Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.08.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente für die Zeit ab Januar 2015.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger erlitt im Rahmen seiner Tätigkeit bei der freiwilligen Z. der Stadt Q. am 11.03.2001 einen Arbeitsunfall, als er beim Herabsteigen auf einer Treppe mit dem Kopf gegen eine Querverstrebung schlug. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine HWS-Zerrung (Durchgangsarztbericht vom 12.03.2001). Die Gewährung von Verletztenrente wurde abgelehnt (Bescheid vom 24.07.2003, Widerspruchsbescheid vom 18.11.2003). Die dagegen beim Sozialgericht (SG) Aachen erhobene Klage (S 9 U 116/03) wurde zurückgenommen. Der mit Schreiben vom 26.02.2009 gestellte Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wurde abgelehnt (Bescheid vom 27.03.2009, Widerspruchsbescheid vom 30.06.2009), die dagegen beim SG Aachen erhobene Klage (S 1 U 59/09) mit Gerichtsbescheid vom 18.06.2010 abgewiesen. Dagegen legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen ein (L 15 U 460/10). Der Senat holte von Amts wegen ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie L. ein, der das Vorliegen von unfallbedingten Gesundheitsstörungen verneinte (Gutachten vom 12.02.2013).
Am 16.10.2001 erlitt der Kläger einen weiteren Arbeitsunfall, als er bei einem Zugunfall mit Personenschaden eingesetzt war, bei welchem ein Bekannter des Klägers getötet worden war (Unfallanzeige vom 05.06.2009). Das Ereignis wurde mit Bescheid vom 04.05.2010 als Arbeitsunfall anerkannt, die Übernahme der Kosten für therapeutische Maßnahmen (Psychotherapie) aus Anlass des Ereignisses abgelehnt. Mit weiterem Bescheid vom 28.10.2010 wurde zudem die Gewährung einer Rente abgelehnt. Die dagegen eingelegten Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2011 zurückgewiesen. In dem dagegen beim SG Aachen geführten Klageverfahren (S 6 U 33/11) wurde nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten der Fachärztin für Nervenheilkunde, Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie U. eingeholt, welche das Vorliegen von unfallbedingten Gesundheitsschäden auf neuropsychiatrischem Gebiet verneinte (Gutachten vom 02.01.2012). Die Klage wurde sodann mit Urteil vom 14.09.2012 abgewiesen. Im anschließenden Berufungsverfahren (L 15 U 701/12) wurde auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie M. eingeholt, welcher eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostizierte, dem Ereignis vom 16.10.2001 jedoch keine eigenständige Gesundheitsstörung bzw. Krankheitsentwicklung zuordnete (Gutachten vom 24.03.2014).
Am 06.06.2003 erlitt der Kläger erneut einen Arbeitsunfall, als bei einem Einsatz unter Atemschutz auf der 3. Etage der betroffenen Wohnung das Atemschutzgerät ausfiel, der Kläger keine Luft mehr bekam und den Brandort durch das Treppenhaus verlassen musste.
Gegenüber dem Hausarzt X. gab der Kläger anlässlich einer Vorstellung am 03.12.2003 an, er habe vor etwa ½ Jahr einen Feuerwehreinsatz mit defektem Atemgerät in unmittelbarer Feuerexposition getätigt und leide seitdem unter claustrophobischen Symptomen und Angstzuständen. X. diagnostizierte einen Verdacht auf reaktive Panikattacken nach akut lebensbedrohlicher Gefährdung bei einem Feuerwehreinsatz und überwies den Kläger an den Arzt für Neurologie und Psychiatrie G. (H-Arzt-Bericht vom 05.12.2003), welcher zunächst eine Anpassungsstörung nach akuter existenziell bedrohlicher Situation diagnostizierte (Berichte vom 08.12.2003, 19.04.2004 und vom 05.10.2004) und die Kontaktaufnahme mit der Traumaambulanz des H. für Psychosomatik und Psychotraumatologie Ü. empfahl. Die Behandlung dort (u.a. Berichte vom 12.11.2004, 05.01.2005, 21.02.2005, 12.04.2005, 08.06.2005 und vom 10.08.2005) erfolgte sodann ebenso wie die weitere Behandlung bei Herrn G. (u.a. Berichte vom 09.02.2005, 23.08.2005 und vom 03.11.2005) und in der P. (u.a. Bericht vom 11.04.2006), jeweils unter der Diagnose PTBS. In der Zeit vom 02.05.2006 bis 27.06.2006 erfolgte zudem eine stationäre Rehabilitationsbehandlung in der I.-Klinik W., wo ebenfalls die Diagnose PTBS gestellt wurde (Bericht vom 05.07.2006).
