L 8 SO 12/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 SO 63/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 12/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtssuchenden - als Teil der Bezeichnung des Klägers - genannt wird. Dazu gehört die Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtssuchenden. Die Anschrift "postlagernd" genügt grundsätzlich nicht.
2. Die Angabe kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn besondere, dem Gericht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 1. Dezember 2022 wird verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit ab Mai 2014.

Die 1947 geborene Klägerin bezog in der Zeit Januar 2006 bis Dezember 2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter L. Seit Januar 2013 erhält sie eine Altersrente in Höhe von rund 500 € monatlich. Mit Bescheid vom 14.02.2013 bewilligte der Beklagte ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2013. Mit Schreiben vom 02.12.2013 wies der Beklagte die Klägerin auf das bevorstehende Ende des Bewilligungszeitraums hin und forderte sie auf, einen Vordruck zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit auszufüllen und mit verschiedenen Nachweisen, insbesondere Kontoauszügen der letzten drei Monate und Belegen zu Versicherungen sowie zur Höhe der Miete, vorzulegen. Der Aufforderung kam die Klägerin nicht nach, weil sie der Auffassung war, dass sie keinen Folgeantrag stellen müsse. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erhielt die Klägerin noch für die Zeit bis zum 30.04.2014 Leistungen in der bisherigen Höhe (Beschluss des Senats vom 20.03.2014 - L 8 SO 35/14 B ER). Nachdem sie auch einer weiteren Aufforderung zur Vorlage des ausgefüllten Vordrucks zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit nicht nachgekommen war, versagte der Beklagte mit Bescheid vom 22.04.2014 die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.05.2014. Den Widerspruch der Klägerin wies die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2014 als unbegründet zurück, die Klage wies das Sozialgericht Augsburg (SG) mit Urteil vom 28.10.2014 ab (S 3 SO 123/14). Die Berufung blieb ebenso ohne Erfolg (Urteil des Senats vom 21.02.2017 - L 8 SO 115/15) wie ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision (Beschluss des Bundessozialgerichts vom 25.07.2017 - B 8 SO 16/17 BH).

Am 01.02.2018 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Versagungsbescheids vom 22.04.2014 gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach der Zwangsräumung ihrer Wohnung in S wurde die Klägerin am 21.02.2018 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Eine neue Anschrift hat sie weder dem Beklagten noch der Gemeinde S mitgeteilt. Abfragen im Bayerischen Behördeninformationssystem - zuletzt am 28.11.2022 - ergaben ebenfalls keine weiteren Erkenntnisse. Den Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.03.2018 ab, welchen er durch öffentliche Zustellung bekanntgab. Mit Schreiben vom 19.05.2021 - in welchem sie erstmals die Anschrift in der A Straße in L angab - bat die Klägerin den Beklagten, ihr den Bescheid zu ihrem Antrag vom 01.02.2018 bis zum 04.06.2021 zuzustellen.

Wegen der unverzüglichen Zustellung durch den Beklagten erhob die Klägerin am 17.06.2021 Klage zum SG. Eine Bekanntgabe des Bescheids vom 26.03.2018 sei ihr gegenüber nicht erfolgt. Nachdem das SG der Klägerin im Klageverfahren am 12.07.2021 eine Abschrift des Bescheids vom 26.03.2018 übersandt hatte, legte die Klägerin am 23.07.2021 Widerspruch ein. Den Widerspruch wies die Regierung von Schwaben als Widerspruchsbehörde mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2021 als unzulässig zurück, weil er bereits nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat eingelegt worden sei. Der Beklagte habe seinen Bescheid ordnungsgemäß öffentlich bekanntgemacht, da eine Zustellung mittels Postzustellungsurkunde erfolglos geblieben sei. Der Widerspruchsbescheid wurde ebenfalls öffentlich bekanntgemacht.

Die Klägerin hat am 11.05.2022 beim SG eine Untätigkeitsklage gerichtet auf Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.03.2018 erhoben. Das SG hat den Widerspruchsbescheid mit Schreiben vom 08.09.2022 an die Postfachadresse der Klägerin übersandt. Gleichzeitig hat es die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Klage mangels ladungsfähiger Anschrift unzulässig sei, da die Klägerin zu einer Obdachlosigkeit bzw. zu ihrem tatsächlichen Aufenthalt nichts vorgetragen habe.

Am 10.10.2022 hat die Klägerin die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt und ihre Klage nunmehr auf Grundsicherungsleistungen ab dem 01.05.2014 gerichtet. Die Klage sei zulässig, da der Beklagte außer der Abfrage der Meldeanschrift keine weiteren Bemühungen unternommen habe, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie sei nach ihrem Auszug weiterhin postalisch erreichbar gewesen. Der Beklagte hätte beim ehemaligen Vermieter, den Nachbarn, dem Hausmeister, ihrer Bank bzw. diversen Versicherungen und sonstigen Einrichtungen weitere Ermittlungen zum Aufenthaltsort anstellen können. Dann hätte der Beklagte sie auch erreicht. Dies habe der Beklagte aber unterlassen. Außerdem habe der Beklagte es im Versagungsbescheid unterlassen, sie auf die fortbestehenden materiell-rechtlichen Ansprüche hinzuweisen, wenn sie ihre Mitwirkungspflichten nachhole. Die Versagung sei bis zur Nachholung der Mitwirkung begrenzt, da der Leistungsträger bei nachgeholter Mitwirkung die Leistung nachträglich erbringen müsse. Im Verfügungssatz des Bescheides vom 22.04.2014 sei eine solche Einschränkung jedoch nicht enthalten, so dass er rechtswidrig sei.

Die Klägerin hat außerdem am 30.11.2022 die Verlegung des auf den 01.12.2022 um 9.15 Uhr festgesetzten Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Es sei ihr aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, vor 12 Uhr anzureisen, da das Bayern Ticket erst ab 9 Uhr gelte. Ein Zugticket für eine frühere Anreise könne sie sich nicht leisten. Deshalb sei ihr persönliches Erscheinen anzuordnen.

Der Beklagte hat erwidert, die Klägerin habe sich nach ihrem Wegzug im Jahr 2018 nicht mehr bei ihm gemeldet. Der derzeitige Wohnort sei nach wie vor nicht bekannt. Ohne Angaben zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin könne er nicht feststellen, ob er für Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII überhaupt zuständig sei. Der Klageänderung werde ausdrücklich widersprochen, da die geänderte Klage wegen Fristablaufs bereits unzulässig sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 01.12.2022 als unzulässig verworfen. Dem Antrag auf Terminverlegung sei nicht zu entsprechen gewesen. Eine Vertagung könne nur aus erheblichen Gründen erfolgen. Die Klägerin habe die Ladung bereits am 27.10.2022 erhalten. Es sei nicht dargelegt worden, warum die Klägerin die von ihr vorgebrachten Gründe für eine Teminverlegung erst am 30.11.2022 habe geltend machen können. Stelle die Klägerin ohne jede Begründung einen Verlegungsantrag erst so kurzfristig vor der mündlichen Verhandlung, müsse von ihr ein Weg aufgezeigt werden, wie ihr rechtzeitig geantwortet werden könne. Die Klägerin habe jedoch weder Telefonnummer noch Faxadresse für den rechtzeitigen Zugang der Entscheidung angegeben. Im Übrigen setze die Zulässigkeit der Klage grundsätzlich die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift voraus. Diese Angabe könne ausnahmsweise entfallen, wenn besondere Gründe dies rechtfertigten, etwa ein fehlender Wohnort wegen Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse. In diesen Fällen müssten dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe dargelegt werden, um eine Prüfung zu ermöglichen. Vorliegend habe die Klägerin ihre Wohnsitzlosigkeit nicht glaubhaft gemacht. Mangels Angabe eines Aufenthaltsortes sei es weder für den Beklagten noch für das Gericht überprüfbar, ob die örtliche Zuständigkeit gegeben sei. Im Übrigen sei der Bescheid vom 26.03.2018 bestandskräftig geworden. Somit sei nicht von der ordnungsgemäßen Durchführung eines Vorverfahrens auszugehen. Hinzu komme, dass auch die von der Klägerin vorgenommene Klageänderung nach Erledigterklärung der Untätigkeitsklage unzulässig sei. Der mittelbar angegriffene Versagungsbescheid vom 22.04.2014 enthalte keine Entscheidung über einen materiellen Leistungsanspruch. Eine Leistungsklage auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen sei daher nicht statthaft. Es gebe auch keinen Anlass, an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung vom 22.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2014 sowie den dazu bereits ergangenen Urteilen vom 28.10.2014 und 21.02.2017 zu zweifeln.

Gegen das Urteil hat die Klägerin am 23.01.2023 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das SG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihr die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich gemacht worden sei. Entgegen der Behauptung des SG sei die Klageerhebung von wohnungslosen Personen zulässig. Das SG habe sich durch Abfragen des Bayerischen Behördeninformationssystems fortwährend von ihrer Wohnungslosigkeit überzeugt. Die Umstellung der Untätigkeitsklage auf eine Anfechtungs- und Leistungsklage sei prozessual und materiell rechtswirksam erfolgt. Die öffentliche Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 01.09.2021 sei willkürlich gewesen, weil dem Beklagten ihre Postanschrift seit Mai 2021 bekannt gewesen sei. Dem SG sowie dem Beklagten sei ihr Aufenthaltsort seit Jahren bekannt. Ihre Identität stehe zweifelsfrei fest. In der Sache läge eine Ausnahme vom Grundsatz vor, dass gegen den Versagungsbescheid lediglich die isolierte Anfechtungsklage statthaft sei. Zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung zum 01.05.2014 hätten die Leistungsvoraussetzungen weiterhin vorgelegen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei sie nicht verpflichtet gewesen, zur Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen einen Weitergewährungsantrag zu stellen. Die vom Beklagten geforderten Nachweise seien in diesem Umfang nicht erforderlich gewesen. Der Versagungsbescheid vom 22.04.2022 sei aus verschiedenen Gründen rechtswidrig.

Auf Nachfrage des Gerichts, warum es ihr nicht möglich sei, eine ladungsfähige Anschrift mitzuteilen, hat die Klägerin lediglich angegeben, dass eine solche für eine wirksame Berufungseinlegung nicht erforderlich sei, wegen ihrer persönlichen Lebensumstände die postlagernde Adresse ausreiche und ihre Identität dem Gericht zweifelsfrei bekannt sei.

Die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.07.2023 nicht persönlich erschienen, sondern hat Herrn A gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 141 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) bevollmächtigt. Dieser hat auf Nachfrage angegeben, dass sich die Klägerin in Deutschland aufhalte. Weitere Angaben wolle er nicht machen. Maßgeblich sei der letzte melderechtliche Wohnsitz der Klägerin in S.

Ein Antrag ist in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht gestellt worden.

Der Beklagte beantragt,
   die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Die Klägerin hat weder eine Wohnanschrift angegeben noch ist sie bereit, dem Gericht ihren tatsächlichen Aufenthaltsort mitzuteilen.

Nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 90 SGG ist eine Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem zuständigen Gericht zu erheben. Das Ersuchen um Rechtsschutz soll gemäß § 92 Abs. 1 SGG u.a. die Beteiligten bezeichnen und vom Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden - als Teil der Bezeichnung des Klägers - genannt wird (BSG vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S - juris). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtssuchenden bedarf es bereits deshalb, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen gesetzlichen Richters zu gewährleisten, ferner, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (LSG Berlin-Brandenburg vom 21.02.2013 - L 3 R 879/10 - juris Rn. 28). Ausnahmsweise kann wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz die Angabe entbehrlich sein, wenn besondere, dem Gericht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen, insbesondere Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse (BSG vom 18.11.2003, aaO., Rn. 8; Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 92 Rn. 4 m.w.N.).

Das Gericht kann vorliegend nicht feststellen, wo die Klägerin seit der Klageerhebung wohnte oder wo sie sich derzeit aufhält. Die Anschrift "postlagernd" genügt nicht. Dies auch deshalb, weil aus den Gerichtsakten hervorgeht, dass die Klägerin Zustellungen per Einschreiben/Rückschein regelmäßig nicht selbst bei der Postfiliale abholt, sondern diese von A abgeholt werden.

Die Klägerin, die seit dem Verlust ihrer Wohnung in S nicht mehr amtlich gemeldet ist, hat gegenüber dem Gericht lediglich wiederholt vorgetragen, dass sie wohnsitzlos sei. Nähere Angaben zu ihrem tatsächlichen Aufenthalt und zu den Umständen ihrer Wohnungslosigkeit wollte und will die Klägerin nicht machen. An einer Obdachlosigkeit der Klägerin bestehen jedoch erhebliche Zweifel: Die Klägerin hat ihre Wohnung in S bereits im Februar 2018 verloren; seither hat sie weder beim Beklagten vorgesprochen noch ist sie in einem Obdachlosenhilfesystem im Landkreis L aufgetaucht. Zu den Umständen, wo und wie sie lebt, macht die Klägerin keine Angaben. Sie ist jedoch im Hinblick auf die Begründung einer Ausnahme vom Erfordernis der Angabe einer Wohnanschrift darlegungspflichtig. Allein die Angabe, wohnsitzlos zu sein, reicht dafür nicht aus. Zuletzt in der mündlichen Verhandlung hat der von der Klägerin entsandte und bevollmächtigte Vertreter Angaben zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin ausdrücklich verweigert.

Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved