B 5 R 10/22 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 972/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 207/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 10/22 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 25. August 2021 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. Februar 2021 zurückgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

I

1
Streitig ist die Neuberechnung der großen Witwerrente des Klägers.

2
Der Kläger ist der hinterbliebene Ehemann der am 17.10.2018 verstorbenen Versicherten W. Diese war im Zeitraum vom 1.4.1969 bis zum 31.7.1989 bereits einmal verheiratet gewesen. Die Ehe wurde mit Urteil des AG Rheinbach vom 26.6.1990 (6 F 200/89) geschieden und zugunsten der Versicherten ein Versorgungsausgleich durchgeführt. Es wurden Rentenanwartschaften des früheren Ehemannes in Höhe von monatlich 1323,06 DM übertragen. Am 26.10.1990 heiratete die Versicherte den Kläger. Ab dem 1.6.2011 bezog sie von der Beklagten eine Regelaltersrente, bei der zuletzt 44,0233 persönliche Entgeltpunkte (pEP), die in Höhe von 34,4670 Entgeltpunkten (EP) auf dem Versorgungsausgleich beruhten, zugrunde gelegt wurden.

3
Auf den Antrag des Klägers vom 29.10.2018 bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 20.12.2018 ab dem 1.11.2018 eine große Witwerrente. Den monatlichen Zahlbetrag errechnete sie mit 687,14 Euro. Die hierbei berücksichtigten pEP entsprachen denjenigen der zuletzt an die Versicherte gewährten Altersrente. Mit Bescheid vom 22.3.2019 berechnete die Beklagte die Hinterbliebenenrente aufgrund eines höheren Zuschlags für Kindererziehung neu. Diese belief sich unter Berücksichtigung von nunmehr 45,0233 pEP auf einen monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 704,29 Euro ab dem 1.2.2019 und 705,85 Euro ab dem 1.3.2019.

4
Bereits am 17.11.2018 beantragte der frühere Ehemann der Versicherten, das Urteil vom 26.6.1990 hinsichtlich des Versorgungsausgleichs abzuändern und einen Versorgungsausgleich nicht stattfinden zu lassen. Diesem Antrag gab das AG Bonn durch Beschluss vom 9.8.2019 mit Wirkung zum 1.12.2018 statt (410 F 6/19). Die hiergegen vom Kläger erhobene Beschwerde wies das OLG Köln mit Beschluss vom 23.1.2020 zurück (27 UF 150/19).

5
Nachdem die Beklagte hiervon im März 2020 Kenntnis erlangt hatte, hob sie mit Bescheid vom 8.4.2020 den bisherigen Witwerrentenbescheid hinsichtlich der Rentenhöhe ab dem 1.4.2020 auf. Die Leistung aus dem Versorgungsausgleich stehe ab dem 1.12.2018 dem früheren Ehemann zu. Die Beklagte berücksichtigte für die Witwerrente nunmehr nur noch 10,5563 pEP und berechnete den laufenden Zahlbetrag ab dem 1.4.2020 mit 117,17 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28.8.2020 zurück.

6
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.2.2021). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und den Bescheid vom 8.4.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.8.2020 aufgehoben (Urteil vom 25.8.2021). Zudem hat es der Beklagten gemäß § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG Kosten in Höhe von 500 Euro auferlegt. Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, die große Witwerrente aus Anlass der Abänderung des Versorgungsausgleichs teilweise aufzuheben. § 101 Abs 3 SGB VI erfasse unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Gesetzeshistorie nicht die unmittelbare Kürzung einer Hinterbliebenenrente, sondern betreffe originär nur die von der Änderung des Versorgungsausgleichs betroffenen selbst leistungsberechtigten Ehepartner. Insbesondere verdränge die Vorschrift nicht die zugunsten des Klägers greifende besitzschützende Regelung des § 88 Abs 2 SGB VI. Der Gesetzgeber habe der Sicherung des Lebensstandards auf bisherigem Niveau Vorrang vor einer Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs eingeräumt.

