Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 21.12.2021 in der Form des Bescheids vom 10.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2023 verpflichtet, den Kläger aufgrund erforderlicher Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes nach pflichtgemäßem Ermessen hinsichtlich der Höhe der Rente neu zu bescheiden.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) des Klägers wegen einer zu gewährenden Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Der am 1994 geborene Kläger war im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters, Herrn J.H., als Landwirt beschäftigt, als er am 20.06.2020 bei Dacharbeiten stürzte.
Für diese unfallbringende Tätigkeit bezog der Kläger von 01.06.2019 bis zum 13.10.2019 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 6.179,40 € und vom 14.10.2019 bis zum 31.05.2020 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 1.520,00 €.
Zudem ist der Kläger seit dem 14.10.2019 bei der Landwirtschaftskammer NRW als Unternehmensberater beschäftigt. Für diese Tätigkeit bezog er vom 14.10.2019 bis zum 31.05.2020 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 26.641,80 €.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.12.2021 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 20.06.2020 als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger ab dem 19.04.2021 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 %. Der JAV wurde vom 19.04.2021 bis zum 09.05.2021 in Höhe von 26.641,80 € und vom 10.05.2021 bis auf Weiteres in Höhe von 34.341,20 € festgesetzt. Zur Begründung erläuterte die Beklagte, die Rente berechne sich ab der Arbeitsfähigkeit in der Haupttätigkeit des Klägers ab dem 19.04.2021 nach dem JAV von 26.641,80 € sowie ab der Arbeitsfähigkeit auch in dem Minijob des Klägers ab dem 10.05.2021 nach dem JAV von 34.341,20 €.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 27.01.2022 Widerspruch. Da zum 14.07.2021 das zunächst befristete Verhältnis bei der Landwirtschaftskammer NRW entfristet worden sei, sei die Bewertung des JAV auf Grundlage der Beschäftigung bei der Landwirtschaftskammer NRW zum Zeitpunkt des Unfalls vorzunehmen. Demnach müsse das jährliche Entgelt aus dieser Tätigkeit zuzüglich des nebenberuflichen Einkommens als mithelfendes Familienmitglied dem JAV zugrunde gelegt werden.
Mit Bescheid vom 10.06.2022 setzte die Beklagte den JAV zum 01.07.2022 in Höhe von 36.178,45 € aufgrund einer Anpassung neu fest.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2023 zurück. Der JAV sei der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Somit sei der JAV gemäß dem Einkommen des Klägers aus der Zeit vom 01.06.2019 bis 31.05.2020 festzusetzen. Eine Änderung beziehungsweise Anpassung dieses JAVs aufgrund einer nach dem Unfall vollzogenen Entfristung des Arbeitsverhältnisses bei der Landwirtschaftskammer NRW sowie ein Abstellen des JAVs auf den Zeitpunkt zum Unfallereignis beziehungsweise den Zeitraum nach dem Unfallereignis sei daher nicht zulässig.
Am 15.02.2023 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, der JAV sei gemäß § 87 SGB VII nach billigem Ermessen neu festzusetzen, da während des Jahreszeitraums eine wesentliche Änderung seiner beruflichen Situation eingetreten sei, die mit einer wesentlichen Änderung des Arbeitseinkommens einhergegangen sei. Der festgesetzte JAV sei daher unbillig. Bezüglich der zunächst bestehenden Befristung des Arbeitsverhältnisses bei der Landwirtschaftskammer legt der Kläger dar, ihm sei im Vorfeld zur Stellenbesetzung bereits eine Entfristung in Aussicht gestellt worden, die letztlich auch erfolgt sei. Das Arbeitsverhältnis sei also auf Dauer angetreten worden.
Der Kläger beantragt mit Schriftsatz vom 30.05.2023,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2023 zu verurteilen, den Jahresarbeitsverdienst nach pflichtgemäßem Ermessen hinsichtlich der Höhe durch Bescheid neu festzusetzen und daraus resultierend höhere Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 15.03.2023,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt der Klage mit der Begründung entgegen, die bei dem Kläger eingetretene Änderung der beruflichen Situation sei aufgrund der Befristung des Arbeitsverhältnisses erkennbar nicht auf Dauer eingetreten. Zudem spiegele die erfolgte JAV-Berechnung den Lebensstandard des Klägers in dem Jahr vor dessen Unfall wider. Aufgrund der im JAV-Zeitraum bezogenen Arbeitsentgelte handele es sich nicht um einen atypischen Fall, weshalb keine erhebliche Unbilligkeit vorliege.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 31.05.2024 und 21.05.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Inhalte sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer höheren Verletztenrente aufgrund einer zu erfolgenden Neufestsetzung des JAVs gem. §§ 56 Abs. 1, Abs. 3, 82 Abs. 1, 87 SGB VII, da der bisher von der Beklagten nach der Regelberechnung festgesetzte Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig ist.
