L 20 AL 196/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AL 726/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AL 196/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 04.10.2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III für August 2021 bis Januar 2023.

 

Der im 00.00.0000 geborene Kläger bewohnte seit September 2014 und auch in dem streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit seiner Mutter eine von dieser angemietete Drei-Zimmer-Wohnung in X.. Beide bezogen ursprünglich als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Im Dezember 2016 und März 2017 forderte der SGB-II-Träger die Mutter des Klägers auf, die Unterkunftskosten zu senken, weil er diese (620 € Kaltmiete, 149 € Vorauszahlungen für Nebenkosten) für unangemessen hielt. Im November 2017 nahm der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Rettungssanitäter auf und stand seither – anders als seine Mutter – nicht mehr im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Anlässlich seiner Beschäftigungsaufnahme schloss er mit seiner Mutter zum 01.11.2017 einen Untermietvertrag. Danach mietete er in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung ein möbliertes Schlafzimmer zur Untermiete an. Für Küche, Bad, WC, Keller und Stellplatz wurde ebenso wie für diverse Haushaltsgegenstände und Hausrat (Herd, Mini-Backofen, Mikrowelle, Kühlschrank, Waschmaschine, Trockner, Stellplatz sowie Wohn- und Badezimmermöbel) Mitbenutzung vereinbart. Der vom Kläger zu entrichtende Mietzins belief sich laut Untermietvertrag auf insgesamt 384,50 €. Zum 01.08.2021 gab der Kläger seine Beschäftigung als Rettungssanitäter auf und nahm bei der H. Betriebs-Gesellschaft mbH (UBG) in L. eine dreijährige Berufsausbildung zum Kaufmann für Büromanagement auf. Neben seiner Ausbildungsvergütung von brutto 710 € bzw. (ab August 2022) brutto 820 € bezog der Kläger von Juli 2022 bis Juni 2023 ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Für die sonstige Ausbildungszeit beantragte er keine Leistungen nach dem SGB II.

 

Den Antrag des Klägers aus Juni/Juli 2020 auf Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit ab Aufnahme seiner Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement im August 2021 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 01.09.2021 in der Gestalt des (mit einfachem Brief versandten) Widerspruchsbescheides vom 11.11.2021 ab. Der Kläger gehöre nicht zu dem nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III förderungsberechtigten Personenkreis; denn er wohne nicht außerhalb des elterlichen Haushalts, sondern gemeinsam mit seiner Mutter in der von ihr angemieteten Wohnung. Überdies habe er auch eine getrennte bzw. eigenständige Haushaltsführung nicht hinreichend dargelegt.

 

