L 14 KR 129/24

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 33 KR 68/24
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 KR 129/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Der Bezug einer Teilrente für nur vier Monate ermöglicht regelmäßig keinen Wechsel von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Familienversicherung, da die nur vorübergehend bezogene Teilrente kein regelmäßiges Einkommen darstellt.

2.  Die Familienversicherung soll Familien entlasten, daher sind nur solche Familienangehörige beitragsfrei mitzuversichern, die gegenwärtig und in absehbarer Zukunft bedürftig sind und bleiben.

3.  Bezieher von Renten sind in der Familienversicherung zu versichern, wenn die Prognose des durchschnittlichen Einkommens aus derzeitiger Teilrente und beabsichtigter Vollrente für zwölf Monate die maßgeblichen Einkommenswerte unterschreitet.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 7. März 2024 wird zurückgewiesen.

 

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Berufungskläger zu 1 (im Folgenden nur Kläger) in der gesetzlichen Krankenversicherung seiner Ehefrau, der Klägerin und Berufungsklägerin zu 2 (im Folgenden nur Klägerin), im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert war und nachfolgend in der obligatorischen Anschlussversicherung krankenversichert ist.

Der im August 1954 geborene und in Brandenburg wohnhafte Kläger ist seit 2008 privat krankenversichert und mit der Klägerin seit Juli 2019 verheiratet. Zum 1. Mai 2020 trat er in den Ruhestand, meldete zum 15. Mai 2021 sein Gewerbe ab und beendete damit die Ausübung seiner hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit. Seit Juli 2021 bezieht er eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 201,28 Euro. Er bezieht zusätzlich eine gesetzliche Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Berlin-Brandenburg. Zum 1. September 2021 wählte der Kläger gegenüber dieser eine Teilrente. Die DRV Berlin-Brandenburg berechnete die Rente mit Bescheid vom 26. Juli 2021 neu, ab 1. September 2021 betrug der Zahlbetrag der nun gewählten Teilrente 258,11 Euro zzgl. eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 20,52 Euro.

Am 4. August 2021 beantragte die Klägerin über ein Maklerbüro bei der Beklagten die Aufnahme des Klägers in die Familienversicherung zum 1. September 2021 unter Bezugnahme auf die geringeren Einkünfte des Klägers ab diesem Zeitpunkt. Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Klägerin mit Schreiben vom 15. September 2021 mit, dass der Kläger die Vollrente nach ca. 3 bis 4 Monaten wieder beantragen werde.

Mit Bescheid vom 30. September 2021 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Aufnahme des Klägers in die Familienversicherung zum 1. September 2021 mit der Begründung ab, dass das regelmäßige monatliche Einkommen die Einkommensgrenze von 470 Euro übersteige, der zwischenzeitliche Bezug der Teilrente könne nicht als regelmäßiges Einkommen berücksichtigt werden, sodass eine Familienversicherung ausscheide. Die Kläger erhoben hiergegen Widerspruch und verwiesen auf die Hinweise des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) zum Gesamteinkommen im Rahmen der Prüfung des Gesamteinkommens der Familienversicherung vom 12. Juli 2019, aus denen sich ergebe, dass für die Einkommensprognose auf einen Zeitraum von drei Monaten abzustellen sei. Die Tatbestandswirkung der Entscheidung der DRV Berlin-Brandenburg sei von der Beklagten hinzunehmen.

Seit dem 1. Januar 2022 bezieht der Kläger eine Rente von der DRV Berlin-Brandenburg mit einem Zahlbetrag oberhalb von 470 Euro pro Monat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2022 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Der vorübergehende Bezug einer Teilrente sei zum Zeitpunkt des Antrages auf Familienversicherung von vornherein nur für einen kurzen begrenzten Zeitraum von max. vier Monaten und damit nicht dauerhaft geplant gewesen. Mit Bezug der Vollrente werde die Gesamteinkommensgrenze überschritten. Die Durchführung der Familienversicherung sei daher nicht möglich.

Hiergegen haben die Kläger am 9. Juni 2022 vor dem Sozialgericht (SG) Neuruppin Klage erhoben. Sie haben beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der streitigen Bescheide zu verurteilen, den Kläger ab 1. September 2021 in die Familienversicherung aufzunehmen. Zur Begründung haben sie ausgeführt, eine Teilrente könne auch beansprucht werden, wenn dies zulasten der Krankenkasse oder unterhaltsberechtigter Personen gehe. Die Ermittlung des Gesamteinkommens habe im Wege einer vorausschauenden Prognose zu erfolgen und es seien nur die ab 1. September 2021 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 459,39 Euro bezogenen Renten zu berücksichtigen. Der Bezug einer Vollrente führe nachfolgend zu einer obligatorischen Anschlussversicherung, stehe der Begründung einer Familienversicherung jedoch nicht entgegen.

Mit Urteil vom 7. März 2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe ein Gesamteinkommen, das regelmäßig im Monat 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) überschreite. Die Beklagte sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger ein regelmäßiges Einkommen oberhalb der Einkommensgrenze des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erziele. Zu Recht habe die Beklagte berücksichtigt, dass der Kläger bereits bei Antragstellung damit gerechnet habe, drei oder vier Monate später wieder eine Vollrente zu erhalten. Die Vollrente sei in die Prognose einzubeziehen, weil sie mit hinreichender Sicherheit als Einkommenszufluss bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zu erwarten gewesen sei. Der Begriff der Regelmäßigkeit beschreibe einen laufend wiederkehrenden Umstand, auf dessen Eintreten üblicherweise Verlass sei, der also die Prognose erlaube, er werde wieder eintreten. Diese Auslegung des Begriffs „regelmäßiges Einkommen" entspreche dem Sinn und Zweck der Regelung. Es müssten ein längerer Zeitraum und die in diesem Zeitraum absehbaren Veränderungen der Einkommenssituation einbezogen werden. Nur wenn die Familienangehörigen auf absehbare Zeit bedürftig seien und blieben, könne eine Familienversicherung eintreten. Auch bei Selbstständigen oder abhängig Beschäftigten mit schwankendem Einkommen sei nicht auf einen Viermonatszeitraum, sondern auf das Einkommen innerhalb eines Jahres abzustellen. Dies gelte auch für den Fall eines Teilrentenbezuges. Die rechtsmissbräuchliche Ausübung des Gestaltungsrechts, die Teilrente lediglich zu dem Zweck zu beziehen, um in die gesetzliche Krankenversicherung zu gelangen, dürfte der Gesetzgeber nicht gewollt haben.

Gegen das den Klägervertretern am 8. April 2024 zugestellte Urteil haben die Kläger am 27. April 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt. Der Kläger habe von dem ihm nach § 42 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zustehenden Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht. Dies stelle keinen Verzicht auf eine Rente i.S.v. § 46 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) dar. Ein Verstoß gegen § 46 Abs. 2 SGB I sei erst gegeben, wenn durch einen Verzicht auf eine Sozialleistung eine vom Gesetz gewollte Lastenverteilung zwischen den Leistungsträgern abgeändert werde, was hier nicht der Fall sei. Der Kläger verfüge nicht über schwankendes Einkommen, weshalb bei der Prognoseentscheidung ein Zeitraum von drei Monaten zu betrachten sei.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 7. März 2024 und unter Aufhebung des Bescheides vom 30. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2022 den Kläger antragsgemäß ab 1. September 2021 bis 31. Dezember 2021 in die Familienversicherung nach § 10 SGB V aufzunehmen und ab 1. Januar 2022 in die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V zu überführen.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren inhaltlich nicht Stellung genommen. Sie beantragt sinngemäß,

            die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Der Senat konnte über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Berufung der Kläger ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1.
Gegenstand des Verfahrens ist neben dem erstinstanzlichen Urteil vom 7. März 2024 der Bescheid der Beklagten vom 30. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2022. Zutreffend verfolgen die Kläger ihr Begehren in subjektiver Klagehäufung mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Klage der Klägerin als Stammversicherte ist zulässig, da auch das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung als solche betroffen ist. Die Klage des Klägers ist zulässig, da er den gegenüber seiner Ehefrau bekannt gegebenen Verwaltungsakt mit Drittwirkung selbst anfechten kann, weil die Entscheidung ihn in eigener Rechtsposition berührt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 29. Juni 1993 – 12 RK 48/91, juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 18. März 1999 – B 12 KR 8/98 R, juris Rn. 12). Die Ergänzung des Klageantrages in der Berufungsinstanz um die Feststellung einer obligatorischen Anschlussversicherung ab 1. Januar 2022 stellt eine zulässige, weil sachdienliche Klageänderung dar, § 99 Abs. 1 SGG.

Die Berufung der Kläger bleibt ohne Erfolg. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Familienversicherung ab 1. September 2021 bestanden nicht, ebenso nicht für eine sich daran anschließende obligatorische Anschlussversicherung ab 1. Januar 2022.

a.
Der Kläger erfüllte zum 1. September 2021 nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der seit 11. Juli 2021 geltenden Fassung). Die Vorschrift hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

(1) Versichert sind der Ehegatte … wenn diese Familienangehörigen

1.           ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben,

2.           nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 2a, 3 bis 8, 11 bis 12 oder nicht freiwillig       versichert sind,

3.           nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht befreit                   sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit nach § 7 außer Betracht,

4.           nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind und

5.           kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches überschreitet; …; bei Renten wird der Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt.

Vorliegend ist der Kläger zwar Ehegatte der gesetzlich krankenversicherten Klägerin, er hat seinen Wohnsitz im Inland, es liegen die Voraussetzungen für den Eintritt der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2, 2a, 3 bis 8 oder 11 bis 12 SGB V in seiner Person nicht vor und er ist auch nicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert. Zudem liegen die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit nach § 6 SGB V, bei dem Kläger nicht vor. Er wurde schließlich nicht von der Versicherungspflicht befreit und ist nicht (mehr) hauptberuflich selbstständig tätig.

Der Kläger hat jedoch ein Gesamteinkommen, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet, die im hier streitgegenständlichen Zeitraum 470,00 Euro monatlich betragen hat. Mit § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V wird der Anspruch auf Familienversicherung von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angehörigen abhängig gemacht. Denn ein beitragsfreier Krankenversicherungsschutz ist nur für diejenigen Familienangehörigen des Versicherten gerechtfertigt, denen eine eigene Beitragslast wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann (Becker/Kingreen/Just, 8. Aufl. 2022, SGB V § 10 Rn. 18 m.w.N.)

Gesamteinkommen ist nach der Legaldefinition in § 16 SGB IV die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts. Ab September 2021 belief sich die Summe der Einkünfte des Klägers auf monatlich 459,39 Euro. Sie setzten sich aus dem Zahlbetrag der Betriebsrente und dem der gesetzlichen Teilrente zusammen. Denn § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Hs. 2 SGB V erfasst alle Renten, die zu den Einkünften i.S.d. Einkommensteuergesetzes gehören, also auch Betriebsrenten und nicht nur Renten der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG, Urteil vom 10. März 1994 – 12 RK 4/92 –, juris Rn. 13; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. August 2020 – L 11 KR 779/20 –, juris Rn. 24). Zutreffend haben das SG und die Beklagte dabei den Beitragszuschuss nicht berücksichtigt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. August 2020 – L 11 KR 779/20 –, juris Rn. 22; Hauck/Noftz/Gerlach, SGB V, 5. EL 2024, § 10 Rn. 152), da der Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung eine Zusatzleistung und damit nicht Teil der Rente ist (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1e SGB I).

Für die Entscheidung über den Eintritt der Familienversicherung ist zwar zunächst das tatsächlich erzielte Gesamteinkommen, u.a. in Höhe der Teilrente, zugrunde zu legen. Insbesondere stellt die Wahl der Teilrente keinen zur Unwirksamkeit führenden Verzicht iSd § 46 SGB I dar. Denn der Kläger hat damit gegenüber dem Rentenversicherungsträger ein zulässiges Gestaltungsrecht nach § 42 Abs. 1 SGB VI ausgeübt (zutreffend LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2024 – L 5 KR 1336/23 –, juris Rn. 44; anschaulich zu Gestaltungsrechten Felix, KrV 2024, 45). Jedoch stellen die Einkünfte von monatlich 459,39 Euro nur in den Monaten September bis Dezember 2021 kein „regelmäßiges Einkommen“ im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V dar. Das Renteneinkommen ab Januar 2022 überstieg die Einkommensgrenze von monatlich 470 Euro unstreitig und ist in die Einkommensprognose mit einzubeziehen. Mit Blick auf das Motiv des Klägers für die Wahl der Teilrente kann dabei dahinstehen, ob eine rechtsmissbräuchliche Entscheidung vorliegt (so SG München, Urteil vom 6. Juli 2023 – S 15 KR 923/22 –, juris Rn. 27). Im Einzelnen:

Bei Statusentscheidungen im Sozialversicherungsrecht ist nach der Rechtsprechung des BSG eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt. Das gilt im Besonderen für die Beurteilung des monatlichen Gesamteinkommens i.S.d. § 10 Abs. 1 SGB V. Schon der Begriff „regelmäßig" setzt eine gewisse Stetigkeit, Dauer und Gesetzmäßigkeit voraus. Er beschreibt einen laufend wiederkehrenden Umstand, auf dessen Eintreten üblicherweise Verlass ist, der also die Prognose erlaubt, dass er wieder eintreten wird (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, juris Rn. 11 m.w.N.) Erforderlich ist zudem eine (negative) Prognose, dass das Gesamteinkommen die Einkommensgrenze regelmäßig nicht überschreiten wird, maßgeblich ist die Kenntnis der Beklagten zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, juris Rn. 20). Sachgerechte Prognosen beruhen auf Daten und Fakten aus der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, juris Rn. 16). Die Beklagte hatte daher unter Berücksichtigung absehbarer Änderungen – hier der mitgeteilte Wechsel zur Vollrente – eine Prognose zum regelmäßigen Einkommen zu treffen.

Das Gesetz trifft in § 10 SGB V keine Regelungen, was unter einem regelmäßigen Einkommen zu verstehen ist. Maßgeblich ist dafür einerseits, welcher Zeitraum in die Prognose einzustellen ist, und andererseits, welche Eintrittswahrscheinlichkeit von Einkommensänderungen bestehen muss.

Zur Frage, welcher Zeitraum in die Prognoseentscheidung einzustellen ist, werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Dabei ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Prognose bei schwankenden Einkünften und Einkünften aus Kapitalerträgen eine jährliche Einkommensbetrachtung erfordert (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – B 10 KR 3/99 R; Becker/Kingreen/Just, 8. Aufl. 2022, SGB V § 10 Rn. 26). Für den Fall der vorübergehenden Wahl einer Teilrente reichen nach einer Ansicht drei Monate, wenn die beabsichtigte künftige Aufstockung nicht bekannt ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2024 – L 5 KR 1336/23 –, juris Rn. 45), oder vier Monate (SG München, Urteil vom 19. Januar 2023 – S 59 KR 649/22 –, juris Rn. 34; zustimmend Felix, KrV 2024, 45, 49) aus, um dem Einkommen die Eigenschaft der Regelmäßigkeit zu verleihen. Nach anderer Ansicht ist auf das Durchschnittseinkommen eines Jahres abzustellen (SG Mainz, Urteil vom 7. Februar 2024 – S 7 KR 41/22 –, juris Rn. 36; SG München, Urteil vom 6. Juli 2023 – S 15 KR 923/22 –, juris Rn. 23). Letzterer Ansicht ist der Vorzug zu geben, da § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V mit dem Begriff „Gesamteinkommen“ Bezug auf § 16 SGB IV nimmt, welcher ersichtlich nach steuerlichen Grundsätzen eine Jahresbetrachtung vornimmt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. August 2019 – L 9 KR 130/17 –, juris Rn. 40; zur Zielsetzung des § 16 SGB IV: BSG, Urteil vom 29. Juni 2021 – B 12 KR 2/20 R –, juris Rn. 17). Als Zeitraum, auf den die vorausschauende Betrachtung bei Beschäftigten zu erstrecken ist, hat das BSG auch bei der Anwendung der (Entgelt)Geringfügigkeitsgrenze den Zeitraum eines Jahres angesehen (BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 – B 12 R 15/09 R –, juris Rn. 20 m.w.N.). Darüber hinaus führt die Wahlentscheidung für eine Teilrente vorliegend zu schwankendem Einkommen, weil es nur für einen kurzen, hier viermonatigen Zeitraum, unterhalb der Einkommensgrenze von 470 Euro bleibt. Soweit das LSG Baden-Württemberg bei der Auslegung des § 10 SGB V auf die „Grundsätzlichen Hinweise des GKV-Spitzenverbandes zu Gesamteinkommen im Sinne der Regelungen über die Familienversicherung vom 29. September 2022“ verweist, berücksichtigt es nicht hinreichend die fehlende Bindungswirkung dieser Hinweise und fehlinterpretiert es den in Bezug genommenen Wortlaut. Die Formulierung auf S. 29 „Einkünfte, die von vornherein für nicht mehr als drei Monate erzielt werden, sind als unregelmäßig anzusehen und schließen die Familienversicherung unabhängig von der Höhe der Einkünfte insofern nicht aus“ enthält nicht die Aussage, für drei Monate erzielte Einkünfte seien als regelmäßige Einkünfte anzusehen (so aber LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2024 – L 5 KR 1336/23 –, juris Rn. 45). Auch aus der Vorgängerversion der Hinweise vom 12. Juli 2019 ergibt sich nach Ansicht des Senats keine Empfehlung für einen nur dreimonatigen Betrachtungszeitraum.

In die Prognoseentscheidung für die Zeit ab September 2021 war die Absicht des Klägers einzubeziehen, nach drei bis vier Monaten wieder eine Vollrente zu beziehen, weil hinreichende Sicherheit über den Eintritt dieses Umstandes bestand. Nach einer Ansicht soll ein entsprechender Plan nichts daran ändern, dass Versicherte die gesetzlich zugelassene Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Rentenhöhe wahrnehmen und dadurch in die Familienversicherung wechseln können (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2024 – L 5 KR 1336/23 –, juris Rn. 45). Nach anderer Ansicht – der zu folgen ist – ist im Rahmen der vorzunehmenden Prognoseentscheidung auch der später beabsichtigte Bezug der Vollrente in die Berechnung einzubeziehen, wenn dieser mit hinreichender Sicherheit als Einkommenszufluss zu erwarten ist (SG Mainz, Urteil vom 7. Februar 2024 – S 7 KR 41/22 –, juris Rn. 36; SG München, Urteil vom 6. Juli 2023 – S 15 KR 923/22 –, juris Rn. 24; zur hinreichenden Sicherheit bereits BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 – B 12 R 15/09 R –, juris Rn. 20). Zwar darf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Familienmitglieds nicht bloß vermutet oder unterstellt werden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2021 – L 11 KR 1765/20 –, juris Rn. 37). Da jedoch der Eintritt von in der Zukunft liegenden Ereignissen stets mit Unsicherheiten verbunden ist, genügt für eine Prognose eine hinreichende Sicherheit im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Geschehens. Vorliegend bestand für die Beklagte aufgrund der ausdrücklich erklärten Absicht eine solche hinreichende Sicherheit, dass der Kläger nach drei bis vier Monaten wieder eine die Einkommensgrenze monatlich übersteigende Vollrente beziehen werde, auch wenn der Beklagten die konkrete Ausübung der Wahlentscheidung für den Rückwechsel zur Vollrente nicht bekannt war. Die Annahme des Vollrentenbezuges hat sich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens im Mai 2022, auch bestätigt. Anders wäre es – wegen der Notwendigkeit der negativen Prognose – ,wenn hinreichend sicher die Vollrente erst nach Ablauf des Monats August 2022 hätte beantragt werden sollen.

Diese Auslegung ist zum Schutz der Solidargemeinschaft geboten. Mit der Einkommensprognose soll nach dem Willen des Normgebers die typische Situation wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit von Betroffenen erfasst werden (BSG, Urteil vom 29. Juni 2016 – B 12 KR 1/15 R –, juris Rn. 23). Eine erwartbar nur drei- oder viermonatige Einkommensveränderung bildet keine typische Situation wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ab. Die beitragsfreie Familienversicherung hat als Maßnahme des sozialen Ausgleichs zur Entlastung der Familie das Ziel, die Last der die Krankenversicherung umfassenden Unterhaltsansprüche von Familienangehörigen gegen den Stammversicherten in die Verantwortung der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen. Dem entspricht es, nur solche Familienangehörige beitragsfrei mitzuversichern, die gegenwärtig und in absehbarer Zukunft bedürftig sind und bleiben (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2022 – B 12 KR 2/21 R –, juris Rn. 12; anschaulich zum Gesetzeszweck auch BSG, Urteil vom 29. Juni 2021 – B 12 KR 2/20 R –, juris Rn. 19).

Es kann dahinstehen, ob der Jahreszeitraum der Prognose über das Kalenderjahr 2021 zu bilden ist (so SG München, Urteil vom 6. Juli 2023 – S 15 KR 923/22 –, juris Rn. 23; SG München, Urteil vom 19. Januar 2023 – S 59 KR 649/22 –, juris Rn. 33) oder – nach Ansicht des Senats zutreffend – vom 1. September 2021 bis 31. August 2022. In beiden Fällen lag das durch 12 geteilte Gesamteinkommen dieses Jahresabschnitts oberhalb von 470 Euro, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist und sich aus dem Berufungsantrag zur Anschlussversicherung ergibt.

b.
Eine obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V trat zum 1. Januar 2022 nicht ein. Nach dieser Vorschrift setzt sich für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt.

Vorliegend endete beim Kläger mit dem 31. Dezember 2021 weder eine Versicherungspflicht noch eine Familienversicherung.

2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

3.
Die Revision wird zugelassen. Die Rechtsfrage des Zugangs zur Familienversicherung bei zu diesem Zweck beantragter Teilrente hat grundsätzliche Bedeutung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Zulassung der Revision war zur Klärung der Rechtsfrage trotz des bereits beim BSG anhängigen Verfahrens (B 12 KR 3/24 R) geboten, da im dortigen Verfahren die Rücknahme der Statusentscheidung nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch streitig ist, so dass sich die Sachverhalte unterscheiden. Zudem handelt es sich nicht um abgelaufenes Recht, da die geplante Änderung des § 10 SGB V (Entwurf Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG, BT-Drs. 20/1853, S. 15) noch nicht verabschiedet ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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