Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 26.08.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II, in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung).
Der am 00.00.0000 geborene Kläger stand beim Beklagten im SGB-II-Bezug. Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 28.05.2019 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.06.2019 Leistungen für den Zeitraum von Juni 2019 bis Mai 2020 in Höhe von monatlich 842 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 08.08.2019 wurden die Ansprüche für den Zeitraum ab dem 01.09.2019 neu festgesetzt. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 23.11.2019 wurden die Leistungen ab dem Januar 2020 in Höhe von monatlich 828 Euro neu festgesetzt.
Zum 21.02.2020 nahm der Kläger bei der L. GmbH eine abhängige Beschäftigung auf. Laut Arbeitsvertrag vom 18.02.2020 war das Anstellungsverhältnis bis zum 20.02.2021 befristet. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte etwa 30 Stunden und der Bruttoverdienst zunächst 1.350 Euro und ab dem 21.08.2020 1.387,50 Euro betragen.
Nachdem der Kläger eine Kopie des Arbeitsvertrages am 02.03.2020 an den Beklagten versendet hatte, hob dieser mit Bescheid vom 09.03.2020 die Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 01.04.2020 auf. Zur Begründung führte er aus, dass die Hilfebedürftigkeit des Klägers entfallen sei, nachdem er eine Beschäftigung aufgenommen habe.
Mit Bescheid vom 09.03.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.09.2020. Für den Zeitraum von April bis Juli 2020 bewilligte er dabei jeweils 88 Euro monatlich und für den Zeitraum von August bis September 2020 jeweils 65 Euro monatlich. Der Kläger erziele Einkommen in noch ungeklärter Höhe. Bis zur abschließenden Klärung der Höhe dieser Einkünfte würden die Leistungen vorläufig bewilligt.
Der Kläger kündigte sein Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 17.06.2020 fristlos gegenüber seiner Arbeitgeberin und beantragte am 13.08.2020 beim Beklagten erneut Leistungen nach dem SGB II.
In einem Schreiben vom 12.10.2020 erklärte der Kläger, dass er gegen den Bewilligungsbescheid vom 09.03.2020 Widerspruch einlege. Diesen habe er erst am 10.10.2020 als Zweitschrift erhalten. Er habe nach der Aufhebung der Leistungen zum 01.04.2020 keinen neuen Antrag gestellt, sondern erst wieder am 13.08.2020. Er könne daher zwischen Arbeitsaufnahme und dem 13.08.2020 nicht im SGB-II-Bezug gestanden haben.
Mit Bescheid vom 20.10.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.10.2020 bis 30.09.2021 in Höhe von 828 monatlich. Dagegen legte der Kläger ebenfalls Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 21.10.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger abschließend Leistungen für den Zeitraum von April bis September 2020. Für April wurden dabei 39,45 Euro, für Mai 2020 54,24 Euro, für den Juni 0 Euro und für den Zeitraum von Juli bis September 2020 jeweils 828 Euro monatlich bewilligt. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass über den endgültigen Leistungsanspruch habe entschieden werden können, nachdem die Einkommensbescheinigungen für April bis Juni 2020 vorgelegt worden seien. Der Kläger erhielt infolge der abschließenden Festsetzung eine Nachzahlung in Höhe von 2.095,69 Euro.
Am 07.11.2020 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 21.10.2020 Widerspruch ein. Dieser Bescheid sei ohne seinen Antrag ergangen und daher nichtig, weil er an einem besonders schweren Fehler leide.
Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2020 als unzulässig zurück, weil der angefochtene Bescheid vom 21.10.2020 gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens betreffend den Bescheid vom 09.03.2020 geworden sei.
In einem zweiten Widerspruchsbescheid vom 17.11.2020 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.03.2020 in der Gestalt des Bescheides vom 21.10.2020 als unbegründet zurück. Der Widerspruch sei fristgerecht eingegangen, weil der Zugang des Bescheids vom 09.03.2020 beim Kläger nicht nachgewiesen werden könne. Der Widerspruch sei jedoch sachlich nicht begründet. Der Anspruch des Klägers sei unter Anrechnung des Einkommens von April bis Juni 2020 zutreffend ermittelt worden.
In einem dritten Widerspruchsbescheid vom 17.11.2020 wies der Beklagte auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2020 als unbegründet zurück.
Mit einem am 03.05.2021 beim Sozialgericht Dortmund (SG) eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger, dass er gegen die Bescheide vom 09.03.2020, 20.10.2020, 21.10.2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 17.11.2020 Klage erhebe, ersatzweise einen Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) stelle. Er mache eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung in den Widerspruchsbescheiden geltend, so dass die Klagefrist ein Jahr ab Bekanntgabe betrage. Das SG wies die Klage durch Urteil vom 10.10.2022 ab (Az.: S 37 AS 1651/21). Die Klage sei unzulässig, weil die Klagefrist nicht gewahrt worden sei. Die Rechtsbehelfsbelehrungen der Widerspruchsbescheide seien allesamt nicht unrichtig gewesen. Ein Rechtsmittel erhob der Kläger dagegen nicht.
Am 12.05.2022 hat der Kläger beim SG die Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide vom 09.03.2020 und 21.10.2020 beantragt. Dem Verwaltungsakt vom 09.03.2020 liege kein Antrag zugrunde.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
festzustellen, dass die Bescheide vom 09.03.2020 und 21.10.2020 nichtig sind.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte war der Auffassung, die Feststellungsklage sei gegenüber der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage subsidiär. Im Übrigen fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage sei daher unzulässig.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26.08.2022 abgewiesen. Die Feststellungsklage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Feststellungsklage sei gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen nachrangig. Der Kläger hätte sich hier gegen die Bescheide vom 09.03.2020 und 21.10.2020 mit der Anfechtungsklage wehren können. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, dass die Feststellungsklage rechtsschutzintensiver als die Anfechtungsklage wäre.
Gegen den ihm am 07.09.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14.09.2022 Berufung eingelegt, ohne diese – trotz mehrfacher Erinnerung durch den Senat – zu begründen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.09.2023 ist für den Kläger niemand erschienen. Der Kläger ist per Postzustellungsurkunde vom 31.08.2023 von der Terminierung benachrichtigt und darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden könne.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 26.08.2022 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid vom 21.10.2020 nichtig ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat das Verfahren auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen (Beschluss vom 13.03.2023).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§ 63 Abs. 1 und 2 SGG) auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und nach Lage der Akten entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 S. 2, 126 SGG). Gründe für eine Vertagung der Verhandlung liegen nicht vor und wurden nicht geltend gemacht.
Über die Berufung des Klägers kann der Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Es liegt ein Fall des § 105 Abs. 2 S. 1 SGG vor, weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Der Senat hat die Übertragung – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen. Es handelt sich um ein tatsächlich und rechtlich einfach gelagertes Verfahren, das keine Fragen aufwirft, die einer Mitwirkung der vollen Richterbank des Senats (vgl. § 33 Abs. 1 S. 1 SGG) bedürfen.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
A. Die Eingabe des Klägers vom 14.09.2022 ist nach dem Meistbegünstigungsprinzip (vgl. BSG Urteil vom 26.08.2008, B 8/9b SO 18/07 R, Rn. 22, juris) als Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 26.08.2022 auszulegen, mit welcher er die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 21.10.2020 begehrt. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 2 S. 2 und 3 SGG ist nicht statthaft, weil gegen den Gerichtsbescheid vom 26.08.2022 die Berufung gegeben ist (siehe dazu sogleich).
B. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Grundsätzlich ist die Klageart für die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands ohne Bedeutung (BSG Beschlüsse vom 24.08.2017, B 4 AS 223/17 B, Rn. 3, juris; und vom 10.10.2017, B 12 KR 3/16 R, Rn. 15, juris), so dass die Berufungsbeschränkung nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG auch für die Feststellungsklage gilt. Das Feststellungsbegehren des Klägers ist jedoch nicht in Geld bezifferbar, weil es ihm gerade nicht um einen bestimmten Leistungsbetrag oder die Festsetzung höherer abschließender Leistungen geht. Jedenfalls hat der Kläger ein solches Begehren – auch auf ausdrückliche Nachfrage des Senats – nicht dargetan. Deswegen kommt es auf die Grenze des Beschwerdegegenstandes nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG nicht an und ist die Berufung ohne Zulassung statthaft (§ 143 SGG). Würde man das Begehren des Klägers dahin auslegen, dass er sich gegen jedwede Bewilligung im Zeitraum von April bis Juli 2020 wendet, wäre ein Betrag von 921,69 Euro betroffen und die Berufung damit ebenfalls ohne Zulassung statthaft.
C. Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgelehnt. Die Klage ist sowohl nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (dazu I.) als auch § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG (dazu II.) unzulässig. Sie wäre als Nichtigkeitsfeststellungsklage auch unbegründet (dazu III.)
I. Mit der Klage kann nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Unter einem Rechtsverhältnis versteht man die Rechtsbeziehungen zwischen Personen oder zwischen Personen und Gegenständen, die sich aus einem Sachverhalt aufgrund einer Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BSG Urteil vom 09.02.1995, 7 RAr 78/93, Rn. 26, juris; BVerwG Urteile vom 25.03.2009, 8 C 1/09, Rn. 15 m.w.N., juris; und vom 31.08.2011, 8 C 8/10, Rn. 14, juris). Die vom Kläger allein geltend gemachte Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist aber kein Rechtsverhältnis i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 55, Rn. 14; Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 55 SGG <Stand: 15.06.2022>, Rn. 52), sodass der Kläger insoweit auf die Sonderregelung des § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG zu verweisen ist. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kein Unterfall der Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (so: Scholz in BeckOGK, SGG, Stand: 01.08.2023, § 55, Rn. 46), da ansonsten für die Sonderregelung nach Nr. 4 weder Raum noch Bedarf bestehen würde. Doch selbst, wenn man dies anders sähe, stünde der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG der Grundsatz entgegen, dass Gestaltungs- und Leistungsklagen vorrangig sind. Diese Rangfolge der Klagearten ist zwar im Gegensatz zu anderen Verfahrensordnungen (§ 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>, § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung <FGO>) im SGG nicht ausdrücklich geregelt, indes gleichwohl anerkannt (BSG Urteile vom 09.10.1984, 12 RK 18/83, Rn. 14, juris; vom 28.03.2013, B 4 AS 42/12 R, Rn. 12, juris; und vom 15.06.2016, B 4 AS 36/15 R, Rn. 13, juris). Der Nachrang der Feststellungsklage dient vor allem der Vermeidung überflüssiger Klagen, da das Feststellungsurteil nicht vollstreckbar ist und andere Klagearten unter Umständen einen effektiveren Rechtsschutz bewirken (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 55, Rn. 19). So liegt der Fall hier. Der Kläger war hier auf die (rechtsschutzintensivere) Anfechtungsklage zu verweisen. Soweit diese Klage erhoben und durch Urteil des SG vom 10.10.2022 rechtskräftig abgewiesen wurde, kann der Vorrang der Gestaltungsklage nicht durch die nachträgliche Zulässigkeit einer Feststellungsklage umgangen werden.
II. Die Feststellungsklage ist auch nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG zulässig. Danach kann mit der Klage die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden. Es mangelt insoweit an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Ist – wie hier – eine Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden (vgl. BSG Urteile vom 09.10.1984, 12 RK 18/83, Rn. 14, juris; und vom 01.09.2005, B 3 KR 3/04 R, Rn. 16, juris). Zwar kann die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG neben einer Anfechtungsklage erhoben werden. Dies soll Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich daraus ergeben, dass die Frage, ob ein Verwaltungsakt nur anfechtbar oder sogar nichtig ist, im Einzelfall nur schwer zu beantworten ist und möglicherweise in den Instanzen unterschiedlich beurteilt wird (BSG Urteil vom 23.02.1989, 11/7 RAr 103/87, Rn. 16, juris). Es muss dann aber – über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus – noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG bestehen (BSG Urteil vom 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R, Rn. 24, juris). Ein solches zusätzliches berechtigtes Interesse, etwa wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen oder des Rechtsscheins eines unwirksamen Verwaltungsaktes (BSG a.a.O., Rn. 25, juris), ist hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kläger hat sich wiederholt nur dagegen gewandt, dass die Leistungsbewilligung zwischen dem 01.04.2020 und seinem Neuantrag vom 13.08.2020 wegen seines fehlenden Antrags nicht habe erfolgen dürfen. Allerdings hat der Beklagte im abschließenden Festsetzungsbescheid vom 21.10.2020 für diesen Zeitraum keine Erstattung oder – gegenüber dem Bescheid vom 09.03.2020 – eine geringere Leistungshöhe festgesetzt, sondern höhere abschließende Leistungen bewilligt. Insofern ist eine Beschwer weder ersichtlich noch hat der Kläger dargetan, dass die ausschließlich begünstigende Regelung für ihn in anderen rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Zusammenhängen von Nachteil war. Ein berechtigtes Interesse an der Nichtigkeitsfeststellung ist folglich nicht ersichtlich.
III. Dessen ungeachtet wäre die Feststellungsklage auch unbegründet, weil in dem abschließenden Festsetzungsbescheid vom 21.10.2020, der den vorläufigen und nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigten Bewilligungsbescheid vom 09.03.2020 ersetzt hat (vgl. dazu BSG Urteile vom 10.05.2011, B 4 AS 139/10 R, Rn. 13, juris; vom 05.07.2017, B 14 AS 36/16 R, Rn. 15, juris; und vom 29.11.2022, B 4 AS 64/21 R, Rn. 11, juris) kein nichtiger Verwaltungsakt liegt. Ein Verwaltungsakt ist nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 40 Abs. 1 SGB X). Darüber hinaus enthält § 40 Abs. 2 SGB X weitere Nichtigkeitstatbestände und § 40 Abs. 3 SGB X weist demgegenüber einen Negativkatalog von Fehlergründen auf. Vorliegend ist weder ein Fall des Negativkatalogs des § 40 Abs. 3 SGB X noch ein Tatbestand der absoluten Nichtigkeitsgründe des § 40 Abs. 2 SGB X gegeben.
Eine Nichtigkeit kommt auch nicht nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 SGB X in Betracht. Ein besonders schwerwiegender Fehler im Sinne dieser Norm ist nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Verwaltungsakt gegen materielles Recht oder Verfahrensrecht verstößt, sondern erst dann, wenn ein Fehler deshalb mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar sein kann, weil er schlechterdings nicht möglich ist oder weil er tragenden Verfassungsprinzipien oder den der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen widerspricht; hinzukommen muss darüber hinaus die „Offensichtlichkeit“ (vgl. Bayerisches LSG Urteil vom 05.08.2004, L 14 RA 191/02, Rn. 30, juris). Das ist hier nicht der Fall.
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob der Beklagte zu Unrecht ohne Antrag über den Leistungszeitraum von Juni bis Juli 2020 entschieden hat (für den Zeitraum bis Mai 2020 kann auf den Antrag vom 28.05.2019 abgestellt werden; für den Zeitraum ab August 2020 auf den Antrag vom 13.08.2020, vgl. § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II). Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen nach dem SGB II nur auf Antrag erbracht, sodass eine Entscheidung über die Leistungsgewährung von Amts wegen unzulässig ist (vgl. BSG Urteil vom 30.07.2008, B 14-7b AS 12/07 R, Rn. 20, juris; König in BeckOK SozR, SGB II, 69. Edition: 01.06.2023, § 37, Rn. 1). Dies gilt auch für Weiterbewilligungsanträge nach Ablauf eines Streitzeitraums (BSG Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R, Rn. 15 ff., juris; König a.a.O., Rn. 11). Allerdings sind die durch das Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 27.03.2020 (BGBl. I, 575 – Sozialschutz-Paket) mit Wirkung zum 28.03.2020 in § 67 SGB II eingeführten Sonderregelungen zu beachten. Für Leistungen nach dem SGB II, deren Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 31.03.2020 bis vor dem 31.08.2020 endete, war für deren Weiterbewilligung abweichend von § 37 SGB II kein erneuter Antrag erforderlich (§ 67 Abs. 5 S. 1 SGB II in der Fassung vom 28.03.2020 bis 31.12.2020, a.F.). Der zuletzt gestellte Antrag galt insoweit gemäß § 67 Abs. 5 S. 2 SGB II a.F. einmalig für einen weiteren Bewilligungszeitraum fort. Diese Sonderregelungen wurden zwar – wie erwähnt – erst zum 28.03.2020 ins Gesetz aufgenommen und der maßgebliche Änderungsbescheid erging bereits am 09.03.2020, also vor dem Inkrafttreten der Sondervorschrift. Allerdings hat sich dieser Bescheid durch die abschließende Bewilligung im Bescheid vom 21.10.2020 nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Der insoweit allein maßgebliche Bescheid vom 21.10.2020 ist nach Inkrafttreten des § 67 Abs. 5 S. 1 und 2 SGB II a.F. erlassen worden, sodass Einiges dafür spricht, dass der Beklagte die Leistungen ohne Antrag bewilligen durfte. Diese Rechtsfrage und die weitere Frage, ob der Beklagte abschließend zu Gunsten des Klägers durch Bescheid vom 21.10.2020 entscheiden durfte, obwohl § 67 Abs. 4 S. 2 SGB II a.F. eine abschließende Entscheidung nur nach Antrag des Leistungsempfängers vorsah, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung, weil eine Nichtigkeit auch bei einer unzulässigen antragslosen Bewilligung nicht anzunehmen ist.
Die Nichtigkeit von Bescheiden war nach der früheren Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG Urteile vom 30.06.1960, 4 RJ 75/59, Rn. 25, juris; vom 15.09.1978, 11 RA 36/77, Rn. 12, juris; und vom 15.10.1981, 5b/5 RJ 90/80, Rn. 17, juris) regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Verwaltungsakt ohne den erforderlichen Antrag erlassen wurde. In Anbetracht der jetzigen, anders lautenden Regelung in § 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X ist diese Rechtsprechung überholt (BSG Urteil vom 21.06.1995, 6 RKa 54/94, Rn. 18, juris; BSG Beschluss vom 26.11.2015, B 12 KR 118/14 B, Rn. 9, beck online; Sächsisches LSG Urteil vom 08.10.2014, L 1 KR 85/11, Rn. 46, juris; Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 41, Rn. 10; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 2023, § 41 Rn. 13; Steinwedel BeckOGK, SGB X, Stand: 01.07.2021, § 40, Rn. 12; Siewert in LPK-SGB X, 6. Auflage 2023, § 40, Rn. 18). Ein für die Durchführung des Verwaltungsverfahrens erforderlicher, aber fehlender Antrag führt nur dann zur Nichtigkeit eines gleichwohl erlassenen Bescheides, wenn der Bescheid unter den konkreten Umständen des Einzelfalles ohne Antrag als schlechterdings unwirksam angesehen werden muss (Sächsisches LSG a.a.O., Rn. 49, juris; Siewert in LPK-SGB X, 6. Auflage 2023, § 40, Rn. 18). Nur dieser Maßstab wird dem Wortlaut des § 40 SGB X gerecht; er ergibt sich als Schlussfolgerung aus den in § 40 Abs. 2 und 3 SGB X aufgeführten Beispielen. Ein solch schwerer Mangel wird in der Regel bei einem fehlenden Antrag nicht vorliegen (Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 2023, § 41 Rn. 13). So liegt es auch hier. Auch ein gesetzloser Verwaltungsakt, für den jegliche materielle Rechtsgrundlage (Ermächtigungs- und Regelungsbefugnis) fehlt, leidet nicht schon an einem zur Nichtigkeit führenden Fehler (BSG Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R, Rn. 29 m.w.N., juris). Deshalb kommen erst recht Verfahrensfehler als besonders schwerwiegende Fehler kaum in Betracht. Nur dann, wenn es offensichtlich an einer Rechtsvorschrift fehlt, die als Rechtsgrundlage eines Verwaltungsakts auch nur in Betracht kommen könnte, ist der Verwaltungsakt nichtig. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Beklagte kann grundsätzlich gemäß § 37 SGB II einen entsprechenden Leistungsbescheid erlassen.
Dessen ungeachtet müssten nach Ansicht des Senats für die Annahme der Nichtigkeit zumindest besondere Umstände im Einzelfall dazu kommen, die hier angesichts der ausschließlich begünstigenden Regelung des Bescheides vom 21.10.2020 und des Fehlens von anderweitigen belastenden Wirkungen für den Kläger nicht ersichtlich sind. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Kläger am 28.05.2019 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt und der Beklagte mit ursprünglichem Bewilligungsbescheid vom 07.06.2019 und Änderungsbescheiden vom 08.08.2019 und 23.11.2019 einen Leistungsanspruch bis Mai 2020 geregelt hatte, sodass es zumindest für den Zeitraum bis Mai 2020 einen Regelungsanlass für den Beklagten gab. Die weitergehende Regelung bis September 2020 erfolgte keineswegs willkürlich, sondern vor dem Hintergrund des perspektivisch geringen Lohns des Klägers und der Tatsache, dass der Kläger auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II angewiesen sein würde.
Ob der Kläger mit seinem Begehren sinngemäß (auch) einen Verzicht auf die Leistungen von April bis Juli 2020 gemäß § 46 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) geltend macht, kann dahinstehen. Der Verzicht ist eine einseitige, gestaltende, empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Rechtserfolg mit ihrem Zugang bei dem Empfänger der Erklärung eintritt (vgl. § 130 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>; vgl. BSG Urteil vom 06.03.2003, B 4 RA 15/02 R, Rn. 18, juris). Dieser führt zum Erlöschen des Anspruchs und ist im Rahmen des § 46 SGB I möglich. Da der Verzicht einen Anspruch voraussetzt, ist kein Verzicht mehr möglich, soweit der Anspruch durch Erfüllung bereits erloschen ist (Hessisches LSG Urteil vom 27.07.1983, L 6 Ar 1296/82, Rn. 23, juris). Dies ist der Fall, wenn dem Leistungsberechtigten die Leistungen – wie hier – ausgezahlt worden sind (Hlava in BeckOGK, SGB II, Stand: 01.08.2023, § 37, Rn. 99).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.