Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Die Beschwerde – über die aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 7. Juni 2024 der Senat (ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter) entscheidet (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ‹RVG› in Verbindung mit § 33 Abs. 8 Satz 1 bis 3 RVG) – ist zulässig (vgl. § 33 Abs. 3 Satz 1, 3, Abs. 7 Satz 3 RVG in Verbindung mit § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG), jedoch nicht begründet.
Der Senat sieht sich durch § 58 Abs. 2 Satz 2 RVG (der durch das Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ‹Kostenrechtsänderungsgesetz 2021› vom 21. Dezember 2020 ‹Bundesgesetzblatt 2020 Teil I S. 3229› mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 eingefügt wurde) nicht veranlasst, für gegen die Staatkasse gerichtete Gebührenansprüche der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwälte, die sich nach dem bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz berechnen, von der mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 (L 39 SF 41/18 B E) geäußerten Rechtsauffassung abzurücken. Der Senat hat mit diesem Beschluss ausgeführt:
„Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin wird der nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG anzurechnende Betrag hier nicht durch § 58 Abs. 2 RVG weiter eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift sind in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, Vorschüsse und Zahlungen, welche ein beigeordneter Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhält, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht.
Die Regelung geht ausweislich der Verweisungen in den Gesetzesbegründungen zu § 58 Abs. 2 RVG (BT-Drucksache 15/1971, S. 203) und zu § 129 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BT-Drucksache 2/2545, S. 274 zu § 127) auf § 3 des Gesetzes betreffend die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren in Armensachen (ArmenAnwGebG) vom 20. Dezember 1928 (RGBl. I S. 411) zurück. Nach § 1 ArmenAnwGebG war für den Armenanwalt bei einem Gegenstandswert von mehr als 400,00 Reichsmark eine niedrigere Vergütung als für den Wahlanwalt vorgesehen. In der Gesetzesbegründung zu § 3 ArmenAnwGebG heißt es, die Regelung stelle die in der Rechtsprechung bestrittene Frage der Verrechnung von Vorschüssen und sonstigen Zahlungen in dem Sinne klar, dass diese zunächst auf denjenigen Teil der Vergütung zu verrechnen seien, für den der Staat auf Grund dieses Gesetzes nicht hafte (Verhandlungen des Reichstags 1928, Band 432, Nr. 511, S. 3). Der damalige Hintergrund der Regelung entspricht dem heutigen. Der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt hat in Verfahren, in denen Wertgebühren entstehen, gemäß § 49 RVG ab einem Gegenstandswert von 4.000,00 EUR gegen die Staatskasse nur einen Anspruch auf eine im Vergleich zum Wahlanwalt geringere Vergütung. Der Anspruch auf die volle Wahlanwaltsvergütung besteht daneben sowohl gegen den Auftraggeber als auch im Fall des Obsiegens gegen den Prozessgegner fort. Gegen den Auftraggeber ist er jedoch gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) regelmäßig nicht durchsetzbar. Nach § 58 Abs. 2 RVG sollen Vorschüsse und Zahlungen zunächst auf den Unterschiedsbetrag zwischen der Prozesskostenhilfevergütung nach § 49 RVG und der Wahlanwaltsvergütung nach § 13 RVG angerechnet werden (Stollenwerk, in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Auflage 2017, § 58 RVG Rn. 8; Kießling, in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, § 58 Rn. 2). Somit entspricht die Regelung des § 58 Abs. 2 RVG dem Rechtsgedanken aus § 366 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Danach wird bei fehlender abweichender Bestimmung des Schuldners durch eine zur Tilgung nicht ausreichende Zahlung zunächst diejenige Forderung getilgt, die dem Gläubiger die geringere Sicherheit bietet. In diesem Sinne soll § 58 Abs. 2 RVG den beigeordneten Rechtsanwalt schützen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 5. April 2017, 19 C 15.2425, Rn. 17; Hartung, in Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Auflage 2017, § 58 Rn. 26; Kießling, in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, § 58 Rn. 2; Toussaint, in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 58 RVG Rn. 6). Wie nach § 366 Abs. 2 BGB geht eine Tilgungsbestimmung des Zahlenden der Regelung des § 58 Abs. 2 RVG vor (Müller-Rabe, in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage 2019, § 58 Rn. 6; Schneider/Teubel, in Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, 3. Auflage 2018, § 58 RVG Rn. 19; Stollenwerk, in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Auflage 2017, § 58 RVG Rn. 11).