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Z.-Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Z.-NRW) zog die Einsatzberichte bei und befragte den Kläger sowie seine Kollegen zum Unfallhergang. Sodann veranlasste sie eine Begutachtung des Klägers durch die Ärztin für Neurologie C.. Diese diagnostizierte eine leichtgradige depressive Störung sowie einen Verdacht auf eine Angststörung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Ereignis vom 06.06.2003 lasse sich nicht begründen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege auf neurologischem Fachgebiet nicht vor (Gutachten vom 21.07.2006).
Mit Bescheid vom 21.09.2006 lehnte die Z.-NRW einen Anspruch auf Verletztenrente ab, da keine Unfallfolgen mehr vorlägen. Mit weiterem Bescheid vom 04.10.2006 wurde zudem die Weitergewährung von Verletztengeld über den 25.07.2006 hinaus und mit Bescheid vom 16.10.2006 die Gewährung von Mehrleistungen während der Heilbehandlung abgelehnt.
Die gegen die Bescheide vom 21.09.2006, 04.10.2006 und 16.10.2006 eingelegten Widersprüche wurden nach Anhörung des Klägers in der Sitzung des Widerspruchsausschusses mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2006 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger drei Klagen beim SG Aachen, mit welchen er die Gewährung einer Verletztenrente sowie von Mehrleistungen (S 9 U 123/06), die Gewährung von Verletztengeld (S 9 U 127/06) und die Gewährung von Mehrleistungen während der Heilbehandlung (S 9 U 130/06) begehrte.
Das Verfahren S 9 U 130/06 wurde durch den Abschluss eines Vergleichs beendet.
Im Verfahren S 9 U 127/06 überreichte der Kläger ein in seinem Verfahren gegen die private Unfallversicherung der Stadt Q. vor dem Landgericht (LG) Düsseldorf (11 O 513/05) eingeholtes nervenärztliches Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie J. vom 14.07.2007. Danach sei er aufgrund einer unfallbedingten PTBS weiterhin arbeitsunfähig. In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme am 06.09.2007 wurde sodann Beweis erhoben durch Vernehmung der am Einsatz vom 06.06.2003 beteiligten Kollegen des Klägers, der Zeugen N. und R.. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Sodann wurde von Amts wegen ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie B. eingeholt. Diese diagnostizierte eine PTBS in Remission sowie sonstige gemischte Angststörungen und nahm eine MdE von 10 an (Gutachten vom 22.02.2008). Der Kläger erhob umfangreiche Einwendungen gegen das Gutachten und übersandte zur weiteren Begründung den ärztlichen Entlassungsbericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 11.06.2008 bis zum 09.07.2008 in der der Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie der T. Klinik in D. (Bericht vom 06.08.2008). Das SG holte dazu eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen B. ein, die bei ihrer Einschätzung verblieb (Stellungnahme vom 28.10.2008).
Mit Urteil vom 11.12.2008 verurteilte das SG die Beklagte zur Bewilligung von Mehrleistungen nach § 3 Abs. 5 des Anhangs zu ihrer Satzung in Höhe von 6.000,00 Euro und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte die Kammer u.a. aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen des Unfalls vom 06.06.2003. In dem dagegen geführten Berufungsverfahren (L 15 U 29/09) wurden zwei weitere Stellungnahmen der Sachverständigen B. eingeholt, welche bei ihrer Einschätzung verblieb (Stellungnahmen vom 23.02.2010 und vom 16.09.2010). Sodann wurde ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie L. eingeholt. Dieser diagnostizierte eine unfallunabhängige Panikstörung mit Agoraphobie. Gesundheitsschäden, die mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 06.06.2003 zurückzuführen seien, ließen sich nicht nachweisen, eine MdE auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe nicht. Die Diagnose einer PTBS lasse sich bei fehlendem Nachweis des A2-Kriteriums und vor dem Hintergrund einer sehr späten Darbietung entsprechender unspezifischer Beschwerden und Symptome nicht bestätigen (Gutachten vom 05.02.2013). Auf Antrag des Klägers wurde sodann nach § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie A. eingeholt. Dieser diagnostizierte als Unfallfolge eine PTBS, die er unter Heranziehung der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ mit einer MdE von 30 bewertete. Eine Initialreaktion (A2-Kriterium) sei für die Diagnose einer PTBS nicht mehr notwendig und werde daher im DSM-5 auch nicht mehr aufgeführt (Gutachten vom 09.07.2014). Der Senat holte dazu eine ergänzende Stellungnahme von L. vom 02.10.2014 ein. Dieser führte aus, dass auch die fehlende Notwendigkeit des A2-Kriteriums den psychiatrischen Gutachter nicht davon entbinde, Feststellungen hinsichtlich eines Erstschadensbildes auf psychiatrischem Fachgebiet treffen zu müssen und zeitnah zum Unfallgeschehen belegbare pathologische Befunde nachzuweisen. An einer solchen Objektivierung fehle es weiterhin. Ebenso fehle es an einer Stellungnahme zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 schlossen die Beteiligten zur vollständigen Erledigung der Verfahren L 15 U 29/09, L 15 U 460/10 und L 15 U 701/12 einen Vergleich, wonach die Beklagte an den Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht pauschal und einmalig einen Betrag in Höhe von 10.000,00 Euro zahlte und damit alle etwaigen wechselseitigen Ansprüche aus den Unfällen vom 11.03.2001, 16.10.2001 und 06.06.2003 bis zum 31.12.2014 abgegolten waren.
Mit Schreiben vom 08.06.2017 stellte der Kläger einen Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bezüglich des Arbeitsunfalls vom 06.06.2003. Im Rahmen der nach dem Vergleich durchgeführten Psychotherapie bei der K. hätten sich zweifelsfrei Befunde dafür ergeben, dass bei ihm eine chronifizierte PTBS aufgrund des Unfalls vom 06.06.2003 bestehe.
Die Beklagte zog Unterlagen der K. bei und veranlasste sodann eine Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie V.. Diese diagnostizierte eine PTBS, eine rezidivierende depressive Störung, aktuell mittelschwere Episode, eine Agoraphobie mit Panikstörung und eine dissoziative Störung, gemischt mit Amnesien, Stupor, Krampfanfällen. Bei chronifiziertem Prozess und weiterhin nahezu unverändert vorliegender Symptomatik erscheine die Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit in dem zuvor ausgeübten Berufsfeld eines Rettungsassistenten in absehbarer Zeit nicht möglich. Es müsse von einer dauerhaft bestehenden MdE von 100 % ausgegangen werden (Gutachten vom 13.09.2018).
Die Beklagte holte dazu eine beratungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Y. ein. Diese führte aus, dass dem Gutachten nicht gefolgt werden könne. Unfallfolgen lägen nicht mehr vor, eine chronische PTBS sei nicht nachzuvollziehen (Stellungnahme vom 18.10.2018).
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 06.11.2018 die Gewährung einer Rente ab. Den gutachterlichen Feststellungen von Frau V. könne nicht gefolgt werden. Rechtlich wesentliche Folgen des Unfalls vom 06.06.2003 lägen nicht vor.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19.11.2018 Widerspruch ein und stütze sich dabei auf das Gutachten von Frau V., dem vollumfänglich zu folgen sei.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2019 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger am 23.05.2019 Klage beim SG Aachen erhoben. Bei ihm liege nicht zuletzt nach den nachvollziehbaren und absolut schlüssigen Ausführungen von Frau V. eine PTBS vor, die auf den streitgegenständlichen Arbeitsunfall zurückgehe. Dies ergebe sich auch aus den Gutachten von J. aus dem Jahr 2007 und von A. aus dem Jahr 2014.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2019 zu verurteilen, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalles vom 06.06.2003 Verletztenrente nach einer MdE von 100 ab Januar 2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die angefochtenen Bescheide gestützt.
Das SG hat von Amts wegen ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S. eingeholt. Diese hat zunächst die Beiziehung der Primärdokumentation der K., der Praxisdokumentation von Herrn G. sowie der vollständigen Dokumentation des Klinikums W. über die stationären Aufenthalte des Klägers in 2006, 2012 und 2013 erbeten und nach Eingang der Unterlagen sowie ambulanter Untersuchung des Klägers am 28.10.2020 eine somatoforme autonome Funktionsstörung diagnostiziert, die nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 06.06.2003 zurückzuführen sei. Eine PTBS liege nicht vor (Gutachten vom 05.05.2021).
Der Kläger hat umfangreiche Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht, zu denen das SG eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen S. eingeholt hat, die bei ihrer Einschätzung verblieben ist (Stellungnahme vom 11.09.2021).
Sodann hat das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin; u. a. mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie O. eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 21.12.2021, 29.12.2021 und 08.01.2022 u.a. eine PTBS, eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, dissoziative Störungen, Angst- und Panikstörungen und eine nichtorganische Schlafstörung mit Albträumen diagnostiziert und eine MdE von 100 angenommen (Gutachten vom 08.02.2022).
Mit Urteil vom 05.08.2022 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei auf die Ausführungen der Sachverständigen S. gestützt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 18.08.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.09.2022 Berufung eingelegt. Der Unfall vom 06.06.2003 sei kausal für die bei ihm auf Dauer vorliegende Gesundheitsstörung. Das Gutachten von O. belege, dass er unter einer PTBS leide, die kausal auf den Unfall vom 06.06.2003 zurückzuführen sei. Das Gutachten bestätige insoweit die bereits von A. und Frau V. vertretene Auffassung. Zudem verweist der Kläger auf den im Berufungsverfahren übersandten Bericht der E. GmbH vom 05.09.2023 und die dort im Rahmen einer stationären Behandlung vom 14.06.2023 bis zum 26.07.2023 erneut gestellte Diagnose einer PTBS.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 05.08.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 06.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.04.2019 zu verurteilen, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 06.06.2003 eine Verletztenrente nach einer MdE von 100 ab dem 01.01.2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung sowie die diese tragenden Ausführungen von S..
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.11.2023 ist für die Beklagte niemand erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten verhandeln und entscheiden, weil die Beklagte auf diese Möglichkeit in der ihr mittels Empfangsbekenntnis am 02.11.2023 zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 27.11.2023 zudem mitgeteilt, dass krankheitsbedingt kein Vertreter entsandt werden kann und ihr Einverständnis mit einer Verhandlung und Entscheidung ohne ihre Anwesenheit erklärt.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 06.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2019 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da dieser nicht rechtswidrig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente für die Zeit ab dem 01.01.2015.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Unfallfolgen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (sog. Stütztatbestand). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Für die Feststellung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind zunächst nur solche Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die entweder als Gesundheitserstschäden kausal (haftungsbegründende Kausalität) auf das Unfallereignis selbst oder als Gesundheitsfolgeschäden kausal (haftungsausfüllende Kausalität) auf den Gesundheitserstschaden bzw. die Gesundheitserstschäden zurückzuführen sind. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt dabei, dass Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschäden, ebenso wie die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zur Zeit des Unfalls, Unfallereignis im Rahmen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R -, juris, Rn. 16 m.w.N.).
Soweit psychische Gesundheitsstörungen geltend gemacht werden, die im Übrigen sowohl Gesundheitserstschäden als auch Gesundheitsfolgeschäden sein können, ist Voraussetzung für ihre Anerkennung als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern. Dazu ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (z.B. ICD-10 oder DSM IV, nunmehr DSM V) erforderlich (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris, Rn. 22; BSG, Urteil vom 26.11.2019 - B 2 U 8/18 R -, juris, Rn.19).
Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende und/oder haftungsausfüllende Kausalität) zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten physischen und/oder psychischen Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, juris, Rn. 12 m.w.N.).
Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven - naturwissenschaftlichen - Verursachung, bei der es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112,177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz.31 ff; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz.55 ff; BSG, Urteil vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rn. 31 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und/oder einem psychischen Gesundheitsschaden und einem Unfall ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m. w. N). Allein das zeitliche Zusammentreffen der Beschwerden mit einem Unfallereignis und/oder das Fehlen von Alternativursachen reichen für die Bejahung eines Ursachenzusammenhangs dabei nicht aus.
Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, und sie also eine – von möglicherweise mehreren – Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu klären, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt. Erst wenn sowohl das versicherte Unfallereignis als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich „wesentliche“ ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R, juris, Rn. 27 m.w.N.). Hierbei muss sich die Einwirkung unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Kriterien zur Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild und Krankengeschichte, also die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris, Rn. 15 f. m.w.N.).
Gab es neben dem versicherten Ereignis noch konkurrierende Ursachen, z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark und so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen/Störungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinungen/Störungen verursacht hätte (BSGE 62,220-224, SozR 2200 § 589 Nr.10). War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung aus; sie ist dann bloß eine sog. Gelegenheitsursache.
Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze liegen die Voraussetzungen für die begehrte Gewährung einer Verletztenrente nicht vor. Bei dem Kläger bestehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine auf das Unfallereignis vom 06.06.2003 zurückzuführenden Gesundheitsstörungen, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. begründen. Der Senat folgt insoweit den schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen S.. Diese hat nach Auswertung der Primärdokumentation von Herrn G. und der K. und unter Berücksichtigung der aktenkundigen Befunde sowie aufgrund ihrer eigenen Befunderhebung nachvollziehbar das Vorliegen einer unfallbedingten psychischen Gesundheitsstörung verneint. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit begründende, unfallbedingte Gesundheitsstörungen auf anderen medizinischen Fachgebieten sind nicht ersichtlich.
Eine PTBS ist beim Kläger nicht im Vollbeweis gesichert.
Nach der Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat folgt, sind insbesondere im Bereich psychischer Störungen die Gesundheitsschäden genau zu definieren. Dies setzt zwingend voraus, dass die Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (z.B. ICD-10, DSM-V) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt beschrieben wird. Das ICD stellt ein weltweit anerkanntes System dar, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. Das DSM ist ein auf psychische Störungen begrenztes Klassifikationssystem, welches im Vergleich zum ICD stärker operationalisiert ist. Dieses kann alternativ oder ergänzend zum ICD herangezogen werden und stellt den repräsentativen aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Bereich der Psychiatrie dar (BSG, Urteil vom 28.06.2022 - B 2 U 9/20 R -, juris, Rn. 19 ff. m.w.N.).
Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand erfordert die Diagnose einer PTBS das Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses im Sinne des sog. A-Kriteriums der DSM-5- und/oder ICD-Klassifikation, den Nachweis einer psychischen Traumatisierung in geeignetem zeitlichem Zusammenhang zu dem Ereignis, den Nachweis charakteristischer Symptome einer PTBS gemäß der DSM-5-Klassifikation (B-E-Kriterien) mit Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (G-Kriterium), einen nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand plausiblen klinischen Verlauf der Symptomatik, das Fehlen von konkurrierenden Faktoren, die für die Symptomatik maßgeblich sind oder diese unterhalten und das Vorliegen einer authentischen Beschwerdendarstellung (vgl. S2k-Leitlinie Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. <AWMF>, Register-Nr. 051-029, Stand 15.12.2019, gültig bis 14.12.2024, <AWMF-Leitlinie>, zitiert nach www.awmf.org, Teil III, S.37).
Nach ICD-10 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (F43.1). Das DSM-V verlangt eine Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf eine (oder mehrere) der folgenden Arten: 1. Direktes Erleben eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse. 2. Persönliches Erleben eines oder mehrerer solcher traumatischer Ereignisse bei anderen Personen. 3. Erfahren, dass einem nahen Familienmitglied oder einem engen Freund ein oder mehrere traumatische Ereignisse zugestoßen sind. Im Fall von tatsächlichem oder drohendem Tod des Familienmitgliedes oder Freundes muss das Ereignis bzw. müssen die Ereignisse durch Gewalt oder einen Unfall bedingt sein. 4. Die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von einem oder mehreren derartigen traumatischen Ereignissen (z.B. Ersthelfer, die menschliche Leichenteile aufsammeln oder Polizisten, die wiederholt mit schockierenden Details von Kindesmissbrauch konfrontiert wurden). Die frühere Zusatzforderung des DSM-IV, wonach als sog. „A2-Kriterium“ in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu dem Schädigungsereignis „intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen“ nachweisbar sein mussten, ist mit dem DSM-V entfallen.
Für den Beginn einer PTBS beschreibt das DSM-5, dass eine PTBS „normalerweise“ innerhalb von 3 Monaten nach dem schädigenden Ereignis eintritt, es könne aber im Einzelfall „Monate oder sogar Jahre“ dauern, bis das für die Diagnosestellung erforderliche „Vollbild“ vorliegt. Von einer PTBS mit verzögertem Beginn wird gesprochen, wenn das Vollbild erst nach Ablauf von 6 Monaten eintritt (AWMF-Leitlinie, Teil III, S. 22). Gewöhnlich verläuft die PTBS nach minderschweren Ereignissen und/oder unter geeigneter Therapie in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren regredient mit abnehmender funktioneller Beeinträchtigung (Decrescendo). Ist dies nicht der Fall und wird eine anhaltende oder sogar zunehmende Beeinträchtigung geltend gemacht, gilt es herauszuarbeiten, welche die Störung aufrechterhaltenden Faktoren vorliegen, z.B. Fehlen einer geeigneten Therapie, Reaktivierung/Retraumatisierung, Wegfall von Kompensationsfaktoren, und welche Bedeutung traumaunabhängigen person- und umweltbezogenen Kontextfakten zukommt (AWMF-Leitlinie, Teil III, S. 36).
Nach den auch für den Senat schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen S. in ihrem Gutachten vom 05.05.2021 sowie in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 11.09.2021 kann die Diagnose einer PTBS weder nach ICD-10 noch nach DSM-V gestellt werden. Auch wenn das Ereignis vom 06.06.2003 das sog. A-Kriterium erfüllt, mangelt es nach den Ausführungen der Sachverständigen an einem unmittelbaren medizinisch dokumentierten seelischen Erstschaden. Eine psychische Reaktion des Klägers wurde erstmalig anlässlich der Vorstellung bei X. am 03.12.2003 dokumentiert, wo der Kläger angab, seit dem Ereignis unter claustrophobischen Symptomen und Angstzuständen zu leiden. Zwar kann eine PTBS auch erst mit verzögertem Beginn auftreten, diese Erscheinungsform ist jedoch nach den Ausführungen der Sachverständigen sehr selten und im Fall des Klägers nicht wahrscheinlich. Dagegen sprechen nach ihren überzeugenden Ausführungen die Qualität des Unfallereignisses an sich, welches nicht zu den Traumata gehört, die am häufigsten zum Auftreten einer PTBS mit verzögertem Beginn führen (Gefangenschaft, Vergewaltigung, Misshandlungen und sexueller Missbrauch in der Kindheit sowie körperliche Gewalt), und welches zudem keine schwere körperliche Verletzung hervorgerufen hat und auch nicht mit besonderen traumakompensatorischen Umständen wie Überlebenskampf oder intensivmedizinischer Behandlung einherging. Auch die fehlende Nennung einer Belastung durch das Unfallereignis in den Folgemonaten und der weitere atypische Verlauf, insbesondere unter Berücksichtigung der ab 2013 durchgeführten spezifischen Traumatherapie, sprechen nach den Ausführungen von S. gegen das Vorliegen einer PTBS mit verzögertem Beginn.
Auch der Sachverständige L. hat in seinem im Verfahren L 15 U 29/09 eingeholten Gutachten vom 05.02.2013, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, das Vorliegen einer PTBS mit überzeugender Begründung verneint. Zwar folgt der Senat dem Gutachten insoweit nicht, als der Sachverständige seine Ausführungen unter Zugrundelegung der DSM-IV mit dem fehlenden A2-Kriterium begründet, da es sich bei DSM-IV nicht (mehr) um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand handelt. Zutreffend weist jedoch auch L. drauf hin, dass sich die Diagnose einer PTBS vor dem Hintergrund der unspezifischen Beschwerden und Symptome nicht bestätigen lasse. Dagegen spricht nach seiner Einschätzung auch, dass es nicht zu dem bei dem eher minderschweren Ereignis typischerweise zu erwartenden abklingenden Verlauf der Beeinträchtigungen gekommen ist, sondern im Gegenteil eine weiter zunehmende Beschwerdeverstärkung und Ausweitung bis hin zu dissoziativen Phänomenen stattgefunden hat.
Demgegenüber vermag der Senat dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Frau V. vom 13.09.2018 sowie dem im Klageverfahren eingeholten Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin O. vom 08.02.2022 nicht zu folgen.
Hinsichtlich der Feststellungen von Frau V. hat die Sachverständige S. zur Überzeugung des Senats in ihrem Gutachten sowie in ihrer ergänzenden Stellungnahme nachvollziehbar herausgearbeitet, weshalb diesen nicht gefolgt werden kann.
Soweit der Sachverständige O., welcher nach Aktenlage nicht über eine einem Facharzt für Psychiatrie oder Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie vergleichbare Sachkunde verfügt, eine PTBS diagnostiziert hat und ihm als psychotraumatologisch arbeitendem Arzt dieses Beschwerdebild „eindeutig plausibel“ mit dem Unfall vom 06.06.2023 zusammenzuhängen scheint, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Das Gutachten ist - ebenso wie das im Verfahren L 15 U 29/09 eingeholte Gutachten von A. - bereits nicht schlüssig, da es an der zwingend erforderlichen Kausalitätsbeurteilung nach den vorgenannten Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung fehlt. Die Ausführungen des Sachverständigen, wonach eine „absolute Berufsunfähigkeit in den Berufsbildern der Krankenpflege, des Rettungssanitäters und des Feuerwehrmanns“ besteht und der Kläger „weniger als drei Stunden arbeiten“ kann, verdeutlichen ebenso wie die Ausführungen zum Grad der Schädigungsfolgen (GdS), dass der Sachverständige sich bei seinen Ausführungen nicht an den im Unfallversicherungsrecht maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben orientiert hat. Soweit er schließlich eine MdE von 100 annimmt, wird diese Einschätzung nicht ansatzweise unter Heranziehung der im Unfallversicherungsrecht anzuwenden Tabellen begründet.
Auch die Behandlungsberichte von Herrn G. und des H. sowie der P. können das Vorliegen einer PTBS nicht im Vollbeweis begründen. Die Diagnose beruht ausschließlich auf den Angaben des Klägers, eine Objektivierung der vom Kläger geschilderten Beschwerden erfolgte nicht. Die Sachverständige S. hat zudem zutreffend auf den Unterschied einer Diagnosestellung im Behandlungskontext und im forensischen Kontext hingewiesen und ausgeführt, dass sämtliche Behandler auf die Angaben des Klägers vertraut haben, ohne die in einer Begutachtung notwendige Gegenprüfung vorzunehmen. Aus diesem Grund vermag auch der im Berufungsverfahren vorgelegte Entlassungsbericht der E. vom 05.09.2023 das Vorliegen einer PTBS nicht im Vollbeweis zu begründen.
Nach den Feststellungen der Sachverständigen S. liegt bei dem Kläger eine somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.1) vor. Diese wurde fachspezifisch erstmals im Rahmen einer psychosozialen Belastungssituation in den Jahren 1992 bis 1994 durch Herrn G. diagnostiziert, nachdem vorangehend geklagte körperliche Beschwerden wie Kopfdrücken und Nackenschmerzen sowie eine Neigung zur Hypotonie organmedizinisch nicht erklärt werden konnten, und kann daher nach den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen S. nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 06.06.2003 zurückgeführt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.