L 29 AS 1304/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 201 AS 2345/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 1304/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

            Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

 

            Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

 

            Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Gründe

 

I.

 

Der Kläger begehrt vom Beklagten höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für September 2019 bis Februar 2020.

 

Der 1955 geborene, alleinstehende Kläger bewohnte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum unter der aus dem Rubrum ersichtlichen Anschrift eine Mietwohnung mit einer Grundmiete von 575,00 €, Heizkosten von 85,00 € und Nebenkosten von 100,00 € und war als Rechtsanwalt tätig. Seit 2015 befand er sich ausweislich eines dem Beklagten mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 zur Kenntnis gegebenen, keine Diagnose ausweisenden Attestes des Nervenarztes Dr. P vom 24. September 2019 bei diesem in Behandlung.

 

Auf einen Weiterbewilligungsantrag, dem eine vorläufige Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (EKS) vom 26. August 2019 beigefügt war, bewilligte ihm der Beklagte im Hinblick auf die aus der rechtsanwaltlichen Tätigkeit zu erzielenden Einnahmen mit Bescheid vom 30. August 2019 vorläufig Leistungen zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) von 20,55 € monatlich für September bis November 2019 und für Dezember 2019 bis Februar 2020 keine Leistungen. Auf den Widerspruch des Klägers änderte der Beklagte im Hinblick auf von diesem geltend gemachte höhere zu erwartende Betriebsausgaben die vorläufige Leistungsbewilligung mit Bescheiden vom 22. Oktober 2019, 23. November 2019 und 16. Januar 2020 auf zuletzt 1.003,61 € monatlich für September bis Dezember 2019 sowie auf 1.011,61 € monatlich für Januar und Februar 2020 ab, wobei die tatsächlichen KdU zugrunde gelegt und vom zu erwartenden Einkommen nach Einkommensbereinigung 180,39 € monatlich berücksichtigt wurden. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2020 als unbegründet zurück.

 

Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 20. März 2020 zur Einreichung der Anlage EKS und von Belegen der Betriebseinnahmen und –ausgaben mit den entsprechenden Nachweisen mit Frist bis zum 20. Juni 2020 auf und wies ihn auf die mögliche Feststellung eines nicht bestehenden Anspruchs und auf eine mögliche Erstattung der vorläufig bewilligten Leistungen hin. Den Verwaltungsakten lassen sich hiernach betreffend den verfahrensgegenständlichen Zeitraum weder eine endgültige EKS noch hierzu eingereichte Belege entnehmen.

 

Der Kläger hat am 26. März 2020 unter seiner Kanzleianschrift Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.

 

Mit Bescheid vom 6. Juli 2020 stellte der Beklagte fest, dass ein Leistungsanspruch im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht bestand, und führte zur Begründung aus, dass der Kläger weder die endgültige Anlage EKS noch die entsprechenden Belege eingereicht habe. Mit weiterem Bescheid vom 6. Juli 2020 forderte der Beklagte vom Kläger Erstattung von 6.037,66 €.

 

Der Kläger hat behauptet, die EKS mit den entsprechenden durch den Steuerberater erstellten betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) dem Beklagten übersandt zu haben. Er hat die Auffassung geäußert, dass ihm die Vorlage der Belege, die die Angaben in der Anlage EKS stützten, aufgrund seiner anwaltlichen Schweigepflicht verboten und sie auch strafbewehrt sei. Auf den Belegen seien Personenangaben zu den Mandanten und aufgrund der angegebenen Zahlungszwecke auch Hinweise darauf, worum es sich beim Mandat handele, ersichtlich.

 

Mit Schreiben vom 15. März 2021 und – unter Fristsetzung – vom 6. Juli 2021 hat das SG den Kläger darauf hingewiesen, dass ausweislich der Verwaltungsakten die endgültige EKS für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht eingereicht worden sei und anheimgestellt werde, ggf. die Einreichung nachzuweisen. Hierauf hat die Kanzlei des Klägers unter dem 2. August 2021 lediglich mit einem Fristverlängerungsantrag reagiert. Weitere Unterlagen hat die Klägerseite nicht zu den Akten gereicht.

