L 3 U 24/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 U 66/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 24/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 13. November 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, das Ereignis vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall anzuerkennen und festzustellen, dass als Unfallfolge eine zwischenzeitlich ausgeheilte posttraumatische Belastungsstörung vorgelegen hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall und insbesondere die Feststellung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

 

Der 1961 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei der D als Meister für Leit- und Sicherungstechnik beschäftigt. Am 21. August 2012 entstörte er am Bahnhof T zusammen mit seinem Kollegen P S eine Weiche, als eine in Richtung H ausfahrende S-Bahn entgleiste. Der Kläger und sein Kollege wurden Zeugen dieses Unfalls, selbst aber körperlich dabei nicht verletzt. Sie konnten sich vor dem entgleisten Zugteil rechtzeig in Sicherheit bringen. Der Kläger ging anschließend durch die entgleisten Waggons, um nachzusehen, ob Personen seine Hilfe benötigten. Einige der Passagiere waren leicht verletzt worden. Nach dem Vorfall blieb der Kläger noch am Unfallort, um seine Zeugenaussage abzugeben. Zur Überbrückung der Wartezeit nahm er mit seinem Vorgesetzten in einer nahe gelegenen Bäckerei einen Imbiss ein. Danach begab er sich nach Hause und nahm anschließend seine Tätigkeit, noch am gleichen Tag um 23.30 Uhr, wieder auf.

 

Der Kläger stellte sich am 24. September 2012 seiner Hausärztin, der Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie Dr. S vor. Dort berichtete er von Schlafstörungen, Nervosität und Albträumen von auf ihn zurasenden Zügen, die nach dem Ereignis begonnen hätten. Sie bescheinigte dem Kläger ab diesem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit, die bis zum 03. Januar 2014 andauerte. Danach wurde er von seinem Arbeitgeber auf Rat des Betriebsarztes nicht mehr im Gefahrenbereich eingesetzt.

 

Am 19. Oktober 2012 meldete sich der Kläger telefonisch aus der Praxis des Facharztes für Chirurgie Dr. F bei der Eisenbahn-Unfallkasse als Rechtsvorgängerin der inzwischen zur Unfallversicherung Bund und Bahn fusionierten Beklagten (im Folgenden nur noch: Beklagte) und gab an, er sei am 21. August 2012 nach einem Blitzschlag gerade dabei gewesen, mit einem Kollegen die Gleise freizuräumen, als er vor einem herannahenden Zug wegrennen musste, um von diesem nicht erfasst zu werden. Zunächst habe er zwar weitergearbeitet, aber inzwischen Probleme mit der Verarbeitung bekommen, u. a. auch Schlafstörungen, und wolle eine Therapie in Anspruch nehmen. Das Ereignis habe er bei seinem Arbeitgeber zunächst nicht als Arbeitsunfall gemeldet, weil ihm das unangenehm gewesen sei und er nicht habe als verrückt dargestellt werden wollen. Am 23. Oktober 2012 ging bei der Beklagten der H-Arztbericht von Dr. F vom 19. Oktober 2012 ein. Danach habe der Kläger angegeben, in der Nähe tätig gewesen zu sein als ein S-Bahn-Waggon entgleiste. Im Rahmen der ersten Hilfe habe er die Erstversorgung als Laienhelfer mitorganisiert und durchgeführt. Seit dieser Zeit leide er unter inneren Unruhezuständen. Dr. F stellte bei dem Kläger eine psychische Dekompensation nach „Fast-S-Bahnunfall" mit Albträumen und Leistungsunfähigkeit im Alltag sowie eine depressive Episode fest und diagnostizierte bei ihm nach F43.1 G des ICD-10 eine PTBS.

 

In der Unfallanzeige vom 24. Oktober 2012 schilderte der Kläger, dass er zusammen mit seinem Kollegen P S am 21. August 2012 am Bahnhof -Tmit der Entstörung und der Gleisfreimeldung beschäftigt gewesen sei, als die in Richtung H ausfahrende S-Bahn entgleiste. Er und sein Kollege hätten dabei aus dem Gleis rennen müssen, um nicht überrollt zu werden.

 

Die Beklagte nahm nun sowohl Ermittlungen zum Unfallgeschehen als auch in medizinischer Hinsicht auf. Sie befragte neben dem Kläger auch den zuständigen Bezirksleiter der DB Netz AG, Herrn R, sowie einen weiteren Mitarbeiter der D, Herrn P. Dieser gab am 22. November 2012 an, das Ereignis sei als solches zwar registriert, das Verhalten sowohl des Klägers als auch seines Arbeitskollegen werde aber kritisch gesehen, zumal beide erst nachträglich davon berichtet hätten. Nach dem Unfall hätten beide „normal" weitergearbeitet und ihre Tätigkeit zu Ende verrichtet; es seien keine Auffälligkeiten bekannt geworden. Der bei dem Unfall ebenfalls anwesende Arbeitskollege S teilte in seinem Schreiben vom 10. November 2012 mit, dass er mit dem Kläger einen Achsenzähler an einer Weiche entstört habe, als dieser ihn mit den Worten „Peter komm!" in Richtung Zaun gezogen habe und sie um ihr Leben gerannt seien. Danach hätten sie gesehen, wie die S-Bahn unter „Rauchen und Rumsen“ auf sie zugekommen sei. Es seien Beton und Steine durch die Luft geflogen. Der von der Beklagten ebenfalls befragte S-Bahn-Fahrer  T hatte zwar ein Rennen, Flüchten oder Weglaufen der ihn zuvor noch grüßenden zwei Arbeiter nicht wahrgenommen, bestätigte aber, dass ihm nach dem Halt des Zuges zwei Männer entgegengekommen seien, die dann geholfen hätten, die Unfallstelle zu sichern.

 

Die Beklagte zog neben einem Lageplan der Betriebsstelle/ des Bahnhofes T auch die von der Bundespolizeidirektion B zum Unfallereignis geführte Ermittlungsakte bei. Darin war der Sachverhalt wie folgt zusammengefasst: „Am 21.08.2012 gegen 11:45 Uhr kam es aus derzeit noch unbekannter Ursache zu einem Bahnbetriebsunfall mit Personen- und Sachschaden. Ein S-Bahnzug (6 Wagen) der Linie S 25, Fahrstrecke T nach H, entgleiste auf der Höhe von Bahnkilometer 11,1. Bei der aus drei Zugvierteln bestehenden S-Bahn entgleisten der 3. und 4. Wagen komplett. Einer der komplett entgleisten Wagen geriet dabei in eine leichte Schräglage. Die zu diesem Zeitpunkt im Zug befindlichen ca. 50 Fahrgäste wurden durch die BFeuerwehr über Leitern evakuiert und zu einem nahe gelegenen Parkplatz geleitet. Von den ca. 50 Fahrgästen wurden sieben Fahrgäste leicht verletzt, wovon vier Fahrgäste ins Krankenhaus gebracht wurden. Durch die Entgleisung wurden der Fahrbahnoberbau und der Weichenbereich stark beschädigt".

 

Die Beklagte holte Auskünfte über die Behandlung bei der Hausärztin des Klägers Dr. S, vom 19. November 2012 ein, danach hatte der Kläger sie wegen des Unfalls erstmals am 24. September 2012 aufgesucht. Er habe von Schlafstörungen, Nervosität und Albträumen von auf ihn zurasenden Zügen berichtet, die nach dem Ereignis begonnen hätten. Er hätte blass und mitgenommen gewirkt.

 

Ausweislich des vom Psychotherapeuten Dipl. Psych. M am 14. Dezember 2012 bei der Beklagten eingegangenen Befundberichtes hatte sich der Kläger dort am 22. November 2012 zum Vorgespräch vorgestellt und über seit dem Ereignis bestehende Ängste, Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Albträume, innere Unruhe und Nervosität sowie Flashbacks bei bestimmten Geräuschen und Erinnerungen berichtet. Das Geräusch von fahrenden Zügen triggere Flashbacks. Dipl. Psych. M stellte die Diagnose PTBS. Nachfolgend befand sich der Kläger in Behandlung bei der Fachärztin für Psychiatrie K Dem Kläger wurde durchgehend eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 03. Januar 2014 attestiert.

 

Aus der von der Krankenversicherung angeforderten Leistungsübersicht ergab sich, dass bereits vom 26. April 2010 bis zum 10. Mai 2010 eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer nicht näher bezeichneten somatoformen Störung bescheinigt worden war. Der Eintrag von Dr. S in der Patientenakte lautete hierzu: „Lebt in Scheidung + Rückenschmerzen werden bei Stress immer schlimmer. Psychosomatisch, will aber nicht Psychologe“.

 

Mit Bescheid vom 21. Februar 2013 stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gegeben sei. Zur Begründung führte sie aus, dass nach dem Ereignis vom 21. August 2012 ein Gesundheitserstschaden im Bereich der Psyche nicht vollbeweislich gesichert werden könne. Mit seinem dagegen mit Schreiben vom 27. Februar 2013, bei der Beklagten eingegangen am 05. März 2013, erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, das Unfallereignis habe bei ihm eine PTBS hervorgerufen. Die Symptome der Schlaflosigkeit, inneren Unruhe und Albträume seien bereits unmittelbar nach dem Ereignis aufgetreten. Er sei weiterhin arbeitsunfähig und die psychotherapeutische Behandlung dauere an.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 zurück. Sie führte aus, dass ungeachtet der Frage, dass die Schilderungen des Klägers von dem Vorfall erheblich von denen des S-Bahn-Führers abwichen, eine unmittelbare psychische Beeinträchtigung im Sinne einer initialen seelischen Reaktion zeitnah zum angeschuldigten Ereignis an keiner Stelle dokumentiert sei. Er habe das Ereignis gegenüber dem Arbeitgeber zunächst nicht als Arbeitsunfall angezeigt und auch keine gesundheitliche Beeinträchtigung durch den Vorfall gemeldet, vielmehr die übliche Tätigkeit weiter und ohne Auffälligkeiten verrichtet. Erst am 22. September 2012 sei zeitgleich mit dem Arbeitskollegen die Krankmeldung beim Arbeitgeber erfolgt. Eine ärztliche Untersuchung habe erstmalig am 24. September 2012 bei der Hausärztin Dr. S und am 19. Oktober 2012 beim H-Arzt stattgefunden, der den Kläger zum Dipl.-Psych. M überwiesen habe.

 

Mit seiner am 27. Juni 2013 beim Sozialgericht Neuruppin (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und geltend gemacht, dass ein Unfallereignis vom 21. August 2012 vorliege, das bei ihm eine PTBS verursacht habe, die noch immer Arbeitsunfähigkeit bedinge. Auch spreche der Zeitraum zwischen dem Unfallereignis und der Erstvorstellung bei der Hausärztin nicht gegen den Zusammenhang; es sei üblich, dass Patienten mit einem solchem Krankheitsbild erst einmal darauf vertrauten, dass sich die Symptomatik mit Zeitablauf von selbst kläre. Ferner habe sich der Kläger zur Hilfeleistung gegenüber den verunfallten Fahrgästen verpflichtet gefühlt und wegen seiner Zeugenaussage noch an der Unfallstelle verbleiben müssen; er habe aber keinerlei Arbeiten mehr am Gleisbett erbracht. Die Wartezeit habe er unterbrochen, um mit dem anwesenden Teamleiter O in einer Bäckerei einen Imbiss zu sich zu nehmen. Er habe den Unfallort um 14.00 Uhr verlassen und sei zum Betriebssitz zurückgekehrt, von dort sei er ca. 14.30 Uhr nach Hause gefahren. Der Aufforderung des Herrn O, der einen Schock bei ihm vernutet habe, sich bei den Rettungssanitätern vorzustellen, sei er nicht nachgekommen. Die Symptome Einschlafstörungen, Albträume und Niedergeschlagenheit hätten auch bereits unmittelbar nach dem Unfallereignis eingesetzt. Er habe sich aber erst am 24. September 2012 krank gemeldet. Es gebe auch zum Hergang keine widersprüchlichen Angaben. Er habe sich zwischen den Weichen 74 und 76 befunden, um den dort befindlichen Achsenzähler der Weiche 74 zu wechseln. Der Kläger hat noch ein Foto von der Unfallstelle nach dem Unfall sowie einen Zeitungsartikel, ebenfalls mit Foto von der Unfallstelle, eingereicht. Er hat weiter vorgetragen, nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit zunächst im Innendienst eingesetzt worden und nicht in der Lage gewesen zu sein, Bereitschaftsdienste zu übernehmen.

 

Nach Hinweis des SG, wonach Klagegegenstand in der ersten Stufe nur die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall sein könne, da die Beklagte über etwaige Entschädigungsleistungen noch keine Entscheidung getroffen habe und es sich bei dem Tenor im Bescheid vom 21. Februar 2013 zu den Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung lediglich um eine so genannte Leerformel handele, hat der Kläger begehrt, die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 das Ereignis vom 21. August 2012 wegen einer unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte hat weiterhin die Auffassung vertreten, ein anerkennungsfähiger Arbeitsunfall liege nicht vor, da insbesondere der zu fordernde Gesundheitserstschaden nicht im Vollbeweis nachgewiesen sei. Auch aus den gutachterlichen Feststellungen lasse sich keine Diagnose auf psychiatrischem Fachgebiet sichern. Sie hat ergänzend auf Widersprüche im Vortrag des Klägers, insbesondere zu psychischen Vorerkrankungen hingewiesen.

 

Das SG hat ergänzend ein Vorerkrankungsverzeichnis bei der Krankenversicherung des Klägers sowie Befundberichte und bildgebende Unterlagen von Dr. S vom 30. Dezember 2014 nebst Bericht der OKliniken über eine dortige Vorstellung in der psychiatrischen Ambulanz vom 11. Oktober 2012 eingeholt. Nach diesem Bericht habe der Kläger deutlich belastet gewirkt und angegeben, seit Anfang September 2012 unter Ein- und Durchschlafstörungen, vegetativer Übererregbarkeit mit Nachtschweiß, Nervosität und Unruhe zu leiden. Er habe Konzentrationsstörungen, fühle sich erschöpft. Die Beschwerden seien mit einiger Latenz zum Zugunglück aufgetreten. In der biografischen Anamnese habe der Kläger berichtet, zwischen 1985 und 1987 im Rahmen seiner Wehrdienstleistung Psychoterror und entfesselten Sadismus bei den Kameraden erfahren zu haben und dass er nach dem Suizid eines Kameraden Reinigungsarbeiten habe durchführen müssen. Es werde eine Indikation zur Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie mit traumatherapeutischer Spezialisierung gesehen. Zudem hat das SG Befundberichte von Dr. K vom 05. Januar 2015und von Dipl.-Psych. M vom 06. Januar 2015, einen Auszug aus der Patientenkartei von Dr. S zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 26. April 2010 und weitere ärztliche Unterlagen von der Deutschen Rentenversicherung  mit einem Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Lvom 13. März 2014 zu einem Antrag des Klägers auf Erwerbsminderungsrente eingeholt. Bei der dortigen Untersuchung hatte der Kläger angegeben, dass er beim Durchsuchen der Waggons, den letzten, der sich in besonderer Schräglage befand, nicht mehr habe betreten können, es sei zu einem Brechreiz gekommen. Trotz entsprechender Aufforderung seines Teamleiters habe er eine ärztliche Behandlung abgelehnt. Er sei nach Hause gefahren und hätte nachts schon wieder den nächsten Einsatz gehabt. Die schon vor dem Unfall bestehenden Durchschlafstörungen hätten nach dem Ereignis zugenommen. Etwa eine Woche danach seien erste Albträume mit Schweißausbrüchen aufgetreten. Darin sei er nicht nur mit dem konkreten Ereignis, sondern auch mit Naturkatastrophen konfrontiert gewesen. Die Albträume träten ca. ein- bis zweimal pro Woche auf. Er sehe darin Unfallsituationen, aber nicht die durchlebten. Die Bilder von dem Ereignis seien auch tagsüber immer wieder hochgekommen. Er reagiere rascher gereizt als früher und sei unkonzentrierter. Der Kläger habe vom Suizid eines Kameraden im Rahmen seiner Wehrdienstleistung berichtet. Danach seien Albträume aufgetreten, die über einige Monate angehalten hätten. Der Kläger habe über Schmerzen in der LWS geklagt, er könne deswegen nicht länger sitzen und wache teilweise nachts auf. Er nehme sportliche Freizeitaktivitäten wahr. Mit dem Verhalten seines Arbeitgebers nach dem Unfall sei er unzufrieden. Als Reaktion auf sein mutiges Verhalten erwarte er mehr Rückhalt vom Arbeitgeber und die Zahlung von Verletztengeld. Dr. L diagnostizierte u. a. eine psychoreaktive Störung bei akzentuierter Primärpersönlichkeit, eine PTBS liege nicht vor.

 

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 28. November 2017 aufgrund einer Untersuchung des Klägers vom 21. Oktober 2017. Bei der Untersuchung schilderte der Kläger, dass er nach Anhalten des Zuges noch die Wagen abgegangen sei, um festzustellen, ob eventuell Personen verletzt seien, was glücklicherweise dann aber nicht der Fall gewesen sei. Allerdings habe er kurz nach dem erstgenannten Vorfall eine Art Kreislaufzusammenbruch gehabt. Bis circa 15.00 Uhr habe er aufgrund etwaig notwendig werdender Befragungen noch vor Ort sein müssen; er sei zunächst zum Friedhof zu seinen Eltern und dann wieder nach Hause gefahren. Die Nacht darauf habe er kaum geschlafen, auch weil er im Rahmen des Bereitschaftsdienstes wiederum nach einem Blitzeinschlag einen erneuten Einsatz in H bekommen habe. Nach den Ausführungen von Dr. B lasse sich aktuell auf psychiatrischem oder psychosomatischem Fachgebiet keine Beschwerdesymptomatik mehr feststellen, die Ausdruck einer Erkrankung sei. Als Folge des Unfalls habe sich aber offensichtlich eine ausgeprägte psychische Beschwerdesymptomatik beim Kläger entwickelt, die durch Veränderungen hinsichtlich der Stimmungslage sowohl im Sinne einer depressiven Symptomatik als auch einer vermehrten Stimmungslabilität und nächtlicher Schlafstörungen mit Albträumen, Angst- und inneren Unruhezustände sowie tagsüber auftretenden bildhaften Rückerinnerungen mit vermehrten Erschöpfungsgefühlen gekennzeichnet gewesen sei. Bei Fehlen einer vor dem Unfallereignis explorierbaren, länger dauernden psychischen Beschwerdesymptomatik und insbesondere Persönlichkeitsauffälligkeiten, welche ihn zur Ausbildung einer solchen hätten disponieren können, sei die Symptomatik bei dem Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das angeschuldigte Ereignis vom 21. August 2012 zurückzuführen gewesen, wobei es sich unter Zugrundelegung der nach der derzeit gültigen internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 aufgestellten Kriterien hierbei um eine PTBS F43.1 gehandelt habe, welche dank therapeutischer Unterstützung in sukzessive abnehmender Form während des gesamten Zeitraums seiner Krankschreibung bis Januar 2014 bei ihm vorgelegen habe. Diesbezüglich seien von dem Kläger sowohl die hierfür geforderten Kriterien der Traumaschwere im Sinne einer als lebensbedrohlich bzw. essentiell bedrohlich empfundenen Situation in einer nachvollziehbaren Weise dargelegt, als auch die übrigen für die Diagnose geforderten Kriterien im Sinne der psychopathologischen Erscheinungsform bei ihm sicher als erfüllt anzusehen gewesen. Sogenannte Vorschäden im Sinne einer bereits vor dem angeschuldigten Ereignis bestehenden psychopathologischen Entwicklung ließen sich bei dem Kläger dagegen nicht feststellen. In Auseinandersetzung mit der u. a. im Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2013 erfolgten Argumentation der Beklagten hat Dr. B darauf hingewiesen, dass der Kläger primärpersönlich als äußerst pflichtbewusst zu bezeichnen sei, daher nicht sofort eine fachspezifische therapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe und seiner Arbeitstätigkeit bis zum 24. September 2012 auf Kosten seiner Gesundheit weiter nachgegangen sei. Dass das „Vollbild" einer PTBS tatsächlich erst mehrere Wochen später bei ihm aufgetreten sei, sei nach den ICD-10-Kriterien mit einer PTBS-Diagnose ohne Weiteres vereinbar, da eine entsprechende Symptomatik eben gerade auch mit einer zeitlichen Verzögerung von Tagen, Wochen oder sogar noch längeren Zeiträumen einsetzen könne.