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird einerseits vertreten, dass § 58 Abs. 2 RVG auch auf Zahlungen im Zusammenhang mit der Anrechnung nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anwendbar sei, was für Verfahren, in denen Wertgebühren nach § 13 RVG entstehen, zu Folge haben soll, dass eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr nur auf den Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse angerechnet wird, soweit sie die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung übersteigt (Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 17. Februar 2014, 18 W 93/13, Rn. 6; Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 30. Juli 2012, 14 W 360/12, Rn. 10; Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 1. September 2011, 13 W 29/11, Rn. 10; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. Juli 2011, 6 W 55/10, Rn. 17; Oberlandesgericht Braunschweig, Beschluss vom 22. März 2011, 2 W 18/11, Rn. 11; Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 11. Mai 2010, 2 WF 33/10, Rn. 26; Oberlandesgericht München, Beschluss vom 10. Dezember 2009, 11 W 2649/09, Rn. 14; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 3. März 2008, 15 WF 9/08, Rn. 14; ebenso Müller-Rabe, in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage 2019, § 58 Rn. 45; Ahlmann, in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, § 58 Rn. 26; Kießling, in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, § 58 Rn. 23; Sommerfeldt, in BeckOK RVG, Stand 1. September 2020, § 58 Rn. 6a; Groß, in: Groß, Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe, 14. Auflage 2018, § 58 RVG Rn. 3; zu Betragsrahmengebühren: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Juni 2019, L 2 AS 241/18 B, Rn. 36).
Nach der Gegenansicht betrifft § 58 Abs. 2 RVG ausschließlich die Tilgung, nicht aber die Entstehung und Berechnung des Vergütungsanspruchs und damit auch nicht die Anrechnung von Gebühren (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Januar 2020, L 19 AS 773/19 B, Rn. 32; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2019, 6 K 53.18; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 21. März 2018, 2 WF 15/18, Rn. 25; Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 30. November 2016, 20 WF 1122/16, Rn. 11; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 3. April 2013, 13 OA 276.12, Rn. 5; Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2009, 13 Ta 302/09, Rn. 25; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Februar 2009, 3 So 197/08, Rn. 28).
Der Senat kann diese Frage offenlassen. Der Anwendung des § 58 Abs. 2 RVG steht hier bereits entgegen, dass der Grundsicherungsträger durch Anerkenntnis der Kostenforderung und Zahlung zumindest konkludent eine vorrangige Tilgungsbestimmung im Sinne des § 366 Abs. 1 BGB getroffen hat (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. April 2010, VIII ZR 6/09, Rn. 18; Urteil vom 6. November 1990, XI ZR 262/89, Rn. 12), so dass die Zahlung ohnehin nur auf die konkrete Kostenforderung anzurechnen war. In diesem Zusammenhang merkt der Senat an, dass eine solche Tilgungsbestimmung in der Regel auch immer dann vorliegen wird, wenn eine Zahlung unter Bezugnahme auf einen Kostenfestsetzungsbeschluss erfolgt.
Falls keine Tilgungsbestimmung vorläge, liefe die Regelung des § 58 Abs. 2 RVG im vorliegenden Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren nach § 14 RVG entstanden sind, hinsichtlich der Vergütung des Gerichtsverfahrens ins Leere. Während bei Wertgebühren gemäß § 49 RVG ab einem bestimmten Gegenstandswert geminderte Gebühren für den beigeordneten Rechtsanwalt vorgesehen sind, entspricht bei Betragsrahmengebühren der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes gegenüber der Staatskasse der Höhe nach grundsätzlich dem Vergütungsanspruch gegenüber dem Auftraggeber. Soweit der Gebührenanspruch der Antragstellerin für das Vorverfahren wegen der mit dem Grundsicherungsträger vereinbarten Kostenquote teilweise ungedeckt geblieben ist, liegen zudem die Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 RVG unter Berücksichtigung des oben herausgearbeiteten Schutzzweckes, die Wahlanwaltsvergütung gegenüber einer daneben bestehenden Prozesskostenhilfevergütung zu privilegieren, ohnehin nicht vor. Denn die Gebührenforderung der Antragstellerin bezüglich des Vorverfahrens stand hinsichtlich der Tilgung nicht in Konkurrenz mit einer Gebührenforderung gegen die Landeskasse.“
Die Begründung des Gesetzgebers zu dem mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 in § 58 Abs. 2 RVG eingefügten zweiten Satz lautet (Bundestags-Drucksache 19/23484 S. 81):
„In der Rechtsprechung ist trotz der Regelung des § 15a Absatz 1 RVG umstritten, ob beispielsweise der Anfall einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr wegen der in Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG normierten Anrechnung stets zu einer Reduzierung der aus der Staatskasse zu zahlenden Verfahrensgebühr führt. Um eine einheitliche Handhabung zu gewährleisten, wird eine Klarstellung in § 58 Absatz 2 RVG vorgeschlagen.
