- Hat der/die KV ein mit „Urteil“ überschriebenes Schriftstück, welches lediglich ein sog. „Kurzrubrum“ oder die bloße Verfügung „bitte volles Rubrum einfügen“ enthält, unterschrieben, steht nicht fest, ob der/die KV überhaupt ein konkretes Rubrum vor Augen, geprüft und für richtig befunden hat, so dass es von der nachfolgenden Unterschrift umfasst sein konnte.
- Hat der/die UdG des SG hieraus ein vollständiges „Urteil“ (auch mit Rubrum) erstellt und als beglaubigte Abschrift zugestellt, ohne dass dieses Dokument vom KV unterzeichnet worden ist, ist lediglich die Abschrift eines Urteilsentwurfs zugestellt worden.
- Da bei Urteilen, die aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen, das Urteil bereits durch Verkündung wirksam wird (§ 132 SGG), handelt es sich in diesen Fällen zwar nicht um ein Nichturteil. Es liegt aber ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur Zurückverweisung führen kann, wenn deshalb eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30.11.2021 verkündete Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer großen Witwenrente und hierbei um die Frage, ob es sich bei der am 00.00.0000 geschlossenen Ehe der Klägerin mit dem am 00.00.0000 verstorbenen Versicherten I. (nachfolgend „Versicherter“) um eine anspruchsausschließende sog. Versorgungsehe gehandelt hat, weil diese weniger als ein Jahr gedauert hat, § 46 Absatz 2a Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI).
Die Klägerin L., geborene U., ist 00.00.0000 geboren. Ihr Versicherungsverlauf (vom 06.06.2023) weist für ihre Tätigkeit als Frisöse für die Zeit bis zur Geburt ihres Sohnes (00.00.0000) zuletzt ein Jahresentgelt i.H.v. 17.400,- € aus und in der Folgezeit bis März 2018 durchgehend jährliche Entgelte i.H.v. etwa der Hälfte dieses Betrages; zum Zeitpunkt der Eheschließung mit dem Versicherten im Januar 2018 bezog sie ein Einkommen aus ihrer Tätigkeit als Frisöse in Höhe von knapp 600,- € monatlich. Der Versicherte ist 00.00.0000 geboren. Nach Abschluss einer Dachdeckerausbildung 1989 und erfolgreich absolvierter Meisterschule 2003 war er im erlernten Beruf tätig. Sein Versicherungsverlauf weist für die Jahre 2010 bis zum Tod 2018 jährliche Entgelte zwischen anfangs 25.000,- € und zuletzt ca. 33.000,- € aus. Aufgrund eines am 14.09.2015 erlittenen Arbeitsunfalls bezog er eine Rente von der Berufsgenossenschaft für Bauwirtschaft (BG) in Höhe von rund 345,- € monatlich. Der Versicherte war von Juli 2000 bis zur Scheidung im Januar 2003 in erster Ehe mit V., geborene A., verheiratet. Nach Angaben der Klägerin waren diese und der Versicherte seit Mai 2010 ein Paar. Der gemeinsame Sohn E. wurde am 00.00.0000 geboren und führte mit der Geburt den Namen U.. Seit November 2012 wohnten die Klägerin und der Versicherte mit dem gemeinsamen Sohn zusammen (vgl. Meldebescheinigungen der Heiratssammelakte).
Am 14.09.2015 erlitt der Versicherte einen Arbeitsunfall, bei dem ihm aus 8 Meter Höhe eine Dämm-Mattenrolle auf den Hinterkopf fiel. Aufgrund des Unfalls und der damit verbundenen zahlreichen Folgebehandlungen war er vom 14.09.2015 bis zum 16.08.2016 (fast durchgehend) arbeitsunfähig (vgl. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) und Nachschauberichte des Orthopäden Y.). Am 14.10.2016 erlitt der Versicherte einen weiteren Arbeitsunfall (Abrutschen vom Dach und Sturz auf Balkonmauer). Aufgrund dieses Unfalls war er bis zum 11.11.2016 au (vgl. AU-Bescheinigungen des Y.). Nach den Angaben der Klägerin trat ab Frühjahr 2017 eine Verschlechterung der durch die Arbeitsunfälle bestehenden Schmerzsymptomatik bei dem Versicherten ein; dadurch sei wieder eine intensive medizinische Betreuung erforderlich geworden; insofern sei am 01.06.2017 ein CT der HWS gemacht worden. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen der BG war der Versicherte am 28.06.2017 in der BG-Sprechstunde in der Klinik Z. vorstellig und teilte mit, er führe 2-mal pro Woche Krankengymnastik durch; er fühle sich in der Durchführung seiner beruflichen Tätigkeit eingeschränkt. Er führte anschließend ab dem 03.07.2017 eine EAP-Maßnahme in der Klinik Z. durch und berichtete bei Wiedervorstellung in der BG-Sprechstunde der Klinik Z. am 18.07.2017, die EAP-Maßnahme habe lediglich zu einer kurzfristigen Besserung der Beschwerdesymptomatik geführt; eine dauerhafte Linderung der Beschwerden sei nicht erzielt worden; es wurde vereinbart, dass die vollschichtige Arbeit zum 19.07.2017 wieder aufgenommen werden sollte, flankierend mit einer berufsbegleitenden Physiotherapie inklusive MTT, da hierdurch Besserung verspürt werde. Ein fachchirurgisches Gutachten im Auftrag der BG aufgrund Untersuchung am 20.09.2017 empfahl berufsbegleitende manuelle Therapiemaßnahmen sowie Fango- und Massageanwendungen. Im Rahmen von Nachschauen stellte Y. auch am 04.12. und am 12.12.2017 eine AU des Versicherten fest.
Vom 22. bis 23.12.2017 befand sich der Versicherte wegen seit 3 Wochen bestehender Oberbauchbeschwerden stationär in der Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Kardiologie der O. (Chefarzt K.); hier wurde ein hochgradiger Verdacht auf ein Pankreaskopfcarcinom (aktuell Erstdiagnose) mit Metastasierung und mit Tochtergeschwulstabsiedlung in Leber, Lunge und Bauchfell gestellt und eine Feinnadelpunktion für den 27.12.2017 geplant. Im Rahmen des dortigen erneuten stationären Aufenthalts vom 25. bis zum 29.12.2017 (Berichte vom 28.12.2017 und 04.01.2018) wurde am 27.12.2017 die Feinnadelpunktion durchgeführt; eine am 27.12.2017 durchgeführte Endosonographie ergab bildmorphologisch ein metastasiertes Pankreaskopfcarcinom. Im Rahmen dieses Aufenthaltes wurde der Versicherte auch konsiliarisch onkologisch vorgestellt und ein Termin in der Onkologie für den 19.01.2018 vereinbart; am 29.12.2017 wurde er in stabilem Allgemeinzustand in die weitere ambulante Versorgung durch seinen Hausarzt Herrn X. entlassen. Der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Kardiologie der O., K., hat in seiner auf Anforderung des Sozialgerichts erstellten schriftlichen Auskunft vom 11.06.2019 angegeben: Der Versicherte sei erstmalig am 22.12.2017 in der Klinik vorstellig geworden. Im Rahmen der durchgeführten Diagnostik habe die Diagnose einer fortgeschrittenen/metastasierenden Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse gestellt werden können. Somit habe nach aktuellen Behandlungsmöglichkeiten keine kurativ behandelbare Erkrankung mehr vorgelegen. Der Versicherte und seine Familie seien im mehreren Gesprächen ausführlich und umfangreich von ihm über die Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sowie über die aus der Literatur bekannte Prognose der nicht heilbaren Krebserkrankung des Versicherten informiert worden. Die Gespräche hätten im Zeitraum vom 23.12. bis zum 29.12.2017 stattgefunden.
Am Vormittag des 03.01.2018 (Mittwoch) meldeten die Klägerin und der Versicherte gemeinsam beim Standesamt ER. die Eheschließung an; hierbei wurden für Beide Meldebescheinigungen der Stadt ER. vom 03.01.2018 erstellt; in der Anmeldung heißt es hinsichtlich des Sohnes E., dass eine Anschlusserklärung vorgesehen sei.
Ausweislich des Berichts der O. Klinik vom 04.01.2018 ergab der zu diesem Datum erfolgte Eingang der im Wege der Feinnadelbiopsie vom 27.12.2017 erlangten histologischen Befunde eine Lymphknoten- und Lebermetastase mit histologischem Nachweis eines Adenocarzinoms. Am 08.01.2018 erfolgte in der Abteilung Chirurgie der O. Klinik in Lokalanästhesie eine Portimplantation zur Chemotherapie; das Portsystem war binnen 5 Tagen zur Chemotherapie verwendbar.
Am 00.00.0000 schlossen die Klägerin und der Versicherte die Ehe; hierbei nahm die Klägerin den Namen des Versicherten an; der Name des gemeinsamen Kindes wurde von E. U. in E. N. abgeändert (vgl. die von der Klägerin vorgelegte Geburtsurkunde des Kindes E. vom 00.00.0000 und die abgeänderte Geburtsurkunde des Kindes E. vom 00.00.0000).
Noch am 00.00.0000 begab sich der Versicherte wegen seit dem Vorabend anhaltender Bauchschmerzen in die erneute stationäre Behandlung der Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Kardiologie der O., die bis zum 13.01.2018 andauerte und in deren Rahmen eine Mitbehandlung durch den Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin, Internistische Onkologie und Hämatologie, R., erfolgte. Vom 15.01. bis 20.01.2018 erfolgte die erneute stationäre Behandlung des Versicherten durch die Abteilung Innere Medizin, Gastroenterologie und Kardiologie unter Mitbehandlung durch die onkologische Abteilung, in deren Rahmen am 15.01.2018 eine Chemotherapie eingeleitet wurde. Vom 22.01. bis zum 09.02.2018 erfolgte eine stationäre Behandlung durch die Abteilung für Innere Medizin, Internistische Onkologie und Hämatologie, in deren Rahmen am 23.01.2018 bei dem Versicherten eine parenterale Ernährungstherapie eingeleitet wurde, die er zuhause ambulant und durch die Firma CD. betreut weiterführte; die Notwendigkeit einer palliativ intendierten Radiatio bei Lebermetastasierung wurde im Rahmen der stationären Behandlung am 02.02.2018 von der Fachklinik VL. verneint.
Ab dem 09.02.2018 befand sich der Versicherte in der palliativmedizinischen Betreuung des W. GmbH und vom 01.03. bis zum 00.00.0000 aufgrund von Allgemeinzustandsverschlechterung erneut in stationärer Behandlung der Abteilung für Innere Medizin, internistische Onkologie und Hämatologie der O., wo er am 00.00.0000 verstarb; im Bericht der O. heißt es: „Diagnose: Exitus letalis bei septischem Verlauf eines unklaren Infektes (…)“.
Am 15.03.2018 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten und beantwortete hierbei die Frage, ob die tödlichen Folgen einer Krankheit bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen seien, mit „ja“. Die Frage, ob die Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des ständig auf Pflege angewiesenen Ehegatten erfolgt sei, verneinte sie.
Nach Beiziehung der ärztlichen Unterlagen des Hausarztes des Versicherten - X. - und der Unterlagen der BG zu dem am 14.09.2015 erlittenen Arbeitsunfall des Versicherten lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Witwenrente mit Bescheid vom 15.06.2018 ab, gestützt auf die gesetzliche Vermutungsregelung des § 46 Abs. 2a SGB VI. Die Ehe sei am 00.00.0000 geschlossen worden. Die Diagnose der bösartigen Erkrankung sei im Dezember 2017 gestellt worden. Aufgrund der Chronologie sei der Ausnahmetatbestand grundsätzlich nicht erfüllt. Zwar sei der Nachweis, dass aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet worden sei, nicht ausgeschlossen, allerdings müssten in diesem Fall die gegen die Versorgungsehe sprechenden Umstände umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit bei Eheschließung gewesen sei. Bereits bei der Erstdiagnose im Dezember 2017 sei eine Heilung ausgeschlossen worden. Auch sei eine Operation nicht mehr möglich gewesen. Palliative Maßnahmen (Chemotherapie zur Linderung der Beschwerden) seien eingeleitet worden. Die Todesursache Lungenentzündung sei durch die bösartige Grunderkrankung begünstigt worden. Es komme nicht darauf an, wie die Ehepartner und der betreuende Arzt subjektiv den Verlauf der Krankheit eingeschätzt hätten. Damit sei auch nicht erheblich, ob die Partner bei der Eheschließung damit rechneten, dass der unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung leidende Partner das erste Jahr nach der Heirat überleben werde. Entscheidend sei vielmehr, dass der Tod des Versicherten als Folge der bösartigen Erkrankung in nicht allzu ferner Zukunft als konkrete und nicht abwegige Möglichkeit habe erwartet werden müssen. Daran bestünden bei der vorliegenden Konstellation objektiv keine Zweifel.
Mit dem von ihrer Bevollmächtigten eingelegten Widerspruch ließ die Klägerin vortragen, Zweck der Heirat sei nicht gewesen, die Hinterbliebenenversorgung sicherzustellen, worauf § 46 Abs. 2a SGB VI aber abstelle. Hierzu führte sie aus:
-Die Eheleute seien im Mai 2010 zusammengekommen. Im Februar 2012 sei der gemeinsame Sohn geboren worden, der den damaligen Nachnamen der Klägerin getragen habe. In der Folgezeit habe sich die Partnerschaft immer weiter verfestigt und die Familienplanung habe fortgesetzt werden sollen. Die tiefe innere Verbundenheit hätten Beide für den Rest ihres Lebens auch öffentlich bekunden wollen. Beiden sei es vor allem wichtig gewesen, einen gemeinsamen Ehenamen zu führen; auch der gemeinsame Sohn sowie mögliche weitere gemeinsame Kinder sollten diesen Namen führen. Bei gemeinsam ausgeübtem Sorgerecht habe der Versicherte wegen der unterschiedlichen Namen bei Behörden und Ärzten etc. immer im Nachweiszwang gestanden.
-Bereits zum Jahreswechsel 2014/2015 sei über das Thema Heiraten gesprochen worden. Die Pläne seien im Laufe des Jahres 2015 auch immer konkreter geworden. Man habe sowohl standesamtlich als auch kirchlich heiraten wollen und eine große Feier mit anschließender Hochzeitsreise gewollt. Hierfür habe man konkret sparen wollen, um sich diesen Traum spätestens im Folgejahr erfüllen zu können. Der Versicherte habe dann allerdings im September 2015 einen schweren Arbeitsunfall erlitten. Hier habe sich eine weitere, neue Problematik im medizinischen Bereich gezeigt betreffend Informations- und Zustimmungsrechte für die Klägerin, da diese nur Lebensgefährtin, aber nicht Ehefrau gewesen sei; insbesondere dem Versicherten sei es immer sehr wichtig gewesen, dass die Klägerin über alles informiert gewesen sei und entsprechende Auskünfte von den Ärzten erhalte. Auch das habe die Heiratsabsicht manifestiert. Aufgrund des Krankheitsverlaufs und der schwierigen Rekonvaleszenz nach dem Arbeitsunfall von September 2015, die sich bis Juni 2016 hingezogen habe, sei es nicht möglich gewesen, den Plan der Heirat mit großer Hochzeitsfeier und anschließender Hochzeitsreise konkret umzusetzen, weil der Versicherte damit beschäftigt gewesen sei, seinen gesundheitlichen Zustand zu stabilisieren, so dass die Hochzeit weiter aufgeschoben worden sei. Durch den zweiten Arbeitsunfall am 14.10.2016 mit seinen Folgerungen sei dann klar gewesen, dass eine Hochzeit im Jahr 2016 nicht mehr realisierbar sei, so dass sie auf den Sommer 2017 verschoben worden sei. Im Dezember 2016 seien dann konkrete Planungen zur anstehenden Hochzeit im Sommer 2017 unternommen worden, da auch gemeinsame enge Freunde - das Ehepaar S. und P. - im kommenden Jahr hätten heiraten wollen. Es sei eine Doppelhochzeit geplant gewesen. Als konkreter Hochzeitstermin sei Freitag, der 02.06.2017 geplant gewesen. Trauzeugin habe die beste Freundin der Klägerin, F., sein sollen. Hierfür würden das Ehepaar S. und P. und Frau F. als Zeugen benannt. Da sich die Schmerzsymptomatik des Versicherten nach den erlittenen Arbeitsunfällen allerdings im Frühjahr 2017 wieder stark verschlechtert habe und dieser wieder intensiver medizinisch habe betreut werden müssen, habe die konkret geplante Hochzeit wieder verschoben werden müssen, während das Ehepaar P. am 02.06.2017 geheiratet habe. Die immer wieder verschobene Heirat sei auch auf dem Polterabend der Bevollmächtigten am 25.08.2017, deren Ehemann ehemaliger Kollege des Versicherten gewesen sei und mit dem der Versicherte oftmals über die Intention der Heirat des Versicherten mit der Klägerin und über die wiederholte Verschiebung infolge der Arbeitsunfälle gesprochen habe, Gesprächsthema gewesen; insbesondere, dass ihnen so langsam die Zeit davonlaufe und sie endlich alle einen gemeinsamen Familiennamen tragen wollten, weil der Sohn E. am 30.08.2018 eingeschult werden sollte. Im Oktober 2017 sei dann für den 13. bis 20.01.2018 ein Skiurlaub in B. gemeinsam mit den Eltern der Klägerin gebucht worden (dazu hat die Klägerbevollmächtigte die Mailkorrespondenz der Klägerin hinsichtlich einer per Mail am 12.10.2017 erfolgten und per Antwortmail des Vermieters vom 13.10.2017 bestätigten und am 26.10.2017 (nach erfolgter Anzahlung) verbindlich bestätigten Buchung einer Ferienwohung in B. für 4 Personen und ein Kind vorgelegt). Nunmehr sei eine Hochzeit noch vor dem Skiurlaub in B. geplant gewesen, insbesondere damit spätestens bis zur Einschulung des Sohnes am 30.08.2018 alle drei einen gemeinsamen Familiennamen führen würden. Beide hätten es nunmehr für angezeigt gehalten, entgegen der ursprünglichen Planung der Jahre zuvor die standesamtliche Hochzeit und die kirchliche Hochzeit zeitlich getrennt voneinander zu vollziehen und nun zunächst die standesamtliche Hochzeit vorzuziehen, da diese sowohl behördentechnisch als auch zeitlich nicht mit so großen Planungen verbunden sei und die kirchliche Hochzeit mit Feier dann spätestens im Sommer 2018, aber auf jeden Fall vor der Einschulung des gemeinsamen Sohnes, hätte folgen soll. Die Eheleute hätten beschlossen, noch vor dem Urlaub standesamtlich zu heiraten und damit die Eltern im Urlaub zu überraschen. Im November 2017 habe der Versicherte jedoch einen Nabelbruch erlitten, so dass er wieder aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen und die standesamtliche Hochzeit in die Januarwoche vor dem Urlaub gelegt worden sei. Zudem habe am 01.12.2018 noch der geplante Umzug in eine größere Wohnung stattgefunden. Trotz der am 22.12.2017 erstmals diagnostizierten schweren Erkrankung des Versicherten sei die standesamtliche Hochzeit am 00.00.0000 vollzogen worden. Hier sei auch direkt die Geburtsurkunde des gemeinsamen Sohnes abgeändert worden (hierzu hat die Klägerin die Geburtsurkunde des Kindes E. vom 00.00.0000 und dessen abgeänderte Geburtsurkunde vom 00.00.0000 vorgelegt). Der konkrete Heiratsentschluss sei insofern bereits lange vor der Feststellung der lebensbedrohlichen Erkrankung gefasst und auch zeitlich vor der Feststellung der Erkrankung sei bereits der Zeitpunkt der standesamtlichen Hochzeit festgelegt worden.
-Finanzielle Aspekte zur Absicherung der eigenen Lebenssituation seien für Beide nicht relevant gewesen; die Klägerin sei aufgrund ihrer eigenen Berufstätigkeit als Frisöse finanziell unabhängig gewesen, was sich bis heute nicht geändert habe. Die von der Klägerin und dem Versicherten geführten Versicherungen seien bereits vor der Hochzeit zusammengeführt worden, so dass die Klägerin durch eine Heirat keinen finanziellen Vorteil erworben hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Vorliegend sei nach § 46 Abs. 2a SGB VI das Vorliegen einer Versorgungsehe zu vermuten. Für diese spreche hier das Vorliegen einer schweren Erkrankung im Zeitpunkt der Eheschließung; es sei davon auszugehen, dass sich die Ehepartner im Zeitpunkt der Heirat über den grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der Erkrankung im Klaren gewesen seien; bereits bei Erstdiagnose im Dezember 2017 sei eine Heilung ausgeschlossen worden. Auch die Höhe des monatlichen Nettoeinkommens der Klägerin von 596,42 Euro bestätige die Vermutung für das Vorliegen einer Versorgungsehe.
Mit der am 13.12.2018 erhobenen Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Klägerbevollmächtigte den Widerspruchsvortrag wiederholt und ergänzend vorgetragen, die Klägerin habe auch ohne Eheschließung mit dem Versicherten durch ihr eigenes Nettoeinkommen und durch den Anspruch auf Kindergeld und Kindesunterhalt gegenüber dem Versicherten für sich und ihren Sohn sorgen können (Schriftsatz vom 10.12.2018). Zum Beweis für die „gesamte Entwicklung, insbesondere zu den Heiratsplänen und entsprechenden Beweggründen“ hat die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 10.12.2019 Zeugenbeweis angetreten und hierfür als Zeugen dreizehn Personen mit jeweils voller Adresse benannt: Sich selbst (J.) und ihren Ehemann (C.), die Eltern der Klägerin (H. und D. U.), die Schwester des Versicherten (T.) und deren Ehemann (M.), den Arbeitgeber der Klägerin (HG.), das Ehepaar Teresa und CI., Frau KK., das Ehepaar S. und P. sowie Frau F..
Die Klägerin hat beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2018 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des I. (Vers.Nr. 13 100769 K 101) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, zwar seien die Ausführungen der Klägerbevollmächtigten nachvollziehbar, dass der Sohn E., der noch den Nachnamen der Klägerin getragen habe, und beide Elternteile noch vor der Einschulung des Kindes den gleichen Nachnamen hätten tragen wollen. Aufgrund des ausweislich der Lohnabrechnungen für Januar und Februar 2018 von der Klägerin bezogenen Nettoeinkommens i.H.v. 596,42 € werde jedoch die Vermutung, dass die Ehe aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei, nicht entkräftet, zumal bis zum Tod der Versicherte auch zu Kosten und Nebenkosten für die gemeinsame Wohnung beigetragen habe.
Das SG hat schriftliche Auskünfte des Chefarztes der Inneren Medizin (Gastroenterologie und Kardiologie) der O. K. vom 11.06.2019 und des Chefarztes der Inneren Medizin (Internistische Onkologie und Hämatologie) der O. R. vom 12.06.2019 eingeholt und die Heiratssammelakte vom Standesamt ER. beigezogen, wobei dieses mitgeteilt hat, weitere Angaben könnten auch durch den Standesbeamten (Herrn UW.) nicht gemacht werden.
Nach dem Hinweis des SG, dass der Antrag beim Standesamt zur Eheschließung am 03.01.2018 gestellt worden sei und der Termin für die Hochzeit nicht bereits im Herbst 2017 festgestanden habe, und dass es als unstreitig gelte, dass Hochzeitabsichten bereits über mehrere Jahre vorhanden gewesen seien, so wie vorgetragen, dass allerdings Hochzeitabsichten nicht zwingend ausreichend seien, ebenso wenig wie der Vortrag, die Hochzeitspläne seien immer konkreter geworden, und dass entsprechend vorzutragen wäre, wie weit die Planung zur Hochzeit am 02.06.2017 (mit dem Ehepaar P.) bereits gediehen gewesen sei und welche Schritte unternommen worden seien, was auch für die vorgetragene konkrete Planung für das Jahr 2016 gelte, hat die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 14.11.2019 vorgetragen: Die Klägerin habe ihr Hochzeitskleid bereits nach dem ersten Arbeitsunfall des Versicherten vom 14.09.2015 direkt nach der am 18.09.2015 erfolgten Entlassung des Versicherten aus dem Krankenhaus am 20.09.2015 erworben. Hierfür hat sie Fotos übersandt, ausgedruckt als Screenshot vom Handy, auf denen die Klägerin in einem Hochzeitskleid zu sehen sei; es handele sich hierbei um Fotos der Klägerin, die diese am 20.09.2015 mit ihrem Handy aufgenommen habe und die sich immer noch auf ihrem Handy befänden. Dieses Hochzeitskleid sei ebenso wie der von Seiten des Versicherten erworbene Anzug noch vorhanden. Wie bereits mit der Klageschrift vom 10.12.2018 vorgetragen, habe die beste Freundin der Klägerin, Frau F., Trauzeugin sein sollen; dies habe nicht nur den konkreten Hochzeitstermin des 02.06.2017 betroffen, sondern auch die Zeit davor, so auch bereits das Jahr 2015; hierfür werde Beweis durch Zeugnis der Frau F. angetreten. Hinsichtlich des feststehenden Termins am 02.06.2017 sei neben der Trauzeugin und dem Hochzeitskleid auch bereits die Örtlichkeit der Feier ausgesucht worden. Hierbei habe es sich um die angemieteten Räumlichkeiten des CFb ER. e.V. gehandelt; dies sei durch die Eheleute P. entsprechend der geplanten Doppelhochzeit organisiert worden; hierfür werde Beweis durch Zeugnis der Eheleute S. und P. angetreten. Im Weiteren werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den bisherigen Sachvortrag nebst Beweisangeboten Bezug genommen. Da es heute nicht mehr notwendig sei, dass über einen längeren Zeitraum ein Aufgebot bestellt werden müsse, habe es auch nicht einer langfristig zuvor notwendigen Kontaktaufnahme mit dem Standesamt bedurft, wie sich auch angesichts der dann im Januar 2018 vollzogenen Hochzeit gezeigt habe.
Nachdem die Kammervorsitzende daraufhin im Dezember 2019 „ET-Fach und Mitteilung an Beteiligte“ verfügt hat, hat sie der Klägerbevollmächtigten auf deren im Juli 2021 erfolgte Sachstandsanfrage mit Schreiben vom 16.08.2021 mitgeteilt, es seien zu dem avisierten Termin mehrere Zeugen zu vernehmen; die pandemische Situation im Jahr 2020 sowie in den ersten Monaten des Jahres 2021 habe die Durchführung eines Termins mit mehreren Zeugen allerdings nicht zugelassen; die Sitzungssaalkapazitäten seien des Weiteren immer noch eingeschränkt; ein konkreter Termin könne aktuell leider immer noch nicht avisiert werden. Den Rechtsstreit hat das SG dabei weiterhin für einen Erörterungstermin vorgesehen („Wv: ET-Fach“).
Mit der am 17.08.2021 verfügten und ausgeführten Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung am 30.11.2021 hat das SG das Ehepaar S. und P. und Frau F. als Zeugen zum Beweisthema „Heiratspläne und Absichten L.“ geladen. Herr P. hat daraufhin unter Vorlage des Schreibens des Reha-Zentrums DQ. vom 28.10.2021, mit dem er zum Antritt einer Anschlussrehabilitation am 23.11.2021 gebeten wurde, mit am 11.11.2021 beim SG eingegangenen Schreiben mitgeteilt, er könne deshalb an dem Termin 30.11.2021 nicht teilnehmen. Auf Verfügung der Kammervorsitzenden vom 12.11.2021 („Zeugen Herrn P. abladen“) ist der Zeuge abgeladen worden.
Im mündlichen Verhandlungstermin am 30.11.2021 hat das SG die Klägerin befragt und die zum Termin als Zeuginnen geladenen Frau S. P. und Frau F. vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Protokolls vom 30.11.2021 verwiesen.
Durch Urteil vom 30.11.2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente zu Recht den Einwand der unterjährigen Ehedauer entgegenhalte, § 46 Abs. 2a SGB VI. Die aus der vorliegend gegebenen unterjährigen Ehedauer kraft Gesetzes zwingend folgende (widerlegbare) Vermutung, es sei alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat gewesen, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, sei vorliegend nicht widerlegt. Zur Überzeugung der Kammer seien keine besonderen Umstände erwiesen, die mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auf ein weiteres für die Eheschließung mindestens gleichwertiges Motiv schließen lassen oder mindestens (negativ abgrenzend) eine Versorgungsabsicht als (Haupt-)Ursache für die Heirat ausschließen würden.
Die Sitzungsniederschrift zum Verhandlungstermin vom 30.11.2021, von der Kammervorsitzenden unterschrieben, findet sich auf Blatt 83 bis 88 der Gerichtsakte nebst Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 30.11.2021 auf Blatt 89 bis 91 der Gerichtsakte.
Im Anschluss findet sich auf Blatt 92 ff. der Gerichtsakte ein von der Kammervorsitzenden erstelltes Dokument. Oben rechts auf diesem Dokument ist der Stempel „Zur Geschäftsstelle am:“ und dahinter gestempelt das Datum „13.12.2021“ sowie eine Paraphe „Kö“ angebracht. Das Textdokument ist wie folgt überschrieben:
„S 49 R 1708/18
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
N. ./.DRV Rheinland
hat die 49. Kammer des Sozialgerichtes Düsseldorf durch die Richterin am Sozialgericht XY. sowie die ehrenamtlichen Richter LA. und VP. auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.2021 für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.“
Anschließend finden sich „Tatbestand“ und „Entscheidungsgründe“ und im Anschluss daran folgender Text:
„RMB: Berufung
XY.
Richterin am Sozialgericht“
Dabei befindet sich oberhalb des Nachnamens der Kammervorsitzenden ihre handschriftliche Unterschrift.
Im Anschluss an dieses Schriftstück ist in der Gerichtsakte ein Dokument auf Blatt 106 ff. abgeheftet, das den vorstehend skizzierten Text enthält, jedoch um das Landeswappen, das vollständige Rubrum des Verfahrens – statt „N. ./.DRV Rheinland“ – sowie den in der Sozialgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen verwandten Rechtsmittelbelehrungstext für Inlandsberufungen – statt „RMB: Berufung“ – ergänzt wurde und auf dem Deckblatt mit dem Vermerk versehen ist: „Verkündet am 30.11.2021 ZH. Regierungsbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle“. Unter der Rechtsmittelbelehrung findet sich maschinenschriftlich der Nachname der Kammervorsitzenden („XY.“), nicht aber ihre Unterschrift.
An die Beteiligten zugestellt worden ist eine Abschrift des zweiten Dokuments mit Beglaubigungsvermerk der Regierungsbeschäftigten ZH., der Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle, wobei die Zustellung an die Klägerbevollmächtigte am 05.01.2022 erfolgt ist.
Am 17.01.2022 hat die Klägerbevollmächtigte Berufung eingelegt und im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Klageverfahren wiederholt.
Der Senat hat von der Beklagten eine Probeberechnung zur Witwenrente eingeholt. Danach läge eine große Witwenrente für die Zeit ab Juni 2023 bei ca. 540,- € netto monatlich; für die Zeit von März 2018 bis Mai 2023 ergäbe sich eine Nachzahlung i.H.v. knapp 33.000,- €. Des Weiteren hat der Senat einen Versicherungsverlauf der Klägerin, die Patientendokumentationen des Y. und des Herrn X. für die Zeit ab 2015, die Unterlagen der BG zum Arbeitsunfall vom 14.10.2016 sowie eine Übersicht der KZ. über die AU- und Krankenhauszeiten des Versicherten für die Zeit ab 2015 beigezogen. Auf die Anfrage des Senats, ob sich die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann ggfs. vor der am 00.00.0000 erfolgten standesamtlichen Trauung verlobt haben, ggfs. wann und ob es dafür etwaige Nachweise gibt, hat die Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, eine formelle Verlobung mit Feier oder formellen Nachweisen zwischen der Klägerin und dem verstorbenen Ehemann habe es nicht gegeben. Beide hätten zusammen beschlossen, dass sie heiraten wollten; dies sei für die Beiden das Verlobungsversprechen gewesen. Beide hätten heiraten wollen und hätten hierzu, wie bereits ausführlich vorgetragen, mehrere Anläufe genommen. Der Wille zur Heirat habe schon lange Jahre vor der tatsächlichen Eheschließung vorgelegen.
Nach Ladung der Sache zum mündlichen Verhandlungstermin hat der Senatsvorsitzende die Beteiligten mit Verfügung vom 15.04.2024 gebeten, im Termin das ihnen zugestellte sozialgerichtliche Urteil im Original vorzulegen.
Im Termin der mündlichen Verhandlung des Senats am 19.04.2024 hat die Klägerin auf Befragen des Senatsvorsitzenden Erklärungen abgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Protokolls vom 19.04.2024 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das am 30.11.2021 verkündete Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.11.2021 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2018 zu verurteilen, der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes I. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand von Beratung und Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Urteils des SG Düsseldorf vom 30.11.2021 und der Zurückverweisung der Sache an das SG Düsseldorf begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht (LSG) die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
I.
Das Verfahren vor dem SG Düsseldorf leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt; der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, d.h. es geht nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zur Entscheidung (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 159 Rdn. 3 unter Bezugnahme auf Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rdn. 32). Ein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn das Verfahren des ersten Rechtszuges an einem so erheblichen Mangel leidet, dass es keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023, 1 U 44/22, juris Rdn. 24 zu der § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG entsprechenden Vorschrift des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unter Hinweis auf Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 06.11.2000, II ZR 67/99, und vom 20.07.2011, IV ZR 291/10, juris).
1.
Das Verfahren vor dem SG Düsseldorf leidet an einem Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Denn die Urschrift des angefochtenen Urteils erfüllt entgegen §§ 134 Satz 1, 136 SGG nicht die Mindestanforderungen an ein ordnungsgemäßes Urteil. Dies kann hier auch nicht mehr geheilt werden.
Gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG hat das Urteil „die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren“ und ferner „die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben“ (Nr. 2) und „den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung“ (Nr. 3) zu enthalten („Rubrum“) sowie „die Rechtsmittelbelehrung“ (Nr. 7). Das – so abgefasste – Urteil ist gemäß § 134 Abs. 1 SGG vom Vorsitzenden zu unterschreiben. Fehlen dem Urteil derart notwendige Bestandteile, stellt dies einen erheblichen Verfahrensverstoß dar (vgl. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012, L 5 AS 1056/12 B PKH, juris Rdn. 2; Wolff-Dellen in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, § 136 SGG, juris, Rdn. 2 f.).
Vorliegend ist den Beteiligten eine von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG beglaubigte Abschrift des „Urteils“ vom 30.11.2021 zugestellt worden. Diese beglaubigte Abschrift entspricht zwar vollständig dem von der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle selbst erstellten Dokument, das sich auf Blatt 106 ff. der Gerichtsakte befindet, dieses ist aber entgegen § 134 Abs. 1 SGG nicht von der Kammervorsitzenden unterschrieben worden. Zugestellt wurde somit eine Abschrift eines Urteilsentwurfs (vgl. Schütz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 134 SGG, Stand: 15.06.2022 Rdn. 21). Formelle Fehler eines Urteils können durch Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Entscheidung an die Verfahrensbeteiligten nicht geheilt werden (nach BGH, Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris Rdn. 18 gilt dies selbst für beglaubigte Ausfertigungen von Urteilen). Die Funktion der beglaubigten Abschrift besteht einzig in der – vorliegend nicht gegebenen – wortgetreuen Wiedergabe des vom Richter unterschrieben Urteils.
Die den Verfahrensbeteiligten zugestellte beglaubigte Abschrift stimmt inhaltlich auch nicht mit dem von der Kammervorsitzenden erstellten und unterschriebenen, auf Blatt 92 ff. der Gerichtsakte befindlichen Dokument überein. Dieses enthält weder ein vollständiges Rubrum noch eine Rechtsmittelbelehrung. Beides sollte nach dem - anzunehmenden - Willen der Kammervorsitzenden erst noch von einer mitarbeitenden Person der Geschäftsstelle in das Dokument eingefügt werden. Dies hat die Kammervorsitzende – konkludent - mit den Worten „N. ./. DRV Rheinland“ und „RMB: Berufung“ zu verstehen gegeben. Damit sollte offenbar den gesetzlichen Vorgaben des § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 7 SGG für Urteile Rechnung getragen werden. Diese – konkludente - „Verfügung“ hat die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle ZH. umgesetzt. Den entsprechend der konkludenten Verfügung erstellten und den Beteiligten in beglaubigter Abschrift zugestellten, vollständigen Urteilstext hat die Kammervorsitzende jedoch nicht unterschrieben. Eine solche Verfahrensweise entspricht jedenfalls nicht dem Gesetz; denn bei dieser Vorgehensweise wird einer zur Entscheidungsfindung nicht befugten Person von der Vorsitzenden die (konkludente) Anweisung erteilt, fehlende Angaben nachzuholen, ohne deren Befolgung und konkrete Umsetzung zu kontrollieren und so selbst die Verantwortung zu übernehmen (vgl. BGH, Urteile vom 09.01.2003, IX ZR 85/02, juris Rdn. 15 und IX ZR 175/02, juris Rdn. 14; Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris Rdn. 17; OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023, 1 U 44/22, juris Rdn. 26, und Beschluss vom 14.06.2022, 5 W 31/22, juris Rdn. 26).
Allerdings werden in der Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, ob Urteile – Entsprechendes gilt für Gerichtsbescheide und verfahrensbeendende Beschlüsse – auch dann noch wirksam und ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein können, wenn in dem vom zuständigen Richter unterschriebenen Dokument kein (vollständiges) Rubrum aufgeführt ist, die Vervollständigung insoweit vielmehr einer nicht entscheidungsbefugten Person überlassen bleibt bzw. bleiben soll. So wird die Ansicht vertreten, dass Urteile zwar gegen Prozessrecht (§ 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG) verstoßen, aber auch dann wirksam sein sollen, wenn der unterzeichnende Richter das („volle“) Rubrum bewusst nicht erstellt, sondern lediglich ein „Kurzrubrum“ aufführt, das aus dem Nachnamen des klagenden Beteiligten und einer abgekürzten Bezeichnung der Beklagten (z.B. „DRV“) besteht, und die Einfügung des „vollen“ Rubrums - wie vorliegend – der mitarbeitenden Person der Geschäftsstelle überlässt (so u.a. LSG NRW, Urteil vom 20.12.2023, L 3 R 195/22, juris Rdn. 26). Vertreten wird ferner, dass die Wirksamkeit des Urteils davon abhängen soll, ob die Verfahrensbeteiligten aufgrund der im (Urteils-)Dokument erfolgten Bezeichnung sicher ermittelt werden können (vgl. zum Ganzen ablehnend OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023, 1 U 44/22, juris Rdn. 26 und Beschlüsse vom 14.06.2022, 5 W 31/22, juris Rdn. 26, vom 06.02.2020, 6 WF 16/20, juris Rdn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2019, II-3 UF 4/19, juris Rdn. 2; OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2020, II-10 UF 60/20, juris Rdn. 2; LSG NRW, Beschluss vom 19.04.2016, L 6 SF 78/16 ER, juris Rdn. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012, L 5 AS 1056/12 B PKH, juris Rdn. 2; siehe auch BGH, Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris Rdn. 16 f.; befürwortend Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 136 SGG, Rdn. 2, 2a m.w.N.; BGH, Beschluss vom 16.10.2007, VI ZB 65/06, juris Rdn. 6; LSG NRW, Urteil vom 20.12.2023, L 3 R 195/22, juris Rdn. 26).
Zur Überzeugung des Senats entspricht es jedoch nicht der Intention des Gesetzgebers, wenn wesentliche Bestandteile des Urteils nicht durch die entscheidungsbefugte Person kontrolliert werden. Der Senat vermag sich daher der erstgenannten Auffassung nicht anzuschließen. Erst recht entspricht die Konstellation, dass die entscheidungsbefugte Person nicht einmal ein „Kurzrubrum“ aufführt, sondern die Vervollständigung gänzlich der mitarbeitenden Person der Geschäftsstelle überlässt, nicht der normativen Vorgabe. In derartigen Fallkonstellationen liegt zur Überzeugung des Senats lediglich eine Art „Verfügung“ vor, mittels derer die endgültige, nicht mehr vom Richter unterschriebene Fassung des Urteils erst noch erstellt werden soll (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris Rdn. 17). Ein derartiges Dokument stellt auch nicht ein zwar fehlerhaftes, aber gleichwohl wirksames Urteil dar (so bei Inbezugnahmen BGH, Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris Rdn. 20 f.).
Der Senat kann diese Frage hier allerdings offenlassen. Die Auffassung, dass die „Verfügung“ zur Erstellung des vollständigen Urteils zugleich bereits das endgültige, wenn auch fehlerhafte Urteil sein kann, stützt sich ganz wesentlich darauf, dass die Bestimmung aller in § 136 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 134 Abs. 1 und 2 SGG dem Richter vorbehaltenen Bestandteile des Urteils vom diesem derart genau vorgegeben werden, dass die lediglich verfügten, noch von den Mitarbeitenden der Geschäftsstelle umzusetzenden Schritte sich auf das reine Umsetzen von eindeutig durch den Richter vorgegebenen Verfügungsschritten beschränkt. Den zur Entscheidung nicht berufenen Mitarbeitenden der Geschäftsstelle dürfen somit bei der Umsetzung der „Verfügung“ keinerlei eigenverantwortlich auszufüllende (Ermessens-)Spielräume verbleiben und es darf keine ergebnisoffene Auslegung hinsichtlich des vom Richter Gewollten notwendig sein. (Nur) In diesem Fall ließe sich zur Überzeugung des Senats rechtfertigen anzunehmen, dass das Urteil von dem zuständigen Richter stammt und von diesem unterschrieben wurde. Dies gilt auch für die nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG i.V.m. § 134 Abs. 1 SGG dem Richter vorbehaltenen Bestandteile des Rubrums („die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren“ (so ausdrücklich: BGH, Beschluss vom 27.06.2003, IXa ZB 72/03, juris, Rdn. 16 und 21; weitergehend BGH, Beschluss vom 16.10.2007, VI ZB 65/06, juris Rdn. 6)) und nach § 136 Abs.1 Satz 1 Nr. 7 SGG für „die Rechtsmittelbelehrung“.
Bei dem Dokument, das die Kammervorsitzende im hier zu entscheidenden Fall unterschrieben hat, fehlt es jedoch an einem derart von ihr eindeutig und ohne jeden Zweifel vorgegebenen Inhalt des Rubrums und der Rechtsmittelbelehrung. Vielmehr hat sie insoweit bewusst der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle die eigenverantwortliche Vervollständigung des Urteils überlassen. Mit dem „Kurzrubrum“ „N. ./. DRV Rheinland“ sind von der Kammervorsitzenden nicht alle notwendigen Informationen vorgegeben worden, um sämtliche Verfahrensbeteiligten, deren Vertreter, Bevollmächtigte etc. mit hinreichender Sicherheit zu identifizieren (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 27.09.2023, L 6 AS 485/23 B, juris Rdn. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012, L 5 AS 1056/12 B PKH, juris Rdn. 2; Wolff-Dellen, a.a.O. § 136 SGG, Rdn. 2 f.). Die Vorsitzende hat hierdurch auch nicht auf ein unveränderbares Rubrum bzw. einen unveränderbaren Zustand des Rubrums abgestellt, also nicht beispielsweise auf das Rubrum der Klageschrift oder das Rubrum des in der Gerichtsakte vorgehefteten Datenblattes des Verfahrens. Damit steht nicht fest, ob die Kammervorsitzende bei Abfassen des Dokuments überhaupt konkret ein Rubrum in all seinen Einzelheiten vor Augen hatte, es geprüft und für richtig befunden hat, so dass es von ihrer nachfolgenden Unterschrift umfasst werden konnte. Gleiches gilt für die – nur konkludente - Verfügung, die Rechtsmittelbelehrung für Berufungsverfahren einzufügen („RMB: Berufung“). Insoweit werden den Sozialgerichten in NRW zumindest zwei Versionen einer Rechtsmittelbelehrung für berufungsfähige Urteile bereitgestellt, eine für „Inlandsfälle“ und eine für „Auslandsfälle“. Auch insoweit konnte und musste die Geschäftsstelle zunächst selbst prüfen und entscheiden, welche Belehrung die Kammervorsitzende eingefügt wissen wollte.
Der Verfahrensmangel kann aufgrund des Zeitablaufs durch das SG auch nicht mehr durch Nachholung der Unterschrift der Kammervorsitzenden unter das von ihrer Geschäftsstelle erstellte Dokument, von dem die beglaubigte Abschrift erstellt und den Beteiligten zugestellt worden ist, geheilt werden. Nach Ablauf von fünf Monaten seit Erlass eines Urteils ist eine Heilung durch Nachholung der Unterschrift nicht mehr möglich (BSG, Beschluss vom 17.12.2015, B 2 U 150/15 B, juris Rdn. 11); das Urteil gilt dann im Sinne des § 202 Satz 1 SG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO als nicht mit Gründen versehen (Keller, a.a.O., § 134 SGG, Rdn. 2c und 4).
Das Verfahren erster Instanz kann auch nicht durch Zustellung eines wortgleichen Textes des auf Blatt 92 ff. der Gerichtsakte befindlichen gerichtlichen, von der Kammervorsitzenden unterschriebenen Dokumentes an die Beteiligten abgeschlossen werden. Bei diesem Text handelt es sich nicht um ein den endgültigen und vollständigen Urteilstext bereits enthaltendes Schriftstück (vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 SGG). Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle sollte und hat den vollständigen schriftlichen Urteilstext entsprechend der – konkludenten - „Verfügung“ der Kammervorsitzenden erst noch fertiggestellt.
Das Verfahren erster Instanz kann auch nicht durch eine Berichtigung nach § 138 SGG abgeschlossen werden. Danach sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen; der Vorsitzende entscheidet hierüber durch Beschluss; der Berichtigungsbeschluss wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Auch bei offenbaren Unrichtigkeiten in der Bezeichnung der Beteiligten ist eine Rubrumsberichtigung möglich, d.h. auch bei fehlerhafter Bezeichnung der Beteiligten; die Beteiligtenbezeichnung ist fehlerhaft, wenn nicht die im Zeitpunkt der Urteilsfällung Beteiligten bezeichnet sind; dies ist dann anzunehmen, wenn die Bezeichnung nicht mit den in der Klageschrift genannten Beteiligten übereinstimmt (Schütz, a.a.O. § 138 SGG, Rdn. 15). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Denn vorliegend sind die Beteiligten nicht in diesem Sinne fehlerhaft, sondern im „Kurzrubrum“ unvollständig bezeichnet. Insofern bedarf es hier nicht der Korrektur von etwas Bestehendem, sondern der erstmaligen Erstellung (des Rubrums).
2.
Der genannte Verfahrensmangel ist wesentlich i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
Wesentlich ist ein Verfahrensmangel, wenn das erstinstanzliche Urteil auf ihm beruhen kann und seinetwegen das erstinstanzliche Verfahren keine ordnungsgemäße Entscheidungsgrundlage ist (Wolff-Dellen, a.a.O., § 159 SGG, juris Rdn. 5; OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023, 1 U 44/22, juris Rdn. 24 zu der § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG entsprechenden Vorschrift des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unter Hinweis auf Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 06.11.2000, II ZR 67/99, und vom 20.07.2011, IV ZR 291/10, juris).
Verfahrensfehler, die absolute Revisionsgründe sind, sind stets wesentlich (Keller, a.a.O., § 159 Rdn. 3a; Adolf, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 19).
Hier liegt ein Verfahrensfehler vor, der absoluter Revisionsgrund ist.
Denn das Fehlen der Unterschrift unter ein Urteil - was nach Ablauf von fünf Monaten seit Erlass des Urteils durch Nachholung der Unterschrift auch nicht mehr geheilt werden kann (BSG, Beschluss vom 17.12.2015, B 2 U 150/15 B, juris Rdn. 11) - stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 202 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO dar; das Urteil ist dann im Sinne des § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO nicht mit Gründen versehen (Keller, a.a.O, § 134 SGG, Rdn. 2c und 4).
Bei dem Dokument, das die Kammervorsitzende im hier zu entscheidenden Fall unterschrieben hat, handelt es sich aus den oben aufgezeigten Gründen nicht um eine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung, da in dem von der Kammervorsitzenden unterschriebenen Dokument kein (vollständiges) Rubrum aufgeführt ist, die Vervollständigung insoweit vielmehr einer nicht entscheidungsbefugten Person überlassen bleibt bzw. bleiben soll. Mangels Beachtung des § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG handelt es sich bei der angefochtenen Entscheidung daher nicht um ein grundsätzlich der Rechtskraft fähiges Urteil, sondern um ein Schein- oder Nichturteil, das zwar mit denjenigen Rechtsmitteln angefochten werden kann, welche gegen eine rechtlich existente Entscheidung gleichen Inhalts statthaft wären (BGH, Beschluss vom 13.06.2012, XII ZB 592/11, juris Rdn 18 f.), aber keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann; dem steht nicht entgegen, dass Hauptanwendungsfall der Schein- oder Nichturteile das Fehlen einer ordnungsgemäßen Verkündung bzw. die Zustellung oder Mitteilung eines nicht verkündeten oder von der verkündeten Entscheidung abweichenden bloßen Entwurfs ist; denn die vorliegende Fallkonstellation, dass eine vom Richter unterschriebene verkündete Entscheidung an einem gravierenden Rubrumsfehler leidet, da dort die Beteiligten nicht oder unzureichend aufgeführt sind, ist der Fallgestaltung eines sog. Schein- oder Nichturteils gleichzusetzen (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 26.05.2023, 1 U 44/22, juris Rdn. 27 zu der mit § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG gleichlautenden Vorschrift des § 313 Abs. 1 Nr.1 ZPO, und Beschluss vom 14.06.2022, 5 W 31/22, juris Rdn. 27; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.04.2019, II-3 UF 4/19, juris Rdn. 3; OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2020, II-10 UF 60/20, juris Rdn. 3; LSG NRW, Beschluss vom 19.04.2016, L 6 SF 78/16 ER, juris Rdn. 2 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.10.2022, II-4 UF 75/21, juris Rdn. 8).
Die den Beteiligten von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG zugestellte beglaubigte Abschrift des „Urteils“ vom 30.11.2021 entspricht zwar vollständig dem von der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle selbst erstellten Dokument, das sich auf Blatt 106 ff. der Gerichtsakte befindet; dieses ist aber entgegen § 134 Abs. 1 SGG nicht von der Kammervorsitzenden unterschrieben worden.
II.
Der aufgezeigte wesentliche Verfahrensmangel macht eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG erforderlich.
1.
Der für § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG geforderte kausale Zusammenhang – „aufgrund des Mangels“ – ist hier schon dadurch gegeben, dass der aufgezeigte wesentliche Verfahrensmangel zum Scheinurteil führt, das keine ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann.
2.
Eine Beweisaufnahme ist dann umfangreich und aufwändig, wenn sie einen erheblichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erfordert (Keller, a.a.O. § 159 Rdn. 4 mit Hinweis auf BT-Drs. 17/6764 S. 27). Dies liegt jedenfalls vor, wenn – aus Sicht des SG (vgl. Keller, a.a.O. § 159 SGG, Rdn. 31; Adolf, a.a.O. § 159 SGG, Rdn. 19) - eine Vielzahl von Zeugen oder Sachverständigen zur Aufklärung des Sachverhalts vernommen werden müssen (Adolf, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 21). Dabei kommt es nicht nur auf die Zahl der zu hörenden Zeugen an, sondern auch auf den Umfang der beweisbedürftigen Tatsachen (Keller, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 4).
Hier ist eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG erforderlich, da hier noch weitere Zeugenvernehmungen zu hier umfangreich beweisbedürftigen Tatsachen vorzunehmen sind.
Die Klägerin hat über ihre Bevollmächtigte mit klagebegründenden Schriftsatz vom 10.12.2018 zum Beweis für die „gesamte Entwicklung, insbesondere zu den Heiratsplänen und entsprechenden Beweggründen“ Zeugenbeweis angetreten und hierfür dreizehn Personen mit jeweils voller Adresse als Zeugen benannt. Hieran hat die Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 14.11.2019 festgehalten, weil sie mit diesem Schriftsatz erneut Beweis durch Zeugnis der Frau F. und der Eheleute P. angetreten und i.Ü. ausgeführt hat, dass im Weiteren zur Vermeidung von Wiederholungen auf den bisherigen Sachvortrag nebst Beweisangeboten Bezug genommen werde.
Es entsprach offenbar zunächst der Sicht der Kammervorsitzenden, dass hier eine - dem mit Schriftsätzen der Klägerbevollmächtigten vom 10.12.20218 und vom 14.11.2019 erfolgten umfangreichen Beweisantritt entsprechende - umfangreiche Zeugenvernehmung in einem Erörterungstermin durchzuführen ist. Insofern hat sie nämlich der Klägerbevollmächtigten auf deren Sachstandsanfrage von Juli 2021 mit Schreiben vom 16.08.2021 mitgeteilt, es seien zu dem avisierten Termin mehrere Zeugen zu vernehmen; die pandemische Situation im Jahr 2020 sowie in den ersten Monaten des Jahres 2021 habe die Durchführung eines Termins mit mehreren Zeugen allerdings nicht zugelassen; die Sitzungssaalkapazitäten seien des Weiteren immer noch eingeschränkt. Den Rechtsstreit hat das SG dabei weiterhin – wie bereits im Dezember 2019 verfügt und den Beteiligten mitgeteilt - für einen Erörterungstermin vorgesehen.
Gründe dafür, warum das SG dann mit der am 17.08.2021 erfolgten Ladung – jetzt zum Termin der mündlichen Verhandlung am 30.11.2021 - von den von der Klägerbevollmächtigten benannten dreizehn Zeugen nur drei Zeugen geladen und auf die Ladung der übrigen zehn Zeugen verzichtet und warum es aus dem Kreis der benannten dreizehn Zeugen konkret die geladenen drei Zeugen ausgewählt hat, lassen sich weder der Akte noch den Entscheidungsgründen des SG entnehmen. Gründe hierfür sind für den Senat auch sonst nicht ersichtlich.
Auch lassen sich weder der Akte noch den Entscheidungsgründen Gründe dafür entnehmen, warum das SG auf die Vernehmung des Zeugen P. verzichtet hat, obwohl es diese – angesichts seiner zuvor erfolgten Ladung - zuvor für erforderlich gehalten hat. Gründe hierfür sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich, zumal die Klägerin bereits im Widerspruchsverfahren Herrn P. als Zeugen dafür benannt hat, dass bereits im Dezember 2016 konkrete Planungen zur anstehenden Hochzeit im Sommer 2017 unternommen worden seien, und dies damit begründet hat, dass dieser im kommenden Jahr habe heiraten wollen und dass eine Doppelhochzeit geplant gewesen sei mit konkretem Hochzeitstermin am Freitag, den 02.06.2017, und die Klägerin Herrn P. dann mit dem klagebegründenden Schriftsatz vom 10.12.2018 zum Beweis für die „gesamte Entwicklung, insbesondere zu den Heiratsplänen und entsprechenden Beweggründen“ erneut als Zeugen benannt und hieran mit Schriftsatz vom 14.11.219 ausdrücklich festgehalten hat.
Neben der somit jedenfalls nachzuholenden Vernehmung des Zeugen Herrn P. ist es daher angezeigt, auch die weiteren von der Klägerin benannten Zeugen zu vernehmen, nachdem Gründe für einen Verzicht auf deren Vernehmung weder dokumentiert noch sonst für den Senat erkennbar sind.
III.
Der Senat übt das ihm von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eröffnete Ermessen dahingehend aus, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das SG Gelsenkirchen zurückzuverweisen.
Ob bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eine Zurückverweisung erfolgt, steht im Ermessen des Berufungsgerichts. Dieses muss zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung einerseits und dem Verlust einer Instanz andererseits abwägen; dabei ist auch der Ausnahmecharakter der Vorschrift zu berücksichtigen (Adolf, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 24; Keller, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 5). Für die Zurückverweisung kann die Wertigkeit des Verfahrensfehlers sprechen, etwa, dass die Entscheidung des SG nicht den Mindestanforderungen genügt (Keller, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 5a m.w.N.).
In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung und dem Grundsatz der Prozessökonomie einerseits sowie dem Verlust einer Instanz andererseits hält es der Senat vorliegend für angezeigt, den Rechtsstreit an das SG Düsseldorf zurückzuverweisen, weil er dem Erhalt des Instanzenzuges im vorliegenden Fall den Vorrang gegenüber dem Interesse der Beteiligten an einer möglicherweise geringfügig schnelleren Sachentscheidung eingeräumt hat. Die Entscheidung des SG genügt aus den aufgezeigten Gründen nicht den Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Entscheidung und kann nicht ordnungsgemäße Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein; schon dies spricht für eine Zurückverweisung. Des Weiteren ist der Rechtsstreit aus den genannten Gründen noch von einer Entscheidungsreife entfernt und erfordert weitere aufwändige Beweiserhebungen durch umfangreiche Zeugenver-nehmungen, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz besonders ins Gewicht fällt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Zurückverweisung mit ihrem Hauptantrag ausdrücklich angeregt und die Beklagte hiergegen keine Einwendungen erhoben hat.
IV.
Eine Kostenentscheidung war durch den Senat nicht zu treffen. Diese ist – einschließlich der Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Berufungsverfahrens – der abschließenden Entscheidung des SG Düsseldorf vorbehalten, da das erstinstanzliche Verfahren fortgesetzt wird (Keller, a.a.O., § 159 SGG, Rdn. 5f).
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.