 

Die Beklagte hat dem Gutachten unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Mvom 20. Februar 2018 widersprochen und ausgeführt, dass das Gutachten unzureichend und der Vortag des Klägers nicht glaubwürdig sei. Nach Aussage des S-Bahn-Fahrers sei der Kläger nach dem Vorfall psychisch unauffällig gewesen. Zudem habe er auch noch mit seinem Vorgesetzen einen Imbiss in der Bäckerei eingenommen. Der abermals beschriebene Kreislaufzusammenbruch sei nicht verobjektiviert. Es gebe weitere Hinweise auf manipulative Tendenzen des Klägers. Der Kläger habe keine initiale psychische Reaktion gezeigt und sich erst am 24. September 2012 zeitgleich mit seinem Kollegen krank gemeldet. In seiner hierzu vom SG eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juli 2018 hat Dr. B darauf hingewiesen, dass sich seine Bewertung im Gegensatz zu der des Beratungsarztes auf eine eingehende persönliche ambulante Exploration mit psychiatrischer und testpsychologischer Untersuchung stütze. Dabei hätten zu keinem Zeitpunkt der mehrstündigen Untersuchung Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers aufkommen müssen. Sofern darauf abgestellt werde, dass der Kläger unmittelbar vor [es dürfte gemeint sein: nach] dem Unfallereignis vom 21. August 2012 keine initiale psychische Reaktion gezeigt und zumindest äußerlich betrachtet - etwa auch in Form der Mitorganisation der ersten Hilfe als Laienhelfer – nicht dargeboten habe, sei zu sagen, dass unter medizinisch-psychiatrischen Gesichtspunkten ein solches Kriterium für die Diagnose einer PTBS nicht als Bedingung vorauszusetzen sei mit der Konsequenz, dass das noch im diagnostischen Manual DSM-IV zu fordernde A2- Kriterium, d. h. das so genannte „Stressor-Kriterium", nach welchem der jeweilige Betroffene unmittelbar bei Erleben der traumatisierenden Situation Angst, Hilflosigkeit und/oder Furcht habe erfahren müssen, in der Neufassung des DSM-V weggefallen sei. Hierzu hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme ihres Beratungsarztes vom 04. September 2018 übersandt, danach habe das DSM-V im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung Mängel und die ICD-10 sei vorzuziehen. Die Autoren des DSM-V wiesen selbst darauf hin, dass nur ein eingeschränkter Einsatz für forensische Zwecke empfohlen werden könne. Dass das sogenannte A2-Kriterium im DSM-V nicht mehr aufgeführt sei, habe seinen Grund darin, dass bestimmten Gruppen von Betroffenen mit einer PTBS, z. B. Flüchtlingen, Insassen von Kriegsgefangenenlagern und Folteropfern, eine Behandlung und Anerkennung bei fehlender zeitnaher Dokumentation der Symptome nicht vorenthalten werden solle. Trotzdem sei davon auszugehen, dass eine initiale seelische Beeindruckung für die Diagnose einer PTBS im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu fordern sei. Auch sei eine nochmalige intensive Konfrontation mit dem zur Diskussion stehenden Ereignis nicht ausreichend dokumentiert, auch keine Konfrontation mit den Inkonsistenzen des Falles. Zudem könne eine Persönlichkeitsstörung/-akzentuierung mit einem einzigen Test und einem einmaligen gutachterlichen Gespräch nicht ausgeschlossen werden.

 

Das SG hat den Kläger im Termin zur mündlichen am 13. November 2019 Verhandlung umfassend befragt. Wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. November 2019 abgewiesen. Die auf die Anerkennung des Ereignisses vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall beschränkte Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 21. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 erweise sich als rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Zur Überzeugung der Kammer sei schon eine PTBS als Gesundheitserstschaden nicht im Vollbeweis gesichert.

 

Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge sei eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (z. B. ICD-10; DSM-IV) erforderlich. Ausgehend von diesen Kriterien habe der Beratungsarzt der Beklagten und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Diagnose einer PTBS nicht verobjektivieren lasse. Zwar erfülle das Ereignis vom 21. August 2012 das im DSM-IV geforderte A1-Kriterium in dem Sinne, dass der Kläger mit dem Entgleisen des Zuges und Umkippen der mit Passagieren besetzten Wagen einem Erlebnis konfrontiert war, das tatsächlich jedenfalls die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person und anderer Personen beinhaltet habe. Jedoch sei das A2-Kriterium bei dem Kläger nicht festzustellen. Danach sei erforderlich, dass die betroffene geschädigte Person auf das Ereignis unmittelbar mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder einem Entsetzen reagiert haben müsse. Dies sei nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfallereignis gesichert. Der Kläger habe die Lebensgefahr gerade noch rechtzeitig realisiert, um sich über das Anschlussgleis an einen dahinter befindlichen Zaun zu retten. Nachdem der Zug zum Stehen gekommen sei, habe er sich zusammen mit seinem Arbeitskollegen auf die verunfallten Wagen zubewegt und sei in die Wagen geklettert, um zu überprüfen, ob es unter den Passagieren Verletzte gegeben habe. Der Kläger habe angegeben, keine blutenden Verletzten gesehen zu haben. Ausweislich des D-Arztberichtes vom 19. Oktober 2012 habe der Kläger im Rahmen der ersten Hilfe die Erstversorgung als Laienhelfer mitorganisiert und durchgeführt. Laut Unfallanzeige vom 24. Oktober 2012 und nach den Angaben des S-Bahn-Fahrers habe der Kläger geholfen, die Unfallstelle zu sichern. Nach eigenen Angaben habe er sich noch in der Nähe des Unfallortes aufgehalten, um für eine eventuelle Befragung zur Verfügung zu stehen und sich dann mit seinem Teamleiter getroffen und diesem gesagt, dass es ihm nicht gut gehe; ihm sei auch im Zug irgendwie komisch und schwindelig geworden, auch weil der Zug in Schräglage gewesen sei. Er sei aber nicht „zusammengebrochen" (siehe die Angabe des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schreiben vom 07. Juli 2015). Zudem habe es der Kläger abgelehnt, den zwischenzeitlich an der Unfallstelle eingetroffenen Rettungsdienst aufzusuchen. Später habe er die Wartezeit unterbrochen, um zusammen mit seinem Teamleiter eine Tasse Kaffee in einer nahe gelegenen Bäckerei zu trinken. Am Nachmittag habe er sich nach Hause begeben, sei aber schon in der folgenden Nacht gegen 23 Uhr wieder wegen Blitzeinschlägen im Einsatz gewesen. Nachfolgend habe der Kläger seine Tätigkeit bis zum 22. September 2012 - und zwar nach den Angaben des zuständigen Bezirksleiters, ohne dass Auffälligkeiten bekannt geworden seien – weiter verrichtet. Erst am 24. September 2012 habe er seine Hausärztin aufgesucht und psychische Beschwerden angegeben. Nach all dem sei eine initiale heftige Schreckreaktion mit Gefühlen der intensiven Furcht und der Hilflosigkeit weder vom Kläger selbst berichtet noch dokumentiert.

 

Die Feststellungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen Dr. B hätten die Kammer dagegen nicht zu überzeugen vermocht. Die Kammer folge den Einwänden der Beklagten sowie den beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Februar 2018 und vom 04. September 2018. Auch für die Kammer sei auffällig, dass die entscheidenden Kriterien der PTBS im Gutachten von Dr. B kaum begründet worden seien. Begründungen habe der Gutachter erst nach den Einwänden der Beklagten geliefert und ausgeführt, dass es bei dem Kläger ansonsten keinerlei Hinweise auf eine zu irgendeinem früheren Zeitpunkt etwaig bei ihm bestehende psychische (Beschwerde-)Problematik gegeben hätte. Dem sei zu widersprechen. Bereits das Vorerkrankungsverzeichnis liefere Hinweise auf eine vom 26. April 2010 bis zum 10. Mai 2010 bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen einer somatoformen Störung; zudem seien in den beigezogenen Unterlagen von Dr. S u. a. Schlafstörungen und Rückenschmerzen dokumentiert. Der Kläger habe damals in Scheidung gelebt, habe sich aber nicht in psychologische Behandlung begeben wollen. Dies werde durch den Eintrag in der beigezogenen Patientenkartei bestätigt. Des Weiteren finde sich ein Hinweis im Bericht der OKliniken vom 11. Oktober 2012 auf während der Armeezeit zwischen 1985 und 1987 erlebten Psychoterror und entfesselten Sadismus mit Suizid eines Kameraden, dies habe der Kläger auch in der Befragung im Rahmen der Begutachtung durch Dr. B geschildert. Dass mögliche Vorerkrankungen auf psychischem Gebiet vehement negiert worden seien, lasse durchaus Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers aufkommen. Im Übrigen komme der ambulanten Untersuchung und Exploration vorliegend keine überragende Bedeutung zu, da für die Frage des Vorliegens des A2-Kriteriums wesentlich auf den zeitnah zum Unfallereignis dokumentierten Akteninhalt abzustellen sei. Die Diagnose PTBS (ICD-10: F 43.1) sei in problematischer Weise präjudizierend; sie werde zum Teil unkritisch und inflationär gestellt. Dabei verlange sie als Auslöser ein traumatisches Ereignis von besonderer Qualität mit einem extremen Belastungsfaktor. Häufig seien die Diagnosekriterien der PTBS nicht (vollständig) erfüllt oder nicht ausreichend nachvollziehbar begründet. Unabhängig von der Anwendung des ICD-10 oder des DSM-V müssten die einzelnen Diagnosekriterien umfassend geprüft und durch jeweils korrespondierende Befunde belegt sein. Für die PTBS würden bei der Anwendung des DSM-V durch die gegenüber dem DSM-IV in wichtigen Punkten geänderten diagnostischen Kriterien besondere versicherungsrechtliche Fragen aufgeworfen werden. Ob im Einzelfall ein (traumatisches) Ereignis im Sinne des § 8 SGBVII vorliege und ein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Schutzzweck der Norm auch bei fehlender unmittelbarer Betroffenheit anerkannt werden könne, bleibe ungeachtet der erweiterten diagnostischen Kriterien des DSM-V rechtlich zu entscheiden. Zur Überzeugung der Kammer sei die Frage, ob eine PTBS vorliege, nach den in der ICD-10 bzw. dem DSM-IV niedergelegten Kriterien zu beurteilen. Mangels Nachvollziehbarkeit der Diagnose und Validität nicht heranzuziehen sei das DSM-V. Hierzu mache sich das SG die Begründungen des LSG Baden-Württemberg in den Urteilen vom 24. Januar 2019 zum Aktenzeichen L 6 U 1749/16 und vom 27. August 2015 zum Aktenzeichen L 6 VS 4569/14 nach erfolgter Prüfung zu eigen. Insbesondere löse sich, ohne dies deutlich zu machen, das DSM-V deutlich von der historischen Entwicklung der Erfassung seelischer Folgen schwerer Traumatisierung in den psychiatrischen Klassifikationsschemata. An dem Diagnosesystem DSM-V werde vom fachmedizinischen Schrifttum zudem die fehlende Validität bemängelt. Mit dem DSM-V gehe eine deutliche Ausweitung von Symptomen und Symptomclustern für psychische Erkrankungen einher, sodass sich nunmehr sehr viel mehr Menschen als behandlungsbedürftig einordnen ließen. Diese Menge an psychischen Krankheiten könne empirisch aber nicht belegt werden, zumal die neuen Kriterien auch nicht ausreichend auf vorhandene Feldstudien gestützt worden seien. Einige Experten hätten sogar nachträgliche empirische Forschungen abgelehnt, weil ihnen das DSM-V nicht valide genug erschien (siehe zu all dem: juris Literaturnachweis zu Stevens/Fabra, DSM-V - Bedeutung für die Begutachtung, MEDSACH 2015,162-168). Auch das LSG Berlin-Brandenburg habe in seinem Urteil vom 10. März 2016 zum Aktenzeichen L 2 U 117/14 die Kriterien des Diagnosesystems DSM-V angewandt, aber an dem sogenannten A2-Kriterium im Sinne des DSM-IV festgehalten. Danach könne nicht auf eine zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion verzichtet werden. Hierzu werde auch auf die Begründungen des Hessischen LSG in den Urteilen vom 25. August 2013 zum Aktenzeichen L 3 U 239/10 und vom 25. März 2014 zum Aktenzeichen L 3 U 207/11 und des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 22. Januar 2015 zum Aktenzeichen L 6 U 5221/12 verwiesen. Dr. B sei insbesondere auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juli 2018 auf keine der kritischen Stimmen zum DSM-V eingegangen, was die bereits angeführten Begründungsmängel bestätige. Außerdem habe der vom Gericht im Verfahren des Arbeitskollegen des Klägers zum Aktenzeichen S 19 U 54/13 beauftragte Sachverständige Dr. A bei der in Frage stehenden Diagnose PTBS im dortigen Fall folgende Feststellungen getroffen: „Das laut international gültiger Diagnosesysteme für eine PTBS notwendige Eingangskriterium A2 - eine initiale heftige Schreckreaktion mit Gefühlen des Horrors und der Hilflosigkeit - wurde weder vom [dortigen] Kläger selbst berichtet, noch ist eine solche Reaktion dokumentiert; im Gegenteil, das Verhalten des [dortigen] Klägers nach dem Unfallereignis (Sicherung der Unfallstelle, Hilfsmaßnahmen für die Fahrgäste sowie die Tatsache, dass zunächst weitergearbeitet wurde) ist ein Hinweis auf das Fehlen einer solchen heftigen Initialreaktion. Damit ist bereits ein psychiatrischer Erstschaden nicht gesichert bzw. unwahrscheinlich". Schlussendlich habe Dr. A die Auffassung geteilt, dass ein psychischer Erstschaden nicht im Vollbeweis zu sichern und die Kausalitätsfrage nicht mit hinreichender Validität zu beantworten sei. Darüber hinaus hat das SG auf die Feststellungen von Dr. L im für die gesetzliche Rentenversicherung am 13. März 2014 erstellten Gutachten verwiesen. Dr. L habe die Kriterien einer PTBS als nicht erfüllt angesehen; dagegen habe sie die Diagnosen: F43.2 (Anpassungsstörung) Psychoreaktive Störung mit rückläufigen Albträumen und Flashbacks bei akzentuierter Primärpersönlichkeit sowie M54.05 Chronifiziertes vertrebrogenes [gemeint wohl vertebragenes] Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen und sekundärer somatoformer Überlagerung gestellt. In diesem Zusammenhang sei für die Kammer auch bemerkenswert, dass die Hausärztin Dr. S bei der ersten ärztlichen Vorstellung am 24. September 2012 nicht etwa wegen einer PTBS, sondern wegen einer somatoformen Störung die Arbeitsunfähigkeit des Klägers attestiert habe. Auf das Vorerkrankungsverzeichnis der Bahn-BKK werde Bezug genommen. Nach all dem liege wegen Fehlens des auf das Ereignis vom 21. August 2012 zurückzuführenden Gesundheitserstschadens kein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vor.

 

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 06. Januar 2020 zugestellte Urteil am 31. Januar 2020 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass sehr wohl eine initiale Reaktion auf das Geschehen im Sinne des A2‑Kriteriums vorgelegen habe. Er habe, nachdem er den Unfallort verlassen habe, versucht, sein durch mehrere Bereitschaftsdienste und reguläre Arbeitszeiten verursachtes Schlafdefizit auszugleichen, habe jedoch die Bilder nicht aus dem Kopf bekommen und keinen Schlaf gefunden. Er habe zudem bereits um 23:30 Uhr bis 6:00 Uhr den nächsten Einsatz gehabt, an den sich die reguläre Arbeitszeit von 6:00 Uhr bis 14:30 Uhr angeschlossen habe, gleichwohl sei ihm ein erholsamer Schlaf auch danach wegen ständiger Flashbacks nicht möglich gewesen. Er habe darauf vertraut, dass sich die Albträume, Flashbacks und Schlafstörungen mit größerem zeitlichen Abstand zum Ereignis verringern würden. Erst nachdem die Symptomatik auch noch über Wochen angedauert habe, habe er die Hausärztin aufgesucht. Er habe, um nächtliche Entstörungen an Gleisen zu vermeiden, in der Folge auch nicht mehr für die Bereitschaftsdienste zur Verfügung gestanden. Es sei auch nicht nachvollziehbar, aus den 33 Jahre zurückliegenden Ereignissen bei der Armeezeit und der Krankschreibung aus dem Jahre 2010 aufgrund einer Überlastungsreaktion auf die damals anstehende Ehescheidung mit einer Arbeitsunfähigkeit von 15 Tagen den Schluss ziehen zu wollen, dass das Ereignis vom 21. August 2012 für die eingetretene Symptomatik nicht wesentlich ursächlich sei.

 

Der Kläger beantragt zuletzt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 13. November 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten,

  1. das Ereignis vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall anzuerkennen,
  2. eine PTBS, hilfsweise eine andere psychische Erkrankung als Unfallfolge festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält an ihren Bescheiden fest und das Vorliegen einer PTBS nicht für nachgewiesen.

 

Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. F vom 15. Mai 2020 sowie erneut bei Dipl. Psych. M vom 25. August 2020 und Dr. K vom 31. August 2020, die eine Belastungsstörung und eine Somatisierungsstörung diagnostizierte, angefordert.

 

Zudem hat der Senat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M vom 25. Mai 2021 aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers am 19. März 2021 eingeholt. Nach dessen Ausführungen habe der Kläger bei der Untersuchung die unfallbezogenen psychischen Beschwerden nur zögerlich und wenig ausführlich geschildert. Der Kläger habe angegeben, unter ausgeprägten Schlafstörungen gelitten zu haben, die mit nächtlichen Angstzuständen im Zusammenhang gestanden hätten. Er habe zunächst weiterhin Bereitschaftsdienste ausgeübt, sei jedoch von Ängsten geplagt gewesen („Du stehst im Gleis da kommt gleich ein Zug auf dich zu.“). Nachdem er sich an die Beklagte gewandt habe, die den Fall an die Krankenkasse abgegeben habe, habe er sich sehr alleingelassen gefühlt und sich um sich selbst kümmern müssen. Er habe aber wieder anfangen wollen zu arbeiten, jedoch habe sich eine Möglichkeit für den Wiedereinstieg nach dem Hamburger Modell nicht gefunden, seine damalige Psychiaterin habe ihn daher solange weiter arbeitsunfähig geschrieben, bis eine Rückkehr an seine Arbeitsstelle möglich gewesen sei. Am Unfalltag habe er an einer Weiche gearbeitet. Der vordere Teil des Zuges sei bereits auf dem Gleis an ihm vorbeigefahren gewesen, während er bemerkt habe, dass eine Weiche gestellt worden sei. Er habe daher befürchtet, dass der hintere Teil des Zuges auf das andere Gleis umgelenkt werden und ausscheren würde. Er habe noch seinen Kollegen gepackt und mitgerissen und sei gemeinsam mit ihm zu einem nahegelegenen Zaun gerannt. Danach hätten sie sich gefreut, dass sie noch lebten. Die mittleren Wagen seien entgleist und hätten alles abgeräumt, was im Wege gestanden habe. Nach dem Unfall habe er Hilfe leisten wollen. Als er die Mitte des Zuges erreicht habe, sei ihm schwindlig geworden und er habe sofort aussteigen müssen. Er habe sich danach jedoch nicht an einen Sanitäter gewandt, weil er seine Ruhe haben wollte. Das ganze Ereignis habe sich im Gehirn erneut abgespielt, er habe nur noch heraus aus dem Waggon gewollt. Die Erkenntnis, dass er vermutlich tot gewesen wäre, wenn er eine Sekunde später reagiert hätte, sei das Schlimmste gewesen. Er sei dann nach Hause gegangen, um ein paar Stunden zu schlafen. Aber etwa gegen 23:00 Uhr sei er erneut zum Dienst gegangen, nachdem er sich den ganzen Tag über zittrig und ohnmächtig gefühlt habe. Er bedauere, dass er nach dem Ereignis nicht zu einem Sanitäter gegangen sei. Nach dem Unfallereignis sei es zu ausgeprägten Schlafstörungen in Form von Durchschlafstörungen und Einschlafstörungen kommen. Er habe sich daher am Folgetag matt und abgeschlagen gefühlt. Es seien auch regelmäßig Albträume aufgetreten, wobei er von Bildern im Zusammenhang mit dem Gleisbereich und fahrenden Zügen berichtete. Insgesamt habe er bis Oktober 2013 recht häufig von seiner Arbeit geträumt. Das Bestehen von Intrusionen, insbesondere Flashbackerleben wurde verneint. Er habe an vielen Tagen unter einer gedrückten Stimmung gelitten, die nicht zuletzt dadurch begründet gewesen sei, dass er sich in Ausübung seiner Arbeit beeinträchtigt gefühlt habe, er sei verärgert und reizbar gewesen sowie in seiner Konzentration beeinträchtigt. Nach der Aufnahme seiner Arbeit habe er sich bald wieder besser gefühlt. Auch gegenüber Dr. M berichtete der Kläger von den Ereignissen aus der Zeit des Militärdienstes. Seit dem Unfall habe er deutlich mehr Respekt vor Zügen, die unmittelbar an ihm vorbeifahren würden. Er sei viel vorsichtiger, da ihm nunmehr bewusst sei, jederzeit mit menschlichem Versagen rechnen zu müssen. Er fühle sich gekränkt und unverstanden. Er habe kein anerkennendes Wort für seine Reaktion während des Unfalls gehört. Man habe sich auch nicht entschuldigt oder nach seinem Befinden erkundet. Nachdem er wieder begonnen hatte zu arbeiten, habe man ihn mit einer Gruppe von Arbeitern losgeschickt, um Schienen festzuschrauben, obwohl er Sicherungstechniker sei. Dr. M hat im Ergebnis festgestellt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Diagnosen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet zu stellen seien. Anamnestisch habe in zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit eine PTBS, die wahrscheinlich auch auf das Ereignis zurückzuführen sei, bestanden. Als konkurrierende Faktoren sind durch den Sachverständigen die Erlebnisse während der Armeezeit, die Arbeitsunfähigkeit vom 26. April 2010, Enttäuschungserlebnisse im Zusammenhang mit dem Verhalten des Arbeitgebers nach dem Ereignis sowie mögliche tendenziöse Haltungen diskutiert, ein entsprechender wesentlicher Beitrag jedoch abgelehnt worden. Den Einschätzungen des Dr. B werde im Wesentlichen zugestimmt, denen das Beratungsarztes M jedoch widersprochen. Entgegen der Einschätzung des Beratungsarztes ließen sich aus etwaigen Unstimmigkeiten in der Aktenlage Verdeutlichungstendenzen oder ein manipulatives Verhalten nicht ableiten. Solche seien auch in der aktuellen Begutachtung nicht zu erkennen gewesen. Die vom Beratungsarzt geforderte extensive psychometrische Untersuchung erscheine bei dem Kläger nicht geboten, da bereits die eingesetzten Instrumente ausreichend aussagekräftig für die Beurteilung seien. Auch der Einschätzung von Dr. L in deren Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung mit der Kodierung der Beschwerden als Anpassungsstörung (F 43) sei nicht zu folgen, da die von ihr beschriebenen Symptome weitgehend den Symptomkriterien der PTBS entsprächen und sie selbst den erlebnisreaktiven Hintergrund der Störungsbildes eingeräumt habe. Die vom Kläger beschriebene psychische Beschwerdesymptomatik, die mit einer zeitlichen Latenz von mehreren Tagen bis wenigen Wochen nach dem Ereignis aufgetreten sei, sei von dem Kläger konsistent beschrieben und durch die Befunde des behandelnden Dipl. Psych. M, Dr. S, der OKliniken  und der Psychiaterin K als Symptomatik einer erlebnisreaktiven Erkrankung im Sinne einer PTBS kausal zum Zugunglück bewertet worden. Bei dem Kläger habe sich im Behandlungsverlauf und bei der Untersuchung im Rahmen der Gutachtenerstellung keine Aggravation oder Simulation, sondern eher die Schwierigkeit, über psychische Beschwerden Auskunft zu geben, gezeigt. Auch wenn ein Erstschaden durch die Reaktion des Klägers nicht gesichert sei, so zeige die Morphologie der im Anschluss beschriebenen Beschwerdesymptomatik deutliche Zeichen einer erlebnisreaktiven psychischen Störung.

