Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.10.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Festlegung des nationalen Rechts der sozialen Sicherheit, dem der Kläger unterliegt.
Der jedenfalls bis zum 13.10.2019 mit Hauptsitz in Deutschland (J.) wohnhafte, am 00.00.0000 in F./Polen geborene Kläger (deutscher Staatsbürger) ist seit dem 08.08.2011 als Berufskraftfahrer bei der Spedition C. S.A. mit Sitz in M., B., beschäftigt. Es handelt sich um eine international tätige Spedition mit 18 LKWs und 23 Fahrern. Der Kläger ist als LKW-Fahrer mit dem Transport von Abfällen und sonstigem Schüttgut in Deutschland, B., Belgien und Frankreich befasst.
Die Sozialversicherungsbeiträge wurden durch die Fa. C. nach Maßgabe der B. Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit an den dortigen Träger, das E. (im Folgenden „E.“), abgeführt.
Im Februar 2015 fand eine Außenprüfung durch das E. bei der Fa. C. statt. Bei dieser Prüfung gaben die bei der Prüfung angetroffenen Ansprechpartner, Herr S. und Herr C., auf Nachfrage der Mitarbeiter des E. an, dass ein Großteil der Fahrer in Deutschland wohne und 80% der Transporte von oder nach Deutschland erfolgten. Auf Grundlage der Prüfung kam das E. ausweislich des Prüfberichts vom 02.03.2015 zu dem Ergebnis, dass die Fahrer der Fa. C. ihre Tätigkeit in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten der EU ausübten. Für die in Deutschland wohnansässigen Fahrer müsse daher eine Festlegung der anwendbaren Rechtsvorschriften durch die zuständige Behörde des jeweiligen Wohnmitgliedstaats erfolgen. Die betreffenden Vorgänge, zu denen auch derjenige des Klägers zählte, wurden sodann zuständigkeitshalber an die Beklagte weitergeleitet. Das E. beendete die Mitgliedschaft des Klägers zur B. Sozialversicherung zum 28.02.2015.
Die Beklagte forderte die Fa. C. zur Auskunft über das Beschäftigungsverhältnis des Klägers auf. Am 30.03.2015 ging bei der Beklagten das ausgefüllte und mit der Unterschrift des Klägers und mit Stempel und Unterschrift der Fa. C. versehene Formular „Arbeitgeberin im Ausland“ ein. Darin finden sich folgende Angaben zur gewöhnlichen Arbeitszeit und zum Beschäftigungsort des Klägers: „In Deutschland arbeite ich gewöhnlich an 6 Tagen im Monat. Gemessen an der Arbeitszeit/an meinem Arbeitsentgelt werde ich in den nächsten 12 Monaten voraussichtlich einen Anteil von mehr als 25% meiner Beschäftigung in Deutschland ausüben“. Soweit er seine Beschäftigung gewöhnlich außerhalb Deutschlands in mindestens zwei (weiteren) Mitgliedstaaten ausübe, verteile sich die Arbeitszeit dabei erfahrungsgemäß wie folgt:
- Frankreich: 0,5 Tage pro Monat
- Belgien: 4,5 Tage pro Monat
- B.: 10 Tage pro Monat.
Nachdem die Beklagte gegenüber dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 06.05.2015 die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit festlegte und dabei irrtümlich davon ausging, dass sich der Sitz der Arbeitgeberin in Deutschland befand, legte sie sodann mit Bescheid vom 09.06.2015 wiederum die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gegenüber dem Kläger fest. Der vormalige Bescheid samt Ausstellung der Bescheinigung A1 sei als gegenstandslos zu betrachten, da die Festlegung nicht den gesamten Sachverhalt berücksichtigt und auf einer fehlerhaften Begründung beruht habe. Weiterhin führte die Beklagte aus, dass der Kläger seine Beschäftigung gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedsstaaten ausübe, jedoch mehr als einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit im Wohnstaat Deutschland. Daher seien auf die gesamte Tätigkeit die deutschen Vorschriften über die soziale Sicherheit anzuwenden. Diese Festlegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit beruhe auf den Angaben des Klägers zu seiner Beschäftigung. Dieser unterliege somit seit dem 08.08.2011 bis zum 07.08.2020 der Sozialversicherungspflicht in allen Leistungsbereichen dem deutschen Recht. Zugleich stellte die Beklagte für die Tätigkeit des Klägers eine A1-Bescheinigung aus.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 10.02.2016 und führte aus, die Angaben im Fragebogen vom 24.03.2015 seien unzutreffend. Er übe keinen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit in Deutschland aus, jedenfalls nicht dergestalt, dass er mehr als 25% in Deutschland tätig sei. Er habe das Formular auch nicht unterschrieben. Seine angebliche Unterschrift auf dem Fragebogen sei gefälscht worden. Nach seinen Berechnungen habe er im Jahr 2016 unter 10 %, im Jahr 2015 12,9%, in 2014 11,6% und in 2013 13,3% seiner Arbeitszeit in Deutschland erbracht. Die von der Beklagten als Arbeitszeit einbezogenen Tätigkeiten der Be- und Entladungen seien nicht repräsentativ und der von ihr hierfür herangezogene „Praktische Leitfaden der Europäischen Kommission zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union, dem Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz“ rechtlich nicht bindend und inhaltlich falsch. Auf Grund der Festlegung des deutschen Sozialversicherungsrechts sehe er sich aktuell einem Rückforderungsverlangen des B. Sozialversicherungsträgers hinsichtlich des ihm gezahlten Kindergeldes in Höhe von ca. 16.000,00 Euro ausgesetzt.
Zum Nachweis des Umstands, dass er keinen wesentlichen Teil der Beschäftigung in Deutschland verrichte, reichte der Kläger sodann ein Konvolut von Unterlagen aus den Jahren 2011 bis 2016 bei der Beklagten ein. Dabei handelte es sich um
- Spesenabrechnungen mit nach Tagen geordneten Angaben zu Ladungs- und Entladungsort, tägliche Arbeitszeit nach Stunden, gefahrene Kilometer und Übernachtungskosten
- wöchentliche Leistungsnachweise mit nach Tagen geordneten Angaben zu Beginn und Ende der Arbeitszeit, Be- und Entladestellen, Ladungsart, gefahrene Kilometer, Anzahl der Arbeitsstunden und Übernachtungskosten
- Tagesprotokolle (digitale Fahrerkarte) mit Angaben zu Ruhezeiten, Lenkzeiten, Bereitschaftszeiten und Arbeitszeiten (ohne Ortsangaben).