Die Höhe der dem Kläger mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.12.2021 gewährten Verletztenrente bemisst sich gem. § 56 Abs. 3 SGB VII nach dem JAV. Dieser ist gem. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Gem. § 87 SGB VII wiederum wird ein nach dieser Regelberechnung festgesetzter Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festgesetzt, wenn er in erheblichem Maße unbillig ist, wobei insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt werden.
Im vorliegenden Fall ist der bisher von der Beklagten nach der Regelberechnung festgesetzte Jahresarbeitsverdienst in Höhe von 34.341,20 € in erheblichem Maße unbillig. Der JAV ist deshalb gem. § 87 SGB VII nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst von der Beklagten neu festzusetzen.
Der bisher festgesetzte JAV in Höhe von 34.341,20 € entspricht der Regelberechnung nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Dieser Grundsatz der Regelberechnung kommt jedoch dann nicht zum Tragen, wenn innerhalb des maßgeblichen Jahres beim Versicherten eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung des Arbeitseinkommens eingetreten ist (BSG, Urteil vom 28. Januar 1993 – 2 RU 15/92 –, juris, Rn. 21). Rechtszweck der Unbilligkeitskorrektur soll es sein, dem Versicherten den Lebensstandard zu sichern, den er vor dem Unfall erreicht hat, wenn er sich hierauf auf Dauer einrichten konnte (a.a.O.; so auch BSG, Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 24/10 R –, juris, Rn. 24).
Vorliegend war der Kläger während des 12-Monats-Zeitraums vor dem Arbeitsunfall vom 01.06.2019 bis zum 13.10.2019 in dem Betrieb seines Vaters beschäftigt und erzielte dort ein monatliches Arbeitsentgelt von lediglich 1.393,85 €. Am 14.10.2019 nahm der Kläger sodann eine Tätigkeit bei der Landwirtschaftskammer NRW auf, für die er ein Entgelt i.H.v. 3.346,42 € monatlich erhielt. Zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls im Juni 2020 war der Kläger mithin bereits 8 Monate bei der Landwirtschaftskammer beschäftigt und hatte einen an das nunmehr deutlich höhere Einkommen angepassten Lebensstandard. Die von der Beklagten vorgenommene Festsetzung ist daher nach Auffassung der Kammer nicht geeignet, den realen wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls Rechnung zu tragen. Auf diese zum Unfallzeitpunkt bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse konnte sich der Kläger auch auf Dauer einrichten. Das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Landwirtschaftskammer war zwar zunächst befristet, der Kläger hat jedoch dargelegt, ihm sei im Vorfeld zur Stellenbesetzung bereits eine Entfristung in Aussicht gestellt worden. Ein solches Vorgehen einer zunächst befristeten Einstellung, um den Arbeitnehmer vor einer Entfristung besser kennenzulernen, ist auch nicht unüblich. Zudem ist die Entfristung letztlich auch am 14.07.2021 trotz nicht unerheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten des Klägers erfolgt.
Eben dieser sich aus der Regelberechnung bei einer Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ergebenden Unbilligkeit wirkt § 87 SGB VII entgegen, da durch eine entsprechende Anpassung des JAV gerade eine wesentliche Änderung der beruflichen Situation verbunden mit einer erheblichen Änderung des Arbeitseinkommens innerhalb des maßgeblichen Jahres ausgeglichen werden soll.
Diese hier bestehende Unbilligkeit liegt auch in erheblichem Maße vor, da die Abweichung des von der Beklagten festgesetzten JAVs (34.341,20 €) zu dem JAV, der anzunehmen wäre, wenn der Kläger in den 12 Monaten vor dem Unfall durchgehend bei der Landwirtschaftskammer beschäftigt gewesen wäre (44.559,96 €), 22,93 % beträgt (vgl. hierzu u.a. Schudmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 87 SGB VII (Stand: 15.01.2022), Rn. 42).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem
Sozialgericht Duisburg, Mülheimer Straße 54, 47057 Duisburg
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.
Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.
Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Duisburg schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.
Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.
Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.
Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).