 

Die Beklagte hat hierzu unter Bezugnahme auf eine erneute Stellungnahme ihres Beratungsarztes M vom 11. August 2021 ausgeführt, dass es auch nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M an der Dokumentation eines Erstschadens fehle. Die unfallzeitpunktnahe Feststellung eines gesonderten Erstschadens sei jedoch zwingende Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Die gerade im vorliegenden Fall notwendige Beschwerdevalidierung fehle gänzlich.

 

Daraufhin hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. M vom 28. April 2022 eingeholt, in der dieser klarstellt, dass angesichts der Schilderungen des Klägers und der vorliegenden Berichte der behandelnden Therapeuten klinisch und anamnestisch kein begründeter Zweifel daran bestehe, dass eine PTBS im Zusammenhang mit dem Ereignis vorgelegen habe. Da diese mittlerweile weitestgehend abgeklungen sei, sei auf eine Beschwerdevalidierung verzichtet worden. Sofern man allerdings die Dokumentation eines Erstschadens als notwendig für den Vollbeweis einer erlebnisreaktiven Störung erachte, sei die Diagnose einer PTBS nicht mit Sicherheit zu stellen.    

 

Am 25. August 2022 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, in dem der Rechtsstreit zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt worden ist. Die Berichterstatterin hat am 10. Januar 2023 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dessen Rahmen der Zeuge O zum Verhalten des Klägers und dessen Gesundheitszustand nach dem Unfallereignis vernommen worden ist. Der Zeuge hat angegeben, sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern zu können, der Kläger habe aber mitgenommen gewirkt. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll (Blatt 423 der Gerichtsakten) verwiesen. Darüber hinaus hat der Senat weitere Behandlungsunterlagen bei der Fachärztin für Psychiatrie K sowie bei Dipl. Psych. M angefordert und im Nachgang eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. M vom 01. Juni 2023 eingeholt. Der Sachverständige hat darin ausgeführt, die Aussage des Zeugen O, wonach der Kläger mitgenommen gewirkt habe, reiche nicht aus, um einen Erstschaden zu objektivieren. Nach der hier zu Grunde zu legenden DSM-V lasse sich aber angesichts der Schwere der Bedrohung sowie aufgrund der später durch die Behandler beschriebenen Syndromologie ein Erstschaden rekonstruieren. Auch die übrigen Diagnosekriterien der DSM-V bzw. ICD-10 für die PTBS seien erfüllt. So habe der Kläger beispielweise ein Vermeidungsverhalten gezeigt, weil er nach dem Unfall aus dem finanziell lukrativen Nachtdienst ausgeschieden sei.

 

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf eine erneute Stellungnahme des Beratungsarztes Mi vom 16. August 2023 entgegengetreten. Die Annahme des gerichtlichen Sachverständigen, dass sich retrospektiv aus den Angaben des Klägers eine PTBS rekonstruieren lasse, sei fachlich nicht haltbar. Er habe zudem die nach der im Jahr 2019 aktualisierten Leitlinie empfohlene Beschwerdevalidierung und die hierfür zur Verfügung stehenden Verfahren zur Plausibilisierung des Vortrags des Klägers nicht angewendet.

           

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 26. Juni 2024 (Kläger) und vom 24. Juni 2024 (Beklagte) mit der Entscheidung des Senats im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

 

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) und bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

 

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Dem Kläger steht insoweit ein Wahlrecht (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 05. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R - und vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R -, juris) zu, ob er eine behördliche (dann Verpflichtungsklage) oder unmittelbar eine gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls (dann Feststellungsklage) erstrebt.

 

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte das Ereignis vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall und eine PTBS als Folge dieses Unfalls anerkennt.

 

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen weiterer Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, aber nicht die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung BSG, vgl. Urteil vom 06. Mai 2021 – B 2 U 15/19 R –, Rn. 13, juris).

 

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Ereignis vom 21. August 2012 als Arbeitsunfall mit der Unfallfolge einer PTBS zu bewerten.

 

Es ist ein von außen auf den Kläger einwirkendes Ereignis gegeben. Das Erleben des Geschehens, bei dem ein schon zum Teil an dem Kläger vorbeigefahrener Zug entgleist und er sich nur durch sofortiges Laufen oder Springen zur Seite vor einem Zusammenstoß mit den entgleisenden Waggons retten konnte, ist eine Einwirkung in diesem Sinne. Auch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen), durch die sich der physiologische Körperzustand des Versicherten ändert, können nach der Rechtsprechung des BSG äußere Ereignisse darstellen (vgl. BSG, Urteile vom 22. Juni 2023 – B 2 U 11/20 R –, Rn. 20, vom 26. November 2019 - B 2 U 8/18 R –, Rn. 18, und vom 06. Mai 2021 – B 2 U 15/19 R –, Rn. 18, juris). Nur wenn jeder äußere Anknüpfungspunkt für einen Sinneseindruck fehlt - sich ein Geschehen also allein in der subjektiven Vorstellung des Verunfallten abgespielt hat - oder sich nicht mehr feststellen lässt, ist ein äußeres Ereignis zu verneinen (BSG Urteil vom 26. November 2019 - B 2 U 8/18 R -, Rn. 18, juris).

 

Als der Zug entgleiste, führte der Kläger mit der Entstörung einer Weiche auch eine den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründende Tätigkeit aus.

 

Der Kläger hat einen Gesundheitsschaden erlitten. In der Folgezeit litt er an einer PTBS, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch die Einwirkungen des Ereignisses vom 21. August 2012 verursacht wurde.

 

Bei dem Kläger lag eine PTBS vor. Davon ist der Senat aufgrund des im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M vom 25. Mai 2021 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 28. April 2022 und 01. Juni 2023 im Sinne des Vollbeweises überzeugt (§ 128 SGG). Dabei werden die Einschätzungen durch das erstinstanzlich eingeholte Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B vom 28. November 2017 bestätigt bzw. stehen die gutachterlichen Bewertungen des Dr. B denen des Dr. M nicht entgegen.

 

Da der Kläger bei dem fraglichen Ereignis keine körperlichen Verletzungen davongetragen hat, kommt als Gesundheitsschaden ausschließlich eine psychische Schädigung in Betracht. Insoweit ist eine exakte Beschreibung der etwaigen Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (z.B. ICD-10, DSM-V) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen notwendig, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R -, Rn. 19, juris). Nach der AWMF S3 Leitlinie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) „Posttraumatische Belastungsstörung“ Version vom 19. Dezember 2019 (i. F.: Leitlinie PTBS) soll die Diagnostik nach den klinischen Kriterien der jeweils gültigen Version der ICD erfolgen (Leitlinie PTBS, S. 18). Dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechen ICD-10 (Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information <DIMDI> ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt) und DSM-V (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-V, Deutsche Ausgabe herausgegeben von Peter Falkai und Hans-Ullrich Wittche, 2015 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG). Die ICD-11 ist zwar grundsätzlich seit dem 01. Januar 2022 anwendbar, jedoch tatsächlich nicht nutzbar (https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html#:~:text=Die%20ICD%20%2D11%20ist%20seit,herunterzuladen%20oder%20anderweitig%20zu%20beziehen, zuletzt abgerufen am 15. Mai 2024). Das DSM-V stellt mindestens seit dem Jahr 2019 den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand dar. Inzwischen wird die Gültigkeit des DSM-V als aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand in der Wissenschaft nicht mehr allgemein angegriffen, insbesondere nicht bezüglich der Diagnose der PTBS. Von seiner Aktualität wird vielmehr ohne Weiteres ausgegangen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 2 U 9/20 R –, Rn. 27, m. w. N., juris). Das geltende Diagnosesystem für die PTBS sind daher ICD-10 und DSM-V (BSG, Beschluss vom 14. Dezember 2022 – B 2 U 1/22 B –, Rn. 14, juris).

 

Unter Zugrundelegung der dort aufgeführten Merkmale der Erkrankung ist der Senat vom Vorliegen einer PTBS beim Kläger nach ICD-10 (F43.1) bzw. nach DSM-V überzeugt.

 

Laut ICD-10 F43.1 entsteht die PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (A.). Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten (B.). Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten (C.). Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (D./E.). Der Beginn der genannten Symptome folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann (F.). Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.

 

Die diagnostischen Kriterien des DSM-V (TR Nr. 309.81) der PTBS lauten

A. Traumatisches Ereignis: Die Person war mit einem der folgenden Ereignissen konfrontiert: Tod, tödlicher Bedrohung, schwerer Verletzung, angedrohter schwerer Verletzung, sexueller Gewalt, angedrohter sexueller Gewalt, und zwar in einer der nachfolgenden Weisen (mindestens eine):

  1. Direkt ausgesetzt
  2. Als Augenzeuge
  3. Indirekt; erfahren, dass ein naher Verwandter oder ein Freund einem traumatischen Ereignis ausgesetzt war. Wenn dieses Ereignis ein Todesfall oder eine tödliche Bedrohung war, dann musste dieser bzw. diese die Folge von Gewalt oder eines Unfalles gewesen sein.
  4. Konfrontation mit Details von traumatischen Ereignissen (z. B. als Ersthelfer, Polizist …), eventuell auch als Konfrontation durch elektronische Medien.

B. Wiedererleben: Das traumatische Ereignis wird wiederkehrend wiedererlebt und zwar in einer der nachfolgenden Weisen (mindestens eine):

  1. Wiederkehrende, unfreiwillige und eindringliche belastende Erinnerungen (Kinder älter als 6 Jahre können diese potentiell in repetitivem Spiel ausdrücken).
  2. Traumatische Albträume (Kinder können Albträume haben, ohne dass sich der Inhalt direkt auf das traumatische Ereignis bezieht).
  3. Dissoziative Reaktionen (z. B. Flashbacks), in Dauer variierend von einer kurzen Episode bis zum Verlust des Bewusstseins (Kinder können das traumatische Erlebnis im Spiel nachstellen)
  4. Intensiver oder langanhaltender Stress, nachdem die Person an das traumatische Erlebnis erinnert wurde (unabhängig von der Ursache für die Erinnerung).
  5. Markante physiologische Reaktion, nachdem die Personen einem Reiz ausgesetzt war, der einen Bezug zum traumatischen Erlebnis hat.

 

C. Vermeiden: Anhaltendes starkes Vermeidungsverhalten von traumaassoziierten Reizen nach dem traumatischen Erlebnis (mindestens eines):

  1. Traumaassoziierte Gedanken oder Gefühle
  2. Traumaassoziierte externe Reize (z. B. Menschen, Orte, Unterhaltungen, Tätigkeiten, Objekte oder Situationen).

 

D. Negative Veränderungen von Gedanken und Stimmung: Die negativen Veränderungen von Gedanken und Stimmung begannen oder verschlechterten sich nach dem traumatischen Erlebnis (mindestens zwei):

  1. Unfähigkeit, sich an wichtige Merkmale des traumatischen Erlebnisses zu erinnern (normalerweise dissoziative Amnesie; nicht aufgrund einer Kopfverletzung, Alkohol oder anderen Drogen)
  2. Andauernde (und oft verzerrte) negative Annahmen von sich selbst oder der Welt (z. B. „Ich bin schlecht“, „Die ganze Welt ist gefährlich“)
  3. Andauernde verzerrte Vorwürfe gegen sich selbst oder gegen andere, am traumatischen Erlebnis oder seinen negativen Folgen schuld zu sein
  4. Andauernde negative traumaassoziierte Emotionen (z. B. Angst, Wut, Schuld oder Scham)
  5. Markant vermindertes Interesse an wichtigen (nicht traumaassoziierten) Tätigkeiten
  6. Das Gefühl, anderen fremd zu sein (z. B. Distanziertheit oder Entfremdung)
  7. Eingeschränkter Affekt: andauernde Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden

 

E. Veränderung in Erregung und Reaktionsfähigkeit: Traumaassoziierte Veränderungen in Erregung und Reaktionsfähigkeit, die nach dem traumatischen Erlebnis begonnen oder sich danach verschlechtert haben (mindestens zwei):

  1. Gereiztes oder aggressives Verhalten
  2. Selbstverletzendes oder leichtfertiges Verhalten
  3. Erhöhte Vigilanz
  4. Übermäßige Schreckreaktion
  5. Konzentrationsschwierigkeiten
  6. Schlafstörungen

 

F. Dauer: Das Störungsbild (alle Symptome in B, C, D und E) dauert länger als einen Monat.

 

G. Funktionelle Bedeutsamkeit: Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

 

Der Senat ist im Einklang mit den gutachterlichen Bewertungen des Dr. B (S. 34 Gutachten) und des Dr. M (S. 28 Gutachten) davon überzeugt, dass der S-Bahnunfall das sogenannte A-Kriterium erfüllt. Er legt dabei zu Grunde, dass der entgleisende Zug auf den Kläger zugerast ist und er sich mit seinem Kollegen nur noch durch ein Wegrennen über die Gleisanlage hat retten können. Die diesbezüglichen Aussagen des Klägers, seines Kollegen und des S-Bahnfahrers weichen nicht voneinander ab und lassen sich mit den von der Beklagten beigezogenen Zeichnungen von der Unfallstelle und den vom Kläger eingereichten Fotos in Einklang bringen. Danach war ein Teil der Bahn an dem Kläger, der mit dem Kollegen neben dem Gleis stand, schon vorbeigefahren, als der Kläger bemerkte, dass sich eine Weiche umstellte. Nur durch die schnelle Reaktion des Klägers konnten er und der Kollege sich in Sicherheit bringen. Damit hat objektiv ein außergewöhnliches lebensbedrohliches Ereignis stattgefunden, das der Kläger selbst auch so wahrgenommen hat.

 

Auch das Wiedererleben im Sinne des B-Kriteriums ist erfüllt. Typische Merkmale sind nach ICD-10 (F 43.1) das wiederholte Aufleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen. Dieses Kriterium wird auch im DSM-V übereinstimmend so beschrieben. Mit den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B (S. 33, 34 des Gutachtens) und Dr. M(S. 28, 29 des Gutachtens) geht der Senat davon aus, dass der Kläger unter entsprechenden Symptomen, mindestens in Form von Albträumen litt. Ob auch Flashbacks im Sinne sich tagsüber aufdrängender Rückerinnerungen vorlagen, die der Kläger im Rahmen der Begutachtung bei Dr. M verneint hat, kann daher dahinstehen. In Bezug auf die Albträume sind die gutachterlichen Feststellungen nachvollziehbar und überzeugen den Senat, denn nach allen von den Behandlern eingeholten Befundberichten hat der Kläger Albträume geschildert. Er hat entsprechendes gegenüber seiner Hausärztin am 24. September 2012, bei Dr. F am 19. Oktober 2012, bei Dipl. Psych. M am 14. Dezember 2012, im Klageverfahren, bei Dr. L sowie anlässlich der gutachterlichen Untersuchungen bei Dr. B und bei Dr. Ma angegeben. Er hat übereinstimmend berichtet, dass sich diese Albträume nicht nur auf das konkrete Unfallgeschehen, sondern auch auf andere Unfallereignisse und Naturkatastrophen beziehen würden. Der Kläger hat damit konsistent traumatische Albträume ähnlichen Inhalts geschildert, auch wenn sie sich nicht ausschließlich auf das konkrete Ereignis bezogen haben. Zwar verkennt der Senat nicht, dass der Vortrag des Klägers hierzu im Berufungsverfahren gesteigert wurde. Bei der unfallnäheren Vorstellung bei seiner Hausärztin am 24. September 2012, bei der OKlinik am 11. Oktober 2012, am 19. Oktober 2012 bei Dr. F und bei Dr. L hat er zunächst noch angegeben, die Schlafstörungen und Albträume seien erst mit einer Verzögerung von etwa einer Woche nach dem Ereignis aufgetreten. Im Berufungsverfahren trägt der Kläger nunmehr vor, dass er bereits in den ersten Stunden nach dem Unfall wegen ständiger Flashbacks nicht habe schlafen können. Dieser gesteigerte und wohl mit der Diskussion um das fehlende A2-Kriterium in Zusammenhang stehende Vortrag hindert aber nicht die Annahme, dass der Kläger unter Albträumen, die – wie ursprünglich von ihm geschildert – mit einer zeitlichen Latenz tatsächlich aufgetreten sind, gelitten hat. Beide gerichtlichen Gutachter haben nach ausführlicher Exploration im persönlichen Gespräch und in Kenntnis der Aktenlage keine Verdeutlichungstendenzen oder Aggravation feststellen können, zumal der Vortrag im Rahmen der Begutachtungen insoweit auch keine Steigerungen aufwies. Den Zweifeln des Beratungsarztes M an der Richtigkeit der Schilderungen gegenüber den Sachverständigen und den früheren Behandlern folgt der Senat daher nicht.

 

Der Kläger hat auch ein Vermeidungsverhalten gezeigt. Hierunter ist übereinstimmend nach beiden Diagnosemanuals die anhaltende Vermeidung von Reizen zu verstehen, die mit dem traumatischen Ereignis verbunden sind und die nach dem traumatischen Ereignis begann. Der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige Dr. M hat sich mit diesem Kriterium in seinem Gutachten und in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. April 2022 zunächst nicht explizit auseinandergesetzt. Das gleiche gilt für Dr. B in dessen im erstinstanzlichen Verfahren erstellten Gutachten vom 28. November 2017. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Juli 2018 führt Dr. B zwar aus, dass auch dieses Kriterium vorgelegen habe. Hier scheint er aber eine Aufzählung aller Diagnosekriterien der ICD-10 vorzunehmen und zu bejahen, ohne einen konkreten Bezug zu entsprechenden Feststellungen oder Vorbefundungen herzustellen. Der Senat ist dennoch vom Vorliegen eines solchen Verhaltens überzeugt. Dr. M hat in seiner – u. a. nach Zweifeln des Senats am Vorliegen des C-Kriteriums eingeholten – ergänzenden Stellungnahme vom 01. Juni 2023 überzeugend ausgeführt, dass der Kläger ein Vermeidungsverhalten zwar nicht explizit als solches geschildert habe, sich dieses aber deutlich in der nach dem Unfall eingetretenen Veränderung der Einsatzbereitschaft im beruflichen Bereich gezeigt habe. Vor allem das Ausscheiden aus den zuvor finanziell begehrten Nachtdiensten bzw. Bereitschaftsdiensten weise auf ein Vermeidungsverhalten hin. Dem folgt der Senat auch unter Zugrundelegung der Schilderungen des Klägers im Rahmen der Untersuchung bei Dr. M, wonach er bei den Bereitschaftsdiensten von Ängsten geplagt gewesen sei („Du stehst im Gleis da kommt gleich ein Zug auf dich zu.“) und seit dem Unfall deutlich mehr Respekt vor Zügen habe, die unmittelbar an ihm vorbeifahren würden. Er sei viel vorsichtiger, da ihm nunmehr bewusst sei, jederzeit mit menschlichem Versagen rechnen zu müssen. Zudem hat er gegenüber Dipl. Psych. M berichtet, dass Zuggeräusche Rückerinnerungen triggern würden. Diese eher geringen objektiven Zeichen eines Vermeidungsverhaltens genügen dem Senat insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger ein solches aufgrund der ab September 2012 bestehenden Arbeitsunfähigkeit auch objektiv nicht mehr in vollem Umfang zeigen konnte. Der Kläger war seit der Krankschreibung einer der unfallbringenden Arbeitssituation (Arbeiten im Gleisbett bei laufendem Bahnverkehr) ähnlichen Situation tatsächlich nicht mehr ausgesetzt. Auch die Schilderung des Klägers bei Dr. L im Rahmen der Erstellung des Gutachtens vom 13. März 2014, wonach er gerne wieder früher und an seinem alten Arbeitsplatz gearbeitet hätte, steht der Annahme eines Vermeidungsverhaltens nicht entgegen. Zwar war nach den Schilderungen des Klägers die Arbeitsaufnahme nicht daran gescheitert, dass er nicht habe dort arbeiten wollen, sondern an seinem Arbeitgeber. Damit übereinstimmend hat der Kläger bei Dr. M berichtet, dass er zum Schienenschrauben eingesetzt werden sollte und hiermit nicht einverstanden gewesen sei, weil er Sicherungstechniker sei. Bedenken bezüglich einer etwaigen Konfrontation mit einer dem Unfall ähnlichen Situationen hat der Kläger dabei nicht geschildert. Hieraus können nach Auffassung des Senats aber keine Rückschlüsse auf das Fehlen eines Vermeidungsverhaltens gezogen werden. Diese Schilderungen beziehen sich auf einen Zeitpunkt, zu dem – auch nach den Bewertungen der Sachverständigen Dr. M und Dr. B - die PTBS-Symptomatik bereits abgeklungen war (Oktober 2013 bzw. Januar 2014).

 

Das D.-Kriterium ICD-10 bzw. die D./E.-Kriterien DSM-V liegen ebenfalls vor. Auch sie werden vom Sachverständigen Dr. M bejaht. Dem schließt sich der Senat an. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen habe der Kläger in Bezug auf dieses Cluster u. a. von Schlafstörungen, erhöhter Reizbarkeit und Konzentrationsschwächen berichtet. Er hat hierzu bei Dr. M näher ausgeführt, nicht mehr so viele Dinge hintereinander erledigen zu können und häufig Dinge zu vergessen. Diese Symptome wurden auch ereignisnah beschrieben und beruhen nicht allein auf dem Vortrag des Klägers im gerichtlichen Verfahren bzw. im Rahmen der Begutachtung. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten bereits zu Beginn des Verwaltungsverfahrens im Rahmen des Telefonats vom 19. Oktober 2012 von Schlafstörungen berichtet. Auch Dr. S dokumentierte in ihrem Befundbericht vom 19. November 2012 u. a. Schlafstörungen und Nervostät. Ebenso beschrieb Dipl. Psych. M in seinem bei der Beklagten am 14. Dezember 2012 eingegangenen Befundbericht bereits Ängste, Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Albträume, innere Unruhe und Nervosität.

 

Der Senat geht weiter davon aus, dass beim Kläger auch eine „Erstbeeindruckung“ in dem Sinne vorgelegen hat, dass die Schädigung seiner Psyche bereits am 21. August 2012 eingetreten ist. Zwar lag die Symptomatik der PTBS und damit die als Unfallfolge zur Feststellung begehrte Gesundheitsstörung nicht bereits am 21. August 2012 im Vollbild vor. Die gesundheitliche Schädigung des Klägers ist aber bereits am Unfalltag erfolgt.

 

Der Senat hält die Feststellung einer „Erstbeeindruckung“ für erforderlich. Das Erfordernis eines unmittelbar verursachten Gesundheitsschadens besteht sowohl in medizinischer als auch in rechtlicher Hinsicht. Streitgegenstand ist hier nicht (allein) das Vorliegen einer PTBS als zur Feststellung begehrte Unfallfolge, sondern auch schon das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Der Unfallbegriff fordert nach dem bisherigen Verständnis in der herrschenden Rechtsprechung und Literatur einen gesundheitlichen Erstschaden. Auch für die Diagnose der PTBS ist ein Erstschaden erforderlich, da es sich um eine Traumafolgestörung handelt und somit eine kausale Verknüpfung zum Trauma voraussetzt.

 

Die PTBS setzt medizinisch eine Traumatisierung voraus. Wie bereits der Begriff „posttraumatische“ Belastungsstörung impliziert, handelt es sich hierbei nach rechtlichen Kriterien um den Folgeschaden einer initialen psychischen Traumatisierung, die den im ersten Schritt der Kausalkette im Vollbeweis nachzuweisenden Erstschaden darstellt (vgl. AWMF S2k – Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen (051-029 von 12/2019), Teil III S. 33). Die PTBS ist nicht das Trauma. Sie entwickelt sich im Laufe des traumatischen Prozesses binnen Tagen und Wochen bis Jahren in der auf das Ereignis folgenden Zeit. Sie ist insoweit gesondert, d. h. unabhängig von einer initialen nachhaltigen seelischen Beeindruckung und zusätzlich zu dieser vom Mediziner zu sichern (vgl. Fabra, Posttraumatische Belastungsstörung und Erstschaden aus medizinischer Sicht, MedSach 2020, S. 107 ff. [109] und Fabra, Posttraumatische Belastungsstörung, „initiale Gesundheitsbeeinträchtigung“ und Erstschaden aus medizinischer Sicht, MedSach 2021, S. 6 ff.). Der Wegfall des A2-Kriteriums in der DSM-V bedeutet nicht, dass auf die Darlegung der nachhaltigen initialen seelischen Beeindruckung verzichtet werden könnte (Fabra, Posttraumatische Belastungsstörung und Erstschaden aus medizinischer Sicht, MedSach 2020, S. 107 ff. [110]; ebenfalls einen Erstschaden fordernd: Forchert, Der Erstschaden als Voraussetzung für den Arbeitsunfall, MedSach 2021, S. 15 ff.). Diese seelische Beeindruckung muss aber - entgegen der Auffassung des SG in dem angegriffenen Urteil - nicht in der speziellen Form des A2-Kriteriums des nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechenden DSM-IV vorliegen. Sie kann auch anderer Art sein und muss nicht nach außen treten.

 

Auch der Unfallbegriff erfordert nach allgemeiner Definition einen Gesundheitsschaden im Sinne eines Erstschadens. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 23/10 R –, Rn. 11, m. w. N., juris). Gesundheitserstschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist dabei grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde (BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 16/11 R –, Rn. 19, juris). Weshalb bei Gesundheitsstörungen im Bereich der Psyche etwas anderes gelten sollte, ist nicht erkennbar. Es ist daher – unabhängig von der medizinischen Beurteilung – auch aus rechtlicher Sicht (mindestens) eine nachhaltige seelische Beeindruckung, die unmittelbar durch das Ereignis verursacht wurde, zu fordern (vgl. auch: Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., Stand: 22. Mai 2024, § 8 SGB VII, Rn. 166; Hessisches LSG, Urteil vom 25. März 2014 – L 3 U 207/11 –, Rn. 34, juris; a. A. Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 4. Ergänzungslieferung 2024, § 8 Rn. 13; Spellbrink, Die Prüfung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls gem. § 8 Abs. 1 SGB VII am Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), MedSach 2020, S, 114ff.). Eine psychische Reaktion auf das versicherte Ereignis ist aus Gründen der Logik zwingend notwendig, um die kausale Verknüpfung der psychischen Störung mit dem Ereignis wahrscheinlich zu machen (vgl. Forchert, Der Erstschaden als Voraussetzung für den Arbeitsunfall, MedSach 2021, S. 15 ff. [26]).

 

Der gesundheitliche (Erst)Schaden ist – wie auch bei Unfällen mit körperlichen Schädigungen - im Vollbeweis zu sichern. Das Gericht hat sich von dessen Vorliegen daher die volle Überzeugung zu bilden. Die Überzeugung kann dabei auf die Feststellung einer unmittelbaren Reaktion gestützt werden. Das Auftreten einer äußeren Veränderung und damit die Feststellung unmittelbarer Erscheinungen im Sinne einer Erstreaktion hält der Senat allerdings für die Überzeugungsbildung von einer sich im Bereich der Psyche abspielenden Erstbeeindruckung nicht für zwingend. Auf die Dokumentation äußerer Erscheinungen kann u. a. dann verzichtet werden, wenn aufgrund anderer Umstände – z. B. des späteren psychischen Befundes, des Ausmaßes des traumatisierenden Ereignisses - auf eine Erstbeeindruckung im Sinne eines Gesundheitserstschadens sicher geschlossen werden kann. Dies ist keine Besonderheit bei psychischen Erkrankungen oder gar der PTBS und stellt auch keine Abweichung vom sonstigen System der Unfallversicherung dar. Der Sachverhalt ist vergleichbar mit dem, bei dem nach einem Ereignis erst später Symptome auftreten, Ursache hierfür aber die bei dem Unfallereignis zugezogenen (aber zunächst unsymptomatischen) Verletzungen sind (vgl. Beispiel der Skifahrerin bei Forchert, Der Erstschaden als Voraussetzung für den Arbeitsunfall, MedSach 2021, S. 15 ff. ). Dies bedarf dann einer gesonderten Begründung.

 

Bei dem Kläger wurden unmittelbar nach dem Ereignis keine Reaktionen dokumentiert, die auf einen psychischen Erstschaden schließen lassen. Eine ärztliche Vorstellung erfolgte erstmals am 24. September 2012. Die am Unfallort befindlichen Rettungssanitäter hatte der Kläger nicht aufgesucht und ihnen keine Beschwerden geschildert. Der im Berufungsverfahren als Zeuge vernommene Teamleiter O konnte sich ebenfalls nicht an eine Erstreaktion des Klägers erinnern. Er hat lediglich bekundet, dass der Kläger „mitgenommen“ gewirkt hätte. Dies reicht – auch nach gutachterlicher Einschätzung – jedoch nicht für die Annahme einer Erstreaktion aus. Der Senat ist auch aufgrund der eigenen Schilderungen des Klägers nicht vom Vorliegen einer unmittelbaren nach außen getretenen Reaktion auf das belastende Ereignis überzeugt. Der Kläger hat eine solche Reaktion zeitnah zum Unfallgeschehen selbst nicht geschildert.

 

Dennoch geht der Senat vom Vorliegen einer Erstbeeindruckung im Sinne des für die Diagnose der PTBS erforderlichen Traumas und im Sinne eines Erstschadens im unfallversicherungsrechtlichen Sinne aus.

 

Wenn eine nach außen tretende seelische Reaktion eines Menschen im Erleben eines Ereignisses und womöglich auch in dessen Schilderung nicht vorgefunden werden kann, wenn sich diese Person vielleicht sogar innerhalb des Ablaufs und unmittelbar danach besonders besonnen, „cool“, äußerlich unberührt und gut funktionierend verhalten hat, so bedeutet dies keineswegs, dass deswegen im direkten Erleben des Ereignisses kein seelischer Schaden eingetreten wäre. Die medizinische Prüfung besteht nicht nur aus der Beobachtung einer Situation, sondern erfordert im nächsten Schritt die Einordnung dieser Beobachtung in medizinisches Fachwissen mit einer daraus hergeleiteten Interpretation, die es im letzten Schritt dem Sachverständigen ermöglicht, dem Rechtsanwender Argumente für und gegen die „nachhaltige initiale seelische Beeindruckung“ darzulegen (vgl. Fabra, Posttraumatische Belastungsstörung, „initiale Gesundheitsbeeinträchtigung“ und Erstschaden aus medizinischer Sicht, MedSach 2021, S. 6ff. [10]). Dabei ermöglicht die freie Beweiswürdigung dem Gericht, Beweisschwierigkeiten zu berücksichtigen. Eine leitliniengerechte Begutachtung, die von der ätiologischen Erkenntnis auf die Genese der individuellen psychischen Störung schließt, ist Basis einer adäquaten Beweiswürdigung (vgl. Forchert, Der Erstschaden als Voraussetzung für den Arbeitsunfall, MedSach 2021, S. 15 ff. [26, 27]).

 

Dies zugrunde gelegt, schließt sich der Senat den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. M in dessen ergänzender Stellungnahme vom 01. Juni 2023 an. Danach lasse sich bei dem Kläger angesichts der Schwere der Bedrohung in der Unfallsituation und der später durch die Behandler beschriebenen Syndromologie nach der DSM-V retrospektiv ein Traumaereignis bzw. ein Erstschaden rekonstruieren. Dieser Annahme des Sachverständigen im konkreten Fall liegen abstrakte Erwägungen zu Grunde, die dem allgemeinen Erkenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Mindestens seit dem Jahr 2019 stellt das DSM-V den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand dar (BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 2 U 9/20 R –, Rn. 27, juris). Das DSM-V beschreibt die PTBS als Traumafolgestörung, es geht also von einer Traumatisierung durch die entsprechende psychische Einwirkung aus, ohne jedoch für die Stellung der Diagnose einen unmittelbaren Nachweis der Traumatisierung in der Einwirkungssitutation zu fordern. Daraus lässt sich schließen, dass nach dem allgemeinen Erkenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft Ereignissen, die die Traumakriterien des DSM-V (oder der ICD-10/-11 oder der qualifizierten AWMF-Leitlinie) erfüllen, für die naturwissenschaftlich-medizinische Ursachenbeziehung mit den Symptomkriterien und damit der abschließenden Diagnose PTBS eine herausgehobene Bedeutung zukommt. Denn die isoliert betrachtet unspezifischen Symptomkriterien werden erst durch ihre Verknüpfung mit einem geeigneten traumatischen Erlebnis zu einer als solche zu diagnostizierenden PTBS als Traumafolgestörung. Kommen mithin ohne ein geeignetes Trauma nur andere Traumafolgestörungen in Betracht, so rechtfertigt umgekehrt die positive Feststellung eines geeigneten Traumas bei Vorliegen entsprechender Symptomkriterien den Rückschluss auf einen (damit monokausalen) Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlich-medizinischen Sinn. Damit ist für die Erkrankung an einer PTBS der generelle Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlich-medizinischen Sinn anhand dieser Erkenntnisquellen zu bejahen (vgl. grundlegend: BSG, Urteil vom 22. Juni 2023 – B 2 U 11/20 R –, Rn. 34 – 35, juris). Setzt aber die PTBS eine tatsächliche Traumatisierung im Zeitpunkt des Erlebens voraus, dann steht auch diese damit fest.

 

Diese Überlegungen hat der Gutachter zu Grunde gelegt und darauf fußend die Verursachung der PTBS – einschließlich Traumatisierung – durch das Ereignis am 21. August 2012 aufgrund des konkreten Unfallhergangs und des symptomatischen Verlaufs bejaht. Dem folgt der Senat. Es hat sich bei der Situation vom 21. August 2012 zwar nur um ein kurzes, dafür aber sehr plötzlich eintretendes und für den Kläger unbeherrschbares lebensbedrohliches Ereignis gehandelt. Der Kläger, der sich zunächst unmittelbar in der Nähe der entgleisenden Waggons befand, konnte sich nur durch eine Flucht zur Seite retten. Wie bereits dargelegt, wurden nach der überzeugenden gutachterlichen Auswertung der beigezogenen Behandlungsunterlagen die Kriterien für die Diagnosestellung der PTBS dokumentiert und durch den Kläger im Rahmen der Begutachtung geschildert. Die Argumentation des Sachverständigen Dr. Ma wird gestützt durch die Ausführungen des erstinstanzlichen Gutachters Dr. B, der den Kläger primärpersönlich als äußerst pflichtbewusst bezeichnet hat. So lasse sich erklären, dass der Kläger nicht sofort eine fachspezifische therapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe und seiner Arbeitstätigkeit bis zum 24. September 2012 auf Kosten seiner Gesundheit weiter nachgegangen sei. Auch er hält es unter Anwendung der ICD-10-Kriterien ohne weiteres mit der PTBS-Diagnose für vereinbar, dass das Vollbild dieser Erkrankung tatsächlich erst mehrere Wochen später beim Kläger aufgetreten ist. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf die beratungsärztlichen Stellungnahmen bemängelt, dass die Schilderungen des Klägers bei der gutachterlichen Untersuchung nicht validiert wurden, sieht der Senat die Überzeugungskraft des Gutachtens dadurch nicht gemindert. Nach den Ausführungen der Sachverständigen war die Symptomatik im Zeitpunkt der Begutachtung jeweils schon seit Jahren abgeklungen, so dass allein eine retrospektive Betrachtung zu erfolgen hatte. Diese haben die Sachverständigen nicht nur anhand der Schilderungen, sondern maßgeblich aufgrund der durch die Behandler dokumentierten Symptomatik vorgenommen. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der von den Behandlern mitgeteilten Befunde zu zweifeln. Die Schilderungen sind – ebenso wie die des Klägers - ähnlich und widersprechen sich nicht. Soweit die Beklagte unter Berufung auf ihren Beratungsarzt vorträgt, es sei fachlich nicht haltbar, retrospektiv aus den Angaben des Klägers eine PTBS zu rekonstruieren, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit dem aktuellen Erkenntnistand der medizinischen Wissenschaft, wie sie im DSM-V Niederschlag gefunden hat. Danach kann bei Vorliegen eines dem A.-Kriterium entsprechenden traumatischen Ereignisses auch bei einer sich erst nach Wochen entwickelnden Symptomatik sehr wohl auf das Bestehen einer PTBS geschlossen werden (vgl. hierzu bereits oben und grundlegend: BSG, Urteil vom 22. Juni 2023 – B 2 U 11/20 R –, Rn. 34 – 35, juris).

 

Der Senat folgt dem Sachverständigen Dr. M auch insoweit, dass die PTBS-Symptomatik nicht durch konkurrierende Ursachen ausgelöst wurde. Entsprechende Zweifel des Senats hat Dr. M ebenfalls mit seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01. Juni 2023 ausgeräumt. Er hat zur Frage der Wesentlichkeit der Verursachung ausgeführt, dass die vom Kläger empfundene fehlende Anerkennung des Unfallereignisses, insbesondere durch seinen Arbeitgeber, die Vorgesetzten und die gesetzliche Unfallversicherung, für die Entstehung der PTBS-Symptomatik nicht als konkurrierender Faktor zu betrachten sei. In der Literatur zu Traumafolgestörungen sei insoweit anerkannt, dass die Reaktion der Umwelt in ungünstiger Weise zu einer Konsolidierung der Symptomatik führen oder aber ein angemessener Umgang präventiv zur Vermeidung einer Chronifizierung beitragen könne. Eine Verursachung im Sinne eines konkurrierenden Faktors lässt sich daraus nicht ableiten. Entsprechendes gilt für die Erlebnisse während der Armeezeit und die Arbeitsunfähigkeit vom 26. April 2010, die von Dr. St aufgrund einer nicht näher bezeichneten somatoformen Störung im Zusammenhang mit der Scheidung von der Ehefrau für ca. zwei Wochen bescheinigt worden war. Dies sind keine Ereignisse, die im Sinne einer überragenden Bedeutung die wesentliche Verursachung der PTBS durch das Unfallereignis am 21. August 2012 auszuschließen vermögen. Auch insoweit folgt der Senat den Bewertungen der beiden gerichtlich beauftragten Sachverständigen Dr. B und Dr. M. Sie führen aus, dass sich psychopathologische Entwicklungen für Zeiten vor dem Unfall bei dem Kläger nicht feststellen ließen. Dies überzeugt den Senat, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Ereignis bei der Armeezeit weit über 30 Jahre zurücklag, Beschwerden oder Behandlungen hierzu nicht bekannt sind und die vom Kläger geschilderte Symptomatik mit Albträumen und Wiedererleben, keinen Bezug zu dem Suizid bei der Armeezeit aufweisen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen der Scheidung stellte sich als singuläres Ereignis ohne weitere Behandlungsbedürftigkeit dar.

 

Die PTBS besteht derzeit aber beim Kläger nicht mehr. Nach den Ausführungen von Dr. B habe sich zum Zeitpunkt der von ihm vorgenommen Untersuchung am 21. Oktober 2017 auf psychiatrischem oder psychosomatischen Fachgebiet keine Beschwerdesymptomatik mehr feststellen lassen, die Ausdruck einer Erkrankung sei. Dr. M hat bei der Untersuchung des Klägers am 19. März 2021 ebenfalls keine Diagnosen auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet stellen können. Die Fortdauer der Erkrankung wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Bis zu welchem Zeitpunkt die Diagnose zu stellen war, ob und ggf. für welchen Zeitraum hieraus eine Arbeitsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit folgte, bedarf im vorliegenden Verfahren, das allein die Feststellung des Arbeitsunfalls und der PTBS als Unfallfolge betrifft, keiner Entscheidung.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache. Der Kläger hat zwar voll obsiegt, soweit er die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls und des Vorliegens einer PTBS begehrt hat. Die Feststellung der PTBS ist aber insoweit beschränkt, dass sie zwischenzeitlich ausgeheilt ist. Daher liegt eine teilweise Berufungszurückweisung vor, die sich auch in der Kostenentscheidung wiederspiegelt.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es besteht insbesondere keine entgegenstehende Rechtsprechung des BSG. Die Frage nach der Erforderlichkeit des Erstschadens lässt sich ohne weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung zum Unfallversicherungsrecht herleiten.

 

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