Nach der vorgeschlagenen Regelung soll eine Anrechnung einer auf eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr erfolgten Zahlung nur dann in Betracht kommen, wenn die Zahlung dazu führt, dass die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und dem insgesamt nach § 49 RVG bestehenden Anspruch völlig beglichen ist.
Die Regelung berücksichtigt die Interessen der Partei, der eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde, und entspricht der Kernaussage des § 15a Absatz 1 RVG. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum eine Zahlung einer PKH-Partei nach der Beiordnung zunächst auf diejenigen Vergütungen anzurechnen sein sollte, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht besteht (§ 58 Absatz 2 RVG), während eine Zahlung auf eine vor der Beiordnung entstandene Geschäftsgebühr über die Anrechnungsbestimmungen unmittelbar die Vergütung aus der Staatskasse mindern soll.
Die vorgeschlagene Regelung ist so gestaltet, dass sie alle Anrechnungsfälle erfasst und nur zum Tragen kommen kann, wenn tatsächlich eine Zahlung auf die anzurechnende Gebühr erfolgt ist. Die Regelungen des § 55 Absatz 5 Satz 3 und 4 RVG gewährleisten, dass dem Gericht im Rahmen der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung die zur Umsetzung der Regelung notwendigen Angaben vorliegen.“
Ausweislich des zweiten Absatzes dieser Begründung dient § 58 Abs. 2 Satz 2 RVG der Klarstellung in Fällen, in denen die Wahlanwaltsvergütung (Wertgebühren gemäß § 13 RVG) höher ist als die Prozesskostenhilfevergütung (Wertgebühren aus der Staatskasse gemäß § 49 RVG). Wie der Senat mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 (L 39 SF 41/18 B E) ausgeführt hat, besteht jedoch in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung der Höhe nach kein Unterschied.
Selbst wenn jedoch § 58 Abs. 2 Satz 2 RVG eine Klarstellung auch für Verfahren vor den Sozialgerichten enthielte, in denen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, entfaltete diese Klarstellung keine Wirkung für die Vergangenheit. Das ergibt sich aus Art. 11 Abs. 3 des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021, der Begründung zu dem mit Wirkung ab dem 1. Januar 2021 in § 58 Abs. 2 RVG eingefügten zweiten Satz (siehe oben), vor allem aber aus dem Grundgesetz (GG). Denn der Gesetzgeber kann zwar den Inhalt von Normen ändern oder klarstellend präzisieren; dabei muss er jedoch die Grenzen beachten, die aus dem Rechtsstaatsprinzip für eine rückwirkende Rechtsetzung folgen. Zu einer authentische Interpretation gesetzlicher Vorschriften ist der Gesetzgeber nicht befugt. Den Inhalt geltenden Rechts kann er mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung feststellen oder klarstellend präzisieren. Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden wird oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden soll. Eine konstitutiv rückwirkende Regelung liegt immer dann vor, wenn der Gesetzgeber eine Rechtslage rückwirkend klärt, um nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen. Eine nachträgliche Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist auch dann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die rückwirkende Regelung eine in der Fachgerichtsbarkeit kontroverse Auslegungsfrage entscheidet, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind echt rückwirkende belastende Gesetzes grundsätzlich unzulässig (vgl. Bundesverfassungsgericht ‹BVerfG›, Beschluss vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR; BVerfG, Beschluss vom 12. November 2015, 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14).
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).