Ausspruch des Gerichts wesentlich verstärkt. Unabhängig davon, ob einem gerichtlichen (Feststellungs-) Ausspruch zum Vorliegen einer unangemessenen Verfahrensdauer schon grundsätzlich ein größeres Gewicht – und damit eine weitergehende Wiedergutmachungsfunktion im Verhältnis zum Kläger – zukommt als dem in einem Schriftsatz erfolgten Einräumen des beklagten Landes, dass eine Überlänge des gerichtlichen Verfahrens gegeben sei, gilt das jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das beklagte Land eine Überlänge des Ausgangsverfahrens zwar zugestanden hat, gleichzeitig aber das entsprechende Feststellungsbegehren des Klägers ausdrücklich für unzulässig hält. In so einem Fall vermag das Zugestehen der Überlänge das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in gleicher Weise zu befriedigen, wie dies durch einen entsprechenden Feststellungstenor des Senats der Fall ist, der zur essentiellen Voraussetzung hat, dass zuvor die Zulässigkeit der (isolierten) Feststellungsklage bejaht wurde.
3.
Schließlich wahrt die Klageschrift unproblematisch die aus § 92 Abs 1 SGG folgenden formellen Voraussetzungen (insbesondere hinsichtlich der Bezeichnung des Beklagten und des Gegenstands des Klagbegehrens; die Auslegungsbedürftigkeit des Klageantrages schadet der hinreichend genauen Bezeichnung des Klagegegenstandes im Grundsatz nicht; vgl B. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 92 Rn 11 f). Auch ist die Klagefrist nach § 198 Abs 5 Satz 2 GVG gewahrt.
II.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass zu Wiedergutmachungszwecken festgestellt wird, dass das hier interessierende Ausgangsverfahren unangemessen lange gedauert hat.
Aufgrund des Umstandes, dass der Kläger in keinem Instanzenzug des Ausgangsverfahrens eine Verzögerungsrüge erhoben hat und deshalb gemäß § 198 Abs 3 Satz 1 GVG eine Entschädigung in Geld nach § 198 Abs 1 Satz 1, Abs 2 GVG von vornherein nicht beanspruchen kann, hat der Kläger sein Begehren auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens nach § 198 Abs 4 Satz 1 GVG beschränkt. Danach handelt es sich bei der Feststellung der Überlänge um eine Wiedergutmachung des infolge eines unangemessen langen Gerichtsverfahrens vermuteten Nachteils (§ 198 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 GVG) in anderer Weise als durch Geldentschädigung (§ 198 Abs 2 Satz 2 GVG). Voraussetzung dieses kleinen Entschädigungsanspruchs ist indes – wie beim großen, auf Geld gerichteten Entschädigungsanspruch – das Vorliegen eines unangemessen lange gedauert habenden Gerichtsverfahrens, an dem der Kläger beteiligt war. Ob das Ausgangsverfahren angemessen oder unangemessen lange gedauert hat, richtet sich gemäß § 198 Abs 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Dabei ist – obgleich in § 198 Abs 1 Satz 2 GVG nicht ausdrücklich erwähnt – auch und ganz maßgeblich die konkrete Prozessleitung durch das Ausgangsgericht von Belang (BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 12/13 R, SozR 4‑1720 § 198 Nr 4; Röhl, aaO, Rn 61). Im Rahmen der Prüfung, ob ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat, ist mithin von wesentlicher Bedeutung, ob das Ausgangsgericht den Rechtsstreit zeitangemessen bearbeitet hat oder aber in Inaktivität verharrte. Zum Zwecke der generalisierenden Zusammenfassung der in § 198 Abs 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien, die sich auf die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens auswirken können, sowie auch des dort nicht genannten, aber gleichwohl maßgeblichen Faktors der konkreten Verfahrensführung durch das Ausgangsgericht, nimmt das BSG für den Regelfall eine zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit für jede Instanz an, die nicht als unangemessene Verzögerung zu werten ist, obgleich in ihr keine nach außen ersichtliche Tätigkeit des Gerichts gegeben ist (vgl dazu zuletzt BSG, Beschluss vom 30. September 2021, B 10 ÜG 2/21 B, zitiert nach juris, s dort Rn 13; auch BSG, Urteil vom 3. September 2014, B 10 ÜG 2/13 R, SGb 2015, 398 ff; Röhl, aaO, § 198 Rn 81 f).
Die im Jahr 2013 vergangene Verfahrenslaufzeit beruht nicht – auch nicht teilweise – auf einer Inaktivität des SG. Die Monate bis einschließlich September 2013 können von vornherein nicht als unangemessen lange Verfahrensdauer qualifiziert werden, weil der Kläger – einmal mehr – bereits verfrüht, nämlich noch vor Ergehen einer Verwaltungsentscheidung über seinen am 3. Dezember 2012 beim Sozialhilfeträger gestellten Antrag, Klage auf die begehrte Leistung erhoben hatte und die das Verwaltungsverfahren abschließende Behördenentscheidung erst im September 2013 erging (vgl zur entschädigungsrechtlichen Unbeachtlichkeit von Verfahrenslaufzeiten vor Ergehen der Behördenentscheidung bei Leistungsklagen: Urteil des Senats vom 9. Mai 2023, L 12 SF 1/20 EK). Auch in den Monaten Oktober bis Dezember 2013 förderte das SG das Verfahren in nicht zu beanstandender Art und Weise im Wege der Übersendung der Klagerwiderung des Sozialhilfeträgers an den Kläger und der Übersendung einer Anfrage zum Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne Durchführung einer Verhandlung. Eine nach außen ersichtliche Tätigkeit des SG im Ausgangsverfahren ist auch noch im Januar 2014 auszumachen; das SG übersandte dem Kläger die auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bezogene Einverständniserklärung des beklagten Sozialhilfeträgers und erinnerte den Kläger zugleich an die Beantwortung der entsprechenden gerichtlichen Anfrage aus Dezember 2013. Nach Ansicht des Senats durfte das SG in den folgenden zwei Monaten – Februar und März 2014 – noch davon ausgehen, dass sich der Kläger zu der gerichtlichen Anfrage hinsichtlich einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung äußern werde (vgl zum Ermessen des Gerichts, eine mögliche Stellungnahme eines Verfahrensbeteiligten vor weiterer Verfahrensförderung abzuwarten: BSG, Urteil vom 24. März 2022, B 10 ÜG 2/20 R, zitiert nach juris, s dort Rn 30). Mit Ablauf des Monats März 2014 war bei verständiger, lebensnaher Betrachtung indes davon auszugehen, dass eine Rückäußerung des Klägers nicht mehr erfolgen werde. Mithin stellt der April 2014 den ersten Monat einer Inaktivität des SG dar. Diese dauerte auch im Mai 2014, als der Kläger mit Schreiben vom 3. des Monats überraschend seinerseits die Entscheidung des Rechtsstreits ohne eine mündliche Verhandlung beantragte, fort; das SG übersandte das klägerische Schreiben lediglich mit Verfügung vom 15. Mai 2014 an den Beklagten des Ausgangsverfahrens, ohne dass weitere verfahrensfördernde Schritte unternommen worden wären. Aktiv wurde das SG wieder im Januar 2017, indem es eine Probeberechnung zum Leistungsanspruch des Klägers vom Sozialhilfeträger anforderte. Bereits im Februar 2017 erging sodann das erstinstanzliche Urteil ohne mündliche Verhandlung. Die Phase der Inaktivität des SG umfasst mithin 33 Monate (April 2014 bis Dezember 2016).