7
Mit der vom Senat zugelassenen Revision (Beschluss vom 6.7.2022) rügt die Beklagte eine Verletzung von § 101 Abs 3 SGB VI sowie § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Aufgrund der familiengerichtlichen Abänderungsentscheidung sei sie gemäß § 101 Abs 3 SGB VI ermächtigt und verpflichtet gewesen, den Verwaltungsakt über die Höhe der Rente teilweise aufzuheben und den monatlichen Rentenbetrag herabzusetzen. Leistungsberechtigte Person iS von § 101 Abs 3 SGB VI sei auch der Hinterbliebene mit Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Mit der Neuregelung des § 101 Abs 3 SGB VI zum 1.9.2009 habe der Gesetzgeber der Kostenneutralität besondere Bedeutung beigemessen. Das Normverständnis des LSG führe hingegen zu einer doppelten Berücksichtigung des ermittelten Wertausgleichs, nämlich einerseits bei dem früheren Ehegatten der verstorbenen Versicherten, anderseits beim Kläger und konterkariere im Ergebnis die zivilrechtliche Rechtsprechung. Die Besserstellung des ausgleichspflichtigen früheren Ehegatten sei Folge der Gesetzeslage, die eine Totalrevision des Versorgungsausgleichs vorsehe und eine Neubegründung von Anrechten zugunsten Verstorbener nicht zulasse. § 88 Abs 2 SGB VI entfalte gegenüber einer nach Rentenbeginn durchgeführten Neubestimmung der pEP nach § 101 Abs 3 SGB VI keine Sperrwirkung.

8
Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts NordrheinWestfalen vom 25. August 2021 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. Februar 2021 zurückzuweisen.

9
Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

10
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.


II

11
Die kraft Zulassung durch das BSG statthafte (§ 160 Abs 1 und 3 SGG) und zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG der Berufung des Klägers stattgegeben.

12
I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben der Entscheidung des LSG der Bescheid vom 8.4.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.8.2020, mit dem die Beklagte die große Witwerrente des Klägers hinsichtlich der Rentenhöhe ab dem 1.4.2020 aufhob und neu festsetzte und dabei die auf dem Versorgungsausgleich beruhenden EP nicht mehr berücksichtigte. Die statthafte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) des Klägers zielt auf eine Aufhebung dieses Bescheids und Weitergewährung der bisherigen Witwerrente auf Grundlage von zuletzt 45,0233 pEP.

13
II. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht ab dem 1.4.2020 Hinterbliebenenrente lediglich auf der Grundlage von 10,5563 pEP zu.

14
1. Rechtsgrundlage für die Neuberechnung der großen Witwerrente ist § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 1 und 2 SGB VI (in der seit dem 1.9.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs <VAStrRefG> vom 3.4.2009, BGBl I 700). Nach dieser Vorschrift wird, wenn nach Beginn der Rente ein Versorgungsausgleich durchgeführt ist, die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist (Satz 1). Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden (Satz 2). Bei einer rechtskräftigen Abänderung des Versorgungsausgleichs gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass auf den Zeitpunkt nach § 226 Abs 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) abzustellen ist (Satz 3). Diese Voraussetzungen liegen vor.

15
a) § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 1 und 2 SGB VI ermächtigt und verpflichtet die Rentenversicherungsträger, für den Fall der rechtskräftigen Abänderung eines Versorgungsausgleichs auch eine Hinterbliebenenrente anzupassen. Die Vorschrift erfasst mit dem Tatbestandsmerkmal "Rente der leistungsberechtigten Person" in Abs 3 Satz 1 Hinterbliebenenrenten ebenso wie Versichertenrenten.

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aa) Das entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch im SGB VI. Hinterbliebene haben eigene Rentenansprüche und zählen damit zum Kreis der leistungsberechtigten Personen. Zu den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gehören nach § 23 Abs 1 Nr 1 Buchst c SGB I Renten wegen Todes. Nach § 33 Abs 4 SGB VI fallen hierunter die kleine Witwenrente oder Witwerrente (Nr 1), die große Witwenrente oder Witwerrente (Nr 2), die Erziehungsrente (Nr 3) und die Waisenrente (Nr 4). Die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen dieser Hinterbliebenenleistungen sind in den §§ 46 ff SGB VI bestimmt. Werden die Voraussetzungen erfüllt, besteht  auch wenn das Recht auf Hinterbliebenenrente an das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger anknüpft  ein eigenständiges Recht des Hinterbliebenen auf entsprechende Rentenleistungen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 24.4.2014  B 13 R 25/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 3 RdNr 17; BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 22). Der Begriff des Leistungsberechtigten wird auch an anderer Stelle im SGB VI verwendet, ohne dass dort  zB in § 119 Abs 4 Satz 2 SGB VI  Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Hinterbliebene davon nicht umfasst sein sollen. § 151a Abs 1 SGB VI spricht ausdrücklich von "Versicherten und anderen Leistungsberechtigten" und erfasst damit als "andere Leistungsberechtigte" auch Hinterbliebene (vgl zB Diel in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 5/2020, § 151a RdNr 14).