Dagegen hat der Kläger am 20.12.2021 vor dem Sozialgericht Köln Klage erhoben. Die Beklagte habe seinen Antrag auf Berufsausbildungsbildungsbeihilfe in dem u.a. angefochtenen Widerspruchsbescheid, den er erst am 20.11.2021 erhalten habe, zu Unrecht abgelehnt. Er wohne zwar seit Aufnahme seiner Berufsausbildung weiterhin in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung; es bestehe aber mit ihr kein gemeinsamer Haushalt, sondern eine Wohngemeinschaft. Das Badezimmer der Wohnung sei zweigeteilt: Auf einer Seite des Bades befänden sich seine Hygieneartikel, weiße Ware, sein Wäschetrockner sowie seine Waschmaschine, auf der anderen Seite die Gegenstände der Mutter (Waschmaschine, Bügeleisen, Hygieneartikel, Waschpulver etc.). Das Wohnzimmer verfüge ebenfalls über zwei getrennte Bereiche: Ein Bereich (mit Playstation und Fernseher) werde ausschließlich von ihm genutzt, der andere Bereich von seiner Mutter. Er und seine Mutter führten auch getrennte Haushalte. Jeder von ihnen mache seine Wäsche selbst. Die Reinigung von Bad und anderen „Generalräumen“, auch des Treppenhauses, erfolgten im Wechsel mit jeweils eigenen Reinigungsmitteln. Gemeinsames Essen finde nur ganz selten statt; dies auch deshalb, weil sich seine Mutter krankheitsbedingt (wegen des Verlusts nahezu des gesamten Gebisses) ihre Mahlzeiten pürieren und selbst zubereiten müsse. Er frühstücke erst bei der Arbeit, nehme dort das von ihm vorbereitete Mittagessen ein und halte sich abends und am Wochenende meist bei seiner Freundin auf. Schließlich wirtschafteten seine Mutter und er jeweils für sich selbst. Jeder kaufe grundsätzlich nur für seinen eigenen Bedarf ein. Gemeinsame Ausgaben, wie z.B. für Gas und Strom, würden abgerechnet. Er sei zwar alleiniger Vertragspartner des Gas- und Stromanbieters. Die Verantwortung für die Strom- und Gasversorgungsverträge habe er aber nur deshalb übernommen, weil die Sehkraft seiner Mutter mit 60 % sehr stark eingeschränkt sei. Nur er sei in der Lage, durch jährliche Wechsel des Strom- bzw. Gasanbieters Kosten zu sparen. Den Aufenthaltsort seines Vaters kenne er nicht. Zur Stützung seines Vorbringens hat der Kläger zahlreiche Unterlagen, u.a. Fotos von Bad und Wohnzimmer der von ihm und seiner Mutter bewohnten Wohnung, Kassenzettel über Einkäufe bei Lebensmittelmärkten, eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2020, Schriftverkehr mit Energieversorgern sowie Kontoauszüge vorgelegt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

 

Der Kläger hat in der Antragsfassung durch das Sozialgericht schriftsätzlich beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2021 zu verpflichten, ihm Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe und hinsichtlich des Einkommens seines Vaters als Vorausleistung zu bewilligen.

 

Die Beklagte hat schriftlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 04.10.2022 abgewiesen. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

 

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 06.10.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.11.2022 (einem Montag) Berufung eingelegt. Er ist unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 08.11.2017 – 5 C 11/16) weiterhin der Auffassung, (u.a.) seit Aufnahme seiner Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement außerhalb des elterlichen Haushalts gewohnt und einen eigenen Haushalt geführt zu haben. Zur Stützung seines Vorbringens legt er ergänzend zahlreiche weitere Unterlagen vor, auf deren Inhalt verwiesen wird. Für die Zeit vor Juli 2022 und nach Juni 2023 habe er – so der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – bewusst keine Leistungen nach dem SGB II beantragt.

 

Im Juni 2024 hat der Kläger seine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement erfolgreich abgeschlossen und ist seither in seinem Ausbildungsberuf tätig.

 

Der Kläger hat den streitgegenständlichen Zeitraum in der mündlichen Verhandlung auf die ersten 18 Monate seiner Berufsausbildung beschränkt und lediglich noch beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 04.10.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2021 zu verpflichten, dem Kläger von August 2021 bis Januar 2023 Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe und hinsichtlich des Einkommens des Vaters des Klägers als Vorausleistung zu bewilligen.

 

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ferner den folgenden Antrag gestellt:

 

„Es wird zum Beweis dafür, dass der Kläger in der Zeit ab dem 01.08.2021 bis 31.01.2023 mit seiner Mutter nur ganz selten gemeinsam gegessen hat, grundsätzlich für seine Bedürfnisse selbst eingekauft hat, es grundsätzlich keine wechselseitige Zubereitung von Essen gegeben hat, der Kläger seine Wäsche selbst mit seiner eigenen Waschmaschine gewaschen hat und bei Bedarf in dem ihm gehörenden Trockner getrocknet hat, während seine Mutter ihre eigenen Geräte (Trockner und Waschmaschine) hierfür genutzt hat, und dafür, dass der Kläger seine Kleidung nicht mit dem Bügeleisen der Mutter gebügelt hat, die Vernehmung von Frau F., O.-straße , X., als Zeugin beantragt.“

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid vom 01.09.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2021 (vgl. § 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Berufsausbildungsbeihilfe abgelehnt hat. In zeitlicher Hinsicht streitig ist nur noch der Zeitraum von August 2021 bis Januar 2023; der Kläger hat sein Begehren in der mündlichen Verhandlung auf diesen Zeitraum beschränkt.

 

II. Die Klage ist zulässig. Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Berufsausbildungsbeihilfe in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG). Die maßgebliche Klagefrist von einem Monat (vgl. § 87 Abs. 1 Satz SGG) nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ist gewahrt. Sie begann gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 21.11.2021. Denn der Kläger hat den Widerspruchsbescheid vom 11.11.2021 nach eigenen Angaben erst am 20.11.2021 erhalten. Ein früherer Zeitpunkt der Bekanntgabe lässt sich nicht feststellen. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X, nach der ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach Absendung als bekannt gegeben gilt, findet hier keine Anwendung, weil der Zeitpunkt der Versendung des Widerspruchsbescheides an den Kläger nicht aktenkundig ist. Abgesehen davon hat die Beklagte auch nicht nachgewiesen, dass der Widerspruchsbescheid dem Kläger bereits vor dem 20.11.2021 zugegangen ist. Bei Zweifeln obliegt es jedoch ihr, den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, wenn der Empfänger – wie hier – behauptet, den Verwaltungsakt erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten zu haben (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Begann die Klagefrist somit am 21.11.2021, so endete sie gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 SGB X erst am Montag, den 20.12.2021, und damit am Tag des Eingangs der Klage beim Sozialgericht.

 

III. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 01.09.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Er kann von der Beklagten für August 2021 bis Januar 2023 keine Berufsausbildungsbeihilfe beanspruchen.

 

1. Die Voraussetzungen der §§ 56 ff. SGB III i.d.F. ab 29.05.2000, die als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommen, sind nicht erfüllt.

 

a) Nach § 56 Abs. 1 SGB III haben Auszubildende Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe während einer Berufsausbildung, wenn 1. die Berufsausbildung förderungsfähig ist, 2. sie zum förderungsberechtigten Personenkreis gehören und 3. ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten und die sonstigen Aufwendungen (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen.

 

b) Zwar hat der Kläger zum 01.08.2021 – erstmals (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB III) – eine förderungsfähige Berufsausbildung i.S.v. § 57 Abs. 1 SGB III aufgenommen. Es handelt sich bei dem Beruf des Kaufmanns für Büromanagement um einen nach dem Berufsbildungsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf (vgl. § 4 Abs. 1 BGG i.V.m. der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann für Büromanagement und zur Kauffrau für Büromanagement – Büromanagementkaufleute-Ausbildungsverordnung vom 11.12.2013). Der Kläger gehört jedoch nicht zu dem förderungsberechtigten Personenkreis. Er ist Deutscher, erfüllt aber nicht die sonstigen persönlichen Voraussetzungen des § 60 SGB III i.d.F. ab 01.08.2019.

 

Nach § 60 Abs. 1 SGB III ist die oder der Auszubildende bei einer Berufsausbildung förderungsberechtigt, wenn sie oder er 1. außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt und 2. die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreichen kann. Ist der Auszubildende – wie der (1996 geborene) Kläger – bei Aufnahme der Ausbildung bereits 18 Jahre oder älter, gilt Abs. 1 Nr. 2 SGB III (= Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte in unangemessener Zeit) zwar nicht. Bei dem Kläger liegen aber schon die – somit einzig notwendigen – Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht vor. Denn er wohnte in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Sinne von § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III außerhalb des Haushalts seiner Mutter.

 

„Wohnen“ außerhalb des elterlichen Haushalts“ i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bedeutet, dass der Auszubildende in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung lebt und darin einen eigenen Haushalt führt (Schön in LPK-SGB III, 2. Auflage 2015, § 60 Rn. 4; Baar/Wagner in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, Großkommentar, 7. Auflage 2020, § 60 Rn. 5; Buser in Eicher/Schlegel, SGB III, Loseblattsammlung <Stand: Januar 2020>, § 60 Rn. 45; vgl. ferner LSG Thüringen, Urteil vom 30.05.2012 – L 10 AL 1138/08 Rn. 31). Es bedarf also nicht nur der Führung eines eigenen Haushalts in dem Sinne, dass der Auszubildende – wirtschaftlich – für die Bedürfnisse des täglichen Lebens (u.a. Nahrung und Kleidung) selbst aufkommt. Erforderlich ist darüber hinaus ein – räumlich – getrenntes Wohnen in einer eigenen, abgegrenzten Wohnung – dazu unter aa) und bb) –, an dem es hier fehlt – dazu unter cc) –.

 

aa) Darauf, dass eine Förderung durch Berufsausbildungsbeihilfe beide Aspekte – das Führen eines eigenen Haushalts im wirtschaftlichen Sinne und ein Wohnen außerhalb der elterlichen Wohnung – erfordert, deutet bereits der Wortlaut des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III („außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt“) unmissverständlich hin. In jener Vorschrift wird nicht nur ein (eigener) „Haushalt“, sondern darüber hinaus gefordert, dass der Auszubildende „außerhalb“ des elterlichen Haushalts „wohnt“. Beide Begriffe – „Wohnen“ und „außerhalb“ – enthalten aber eine räumliche Komponente. Hätte der Gesetzgeber allein das Führen eines eigenen Haushalts (im wirtschaftlichen Sinne) für ausreichend erachtet, um zu dem förderungsberechtigten Personenkreis zu gehören, hätte die Formulierung nähergelegen, dass die oder der Auszubildende nur gefördert wird, wenn sie oder er „einen eigenen, vom Haushalt der Eltern oder eines Elternteils getrennten Haushalt führt“.

 

bb) (1) Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich überdies, dass die räumliche Komponente, also das Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts, verlangt, dass der Auszubildende in einer von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung wohnt. Denn von einem „Wohnen außerhalb des elterlichen Haushalts“ kann nach dem natürlichen Sprachverständnis nicht ausgegangen werden, wenn Auszubildende und Eltern eine Wohnung teilen (so auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.03.2016 – L 6 AS 73/13 Rn. 29, zu § 13 Abs. 2 Nr.1 BAföG).

 

(2) Abgesehen davon sprechen auch Sinn und Zweck sowie die Gesetzesbegründung – eindeutig – für die Notwendigkeit des Wohnens in einer eigenen, räumlich abgegrenzten Wohnung.

 

(a) Mit § 60 Abs. 1 SGB III will der Gesetzgeber die Förderung mit Berufsausbildungsbeihilfe auf diejenigen Auszubildenden und Familien konzentrieren, die wegen der hohen Kosten der auswärtigen Unterbringung in besonderem Maße auf die Förderung angewiesen sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2007 – B 11a AL 39/06 R Rn. 17, zu der insoweit inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 64 SGB III i.d.F. bis 31.03.2012, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 11/2990, 18; vgl. ferner Baar/Wagner, a.a.O. Rn. 5). Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.11.2007 (a.a.O.) geht die einschränkende Regelung, wonach die Unterbringung im Haushalt der Eltern bzw. eines Elternteils eine Förderung durch Berufsausbildungsbeihilfe ausschließt, auf das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2343) zurück. Zuvor hatte sich die Wohnsituation des Auszubildenden lediglich insoweit auf die Höhe der Berufsausbildungsbeihilfe ausgewirkt, als ein unterschiedlich hoher Bedarf für den Lebensunterhalt und ein Zusatzbedarf für Kosten der Unterkunft in Ansatz zu bringen war (vgl. §§ 11, 12 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung i.d.F. der 27. Änderungsanordnung vom 6. Juli 1988, ANBA 1988, 1356). Die Neuregelung wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 11/2990 S. 18) auf die Notwendigkeit gestützt, den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit zu konsolidieren. Deshalb sollte die Ausbildungsförderung nach § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf "diejenigen Auszubildenden und Familien konzentriert (werden), die wegen der hohen Kosten der auswärtigen Unterbringung in besonderem Maße auf die Förderung angewiesen sind". Durch die Neuregelung – so die Gesetzesbegründung (a.a.O.) – bleibe die arbeitsmarktpolitische Funktion der Berufsausbildungsbeihilfe, die notwendige regionale Mobilität auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu erleichtern, erhalten. Die bis zum Inkrafttreten des SGB III unverändert geltende Regelung wurde durch das Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung (AFRG) ab 01.01.1998 in § 64 Abs. 1 SGB III – und ab dem 01.04.2012 in § 60 Abs. 1 SGB III – inhaltlich fortgeführt und lediglich redaktionell geändert (vgl. BT-Drucks. 13/4941 S. 164).

 

(b) Hohe Kosten für die auswärtige Unterbringung, die nach dem Willen des Gesetzgebers allein eine Förderung durch Berufsausbildungsbeihilfe begründen, fallen aber typischerweise vor allem dann an, wenn der Auszubildende in einer von der elterlichen Wohnung abgetrennten Wohnung lebt. Wohnt der Auszubildende hingegen mit den Eltern bzw. einem Elternteil – als Wohngemeinschaft – gemeinsam in einer Wohnung, in der jedem zwar ein eigenes Zimmer zur alleinigen Nutzung zu Verfügung steht, die übrigen Räume (wie Bad, Küche etc.) aber gemeinschaftlich genutzt werden, so entstehen durch die damit verbundene Kostenteilung regelmäßig erheblich geringere Kosten als bei einer ausschließlich von dem bzw. für den Auszubildenden angemieteten Wohnung. Einsparpotential entsteht bei einer Wohngemeinschaft vor allem durch die gemeinsame Nutzung von Wohnraum; denn die damit verbundenen anteiligen Kosten für jedes Mitglied sind typischerweise günstiger als die Unterkunftskosten für zwei separate Wohnungen. Das gilt nicht nur für die Wohnungskaltmiete, sondern auch für den Bereich Energie. Ferner können verschiedene im Haushalt vorhandene Gebrauchsgüter gemeinsam angeschafft und genutzt sowie Verbrauchsgüter, die in großen Mengen regelmäßig günstiger sind, gemeinsam gekauft werden.

 

Der Zweck des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erfordert es insbesondere nicht, Auszubildende durch Berufsausbildungsbeihilfe zu fördern, deren Eltern bzw. Elternteil (wie hier die Mutter des Klägers) während der Berufsausbildung ihres Kindes Sozialleistungen beziehen. Denn nicht nur der Auszubildende, sondern die gesamte Familie soll nach dem Willen des Gesetzgebers vor hohen Kosten bei auswärtiger Unterbringung geschützt werden und daher von der Förderung profitieren (s.o.). Beziehen die Eltern bzw. der allein erreichbare Elternteil des Auszubildenden aber Sozialleistungen, so entstehen für diese(n) keinerlei Kosten anlässlich der auswärtigen Unterbringung des Auszubildenden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Auszubildende (wie hier der Kläger bereits bei Aufnahme seiner Ausbildung) das 25. Lebensjahr vollendet hat und daher nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft seiner Eltern gehört (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II).

 

(c) Dass der Gesetzgeber lediglich Auszubildende mit Berufsausbildungsbeihilfe fördern will, die außerhalb der Wohnung der Eltern bzw. eines Elternteils, also in einer separaten Wohnung leben, ergibt sich zudem unmissverständlich aus der vom Bundessozialgericht (a.a.O.) in Bezug genommenen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 11/2990 S. 18). Dort ist nämlich nicht nur wiederholt von „auswärtiger Unterbringung“, sondern auch von einer Unterbringung „außerhalb des Elternhauses“ die Rede. Wörtlich ist in der Gesetzesbegründung (Hervorhebungen durch den Senat) u.a. zu lesen: „Satz 3 legt fest, in welchen Fällen aus sozialen Gründen von der förderungsrechtlichen Verweisung auf die Wohnung der Eltern abgesehen wird. Dies gilt vor allem für volljährige Auszubildende. Für sie wurde bereits nach dem geltenden Anordnungsrecht bei einer Unterbringung außerhalb des Elternhauses die BAB in jedem Falle unter Zugrundelegung der höheren Bedarfssätze für die auswärtige Unterbringung berechnet. Volljährige Auszubildende sollen wie bisher entsprechend ihrer tatsächlichen Unterbringung außerhalb des Elternhauses auch dann gefördert werden können, wenn sie von der Wohnung der Eltern aus die Ausbildungsstätte in angemessener Zeit erreichen könnten.“ Eine Unterbringung außerhalb des Elternhauses bzw. eine auswärtige Unterbringung ist jedoch nach dem natürlichen Sprachverständnis nur dann gegeben, wenn der Auszubildende eine eigene, von der elterlichen Wohnung getrennte Wohnung bewohnt.

 

(d) Überdies werden Manipulationsmöglichkeiten vermieden, wenn Mindestvoraussetzung für die Annahme eines „Wohnens außerhalb des elterlichen Haushalts“ das Wohnen in einer von der elterlichen Wohnung abgetrennten Wohnung ist (so Baar/Wagner, a.a.O. Rn. 5). Denn für die Bundesagentur dürfte anderenfalls schwer feststellbar sein, ob der Auszubildende tatsächlich auswärtig untergebracht ist. Fotos über die örtlichen Gegebenheiten lassen jedenfalls nicht den sicheren Rückschluss zu, dass innerhalb einer gemeinsam genutzten Wohnung tatsächlich „getrennt“ gewohnt wird.

 

(e) Anders als der Kläger meint, wird das Führen eines eigenen Haushalts – als eine der beiden, kumulativ erforderlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III – durch die Forderung, in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung zu wohnen, auch nicht obsolet; denn es ist durchaus denkbar, dass der Auszubildende – etwa in einer zur elterlichen Immobilie gehörenden Einliegerwohnung – von seinen Eltern getrennt wohnt, aber dennoch keinen eigenen Haushalt führt, sondern in den Haushalt seiner Eltern eingegliedert ist, dort insbesondere an den gemeinsamen Mahlzeiten teilnimmt und auch wirtschaftlich von diesen unterhalten wird.

 

(3) Soweit in Kommentierungen zum SGB III (vgl. Herbst in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 60 SGB III <Stand: 23.04.2024>, Rn. 34, und Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, 5. Ergänzungslieferung 2024, § 60 SGB 3, Rn. 4; vgl. ferner Hassel in Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 60 Rn. 3) und obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. LSG Sachsen, Urteil vom 25.10. 2012 – L 3 AL 200/10 Rn. 30, zu § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F.) zwar begrifflich zwischen Haushalt und Wohnung getrennt, das Führen eines eigenständigen Haushalts innerhalb einer Wohnung – wie bei Eheleuten im Trennungsjahr (vgl. § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB) – aber für ausreichend erachtet wird, bleiben nicht nur der Regelungszweck des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, sondern auch der Wille des Gesetzgebers, wie er in der Gesetzesbegründung – unmissverständlich – zum Ausdruck kommt, gänzlich unberücksichtigt. Abgesehen davon regelt § 1567 Abs. 1 BGB, auf den die genannten Stimmen sich einhellig stützen, die häusliche Gemeinschaft zwischen Ehegatten und kann schon aus diesem Grund nicht für die Beantwortung der Frage herangezogen werden, was unter dem Haushalt der Eltern eines Auszubildenden zu verstehen ist (so auch Baar/Wagner, a.a.O. Rn. 5). § 60 Abs. 1 SGB III betrifft ausschließlich das Eltern-Kind-Verhältnis und knüpft nicht an die fehlende „häusliche Gemeinschaft“ an, sondern verlangt ein „Wohnen außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils“. Im Übrigen legt § 1567 Abs. 2 BGB ausdrücklich fest, dass die häusliche Gemeinschaft auch dann nicht mehr besteht, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben. Eine entsprechende Regelung enthält § 60 Abs. 1 SGB III gerade nicht.

 

cc) Ausgehend vom Wortsinn sowie Sinn und Zweck des Gesetzes wohnte der Kläger in dem hier in Rede stehende Zeitraum nicht in einer eigenen Wohnung außerhalb des elterlichen Haushalts i.S.v. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, so dass es nicht mehr darauf ankommt, ob er auch (wirtschaftlich) einen eigenen Haushalt geführt hat. Der Senat unterstellt dies vielmehr zu seinen Gunsten, so dass dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachzugehen war.

 

(1) Unerheblich ist dabei, dass der Kläger in einer vom Vater getrennten Wohnung lebte. Förderungsberechtigt ist ausschließlich der Auszubildende, der bei keinem Elternteil wohnt. Die ausdrückliche Erwähnung des „Elternteils“ soll nur die Selbstverständlichkeit hervorheben, dass es sich beim elterlichen Haushalt auch um denjenigen nur eines Elternteiles handeln kann, etwa bei getrenntlebenden oder geschiedenen Ehegatten, Alleinerziehenden und/oder bei Tod eines Elternteils (Hassel, a.a.O. Rn. 2; Buser, a.a.O. Rn. 44).

 

(2) Der Kläger wohnte von August 2021 bis Januar 2023 jedoch nicht in einer eigenen, von der Mutter getrennten Wohnung, sondern gemeinsam mit dieser in einer Wohngemeinschaft, in der er zwar über ein eigenes Schlafzimmer zur alleinigen Nutzung verfügte, die übrigen Räume – namentlich Küche, Bad und Wohnzimmer – jedoch gemeinsam genutzt wurden. Dass der Kläger und seine Mutter nach den von ihm vorgelegten Fotos im Bad und im Wohnzimmer jeweils einen eigenen Bereich genutzt haben mögen, ändert nichts daran, dass beide auch Wohnzimmer und Bad gemeinsam bewohnt haben. Die gemeinsam genutzten Wohnräume gehörten insgesamt zu der von der Mutter angemieteten Wohnung.

 

(3) Aus der vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 08.11.2017 – 5 C 11/16) zu § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG, nach der sich die Bedarfe für die Unterkunft erhöhen, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt, ergibt sich keine andere Beurteilung. Jene Vorschrift betrifft ausschließlich förderungsfähige (schulische) Ausbildungen i.S.v. § 2 BAföG, nicht hingegen die vom Kläger aufgenommene berufliche Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement. Abgesehen davon hat das Bundesverwaltungsgericht ein „Wohnen bei den Eltern“ i.S.v. § 13 Abs. 2 Nr. 1 BAföG im Falle des Zusammenwohnens von Auszubildendem und einem Elternteil nur dann ausnahmsweise verneint, wenn der Auszubildende den Elternteil in seine eigene Wohnung aufnimmt und sich diese Aufnahme als Unterstützung des Elternteils darstellt. Der Kläger hat seine Mutter aber unstreitig nicht in seine eigene Wohnung aufgenommen, sondern lebte seit Aufnahme seiner Berufsausbildung im August 2021 weiterhin als Untermieter in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung.

 

(4) Nicht bedeutsam ist zudem, dass der Kläger für die im Untermietvertrag angemieteten bzw. zur gemeinsamen Nutzung überlassenen Räume (Unter-)Mietzins gezahlt hat. Die Entrichtung von Mietzins mag zwar für die Führung eines eigenständigen Haushalts im Sinne eines eigenen Wirtschaftens von Bedeutung sein. Die Unterbringung in der Wohnung der Eltern bzw. eines Elternteils reicht jedoch auch bei Mietzahlungen nicht aus, um die kumulativ erforderliche Voraussetzung des Wohnens in einer eigenen, von der elterlichen Wohnung abgegrenzten Wohnung zu erfüllen.

 

2. Verfassungsrechtliche Bedenken an dem generellen Förderungsausschluss von Auszubildenden, die im elterlichen Haushalt wohnen, hat der Senat im Fall des Klägers schließlich nicht. Insofern wird auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.11.2007 – B 11a AL 39/06 R Rn. 16 ff., sowie Urteil vom 03.12.2009 – B 11 AL 38/08 R Rn. 21 ff.) Bezug genommen, denen er sich anschließt.

 

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

C) Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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