Davon ist zum Zwecke der Feststellung der tatsächlichen Überlänge des Ausgangsverfahrens vor dem SG im Sinne einer Unangemessenheit der Dauer bestimmter, konkreter Verfahrensabschnitte hier aber nicht schlicht die höchstrichterlich entwickelte regelhafte Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten in Abzug zu bringen. Denn diese Regelzeitspanne ist hier auszudehnen, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des hier relevanten Ausgangsverfahrens eine Vielzahl von weiteren Rechtsstreitigkeiten vor dem SG als Kläger führte. Im Jahr 2012 hatte der Kläger vor dem SG allein zwölf Hauptsacheverfahren angestrengt, für die sämtlich – wie auch für das hier interessierende Ausgangsverfahren – die dortige 22. Kammer zuständig war. Hinzu traten vier Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, die ebenfalls die 22. Kammer des SG zu bearbeiten hatte, sowie zwölf gesonderte Verfahren über von dem Kläger angebrachte Ablehnungsgesuche. Im Jahr davor – 2011 – hatte der Kläger vor dem SG sieben Hauptsacheverfahren (allesamt in der Zuständigkeit der 22. Kammer) und acht Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig gemacht. Unter Außerachtlassung der Ablehnungsverfahren waren das allein 29 Gerichtsverfahren, die der Kläger 2011 und 2012 vor der 22. Kammer des SG angestrengt hatte. Bei einer solchen Vielzahl von Verfahren benötigte das SG vorliegend naturgemäß mehr Zeit bei der Bearbeitung, um den Überblick über die jeweiligen Streitgegenstände nicht zu verlieren. Zudem musste der Kläger angesichts der Menge der von ihm angestrengten Verfahren damit rechnen, dass es in der Förderung seiner Verfahren zu Verzögerungen kommen würde (vgl dazu auch Hessisches LSG, Urteil vom 8. Juli 2020, L 6 SF 8/19 EK AS, zitiert nach juris, s dort Rn 55, das bereits bei einem klagenden Prozessbeteiligten, der in einem Zeitraum von vier Jahren 20 Verfahren anhängig gemacht hatte, von einem „Vielkläger“ ausgeht, der aufgrund der Vielzahl der von ihm angestrengten Prozesse eine Verzögerung bei der Bearbeitung seiner Verfahren gewärtigen müsse). Der Senat trägt der großen Anzahl der von dem Kläger vor dem SG im Jahr der Anhängigmachung des hier relevanten Ausgangsverfahrens (und in den beiden vorangegangenen Kalenderjahren) betriebenen Verfahren durch eine Ausdehnung der dem SG zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit um sechs Monate Rechnung. Bringt man diese nicht als Überlänge anzusehende Zeitspanne von 18 Monaten von dem gesamten, vorstehend festgestellten Zeitraum der Inaktivität im Umfang von 33 Monaten in Abzug, verbleibt für die erste Instanz des Ausgangsverfahrens ein relevanter Zeitraum einer unangemessen langen Dauer von 15 Monaten.
Im zweitinstanzlichen Ausgangsverfahren waren die ersten Monate des im März 2017 eingeleiteten Berufungsrechtsstreits durch einigen Schriftwechsel geprägt, der vornehmlich eine mögliche Vertretung des beklagten Sozialhilfeträgers durch eine Rechtsanwaltskanzlei zum Gegenstand hatte. Erst in der zweiten Hälfte des August 2017 erklärte die zunächst im April 2017 aufgetretene Kanzlei, dass sie die Behörde nun doch nicht im Berufungsverfahren vertrete, und erst weitere zwei Monate darauf, im Oktober 2017, meldete sich der Sozialhilfeträger selbst und erwiderte auf die klägerische Berufungsschrift. Diese Klagerwiderung übersandte das SG dem Kläger mit Verfügung vom 18. Oktober 2017 zur Kenntnis- und evt Stellungnahme. Eine Stellungnahme des Klägers erfolgte nicht. Am 29. November 2017 lag die Akte der zuständigen Berichterstatterin am LSG erneut vor. Bis hierhin ist eine Inaktivität des LSG in der Verfahrensführung nicht auszumachen. Ein Zeitraum der Inaktivität schloss sich indes daran an: Am 29. November 2017 wurde eine Wiedervorlagefrist von zwei Monaten verfügt, nach erfolgter Wiedervorlage am 1. Februar 2018 verfügte die Berichterstatterin das Verfahren ins Sitzungsfach, ohne dass zuvor irgendwelcher weiterer Schriftverkehr entstanden wäre. Im Sitzungsfach verblieb die Akte sodann bis zur Fertigung der Ladungsverfügung am LSG im Juli 2020. Der Zeitraum der Inaktivität am Berufungsgericht erstreckt sich mithin von Dezember 2017 bis zum Juni 2020 und umfasst somit eine Zeitspanne von 31 Monaten. Davon ist – aus den gleichen Gründen, wie dies bereits mit Blick auf das erstinstanzliche Ausgangsverfahren zu geschehen hatte – wiederum eine auf 18 Monate ausgedehnte Vorbereitungs- und Bedenkzeit in Abzug zu bringen; der Kläger hat in den vier Jahren von 2017 bis einschließlich 2020 insgesamt 45 Berufungs- und Beschwerdeverfahren bei dem LSG anhängig gemacht. Auch das Berufungsgericht war im relevanten Zeitraum daher erheblich mit verschiedensten Prozessen des Klägers belastet, woraus sich eine Verlangsamung in der Förderung der einzelnen Verfahren ergibt. Bringt man diese nicht als Überlänge anzusehende Zeitspanne von 18 Monaten von dem gesamten, vorstehend festgestellten Zeitraum der Inaktivität im Umfang von 31 Monaten in Abzug, verbleibt für die zweite Instanz des Ausgangsverfahrens ein relevanter Zeitraum einer unangemessen langen Dauer von 13 Monaten.
Insgesamt lässt sich im Ausgangsverfahren nach alledem eine Überlänge von 28 Monaten beobachten. Bei der Zuerkennung des sogenannten kleinen Entschädigungsanspruchs in Form der Feststellung einer unangemessen langen Dauer des Ausgangsverfahrens ist es freilich nicht erforderlich, dass im Feststellungsausspruch nach bestimmten Zeitabschnitten bzw. einzelnen Monaten der Überlänge differenziert wird; es verbleibt bei der (generellen) Feststellung, dass das als überlang gerügte Verfahren unangemessen lange gedauert hat (vgl beispielhaft Hessisches LSG, Urteil vom 24. August 2022, L 6 SF 11/21 EK AS, zitiert nach juris).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 6, 197a Abs 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach das beklagte Land als unterliegender Beteiligter die Kostenlast trifft.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu, da über den vorliegenden Einzelfall hinaus klärungsbedürftig und -fähig erscheint, ob die Erhebung einer auf die bloße Feststellung der Überlänge eines Gerichtsverfahrens beschränkten Entschädigungsklage nach § 198 GVG zulässig ist oder nicht.
Der Senat geht von einem Streitwert in Höhe von lediglich einem Drittel der Geldentschädigungssumme aus, die der Kläger vorliegend hätte beanspruchen können, wenn er in den Instanzen des Ausgangsverfahrens eine wirksame Verzögerungsrüge im Sinne des § 198 Abs 3 GVG erhoben hätte. Diese Summe hätte sich – als Regelentschädigung – gemäß § 198 Abs 2 Satz 3 GVG auf 2.800,00 EUR belaufen. In Anwendung des nach §§ 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG), § 201 Abs 4 GVG eröffneten Ermessens geht der Senat – in Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG, Urteil vom 15. Dezember 2015, B 10 ÜG 1/15 R, zitiert nach juris, s dort Rn 21) – davon aus, dass das Interesse des Entschädigungsklägers an dem bloßen Ausspruch einer Überlänge des Ausgangsverfahrens weniger schwer wiegt als das Interesse an einer Geldentschädigung für jeden Monat der Überlänge. Dieses geringere Interesse drückt sich nach Ansicht des Senats in der Zugrundelegung eines Drittels der Geldentschädigung einigermaßen zutreffend aus.