1.) Ausführungen zu den Gesamtpunkten in Bescheiden über Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung stellen lediglich ein Begründungselement des Anspruchs auf Leis-tungen nach einem bestimmten Pflegegrad dar, aber keine eigenständigen Regelungen. 2.) Eine Klage, mit der bei gleichbleibendem Pflegegrad lediglich die Feststellung einer höheren Gesamtpunktzahl nach § 15 Abs 3 SGB 11 begehrt wird, stellt eine unzulässige Elementenfeststellungsklage dar.
Gericht: |
Sozialgericht Heilbronn |
Datum: |
12.06.2024 |
Aktenzeichen: |
Entscheidungsart: |
Gerichtsbescheid |
Normenkette: |
Titelzeile: |
Unzulässige Elementenfeststellungsklage, wenn bei gleichbleibendem Pflegegrad lediglich die Feststellung einer höheren Gesamtpunktzahl nach § 15 SGB 11 begehrt wird |
Leitsatz: |
1.) Ausführungen zu den Gesamtpunkten in Bescheiden über Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung stellen lediglich ein Begründungselement des Anspruchs auf Leistungen nach einem bestimmten Pflegegrad dar, aber keine eigenständigen Regelungen.
2.) Eine Klage, mit der bei gleichbleibendem Pflegegrad lediglich die Feststellung einer höheren Gesamtpunktzahl nach § 15 Abs 3 SGB 11 begehrt wird, stellt eine unzulässige Elementenfeststellungsklage dar. |
Tenor: |
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
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Tatbestand
Die rechtskundig vertretene Klägerin wendet sich gegen die Anzahl gewichteter Punkte, welche die Beklagte einer Entscheidung über Leistungen nach dem Pflegegrad 2 zu Grunde gelegt hat, ohne Leistungen nach einem höheren Pflegegrad zu begehren.
Mit Bescheid vom 29.11.2022 lehnte die Beklagte einen Höherstufungsantrag der im Jahr 1945 geborenen Klägerin ab. Leistungen des Pflegegrads 3 erhalte die Klägerin, wenn eine schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit vorliege (47,5 bis 69,9 Punkte). Der Medizinische Dienst (MD) habe die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit begutachtet und festgestellt, dass bei der Klägerin eine erhebliche, aber noch keine schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit vorliege. Der Grad der Beeinträchtigung erreiche den Pflegegrad 3 noch nicht. Dem Bescheid war ein Gutachten des MD vom 28.11.2022 beigefügt (auf welches im Bescheid verwiesen wurde), wonach sich der pflegerische Hilfebedarf bei der Klägerin auf 33,75 Gesamtpunkte belaufe.
Mit Bescheid vom 23.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2024 lehnte die Beklagte einen weiteren Höherstufungsantrag der Klägerin ab. Die Begründung des Bescheids vom 23.10.2023 entsprach jener des Bescheids vom 29.11.2022, allerdings wurde diesmal ein Gutachten des MD vom 19.10.2023 beigefügt, in welchem ein pflegerischer Unterstützungsbedarf im Umfang von 28,75 Gesamtpunkten angesetzt worden war.
Die Klägerin hat (nach einer vorangegangenen Untätigkeitsklage) am 17.04.2024 rechtskundig vertreten Klage beim SG Heilbronn erhoben. Mit Bescheid vom 29.11.2022 sei bei der Klägerin eine Punktzahl von 33,75 Pflegepunkten festgestellt worden. An diesen Bescheid sei die Beklagte gebunden.
Die Klägerin beantragt ausdrücklich (vgl. Bl. 6 SG),
„den Bescheid der Beklagten vom 23.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2024 insoweit aufzuheben, als der Klägerin 33,75 Pflegepunkte zuzusprechen sind.“
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich inhaltlich nicht zum vorliegenden Verfahren geäußert.
Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass der klägerische Antrag nicht zulässig sein dürfte. Die Gesamtpunkte dürften lediglich ein Begründungselement des Anspruchs auf Leistungen nach einem bestimmten Pflegegrad sein, aber keine eigenständigen Regelungen darstellen. Entsprechend dürften Ausführungen hierzu nicht der Bestandskraft zugänglich sein. Zwar sei eine Feststellungsklage auf Feststellung einzelner Rechte und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis möglich, aber grundsätzlich nicht wegen einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses. Deswegen sei z.B. eine Klage auf Feststellung des Bestehens der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung unzulässig. Ausgehend von den begehrten 33,75 Gesamtpunkten würden auch keine Leistungen nach einem höheren Pflegegrad begehrt.
Die Klägerin hat daraufhin an der Klage festgehalten. Der Pflegegrad könne nur mit den zu ermittelnden Gesamtpunkten festgestellt werden, weshalb sich hinsichtlich der Bestandskraft des Bescheides vom 29.11.2022 eine rechtlich untrennbare Einheit zwischen der Gesamtpunktzahl und dem Pflegegrad ergebe. Im Rahmen der Auslegung sei der Verfügungssatz des Bescheids vom 28.11.2022 so zu sehen, dass ein Pflegegrad 2 mit 33,75 Punkten festgestellt worden sei. Das schutzwürdige Begehren der Klägerin sei darin zu sehen, dass ausgehend vom Bescheid vom 29.11.2022 mit der Punktzahl von 33,75 Punkten bei Bindungswirkung dieses Bescheids der Pflegegrad 3 leichter erreichbar sei.
