§ 30 Abs. 1 SGB VI ist nicht erweiternd dahingehend auszulegen, dass die Schuldnerschutzvorschrift auch versorgungsträgerübergreifend Anwendung findet. In Fällen des Quasi-Splittings bzw. externen Teilung gem. § 16 VersAusglG hat deshalb der Rentenversicherungsträger in der Übergangszeit gem. § 30 Abs. 2 VersAusglG gegen den Träger der Versorgungslast keinen Anspruch auf Aufwendungserstattung gem. § 225 Abs. 1 SGB VI.
ENTWURF Sozialgericht Berlin |
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Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Deutsche Rentenversicherung Bund,
Ruhrstr. 2, 10709 Berlin,
in Sachen: B., L. geb.: ...1951 verst.: ….2020
- Klägerin -
gegen
Freistaat Bayern,
vertreten durch das Landesamt für Finanzen - Dienststelle München -
Alexandrastr. 3, 80538 München,
- Beklagter -
hat die 32. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 25. Juni 2024 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn … und Herrn … für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 454,08 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die klagende Trägerin der Rentenversicherung verlangt von dem beklagten Träger der Versorgungslast Erstattung von Aufwendungen gem. § 225 Abs. 1 S. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI). Streitig ist, ob die Schutzvorschrift des § 30 Abs. 1 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) auch versorgungsträgerübergreifend und damit nicht nur in Fällen der internen Teilung Anwendung findet.
Mit Urteil vom 28. Oktober 1997, Az. 543 F 6634/96, regelte das Amtsgericht München, Familiengericht, (im Folgenden: FamG) den Versorgungsausgleich zwischen den geschiedenen Ehelsuten H. und L. B. dahingehend, dass zu Lasten der Versorgung der Frau H. B. bei der Beklagte und zugunsten des geschiedenen Ehemannes L. B. auf dessen Versicherungskonto bei der Klägerin Rentenanwartschaften von monatlich 106,37 DM bezogen auf den 31. Dezember 1996 begründet wurden. Der Versorgungsausgleich erfolgte nach § 1587b Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch Quasi-Splitting mit Anordnung der Umrechnung in Entgeltpunkte gem. § 1587b Abs. 6 BGB.
Die Beklagte gewährte der bei ihr versorgten H. B. ab 16. Februar 2019 Ruhegehalt, welches um den Versorgungsausgleich gemindert war.
Mit Rentenbescheid vom 7. Dezember 2020 bewilligte die Klägerin der Frau E. B., Witwe des im Juli 2020 verstorbenen L. B., ab 1. August 2020 große Witwenrente unter Berücksichtigung der im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften. Dieser Versorgungsausgleich führte zu einem Zuschlag von 2,2792 persönlichen Entgeltpunkten.
Mit Beschluss vom 1. Februar 2021, Az. 512 F 8877/20, änderte das FamG auf Antrag von Frau H. B. vom 23. September 2020 sein Urteil vom 28. Oktober 1997, Az. 543 F 6634/96 laut Beschlusstenor mit Wirkung ab 1. September 2020 dahingehend ab, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Dieser Beschluss ging am 4. Februar 2021 bei der Klägerin ein.
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 4. März 2021 an die Beklagte und teilte mit, dass aus der Versicherung des verstorbenen L. B. bereits eine Hinterbliebenenrente gezahlt werde. Das Abänderungserfahren wirke sich gem. § 226 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ab dem 1. Oktober 2020 aus. Zwecks Prüfung, ob die Klägerin die Schuldnerschutzregelung des § 30 VersAusglG anwende, bitte sie die Beklagte um Mitteilung, ob Frau E. B. bereits eine Versorgung beziehe. Die Klägerin werde der Beklagten in dem Fall den Zeitpunkt des Eingangs der Rechtskraftmitteilung mitteilen sowie die Berücksichtigung des Wegfalls des bei ihr in der gesetzlichen Rentenversicherung begründeten Anrechts. Um Doppelleistungen zu vermeiden, empfehle sie, vor Anweisung der Versorgung an Frau H. B. unter Berücksichtigung der Versorgungsausgleichsabänderung ihre Mitteilung abzuwarten. Der Versorgungsempfänger der Beklagten müsse eine Leistung der Klägerin an die bei ihr berechtigte Person gegen sich gelten lassen bis zum Ablauf des Folgemonats auf den Eingang der Rechtskraftmittelung. Sie kündigte an, ihre Erstattungsforderungen nach § 225 SGB VI entsprechend zu berechnen.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 17. März 2021 mit, dass Frau H. B. seit dem 16. Februar 2019 im Ruhestand sei und ein Ruhegehalt beziehe.