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bb) Dass vom Begriff der leistungsberechtigten Person iS des § 101 Abs 3 Satz 1 SGB VI demgegenüber lediglich die im Versorgungsausgleich ausgleichsberechtigten oder pflichtigen Personen, also die Ehegatten selbst, erfasst werden, ergibt sich weder aus den übrigen Absätzen des § 101 SGB VI noch sonst aus dem SGB VI. Die Vorschrift enthält Sonderregelungen für bestimmte Sachverhalte und zwar in den Absätzen 1, 1a und 2 für den Beginn von befristeten Renten, in den Absätzen 3, 3a und 3b für die Aufhebung eines Rentenbescheids im Zusammenhang mit einem Versorgungsausgleich und mit Härtefällen aufgrund eines Versorgungsausgleichs sowie in den Absätzen 4 und 5 nach Durchführung eines Rentensplittings. Die Formulierung "Rente der leistungsberechtigten Person" bzw "Rentenbescheid der leistungsberechtigten Person" findet sich allein in den Absätzen 3, 3a und 3b. Der Umstand, dass die Absätze 2 (Beginn der befristeten Hinterbliebenenrente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit) und 5 (Beginn der Berücksichtigung einer Veränderung einer Waisenrente nach Durchführung eines Rentensplittings) gesonderte Regelungen für Hinterbliebenenrenten enthalten, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass § 101 SGB VI Hinterbliebene nur im Fall ihrer ausdrücklichen Erwähnung erfasst. Vielmehr entspricht es einem klaren systematischen Gesetzesaufbau, nur dort (ausdrückliche) differenzierende Regelungen zu treffen, wo die Unterschiede von Versicherten und Hinterbliebenenrenten dies nach dem Regelungsziel des Gesetzgebers erfordern. Wenn in § 101 Abs 3 SGB VI, anders als in anderen Absätzen der Vorschrift, keine solche Differenzierung erfolgt und stattdessen der allgemeine Oberbegriff  "leistungsberechtigte Person"  verwendet wird, spricht dies dafür, dass nicht nur Versicherte, sondern auch andere Leistungsberechtigte wie die Hinterbliebenen in den Anwendungsbereich der Regelung einbezogen sind.

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Ein solches Verständnis steht auch im Einklang mit den Gesetzesmaterialien und dem Sinn und Zweck des § 101 Abs 3 SGB VI. Die Vorschrift wurde mit dem VAStrRefG, das den Versorgungsausgleich grundlegend umstrukturierte, zum 1.9.2009 neu gefasst (siehe zur Übergangsregelung des § 268a Abs 2 SGB VI: BSG Urteil vom 22.2.2024  B 5 R 12/22 R  zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Infolge der neuen Struktur des Versorgungsausgleichs, insbesondere mit dem Grundsatz der internen Teilung aller Anrechte, sah der Gesetzgeber es als erforderlich an, Regelungen zu schaffen, die den Rentenversicherungsträger vor Überzahlungen schützen, wenn zulasten der leistungsberechtigten Person ein Versorgungsausgleich oder eine Abänderung des Versorgungsausgleichs durchgeführt wird. Dies sollte mit § 101 Abs 3 Satz 1 bis 3 SGB VI geschehen (vgl BTDrucks 16/10144 S 100). Anhaltspunkte dafür, dass bei Hinterbliebenenrenten die allgemeinen Regeln der §§ 24, 48 SGB X und nicht die neu geschaffene spezielle Aufhebungsvorschrift gelten sollten, sind nicht ersichtlich.

19
b) Eine Abänderung des Versorgungsausgleichs iS des § 101 Abs 3 Satz 3 SGB VI erfolgt auch im Fall einer Rückabwicklung des Versorgungsausgleichs, bei der im Ergebnis ein Ausgleich nicht mehr stattfindet. Wurde  wie hier  der Versorgungsausgleich auf der Grundlage des bis zum 31.8.2009 geltenden Rechts im Sinne eines Einmalausgleichs durchgeführt, eröffnet § 51 VersAusglG im Falle einer wesentlichen Wertänderung auf Antrag die Möglichkeit der Abänderung des Versorgungsausgleichs mit der Folge, dass dann das ab dem 1.9.2009 geltende Recht Anwendung findet. Hiervon ist nicht nur das von der Wertänderung betroffene Anrecht erfasst, sondern es sind im Sinne einer Totalrevision sämtliche in die Erstentscheidung einbezogene Anrechte nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG neu zu teilen (stRspr; BGH Beschluss vom 5.6.2013  XII ZB 635/12  juris RdNr 16 ff; BGH Beschluss vom 16.5.2018  XII ZB 466/16  juris RdNr 14; BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 10; BGH Beschluss vom 5.2.2020  XII ZB 147/18  juris RdNr 22). In der familienrechtlichen Praxis findet der Wertausgleich bei einem Versorgungsausgleich, der nach dem Tod eines Ehegatten durchgeführt wird, nur noch zugunsten des überlebenden früheren Ehegatten statt, weil § 31 VersAusglG eine Neubegründung von Versorgungsanrechten zugunsten von Verstorbenen nicht zulässt. Der ursprünglich allein ausgleichspflichtige, überlebende Ehegatte erhält in der Folge sein während der Ehezeit erworbenes Anrecht ab dem Zeitpunkt der Antragstellung ungeteilt zurück (vgl BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 10 ff mwN auch zur Gegenauffassung). Die damit verbundene Besserstellung des überlebenden Ausgleichspflichtigen und die möglichen Einschränkungen in der Versorgung der Hinterbliebenen des verstorbenen Ausgleichsberechtigten sieht der BGH als unvermeidbare Folge einer Gesetzeslage an, welche einerseits im Abänderungsverfahren eine Totalrevision des Versorgungsausgleichs nach den Regeln des neuen Rechts anordnet, andererseits keine Neubegründung von Versorgungsanrechten zugunsten Verstorbener vorsieht (vgl BGH Beschluss vom 5.6.2013  XII ZB 635/12  juris RdNr 27; BGH Beschluss vom 16.5.2018  XII ZB 466/16  juris RdNr 14; BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 10). Mit Eintritt ihrer formellen und materiellen Rechtskraft entfaltet die familienrechtliche Entscheidung über den Versorgungsausgleich auch Bindungswirkung gegenüber den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (BSG Urteil vom 21.3.2018  B 13 R 17/15 R  SozR 42600 § 225 Nr 3 RdNr 20).

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c) Nach diesen Maßstäben erfolgte hier eine rechtskräftige Abänderung des Versorgungsausgleichs iS des § 101 Abs 3 Satz 3 SGB VI. Wie das LSG mit bindender Wirkung (§ 163 SGG) festgestellt hat, wurde die Entscheidung über den Versorgungsausgleich zwischen der Versicherten und ihrem früheren Ehemann vom 26.6.1990 nach ihrem Versterben mit Wirkung zum 1.12.2018 dahingehend abgeändert, dass der Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Die EP, die auf der Grundlage des früheren Versorgungsausgleichs mit Urteil des AG Rheinbach vom 26.6.1990 auf das Versichertenkonto der verstorbenen Versicherten als Zuschlag iS von § 76 Abs 2 Satz 1 SGB VI übertragen worden waren (34,4670 EP), mussten daher zurückübertragen und die große Witwerrente des Klägers lediglich noch auf der Grundlage von 10,5563 pEP berechnet werden.

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Die Beklagte war auch berechtigt, die Witwerrente des Klägers (erst) ab dem 1.4.2020 neu zu berechnen. Maßgeblicher Zeitpunkt, ab dem die rechtskräftige Abänderung eines Versorgungsausgleichs zu berücksichtigen ist, ist nach § 101 Abs 3 Satz 3 SGB VI iVm § 226 Abs 4 FamFG grundsätzlich der erste Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung beim Familiengericht folgt. Dies wäre hier aufgrund des Antrags des früheren Ehemannes der Versicherten am 17.11.2018 bereits der 1.12.2018 gewesen. Für die Zeit bis zum 31.3.2020 zahlte die Beklagte dem Kläger aber noch die ungeminderte Rente. Nach § 101 Abs 3 Satz 4 SGB VI iVm § 30 VersAusglG wird der Versorgungsträger nach einer rechtskräftigen Entscheidung über den Versorgungsausgleich für eine Übergangszeit  längstens bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt hat (§ 30 Abs 2 VersAusglG)  von der Leistungspflicht an den nunmehr Berechtigten befreit, wenn er in dieser Zeit bereits Leistungen an den bisherigen Berechtigten gezahlt hat.

22
2. § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI (idF der Neubekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754) steht der Aufhebung des Rentenbescheids vom 20.12.2018 und der Rentenneuberechnung ohne Berücksichtigung der dem ursprünglichen Versorgungsausgleich entstammenden EP nicht entgegen. Nach dieser Norm werden einer Hinterbliebenenrente mindestens die bisherigen pEP des verstorbenen Versicherten zugrunde gelegt, wenn der verstorbene Versicherte eine Rente aus eigener Versicherung bezogen hat und die Hinterbliebenenrente spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente beginnt.

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a) Die Voraussetzungen der Besitzschutzregelung des § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI waren hier bei Bewilligung der Hinterbliebenenrente des Klägers erfüllt. Die Versicherte bezog bis zum 31.10.2018, dem Ende des Sterbemonats (§ 102 Abs 5 SGB VI), eine Altersrente aus eigener Versicherung. Die Hinterbliebenenrente des Klägers in Form einer großen Witwerrente (§ 46 Abs 2 SGB VI) begann nahtlos am 1.11.2018 und mithin innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs der Altersrente der Versicherten. Die Beklagte legte der Hinterbliebenenrente daher zutreffend zunächst die bisherigen pEP der verstorbenen Versicherten iHv 44,0233 pEP (Bescheid vom 20.12.2018) zugrunde. Bei der Bemessung der Hinterbliebenenrente wurde zu Recht auch nicht zwischen besitzgeschützten und nicht besitzgeschützten pEP unterschieden. Vielmehr erstreckte sich der Besitzschutz bzw Bestandsschutz zugunsten des Klägers auf die pEP der Versicherten in ihrer Gesamtheit (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 18; BSG Urteil vom 24.4.2014  B 13 R 25/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 3 RdNr 23; BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 28).


24
b) Gleichwohl durfte (und musste) die Beklagte die Witwerrente des Klägers gemäß § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 1 und 2 SGB VI um einen entsprechenden Abschlag an EP verändern, nachdem die nachträgliche Änderung des Versorgungsausgleichs nach § 51 Abs 1 VersAusglG erfolgt war.

25
Nach § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI bestimmt sich die Höhe des Hinterbliebenenrentenanspruchs nach den bisherigen pEP des verstorbenen Versicherten. Demgegenüber ermöglicht § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 1 und 2 SGB VI eine Anpassung der Hinterbliebenenrente für den Ausnahmefall der Abänderung des Versorgungsausgleichs und der damit verbundenen nachträglichen Änderung der EP des Versicherten, die der Hinterbliebenenrente zugrunde liegen (vgl § 66 Abs 2 Nr 2 SGB VI). Die Unterschiede werden auch an den Regelungsstandorten deutlich. Während § 88 SGB VI zu den Vorschriften zur Ermittlung des Monatsbetrags der Rente in Sonderfällen gehört, die den Fünften Titel des Dritten Unterabschnitts des Zweiten Abschnitts des Zweiten Kapitels bilden, befindet sich § 101 SGB VI bei den Vorschriften zu ua der Änderung von Renten, die den Fünften Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Zweiten Kapitels bilden. Angesichts dieser unterschiedlichen Regelungsbereiche stellt sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage nicht, ob § 101 Abs 3 SGB VI als lex specialis oder als lex posterior der Vorrang gegenüber § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI gebührt. Das LSG hat im Übrigen insofern zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die Umgestaltung des Versorgungsausgleichs die Regelung des § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI unangetastet gelassen hat (vgl auch BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 18).

26
Auch der Sinn und Zweck des § 88 SGB VI steht der Anwendung des § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 1 und 2 SGB VI auf den hier zugrunde liegenden Sachverhalt nicht entgegen. Mit der Einführung des § 88 SGB VI sollte nach der Intention des Gesetzgebers die Situation für Hinterbliebene in Abkehr von einem bloßen Zahlbetragsschutz, den noch die Vorgängerregelungen in § 1253 Abs 2 Satz 5, § 1268 Abs 2 Satz 2 und § 1290 Abs 3 Satz 3 RVO vorsahen, durch Hinwendung zu einem Besitzschutz aller pEP verbessert werden, damit die Folgerente auf Basis der Vorrente dynamisiert geleistet werden kann (vgl BTDrucks 11/4124 S 173 zu § 87 SGB VI). Damit sichert das Gesetz das bisherige Rentenniveau, wahrt den erworbenen Lebensstandard des Versicherten und seiner Hinterbliebenen und schützt ihr Vertrauen auf den Fortbestand der existenzsichernden Rentenleistungen in bisheriger Höhe (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 18). Der besondere Besitzschutz der Hinterbliebenenrenten geht jedoch nicht so weit, dass eine nachträgliche Änderung der EP des Versicherten, die der Rente zugrunde liegen, und eine Aufhebung der Bewilligung schlechthin ausscheidet. Zwar ist dem Wortlaut des § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI keine Aussage zum zeitlichen Umfang des Besitzschutzes zu entnehmen. Die Vorschrift selbst verhält sich auch nicht zu einer Eingriffsermächtigung. In der Entwurfsbegründung zu § 88 SGB VI ist allerdings ausgeführt, dass § 88 SGB VI die Regelungen der §§ 44 ff SGB X unberührt lässt (vgl Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung <Rentenreformgesetz 1992  RRG 1992>, BTDrucks 11/4124 S 173 zu § 87 SGB VI). Dies bezog sich zwar insbesondere auf die Anwendung der sog Aussparung nach § 48 Abs 3 SGB X. Die im Referentenentwurf noch vorgesehene ausdrückliche Erwähnung nur von § 48 Abs 3 SGB X findet sich im Regierungsentwurf aber nicht mehr. Stattdessen verweist die Begründung insgesamt auf §§ 44 ff SGB X. Dass diese allgemeinen Vorschriften im Rahmen des § 88 Abs 2 SGB VI nicht gelten sollen, ist nicht ersichtlich (siehe auch Dünn/Heckenberger in GKSGB VI, Stand 8/2021, § 88 RdNr 17; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II, SGB VI, Stand 6/2020, § 88 RdNr 33 ff). Mit den allgemeinen Aufhebungsvorschriften wird dem rechtsstaatlichen Gebot zur gerechten Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Bestandsinteresse des Versicherten bzw Hinterbliebenen und dem gleichfalls zu schützenden Änderungsinteresse der Versichertengemeinschaft Rechnung getragen (zu § 48 SGB X vgl auch BSG Urteil vom 18.7.1996  4 RA 108/94  SozR 32600 § 300 Nr 7 S 27 = juris RdNr 32). Tritt eine nachträgliche Änderung ein, ist diese zu berücksichtigen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Korrektur gegeben sind. So wird gewährleistet, dass Bezieher einer Folgerente nicht bessergestellt werden als diejenigen, die durchgehend die gleiche Rente beziehen (vgl auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II, SGB VI, Stand 6/2020, § 88 RdNr 33).

27
Können damit grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der §§ 44 ff SGB X Anwendung finden, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum dies nicht auch für die spezielle Aufhebungsvorschrift des § 101 Abs 3 Satz 2 SGB VI gelten sollte. Für die besondere Situation einer Abänderung des Versorgungsausgleichs sieht § 101 Abs 3 Satz 3 iVm Satz 2 SGB VI die Aufhebung eines Rentenbescheids (Satz 2 Halbsatz 1) ohne die Anwendung von §§ 24 und 48 SGB X vor (Satz 2 Halbsatz 2; siehe dazu Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II, SGB VI, Stand 3/2017, § 101 RdNr 17b). Durch diese Regelung werden die familienrechtlichen Gestaltungen im Rentenversicherungsrecht nachvollzogen.

28
Dass sich dabei  wie hier  erhebliche Einschnitte für die Hinterbliebenen ergeben können, folgt aus der angeführten zivilrechtlichen Rechtsprechung, wonach im Fall eines Antrags des Ausgleichspflichtigen wegen einer wesentlichen Wertänderung eines nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht durchgeführten Versorgungsausgleichs im Fall des Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten ein Versorgungsausgleich insgesamt nicht stattfindet (siehe II.1.b; vgl BGH Beschluss vom 5.6.2013  XII ZB 635/12  juris RdNr 16 ff; BGH Beschluss vom 16.5.2018  XII ZB 466/16  juris RdNr 14; BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 10; BGH Beschluss vom 5.2.2020  XII ZB 147/18  juris RdNr 22). Die für die Hinterbliebenen entstehenden Versorgungseinschnitte sind nach der familienrechtlichen Wertung dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der möglichen Begünstigung von Hinterbliebenen grundsätzlich nur um eine mittelbare Folge des Versorgungsausgleichs handele (vgl BGH Beschluss 5.6.2013  XII ZB 635/12  juris RdNr 23 mwN; BGH Beschluss vom 16.5.2018  XII ZB 466/16  juris RdNr 30; BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 25). Die Rechtsstellung des Ausgleichsberechtigten, von der sich der Hinterbliebenenschutz ableite, sei von vornherein mit dem Risiko behaftet, dass sie, im Falle des Vorversterbens des Ausgleichsberechtigten und einer wesentlichen Wertänderung eines in den Ausgleich eingezogenen Anrechts, wegfallen könne (vgl OLG Frankfurt Beschluss vom 28.7.2021  3 UF 55/21  juris RdNr 34). Die Friktionen im Einzelfall seien im Interesse des Übergangs auf das neue Recht hinzunehmen (vgl BGH Beschluss vom 20.6.2018  XII ZB 624/15  juris RdNr 22; BGH Beschluss vom 16.5.2018  XII ZB 466/16  juris RdNr 27; KG Berlin Beschluss vom 22.2.2016  13 UF 256/15  juris RdNr 17).

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Tatsächlich handelt es sich um ein zeitlich begrenztes Problem des Übergangs vom bis zum 31.8.2009 geltenden System des Versorgungsausgleichs auf das seit dem 1.9.2009 gültige System. Nur wenn der öffentlichrechtliche Versorgungsausgleich bei der gesetzlichen Rentenversicherung nach früherem Recht zunächst rechtskräftig zugunsten eines Ehegatten durchgeführt wurde und dieser Ehegatte sodann verstirbt, führt dies dazu, dass im Falle einer wesentlichen Wertänderung der überlebende Ehegatte sein während der Ehezeit erworbenes Anrecht ab dem Zeitpunkt der Antragstellung ungeteilt zurückerhält.

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Würde man die im Familienrecht nachträglich vorgenommene Umverteilung der EP im Rentenrecht nicht berücksichtigen, würde die Hinterbliebenenrente einen größeren Schutz genießen als die Versichertenrente im Fall einer Abänderung des Versorgungsausgleichs wegen einer wesentlichen Wertänderung zu Lebzeiten des Versicherten genossen hätte. Zwar würde in einem solchen Fall der Versorgungsausgleich nicht insgesamt rückgängig gemacht, sodass sich die Änderung nicht so gravierend auf die Rentenhöhe auswirken würde wie das bei einer Änderung nach dem Versterben der Berechtigten der Fall ist. Die Versichertenrente würde aber nach § 101 Abs 3 SGB VI entsprechend der Abänderung des Versorgungsausgleichs mit Zu oder Abschlägen versehen. Bliebe die Abänderung des Versorgungsausgleichs beim Hinterbliebenen ohne Auswirkung, würde dies zu einem nicht nachvollziehbaren Wertungswiderspruch im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der beiden Leistungen führen. Für die Versichertenrente des SGB VI ist der Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG in ständiger Rechtsprechung anerkannt (vgl zB BVerfG Beschluss vom 11.11.2008  1 BvL 3/05 ua  BVerfGE 122, 151, 180 = SozR 42600 § 237 Nr 16 RdNr 76 mwN; BSG Urteil vom 18.10.2023  B 5 R 49/21 R  juris RdNr 17 mwN  zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Im Gegensatz hierzu unterfällt die Hinterbliebenenversorgung nicht dem Eigentumsbegriff des Art 14 Abs 1 GG (vgl BVerfG Beschluss vom 18.2.1998  1 BvR 1318/86 ua  BVerfGE 97, 271 = SozR 32940 § 58 Nr 1, juris RdNr 57 ff; BVerfG Beschluss vom 1.3.2010  1 BvR 2584/06  BVerfGK 17, 120  juris RdNr 20; BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 32). Es handelt sich um eine vorwiegend fürsorgerisch motivierte Leistung, die im Rahmen des dem Sozialversicherungssystem eigenen Gedankens des sozialen Ausgleichs der Sicherung von Familienangehörigen dient; sie wird ohne eigene Beitragsleistung des Rentenempfängers und ohne erhöhte Beitragsleistung des Versicherten gewährt (vgl BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 33 mwN).

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Ein trotz der Abänderung des Versorgungsausgleichs fortwährender Besitzschutz aus § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI würde auch dem in der Entwurfsbegründung zur Neufassung von § 101 Abs 3 Satz 1 bis 3 SGB VI durch das VAStrRefG genannten Ziel der Kosteneinsparung zuwiderlaufen (vgl BTDrucks 16/10144 S 100 zu Nummer 5; siehe II.1.a.bb sowie Kuklok in GKSGB VI, Stand 12/2021, § 101 RdNr 51). Wären die der Hinterbliebenenrente nach § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI zugrunde gelegten pEP der verstorbenen Versicherten auch im Fall einer Totalrevision eines Versorgungsausgleichs "auf Null" unveränderbar, würde eine Doppelleistung aus einem Anrecht eintreten. Im hier zu entscheidenden Fall würde sowohl der frühere Ehemann der Verstorbenen aus dem ihm rückübertragenen Anrecht eine Versorgung erhalten als auch der Kläger im Rahmen der großen Witwerrente. Für die Aufwendungen zugunsten des Klägers könnte der beklagte Rentenversicherungsträger keine Erstattung bei dem anderen Träger der Versorgungslast verlangen (vgl §§ 225, 290 SGB VI). Die Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs ist zwar kein übergesetzliches Strukturprinzip und vermag allein eine Einschränkung des § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI nicht zu rechtfertigen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 19 f). Für die Frage nach Regelungskonzeption und Zweck eines Gesetzes kommt den Gesetzesmaterialien, in denen sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen finden, aber eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG Urteil vom 29.11.2023  2 BvF 1/21  juris RdNr 111 mwN).

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c) Der Senat kehrt damit nicht von der bisherigen Rechtsprechung zu § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI im Zusammenhang mit einem Versorgungsausgleich ab (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2; BSG Urteil vom 24.4.2014  B 13 R 25/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 3; vgl auch BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4). Im Gegensatz zu dem hier zu entscheidenden Fall lag diesen Entscheidungen gerade keine (familiengerichtliche) Abänderung des Versorgungsausgleichs in Form einer Totalrevision "auf Null" nach Bewilligung der Hinterbliebenenrente zugrunde. Dort ging es auch nicht um die Höhe einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung eines Versicherten, der nach dem früheren Versorgungsausgleichsrecht ausgleichsberechtigt gewesen war. Vielmehr hatten die verstorbenen (ausgleichsverpflichteten) Versicherten bereits zu ihren Lebzeiten beim beklagten Rentenversicherungsträger aufgrund von Anpassungs und Härteregelungen des Versorgungsausgleichsrechts erfolgreich die Aussetzung der Kürzung ihres Rentenanrechts aus dem Versorgungsausgleich beantragt (sog Rückausgleich) und eine ungekürzte Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2; BSG Urteil vom 24.4.2014  B 13 R 25/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 3). Streitig war allein, ob infolge des Rückausgleichs, der bereits den Versicherten zugutegekommen war, auch im Rahmen einer sich an die Versichertenrente anschließenden Hinterbliebenenrente sämtliche pEP zu berücksichtigen waren, die dem betroffenen Versicherten ohne Durchführung des Versorgungsausgleichs zugestanden hätten. Das ist nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des 5. und des früheren 13. Senats des BSG zu bejahen (vgl BSG Urteil vom 20.3.2013  B 5 R 2/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 2 RdNr 17; BSG Urteil vom 24.4.2014  B 13 R 25/12 R  SozR 42600 § 88 Nr 3 RdNr 22; vgl auch BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 28). Die Entscheidung vom 20.1.2021 betraf einen Sachverhalt, in dem eine Versichertenrente überhaupt noch nicht bezogen wurde, sodass  mangels Vorrente  § 88 Abs 2 Satz 1 SGB VI von vornherein nicht zur Anwendung kam (vgl BSG Urteil vom 20.1.2021  B 13 R 5/20 R  BSGE 131, 202 = SozR 42600 § 88 Nr 4, RdNr 29).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG. Der Senat hat in seine Kostenentscheidung auch die Entscheidung des LSG miteinzubeziehen, der Beklagten nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG sog Verschuldenskosten aufzuerlegen (vgl BSG Urteil vom 12.12.2017  B 11 AL 28/16 R  juris RdNr 23; BSG Urteil vom 12.12.2013  B 4 AS 17/13 R  SozR 41500 § 192 Nr 2 RdNr 24; BSG Urteil vom 16.4.2013  B 14 AS 81/12 R  SozR 44225 § 1 Nr 2 RdNr 34).

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Die Auferlegung von Verschuldenskosten im Urteil des LSG ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG nicht vorgelegen haben. Die Beklagte hat den Rechtsstreit nicht missbräuchlich (fort)geführt. Missbräuchlich wäre die Rechtsverfolgung der Beklagten insbesondere, wenn sie offensichtlich aussichtslos wäre (vgl BTDrucks 14/6335 S 33 zu Art 1 Nr 65 <§ 192 Abs 1 Satz 1>). Dies ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zu § 34 Abs 2 BVerfGG, auf die auch die Gesetzesbegründung Bezug nimmt (vgl Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes <6. SGGÄndG>, BTDrucks 14/6335 S 33 zu Art 1 Nr 65  § 192 Abs 1 Satz 1; siehe auch B. Schmidt in MeyerLadewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 192 RdNr 9a; Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPKSGG, 2. Aufl 2022, § 192 RdNr 38) der Fall, wenn die weitere Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (BVerfG Beschluss vom 3.7.1995  2 BvR 1379/95  juris RdNr 10; BVerfG Beschluss vom 11.12.2001  1 BvR 1821/01  juris RdNr 1; BVerfG Beschluss vom 4.6.2019  1 BvR 1011/19  juris RdNr 5). Eine solche Konstellation ist hier nicht gegeben gewesen.

 

Rechtskraft
Aus
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