Das SG hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
1. Das SG entscheidet durch Gerichtsbescheid, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 SGG.
2. Gegenstand des Verfahrens ist die rechtskundig ausdrücklich beantragte Teilaufhebung des Bescheids vom 23.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2024 hinsichtlich einer von der Klägerin angenommenen Verfügung bezüglich der Gesamtpunktzahl und die (implizit beantragte) Feststellung einer Gesamtpunktzahl von 33,75. Unter Berücksichtigung des ausdrücklichen Antrags und der klägerischen Reaktion auf den erteilten richterlichen Hinweis lässt sich das klägerische Begehren nicht anders auslegen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen von Rechtsanwälten oder vergleichbar qualifizierten Prozessbevollmächtigten ist in der Regel davon auszugehen, dass diese das Gewollte richtig wiedergeben (BSG vom 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, Rn. 23 juris).
Erhoben ist vorliegend also eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54 Abs. 1, 55 SGG.
3. Die Klage ist insgesamt unzulässig. Die Feststellungsklage bezieht sich auf eine unzulässige Elementenfeststellung und die Anfechtungsklage richtet sich im erhobenen Umfang nicht gegen eine Regelung, sondern (allenfalls) gegen ein Begründungselement.
a) Die (Teil-)Anfechtungsklage ist bereits nichts statthaft und daher unzulässig. Weder der Bescheid vom 29.11.2022, noch der Bescheid vom 23.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.3.2024 enthalten regelnde Verfügungssätze zur Gesamtpunktzahl. Dies ergibt sich bereits aus dem nicht anders auszulegenden Wortlaut der Bescheide, aus dem ohne Weiteres ersichtlich ist, dass sich die Regelung jeweils in der Ablehnung eines Höherstufungsantrags erschöpft. Die Formulierungen in den Bescheiden enthalten auch keinerlei Ausführungen zur jeweils angenommenen konkreten Gesamtpunktzahl. Vielmehr wird nur ausgeführt, dass der Pflegegrad 3 eine schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (47,5 bis 69,9 Punkte) voraussetze, welche bei der Klägerin laut MD nicht vorläge. Selbst wenn die Gesamtpunktzahl grundsätzlich einer eigenständigen Regelung zugänglich wäre, fände sich eine solche in den genannten Bescheiden nicht. Die Anfechtungsklage richtet sich daher nicht gegen eine Regelung, weshalb sie nicht statthaft ist.
b) Die Feststellungsklage ist ebenfalls unzulässig. Unabhängig davon, dass die Zulässigkeit vorliegend im Hinblick auf das Ergebnis unter 3 a) bereits an der fehlenden Vorbefassung der Beklagten mit dem Feststellungsbegehren scheitern dürfte, stellen die Gesamtpunkte lediglich ein Begründungselement des Anspruchs auf Leistungen nach einem bestimmten Pflegegrad dar, aber keine eigenständigen Regelungen.
Zwar ist eine Feststellungsklage auf Feststellung einzelner Rechte und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis möglich, aber grundsätzlich nicht wegen einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses (LSG Hamburg, Urteil vom 06.10.2022 - L 4 AS 82/21, juris Rn. 72; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 55 Rn. 9). Deswegen ist z.B. eine Klage auf Feststellung des Bestehens der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung unzulässig (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt a.a.O. Rn. 9).
Unter Anwendung dieser Grundsätze wird vorliegend eine Feststellung zu einem einzelnen Begründungselement eines Rechtsverhältnisses begehrt. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB XI regelt die Beklagte nämlich Leistungen aufgrund des Pflegegrads, die Punktzahlen sind nur zur dessen Ermittlung nötig (§ 15 Abs. 1. S. 2 SGB XI). Die Gesamtpunktzahl ist also lediglich ein Begründungselement hinsichtlich des auf Leistungen nach einem bestimmten Pflegegrad bezogenen Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten.
Die Argumente der Klägerin im Klageverfahren ändern daran nichts. Jedes Tatbestandsmerkmal einer Leistung muss zu deren Bewilligung vorliegen. Dies macht die einzelnen Tatbestandsmerkmale aber nicht zu eigenständigen Regelungen. Eine Rente wegen Erwerbsminderung kann etwa nur bewilligt werden, wenn eine Erwerbsminderung vorliegt. Dennoch ist eine Klage auf Feststellung der Erwerbsminderung nach den dargestellten Grundsätzen nicht zulässig. Die Ausführungen der Klägerin zu einer „untrennbaren Einheit“ überzeugen daher nicht. Auch im Übrigen vermögen Sie kein rechtlich schützenswertes Interesse an einer unzulässigen Elementenfeststellung zu begründen. Das Gesetz sieht eine rechtskräftige Feststellung von Gesamtpunkten (anders als z.B. bei Unfallfolgen, vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) nicht vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.