 

Das SG hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2021, in welcher der Kläger nicht vertreten gewesen ist, mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Es hat im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt: Nullfestsetzungs- und Erstattungsbescheid seien gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach dem klägerischen Vorbringen sei davon auszugehen, dass er sich hiergegen mit einer isolierten Anfechtungsklage wende. Die Klage sei unbegründet. Die Bescheide vom 6. Juli 2020 seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die angefochtene Nullfestsetzung sei § 41a Abs. 3 SGB II. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei eröffnet, denn der Kläger habe für den streitbefangenen Zeitraum zunächst vorläufig Leistungen nach § 41a Abs. 1 SGB II erhalten. Auch habe er weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren die EKS-Erklärung nebst den weiteren entscheidungserheblichen Unterlagen vorgelegt. Die hierfür vom Gericht gesetzte Frist sei verstrichen. Der Beklagte habe den Kläger auch zutreffend im Sinne des § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II über die Rechtsfolgen belehrt. Eine Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für eine Leistungsminderung müsse konkret, verständlich, richtig und vollständig sein, wie sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe. Die dem Kläger erteilte Belehrung beziehe sich ausdrücklich auf den sodann ergangenen Nullfestsetzungsbescheid nach § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II. Auch entspreche die in der Mitwirkungsaufforderung vom 20. März 2020 gesetzte Ausschlussfrist der Rechtsprechung des BSG, wonach eine Nachreichung der Unterlagen auch nach Ablauf der Frist und sogar im Widerspruchsverfahren zulässig sei. Anders als im in Bezug genommenen höchstrichterlich entschiedenen Fall sei der endgültige Festsetzungsbescheid vorliegend Gegenstand eines laufenden Klageverfahrens, so dass eine Belehrung über die Einreichung in einem Widerspruchsverfahren unzutreffend gewesen wäre. Schließlich sei die gesetzte Frist von drei Monaten angemessen. Auch den gesundheitlichen Problemen des Klägers habe der Beklagte hinreichend Rechnung getragen, zumal der Klägers als Rechtsanwalt tätig sei und in der Klagebegründung hinreichend deutlich gemacht habe, die Nachreichung von Unterlagen endgültig abzulehnen. Der Einwand, dass ihm die Einreichung von Unterlagen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich sei, sei indes unzutreffend. Denn den Bedenken des Klägers habe durch einfaches Schwärzen der relevanten Daten Genüge getan werden können. Erweise sich die Nullfestsetzung demnach als rechtmäßig, seien die vorläufig gewährten Leistungen gemäß § 41a Abs. 6 S. 3 SGB II in voller Höhe (viermal 1.003,61 zzgl. zweimal 1.011,61 = 6.037,66 €) vom Kläger zu erstatten.

 

Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Oktober 2021 unter seiner Privatanschrift zugestellte Urteil am 8. November 2021 Berufung eingelegt und ausgeführt, ihm sei das Urteil am 6. Oktober 2021 zugestellt worden.

 

Eine endgültige EKS nebst Belegen legte der Kläger bis zum Schluss des Berufungsverfahrens nicht vor.

 

Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. September 2021 sowie die Bescheide des Beklagten vom 6. Juli 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. September 2019 bis zum 29. Februar 2020 höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 18. September 2023 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss der drei Berufsrichter des Senats beabsichtigt ist.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

 

II.

 

Die Berufung ist gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

 

Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens sind neben dem angefochtenen Urteil nur noch die Bescheide des Beklagten vom 6. Juli 2020. Diese sind, nachdem sich die Klage zunächst gegen die vorläufigen Leistungs- bzw. Änderungsbescheide des Beklagten vom 30. August 2019, 22. Oktober 2019, 23. November 2019 und 16. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2020 gerichtet hatte, sowohl mit der endgültigen Leistungsfestsetzung als auch mit der Erstattungsverfügung gemäß § 96 Abs. 1 SGG  zum Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden (vgl. etwa Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. Januar 2024 – L 2 AS 416/21 -, zitiert nach juris), wobei sich die in den vorgenannten vorläufigen Leistungs- bzw. Änderungsbescheiden enthaltene vorläufige Bewilligung durch Zeitablauf erledigt hat, weil die Leistungen inzwischen endgültig festgesetzt wurden (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18. Mai 2022 – B 7/14 AS 1/21 R -, zitiert nach juris). Der Sache nach geht es dem Kläger um höhere als zuletzt bewilligte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von September 2019 bis Februar 2020. Zudem wendet er sich gegen die vom Beklagten geltend gemachte Erstattung.