Die Mitteilung des FamG, dass der Beschluss vom 1. Februar 2021 seit dem 9. April 2021 rechtskräftig ist, ging bei der Beklagten und bei der Klägerin jeweils im August 2021 ein.
Die Klägerin entschied sich in ihrem Verfügungsvordruck, die Schuldnerschutzregelung gegenüber dem Versorgungsträger anzuwenden, und minderte die Hinterbliebenenrente an die Witwe des L. B. erst ab 1. Oktober 2021. Entsprechend berechnete sie die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des L. B. zugunsten der Witwe E. B. erst ab 1. Oktober 2021 neu und gewährte dieser erst ab diesem Zeitpunkt eine um den bisher berücksichtigten Versorgungsausgleich geminderte Rente.
Mit Schreiben vom 19. August 2021 teilte die Klägerin der Beklagte mit, dass sie den Wegfall der durch Versorgungsausgleich bei ihr begründeten Anrechte ab 1. Oktober 2021 berücksichtigen werde gem. § 101 Abs. 3 SGB VI i.V.m. § 30 VersAusglG. Ab diesem Zeitpunkt falle ihr Erstattungsanspruch gegen die Beklagte weg.
Mit Anforderung vom 7. Januar 2022 forderte die Klägerin von der Beklagten Erstattung für an H. B. aus Versorgungsausgleich geleistete Zahlungen vom 1. Januar bis 31. Dezember 2021 von insgesamt 605,49 €.
Der Beklagte schrieb der Klägerin unter dem 6. September 2022, dass aufgrund des Beschlusses des FamG mit Wirkung ab 1. September 2020 ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. Eine Erstattung für das Kalenderjahr 2021 gem. § 225 SGB VI könne daher nicht erfolgen. § 30 VersAusglG finde keine Anwendung. Sie verweise auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 26. Juni 2017, Az. 10 B 25/16, dass § 30 VersAusglG nur in Fällen der internen Teilung, aber nicht der externen Teilung, wie hier, Anwendung finde. Erstattungen durch sie an die Beklagte gem. § 225 SGB VI würden ihr nicht die Einwendung des § 30 VersAusglG ermöglichen. Sie habe den Beschluss des FamG ab dem darin benannten Wirkungszeitpunkt, also ab 1. September 2020, zugunsten ihrer Versorgungsempfängerin H. B. umzusetzen.
Mit Schreiben vom 1. November 2022 erwiderte die Klägerin, die Schuldnerschutzregelung des § 30 VersAusglG finde auch bei der externen Teilung Anwendung. Der Versorgungsträger, welcher noch mit befreiender Wirkung an die belastete Person leiste, bestimme, zu welchem Zeitpunkt die Zahlungsumstellung erfolge. Das gelte auch bei Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung aus Anrechten, die im Wege des Quasi-Splittings begründet worden seien. Sie verweise auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. November 1999, Az. B 4 RA 16/99 R. Hier entscheide also der Rentenversicherungsträger den Zeitpunkt, ab welchem die Rentenminderung durchgeführt werde, und teile diesen Zeitpunkt dem Versorgungsträger mit. Sie habe der Beklagten unter dem 19. August 2021 die entsprechende Mitteilung gemacht.
Am 3. März 2023 hat die Klägerin gegen die Beklagte beim Sozialgericht Berlin Klage auf Zahlung von 454,08 € erhoben. Sie habe für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2021 gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch gem. § 225 Abs. 1 SGB VI in Höhe von 454,08 €. Die Schuldnerschutzregelung des § 30 VersAusglG dürfe angewendet werden, weil sowohl an die bisher Berechtigte, die Witwe E. B., als auch die nunmehr Berechtigte H. B. Renten- bzw. Versorgungsleistungen aus dem ausgeglichenen Anrecht erbracht worden seien. Der Zahlungsanspruch der versorgungsberechtigten H. B. gegen die Beklagte sei aufgrund der Zahlung der Klägerin an die Witwe E. B. untergegangen. Zum Schutz der Versorgungsträger sei das Rückforderungsrisiko für die in § 30 Abs. 2 VersAusglG genannte Übergangszeit auf die Ehegatten bzw. deren Hinterbliebenen verlagert worden.
Der von der Beklagten angeführte Beschluss des BVerwG vom 26 Juni 2017, Az. 10 B 25/16, betreffe eine andere Fallgestaltung. Dort sei es – anders als in diesem Fall – zu keinem Gläubigerwechsel gekommen und daher die Schuldnerschutzregelung nicht anwendbar.
Es müsse dem Grundsatz der Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs Rechnung getragen werden und das Risiko für Zahlungsausfälle für die beteiligten Versorgungsträger für die Übergangszeit vermieden werden. § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI regele zur Herbeiführung einer Kostenneutralität die Erstattungspflicht des Trägers der Versorgungslast. Die Hilfs- und Garantiefunktion des Erstattungsverfahren sowie das Prinzip der Kostenneutralität gebieten es, sicherzustellen, dass die Rentenversicherungsträger weder mit einer endgültigen Leistungspflicht belastet bleiben dürfen noch zu Vorleistungen verpflichtet werden ohne die Sicherheit einer Erstattung.
Sinn und Zweck des § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI sei, dass der Rentenversicherungsträger einen finanziellen Ausgleich dafür erhalte, dass er aufgrund einer familiengerichtlichen Gestaltungsentscheidung Aufwendungen für Rentenleistungen gehabt habe, denen keine Beitragsleistungen gegenüberstünden. Die gesetzliche Rentenversicherung solle keinen finanziellen Nachteil daraus haben, dass das Prinzip der Vorleistungsbezogenheit von Renten (§ 63 Abs. 1 SGB VI) durch den Versorgungsausgleich durchbrochen werde. Vielmehr solle der Versorgungsausgleich für die beteiligten Versorgungsträger kostenneutral sein. Die früheren Ehegatten sollten alleine das wirtschaftliche Risiko der Scheidung tragen. Ein doppelter Rechtsanspruch aus ein und derselben Rentenanwartschaft sei nicht gewollt.
Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI lägen vor. Die zur Erstattung angeforderten Beträge seien Aufwendungen, die kausal durch das Urteil des FamG vom 28. Oktober 1997 begründet worden seien. Aufgrund dieses Urteils seien im Wege des Quasi-Splittings Rentenanwartschaften bei ihr begründet worden. Aufgrund dieser übertragenen Rentenanwartschaften habe sie bis einschließlich September 2021 an die Witwe des ausgleichsberechtigten Versicherten L. B., an Frau E. B., Rente unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs gezahlt. Zur dieser Zahlung sei sie auch verpflichtet gewesen.
Die Abänderungsentscheidung des FamG vom 1. Februar 2021 lasse die Kausalität des Urteils des FamG vom 28. Oktober 1997 für die Zahlungen der Klägerin an Frau E. B. nicht entfallen; denn die Änderungsentscheidung sei erst im April 2021 rechtskräftig geworden und die Rechtskraftmitteilung sei der Klägerin erst im August 2021 zugegangen.
§ 30 VersAusglG finde Anwendung, weil sich hier für zwei Personen aus ein und demselben Anrecht Leistungsverhältnisse zwischen dem jeweiligen Versorgungs- bzw. Rentenversicherungsträger ergäben. In bestimmten Fallkonstellationen sei die Schuldnerschutzregelung versorgungsträgerübergreifend anwendbar nach dem Urteil des BSG vom 9. November 1999, Az. B 4 RA 16/99, dort Rn. 26. Für die einschränkende Auslegung der Beklagten gäbe es keine Gründe. Vielmehr sei eine weite Auslegung nach Sinn und Zweck des Schuldnerschutzes des § 30 VersAusglG für die betroffenen Versorgungsträger geboten. Es würden rückwirkende Korrekturen von Zahlungen vermieden und das Risiko, dass eine Rückforderung aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit des Versorgungs- bzw. Rentenempfängers ins Leere gehe. Derartige Risiken sollen durch die Schuldnerschutzregelung auf die früheren Ehegatten bzw. deren Hinterbliebene verlagert werden. Deshalb verweise § 101 Abs. 3 S. 4 SGB VI auf § 30 VersAusglG. Und die Klägerin habe hier von der Schuldnerschutzregelung Gebrauch gemacht, weil sie nicht das Risiko von Zahlungsausfällen tragen wolle.
Der Wortlaut des § 30 VersAusglG ließe zwar den Schluss zu, dass es sich um ein und denselben Versorgungsträger handeln müsse. Dann wäre eine Anwendung aber nur bei Versorgungsausgleichsentscheidung mit interner Teilung anwendbar, aber nicht bei Fällen der externen Teilung. Zwingend sei das aber allein nach dem Wortlaut nicht. Und ein solch enges Verständnis sei nach der Entstehungsgeschichte des § 30 VersAusglG zu bezweifeln. § 30 VersAusglG fasse die bis zum 31. August 2009 geltenden Regelungen in § 1587p BGB, § 3a Abs. 7 des seit 1. September 2009 außer Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) und § 10a Abs. 7 VAHRG zusammen (BT.Ds, 16/10144, S. 70). Ziel sei das Vermeiden von Doppelleistungen gewesen. Aus der historischen Zusammenschau der Vorschriften über den Versorgungsausgleich könne entnommen werden, dass die Kostenneutralität des Wertausgleichs für die Versorgungsträger stets relevant gewesen sei, da der Versorgungsausgleich der Abwicklung des durch die Ehe begründeten Privatrechtsverhältnisses diene. Auch § 101 Abs. 3 SGB VI i.d.F. bis 31. August 2009 zeige, dass keine zeitlich parallele Leistungserbringung aus einem Anrecht für beide Ehegatten erfolgte. Das müsse auch heute weiter gelten. Die Versichertengemeinschaft dürfe nicht mit dem Risiko von Zahlungsausfällen hinsichtlich der an den einen Ehegatten bzw. Hiterblieben überzahlten Beträge belastet werde unabhängig davon, ob interne oder externe Teilung vorliege. Nur dass bei der externen Teilung zwei Versorgungsträger involviert seien, ändere nichts daran, dass die Leistungserhöhung oder Leistungskürzung an den jeweiligen Ehegatten bzw. Hinterbliebenen auf ein und demselben Anrecht beruhten und der Sinn und Zweck der Schuldnerschutzregelung greife.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 454,08 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
§ 30 VersAusglG sei bereits seinem Wortlaut nach nicht einschlägig. Sie verweise auf die Worte „der Versorgungsträger“ und „er“. Der Anwendungsbereich des § 30 VersAusglG sei auf Fälle der internen Teilung begrenzt. Bei externer Teilung, wie hier, fände die Vorschrift keine Anwendung. Erstattungen gem. § 225 SGB VI von ihr an die Rentenversicherung eröffneten nicht den Anwendungsbereich des § 30 VersAusglG. Sie verweist hierzu auf die Entscheidung des BVerwG vom 26. Juni 2017, Az. 10 B 25/16 und des VG Würzburg vom 8. Dezember 2020, Az. W 1 K 20/1368 und vom 30. Oktober 2020, Az. W 1 K 20/1060. § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG sei eng auszulegen. § 30 VersAusglG solle vor Doppelleistungen schützen. Die Klägerin sei jedoch bereits durch § 101 Abs. 3 S. 3 i.V.m. S. 1 und 2 SGB VI vor Doppelleistungen geschützt. Aufgrund dieser Regelung gäbe es in der Übergangszeit keine konkurrierenden Ansprüche gegen die Klägerin. Die Klägerin hätte gem. § 101 Abs. 3 SGB VI den Rentenbescheid für E. B. bereits ab dem 1. September 2020 abändern müssen. Auf § 101 Abs. 3 S. 4 SGB VI i.V.m. § 30 VersAusglG könne sich die Klägerin nicht berufen und von einer Rentenbescheidaufhebung absehen, da die Voraussetzungen des § 30 VersAusglG nicht vorlägen; denn durch die Abänderungsentscheidung des FamG sei keine Leistungspflicht der Klägerin gegenüber einer anderen Person begründet worden. Die Leistungspflicht der Klägerin sei vielmehr ersatzlos weggefallen.
Die Klägerin versuche unter Verweis auf einen unterstellten Gesetzeszweck eine nichtexistierende Regelung zu schaffen. Sie sei u.a. durch Urteile des Verwaltungsgerichts (VG) Würzburg sowie das Urteil des VG Köln, vom 20. Juli 2022, Az. 23 K 1841/20 verpflichtet, nach einer Abänderung des Versorgungsausgleichs rückwirkend die Kürzung der Beamtenversorgung aufzuheben. Würde zugleich ein Erstattungsanspruch aus § 225 SGB VI angenommen, würde sie doppelt in Anspruch genommen.
Schließlich verweise sie auf das Rundschreiben des BMI vom 27. März 2020. Danach seien Erstattungsleistungen der Versorgungsträger an die Rentenversicherungsträger gem. § 225 SGB VI trotz Änderung des Versorgungsausgleichs zurückzufordern. Die Rentenversicherung könne gem. § 101 Abs. 3 SGB VI ihrerseits geleistete Zahlungen im Übergangszeitraum zurückfordern.
Es gäbe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der von der Klägerin behauptete Zweck des § 30 VersAusglG sei, Rückforderungen zu verhindern. Einziger Zweck des § 30 VersAusglG sei es, Doppelleistungen zu verhindern.
Auch historisch regele § 30 VersAusglG dasselbe Problem wie die §§ 1587p BGB, 3a Abs. 7 VAHRG und 10a Abs. 7 VAHRG. Daraus lasse sich nicht ableiten, dass § 30 VersAusglG denselben Regelungsumfang habe oder dieselben Regelungsmechanismen zugrunde lägen. Der Gesetzgeber habe sich bei der Schaffung von § 30 VerAusglG gegen den deutlich weiteren Regelungsmechanismus der §§ 1587p BGB und 10a Abs. 7 VAHRG entschieden und für den dogmatisch engeren Mechanismus des § 3a Abs. 7 VAHRG. Das werde auch vom Wortlaut der Gesetzesbegründung gestützt.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 26. Februar 2024 und der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 26. Februar 2024 jeweils Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der bei-gezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Klägerin verwiese.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die erhobene Leistungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der eingeklagten 454,08 €. Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI liegen nicht vor. Gem. § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI sind vom zuständigen Träger der Versorgungslast, hier der Beklagten, die Aufwendungen des Trägers der Rentenversicherung, hier der Klägerin, aufgrund von Rentenanwartschaften, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind, zu erstatten. Für den begehrten Zahlungsanspruch müsste es sich also bei den 454,08 € für die Zeit vom Januar bis September 2021 um Aufwendungen der Klägerin aufgrund von Rentenanwartschaften handeln, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sein. Daran fehlt es hier hinsichtlich der eingeklagten Beträge.
Zwar sind die Rentenanwartschaften, aufgrund deren die Witwe des Versicherten L. B., Frau E. B., ab 1. August 2020 um den Versorgungsausgleich höhere Witwenrente gewährt wurde, durch das Urteil des FamG vom 28. Oktober 1997 entstanden. Es wurden im Weg des Quasi-Splittings die Versorgungsanwartschaften der Frau H. B. bei der Beklagten gekürzt und dementsprechend Rentenanwartschaften auf das Versicherungskonto des L. B. bei der Klägerin übertragen. Jedoch gilt das nur bis zum 31. August 2020. Ab dem 1. September 2020 wirkt der bestandskräftige Tenor des Abänderungsbeschlusses des FamG vom 1. Februar 2021, wonach mit Wirkung ab 1. September 2020 kein Versorgungsausgleich stattfindet. Anders als im Urteil des BSG vom 23. Juni 1994, Az. 4 RA 51/93, hat hier der nachträgliche Wegfall der zunächst im Rahmen des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwartschaften ab 1. September 2020 zur Folge, dass der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 225 Abs. 1 S. 1 SGB VI nicht mehr besteht. Denn anders als in der genannten BSG-Entscheidung ist die Klägerin in der Zeit vom 1. September 2020 bis Ende September 2021, der Übergangszeit gem. § 30 Abs. 2 VersorgAusglG, nicht aufgrund der Schuldnerschutzvorschrift – das ist hier § 30 Abs 1. S.2 i.V.m. S. 2 VersAusglG und war bei der genannten BSG-Entscheidung noch § 10a Abs. 7 VAHRG – so zu behandeln, als wenn sie seit dem 1. September 2020 weiterhin mit Rechtsgrund an die Witwe E. B. geleistet hätte. § 30 Abs. 1 VersAusglG in der bis 31. Juli 2021 geltenden Fassung bestimmt: Entscheidet das Familiengericht rechtskräftig über den Ausgleich und leistet der Versorgungsträger innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person, so ist er für eine Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person von der Leistungspflicht befreit. Satz 1 gilt für Leistungen des Versorgungsträgers an die Witwe oder den Witwer entsprechend. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gilt diese nur, wenn der Versorgungsträger, welcher an die bisher berechtigte Person geleistet hat, auch derselbe ist, welcher an die nunmehr auch berechtigte Person zur Leistung verpflichtet ist. Auch die Gesetzessystematik des § 30 VersorgAusglG legt kein davon abweichendes Normverständnis nahe (s. Beschluss des BVerwG vom 26. Juni 2017, Az. 10 B 25/61, Rn. 9; juris).
Anders als noch bei der o.g. BSG-Entscheidung zu § 10a Abs. 7 VAHRG gibt aufgrund der inzwischen eingetretenen Änderungen der Rechtslage in diesem Fall keinen Grund mehr für eine erweiternde Auslegung der nun geltenden Schuldnerschutzvorschrift entsprechend ihres Sinn und Zwecks, Doppelleistungen zu vermeiden, dahingehend, dass § 30 Abs. 1 VersAusglG auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen aufgrund Quasi-Splittings bzw. externer Teilung durchgeführten Versorgungsausgleichs zwei Versorgungsträger beteiligt sind bei der Leistungserbringung an zwei Personen aus einer einzigen Renten- bzw. Versorgungsanwartschaft. Denn inzwischen hat die Rentenversicherung aufgrund der ab 1. September 2009 in § 101 Abs. 3 SGB VI eingeführten Regelung in diesen Fällen immer einen Rückzahlungsanspruch gegen die bei ihr versicherte Person bzw. dessen Hinterbliebenen, welchen Sie auch gem. § 51 erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) durch Aufrechnung mit der verminderten Rente durchsetzen kann, solange kein Eintritt einer Sozialhilfebedürftigkeit nachgewiesen wird. Eine doppelte Leistung der Klägerin drohte jedoch vor Einführung des § 101 Abs. 3 SGB VI in der ab 1. September 2009 geltenden Fassung in den Fällen, wie diesem hier, immer, da es keine Rechtsgrundlage für eine Zahlungsrückforderung gab und die Voraussetzung des § 48 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) regelmäßig nicht vorlagen (s. hierzu BSG, Urteil vom 23. Juni 1994, Az. 4 RA 51/93; juris). Seit der Einführung des § 101 Abs. 3 SGB VI in der ab 1. September 2009 geltenden Fassung droht das nicht mehr. Ziel dieser zum 1. September 2009 eingeführten Vorschrift war es grade, Doppelzahlungen zu vermeiden und Schwierigkeiten bei der Anwendung von § 48 SGB X bei Versorgungsausgleichsentscheidungen nach Rentenbeginn, also auch in Fällen wie diesem hier, zu beseitigen (s. BT-Ds. 15/4228, S. 29). Und das Risiko eines Zahlungsausfalls des bei ihr Versicherten bzw. dessen Hinterbliebenen ist aufgrund des § 51 SGB I überschaubar. Entreicherung i.S.v. § 818 Abs. 3 BGB kann eine versicherte Person bzw. dessen Hinterbliebene gegenüber der Klägerin nicht geltend machen. Es scheint auch nicht unangemessen hart, wenn die Klägerin das Risiko eines Zahlungsausfalls ihres Versicherten für den Fall einer dauerhaften Sozialhilfebedürftigkeit trägt.
Nicht nur gibt es damit keinen Grund mehr, für eine erweiternde Auslegung des § 30 Abs. 1 VersAusglG. Vielmehr würde hier eine erweiternde Auslegung des § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG zugunsten der Klägerin angesichts des vom BVerwG im o.g. Beschluss geäußerte Normverständnisses und der zeitlich darauffolgenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (s. VG Würzburg, Urteil vom 8. Dezember 2020, Az. W 1 K 20.1368, VG Köln, Urteil vom 20. Juli 2022, Az. 23 K 1841/20, VG Berlin, Urteil vom 8. April 2019, Az. 5 K 275.18, VG Lüneburg vom 28. Juni 2017, Az. 5 A 181/15; juris) zu Lasten des Versorgungsträgers gehen; denn dieser kann sich nach dieser Rechtsprechung nicht wegen seiner Erstattungsleistung gem. § 225 Abs. 1 SGB VI an die Klägerin gegenüber seinem Versorgungsempfänger auf § 30 Abs. 1 VersAusglG berufen und würde in der Übergangszeit Doppelleistungen erbringen, nämlich sowohl an die Klägerin als auch an seine Versorgungsempfänger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu dem nach § 183 SGG privilegiertem Personenkreis gehören, und berücksichtigt, dass die Klägerin unterlegen ist.
Die Berufung bedarf hier gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, weil der eingeklagte Betrag weit unter 10.000 € liegt. Die Berufung war gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen; denn diese Entscheidung beantwortet die Frage nach der Möglichkeit einer versorgungsträgerübergreifenden Anwendung und damit nach der Möglichkeit einer erweiternden Auslegung des jetzt geltenden § 30 Abs. 1 VersAusglG, welcher nunmehr anstelle des früher u.a. geltenden § 10a Abs. 7 VAHRG gilt, mit der Begründung einer veränderten Rechtslage anders als das BSG in seinem Urteil vom 23. Juni 1994, Az. B 4 RA 5/93 noch zur damals geltenden Rechtslage. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage der versorgungsträgerübergreifenden Anwendung der Schutzvorschrift des § 30 Abs. 1 VersAusglG nach aktueller Rechtslage liegt nicht vor.
Der gem. § 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) festgesetzte Streitwert richtet sich gem. § 52 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 GKG nach dem eingeklagten Zahlbetrag.