L 3 BA 5/22

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 6 BA 10/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 3 BA 5/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Anwendbarkeit des deutschen Sozialversicherungsrechts bei Schwarzarbeit von Staatsangehörigen eines anderen EU-Mitgliedsstaates nach Maßgabe von Art 11 Abs 1 und Abs 3 Buchst a) iVm Art 12 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 vom 29. April 2004 (Grundverordnung) unter Berücksichtigung der Klarstellungen in Art 14 Abs 3 und Abs 4 der Verordnung (EG) Nr 987/2009 vom 16. September 2009 (Durchführungsverordnung); hier: Tätigkeit in Deutschland für voraussichtlich mehr als 24 Monate und eine nicht nennenswerte selbstständige Tätigkeit in dem anderen EU-Mitgliedsstaat.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Den Beigeladenen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Umlagen in Höhe von insgesamt 63.581,36 € für vier Personen, die in verschiedenen Zeiträumen von Januar 2014 bis Februar 2017 für die Klägerin tätig waren.

Die klagende Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) hat ausweislich der Eintragung im Handelsregister (Amtsgericht S. HRB 1XXXXX) als Unternehmensgegenstand die Durchführung von Holz- und Bautenschutzmaßnahmen, den Einbau von genormten Baufertigteilen und die Durchführung von Bodenlegerarbeiten. Gegründet wurde die Klägerin mit Gesellschaftsvertrag vom 16. Februar 1998 von dem Tischlergesellen O. S. und dem Baufacharbeiter S. S., den aktuell bestellten Geschäftsführern.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass - jeweils mit Unterbrechungen - der Beigeladene zu 4. von Juni 2014 bis Februar 2017, der Beigeladenene zu 5. von Juni 2015 bis Februar 2017 sowie die Beigeladenen zu 7. und zu 8. von Januar 2014 bis Januar 2017 im Wesentlichen mit Abriss-, bzw. Abbruch-, Aufräum- und Reinigungsarbeiten für die Klägerin tätig waren. Schriftliche Verträge lagen der Tätigkeit jeweils nicht zugrunde. Nach Aktenlage haben die vorgenannten Personen die Staatsangehörigkeit der Republik Polen. Ausweislich der von ihnen an die Klägerin gerichteten Rechnungen wohnten im Zeitraum der streitgegenständlichen Tätigkeit der Beigeladene zu 4. (*13. April 1984) in der L. 4 in M., der Beigeladene zu 5. (*2. November 1989) im K. 25 in M. sowie die Beigeladenen zu 7. (*21. Februar 1986) und zu 8. (*30. Oktober 1989) in der L. 5 in M. Der Beigeladene zu 5. lebt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats noch in Deutschland, der aktuelle Aufenthalt ist für die Beigeladenen zu 4., zu 7. und zu 8. bei der Beklagten und den Meldebehörden an den aktenkundig gewordenen früheren Adressen nicht zu ermitteln gewesen.

Der Beigeladene zu 4. meldete unter der oben genannten Adresse in Deutschland mit Betriebsbeginn am 9. Juli 2013 bei dem Gewerberegister in M. ein Gewerbe für eine Tätigkeit „Hausmeisterservice (ohne handwerkliche Tätigkeiten)“ an. Zeitliche Angaben zu der Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. für die Klägerin ergeben sich aus den Rechnungen für jeden Monat von Juni 2014 bis November 2015 und Mai 2016 bis Februar 2017. Die Rechnungen, die sämtlich keine Mehrwertsteuer (MwSt.) ausweisen, enthalten den Hinweis auf § 13b [gemeint ist: Abs. 2 Nr. 4] Umsatzsteuergesetz (UStG) über den Leistungsempfänger als Steuerschuldner für Bauleistungen. Zu den an die Klägerin adressierten Rechnungen wird auf Blatt 8 bis 79 Bd. II und zum Ergebnis der Befragung durch das Hauptzollamt M. (im Folgenden: HZA) am 17. März 2015 auf Blatt 5 bis 12 Bd. III der Verwaltungsakte verwiesen.

Der Beigeladene zu 5. meldete unter der oben genannten Adresse mit Betriebsbeginn am 9. Juni 2015 bei dem Gewerberegister in M. ein Gewerbe für eine Tätigkeit „Hausmeisterservice“ an. Zeitliche Angaben zu der Tätigkeit für die Klägerin ergeben sich aus den Rechnungen für jeden Monat von Juni 2015 bis Februar 2017. Die Rechnungen, die sämtlich keine MwSt. ausweisen, enthalten den Hinweis auf § 13b [gemeint ist: Abs. 2 Nr. 4] UStG über den Leistungsempfänger als Steuerschuldner für Bauleistungen. Zu den an die Klägerin adressierten Rechnungen wird auf Blatt 546 bis 604 Bd. I und zum Ergebnis der Befragung durch das HZA auf Blatt 521 bis 532 Bd. I der Verwaltungsakte verwiesen.

Für den Beigeladenen zu 7. liegen an die Klägerin gestellte Rechnungen beginnend mit dem Datum vom 26. November 2007 ohne ausgewiesene MwSt. vor, denen teilweise nicht der Leistungszeitraum zu entnehmen ist. Diese Angaben liegen - bei den Zwischenzeiträumen zuzuordnenden Daten der Rechnungen mit im Wesentlichen fortlaufenden Nummern - für Februar und Juni 2008, Juni bis September 2009, Dezember 2009 bis Februar 2010, April, Mai, August und November 2010, Januar, März, August, November 2011 bis Oktober 2012, Dezember 2012 bis Januar 2014, März 2014 bis Mai 2015, August 2015 bis April 2016 und November 2016 bis Januar 2017 vor. Die letzte Rechnung vom 20. Januar 2017 für den Zeitraum vom 9. bis 20. Januar 2017 ist unter dem Kopf „Firma U. - D. S.“ mit der im Rubrum genannten Adresse in Polen ausgestellt. Die Rechnungen enthalten den Hinweis auf § 13b [gemeint ist: Abs. 2 Nr. 4] UStG über den Leistungsempfänger als Steuerschuldner für Bauleistungen. Mit einem handschriftlich unterschriebenen Schreiben vom 20. Oktober 2017, das dem HZA unter Angabe einer Adresse Poniec/Polen mit E-Mail-Schreiben vom 22. Oktober 2017 übersandt wurde, teilte der Beigeladene zu 7. mit, dass er (dort: „wir“) seit einigen Monaten keiner Beschäftigung mehr in Deutschland nachgehe. Er (dort: „Wir“) arbeite nur noch in Polen und fahre seit längerem nicht mehr nach Deutschland. Zu den an die Klägerin adressierten Rechnungen wird auf Blatt 205 bis 345 Bd. I der Verwaltungsakte, zum Ergebnis seiner Befragung durch das HZA auf Blatt 170 bis 180 Bd. I und zu der E-Mail vom 20. Oktober 2017 auf Blatt 185 bis 186 Bd. I der Verwaltungsakte verwiesen.

Der Beigeladene zu 8. meldete unter der oben genannten Adresse mit Betriebsbeginn am 10. Dezember 2007 bei dem Gewerberegister in M. ein Gewerbe für eine Tätigkeit „Hausmeisterservice (ohne handw. Leistung)/Erbringung von Dienstleistungen im Baubereich (Bauhelfer)“ an. Zeitliche Angaben zu einer Tätigkeit für die Klägerin liegen - bei den Zwischenzeiträumen zuzuordnenden Daten der Rechnungen mit im Wesentlichen fortlaufenden Nummern - für März bis Mai, Juli bis September, November 2008 bis Mai 2009, August bis September 2009, Januar, März, Mai, Juni, August bis Oktober 2010, Dezember 2010 bis Juli 2011, September, November 2011, Januar bis Oktober 2012, Dezember 2012, Februar, April, Juni bis Juli 2013, September 2013 bis September 2016 und Oktober 2016 bis Dezember 2017 vor. Die Rechnungen, die sämtlich keine MwSt. ausweisen, enthalten den Hinweis auf § 13b [gemeint ist: Abs. 2 Nr. 4] UStG über den Leistungsempfänger als Steuerschuldner für Bauleistungen. Das nicht unterschriebene Schreiben ohne Datum und Adresse, das dem HZA unter Angabe des Namens P. S. mit E-Mail-Schreiben (unter Angabe einer Polen zuzuordnenden E-Mail-Adresse) vom 22. Oktober 2017 zugeleitet wurde, ist vom Text identisch mit der an demselben Tag von dem Beigeladenen zu 7. übersandten E-Mail. Zu den an die Klägerin adressierten Rechnungen wird auf Blatt 386 bis 520 Bd. I, zum Ergebnis der Befragung durch das HZA auf Blatt 346 bis 356 Bd. I und zu der E-Mail vom 22. Oktober 2017 auf Blatt 363 bis 366 Bd. I der Verwaltungsakte verwiesen.

Die Durchsuchung durch das HZA bei der Klägerin erfolgte am 14. Februar 2017. Die Beklagte führte sodann bei der Klägerin vom 22. Oktober 2018 bis zum 13. Mai 2019 eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 28. Februar 2017 durch. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 hörte sie die Klägerin an, dass es beabsichtigt sei, für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 28. Februar 2017 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 84.890,36 € einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 21.309,00 € zu erheben. Aus den Anlagen ergeben sich Beiträge, Umlagen und Pauschalbeiträge in Höhe von insgesamt 63.581,36 €. In ihrer Stellungnahme hierzu verwies die Klägerin insbesondere auf Fotos zu elektrischen Handmaschinen und Freistellungsbescheinigungen zur Steuerzahlung bei Bauleistungen gemäß § 48b Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG), die ihrer Auffassung nach gegen eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. sprächen. Vorausgegangene Betriebsprüfungen hätten keine Beanstandungen ergeben.

Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 3. Juni 2019 Beiträge und Umlagen für den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 28. Februar 2017 hinsichtlich der die Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. betreffenden Feststellungen in Höhe von 63.581,36 € (ohne Säumniszuschläge) nach. Die Auswertung der vorliegenden Unterlagen habe ergeben, dass bei einer Gesamtwürdigung der Merkmale der ausgeübten Tätigkeit festzustellen sei, dass bei der Tätigkeit der vorgenannten Personen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwögen und es sich somit jeweils um ein abhängiges und sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handele. Soweit die Klägerin angegeben habe, der Beigeladene zu 4. habe weitere Auftraggeber in Deutschland und Polen gehabt, habe dieser bei seiner Befragung angegeben, nahezu ausschließlich Aufträge für die Klägerin ausgeführt zu haben. Arbeitsmittel seien nach dessen Angaben von der Klägerin kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Er habe keine unternehmertypischen Räumlichkeiten unterhalten, keine Arbeitnehmer beschäftigt und keine Möglichkeit gehabt, Aufträge abzulehnen. Aus den Rechnungen ergebe sich, dass der Beigeladene zu 4. fast durchgängig für die Klägerin beschäftigt gewesen sei und einen nicht am Arbeitsergebnis orientierten Stundenlohn von 8,00 € erhalten habe. Dieser spreche für sich genommen für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, da er unterhalb des tariflich vereinbarten Mindestlohnes liege. Die Rechnungen seien ausschließlich an die Klägerin gestellt worden. Auch ein unternehmerisches Handeln sei hier nicht erkennbar. Steuern seien von dem Beigeladenen zu 4. nach dessen Angaben nicht abgeführt worden. Er habe Arbeits- und Anwesenheitszeiten einhalten, seine eigene Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen und keine eigene Werbung betrieben. Bei den durchgeführten Arbeiten, die im Wesentlichen den von anderen Arbeitnehmern der Klägerin verrichteten Arbeiten an einem vorgegebenen Arbeitsort entsprochen hätten, handele es sich um einfachere Arbeiten, bei denen eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation anzunehmen sei. Bei dem Beigeladenen zu 7. sprächen im Wesentlichen dieselben Kriterien für eine abhängige Beschäftigung bei der Klägerin. Insoweit sei auch berücksichtigt worden, dass dieser nach seinen Angaben in Polen über eine eigene Werkstatt/Garage und ein eigenes Kfz verfügt habe, was kein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit sei. Die Einigung mit der Klägerin über preisliche Vorstellungen stelle kein konkretes Kalkulationsangebot in Konkurrenz zu anderen Auftraggebern, sondern eher eine Verhandlung über ein Arbeitsentgelt dar. Das Fehlen schriftlicher Vereinbarungen sei nach der gängigen Praxis unüblich, da dadurch eine Gewährleistung nicht oder schwer umsetzbar sei. Bei Verhinderung seien Aufträge an die Klägerin und nicht an eigene Ersatzkräfte weiterzuleiten gewesen. Für den Beigeladene zu 8. ergebe die Prüfung dasselbe Ergebnis bei auch zwischen diesem und der Klägerin nur mündlich getroffenen Vereinbarungen. Berücksichtigt worden sei insoweit ein von diesem in Polen unterhaltenes Lager und der Besitz eines Kfz. Für den Beigeladenen zu 5. seien in Bezug auf die festgestellte abhängige Beschäftigung auch dessen Angaben zum Vorhandensein eines eigenen Schreibtischs und Laptops in einem Home-Office einbezogen worden. Hierbei handele es sich nicht um unternehmenstypische Räumlichkeiten mit einem entsprechenden finanziellen Aufwand. Der Beigeladene zu 5. habe im Übrigen angegeben, ihm seien Arbeitsmittel, wie Elektrohammer, allgemeine Werkzeuge, Besen etc. von der Klägerin kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Der Beigeladene zu 5. habe einen Stundenlohn von 10,00 € erhalten.

In den dem Bescheid beigefügten Anlagen sind die Beiträge und Umlagen auf der Grundlage der aus den Rechnungen entnommenen Arbeitsentgelte in Höhe der dort genannten Beträge festgestellt worden. Nur für die Beigeladenen zu 4. und 5. ist die Verbeitragung zu einer Rentenversicherungsnummer erfolgt. Mit Zuordnung zu der Beigeladenen zu 1. als Einzugsstelle errechnete die Beklagte für den Beigeladenen zu 5. für sämtliche Monate von Juni 2015 bis Februar 2017 aus monatlichem Arbeitsentgelt zwischen 466,67 € als Minimum (Februar 2017) und 2.170,00 € als Maximum (Mai 2016) Beiträge, Umlagen 1 bzw. 2 und die Insolvenzgeldumlage in Höhe von insgesamt 11.698,92 €. Mit Zuordnung zur Beigeladenen zu 2. als Einzugsstelle mit insgesamt 51.525,39 € erfolgte die Nachberechnung für den Beigeladenen zu 4. für die Monate Juni 2014 bis November 2015 und Mai 2016 bis Februar 2017 aus monatlichem Arbeitsentgelt zwischen 480,00 € als Minimum (September 2014 und März 2015) und 3.440,00 € als Maximum (Juni 2015). Für den Beigeladenen zu 8. wurden für Januar bis April 2014, April bis Juli 2015 und September 2015 bis Januar 2017 Arbeitsentgelte zwischen 480,00 € als Minimum (Februar 2014) und 2.780,00 € als Maximum (Februar 2016) und für den Beigeladenen zu 7. für Januar 2014, April 2014 bis Januar 2015 und September 2015 bis Januar 2017 Arbeitsentgelte zwischen 480,00 € als Minimum (Mai 2014) und 1.853,85 € als Maximum (März 2016) angesetzt. Im Übrigen wurden mit Zuordnung zur Beigeladenen zu 3. Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von 357,25 € für eine geringfügige Beschäftigung des Beigeladenen zu 7. im März 2014, Februar 2015 und August 2016 und des Beigeladenen zu 8. im Mai und August 2015 festgestellt.

Die Beklagte wies den von der Klägerin mit der Begründung zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit der Beigeladenen zu 4. und 5., zu 7. und zu 8. gestützten Widerspruch, eingegangen bei der Beklagten am 8. Juli 2019 (einem Montag), mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2020 im Wesentlichen mit der Begründung des angefochtenen Bescheides als unbegründet zurück. Die Klägerin hat mitgeteilt, der Widerspruchsbescheid sei bei ihr am 29. Januar 2020 (einem Mittwoch) eingegangen. Sie hat hierzu auf den Eingangsstempel auf dem ihr zugegangenen Widerspruchsbescheid verwiesen, dessen Deckblatt mit Stempel als Blatt 169 zur Gerichtsakte gereicht worden ist.

Das Strafverfahren gegen den auf Grund seiner Erkrankung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in der Geschäftsführung der Klägerin tätigen S. S. wurde nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt. Mit seit dem 3. August 2019 rechtskräftigem Strafbefehl wurde O. S. eine Gesamtgeldstrafe von 4.050,00 € auferlegt. Gegenstand der Entscheidung waren 97 strafbare Handlungen im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 24. Februar 2017 wegen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. als Scheinselbstständigen. Zu dem Strafbefehl wird auf Blatt 243 bis 252 Bd. IV der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 27. Februar 2020 Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erhoben. Sie hat ihre Auffassung mitgeteilt, die folgenden Kriterien sprächen für eine selbstständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8.: Tätigkeit für mehrere Auftraggeber, freie Zeiteinteilung, Weisungsfreiheit, eigene Betriebsstätten (Home-Office, eigene Werkstätten, Garagen/Lager), kein Urlaubsanspruch, keine Mitteilungspflicht über Verhinderung, Vergütung pro Auftrag, eigenes Fahrzeug und eigene Kleidung ohne Firmenemblem der GmbH, eigener Kundenstamm, Anmeldung eines Gewerbes, Zahlung von Umsatzsteuer nach § 13b UStG, keine Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, eine eigene Kranken- und Alterssicherung des jeweiligen Auftragnehmers sowie die Möglichkeit, jederzeit für andere Auftraggeber tätig zu werden, eigene Aufträge zu beschaffen, Aufträge abzulehnen, zur unternehmerischen Gestaltung und eigene Hilfskräfte einzusetzen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 14. Juni 2021 die Beiladungen zu 1. bis 6. bewirkt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Dezember 2021 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020 verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten, da dieser rechtmäßig sei und die Beklagte zutreffend Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 63.581,36 € für die vier benannten Personen für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 28. Februar 2017 nachfordern könne. Die Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. seien unter Berücksichtigung des umfassenden Sachvortrages der Parteien, der Auswertung der Unterlagen des HZA und der Fragebögen der vier betroffenen polnischen Staatsbürger als abhängig Beschäftigte gemäß § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) bei der Klägerin zu werten. Die Kammer gehe in Bewertung der Fragebögen davon aus, dass die vier polnischen Staatsbürger mit ihrer „Einzelfirma“ kein wesentliches unternehmerisches Risiko bei der Abarbeitung von Aufträgen eingegangen seien. Diese hätten kein Kapital einsetzen müssen, um ihre Tätigkeit auszuüben. Es bestünden keine Zweifel an den Angaben der vier polnischen Personen, dass sie zu Beginn ihrer Tätigkeit auf der jeweiligen Baustelle Weisungen von einem Vorarbeiter erhalten hätten und dieser auch die Stundenzettel abgezeichnet habe. Es sei hier auch zu berücksichtigen, dass die vier polnischen Staatsbürger kaum eigene Arbeitsmittel hätten einsetzen müssen und im Übrigen ggf. auch von Mitarbeitern der Klägerin unterstützt worden seien. Maßgebend für die Einstufung der vier polnischen Staatsbürger als abhängig Beschäftigte der Klägerin sei jedoch die gewährte Vergütung. Er ergebe sich aus den umfangreich vorliegenden Rechnungen der vier polnischen Staatsbürger, dass die Personen jeweils einen Stundenlohn von nur 8,00 € bis 10,00 € erhalten hätten. Dieser Stundenlohn entspreche für den streitgegenständlichen Zeitraum unter Berücksichtigung ab dem 1. Januar 2015 gerade dem Mindestlohn und könne nach Einschätzung der Kammer kaum auf Dauer die Finanzierung einer selbstständigen Tätigkeit ermöglichen. Soweit auf den für Verhältnisse in Polen hohen Lohn verwiesen worden sei, habe hier der Lebensunterhalt in Deutschland bestritten werden müssen. Die Gewerbeanmeldung und die Steuerfreistellung seien nur untergeordnete Kriterien. Auch der Einsatz von eigenen Arbeitsmitteln, z.B. eigenem Werkzeug wohl von geringem Wert, und der Einsatz eines eigenen Fahrzeugs zum Erreichen der jeweiligen Baustelle könne nach Auffassung der Kammer hier nicht zu einer selbstständigen Tätigkeit der vier betroffenen Personen führen. Letztlich seien die vier Personen trotz unterschiedlicher Tätigkeiten auf den jeweiligen Baustellen als in den Betrieb der Klägerin eingegliedert zu werten und daher auch als abhängig Beschäftigte der Klägerin einzustufen. Die Beklagte habe auch in der Höhe zutreffend die Nachforderung berechnet.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Januar 2022 zugestellte Urteil am 2. Februar 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Beiladungen zu 7. und zu 8. bewirkt.

Die Klägerin hat zur Begründung im Wesentlichen auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz verwiesen. Die Beigeladenen zu 4., zu 5., zu 7. und zu 8. seien im Prüfzeitraum bei ihr - der Klägerin - nicht abhängig beschäftigt gewesen. Sie seien mit ihrem jeweiligen Subunternehmen für sie selbstständig tätig gewesen. In Bezug auf die vom Sozialgericht für maßgebend erachtete niedrige Vergütung sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen zu 7. und zu 8. zwischen 12,00 € und 14,00 € pro Stunde und die Beigeladenen zu 4. und 5. 10,00 € pro Stunde erhalten hätten. Abgesehen davon wäre eine Vergütung von 8,00 € bis 10,00 € pro Stunde im Prüfzeitraum von Januar 2014 bis Februar 2017 geeignet gewesen, eine selbstständige Tätigkeit auf Dauer zu finanzieren und auch entsprechende Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Dies gelte für die Lebenshaltungskosten in Deutschland, aber insbesondere in der Republik Polen. Ausweislich der Eurostat-Datenbank hätten im Jahr 2017 die Arbeitskosten pro Stunde in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) zwischen 4,90 € und 42,50 € gelegen, mit den niedrigsten Arbeitskosten von 9,40 € pro Stunde in der Republik Polen. Im Baugewerbe hätten die Arbeitskosten dort 8,30 € pro Stunde, in Deutschland 28,20 € pro Stunde betragen. Selbstständige Haushaltshilfen hätten in Sachsen-Anhalt im Jahr 2021 durchschnittlich ein Honorar von 12,00 € bis 14,00 € verlangt, was inflationsbereinigt für das die Jahre 2014 bis 2017 etwa 10,00 € pro Stunde ergebe. Im Übrigen seien in den Rechnungen keine konkreten Stunden ausgewiesen worden. Die Beurteilung der Beklagten im vorliegenden Verfahren widerspreche auch der Zielrichtung des Gesetzgebers, insbesondere mit der Einführung der „Ich-AG“ die selbstständige Erwerbstätigkeit für gering qualifizierte Personen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit zu fördern.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. Januar 2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2021 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat nach entsprechendem Hinweis in der Ladung ohne Anwesenheit der Beigeladenen entscheiden können.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Beklagte hat zu Recht Beiträge, Umlagen und Pauschalbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 63.581,36 € von der Klägerin nachgefordert.

Im Rahmen der Betriebsprüfung konnte die Beklagte gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV über die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung bzw. eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung der Beigeladenen zu 4., 5. 7. und 8. durch Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin entscheiden.

Der Senat hält es für erwiesen, dass die Beigeladenen zu 4., 5. 7. und 8. im Zeitraum ihrer streitgegenständlichen Tätigkeit für die Klägerin dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterlagen.

Für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 (ABl. L 166 vom 30. April 2004, S. 1, im Folgenden: Grundverordnung), die sowohl für eine selbstständige Tätigkeit als auch eine abhängige Beschäftigung gilt, die Zuordnung nur zu einem System der sozialen Sicherung. Insoweit kommen hier nur die Sicherungssysteme entweder der Bundesrepublik Deutschland oder der Republik Polen in Betracht.

Vorbehaltlich der Regelungen in Art. 12 bis 16 Grundverordnung bestimmt Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) Grundverordnung, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt.

Die Voraussetzungen der „Sonderregelung“ in Art. 12 mit einer Konkretisierung durch Art. 13 bis 16 Grundverordnung liegen hier nicht vor. Dabei fehlt es hier von vornherein an einem Bezug zu den Regelungen in Art. 14 bis 16 Grundverordnung. Der Senat hat die Klarstellungen berücksichtigt, die sich aus Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 (ABl. L 284 vom 30. Oktober 2009, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung) ergeben.

Für eine Entsendung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Grundverordnung fehlt es an einer Vorbeschäftigung der Beigeladenen zu 4., 5. 7. und 8. im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung bei einem Dritten, d.h. nicht der Klägerin, als Arbeitgeber, die nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 Durchführungsverordnung auch mit der Einstellung mit dem Zweck der Entsendung gegeben sein kann.

Näher zu diskutieren ist in seinen Auswirkungen auf die streitgegenständliche Tätigkeit nur Art. 12 Abs. 2 Grundverordnung. Danach unterliegt eine Person, die gewöhnlich in einem Mitgliedstaat eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und die eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit 24 Monate nicht überschreitet. Während die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht anwendbar ist, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine abhängige Beschäftigung Gegenstand der Prüfung ist, wird durch Art. 14 Abs. 4 Durchführungsverordnung auf der Ebene des Unionsrechts eine andere Auslegung vorgegeben. Danach kommt es bei der Anwendung von Artikel 12 Abs. 2 Grundverordnung für die Feststellung, ob die Erwerbstätigkeit, die ein Selbstständiger in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, eine „ähnliche“ Tätigkeit wie die gewöhnlich ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit ist, auf die tatsächliche Eigenart der Tätigkeit und nicht darauf an, ob dieser andere Mitgliedstaat diese Tätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit qualifiziert. Die Regelungen in Art. 14 Abs. 3 Durchführungsverordnung ergänzen die Vorgabe des Zeitraums von (höchstens) 24 Monaten um qualitative Gesichtspunkte der Tätigkeit.

Die Beigeladenen zu 7. und 8. waren in Bezug auf den zeitlichen Aspekt ausweislich der von ihnen der Klägerin gestellten Rechnungen schon weit vor dem 1. Januar 2014 in Deutschland tätig. Im Übrigen deckt auch der Zeitraum, auf den sich die Prüfung des Senats zu einer Sozialversicherungspflicht beschränkt, mehr als 24 Monate ab, ohne dass hier Anhaltspunkte dafür bestehen, dass zunächst eine Tätigkeit von höchstens 24 Monaten in Deutschland vorgesehen war. Für einen geplanten sogar deutlich längeren Zeitraum der Tätigkeit der Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. für die Klägerin spricht im Übrigen die endgültige Beendigung der Tätigkeit erst mit der Durchsuchung des HZA im Februar 2017. Es ist auch nicht zu erkennen, dass vor dem 1. Januar 2014 von den Beigeladenen zu 4., 5. 7. und 8. - bezogen auf den qualitativen Aspekt - eine „nennenswerte Tätigkeit“ im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 Durchführungsverordnung in der Republik Polen ausgeübt wurde und geplant war, dass diese im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Durchführungsverordnung bei Rückkehr in die Republik Polen lediglich „fortgesetzt“ werden sollte. Arbeitszeit und Arbeitsentgelt entfielen spätestens ab dem Jahr 2014 im Wesentlichen nur auf die Tätigkeit für die Klägerin. Die Beigeladenen zu 7. und zu 8. waren bereits ab dem Jahr 2008 überwiegend für die Klägerin tätig, was sich aus dem Rechnungsumfang mit den im Wesentlichen fortlaufenden Nummern ergibt. Für den Beigeladenen zu 4. ist auch zu erkennen, dass dessen erste Rechnung für das Jahr 2014 vom 19. Juni 2014 mit der Rechnungsnummer 1/2014 versehen ist, was genauso gegen die bloße Weiterführung einer vorausgehenden Tätigkeit in der Republik Polen spricht wie der von dem Beigeladenen zu 4. ausgefüllte amtliche Vordruck für die Finanzbehörden in Deutschland, auf dem für polnische Einkünfte für das Jahr 2014 in Höhe von 0,00 Zloty angegeben sind.

Ausgehend von den hier maßgebenden Regelungen des deutschen Sozialversicherungsrechts besteht grundsätzlich für Arbeiter und Angestellte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, bei einer Beschäftigung, welche die Geringfügigkeitsgrenzen überschreitet, Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Sozialen Pflegeversicherung und der Arbeitsförderung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI], § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V]; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Elftes Sozialgesetzbuch [Soziale Pflegeversicherung - SGB XI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [Arbeitsförderung - SGB III]). Auch die Umlagen nach § 7 des Gesetzes über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung (AAG) knüpfen an das Beschäftigungsverhältnis an (§ 1 AAG). Bei einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung sind Pauschalbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung vom Arbeitgeber abzuführen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, § 249b Satz 1 SGB V, § 172 Abs. 3 SGB VI).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist eine Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich die Obergerichte und auch der erkennende Senat angeschlossen haben, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb muss der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sein und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unter liegen, das vor allem bei Diensten höherer Art zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein kann (vgl. statt aller BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 R 3/17 R -, juris, RdNr. 12). Demgegenüber ist eine selbstständige Erwerbstätigkeit regelmäßig durch das eigene Unternehmerrisiko des Erwerbstätigen, dadurch, dass dieser eine eigene Betriebsstätte unterhält, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2018, ebenda; BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R -, juris, RdNr. 15 m.w.N.).

Dabei bilden zunächst die vertraglichen Vereinbarungen, die der Tätigkeit zugrunde liegen, und eine Prüfung, ob die betreffende Tätigkeit sowohl in selbstständiger Tätigkeit als auch in Form einer abhängigen Beschäftigung anzutreffen und insbesondere Gegenstand einer Versicherungspflicht eines Selbstständigen nach § 2 SGB VI ist, den Ausgangspunkt (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 14. März 2018, a.a.O., RdNr. 13). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem Vorbringen der Klägerin zu den konkreten Vereinbarungen vor Aufnahme der Tätigkeit der Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8., die Voraussetzung eines Verhältnisses von Auftraggeber zu Subunternehmer im Bereich des Baugewerbes oder verwandter Gewerbe sind.

Eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin ergibt sich bei dem Zusammenwirken in der Umsetzung von Abbruch- und Reinigungsarbeiten im Übrigen auch aus der notwendigen Koordinierung, welche die Abgrenzung von einzelnen Aufträgen, die an Subunternehmen vergeben werden könnten, regelmäßig nicht erlaubt. Abriss- und Reinigungsarbeiten durch mehrere Personen erfolgen arbeitsteilig und aufeinander abgestimmt. Entsprechend ist für den Senat auch nicht erkennbar, wie eine Auftragserteilung an einen Subunternehmer aussehen sollte, die in Bezug auf die Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. weder belegt noch im Einzelnen auch nur dargelegt worden ist. Bei der Beauftragung von Subunternehmen wäre eine schriftliche Auftragserteilung schon unter dem Gesichtspunkt zu erwarten, dass ohne Überwachung durch die Hauptunternehmer insbesondere bei Abrissarbeiten die Haftung für Schäden zu regeln ist.

Auffällig ist insoweit auch, dass in Bezug auf die Beigeladenen zu 7. und 8. in der Berufungsbegründung pauschal „mit dem jeweiligen Einzelunternehmen“ geschlossene Subunternehmerverträge behauptet worden sind, was in Anbetracht des Verwandtschaftsverhältnisses nicht im Rahmen der üblichen Verhältnisse läge. Mit den der Klägerin gestellten Rechnungen der Beigeladenen zu 7. und 8. als Rechnungsstellern lässt sich ausschließen, dass insoweit eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder eine ähnliche Gesellschaft tätig geworden sein könnte. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass diese Beigeladenen in Deutschland unter derselben Adresse wohnten.

Ein deutliches Indiz dafür, dass die Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. Schwarzarbeit für die Klägerin geleistet haben, ergibt sich auch daraus, dass diese keine Einkommensteuer in Deutschland abgeführt haben. Unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland ist jeder, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seinen Wohnsitz in Deutschland hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand nach § 9 Satz 1 Abgabenordnung dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt (a.a.O. Satz 2). Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert (a.a.O. Satz 3). Nach Maßgabe dieser Vorschriften ergibt sich aus den hier vorliegenden Rechnungen mit ausreichender Deutlichkeit, dass die Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. im Sinne des Steuerrechts in den Jahren 2014 bis 2016 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und bei einer tatsächlich gemeinten selbstständigen Erwerbstätigkeit auch selbst hätten Einkommensteuer abführen müssen. Aus den für den Beigeladenen zu 4. vorgelegten Freistellungsbescheinigungen vom 23. und 5. August 2014, die sich im Übrigen nur auf den Zeitraum vom 23. April bis zum 22. Juli 2014 bzw. vom 5. August 2014 bis zum 4. August 2015 beziehen, lassen sich keine Schlussfolgerungen ziehen, da eine solche Bescheinigung insbesondere bei Aufnahme einer Tätigkeit erteilt wird, wenn bis zur ersten Abgabe der Steuererklärung behauptet wurde, dass keine Einkünfte oberhalb des Existenzminimums erzielt werden. Entsprechend ist hier der Umstand aussagekräftiger, dass eine solche Bescheinigung mit dem Ende der Abgabefrist für das Jahr 2014 nicht mehr erteilt wurde. Für den Beigeladenen zu 7. gilt in Bezug auf die Freistellung vom 6. Dezember 2013 bis zum 5. November 2014 nichts Anderes. Die für den Beigeladenen zu 5. für die Zeiträume vom 22. Juni 2015 bis zum 21. Juni 2016 und vom 22. Juni 2016 bis zum 21. Juni 2019 und für den Beigeladenen zu 8. für die Zeiträume vom 12. Dezember 2013 bis zum 11. Dezember 2014 und vom 18. Oktober 2016 bis zum 17. Oktober 2017 erteilten Freistellungen dürften dem Umstand geschuldet sein, dass beide einen Hausmeisterservice als Gewerbe angemeldet hatten und nach Aktenlage die bei der Klägerin erzielten Einkünfte aus den abgelaufenen Steuerjahren nicht gegenüber dem Finanzamt erklärt hatten. Abbruch- bzw. Abriss-, Aufräum- und Reinigungsarbeiten sind auch typische Arbeiten im Spektrum der Schwarzarbeit, weil keine Qualifizierung erforderlich ist.

Der Senat schließt sich dem Sozialgericht an, dass die den Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. gezahlte Vergütung, die unstreitig zumindest nicht über einem Stundenlohn von 14,00 € lag, nicht für eine ausreichende soziale Absicherung einer selbstständigen Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum geeignet war. Soweit die Klägerin auf für andere Mitgliedstaaten der EU, insbesondere der Republik Polen, statistisch ermittelte Arbeitskosten verweist, spricht dies hier nicht gegen diese Feststellung. Dem liegt bereits ein Fehlverständnis des Begriffs der „Arbeitskosten“ zugrunde. Arbeitskosten sind Kosten, die für den Einsatz der Mitarbeiter im Unternehmen in Form von Arbeitsentgelt wie Löhnen der Arbeiter und Gehälter der Angestellten, die gesetzlich, tariflich oder arbeitsvertraglich festgelegten Lohn-, Personal- und Arbeitsnebenkosten anfallen (vgl. statt aller: Bundeszentrale für politische Bildung, Lexikon der Wirtschaft). Eine ähnliche Definition findet sich im Übrigen in der von der Klägerin selbst (unter farblicher Hervorhebung) mit Schriftsatz vom 13. April 2022 übermittelten Pressemitteilung von Eurostat. Demgegenüber bezieht sich die Einschätzung der Beklagten und des Sozialgerichts, die der Senat teilt, auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit, in der Arbeitskosten nur durch die Beschäftigung anderer Arbeitnehmer, nicht aber die Verwertung der Arbeitskraft des Unternehmers entstehen. Anzumerken ist im Übrigen, dass die von der Klägerin für möglich erachtete Differenzierung in Bezug auf die Entlohnung der Beigeladenen zu 4., 5., 7. und 8. nach Maßgabe ihrer Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der EU bei einer in Deutschland verrichteten Tätigkeit mit dem Verbot der Entgeltdiskriminierung aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 (ABl. L 141 vom 27. Mai 2011, S .1) bzw. aus Art. 45 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht vereinbar und damit vom Senat auch nicht in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist.

Soweit auf eine Tätigkeit der betreffenden vier Personen auch für andere Auftraggeber hingewiesen wird, würde dies für sich genommen bereits nicht zwingend zu einem anderen Ergebnis führen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Argument erübrigt sich hier indes im Hinblick auf die den Rechnungen zu entnehmende Tätigkeit für die Klägerin über mehrere Monate hinweg. Im Übrigen sind Rechnungen überwiegend mit fortlaufenden Nummern versehen. Der Beigeladene zu 4. stellte der Klägerin Rechnungen mit den Rechnungsnummern 1 bis 14/2014, 1 bis 5/2015, 7 bis 8/2015, 10 bis 11/2015, 13 bis 16/2015, 18 bis 21/2018, 23 bis 27/2015, 29 bis 32/2015, 1 bis 4/2016, 6 bis 24/2016, 26 bis 28/2016 und 3 bis 5/2017, wobei bei drei Rechnungen (vom 22. Mai und 19. Juni 2015 sowie 18. Januar 2017) die Rechnungsnummer fehlt. Für den Beigeladenen zu 5. liegen die Rechnungen mit den Rechnungsnummern 1 bis 3/2015, 5 bis 7/2015, 9 bis 10/2015, 12 bis 13/2015, 15 bis 17/2015, 19 bis 21/2015, 1 bis 6/2016, 8 bis 37/2016, 39 bis 41/2016, 1 bis 2/2017 und 4/2017, wobei bei einer Rechnung vom 1. März 2016 die Rechnungsnummer fehlt. Bei dem Beigeladenen zu 7. liegen für den streitgegenständlichen Zeitraum Rechnungen mit den Rechnungsnummern 1 und 2/2014, 4 bis 20/2014, 1 bis 5/2015, 7 bis 22/2015, 24 bis 34/2015, 1 bis 2/2016, 4 bis 9/2016, 12 bis 19/2016, 21 bis 32/2016 und 34 bis 36/2016 vor, wobei teilweise die Nummer vor der Jahreszahl fehlt (z. B. Rechnungen vom 13. und 23. April 2016). Vergleichbares gilt für den Beigeladenen zu 8. mit den Rechnungen 4/2008, 10 bis 12/2008, 15 bis 16/2008, 1, 3/2009, 5 bis 8/2009, 1 bis 4/2010, 6 bis 9/2010, 1 bis 5/2011, 7/2011, 10 bis 11/2011, 1 bis 3/2012, 5 bis 6/2012, 8 bis 16/2012, 18/2012, 1 bis 8/2013, 10 bis 16/2013, 1 bis 3/2014, 5 bis 8/2014, 2 bis 10/2015, 12/2015, 14 bis16/2015, 18 bis 19/2015, 21 bis 27/2015, 1 bis 8/2016, 10 bis 16/2016, 18 bis 33/2016, 35/2016, 37 bis 39/2016 und 1/2017. Dessen Rechnungen 4 und 23/2008 haben ein nicht chronologisch passendes Datum. Die Nummer fehlt z.B. bei den Rechnungen vom 23. August und 12. Dezember 2008, 10. August 2010, 10. November 2011, vom 27. April 2015, auf der Rechnung 4/2015 fehlt das Datum, die Rechnungen 12/2008, 7/2011, 7/2015 und 12/2015 existieren in zwei Fassungen. Es kann dahinstehen, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, wem die Rechnungen mit den dazwischenliegenden Nummern gestellt wurden.

Die mangelnde Sorgfalt, mit der die Rechnungen erstellt sind, bildet im Übrigen ein weiteres Indiz dafür, dass es im Verhältnis zur Klägerin im Wesentlichen darum ging, eine Grundlage für die Entgegennahme einer Geldzahlung und Buchung als Betriebsausgabe zu schaffen. Für eine unternehmerische eigene Buchhaltung eines Subunternehmers waren diese Unterlagen erkennbar nicht geeignet. Von einem Subunternehmer im rechtlichen Sinne hätte ein Auftraggeber solche Dokumente nicht akzeptiert.

Zu den weiteren von der Klägerin vorgebrachten Einzelkriterien, wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf das angefochtene Urteil des Sozialgerichts verwiesen, das sich hiermit bereits ausführlich auseinandergesetzt hat.

Die Höhe der nachgeforderten Beiträge ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Soweit für die Beigeladenen zu 7. und 8. für insgesamt vier Monaten eine geringfügige Beschäftigung bei der Klägerin angenommen wurde, was die Klägerin nicht gerügt hat, ist dies im Rahmen der primär von Seiten der Rentenversicherung vorzunehmenden Einschätzung noch vertretbar. Die Klägerin ist in Bezug auf die Höhe der Beiträge hierdurch nicht beschwert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beigeladenen haben selbst keine Anträge gestellt und sich damit auch nicht in ein Kostenrisiko begeben, § 162 Abs. 3 VwGO.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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