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a VO (EG) Nr. 883/2004 unterliege eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten beschäftigt sei, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Beschäftigung ausübe. Zur Feststellung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Wohnstaat ausgeübt werde, seien als Kriterien gemäß Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt in Betracht zu ziehen. Werde bei einer Gesamtbewertung festgestellt, dass eine Person mindestens 25 % ihrer Arbeitszeit im Wohnmitgliedstaat leiste und/oder mindestens 25 % des Arbeitsentgelts der Person im Wohnmitgliedstaat bezogen werde, gelte dies als Indikator, dass ein wesentlicher Teil aller Tätigkeiten der betreffenden Person in diesem Wohnmitgliedstaat ausgeübt werde. Eine Bewertung der Arbeitszeit im internationalen Verkehrswesen, z.B. bei Fernfahrern, sei häufig problematisch. Wenn – wie im vorliegenden Fall – keine genauen Angaben zu den im Wohnsitzstaat geleisteten Arbeitsstunden vorlägen, könne nach Maßgabe des Leitfadens der Europäischen Kommission zum anwendbaren Recht in der EU die Tätigkeit in verschiedene Bestandteile bzw. Vorgänge aufgegliedert werden, um anhand derer den Prozentsatz der Arbeitsschritte im Wohnmitgliedstaat zu ermitteln. Im Straßenverkehr seien diese Vorgänge das Laden und Entladen der Fracht. Eine stichprobenartige Untersuchung einzelner Tage aus jedem Quartal zwischen 2011 und 2016 anhand der vorgelegten Unterlagen habe ergeben, dass 74,8% der Be- und Entladungen in Deutschland getätigt worden seien. Auch habe der Prozentsatz von Be- und Entladungen in Deutschland in keinem der analysierten Monate unter 50 % gelegen. Danach sei belegt worden, dass der Kläger einen wesentlichen Teil von mindestens 25 % seiner Tätigkeit im Deutschland ausübe. Diese Bewertung sei vom E. bestätigt worden. Dagegen entspreche die vom Kläger übermittelte Auswertung nicht der im Praktischen Leitfaden beschriebenen Vorgehensweise, da diese Auswertung nur volle Arbeitstage berücksichtige. Die Arbeitszeit sei aber anhand der einzelnen Arbeitsschritte auszuwerten, da dies die adäquateste Art sei, mit den Besonderheiten des internationalen Verkehrswesens umzugehen.
Mit seiner am 27.04.2017 beim Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Festlegung der Beklagten gewandt. Er übe weniger als 25 % seiner Tätigkeit in Deutschland aus. Der von der Beklagten bei der Auswertung der Unterlagen im Widerspruchsverfahren herangezogene Praktische Leitfaden sei nicht rechtsverbindlich und auch sachlich falsch, soweit er auf das Be- und Entladen der Fracht als Kriterium für die Ausübung des wesentlichen Teils der Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat abstelle. Es sei nicht auf den Anteil von Be- und Entladungen in Deutschland abzustellen, denn diese Arbeitsschritte seien kein geeignetes Kriterium für die Bemessung des Tätigkeitsanteils in Deutschland. Das Be- und Entladen gehöre nicht zu seinen arbeitsvertraglichen Aufgaben, er sei Fernfahrer und kein Lagerist. Für die Ermittlung seiner Arbeitszeit sei vielmehr auf die vollen Tage in Deutschland abzustellen, also auf diejenigen Tage, an denen er 24 Stunden in Deutschland verbracht habe. Diese seien anhand der Spesenabrechnungen eindeutig ermittelbar. Die Anzahl an vollen Arbeitstagen in Deutschland habe zwischen 2011 und 2016 durchschnittlich zwischen 2,9 Tagen im Monat (2016) und 4,3 Tagen im Monat (2013) betragen. Gerechnet auf 21 Arbeitstage pro Monat ergebe sich danach ein Anteil an der Arbeitszeit von 10 bis 13% in Deutschland. Dies sei folglich kein wesentlicher Teil der Tätigkeit. Im Übrigen sei der Anteil an Be- und Entladungen auch deswegen nicht aussagekräftig, weil er typischerweise zwar viele Be- und Entladungen in Deutschland vornehme, die Be- und Entladeorte aber – aus Frankreich, Belgien oder B. kommend – direkt hinter der Grenze lägen, während die Be- und Entladeorte in den anderen Mitgliedstaaten deutlich weiter im Inland lägen. Dadurch entfalle lediglich ein geringer Anteil der Fahrtzeiten auf Deutschland und ein größerer Anteil auf die übrigen Mitgliedstaaten. Auch sei das Verhältnis der beiden Kriterien Arbeitszeit und Arbeitsentgelt nach der hier anwendbaren EU-VO unklar. Er beziehe sein Arbeitsentgelt zu 100 % in B.. Gemessen daran werde kein wesentlicher Teil der Beschäftigung in Deutschland ausgeübt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.04.2017 zu verurteilen, die Anwendung der B. Rechtsvorschriften durch Bescheid festzulegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die angefochtenen Bescheide verwiesen und ergänzend vorgetragen, dass die vom Kläger vorgelegte Ermittlung des Anteils der Tätigkeit in Deutschland anhand der vollen Arbeitstage nicht tragfähig sei. Die Betrachtung von Gesamtarbeitstagen lasse eine Vielzahl von Einzelstunden unberücksichtigt und verfälsche das Gesamtbild erheblich. Möglichkeiten zur genauen Ermittlung der Arbeitszeiten in den einzelnen Mitgliedstaaten seien jedoch nicht gegeben. Insbesondere ließen sich diese nicht anhand der vom Kläger vorgelegten Unterlagen ermitteln. Es sei nicht möglich, anhand der Be- und Entladeorte sowie der Fahrtzeiten und Fahrtdistanzen genau festzustellen, wann im Einzelfall der Grenzübertritt erfolgt sei und welcher Zeitanteil auf den jeweiligen Mitgliedstaat entfalle. Denn hierfür seien zu viele Faktoren unbekannt, beispielsweise die jeweilige Fahrtroute, die Auswirkungen von Verkehrsverzögerungen, die jeweilige Länge von Be- und Entladungszeiten, Ruhe- bzw. Standzeiten etc. Daher sei die Auswertung der Nachweise korrekterweise unter Einbeziehung des Praktischen Leitfadens der Europäischen Kommission zum anwendbaren Recht erfolgt, nach der der Betrachtungsschwerpunkt in solchen Fällen auf dem Laden und Entladen der Fracht in den verschiedenen Mitgliedsstaaten liegen solle.
Mit Urteil vom 07.10.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten über die Festlegung des deutschen Rechts als dasjenige Recht der sozialen Sicherheit, welchem der Kläger unterliege, sei sowohl formell als auch materiell rechtmäßig ergangen. Die Beklagte sei als Träger des Wohnorts im Sinne des Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 zuständiger Träger für die Festlegung des anwendbaren Rechts. Die Entscheidung stehe auch im Einklang mit den Vorschriften des europäischen Koordinierungsrechts. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 13.11.2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 16.11.2020 eingelegten Berufung. Das Sozialgericht habe bei der Auslegung des maßgeblichen europäischen Rechts, insbesondere Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009, die Kriterien Arbeitszeit und/oder Arbeitsentgelt unzulässig miteinander vermengt, indem es darauf abgestellt habe, wo das Entgelt erwirtschaftet worden sei und damit entgegen Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung doch nur auf die Arbeitszeit abgestellt. Die Verordnung interpretiere das Arbeitsentgelt hingegen danach, wo es erzielt, nicht erwirtschaftet werde (Hinweis auf Art. 13 Abs. 5 VO [EG] Nr. 883/2004). Erzielt werde das Arbeitsentgelt entsprechend den nationalen Regelungen (§§ 269, 270 BGB) jedoch am Vertragsort, nicht hingegen an den Orten der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers. Auch soweit das Sozialgericht das Be- und Entladen als Teil seiner Tätigkeit gesehen habe, widerspreche er dem ausdrücklich. Es handele sich um Pausen und Ruhezeiten und nicht um Arbeitszeit. Diese sei im Sinne der Lenkzeiten gesetzlich festgeschrieben und werde gerade durch Pausen und Ruhezeiten unterbrochen, so dass eine Vermischung der Begrifflichkeiten rechtlich unzulässig sei. Da Zweifel an der Auslegung des Art. 13 Abs. 1 lit. a VO (EG) 883/2004 i.V.m. Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009 bestünden, werde die Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV begehrt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.10.2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.04.2017 zu verurteilen, die Anwendung der B. Rechtsvorschriften durch Bescheid festzulegen,
hilfsweise den Rechtsstreit auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof die Rechtsfragen folgende Fragen vorzulegen:
1. Nach welchen Kriterien bestimmt sich das Kriterium des wesentlichen Teils der Tätigkeit gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. a VO (EG) 883/2004 in Gestalt des Begriffs der Arbeitszeit gemäß Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009 bei der beruflichen Tätigkeit eines Berufskraftfahrers, der beruflich in Deutschland, Frankreich, B. und Belgien tätig ist und bei einer B. Firma angestellt ist und dort sein Gehalt bezieht?
2. Sind die Kriterien des Be- und Entladens des praktischen Leitfadens zum anwendbaren Recht der Europäischen Kommission, verabschiedet durch die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, geeignete Kriterien für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers?
3. Welche Gewichtung erfahren die Kriterien der Arbeitszeit und des Arbeitsentgeltes unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009, die diese beiden Kriterien in einer „und/oder“-Beziehung setzt?
4. Kommt es bei dem Auslegungskriterium des Arbeitsentgeltes darauf an, in welchem Land es geleistet wird oder in welchen Ländern es durch die berufliche Tätigkeit erwirtschaftet wird?
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Argumentation des Klägers zu Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009, dass es darauf ankomme, in welchem Mitgliedstaat er das Arbeitsentgelt erzielt, nicht aber wo er es erwirtschaftet habe, erschließe sich nicht. In diesem Falle wäre das Kriterium „Arbeitsentgelt“ gleichbedeutend mit dem Sitz des Unternehmens. Dies könne aber nicht überzeugen, anderenfalls hätte der europäische Verordnungsgeber nicht die Kriterien „Arbeitszeit und/oder Arbeitsentgelt“, sondern „Arbeitszeit und/oder Sitz des Unternehmens“ gewählt. Da er jedoch das Kriterium „Sitz des Unternehmens“ kenne, habe er diese Variante bewusst nicht gewählt. Im Übrigen sei das Abstellen auf den Sitz des Unternehmens auch nicht sachdienlich, denn damit könne die Arbeitgeberin durch die Wahl ihres Unternehmenssitzes indirekt Einfluss darauf nehmen, welchen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit welches Mitgliedstaats ihre Arbeitnehmer unterlägen. Insofern könne nur maßgeblich der Ort sein, an dem das Arbeitsentgelt erwirtschaftet werde. Soweit in einem Fall wie dem Vorliegenden weder ermittelt werden könne, wie lange eine Person in den einzelnen Mitgliedstaaten tätig gewesen sei noch welcher Entgeltanteil auf die Erwerbstätigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten entfalle, könne dahinstehen, ob die beiden Kriterien Arbeitszeit und Arbeitsentgelt kumulativ oder alternativ vorliegen müssten. Es bedürfe stattdessen eines Rückgriffs auf ein anderes Orientierungskriterium, das ermittelbar sei. Ein solches sei die Anzahl der Be- und Entladungen in einem Mitgliedstaat, welches geeignet sei, festzustellen, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt werde. Entgegen der Ansicht des Klägers werde nicht auf fremde Tätigkeiten oder Arbeitszeiten eines Lagerarbeiters abgestellt, sondern auf die Anfahrten bzw. Abfahrten von Be- und Entladeorten. Da die An- bzw. Abfahrt zwingende Voraussetzung für das Be- bzw. Entladen sei, lasse sich aus den Be- und Entladeorten zweifelsfrei schließen, dass der Berufskraftfahrer in den Mitgliedstaaten der Be- und Entladeorte einen Lastkraftwagen geführt, mithin seine Erwerbstätigkeit verrichtet haben müsse. Bei der Berechnung des Prozentsatzes stelle die Beklagte gerade nicht auf die Arbeitszeit ab, da diese zu rekonstruieren nicht möglich sei. Stattdessen werde anhand der Häufigkeit der Einsätze in den einzelnen Mitgliedstaaten eine Verteilung der Erwerbstätigkeit vorgenommen. Auf die Be- und Entladezeiten komme es deshalb nicht an. Auch sei die Berücksichtigung der Ausführungen im Praktischen Leitfaden durch das Sozialgericht rechtmäßig erfolgt.
Der Senat hat bei der Arbeitgeberin des Klägers angefragt, ob für den Zeitraum 2011 bis 2016 noch GPS-Daten zu den Fahrten des Klägers existieren. Mit Schreiben vom 07.11.2023 hat die Fa. C. erklärt, dass es keine GPS-Daten für den o.a. Zeitraum gebe, da diese Daten in dieser Zeit noch nicht digital erfasst worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere statthafte und auch fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 09.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seine Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Geltung der deutschen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit bei dem Kläger ab dem 08.08.2011 festgelegt.
I. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2017, mit dem sie die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland für alle Zweige der sozialen Sicherheit ab dem 08.08.2011 festgelegt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), da er die abweichende Festlegung der B. Rechtsvorschriften begehrt. Da die „Festlegung“ durch den Träger des Wohnortes nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 ein „Mehr“ gegenüber einer bloßen Feststellung bedeutet, weil sich die anzuwendenden Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaates nach dem zu Grunde liegenden materiellen Gemeinschaftsrecht (Art. 11, 13 VO [EG] 883/2004, Art. 14 VO (EG) Nr. 987/2009) nicht „von selbst“ heraus ergeben, sondern vom mehreren „Orientierungskriterien“ im Rahmen einer „Gesamtbewertung“ (s. Art. 14 Abs. 8 VO [EG] 987/2009) abhängig sind, hat die Festlegung durch den zuständigen Träger des Wohnortes insoweit rechtsgestaltende Wirkung.
II. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die Beklagte für die Festlegung der Rechtsvorschriften im Rahmen der Kollisionsregeln des sekundären Gemeinschaftsrechts sachlich zuständig. Die Festlegung des anzuwendenden Rechts in Fällen der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten basiert auf Art. 13 VO (EG) 883/2004, dessen Durchführung Art. 16 VO (EG) 987/2009 regelt. Nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 teilt eine Person, die in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eine Tätigkeit ausübt, dies dem von der zuständigen Behörde ihres Wohnmitgliedstaats bezeichneten Träger mit. Zuständige Behörde nach Art. 1 lit. m VO (EG) 883/2004 ist in Deutschland gemäß § 2 des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa vom 22.06.2011 (BGBl. I, S. 1202) das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Das BMAS hat den beklagten GKV-Spitzenverband, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland (DVKA) als zuständige Stelle für die Festlegung des anzuwendenden Rechts nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 i.V.m. § 219a Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 SGB V in Fällen der gewöhnlichen Erwerbstätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten bestimmt, wenn die betreffende Person ihren Wohnort in Deutschland hat (GMBl. Nr. 1/2011, Nr. 1, S. 11; hierzu auch S. Klein, in: jurisPK-SGB V, § 219a Rn. 47). Hier hatte der Kläger bei Einleitung des Verwaltungsverfahrens seinen Wohnsitz in Deutschland (J.).
Die Beklagte war, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, zur Einleitung des Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Festlegung der Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit auch dann befugt, falls der Kläger den am 30.03.2015 bei der Beklagten eingegangenen Fragebogen nicht ausgefüllt und mit seiner Originalunterschrift versehen haben sollte, so dass es an einer Mitteilung der Person nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 gefehlt hätte. Denn nach Art. 16 Abs. 6 VO (EG) 987/2009 erfolgt bei Fehlen einer Mitteilung nach Abs. 1 die Anwendung dieses Artikels auf Initiative des Trägers, der von der zuständigen Behörde des Wohnmitgliedstaates bezeichnet wurde, sobald er – möglicherweise durch einen anderen betroffenen Träger – über die Situation der Personen unterrichtet wurde. Dies war durch die Kenntnis der Beklagten über die Prüfung der Arbeitgeberin des Klägers seitens des B. Trägers (E.) im Februar/März 2015 und die Aufforderung seitens der Beklagten an die Fa. C., zum Beschäftigungsverhältnis mit dem Kläger Auskunft zu geben, der Fall. Auch wurden jedenfalls im Widerspruchsverfahren die erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen unabhängig von den (angeblichen) Angaben des Klägers im Fragebogen durchgeführt, wie sich auch aus der Begründung im Widerspruchsbescheid vom 13.04.2017 ergibt. Die Beklagte hat die durch den E. übermittelten Leistungsnachweise beigezogen sowie die vom Kläger im Widerspruchsverfahren selbst eingereichten Leistungsnachweise, Fahrtenprotokolle und Spesenabrechnungen ausgewertet. Ferner ist auch eine etwaig erforderliche Anhörung des Klägers (§ 24 Abs. 1 SGB X) im Widerspruchsverfahren nachgeholt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X) worden (s. Schreiben der Beklagten vom 12.07.2016).
III. Die Beklagte hat zu Recht die deutschen Rechtsvorschriften nach Maßgabe des europäischen Koordinationsrechts bei dem Kläger festgelegt. Rechtsgrundlage hierfür sind Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a, Art. 13 Abs. 1 lit. a und lit. b i) VO (EG) 883/2004 („Grundverordnung“) und Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 („Durchführungsverordnung“).
Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a VO (EG) 883/2004 haben den folgenden Wortlaut:
„1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats […]“.
Art. 13 Abs. 1 lit. a und lit. b i) VO (EG) 883/2004 lauten:
„(1) Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt:
a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, oder
b) wenn sie im Wohnmitgliedstaat keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt,
i) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeberin seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie bei einem Unternehmen bzw. einem Arbeitgeberin beschäftigt ist, […].“
Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 lautet:
„(8) Bei der Anwendung von Artikel 13 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung bedeutet die Ausübung „eines wesentlichen Teils der Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit“ in einem Mitgliedstaat, dass der Arbeitnehmer oder Selbständige dort einen quantitativ erheblichen Teil seiner Tätigkeit ausübt, was aber nicht notwendigerweise der größte Teil seiner Tätigkeit sein muss.
Um festzustellen, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, werden folgende Orientierungskriterien herangezogen:
a) |
im Falle einer Beschäftigung die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt […] |
Wird im Rahmen einer Gesamtbewertung bei den genannten Kriterien ein Anteil von weniger als 25 % erreicht, so ist dies ein Anzeichen dafür, dass ein wesentlicher Teil der Tätigkeit nicht in dem entsprechenden Mitgliedstaat ausgeübt wird.“
1. Als deutscher Staatsbürger und damit Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union ist die VO (EG) 883/2004 nach deren Art. 2 Abs. 1 auf den Kläger anwendbar; ebenso ist gemäß Art. 3 Abs. 1 der sachliche Anwendungsbereich eröffnet, da hier die Rechtsvorschriften der dort genannten Zweige der sozialen Sicherheit betroffen sind.
2. Bei der Auslegung und Anwendung der o.a. einschlägigen Kollisionsregelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Ausgangspunkt ist Art. 11 Abs. 1 VO (EG) 883/2004, der den Grundsatz der Einheitlichkeit der anwendbaren Rechtsvorschriften festlegt, wonach Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen. Mit diesem Grundsatz sollen die Komplikationen, die sich aus der gleichzeitigen Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten ergeben können, vermieden und die Ungleichbehandlungen ausgeschlossen werden, die für innerhalb der Union zu- und abwandernde Personen aus einer teilweisen oder vollständigen Kumulierung der anwendbaren Rechtsvorschriften folgen würden (EuGH, Urteil vom 13.07.2017 – C-89/16 – Rn. 35, juris). Weiterhin gilt – vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 der Grundverordnung – das Prinzip, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates unterliegt (Art. 11 Abs. 3 lit. a VO [EG] 883/2004). Maßgeblich ist damit das Land der Beschäftigung, so dass die Bestimmung des anwendbaren Rechts in erster Linie beschäftigungs- bzw. tätigkeitsbezogen ist. Übt die Person – so wie unstreitig der Kläger, der als Berufskraftfahrer regelmäßig Transporte in Deutschland, B., Belgien und Frankreich durchgeführt hat – eine Beschäftigung gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aus, unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Beschäftigung ausübt (Art. 13 Abs. 1 lit. a VO [EG] 883/2004). Dann gilt mithin das Wohnsitzprinzip, im vorliegenden Fall ist dies Deutschland. Erst wenn die Person im Wohnmitgliedstaat keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt, unterliegt sie den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen oder die Arbeitgeberin seinen Sitz hat, sofern sie bei dem Unternehmen bzw. einer Arbeitgeberin beschäftigt ist (Art. 13 Abs. 1 lit. b i) VO [EG] 883/2004), also im hiesigen Verfahren B., weil die Fa. C. dort ihren Sitz hat. Das sog. Sitzlandprinzip kommt nach Wortlaut und Systematik der Grundordnung also nur und erst dann zur Anwendung, wenn der wesentliche Teil der Tätigkeit nicht im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird. Das Wohnsitzprinzip hat somit Vorrang vor dem Sitzlandprinzip (so auch Steinmeyer, in: Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht, 8. Aufl. 2022, Art. 13 VO [EG] 883/2004 Rn. 4). Diese Systematik verkennt der Kläger, soweit er geltend macht, dass das Arbeitsentgelt entsprechend den nationalen Regelungen (§§ 269, 270 BGB) zu 100% am Vertragsort, nicht hingegen an den Orten der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers erzielt werde. Abgesehen davon, dass die nationalen Regelungen des BGB für die Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts nicht leitend sein können, läuft diese Argumentation, wie die Beklagte zu Recht eingewendet hat, darauf hinaus, dass entgegen der dargestellten Systematik letztlich immer der Unternehmenssitz als Leistungsort für die Zahlung des Arbeitsentgelts über die Anwendung der betreffenden Rechtsvorschriften entscheidet. Dies blendet die auf die Beschäftigung, d.h. die eigentliche Erbringung der Arbeitsleistung, bezogene Betrachtungsweise der Grundverordnung zur Bestimmung des maßgeblichen Rechts aus bzw. kehrt sie regelhaft um, indem entscheidend auf den Ort der Erbringung der Gegenleistung, also das Arbeitsentgelt, abgestellt wird. Zwar spielt dieses bei der eigentlichen Bestimmung „des wesentlichen Teils der Beschäftigung“ in einem Mitgliedstaat nach Art. 14 Abs. 8 VO [EG] 987/2009 eine Rolle, jedoch lediglich als „Orientierungskriterium“ und neben der Arbeitszeit entweder kumulativ („und) oder alternativ („oder“). Ebenso ist der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis des Klägers auf Art. 13 Abs. 5 VO [EG] Nr. 883/2004 nicht zielführend. Danach werden die in den Absätzen 1 bis 4 genannten Personen für die Zwecke der nach diesen Bestimmungen ermittelten Rechtsvorschriften so behandelt, als ob sie ihre gesamte Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat ausüben und dort ihre gesamten Einkünfte erzielen würden. Bei dieser Regelung handelt es sich ersichtlich um einen Gleichstellungstatbestand, der einer Benachteiligung von Unionsbürgern bei der Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten entgegenwirken soll (s. auch Steinmeyer, in: Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht, Art. 13 VO [EG] 883/2004 Rn. 24). Sie stellt daher die Rechtsfolge nach Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften dar und sagt nichts über die eigentlichen Kriterien zur Festlegung des jeweiligen Rechts aus. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Abs. 5 („der nach diesen Bestimmungen ermittelten Rechtsvorschriften…“), der von einer bereits erfolgten Festsetzung durch den zuständigen Träger ausgeht. Insoweit gibt die Regelung auch nichts für die Interpretation des Klägers zu Art. 14 Abs. 8 VO [EG] 987/2009 her, soweit in Art. 13 Abs. 5 VO [EG] Nr. 883/2004 von „erzielten“ und nicht „erwirtschafteten“ Einkünften die Rede ist.
3. Von diesen Auslegungs- und Anwendungsprämissen der Grundverordnung ausgehend ist die für die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 VO [EG] Nr. 883/2004 hinsichtlich der auch hier streitentscheidenden Feststellung, ob „ein wesentlicher Teil der Beschäftigung bzw. Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird“ maßgebende Regelung des Art. 14 Abs. 8 VO [EG] 987/2009 („Durchführungsverordnung“) auszulegen. Danach übt ein Arbeitnehmer in seinem Wohnstaat einen wesentlichen Teil seiner Beschäftigung aus, wenn er dort zu einem quantitativ erheblichen, aber nicht notwendigerweise überwiegenden Teil tätig ist (Art. 14 Abs. 8 Satz 1). Als „Orientierungskriterien“ werden im Falle einer Beschäftigung „die Arbeitszeit und/oder das Arbeitsentgelt“ zur Feststellung des wesentlichen Teils der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat herangezogen. Im Rahmen einer Gesamtbewertung wird sodann die Vermutung („Anzeichen“) aufgestellt, dass ein wesentlicher Teil der Tätigkeit nicht in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, wenn in diesem weniger als 25 % der Arbeitszeit geleistet bzw. weniger als 25 % des Arbeitsentgelts erzielt wird (Abs. 8 Satz 2). Da nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Regelung das Verhältnis von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt sowohl kumulativ als auch alternativ aufgeführt wird, reicht es für die Bejahung der Ausübung eines wesentlichen Teils der Beschäftigung aus, wenn mindestens 25% der Arbeitszeit oder des Arbeitsentgelts auf die Tätigkeit in dem betreffenden Staat entfallen (so auch Schweikardt, in: jurisPK-SGB I, Art. 13 VO [EG] 883/2004, Rn. 22). Da die Formulierung „und/oder“ – mit dem Schrägstrich versehen – beide Bindewörter bzw. Konjunktionen gleichberechtigt verwendet, ist das 25 %-Kriterium bereits bei Vorliegen nur eines Merkmals erfüllt. Eine andere Sichtweise würde das Wort „oder“ schlicht derogieren und daher im Kontext der Regelung erkennbar keinen Sinn ergeben. Umgekehrt führt die (kumulative) Anwendung beider Merkmale (Arbeitszeit „und“ das Arbeitsentgelt) bei Feststellung eines Anteils von je 25 % oder mehr erst recht dazu, dass das 25 %-Kriterium hinsichtlich der Tätigkeit im betreffenden Staat erfüllt ist.
Dagegen ist die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung nicht nur mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 14 Abs. 8 VO [EG] 987/2009 unvereinbar, sondern auch in binnensystematischer und teleologischer Hinsicht. Denn das Arbeitsentgelt kann – auch für die vorzunehmende Gesamtbewertung (Abs. 8 Satz 3) – in keiner Weise ausschlaggebend sein, wenn der Arbeitnehmer – so wie hier – nur bei einer Arbeitgeberin beschäftigt ist und er von dieser eine Gesamtvergütung erhält, welche er ohne jede Differenzierung nach dem jeweiligen Einsatzort erzielt. Stellt man – so wie der Kläger – auf den Erfüllungsort des Arbeitsentgelts ab, würde dies dazu führen, dass hiermit der Sitz des Unternehmens bzw. Arbeitgebers für die Bestimmung des betreffenden Mitgliedsstaates ausschlaggebend wäre, wenn der Arbeitnehmer nur einem Arbeitgeber untersteht. Genau dies würde aber der dargestellten Systematik der Grund- und Durchführungsverordnung (Vorrang des Wohnsitzprinzips bei Tätigkeiten des Beschäftigten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten und die Subsidiarität des Unternehmenssitzes) erkennbar zuwiderlaufen (auf das „Erwirtschaften“ eines Anteils von 25% der Vergütung in solchen Konstellationen abstellend Schweikardt, in: jurisPK-SGB I, Art. 13 VO [EG] 883/2004, Rn. 23).
4. Die Beklagte hat auch zu Recht bei der Bestimmung der quantitativ maßgeblichen Arbeitszeit des Klägers im Rahmen seiner Tätigkeit als Berufskraftfahrer von mindestens 25 % in Deutschland auf die Kriterien des „Praktischen Leitfadens der Europäischen Kommission zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union, im Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz“ aus Dezember 2013 abgestellt. Wie der EuGH bereits entschieden hat, kommt diesem von der Verwaltungskommission (s. Art. 72 VO [EG] 883/2004) für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ausgearbeitete und gebilligte „Praktische Leitfaden“ zwar keine verpflichtende, den Gerichtshof oder die nationalen Gerichte bindende Rechtswirkung zu; er ist jedoch ein „zweckdienliches Instrument für die Auslegung der Verordnung Nr. 883/2004“ (EuGH, Urteil vom 08.05.2019 – C-631/17 – Rn. 41, juris). Auch hat sich der EuGH für die Bestimmung des Zwecks einer Regelung in der VO (EG) 883/2004 explizit auf diesen „Praktischen Leitfaden“ bezogen (s. EuGH, Urteil vom 06.06.2019 – C-33/18 – Rn. 46, juris).
a) Der „Praktische Leitfaden“ führt unter Teil II Nr. 4 (S. 32 f.) unter „Wesentliche Tätigkeit und Arbeitnehmer im internationalen Verkehrswesen“ das Folgende aus:
„Bei der Beurteilung des „wesentlichen Teils der Erwerbstätigkeit“ für diese Arbeitnehmergruppe wird davon ausgegangen, dass die Arbeitszeit das geeignetste Kriterium für eine Entscheidung ist. Zugleich wird jedoch berücksichtigt, dass die Aufteilung der Tätigkeit auf zwei oder mehr Mitgliedstaaten bei Arbeitnehmern im Verkehrswesen möglicherweise nicht immer ganz so einfach ist wie bei „normalen“ grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen. Daher kann eine genauere Untersuchung der Arbeitsverträge erforderlich sein, um die anwendbaren Rechtsvorschriften in jenen Fällen zu ermitteln, in denen die Arbeitszeit im Wohnmitgliedstaat nur schwer eingeschätzt werden kann.
Manche Arbeitnehmer im Verkehrsgewerbe haben feste Arbeitsbedingungen, Fahrstrecken und geplante Fahrzeiten. Wer um eine Entscheidung über die anwendbaren Rechtsvorschriften ersucht, muss daher geeignete Nachweise (z. B. durch Vorlage von Einsatzplänen oder Fahrplänen oder andere Informationen) erbringen, anhand derer die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach der im Wohnmitgliedstaat und in anderen Mitgliedstaaten geleisteten Arbeitszeit aufgeteilt werden kann.
Liegen keine Angaben zu den im Wohnmitgliedstaat geleisteten Arbeitsstunden vor oder ist aus den Gesamtumständen nicht klar ersichtlich, dass ein wesentlicher Teil der Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird, kann ein anderes Verfahren als die Ermittlung der Arbeitszeiten für die Feststellung herangezogen werden, ob ein wesentlicher Teil der Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird oder nicht. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, die Tätigkeit in verschiedene Bestandteile bzw. Vorgänge aufzugliedern und den Umfang der Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat anhand der Anzahl der dort stattfindenden Arbeitsabschnitte, prozentual gemessen an der Gesamtanzahl der Arbeitsabschnitte in einem bestimmten Zeitraum, zu beurteilen (wie in Punkt 3 umrissen, sollte die Beurteilung so weit wie möglich auf der Grundlage der Arbeitsbedingungen eines Zeitraumes von zwölf Monaten erfolgen).
Im Straßenverkehr sollte der Betrachtungsschwerpunkt auf dem Laden und Entladen der Fracht und auf den verschiedenen Mitgliedstaaten, in denen dies erfolgt, liegen. Dies wird im nachstehenden Beispiel verdeutlicht.
Beispiele:
Ein Fernfahrer wohnt in Deutschland und ist bei einem niederländischen Verkehrsunternehmen angestellt. Der Arbeitnehmer übt seine Erwerbstätigkeit überwiegend in den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Österreich aus. Über einen bestimmten Zeitraum, z. B. eine Woche, belädt er den Lkw fünf Mal und lädt ihn fünf Mal ab. Insgesamt umfasst dieser Zeitraum also zehn Arbeitsabschnitte (fünf Beladungen, fünf Entladungen). Während dieses Zeitraums lädt und entlädt er einmal in Deutschland, seinem Wohnmitgliedstaat. Dies entspricht zwei Arbeitsabschnitten, also 20 % des Gesamtumfangs, was darauf hinweist, dass er in seinem Wohnmitgliedstaat keinen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübt. Daher gelten die Rechtsvorschriften der Niederlande, da sich der Sitz des Arbeitgebers in diesem Mitgliedstaat befindet.
Aufgrund des breiten Spektrums von Arbeitsverträgen, die in dieser Branche gelten können, wäre es unmöglich, ein für sämtliche Sachverhalte geeignetes Beurteilungssystem vorzuschlagen. Bei der Beurteilung des wesentlichen Teils einer Tätigkeit ist in den Verordnungen ausdrücklich eine Beurteilung der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts vorgesehen. Allerdings ist in den Verordnungen festgelegt, dass diese als Indikatoren im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse einer bestimmten Person herangezogen werden. Daher können die bezeichneten Träger, die für die Bestimmung der anwendbaren Rechtsvorschriften zuständig sind, andere als die in den Verordnungen und in diesem Leitfaden umrissenen Maßnahmen ergreifen, welche sie für den jeweiligen Sachverhalt, den sie zu regeln haben, für geeigneter halten.“
Diese auf die Eigenheiten des grenzüberschreitenden Frachtverkehrs auf der Straße bezogenen Auslegungshilfen sind mit dem hier anzuwendenden sekundären Kollisionsrecht vereinbar und zur Konkretisierung des Merkmals der „wesentlichen Tätigkeit“ der Beschäftigung im (Wohn-)Mitgliedsstaat nach Art. 14 Abs. 8 Satz 2 und 3 VO (EG) 987/2009 geeignet, weil es den spezifischen Eigenheiten des grenzüberschreitenden Güterverkehrs mit Lastkraftwagen gerecht wird. Dies gilt zumindest unter der im „Praktischen Leitfaden“ selbst aufgestellten Prämisse, dass keine Angaben zu den im Wohnmitgliedstaat geleisteten Arbeitsstunden vorliegen oder aus den Gesamtumständen nicht klar ersichtlich ist, dass ein wesentlicher Teil der Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird. In einem solchen Fall ist es adäquat, den Schwerpunkt der Betrachtung auf die zur Bestimmung des Anteils der Tätigkeit im Wohnmitgliedsstaat getätigten Vorgänge des Beladens und Entladens der Fracht zu legen, weil diesen im Hinblick auf die hierzu notwendigen Fahrten bzw. Abfahrten zu den jeweiligen Orten ein repräsentativer Charakter für den Anteil der hiermit verbundenen Arbeitszeit im Wohnmitgliedstaat zukommt. Auch ist dieses Hilfskriterium im Hinblick auf die praktische Handhabbarkeit und die vom EuGH immer wieder betonte Sicherstellung einer einheitlichen und effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts bei der Auslegung der betreffenden Normen angemessen und rechtskonform. Es geht im Übrigen auch mit der Verpflichtung des bezeichneten Trägers des Wohnortes konform, die Festlegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit gemäß Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 „unverzüglich“ vorzunehmen. Dies kann nur gelingen, wenn die hierzu erforderlichen Feststellungen bezogen auf die „Orientierungskriterien“ des Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009 rechtssicher handhabbar sind. Im Übrigen sind anderweitige Kriterien, die den im praktischen Leitfaden genannten Gesichtspunkten zumindest ebenbürtig und damit zur Bestimmung der maßgeblichen Arbeitszeit gleichermaßen geeignet wären, nicht ersichtlich.