 

Die Berufung ist zulässig, insbesondere innerhalb der gemäß § 151 Abs. 1 SGG einmonatigen Berufungsfrist eingelegt, wobei die Vorschrift auf die Zustellung als fristauslösendes Ereignis abstellt. Soweit eine solche durch die Postzustellungsurkunde vom 5. Oktober 2021 dokumentiert zu sein scheint, trifft dies nicht zu, weil die Postzustellungsurkunde entgegen § 73 Abs. 6 S. 6 SGG an die damalige Privatanschrift und nicht an die aufgrund des allgemeinen Grundsatzes des Selbstvertretungsrechts (vgl. etwa Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG – Kommentar, 14. Aufl. 2023, § 73 Rn. 53 m.w.N.) maßgebliche Kanzleianschrift des Klägers adressiert gewesen ist. Soweit die Zustellung mithin fehlgeschlagen ist, ist auf den 6. Oktober 2021 als fristauslösendes Ereignis abzustellen. Denn an diesem Tag ist von einer Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 189 Zivilprozessordnung (ZPO) im Wege des hierfür maßgeblichen tatsächlichen Zugangs auszugehen. Soweit der Kläger in der Berufungsschrift den 6. Oktober 2021 unrichtig als Zustellungsdatum angibt, geht der Senat davon aus, dass der Tag des tatsächlichen Zugangs unter der Kanzleianschrift gemeint ist. Dementsprechend ein fristauslösendes Ereignis am 6. Oktober 2021 zugrunde gelegt, hat gemäß § 64 Abs. 1 SGG die Frist tags darauf am 7. Oktober 2021 zu laufen begonnen und ist sie gemäß § 64 Abs. 2 SGG zunächst am 6. November 2021 als dem seiner Zahl nach entsprechenden Tag des fristauslösenden Ereignisses geendet; da dies ein Samstag war, hat sich das Fristende gemäß § 64 Abs. 3 SGG auf den kommenden Montag, den 8. November 2021, verschoben, an welchem die Berufung bei Gericht eingegangen ist.

 

Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.

 

Statthafte Klageart ist bei der gemäß § 123 SGG gebotenen verständigen Würdigung des klägerischen Gesamtvorbringens die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt., Abs. 4 SGG. Eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und 2, § 56 SGG) kommt nicht in Betracht, weil der Kläger weitere als die bislang ausgekehrten Geldleistungen beansprucht (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 R –, zitiert nach juris Rn. 10).

 

Die Klage ist unbegründet.

 

Der Beklagte war zur im angegriffenen Bescheid vom 6. Juli 2020 getroffenen Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, berechtigt und verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II lagen vor. Gemäß § 41a Abs. 3 SGB II entscheiden die Leistungsträger abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt (Satz 1). Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gelten entsprechend (Satz 2). Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- bzw. Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden (Satz 3). Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand (Satz 4).

 

Diese Voraussetzungen für die abschließende Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, lagen hier nicht nur zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 6. Juli 2020, sondern auch noch zum Zeitpunkt der vorliegend getroffenen Berufungsentscheidung vor.

 

Der Beklagte war gemäß § 41a Abs. 3 S. 2 SGB II i.V.m. § 60 Abs. 1, § 65 Abs. 1 SGB I berechtigt, die Vorlage einer vollständig ausgefüllten, abschließenden Anlage EKS mit den entsprechenden Nachweisen über die gemachten Einnahmen und Ausgaben zu verlangen. Hierbei handelt es sich um Daten und Unterlagen, die allein die Sphäre des Klägers betreffen, sodass dem Beklagten keine anderen, jedenfalls keine mit geringerem Aufwand verbundenen Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Insbesondere gab der Beklagte dem Kläger nicht auf, die erforderlichen Unterlagen ungeschwärzt einzureichen, so dass der vom Kläger im ausgangsgerichtlichen Verfahren erhobene Einwand der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht von vornherein nicht verfängt. Bedenken gegen die Angemessenheit der im Schreiben vom 20. März 2020 bis zum 20. Juni 2020 großzügig gesetzten Dreimonatsfrist hat der erkennende Senat im Hinblick auf den damals als Rechtsanwalt tätigen Kläger auch unter Einbeziehung seiner nervenfachärztlichen Behandlung nicht. Insbesondere stehen der hier in Frage stehenden Mitwirkungsobliegenheit nicht die in § 65 SGB I geregelten Grenzen der Mitwirkung entgegen. Es liegt keine Verletzung der in § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I für die Mitwirkungsobliegenheiten niedergelegten spezifischen Maßgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vor. Hiernach bestehen die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht. Es handelt sich insoweit um eine Konkretisierung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Im Rahmen dieser Regelung sind die Grenzen der Mitwirkung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation durch eine Abwägung von Art und Umfang der Sozialleistung einerseits und des für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht erforderlichen Aufwands des Mitwirkungsverpflichteten andererseits zu konkretisieren (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 – B 4 AS 42/12 R –, zitiert nach juris Rn. 20).

 

Da die Angaben über die Betriebseinnahmen und –ausgaben eines Selbständigen im Rahmen der vom Beklagten abgeforderten endgültigen EKS für die Bedarfsberechnung essentiell sind, steht die geforderte Obliegenheit auch nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck, zumal nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen wäre, die endgültige EKS einzureichen, wo er doch die hierfür nötigen Angaben eigenem Vorbringen zufolge bereits zur Erstellung der BWA gemacht haben musste.

 

Es ist auch nicht erkennbar, dass sich der Grundsicherungsträger die vom Kläger gewünschten Informationen auf leichtere Weise beschaffen könnte, was gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I Grenzen der Mitwirkungspflicht des Klägers aufgezeigt hätte.

 

Der Beklagte belehrte den Kläger auch hinreichend i.S.d. § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II über die Rechtsfolgen mangelhafter Mitwirkung. Eine vorherige schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen ist stets und nicht lediglich in den Fällen, in denen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihren Auskunfts- oder Nachweispflichten nicht fristgemäß nachgekommen sind, erforderlich. Diese Belehrungspflicht ersetzt als speziellere Regelung die allgemeine Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Belehrung muss in Orientierung an den vom BSG zu § 66 Abs. 3 SGB I entwickelten Maßstäben die notwendige Bestimmtheit aufweisen, damit der zur Mitwirkung Aufgeforderte eindeutig erkennen kann, was ihm bei Unterlassung der Mitwirkung droht. Daher darf sich der Hinweis nicht auf eine allgemeine Belehrung oder Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken, sondern muss unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht hinreichend nachkommt (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022 – B 4 AS 64/21 R –, zitiert nach juris Rn. 19 m.w.N.).

 

Die dem Kläger mit Aufforderungsschreiben vom 20. März 2020 erteilte Rechtsfolgenbelehrung genügte diesen Anforderungen. Denn in ihr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Beklagte feststellen muss, dass kein Leistungsanspruch bestand, soweit der Kläger seiner Nachweis- und Auskunftspflicht nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommt und die erforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig einreicht.

 

Soweit es eigentlich keiner Belehrung dahingehend bedurfte, dass die vorläufig erbrachten Leistungen ggf. zu erstatten sind, weil es sich nicht um die primäre und spezifische Rechtsfolge des § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II, sondern um die sekundäre und allgemeine Rechtsfolge, handelt, die stets - unabhängig von der Anwendung des § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II - eintritt, wenn zwischen der abschließenden und der vorläufigen Bewilligung eine Differenz zu Lasten des Leistungsberechtigten besteht (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 21), erscheint es dem erkennenden Senat unschädlich, dass der Beklagte in seinem Schreiben vom 20. März 2020 gleichwohl darauf hinwies.

 

Schließlich bedurfte es keiner Belehrung darüber, dass Unterlagen noch im Widerspruchsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegt werden können. Auch dies betrifft nicht die Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II, auf die sich die Belehrungspflicht bezieht, sondern die Handlungsoptionen des Leistungsberechtigten. Im Übrigen wäre eine Belehrung dahingehend, dass die angeforderten Unterlagen innerhalb einer gesetzten Frist, im Übrigen aber auch noch später, vorgelegt werden können, in sich widersprüchlich. Die Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung  würde hierdurch gerade nicht erfüllt, sondern unterlaufen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 22).

 

Der Kläger legte weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren die angeforderten Unterlagen vor. Den Beweis für seine anderslautende Behauptung hat der Kläger weder angetreten noch erbracht.

 

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, weil die Berufung im Übrigen aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich ist.

Rechtskraft
Aus
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