Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.595.901,15 Euro
nebst
Verzugszinsen i.H.v. 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 162.339,99 € ab dem 31. Januar 2012,
aus 292.576,36 € ab dem 31. Januar 2013,
aus 339.967,20 € ab dem 30. Dezember 2014 und
aus 801.017,60 € ab dem 30. Dezember 2015
sowie
Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
1.595.901,15 € ab dem 17. Dezember 2019 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird endgültig auf 1.595.901,15 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten i.H.v. 1.595.901,15 € wegen der beanstandeten Abrechnung von Verwaltungskosten in den Haushaltsjahren 2011 bis 2014.
Der Beklagte ist ein nach § 6a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zugelassener kommunaler Träger (zkT) und ist aufgrund der Verwaltungsvereinbarung vom 26.11.2013/29.11.2013 „über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (im Folgenden: VV) zur Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren) berechtigt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VV) und ermächtigt, Bundesmittel auf der Grundlage von § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II und unter Beachtung der VV sowie der Verfahrensrichtlinien des Bundesministeriums für Finanzen für Mittelverteiler/ Titelverwalter zu bewirtschaften sowie beim Bund abzurufen (§ 2 Abs.1 Satz 2 VV).
Die Ermittlung der von der Klägerin zu erstattenden Verwaltungskosten für die Jahre 2011 bis 2014 richtet sich nach der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages beschlossenen „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Abrechnung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die zugelassenen kommunalen Träger und für die Bewirtschaftung von Bundesmitteln im automatisierten Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes“ (Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift – KoA-VV) vom 25. April 2008 in der Fassung vom 16. Dezember 2013 (BAnz AT 23. Dezember 2013 B 1).
Bei dem Beklagten entstanden in den Haushaltsjahren 2011 bis 2014 – zwischen den Beteiligten unstreitig – tatsächliche Verwaltungskosten in folgender Höhe:
2011 18.614.136,24 €
2012 18.332.936,92 €
2013 17.931.678,86 €
2014 18.621.746,93 €
Unstreitig würden sich hieraus nach Abzug des kommunalen Finanzierungsanteils (KFA) folgende Beträge ergeben:
2011 15.905,779,42 €
2012 15.546,330,51 €
2013 15.206.063,67 €
2014 15.791.241,40 €
Im HKR-Verfahren abgerufen hatte der Beklagte von der Klägerin hingegen für die genannten Haushaltsjahre Finanzmittel für Verwaltungskosten unter Zugrundelegung der in §§ 20ff. KoA-VV genannten Pauschalen in folgender Höhe:
2011 17.367,559 €
2012 16.131.789 € (Saldo nach Verrechnungen: 16.294.118,99 €)
2013 15.900.227 € (Saldo nach Verrechnungen: 16.355.143,35 €)
2014 16.592.219 € (Saldo nach Verrechnungen: 17.387.142,55 €).
In der Zeit vom 11. bis 15. Januar 2016 fand eine Vor-Ort-Prüfung der Jahresabrechnungen in den Räumen des Jobcenters des Beklagten durch die Prüfgruppe SGB II der Klägerin statt, über deren Ergebnis die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 5. Mai 2017 informierte und u.a. zur Rückzahlung des Differenzbetrages zwischen den tatsächlichen und den nach Pauschalen berechneten Verwaltungskosten aufforderte.
Nach ergebnislosen Verhandlungen forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 27. November 2018 zur Erstattung des von ihr mit 1.595,901,15 € berechneten Differenzbetrages zwischen den tatsächlichen und den nach Pauschalen berechneten Verwaltungskosten auf. Der Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach. Am 20. Dezember 2018 unterzeichnete er einen bis zum 31. Dezember 2019 befristeten Verzicht auf die Einrede der Verjährung.
Am 16. Dezember 2019 hat die Klägerin Klage zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass Verwaltungskosten tatsächlich entstanden sein müssten, damit der kommunale Träger deren Erstattung verlangen könne. Dies folge aus der Rechtsprechung des BSG zu Aufwendungen/Leistungen für Arbeitsuchende bzw. zu veruntreuten Geldern. Eine Finanzierungslast des Bundes sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, wenn keine Ist-Verwendung von Mitteln vorliege. Der zugelassene kommunale Träger solle (nur) die notwendigen Aufwendungen erstattet bekommen, die ihm entstehen. Eine Zuweisung von Bundesmitteln, denen keine Aufwendungen gegenüberstünden, wäre eine Subventionierung, dies sei nicht Zweck des Art. 91e GG.
Ein Erstattungsanspruch folge auch nicht aus den §§ 20 ff. KoA-VV. Dies folge sowohl aus Wortlaut als auch Systematik der Regelung. § 16 KoA-VV sehe eine Abrechnung grundsätzlich in tatsächlicher Höhe vor. Erst wenn die in den §§ 20 ff. genannten Höchstbeträge überschritten würden, würden diese als Pauschalen erstattet. Es handele sich um „Höchstbetragspauschalen“. Solange Höchstsätze unterschritten würden, bleibe es beim Regelfall der Abrechnung nach tatsächlicher Höhe.
Auch die Entstehungsgeschichte belege, dass die KoA-VV von einem Verständnis der Pauschalen als Höchstpreis/Höchstgrenze ausgingen. Eine weitergehende Abrechnung von Aufwendungen sei nach der Begründung zu § 16 Abs. 1 KoA-VV durch den Grundsatz der pauschalen Abrechnung ausgeschlossen, der kommunale Träger könne einen niedrigeren als den in § 20 geregelten Höchstwert abrechnen.
Der Mittelabruf müsse bedarfsgerecht sein, eine Bildung von Rücklagen sei nicht zulässig, § 30 KO-VV. Die KoA-VV müssten den Vorrang des Gesetzes beachten, d. h. die Vorgabe des § 6b Abs. 2 S. 1 SGB II, dass eine Finanzierungslast des Bundes nur für tatsächliche Aufwendungen bestehe. Dem Bund sei es haushaltsrechtlich durch das Gebot sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung sogar untersagt, Aufwendungen zu ersetzen, die nicht entstanden seien. Zu diesem gesetzlichen Leitbild stehe die Zulassung von Pauschalierungen durch § 6b Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 46 Abs. 1 S. 4 SGB II in einem Spannungsverhältnis. Daher sei die Ermächtigung zur pauschalierten Abrechnung eng auszulegen. Dies beinhalte auch, dass bei Mehrdeutigkeit von Inhalt und Reichweite einer durch oder aufgrund eines Gesetzes vorgesehenen Pauschalierung derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben sei, bei der die Abweichung zwischen pauschal abgerechneten und tatsächlichen Verwaltungskosten geringer sei. Daraus folge, dass die zugelassenen Pauschalierungen der Verwaltungskosten nicht als Abgeltungs-, sondern als Höchstbetragspauschalen auszulegen seien.
Zudem seien die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Pauschalierungen zu beachten. Wären die in den §§ 20-23 KoA-VV geregelten Pauschalen als Abgeltungspauschalen auszulegen, wären sie unter Zugrundelegung der vom Bundesverfassungsgericht begründeten verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Pauschalierungen unzulässig. Da Typisierungen und Pauschalierungen mit besonderen Härten verbunden seien, seien sie nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Es fehle bereits an tatsächlichen Anknüpfungspunkten dafür, dass die durch die Pauschalen abgedeckten Kosten im Regelfall den Betrag der durch die Erfüllung der Aufgaben entstehenden Verwaltungskosten deckten. Der Vorschriftengeber habe die Pauschalen hingegen so festgelegt, dass sie den Höchstbedarf abbildeten, der im Regelfall nicht überschritten werde. Der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung könne Typisierungen oder Pauschalierungen für Fallkonstellationen wie hier, bei denen erhebliche Abweichungen in Höhe von eineinhalb Millionen Euro in fünf Haushaltsjahren entstanden seien, nicht rechtfertigen.
Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8. September 2022 hat die Klägerin Aufstellungen des Beklagten über die „Ermittlung(en) der Ausgaben für die Abrechnung der Verwaltungskosten 2011, 2012, 2013 und 2014“ vorgelegt und ausgeführt, dass die in diesen Aufstellungen aufgeführten Aufwendungen für Rückstellungen im Umfang von 1.335.199,94 € vollumfänglich anerkannt worden seien.
Diese Unterlagen seien der Klägerin (dem BMAS) vom Beklagten in Vorbereitung der Vor-Ort-Prüfung beim Beklagten am 13. und 14. August 2018 mit E-Mails vom 9. August 2018 und 13. August 2018 übersandt worden. Sie seien falsch abgelegt und daher erst kurz vor dem hiesigen Gerichtstermin wieder aufgefunden worden. Die Beträge seien aber bei der geltend gemachten Forderung berücksichtigt worden.
In diesen Abrechnungstabellen sind jeweils die Versorgungsrücklagen für Beamte im Konto S 50100, Kokl.5, und die Umlage Beamtenversorgung im Konto S 50120, Kontobezeichnung Kokl.5, verzeichnet. [Für das Jahr 2011 sind als Versorgungsrücklage 55.004,00 € und als Umlage Beamtenversorgung 467.828,00 € eingestellt; bei der Ausgabenermittlung für das Jahr 2012 sind es im Konto S 50100 2.923,27 € und im Konto S 50120 467.588,06 €. 2013 sind es 75.787,83 € Versorgungsrücklage (Konto S 50 100) und 5.805,80 € Umlage Beamtenversorgung (S 50 120). Im Jahr 2014 sind es 5.922,13 € im Konto S 50100 und 434.102,13 € im Konto S 50120]. In allen vier Jahren heißt es im Konto S 50075, Kokl.5, „Einstellungen Rückstellung ATZ“ 0,00 €, „keine Verwaltungskosten (Betrag dient dem buchhalterischen JA)“.
Die Klägerin hat hierzu ausgeführt, dass soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2022 nunmehr höhere Rückstellungen geltend mache, diese zum einen nur einen Teil der aufgeworfenen Abrechnungsfragen beträfen, nämlich die Aufwendungen für Rückstellungen für die Freistellungsphase bei Altersteilzeitfällen im Blockmodell, und zudem nicht substantiiert seien. Sollten höhere Rückstellungen zu berücksichtigen sein, wäre die Entstehung der Rückstellungsbeträge nachzuweisen, je Haushaltsjahr auszuweisen und die tatsächlich erfolgte Rückstellung zu belegen. Erst auf einer solchen Grundlage könnte die nach Berücksichtigung dieser Aufwendungen dann weiterhin bestehenden Erstattungsforderung des Bundes je Haushaltsjahr ermittelt werden.
In der Sache seien die weitergehenden Aufwendungen für Mitarbeiter mit Altersteilzeitvereinbarung im Blockmodell während der Freistellungsphase für die Bildung von Rückstellungen nicht anerkennungsfähig. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Rückstellungen aus der Differenz zwischen den Aufwendungen gebildet werden, die der regelmäßigen, nicht der tatsächlichen Arbeitszeit des Beschäftigten entspreche. Etwaige damit verbundene Einschränkungen seien als Folge der Kompetenz des Normgebers zur Pauschalierung und Typisierung hinzunehmen.
Die Auffassung des Beklagten, dass § 19 Abs. 4 KoA-VV verfassungswidrig sei, weil im kontinuierlichen Modell die tatsächlich entstandenen Personalkosten vollständig abgerechnet werden könnten, für die Beschäftigten im Blockmodell hingegen nicht, überzeuge nicht. Es handele sich bereits um unterschiedliche Sachverhalte. Aufwendungen während der Freistellungsphase des Blockmodells würde nur Beschäftigte des Beklagten betreffen, die gerade keine Aufgaben der Grundsicherung im Sinne von § 6b Abs. 2 SGB II mehr wahrnehmen würden. Laufende Personalkosten für Beschäftigte in den besonderen Einrichtungen im kontinuierlichen Modell hingegen seien laufende Verwaltungskosten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ohne eine solche Differenzierung würde – wie vom Beklagten angestrebt – im Falle eines Blockmodells eine Abrechnung von Personalaufwendungen gegenüber dem Bund erfolgen, die erst in einem Zeitpunkt anfallen, in dem die betroffenen Beschäftigten keine Verwaltungsaufgaben im Bereich der Grundsicherung für Arbeit mehr wahrnehmen.
Für die geltend gemachte Erstattungsforderung bestehe auch weder eine Beschränkung der Erstattung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln des Beklagten noch auf eine Haftung für unvertretbare Handlungen. Die sogenannte Haftungskernrechtsprechung finde nicht nur wegen des Vorliegens eines Ausführungsgesetzes keine Anwendung, sondern gelte auch nicht für die Verwaltungskostenerstattung, insoweit werde auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats verwiesen (Urteil vom 18. August 2020 – L 20 AS 2625/17 KL).
Ermessensfehler lägen nicht vor. § 6b Abs. 5 SGB II sei als Befugnisnorm, nicht als Ermessensvorschrift auszulegen. Allenfalls handele es sich um intendiertes Ermessen.
Der Anspruch auf Verzugszinsen folge aus § 6b Abs. 5 S. 2 und 3 SGB IIV. Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen ergebe sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.595.901,15 € nebst Verzugszinsen i.H.v. 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 162.339,99 € seit dem 31. Januar 2012, aus 292.576,36 € seit dem 31. Januar 2013, aus 339.967,20 € seit dem 30. Dezember 2014 und aus 801.017,60 € seit dem 30. Dezember 2015 nebst Rechtshängigkeitszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat den geltend gemachten Rückforderungsbetrag - unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Klägerin - der Höhe nach im Wesentlichen rechnerisch bestätigt. Es bestehe jedoch schon dem Grunde nach kein Erstattungsanspruch.
Der Beklagte habe nur Mittel abgerufen, die auch von der Klägerin zu erstatten seien. Nach den einschlägigen Regelungen der KoA-VV sei von einer pauschalen Mittelzuweisung auszugehen. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut „Pauschalen“ als auch nach historischer, systematischer und teleologischer Auslegung. Die Klägerin setzte den Begriff „Pauschalbetrag“ irrtümlich mit einem „Höchstbetrag“ und den Begriff „Pauschale“ mit einer Kappungsgrenze gleich. Höhere Ausgaben würden danach nicht berücksichtigt, geringere Ausgaben nicht honoriert. Damit bestünde aber auch kein Anreiz für ein wirtschaftliches und sparsames Verwaltungshandeln der Optionskommunen. Aus § 16 Abs. 1 S. 2 KoA-VV ergebe sich die Abrechnung von Verwaltungskosten nach Pauschalen, ohne dass es des Nachweises verschiedener Einzelpositionen bedürfe. Auch im Hinblick auf eine gleichmäßige Behandlung der Optionskommunen und die notwendige Planungssicherheit für den Haushalt des Beklagten sei eine Abweichung von den Pauschalen nicht angezeigt. Der Beklagte habe mit dem Mitteleinsatz auch nicht gegen die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verstoßen. Die Pauschalsätze in den §§ 20-23 KoA-VV stellten den Höchstrahmen der abrechenbaren Aufwendungen dar, dem regelmäßig die Angemessenheitsvermutung innewohne. Sofern niedrigere Pauschalwerte als die im Unterabschnitt 2 vorgesehenen Höchstwerte abgerechnet werden könnten, habe der Beklagte von dieser Möglichkeit jedenfalls keinen Gebrauch gemacht.
Die Klägerin zitiere § 6b Abs. 2 SGB II falsch, wenn sie hieraus ableite, dass nur tatsächlich entstandene Kosten abrechenbar seien. Eine Pauschalierung von Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten sei vielmehr nach § 46 Abs. 1 S. 4 SGB II ausdrücklich zulässig. Die Ermittlung der von der Klägerin zu erstattenden Verwaltungskosten richte sich nach der KoA-VV. Diese sehe die Möglichkeit vor, Pauschalbeträge für notwendige Ausgaben einschließlich Verwaltungsausgaben festzulegen. Hierfür spreche auch eine teleologische Auslegung. Die Zurverfügungstellung der Mittel durch den Bund im HKR-Verfahren sei zur Verwaltungsvereinfachung gewählt worden. Es habe nicht im Nachhinein von Fall zu Fall abgerechnet werden müssen, dies hätte einen immensen Verwaltungsaufwand mit sich gebracht. Eine Abrechnung nach den Ist-Ausgaben würde nicht dem Willen der Klägerin entsprechen, eine Verwaltungsvereinfachung herbeizuführen. Dass die Festlegung von Pauschalen zu merklichen, zum Teil sogar beträchtlichen Abweichungen von den tatsächlich entstehenden Kosten führen könne, sei einer Pauschalierung systemimmanent. Die Bildung von Rückstellungen sei gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 KoA-VV für Versorgungsaufwendungen sowie für Aufwendungen im Zusammenhang mit Wertguthabenvereinbarungen zulässig. Im Übrigen seien die Gerichte an Verwaltungsvorschriften grundsätzlich nicht gebunden.
Jedenfalls handele es sich bei der vom Beklagten dargestellten Meinung um eine vertretbare Rechtsauffassung. Der Bund könne nur fehlerhafte Rechtsauffassungen, nicht aber vertretbarer Rechtsauffassungen beanstanden (BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014 – 2 BvR 1641/11).
Dem Beklagten könne auch nicht vorgeworfen werden, grob fahrlässig oder gar vorsätzlich rechtswidrig gehandelt zu haben. Hierauf sei aber die Erstattung nach
§ 6b Abs. 5 SGB II beschränkt. Die zu Sachverhalten vor 2011 ergangene BSG-Rechtsprechung sei auch für Sachverhalte nach der Kodifizierung des Erstattungsanspruch des Bundes in § 6b Abs. 5 SGB II maßgeblich. Bei der Einfügung des § 6b Abs. 5 SGB II handele es sich um eine klarstellende gesetzliche Verankerung des allgemein gewohnheitsrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zwischen Bund und Kommunen. Kommunen dürften auch nicht schlechter gestellt werden als Länder, für die nach Art. 104 Abs. 5 GG nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit greife. Bei Art. 91e Abs. 2 GG handele es sich im Verhältnis zu den Grundsätzen der Finanzverfassung – anders als im Verhältnis des Art. 91e Abs. 1 GG zu Art. 83 ff. GG – nicht um eine „abschließende Sonderregelung“, sondern lediglich um eine den allgemeinen Regeln der Finanzverfassung vorgehende Sonderregelung. Die allgemeinen Regeln der Finanzverfassung blieben anwendbar. Art. 91e GG regele keine Fragen der Erstattung, sodass er auch nicht Art. 104a GG verdränge. Im Falle einer Rückzahlungspflicht nach § 6b Abs. 5 SGB II wäre der kommunale Haushalt mit einer Garantiehaftung belastet, vor der die Haftungskernrechtsprechung schützen solle.
Im Übrigen sei auch die nach § 6b Abs. 5 S. 1 SGB II vorgeschriebene Ermessensausübung seitens der Klägerin nicht zu erkennen, diese sei auch nicht mehr nachholbar. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Selbst wenn es sich um ein sogenanntes intendiertes Ermessen handeln sollte, hätte die Rückforderungsentscheidung einer Begründung bedurft.
Letztlich wäre die Befugnis zur Geltendmachung der Erstattung verwirkt. Zumindest wäre ein Abzug wegen Mitverschuldens vorzunehmen, da die Klägerin ihre Obliegenheit gegenüber dem Beklagten verletzt habe, diesen auf mögliche rechtswidrige Umstände hinzuweisen und Möglichkeit zur Abhilfe zu geben. Das Verwirkungsverhalten sei in einem Unterlassen der Klägerin zu sehen. Das BMAS habe die Verwaltungsvorschriften für die Abrechnung der Aufwendung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (KoA-VV) erlassen und in diesen an keiner Stelle klargestellt, dass es sich bei den dort geregelten Pauschalen aus Sicht der Klägerin um sogenannte „Höchstbetragspauschalen“ handele, diese also eigentlich Höchstbeträge darstellten und dementsprechend Verwaltungskosten „spitz“ abgerechnet werden müssten. Eine Legaldefinition des Begriffs „Höchstbetragspauschale“ enthalte die KoA-VV nirgends. Es wäre daher Pflicht der Klägerin gewesen, die KoA-VV entsprechend zu ändern oder den Beklagten zumindest in einem Rundschreiben darauf hinzuweisen. Die Klägerin habe in den streitgegenständlichen Haushaltsjahren Bundesmittel unwidersprochen freigegeben und Nachforderungen auch weder im jeweils gerade laufenden noch im nachfolgenden vollen Haushaltsjahr geltend gemacht. Die Klägerin hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt genauere Prüfungen durchführen müssen, um Kenntnis von den maßgeblichen Sachverhalten zu erhalten und auf diese Weise derart späte Rückforderungen zu vermeiden. Der Beklagte habe im Vertrauen darauf, dass keine Rückforderung geltend gemacht werde, die Differenz zwischen den abgerechneten und den tatsächlich entstandenen Verwaltungskosten dafür genutzt, Rückstellungen im Sinne des § 30 Abs. 2 S. 2 KoA-VV zu bilden. Von den Beanstandungen der Klägerin habe er erst mit Schreiben vom 5. Mai 2017 Kenntnis erlangt.
Im Übrigen habe er in Höhe der streitgegenständlichen Rückforderungsbeträge in den Haushaltsjahren 2011 bis 2014 erstattungsfähige Rückstellungen für Versorgungsaufwendungen für Beamte und für Wertguthabenvereinbarungen für Altersteilzeitfälle gebildet. Der Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2022 ausgeführt, die von ihm vorgelegten Abrechnungstabellen würden die Kosten für die Rückstellungen für Altersteilzeit in der Freistellungsphase nicht vollständig abbilden. Erfasst sei lediglich der bislang nach § 19 Abs. 5 S. 2 KoA-VV von der Klägerin als abrechnungsfähig anerkannte Differenzbetrag. Abrechnungsfähig seien indessen über den Differenzbetrag hinaus auch weitere in diesem Zusammenhang entstandene Kosten nach § 19 Abs. 5 S. 2 KoA-VV.
Zwar bestimme § 19 Abs. 4 KO A-VV, dass in den Fällen, in denen eine Altersteilzeit im Rahmen eines Blockmodells nach § 2 Abs. 2 und 3 des Altersteilzeitgesetzes (ATZG) geleistet werde, aus der Differenz zwischen den nach Satz 1 anerkennungsfähigen Personalkosten und den tatsächlichen Aufwendungen (nur) während der Aktivphase Rückstellungen für die Freistellungsphase gebildet werden könnten und nach Satz 3 Personalkosten während der Freistellungsphase nicht anerkannt würden. Es stelle aber eine „ungerechtfertigte, willkürliche Benachteiligung für den zugelassenen kommunalen Träger bei der Finanzierung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ dar, dass die entstandenen Personalkosten im sogenannten Block-Modell nicht, wie im sogenannten kontinuierlichen Modell, vollständig abrechenbar sind. Die durch diese Regelung der KoA-VV entstehende finanzielle Mittelunterdeckung, die vom Mittelgeber, d. h. der Klägerin, rein willkürlich bestimmt werde, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspreche und zudem abhilfefähig sei, gehöre nach seiner Auffassung nicht zu den akzeptablen betrieblichen Gründen, die den Beklagten und dessen Beschäftigte in der Ausgestaltung ihrer Altersteilzeitvereinbarungen in zulässiger Weise binden könnten.
Eine Rücklagenbildung sei daher zumindest in der Höhe der in der Freistellungsphase anfallenden Beträge gerechtfertigt. In den Jahren 2008 bis 2017 sei durch den Landkreis Anhalt-Bitterfeld bzw. das Jobcenter KomB-ABI ausschließlich Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart worden. Für die in diesem Zeitraum eingegangenen Altersteilzeitverpflichtungen seien nicht abrechnungsfähige Kosten in der Freistellungsphase der Altersteilzeit in Höhe von 1.756.215,37 € entstanden, davon entfielen für Verpflichtungen, die in den Jahren 2011 bis 2014 bestanden hätten, Kosten in Höhe von 1.278.310,03 € (wegen der Einzelheiten wird auf die Tabelle Blatt 244 der Gerichtsakte verwiesen).
Die Klägerin ignoriere die Deckungslücke, die zwischen den nach ihrer Auffassung erstattungsfähigen Kosten und den tatsächlichen Kosten bestehe und es sei kein Grund für eine unterschiedliche Behandlung der der KoA-VV unterliegenden Optionskommunen bei der Finanzierung der Altersteilzeitmodelle ersichtlich. Nach
§ 6b SGB II seien sämtliche Kosten zu tragen. Auch die Kosten nach dem ATZG während der Freistellungsphase seien Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Zu berücksichtigen sei, dass die Beschäftigten nach dem ATZG grundsätzlich die Wahl hätten, Altersteilzeit im Block- oder im Teilzeitmodell zu vereinbaren. Eine Versagung könne nur auf dienstliche oder betriebliche Gründe gestützt werden, die über die typischen, regelmäßig mit einer Altersteilzeitarbeit verbundenen Belastungen hinausgingen. Arbeitgeber bzw. Dienstherrn seien somit grundsätzlich nicht frei, ihren Beschäftigten Altersteilzeit im Blockmodell zu verwehren. Wenn die fehlende Übernahme der ATZG-Kosten für Arbeitnehmer im Blockmodell dazu führe, dass der Beklagte seinen Arbeitnehmern keine Altersteilzeit im Blockmodell mehr genehmigen könne, stelle dies einen Eingriff in seine Personalhoheit und Verletzung von Art. 28 GG dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Gerichtsakte und des von der Klägerin eingereichten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen, der vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten die Zahlung von 1.595.901,15 € verlangen.
Streitgegenstand ist die Erstattung von Verwaltungskosten für die Haushaltsjahre 2011 bis 2014.
Das LSG ist erstinstanzlich nach § 29 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig. Danach entscheiden die Landessozialgerichte über Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b SGB II.
Die örtliche Zuständigkeit des LSG Berlin-Brandenburg folgt aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage ist auch begründet.
1. Die Klägerin hat einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten aus § 6b Abs. 5 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 der KoA-VV.
Nach § 6b Abs. 5 SGB II kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von dem zugelassenen kommunalen Träger die Erstattung von Mitteln verlangen, die er zulasten des Bundes ohne Rechtsgrund erlangt hat, wobei nach allgemeiner Auffassung die Rückforderung von Bundesmitteln bereits aus haushaltsrechtlichen Gründen regelmäßig angezeigt ist und nur in atypischen Fällen unterbleiben kann (Rixen/Weißenberger in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 6 Buchst. b Rn. 17). Anhaltspunkte für einen atypischen Fall bestehen im vorliegenden Fall nicht. Insofern kann dahinstehen, ob das Wort „kann“ im Wortlaut von § 6b Abs. 5 S. 1 SGB II überhaupt zum Ausdruck bringen soll, dass eine Entscheidung nach Ermessen zu treffen ist oder ob es sich um ein sogenanntes „Kompetenz-Kann“ handelt, durch das die Befugnis eingeräumt wird, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine im Gesetz selbst abschließend bestimmte Maßnahme durchzuführen (zum Diskussionsstand und mit weiteren Nachweisen s. König: Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Bundes gegen Optionskommunen, NZS 2022, 927f.,929). Der zu erstattende Betrag ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
Voraussetzung ist, dass der Beklagte Mittel der Klägerin ohne Rechtsgrund erlangt hat, d.h. entweder die Abrechnung der Verwaltungskosten im vorliegenden Fall nicht mit der objektiven Rechtslage übereinstimmte und/oder dem Beklagten kein Rechtsgrund zur Seite steht, das aufgrund der Vermögensverschiebung Erlangte behalten zu dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2013 – B 4 AS 74/12 R –, juris, Rn. 27, noch zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch).
Die Ermittlung der von der Klägerin zu erstattenden Verwaltungskosten richtet sich nach der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages beschlossenen Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift (KoA-VV), die die zwischen den Beteiligten bestehende Finanzbeziehung konkretisiert und eine Verordnung nach
§ 48 Abs. 3 SGB II [bzw. nach Art 84 Abs. 2 GG] darstellt. Nach § 48 Abs. 3 SGB II kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften für die Abrechnung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erlassen. Damit soll Einheitlichkeit, Transparenz und Rechtssicherheit bei der Abrechnung von Aufwendungen und der Bewirtschaftung von Bundesmitteln im HKR-Verfahren geschaffen, der Verwaltungsaufwand reduziert, das Abrechnungsverfahren vereinfacht und Doppelabrechnungen durch weitgehende Pauschalierung von Verwaltungskosten vermieden, ein verbindliches Verfahren bei der Berechnung und Bewirtschaftung des kommunalen Finanzierungsanteils an den Verwaltungskosten erreicht und eine Gleichbehandlung der zugelassenen kommunalen Träger mit anderen Organisationsformen sichergestellt werden (vgl. dazu Begründung zur KoA-VV: BR-Drs. 180/08, Seite 2). Die Vorschriften der KoA-VV sind grundsätzlich geeignet, diese Ziele zu verwirklichen. Es wurde damit ein Ausgleich zwischen einer notwendigen weitgehenden Vereinheitlichung der Abrechnungsvorgänge und der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie i.S.v. Art. 28 Abs. 2 GG hergestellt (so auch BR-Drs. 180/08 Seite 92). Der Bundesrechnungshof sieht die Vorschriften der KoA-VV als geeignet an, die für Zeiträume vor deren Einführung von ihm festgestellten Mängel bei der Bemessung der vom Bund zu tragenden Verwaltungskosten zu beheben und die Einheitlichkeit der Abrechnung der Aufwendungen der zkT sicherzustellen (vgl. Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 08.12.2008 - BT-Drs 16/11000 Seite 154). Der Senat sieht ebenfalls die KoA-VV als grundsätzlich geeignet an, die Finanzbeziehung zwischen Bund und zkT weiter in Bezug auf die Abrechnungsmaßstäbe insbesondere der Verwaltungskosten zu konkretisieren (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. Dezember 2017 – L 11 AS 391/14 KL –, Rn. 66, juris).
Ob der Beklagte die streitgegenständlichen Kosten richtig nach Maßgabe der KoA-VV abgerechnet hat, d.h. wie der Begriff der Pauschale in den §§ 20 bis 23 der KoA-VV zu verstehen ist, kann dahinstehen.
Denn dem Beklagten steht jedenfalls kein Rechtsgrund zur Seite, das aufgrund der Vermögensverschiebung Erlangte behalten zu dürfen.
2. Der Beklagte ist vielmehr nach § 30 Abs. 3 Satz 2 KoA-VV verpflichtet, zu viel abgerufene Bundesmittel zu erstatten.
§ 6b Abs. 2 S. 1 SGB II formuliert das gesetzliche Leitbild. Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten müssen danach in dem Umfang erstattet werden, wie sie bei dem zugelassenen kommunalen Träger tatsächlich entstanden sind. Nach neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung ist unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 6b SGB II im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art 104a Abs. 1, Art 91e GG sowie der in der KoA-VV ausgeformten Abrechnungsmodalitäten zwischen dem Bund und u.a. den zugelassenen kommunalen Trägern der Begriff der Aufwendungen in § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II im Sinne einer echten Ausgabe zu verstehen (BSG, Urteil vom 25. April 2023 – B 7/14 AS 69/21 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 15).
Der Gesetzgeber habe für den bei einer (alternativen) Ausführung des Gesetzes in gemeinsamen Einrichtungen auf den Bund entfallenden Aufgabenteil einschließlich der für die Aufgabenerfüllung notwendigen Verwaltungsausgaben mit Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich nur eine auf die notwendigen Ausgaben beschränkte Kostentragung des Bundes festschreiben wollen (vgl. BR-Drucks 186/10 S. 4). Trotz der von Art. 91e GG abweichenden Wortwahl der "Aufwendung" in § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II sollten nur die rechtlichen Grundlagen der Finanzbeziehung zwischen Bund und kommunalen Trägern bereichsspezifisch klarstellend geregelt werden (BSG, Urteil vom 25. April 2023 – B 7/14 AS 69/21 R –, Rn. 19 unter Verweis auf BT-Drs. 17/1555 S. 16 zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende).
Diesen gesetzlichen Vorgaben korrespondieren die Regelungen der KoA-VV, die für den Fall des Mittelabrufs im HKR-Verfahren einen bedarfsgerechten Mittelabruf (§ 30 Abs. 1 KoA-VV) und in § 30 Abs. 3 die Erstattung nicht bedarfsgerecht abgerufener Mittel vorschreibt.
So heißt es in der Begründung zu § 16 (Grundsätze der Abrechnung) bei der Abrechnung der Pauschalwerte ist auf den Gleichklang mit der bedarfsgerechten Mittelbewirtschaftung im HKR-Verfahren zu achten (Drs. 180/08 S. 39). Auch im Rahmen der Pauschalabrechnung können Aufwendungen nur insoweit abgerechnet werden, als sie einer wirtschaftlichen, sparsamen und ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen. Dies ergibt sich bereits aus höherrangigem Recht, insbesondere aus § 3 Abs. 1 S. 4 SGB II und aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Ferner heißt es in der Begründung zur KoA-VV zu § 16 Absatz 1 „Eine Abrechnung von Aufwendungen, die das zugewiesene Budget überschreiten, ist ausgeschlossen. Dem zugelassenen kommunalen Träger stehen mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, um eine Budgetüberschreitung zu vermeiden. Zusätzlich zu den Möglichkeiten der vorausschauenden Personal- und Maßnahmeplanung, können niedrigere Pauschalwerte als die im Unterabschnitt zwei vorgesehenen Höchstwerte abgerechnet werden. Dies wird in den Regelungen über die Abrechnung von Pauschalsätzen (§ 20-23) mit der Formulierung „bis zu“ klargestellt.“
Ob der Auffassung der Klägerin zu folgen ist, dass es sich bei den genannten Pauschalen in dem Sinne um „Höchstbetragspauschalen“ handelt, dass zunächst eine Spitzabrechnung bis zu einer gewissen Höchstgrenze, die dann als Pauschale wirkt, zu erfolgen hat, konnte der Senat dahinstehen lassen. Jedenfalls handelt es sich sowohl nach dem Wortlaut als auch insbesondere nach der systematischen Stellung nicht um eine Pauschale im üblichen Sinne, bei der die tatsächliche Höhe der Kosten nicht überprüft wird. Es handelt sich vielmehr um Pauschalen, die im Lichte der nicht nur einfachgesetzlich, sondern auch verfassungsrechtlich gebotenen Beschränkung der Übernahme lediglich notwendiger Aufwendungen der kommunalen Träger durch den Bund und dem daraus folgenden Gebot der bedarfsgerechten Mittelbewirtschaftung im HKR-Verfahren zu bewerten sind. Sie eröffnen dem kommunalen Träger zwar einen gewissen Spielraum, beispielsweise bei der Mittelverwendung im Rahmen des Gesamtbudgets im Sinne des § 46 Absatz 1 S. 5 SGB II, sind aber ihrerseits nur abrechenbar, wenn sie einer wirtschaftlichen, sparsamen und ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen.
Letztlich kann der Senat die genaue rechtliche Bewertung und Einstufung der Pauschalen i.S.d. KoA-VV offenlassen. Denn jedenfalls ist die Bildung von Rücklagen mit Bundesmitteln im Sinne einer Sparmaßnahme zum Ausgleich ungewisser künftiger Investitionen oder Belastungen grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. ausdrücklich die Begründung zu § 30 Abs. 2 KoA-VV, BR-Drs. 180/08 S. 53 (115). Nach dem Leitbild der KoA-VV können Rücklagen aus Bundesmitteln schon deswegen nicht gebildet werden, „da ein bedarfsgerechter Mittelabruf die Erwirtschaftung eines Überschusses im Verwaltungshaushalt ausschließt“ (Begründung zu § 30 Abs. 2 a.a.O.). Zur Begründung zu Absatz 3 der Vorschrift heißt es insoweit „um Erstattungsansprüche des Bundes wegen nicht bedarfsgerechten Mittelabrufes zu vermeiden, ist der zugelassene kommunale Träger gehalten, zu viel abgerufene Bundesmittel mit den folgenden Mittelabrufen des Haushaltsjahres schnellstmöglich zu verrechnen bzw. die Bundesmittel zurückzuerstatten.
3. Nicht zu erstatten wären hingegen zulässige Rückstellungen. a. Derartige Rückstellungen hat der Beklagte jedoch – über die von ihm am 9. August 2018 und 13. August 2018 übermittelten und von der Klägerin anerkannten Rückstellungen hinaus – schon nicht gebildet.
Insoweit hat der Beklagte auch im Berufungsverfahren tatsächliche Rückstellungen bereits nicht substantiiert vorgetragen. Sollten höhere Rückstellungen zu berücksichtigen sein, wäre die Entstehung der Rückstellungsbeträge nachzuweisen, je Haushaltsjahr auszuweisen und die tatsächlich erfolgte Rückstellung zu belegen. Der Beklagte hat jedoch lediglich mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2022 eine unüberprüfbare Tabelle über 14 Beschäftigte in der Altersteilzeit (ATZ) mit dem frühesten Beginn der ATZ am 1.2.2008/Beginn der Freistellung 1.8.2011 bis zu einem Beginn der ATZ am 1.8.2014 und einem Beginn der Freistellung am 16.10.2021 zur Akte gereicht. In diese Tabelle hat er „bisher nicht abgerechnete Kosten“ gleichgesetzt mit Rückstellungen „(= Rückstellungen)“ und diese insgesamt mit einem Saldo von 1.278.310,03 € angegeben. Schon der Vortrag, dass für die Beschäftigten in Altersteilzeit im Blockmodell in den Jahren 2011 bis 2014 Kosten i.H.v. 1.278.310,03 € bestanden hätten, ist mit dieser Tabelle nicht schlüssig vorgetragen. Der Beklagte trägt auch selbst vor, dass er diese Kosten in der von ihm der Klägerin übermittelten Zusammenstellung der „Ermittlung(en) der Ausgaben für die Abrechnung der Verwaltungskosten für die Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014“ nicht angegeben hat, weil aus diesen nach § 30 Abs. 2 KoA-VV keine Rückstellungen hätten gebildet werden dürfen.
Letzteres ist sowohl nach Wortlaut als auch systematischer Stellung der Regelung zutreffend.
Rückstellungen im Sinne der Verwaltungsvorschrift ist die Vorsorge für drohende und lediglich hinsichtlich der Höhe oder des Zeitpunktes noch nicht feststehende Aufwendungen. Im Unterschied zu den Rücklagen liegt die Ursache für die mit Rückstellungen abzusichernden Aufwendungen im aktuellen Haushaltsjahr. Es muss bereits ein Ereignis eingetreten sein, das eine hiermit im Zusammenhang stehende Aufwendung zur Folge haben könnte. Die Bildung von Rückstellungen ist nur für die vorgesehenen Anwendungsbereiche zulässig (Begründung a.a.O.). Nach § 30 Abs. 2 S. 2 KoA-VV in der hier anzuwendenden Fassungen vom 10. November 2010 (BAnz Nr. 176, S. 3876) und vom 16. Dezember 2013 (BAnz AT 23.12.2013 B1) - gültig ab 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2013 und 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2014 - ist die Bildung von Rückstellungen nur für Versorgungsaufwendungen nach
§ 12 sowie für Altersteilzeitbeschäftigte im Blockmodell nach § 2 Abs. 2 und 3 des Altersteilzeitgesetzes aus den Differenzen zwischen den nach § 19 Abs. 4 S. 1 anerkennungsfähigen Personalausgaben und den tatsächlichen Aufwendungen während der Aktivphase (§ 19 Abs. 4 S. 2) zulässig. Personalkosten während der Freistellungsphase werden nicht anerkannt.
b. Der Rechtsauffassung des Beklagten, er sei zu einer Rückerstattung der abgerufenen Mittel an die Klägerin deswegen nicht verpflichtet, weil er entgegen § 30 Abs. 2 KoA-VV auch zur Bildung von Rückstellungen für seine Personalkosten für Beschäftigte im Blockmodell nach dem Altersteilzeitgesetz während der Freistellungsphase berechtigt sei, kann nicht gefolgt werden.
Wie dargestellt ist dies nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung unzutreffend. Es liegt insoweit auch keine Regelungslücke vor. Vielmehr ist der Ausschluss der Möglichkeit für Aufwendungen Rückstellungen zu bilden, die während der Freistellungsphase für Arbeitnehmer im Blockmodell der Altersteilzeit entstehen, ausdrücklich gewollt.
Der Senat verkennt nicht, dass es für den Beklagten misslich ist, dass die durch die Regelungen des ATZG auch während der Freistellungsphase bewirkten höheren Aufwendungen durch Aufstockungsbeträge zum Entgelt und zur Rentenversicherung nicht auf den Bund abgewälzt werden können. Diese zusätzlichen Kosten sind aber nicht durch den Einsatz der Beschäftigten für Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende bedingt, sondern durch deren Inanspruchnahme von Altersteilzeit. Durch die Übernahme der tatsächlichen Personalkosten während der Tätigkeit im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 19 Abs. 1 KoA-VV) ergibt sich in der Tat, dass für Beschäftigte, die die Altersteilzeit im kontinuierlichen Modell durchführen – faktisch - auch die durch die Regelungen des ATZG bedingten Zusatzkosten vom Bund getragen werden. Während die Zusatzkosten für Arbeitnehmer, die in einem Zeitraum entstehen, in denen diese keine Tätigkeiten für den Bund mehr entfalten – während der sog. Freistellungsphase, in der Regel auch erst in späteren Haushaltsjahren - beim kommunalen Träger verbleiben.
Dieser Umstand wurde jedoch von der Bundesregierung und den Ländern beim Erlass der Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2 GG gesehen, wie sich aus der Begründung der Bundesratsdrucksache ergibt. In der Begründung zu § 19 Abs. 4 KoA-VV heißt es hierzu:
„So können im Fall des Blockmodells die regulären Vollzeitentgelte beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales abgerechnet werden. Personalausgaben für Personen in der Freistellungsphase sind nicht erstattungsfähig. Vom Arbeitgeber zusätzlich zu entrichtende Beiträge an die Rentenversicherung bleiben bei der Bemessung des regulären Vollzeitentgeltes unberücksichtigt. Der sich durch die Abrechnung des Vollzeitentgeltes ergebende Differenzbetrag während der Aktivphase kann für Rückstellungen nach § 30 Absatz 2 genutzt werden. Aufgrund der nach Altersteilzeitgesetz und Tarifvertrag vorgesehenen Aufstockungsbeträge zum Entgelt und zur Rentenversicherung wird der rückstellungsfähige Differenzbetrag regelmäßig niedriger sein als die für die Altersteilzeit entstehenden Kosten. Dies ist sachgerecht, da die Kosten der Altersteilzeit nicht allein durch den Betrieb der besonderen Einrichtung verursacht werden.“ (BR- Drucksache 180/08 – S. 106 - Begründung Teil B zu § 19, S. 44).
c. Auch der Einwand des Beklagten, § 30 Abs. 2 KoA-VV sei unbeachtlich, da die Regelung wegen der Ungleichbehandlung der Fälle der Inanspruchnahme von Altersteilzeit nach dem Blockmodell und nach dem kontinuierlichen Modell gegen Art. 3 GG verstoße, greift nicht durch. Der beklagte Landkreis kann schon deswegen eine Verletzung des Art. 3 GG nicht mit Erfolg geltend machen, weil er als Gebietskörperschaft einen Grundrechtsschutz insoweit nicht beanspruchen kann.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich insoweit auf die justiziellen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und aus Art. 103 Abs. 1 GG berufen (BVerfGE 61, 82,104; 138, 64, 83 Rn. 55 m.w.N.). Materielle Grundrechte können sie jedoch grundsätzlich nicht geltend machen.
Die anerkannten Ausnahmen von diesem Grundsatz greifen nicht ein. Das Bundesverfassungsgericht hat Ausnahmen für solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts anerkannt, die von den ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind (vgl. BVerfGE 15, 256 <262>; 31, 314 <322>; 59, 231 <254>; 107, 299 <309 f.>) oder kraft ihrer Eigenart ihm von vornherein zugehören (vgl. BVerfGE 18, 385 <386 f.>; 102, 370 <387 ff.>). Bei diesen Ausnahmen handelt es sich durchweg um juristische Personen des öffentlichen Rechts, die im Umfang der jeweiligen Zuordnung Bürgern auch zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen, und die als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen bestehen (vgl. BVerfGE 45, 63 <79>;61, 82 <102 f.>; 68, 193 <207>; 75, 192 <196 f.>). Ihre Tätigkeit betrifft insoweit nicht den Vollzug gesetzlich zugewiesener hoheitlicher Aufgaben, sondern die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten (vgl. BVerfGE 68, 193 <207>).
Das Bestehen der Gebietskörperschaft des Beklagten ist hingegen Ausdruck des Staatsaufbaus und dient nicht etwa der freien Entfaltung hinter ihm stehender natürlicher Personen, auf die ein "Durchgriff" sinnvoll oder erforderlich erscheint. Dem Beklagten fehlt die erforderliche Distanz zum Staat (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. Dezember 2020 – 1 BvR 1395/19 –, Rn. 32f., 35, juris).
d. Dem Erstattungsanspruch der Klägerin steht auch Verfassungsrecht, insbesondere Art. 28 Abs. 2 GG, nicht entgegen. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG haben auch die Gemeindeverbände, wie vorliegend der Landkreis, im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Hat der Gesetzgeber u.a. Kreisen Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen, fällt deren Erledigung grundsätzlich in den Gewährleistungsbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG. Ihnen steht dann das Recht zu, die ihnen zugewiesenen Aufgaben eigenverantwortlich zu regeln. Daraus folgt eine Gebiets-, Planungs-, Organisations-, Finanz- und Personalhoheit der Kommunen, deren effektive Inanspruchnahme der Staat im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung garantieren muss (vgl. BVerfG vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 juris Rn 117 ff; zuletzt BVerfG vom 7.7.2020 - 2 BvR 696/12 - NJW 2020, 3232, Rn 52 f).
Die durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützte Personalhoheit der Kommunen (vgl. BVerfGE 1, 167 <175>; 8, 332 <359>; 9, 268 <289>; 17, 172 <181>; 83, 363 <382>; 91, 228 <245>; vgl. auch BVerfGE 119, 331 <381>) ist vorliegend nicht verletzt.
Die Personalhoheit verbietet staatliche Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit die Befugnis, die Gemeindebeamten und sonstigen Beschäftigten auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen (vgl. BVerfGE 17, 172 <181 f.>; 91, 228 <245>). ersticken würden (BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 – 2 BvR 696/12 –, BVerfGE 155, 310-357, Rn. 57 i.V.m. Rn 52; BVerfGE 137, 108 <158 Rn. 117>; Schmidt-Jortzig, in: v. Mutius, Festgabe für v. Unruh, 1983, S. 525 <527>).
Diese verfassungsrechtlichen Garantien werden nicht dadurch verletzt, dass der Beklagte keinen Ersatz für Personalkosten verlangen kann, die ihm bei der Inanspruchnahme des Blockmodells nach dem Altersteilzeitgesetz in der sog. Freistellungsphase entstehen.
Der Beklagte ist in seiner Entscheidung, ob er Arbeitnehmern eine Beschäftigung in Altersteilzeit im Blockmodell oder im sogenannten kontinuierlichen Modell gewährt, faktisch frei. Soweit er vorträgt, dass er schon aufgrund der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als Arbeitgeber bzw. Dienstherr faktisch keine Möglichkeit habe, Anträge auf Genehmigung von Altersteilzeit im sogenannten Blockmodell abzulehnen, widerspricht er im Übrigen bereits seinem Vortrag, dass die fehlende Übernahme der ATZG-Kosten einen Eingriff in seine Personalhoheit darstelle. Die Genehmigung von Altersteilzeit ist schon nach seinem eigenen Vortrag unabhängig davon, wer letztlich die hierdurch entstehenden Zusatzkosten trägt. Die Befugnis des Beklagten zur eigenverantwortlichen Auswahl, Anstellung, Beförderung und Entlassung seiner Angestellten und Beamten jedenfalls wird nicht durch die fehlende Möglichkeit, die hierdurch entstehenden Kosten auf den Bund abzuwälzen, erstickt. Diese Grenze ist nicht im Ansatz erreicht.
3. Nach alledem ist der Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin geltend gemachten, nicht bedarfsgerecht abgerufenen Mittel zu erstatten. Hinsichtlich der Berechnung der Klägerin und des insoweit ermittelten Betrages von 1.595.901,15 € sind substantiierte Einwände vom Beklagten nicht vorgetragen worden und für den Senat Fehler nicht ersichtlich.
a. Dem Erstattungsanspruch in dieser Höhe steht auch nicht die sogenannte Haftungskernrechtsprechung entgegen, der zufolge die Haftung des Beklagten auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt wäre.
Insoweit verweist der Senat auf seine Rechtsprechung zur Nicht-Anwendung der sog. Haftungskernrechtsprechung auf die Abrechnung von Verwaltungskosten im Rahmen des § 6b Abs. 5 SGB II (Urteil vom 18. August 2020 - L 20 AS 2625/17 KL – juris Rn. 66 ff). Die Auffassung des erkennenden Senats wird bestätigt vom BSG, das hierzu in der Entscheidung vom 25. April 2023 – B 7/14 AS 69/21 R – (juris Rn. 26) Folgendes ausgeführt hat:
„Dahingestellt bleiben kann, ob an der vor Einführung des Art 91e GG bzw. des § 6b Abs. 5 SGB II zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergangenen und Art 104a Abs. 5 Satz 1 GG entlehnten Rechtsprechung insbesondere angesichts des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte des § 6b Abs. 5 SGB II festzuhalten ist. Danach bestand ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nicht bereits bei bloß fahrlässiger Falschanwendung des Gesetzes, sondern lediglich bei grob fahrlässigem oder gar vorsätzlichem Fehlverhalten (vgl. BSG vom 2.7.2013 - B 4 AS 72/12 R - BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr. 1 RdNr. 49 und - B 4 AS 74/12 R - SozR 4-4200 § 6b Nr. 2). Denn die dem Bund durch § 6b Abs. 4 SGB II eröffnete Finanzkontrolle über die Optionskommunen, deren Ausfluss ggf. ein Erstattungsanspruch nach § 6b Abs. 5 Satz 1 SGB II sein kann, dient nicht der Sicherstellung eines einheitlichen Gesetzesvollzugs im Wege der Rechts- und Fachaufsicht. Sie eröffnet keine Aufsichtsbefugnisse des Bundes und hat auch keine "aufsichtsgleiche" Wirkung. Die Regelung beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf die Kontrolle der finanziellen Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, von der Möglichkeit des Art 91e Abs. 2 GG Gebrauch zu machen (BVerfG vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 RdNr. 182 m.w.N). Sie ermöglicht insoweit eine effektive Finanzkontrolle, die die Finanzinteressen des Bundes absichert und durch die gesetzlichen Prüfbefugnisse des Bundes gewährleistet, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, soweit die Aufwendungen des zkT auf einem gesetzmäßigen Mitteleinsatz beruhen (BVerfG vom 7.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - BVerfGE 137, 108 = SozR 4-1100 Art 91e Nr. 1 RdNr. 180 unter Verweis auf BT-Drucks 17/1555 S 19)“ (BSG, Urteil vom 25. April 2023 – B 7/14 AS 69/21 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 26).
b. Die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs ist auch nicht, wie der Beklagte meint, verwirkt.
Das grundsätzlich auch im Sozialrecht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) anerkannte Rechtsinstitut der Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr. vgl. BSGE 109, 22, BSGE 112, 141-156, juris Rn. 36; BSG, Urteil vom 11. September 2019 – B 6 KA 13/18 R –, juris Rn. 26).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere hat die Klägerin mit der Schaffung der mit Zustimmung der Länder erlassenen Verwaltungsvorschrift keinen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass im HKR-Verfahren nicht bedarfsgerecht abgerufene Mittel in Form der Berücksichtigung von die tatsächlichen Ausgaben weit übersteigenden Pauschalen behalten werden dürfen. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Regelung des § 30 Abs. 3 Satz 3 KoA-VV sowie die oben referierte ausdrückliche Begründung zur Art der in § 16 KoA-VV vorgeschriebenen Pauschalen (Drs. 180/08 S. 39) zeigt.
Der Vortrag, die Klägerin hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt genauere Prüfungen durchführen müssen, um Kenntnis von den maßgeblichen Sachverhalten zu erhalten und auf diese Weise derart späte Rückforderungen zu vermeiden, stellt bereits kein aktives Verwirkungsverhalten dar. Nichtstun, also Unterlassen, kann ein schutzwürdiges Vertrauen ausnahmsweise allenfalls dann begründen und zur Verwirkung des Rechts führen, wenn der Schuldner dieses als bewusst und planmäßig erachten darf (vgl. BSG Urteil vom 19.6.1980 - 7 RAr 14/79 - Juris Rn. 32; BSGE 47, 194, 197; BSGE 45, 38). Davon ist bei Unterlassen von Prüfmaßnahmen innerhalb der kurzen, vierjährigen Verjährungsfrist nicht auszugehen (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 24/11 R –, BSGE 112, 141-156, juris Rn. 39, zum Bereich der Krankenhausfinanzierung). Hier hat die Klägerin die nicht bedarfsgerechte Mittelverwendung durch Abrechnung von Höchstbetragspauschalen mit Schreiben vom 5. Mai 2017 und somit noch innerhalb der allgemeinen vierjährigen Verjährungsfrist des § 45 SGB I geltend gemacht.
c. Für einen vom Beklagten geforderten ein Abzug wegen Mitverschuldens (§ 254 BGB), weil die Klägerin ihre Obliegenheit gegenüber dem Beklagten verletzt habe, diesen auf mögliche rechtswidrige Umstände hinzuweisen und Möglichkeit zur Abhilfe zu geben, ist kein Raum. Im Übrigen ist § 254 BGB auf Schadensersatzansprüche beschränkt (siehe nur Grüneberg in Palandt, BGB, 72. Auflage, § 254 Rn. 2 und 5) und findet im Bereicherungsrecht grundsätzlich keine Anwendung (ebd. Rn. 4).
4. Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf Verzugszinsen aus § 6b Abs. 5 S. 2 und 3 SGB II, § 31 KoA-VV. Nach § 31 KoA-VV können für den nicht bedarfsgerecht abgerufenen Betrag durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die Zeit von dem Tag, der einen Monat auf den Tag des Abbruchs folgt, bis zu dem Tag der Erstattung an den Bund oder dem Tag der Ausgabe Zinsen i.H.v. 3 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz nach § 247 BGB für das Jahr verlangt werden.
Die Klägerin hat im Klageantrag vorsorglich jeweils den 31. Dezember der Jahre 2012, 2013, 2014 und 2015 als jeweils letzten Erfassungs- und Anordnungstag für die Haushaltsjahre 2011 bis 2014 in Ansatz gebracht, da sich der genaue Zeitpunkt des Mittelabrufs durch den Beklagten nicht mehr ermitteln ließ. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Gemäß § 31KoA-VV i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB beginnt die Zinspflicht folglich für die Haushaltsjahre 2011 bis 2014 mit den im Tenor bezeichneten Kalendertagen.
5. Der Klägerin steht ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung (§ 94 SGG) auch ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 2015 – B 14 AS 50/14 R –, juris Rn. 33). Nach § 291 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Zinspflicht beginnt dabei wegen § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit, hier am 23. Dezember 2017 (Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 291 Rn. 6). Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 und des § 289 Satz 1 BGB finden entsprechende Anwendung (BSG a.a.O.). Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Der Zinssatz ist nicht etwa auf die Höhe des Verzugszinssatzes nach § 6b Abs. 5 Satz 3 SGB II, der für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, zu begrenzen. Die Verzinsungspflicht nach § 291 BGB bildet zwar einen Unterfall der Verzinsung wegen Verzugs (§ 288 BGB), selbständiger Rechtsgrund von Prozesszinsen ist aber allein die Rechtshängigkeit einer Forderung (vgl. BGH, Urteil vom 14.1.1987 - IVb ZR 3/86 - juris Rn 3 m.w.N.). Der Sache nach ist der Anspruch auf Prozesszinsen mithin eine rein prozessuale, aus dem Prozessrechtsverhältnis erwachsende Nebenforderung (BAG Urteil vom 25.4.2007 - 10 AZR 586/06 - juris Rn. 11 m.w.N.), also ein vom Verschulden unabhängiger, reiner Risikozuschlag, den der Schuldner zu zahlen hat, wenn er sich auf einen Prozess einlässt und unterliegt (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2018 – B 7 AY 2/18 R –, juris Rn. 23; a.A. König: Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Bundes gegen Optionskommunen, NZS 2022, 927f., 930, der in § 6b Abs. 5 Satz 2 SGB II eine abschließende Regelung für die Verzinsung des Erstattungsanspruchs sieht).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
7. Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
8. Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz – GKG, da die Klage eine bezifferte Geldleistung betrifft, in Höhe der Geldleistung festzusetzen.