b) Im vorliegenden Fall liegen keine Angaben zu den im Wohnmitgliedstaat „bereichsscharf“ geleisteten Arbeitsstunden des Klägers oder Kenntnisse der genauen Fahrtrouten vor, auch wenn – hierzu sogleich – aus den in den Leistungsnachweisen und Spesenabrechnungen angegebenen Orten des Be- und Entladens für die Jahre 2011 bis 2016 ein eindeutiges Muster dafür zu erkennen ist, dass der Kläger in nahezu allen Monaten dieser Jahre mehr als 25% seiner Fahrten im Wohnmitgliedstaat Deutschland absolviert hat. Auch die aktenkundigen Tagesprotokolle (digitale Fahrerkarten) enthalten lediglich die einzelnen Lenk-, Pausen- und Ruhezeiten des Klägers pro Tag, nicht aber genaue Ortsangaben. Soweit der Kläger eine mangelnde Sachaufklärung durch die Beklagte und das Sozialgericht gerügt und Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens „angeboten“ hat, damit noch die genauen Fahrtrouten ermittelt werden können, beispielsweise durch einen Gutachter der IHK, ist dies ein Beweisangebot „ins Blaue hinein“, welches bereits auf eine unmögliche, jedenfalls aber ungeeignete Beweiserhebung gerichtet ist. Eine solche Beweiserhebung wäre nur dann möglich, wenn entweder noch die CMR-Frachtbriefe, Fahrtenbücher oder GPS-Daten von den einzelnen genauen Fahrtrouten des Klägers existierten. Dies ist nach Aktenlage nicht der Fall. So hat die Fa. C. gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 06.06.2016 erklärt, dass man CMR-Frachtbriefe nicht bei einem nationalen Transport brauche und Fahrtenbücher nicht geführt würden. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einlassungen der Arbeitgeberin des Klägers nicht den Tatsachen entsprechen, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Kläger nicht geltend gemacht. Hinsichtlich des Vorhandenseins von GPS-Daten hat die Fa. C. auf ausdrückliche Anfrage des Senats mit Schreiben vom 07.11.2023 erklärt, dass es keine GPS-Daten für den Zeitraum 2011 bis 2016 gebe, da diese Daten in dieser Zeit noch nicht digital erfasst worden seien. Auch diesbezüglich hat der Senat am Wahrheitsgehalt dieser Einlassung keine Zweifel und sind solche auch nicht durch den Kläger erhoben worden. Damit ist auf die aus den aktenkundigen Leistungsnachweisen und Spesenabrechnungen ersichtlichen Anfahr- und Abfahrorte der Be- und Entladepunkte abzustellen, die auch bestimmte Routen vorgezeichnet haben. Denn soweit der Kläger diese Be- und Entladeorte etwa in Deutschland angefahren hat, muss er, auf welchen Wegen auch immer, zwangsläufig auch die Routen durch Deutschland zu diesen Zielen genommen haben. Insbesondere ist es bei den weit von der deutsch-belgischen bzw. deutsch-B. Grenze entfernt gelegenen Orten in Deutschland, die der Kläger nach den vorliegenden Leistungsnachweisen bzw. Spesenabrechnungen regelmäßig zum Be- und Entladen angefahren hat (z.B. Q., X., O., H., Y., K., G., N., P., Dortmund, R., Z., L., V. und I.) völlig lebensfremd anzunehmen, dass er – auch ausgehend vom Beginn einer Route im belgischen bzw. B. Grenzgebiet – eine Route gewählt haben könnte, die zu einem größeren Teil über ausländisches Gebiet geführt hat. Das wäre völlig unwirtschaftlich und von der Arbeitgeberin sicherlich nicht toleriert worden. Nach alledem ist im vorliegenden Fall ein Abstellen auf die in den Leistungsnachweisen und Spesenabrechnungen angegebenen Orte der Be- und Entladung zur Feststellung des wesentlichen Teils der Fahrertätigkeit im Wohnmitgliedstaat nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009 sowie den als Auslegungshilfe dienenden „Praktischen Leitfaden“ zulässig und geboten.
c) Die gegen das Abstellen auf Be- und Entladevorgänge während der Fahrten erhobenen Einwände des Klägers überzeugen nicht. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob es sich hierbei (isoliert betrachtet) um Arbeitszeit eines Berufskraftfahrers gehandelt hat. Denn bei dem Weg von und zur jeweiligen Be- bzw. Entladestelle handelt es sich in jedem Fall um Lenk- und damit Arbeitszeiten des Klägers, die für die vorzunehmende Gesamtbewertung, ob er mindestens 25% seiner Arbeitszeit im Wohnmitgliedstaat verbracht hat, repräsentativen Charakter haben. Im Übrigen handelt es sich unter Beachtung von Art. 3 lit. a Nr. 1 ii) der Richtlinie 2002/15/EG vom 11.03.2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. L 80/35) (s. auch § 21a ArbZG) bei den Zeiten des Be- und Entladens durch den Fahrer sowie der aktiven Überwachung von Lade- und Entladevorgängen um Arbeitszeit des Fahrpersonals. Dies gilt nur nicht für Zeiten des Wartens auf Be- oder Entladung an den Laderampen (s. Didier, NZA 2007, 120, 121). Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, dass bei seinen Fahrten nur „volle“ Arbeitstage in Deutschland zu berücksichtigen seien. Damit würden sämtliche grenzüberschreitenden Fahrten, die ihren Ausgangs- oder Endpunkt in Deutschland genommen haben, unberücksichtigt bleiben, was einen großen Teil der in Deutschland von dem Kläger absolvierten Fahrten und damit Arbeitszeiten, wie sie in den Leistungsnachweisen und Spesenabrechnungen sichtbar sind, negieren würde. Dies würde wiederum das realistische Bild und damit die Wirklichkeit seiner Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat Deutschland verzerren und selbst solche Fahrten und damit Arbeitszeiten unberücksichtigt lassen, die bis zum Grenzübertritt größtenteils in Deutschland stattgefunden haben. Gerade diese Fahrten haben bei genauerer Betrachtung der Be- und Entladepunkte einen wesentlichen Anteil der Tätigkeit ausgemacht (s. sogleich unter 5.). Auch wäre die Auffassung des Klägers nicht mit den auf eine „Gesamtbewertung“ abstellenden Vorgaben des Art. 14 Abs. 8 VO (EG) 987/2009 vereinbar, die auch auf das Ausmaß der Bindung der betreffenden Person zum Wohnmitgliedstaat gerichtet ist, der sich in der Anzahl der in diesem Mitgliedstaat absolvierten Arbeitszeiten widerspiegelt. Damit sind auch die eigenen Aufstellungen der aus Sicht des Klägers berücksichtigungsfähigen Fahrten mit seinen niedrigen Zeitanteilen im Jahr 2016 unter 10 %, im Jahr 2015 12,9%, in 2014 11,6% und in 2013 13,3% in Deutschland verbrachter Arbeitszeit im Monat nicht geeignet, auf den Anteil der im Wohnsitzstaat geleisteten Arbeitszeit gemessen am Gesamtanteil der Tätigkeit des Klägers in zwei oder mehr Mitgliedstaaten zu schließen.
5. Unter Berücksichtigung der aktenkundigen Leistungsnachweise und Spesenabrechnungen ergibt sich das eindeutige Gesamtbild, dass der Kläger weit mehr als 25 % seiner mit der Arbeitszeit gleichzusetzenden Fahrten im Straßengütertransport in Deutschland und damit seinem (damaligen) Wohnmitgliedstaat durchgeführt hat. Soweit die Beklagte eine stichprobenartige Analyse der Be- und Entladungen des Klägers zwischen 2011 und 2016 durchgeführt hat und hierbei auf Anteile der in Deutschland gelegenen Be- und Entladeorte von 53,8% (September 2014) bis 94,9 % (April 2012) gekommen ist, ist dies nach eigener Prüfung der Unterlagen durch den erkennenden Senat nicht nur rechnerisch zutreffend, sondern insbesondere repräsentativ für den Gesamtzeitraum. Auch die seitens des Senats durchgeführten Prüfungen der anderen Monate haben ergeben, dass der Anteil der in Deutschland durchgeführten Be- und Entladungen nie unter 25 % gelegen hat. Da mit den Orten der Be- und Entladungen durchaus auch auf die jeweiligen Routen des Klägers geschlossen werden können (s.o.), ergibt sich hieraus ein Gesamtbild bzw. Muster, das ein deutliches Übergewicht der in Deutschland durchgeführten Fahrten im Vergleich zu den Fahrten nach und von Orten in Belgien, B. und Frankreich ergibt.
So hat fast jede Fahrt des Klägers deutsche Ortschaften als mindestens einen, regelmäßig aber mehrere Be- oder Entladepunkt(e) umfasst oder er hat rein innerdeutsche Fahrten absolviert (wie etwa vom 03.06.-07.06.2013, 03.09.-07.09.2012, 21.05.-25.05.2012, 03.06-07.06.2013). „Reine“ Auslandsfahrten des Klägers in Belgien, Frankreich oder B. kommen dagegen fast gar nicht vor oder waren verschwindend gering. Soweit Be- und Entladepunkte im Ausland lagen, führte die überwältigende Mehrzahl der Fahrten stets zu Orten von und nach Deutschland. Auch soweit der Verwalter der Fa. C., Herr S., gegenüber den Prüfern der E. am 27.02.2015 ausgeführt hat, dass 80 % der Transporte nach und von Deutschland gehen und 40 % davon ausschließlich in Deutschland durchgeführt würden, spiegelt sich dies in den Leistungsnachweisen und Spesenabrechnungen des Klägers wider.
Dagegen ist die Behauptung des Klägers im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht am 07.10.2020, dass er zwar einen sehr großen Anteil der Be- und Entladungen in Deutschland vornehme, aber den „Großteil der Zeit bzw. die meisten Kilometer in anderen Mitgliedstaaten zurücklege“, was daran liege, dass die Hauptentladestelle in Deutschland (er hat beispielhaft UX. genannt) relativ kurz von der Grenze entfernt sei, ausweislich der Leistungsnachweise und Spesenabrechnungen in keiner Weise nachvollziehbar. Denn der Kläger hat im gesamten streitigen Zeitraum regelmäßig nicht nur grenznahe Orte in Deutschland wie Losheim, Trier oder Kyllburg angefahren, sondern tief im deutschen Binnenland liegende Ortschaften wie z.B. Q., X., O., U., H., CX., Y., K., OC., G., N., EU., VR., YI., NF., P., Ü., T., W., A., R., Z., PR., MK., L., GL., V. und I.. Die in ganz Nordrhein-Westfalen (einschließlich des von der Grenze zu Belgien und B. weit entfernten Hochsauerlandkreises) sowie in Hessen, Rheinland-Pfalz und sogar Niedersachsen liegenden Ortschaften bzw. Be- und Entladepunkte hat er nach den aktenkundigen Unterlagen regelmäßig angefahren, gehörten also zu den typischen Zielen der Gütertransporte und waren somit nicht bloße „Ausreißer“. Da die deutschen Orte, die der Kläger regelmäßig angesteuert hat, zu einem großen Teil gerade nicht im grenznahen Raum lagen (im Übrigen anders als die Ortschaften in Belgien, B. und Frankreich, hierzu sogleich), hat der Kläger die weit überwiegende Mehrzahl seiner Touren und damit einen Großteil seiner Arbeitszeit auf deutschem Hoheitsgebiet absolviert, jedenfalls mehr als 25 %.
Dies zeigt sich schließlich auch an den ausländischen Be- bzw. Entladeorten, die der Kläger angefahren hat und deren Fahrten in ihrer übergroßen Mehrzahl von und nach Deutschland führten. Diese lagen größtenteils in Vielsam, Thimister-Clermont, Amel, Abay, Lanaken und Büllingen (alles Belgien) sowie Bettemburg (B.) und Charleville-Mézières (Nord-Frankreich). Bei einem Blick auf die Landkarte ist als allgemein bekannte Tatsache festzustellen, dass es sich bei diesen in Belgien, B. und in Nord-Frankreich gelegenen Ortschaften um grenznahe Gebiete zu Deutschland handelt. Damit verliefen die Touren des Klägers von oder nach diesen Orten von oder nach Deutschland, soweit sie sich nicht auf bloße Transporte knapp hinter der Grenze wie UX. beschränkt haben, aber größtenteils auf deutschem Hoheitsgebiet. Denn die deutschen Be- und Entladeorte waren in ihrer übergroßen Mehrzahl, wie gesehen, gerade keine grenznahen Orte.
6. Bei Gesamtwürdigung der aktenkundigen Unterlagen kann somit die Feststellung der Beklagten bestätigt werden, dass der Kläger seine grenzübergreifenden Tätigkeiten seit 2011 zu mehr als 25 % in seinem (damaligen) Wohnsitzstaat Deutschland ausgeführt hat und damit den deutschen Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit unterlag. Besondere Umstände, die ein von der Regel des Art. 14 Abs. 8 Satz 3 VO (EG) 987/2009 abweichendes Ergebnis rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
7. Die Beklagte hat im angegriffenen Bescheid auch rechtmäßig das anzuwendende Versicherungsstatut rückwirkend auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung des Klägers bei der Fa. C. ab dem 08.08.2011 festgelegt. Auch wenn dem einschlägigen Art. 16 VO (EG) 987/2009 hierüber nichts zu entnehmen ist, spricht für eine rückwirkende Regelung, dass die Anwendung der jeweiligen Rechtsvorschriften möglichst lückenlos erfolgen soll, um keinen Schwebezustand auch für die Zeit vor der Festlegungsentscheidung hinsichtlich der anzuwendenden Rechtsvorschriften eintreten zu lassen. Auch spricht hierfür die Möglichkeit einer Ausnahmevereinbarung für einzelne Personen nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 in Abweichung von den Kollisionsnormen der Art. 11 bis 15, die auch mit Rückwirkung abgeschlossen werden kann, um etwa eine Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses zu vermeiden (s. Schweikardt, in: jurisPK-SGB I, Art. 16 VO [EG] 883/2004 Rn. 7 m.w.N.).
IV. Der Senat sieht keine Veranlassung für eine Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 2 AEUV. Dieser entscheidet im Wege der Vorabentscheidung u.a. über die Auslegung der Verträge. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Ungeachtet dessen, dass das LSG als hier nicht letztinstanzliches Gericht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV hat, ist eine solche Vorlage für den Erlass des Urteils nicht erforderlich. Denn die Rechtslage ist unter Anwendung und Auslegung des einschlägigen materiellen Unionsrechts von vornherein eindeutig oder durch die Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt (vgl. zu diesen Ausnahmen von der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV BVerfG, Beschluss vom 08.11.2023 – 2 BvR 1079/20 – Rn. 68, juris; BVerfGE 129, 78, 107). Die hier streitentscheidenden Art. 13 Abs. 1 lit. a und lit. b i) VO (EG) 883/2004 und Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 werfen nach den Ausführungen des Senats gerade keine Zweifel an deren Auslegung auf (Vorlagefragen 1, 3 und 4). Soweit der Kläger derartige Zweifel an der Auslegung geäußert hat, beruhen diese, wie ausgeführt, angesichts des Wortlauts und der Binnensystematik der hier maßgeblichen Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts auf einer nicht mehr vertretbaren Rechtsauffassung. Zur Vorlagefrage 2 – Praktischer Leitfaden – hat sich der EuGH zu dessen Rechtsnatur (keine Bindungswirkung, aber Auslegungshilfe für die VO [EG] 883/2004) bereits geäußert (s. EuGH, Urteil vom 08.05.2019 – C-631/17 – Rn. 41, juris). Da sich das Hilfskriterium des Be- und Entladens, wie ebenfalls ausgeführt, in die Auslegung der einschlägigen Normen der Grund- und Durchführungsverordnung friktionsfrei einfügt, besteht auch insoweit kein Erfordernis für eine Vorlage an den EuGH.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
VI. Der Senat lässt die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu.