L 13 VG 25/24 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 15 VG 9/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VG 25/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 29.05.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des Eilrechtschutzes über Ansprüche auf Krankenbehandlung, Rehabilitation, Krankengeld sowie vergangener und zukünftiger Übernahme von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Sozialen Entschädigungsrecht.

 

Die am 00.00.0000 geborene Antragstellerin war im Rahmen einer Ersatzfreiheitstrafe vom 02.01.2023 bis zum 08.08.2023 und dann nach Aktenlage erneut ab September 2023 inhaftiert. Sie ist gesetzlich kranken- und sozial pflegeversichert bei der E. (E.). Diese erhob mit Bescheid vom 23.01.2024 gegenüber der Klägerin Beiträge ab Januar 2024 in Höhe von 182,64 EUR monatlich. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens teilte die E. dem Antragsgegner auf Nachfrage mit, dass der Leistungsanspruch der Antragstellerin aufgrund von Beitragsrückständen seit dem 21.03.2024 ruhe.

 

Am 29.12.2023 stellte die Antragstellerin nach eigenen Angaben einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente und Übernahme der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Westfalen. Weiter gab sie an, dass ihr Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) durch den zuständigen Träger abgelehnt worden sei. Belege reichte sie diesbezüglich jeweils nicht ein.

 

Zudem beantragte die Antragstellerin am 09.11.2023 Leistungen der Sozialen Entschädigung beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS), welches ihr Anliegen im Januar 2024 an den dafür zuständigen Antragsgegner weiterleitete. Diesem gegenüber konkretisierte die Antragstellerin mit am 29.01.2024 eingegangenem Antragsformular ihr Anliegen. Sie sei seit dem Jahr 2018, insbesondere im Jahr 2021 und am 02.01.2023, immer wieder Opfer von Gewalt durch verschiedene Mitarbeiter von diversen Behörden geworden. Insbesondere sei sie im Justizvollzugskrankenhaus (Y.) T. durch den sie dort behandelnden Arzt misshandelt worden. Dieser habe unter anderem versucht, sie mit überdosierten Morphinen umzubringen. Da sie Zeugin schwerster Verbrechen geworden sei, trachte man ihr behördlicherseits nach dem Leben. Insgesamt erhob die Antragstellerin im Verlauf des Verwaltungsverfahrens verschiedenste Tatvorwürfe, wozu maßgeblich Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Behandlung ihrer Fersenbeinbrüche, die gezielte Überdosierung starker Analgetika, die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht im bzw. durch das Y. T., die Unterschlagung persönlicher Post durch die Justizvollzugsanstalt (JVA) X., die Nötigung zu Laufübungen durch ihren Arzt, die Anordnung von Fußfesseln, um einen anaphylaktischen Schock herbeizuführen, die Injektion von Betäubungsmitteln in den Halswirbelbereich, eine Erpressung, um eine Aussage ihrerseits zu verhindern, körperliche Gewalt durch das Einspritzen von Nitrospray in den Mund, unterlassene Hilfeleistung durch Nichtbehandlung ihres Spinalkanals, den Auftrag eines Totschlags gegen sie durch das Amtsgericht Detmold und Misshandlungen durch den Oberstaatsanwalt, durch die JVA X. sowie einen Polizeibeamten im Jahr 2019 gehörten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Tatvorwürfe nimmt der Senat Bezug auf das weitere Vorbringen der Antragstellerin.

 

Die Antragstellerin reichte wegen dieser Tatvorwürfe diverse Strafanzeigen gegen verschiedene Personen ein. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft befragten die Antragstellerin mehrfach und vernahmen die jeweiligen Beschuldigten. Alsdann stellte die zuständige Staatsanwaltschaft die Strafanzeigen gegen den Leiter und die Ärzte des Y. T. (Aktenzeichen 061 Js 32/23, Einstellungsbescheid vom 11.10.2023, Zurückweisung der Beschwerde mit Bescheid vom 18.12.2023) sowie Verfahren gegen einen Polizisten (Aktenzeichen 44 Js 10/21, Einstellungsbescheid vom 28.02.2023) und die ehemalige Betreuerin ihrer Mutter (Aktenzeichen 21 Js 528/17, Einstellungsbescheid vom 24.01.2018) mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ein. Der Senat nimmt auch insofern auf den weiteren Akteninhalt Bezug.

 

Im Verwaltungsverfahren wies die Antragstellerin den Antragsgegner darauf hin (Email vom 05.02.2024), dass ihr Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen wegen Beitragsrückständen ruhe. Ohne medizinische Versorgung i.S.v. Heilbehandlung und Krankengeld sei ihre Genesung gefährdet und es drohten dauerhafte Folgeschäden. Sie beantrage daher Leistungen medizinischer Behandlungs- und Rehabilitationskosten, Versorgungskrankengeld sowie die Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge.

 

Daraufhin stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.02.2024 fest, dass für die Antragstellerin aufgrund des Ereignisses vom 02.01.2023 kein Anspruch auf vorläufige Leistungen der Heilbehandlung nach § 119 Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch (SGB XIV) bestehe, da die Wahrscheinlichkeit für die zukünftige Anerkennung eines Versorgungsanspruchs nach § 4 Abs. 1 SGB XIV derzeit nicht gegeben sei. Eine endgültige Entscheidung über den Antrag werde nach Abschluss der Ermittlungen ergehen.

 

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 14.03.2024 durch ihre Rechtsanwältin, die das Mandat kurz darauf niederlegte, Widerspruch ein. Dieser ist noch nicht beschieden.

 

Am 02.05.2024 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht (SG) Detmold einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

 

Die Antragstellerin hat beantragt,

 

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Heilfürsorge und Rehabilitation unter Zahlung von Krankengeld in Anlehnung des § 10 Abs. 8 Bundeversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren.

 

Der Antragsgegner hat beantragt,

 

                        den Antrag abzulehnen.

 

Er hat zur Begründung auf seinen Bescheid Bezug genommen und des Weiteren vorgetragen, dass nach der bisherigen Sachverhaltsermittlung sich nicht die gebotene Wahrscheinlichkeit ergebe, dass es zu einer Anerkennung eines Versorgungsanspruchs nach § 4 Abs. 1 SGB XIV kommen werde. Der Anspruch nach § 119 SGB XIV sei daher ordnungsgemäß geprüft und rechtmäßig beschieden worden. Ein Anordnungsanspruch liege weiterhin nicht vor.

 

Bezüglich der noch nicht beschiedenen abschließenden Anerkennung eines Versorgungsanspruchs nach § 4 Abs. 1 SGB XIV und insbesondere bzgl. der Gewährung von Heil- und Krankenbehandlung werde auf § 57 SGB XIV hingewiesen. Danach erbringe für Geschädigte, die Mitglied einer Krankenkasse seien, ihre Krankenkasse für die zuständige Verwaltungsbehörde die Krankenbehandlung nach § 42 SGB XIV. Vom Antragsgegner würde in dem Fall daher zunächst nur eine Zuweisung an die Krankenkasse der Antragstellerin erfolgen.

 

Soweit die Antragstellerin eine Übertragung des Verfahrens auf die Bezirksregierung H. begehre bzw. die mangelnde Zuständigkeit des Antragsgegners rüge, könne dies nicht nachvollzogen werden. Gemäß § 1 Abs. 1 Ausführungsgesetz SGB XIV NRW (AG SGB XIV NRW) seien die Landschaftsverbände die zuständigen Behörden nach § 112 S. 1 SGB XIV. Auch vor Inkrafttreten des SGB XIV habe die Zuständigkeit für Anträge auf Versorgungsleistungen nach dem OEG a.F. i.V.m. BVG a.F. in NRW bei den Landschaftsverbänden gelegen. Die Bezirksregierung H. sei bis zum 31.12.2023 für die Geltendmachung der in § 81a BVG genannten Ansprüche und der im Zusammenhang mit der Durchführung der Versorgung stehenden bürgerlich-rechtlichen Ansprüche zuständig gewesen. Allein diese Zuständigkeit für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche nach § 81a BVG a.F. sei mit Inkrafttreten des SGB XIV gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 und Abs. 2 AG SGB XIV NRW auf die Landschaftsverbände übergegangen.

 

Das SG hat den Antrag sodann mit Beschluss vom 29.05.2024 als unbegründet abgelehnt. Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung gegen ihre Krankenversicherung, so dass von einem Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit nicht ausgegangen werden könne. Auf die Gründe im Übrigen wird Bezug genommen.

 

Gegen den ihr am 01.06.2024 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 12.06.2024 Beschwerde eingelegt. Sie leide unter nicht konsolidierten Fersenbein-Brüchen an beiden Füßen, Taubheit am Hinterkopf, schweren Wirbelsäulenerkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Beteiligung des Rückenmarks, die bereits mit Lähmungen im Arm einhergingen, Einsteifungen ihres Knies und weiteren Lähmungen im Bein. Diese gesundheitlichen Schäden seien durch die oben genannten Straftaten hervorgerufen worden. Sie sei dringend auf medizinische Behandlung angewiesen. Überdies benötige sie Krankengeld, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

 

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich wörtlich,

 

1. den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 29.05.2024 aufzuheben,

2. das Verfahren 63-50 R 5109130, LWL H., aus Gründen der Neutralität und Korruption auf die Bezirksregierung H. zu übertragen,

3. den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, H. zur Übernahme medizinischer Behandlungs- und Rehabilitationskosten unter Zahlung von Krankengeld zu verpflichten.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Er hält den Beschluss des SG für zutreffend und verweist auf seine erstinstanzlichen Ausführungen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

 

 

II.

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

 

1. Zunächst ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin an ihrem Antrag auf Akteneinsicht nicht weiter festhält. Sie hat stattdessen mit Schreiben vom 25.06.2024 und 02.07.2024 um sofortige Entscheidung gebeten. Zudem hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.07.2024 mitgeteilt, dass ihr die Verfahrensakte durch den Antragsgegner zugestellt worden sei.

 

2. Das Begehren der Antragstellerin ist dahingehend auszulegen, den Beschluss des SG Detmold vom 29.05.2024 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorzeitige Krankenbehandlungs-, Rehabilitationsleistungen und Versorgungskrankengeld zu gewähren, die künftigen Beiträge ihrer gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sowie die dortigen Beitragsrückstände auszugleichen. Zudem begehrt sie die Verweisung des Verwaltungsverfahrens an die Bezirksregierung H..

 

a) Die so ausgelegte Beschwerde ist teilweise, nämlich hinsichtlich des Verweisungsantrages, bereits unzulässig, im Übrigen aber zulässig.

 

aa) Soweit die Antragstellerin eine Übertragung der Entscheidungskompetenz über ihr Verwaltungsverfahren vom Antragsgegner auf die Bezirksregierung H. begehrt, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bereits nicht statthaft. Ein entsprechendes Begehren kann weder nach § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch nach § 86b Abs. 2 SGG verfolgt werden.

 

bb) Im Übrigen ist die Beschwerde statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 Satz 1, § 64 Abs. 1, Abs. 2, § 63 SGG) am 12.06.2024 durch die Antragstellerin gegen den ihr am 01.06.2024 zugestellten Beschluss des SG Detmold vom 29.05.2024 eingelegt worden.

 

b) Die insoweit zulässige Beschwerde ist indes unbegründet.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, aus dem der Antragsteller eigene Ansprüche ableitet (Anordnungsanspruch), zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung <ZPO>). Für die Beurteilung des Anordnungsanspruchs kommt es in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache an. Der Anordnungsgrund besteht nur dann, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen <LSG NRW>, Beschluss vom 30.01. 2019 – L 11 KR 442/18 B ER – KrV 2019, 126; Beschluss vom 22.01.2018 – L 11 KA 82/16 B ER – juris; jeweils m.w.N.). Wegen des Zusammenhangs zwischen den genannten Kriterien (einerseits der Erfolgsaussichten im Falle einer Entscheidung in der Hauptsache und andererseits der Unzumutbarkeit, auf eine solche Entscheidung zu warten) besteht eine funktionelle Wechselbeziehung zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund: Mit zunehmender Eilbedürftigkeit sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs zu reduzieren, und je höher die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto geringere Anforderungen sind an den Anordnungsgrund zu stellen. Gänzlich verzichtet werden kann indessen weder auf den Anordnungsanspruch noch auf den Anordnungsgrund. Ist Letzterer nicht dargetan, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung selbst dann nicht in Betracht, wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird. Andernfalls würde sich das Gericht über den eindeutigen Wortlaut des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG („wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint“) hinwegsetzen. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, so bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung (zu den genannten Kriterien ausführlich LSG NRW, Beschluss vom 22.01.2018 – a.a.O. m.w.N.; Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09; Beschluss vom 29.11.2007 – 1 BvR 2496/07 – juris).

 

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das SG Detmold den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt, denn die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsgrund (dazu unter aa) noch einen Anordnungsanspruch (dazu unter bb) glaubhaft gemacht.

 

aa) Hinsichtlich der Anspruchsverfolgung im Eilverfahren für vergangene, gegenwärtige bzw. künftige Versorgung (Beitragsrückstände, Zahlung laufender Beiträge, Krankenbehandlung, Rehabilitation und Versorgungskrankengeld) fehlt es an der substantiierten Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.

 

(1) Soweit die Antragstellerin Krankenbehandlung und Rehabilitation begehrt, fehlt es an einer glaubhaftgemachten Eilbedürftigkeit.

 

(a) Der Krankenversicherungsschutz ist bei ruhenden Krankenversicherungsverhältnissen nach § 16 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) insoweit gewahrt, als akute Erkrankungen und Schmerzzustände behandelt werden (für Leistungen zur Existenzsicherung nach dem SGB II: LSG NRW, Beschluss vom 03.05.2023 – L 19 AS 417/23 B ER – juris; LSG NRW, Beschluss vom 13.07.2022 – L 7 AS 585/22 B ER – juris). Dass die E. dies gegenüber der Antragstellerin nicht beachtet, ist nicht erkennbar. Gegenüber dem Antragsgegner hat sie auf diese Möglichkeit vielmehr hingewiesen. Ob der Antragstellerin hingegen bei Ruhen der Leistungen wegen Beitragsrückständen einen Anspruch auf Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) mit uneingeschränkter Legitimationsfunktion zustehen würde, solange die technischen Voraussetzungen fehlen, um Angaben zum Ruhen des Anspruchs zu verschlüsseln (vgl. dazu LSG für das Saarland, Beschluss vom 16.08.2023 – L 2 KR 3/23 B ER – juris), kann der Senat offenlassen, da dies vorliegend nicht streitgegenständlich ist.

 

(b) Auch der Vortrag zu einer gegenwärtigen Notlage ist nicht plausibel. Bereits im Jahr 2023 verwies die Antragstellerin darauf, dass sie über keinen Krankenversicherungsschutz verfüge, obgleich dieser erst im März 2024 nach Auskunft der E. ruhend gestellt wurde. Zur Begründung legte die Antragstellerin später eine an sie adressierte Rechnung über einen Krankenhausaufenthalt vom 29. September 2023 bis zum 7. Oktober 2023 vor, die die E. nicht beglichen habe. Tatsächlich findet sich der entsprechende Krankenhausaufenthalt allerdings in dem durch den Antragsgegner eingeholten Leistungsverzeichnis der E.. Weshalb daher letztlich der offensichtlich geplante Operationstermin am 30.10.2023 nicht durchgeführt worden ist, bleibt nach Aktenlage unklar.

 

(c) Davon abgesehen hat die Antragstellerin weder glaubhaft gemacht, dass sie den – nicht bezifferten – rückständigen Beitrag zu gKV nicht aus eigenen Mitteln finanzieren kann (dazu sogleich), noch, dass sie sich bei der Krankenversicherung um eine Ratenzahlungsvereinbarung bemüht hat, um den vollen Versicherungsschutz wiederherzustellen.

 

(3) Hinsichtlich der begehrten künftigen Beitragsübernahme zur gKV und der Gewährung von Versorgungskrankengeld fehlt es gleichfalls an der Substantiierung eines Anordnungsgrundes. Die Antragstellerin hat ihre finanzielle Situation nicht offengelegt.

 

Es entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Fähigkeit eines Antragstellers, jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel zurückzugreifen, ihm ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar erscheinen lässt und daher einem Anordnungsgrund entgegensteht (zum Recht der Krankenversicherung: LSG NRW, Beschluss vom 05.04.2018 – L 11 KR 651/17 B ER – juris; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 04.09.2014 – L 5 KR 20/11 B ER – Breith 2015, 393; Beschluss vom 06.06.2019 – L 5 KR 38/19 B ER - Breith 2019, 801; Thüringer LSG, Beschluss vom 26.11.2015 - L 6 KR 1266/15 B ER; Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand 6/2024, § 86b Rn. 412ff. ff. m.w.N.). Dem ist nicht entgegenzuhalten, dass dadurch der Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz faktisch auf Mittellose beschränkt werde und es zudem an verallgemeinerungsfähigen Kriterien für die Zumutbarkeit der Vorfinanzierung fehle. Stattdessen kommt es für die Beurteilung des Anordnungsgrundes im Rahmen von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG jeweils auf eine einzelfallbezogene Interessenabwägung an (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.12.2017 - L 9 KR 372/17 B ER - juris-Rn. 34, LSG NRW, Beschluss vom 20.05.2020 – L 11 KR 166/20 B ER – juris).

 

Vorliegend wird einerseits vorgetragen, dass sowohl ein Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente sowie auf Bewilligung von Bürgergeld gestellt worden sei. Im Falle des Bürgergeldes solle es sich jedoch lediglich um einen Antrag auf darlehensweise Gewährung gehandelt haben. Die Behauptung der jeweiligen Ablehnung wird nicht belegt. Andererseits trägt die Antragstellerin vor, dass ihre Eltern vermögend gewesen seien und diverse Stellen über 500.000,00 EUR dieses Vermögens hätten veruntreuen können. Insofern wäre es erforderlich gewesen, konkret zu ihren derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, zu denen auch mögliche Erbschaften gehören, vorzutragen. Dies ist der Antragstellerin zur Überzeugung des Senats auch bewusst, denn sie beansprucht, die Gewährung von Krankengeld gerade zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes. Dass sie diesen indes nicht auf andere Weise sichern kann, trägt sie weder plausibel vor noch lässt sich dies der Aktenlage entnehmen.

 

bb) Ungeachtet dessen fehlt es auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auf Leistungsgewährung.

 

(1) Soweit der Vortag der Antragstellerin auf Übertragung der Verwaltungsentscheidung an die Bezirksregierung H. auch als Rüge über die Zuständigkeit des Antragsgegners auszulegen ist, nimmt der Senat auf die diesbezüglichen Ausführungen des Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom 29.05.2024 Bezug.

 

(2) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch weder nach der neuen Rechtlage gemäß dem SGB XIV noch nach der alten Rechtslage gemäß dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz  <OEG>) i.V.m. dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz <BVG>) glaubhaft gemacht. Es kommen damit auch keine vorzeitigen oder vorläufigen Leistungen nach § 1 OEG i.V.m. § 10 Abs. 8 BVG bzw. § 119 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB XIV in Betracht.

 

Grundvoraussetzung der begehrten Ansprüche nach altem wie neuen Recht (BSG, Urteil vom 29.06.2000 – B 9 VG 3/99 R – juris, Rn 11, Knickrehm, Mushoff, Schmidt, Das neue Soziale Entschädigungsrecht, 1. Auflage, Rn. 66; für die vorläufige Bewilligung nur an „Geschädigte“: Weber in: LPK-SGB XIV, 1. Aufl. 2022, § 119 Rn. 8) ist das Vorliegen bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Vorliegens eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs, § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 OEG sowie nach § 13 Abs. 1 Nr. 1, 2, 14 SGB XIV.

 

Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum alten Recht ist für den Begriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" grundsätzlich auf eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung abgestellt worden (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R – juris; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R –, BSGE 122, 218, Rn. 23). § 13 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIX erweitert den Begriff auf ein sonstiges vorsätzliches, rechtswidriges, unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes schwerwiegendes Verhalten (psychische Gewalttat).

 

Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie einen bzw. mehrere solcher tätlichen Angriffe gegen ihre Person oder ihre freie Willensentscheidung erlitten hat. Den Aussagen der Antragstellerin im Rahmen der polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen lassen sich in keinem der Tatvorwürfe ein plausibler Tathergang entnehmen. Objektive Anhaltspunkte für Mordanschläge und Brandstiftungen und ähnliches können den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten nicht entnommen werden. Gemäß den sich aus der Ermittlungsakte ergebenden Auswertungen konnten die Aussagen der Antragstellerin seitens der Ermittlungsbehörden nur schwer nachvollzogen werden. Demgegenüber bieten die Aussagen der Beschuldigten nachvollziehbare Erklärungen für die Vorfälle, soweit sie sich zugetragen haben. Hinweise für eine gegen die Antragstellerin gerichtete Gewalttat sind diesen nicht zu entnehmen. Ein großer Teil der staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren, die auf die Strafanzeigen der Antragstellerin eingeleitet worden waren, sind dementsprechend inzwischen bereits nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Ihr Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt geschah zudem aufgrund einer zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafe. Anhaltspunkte für eine stattdessen unrechtmäßige Festsetzung – wie behauptet wird – ergeben sich damit nicht. Weitere Mittel der Glaubhaftmachung hat die Antragstellerin nicht genutzt. Etwaige ergänzende Ermittlungen bleiben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

 

Auch nach § 1 Abs. 1, 2 OEG bzw. § 14 SGB XIX gleichgestellte Schädigungen wie die vorsätzliche Beibringung von Gift (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 1 SGB XIV), die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 4 SGB XIV), ein Fehlgehen der Tat i.S. eines aberatio ictus (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIV), ein Angriff unter irrtümlicher Annahme des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes (§ 1 Abs. 1 Satz 2 OEG bzw. § 14 Abs. 1 Nr. 3 SGB XIV), die erhebliche Vernachlässigung von Kindern (§ 14 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV) oder die Herstellung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von Kinderpornografie nach § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr.  1, 3 und 4 des Strafgesetzbuchs (<StGB> § 14 Abs. 1 Nr. 6 SGB XIV) sind nach Wertung des derzeitigen Sach- und Streitsandes unter Berücksichtigung der Äußerungen der Antragstellerin und der vorliegenden Aktenlage nicht erkennbar. So kann insbesondere den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht entnommen werden, dass in geschilderten Medikamentengaben (vorgetragene Überdosierung von Analgeltika, Injektionen mit Betäubungsmitteln, Einspritzen von Nitrospray, etc.) vorsätzliche Beibringungen von Gift zu sehen sein könnten.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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