L 2 AS 1158/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 3070/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1158/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. März 2024 teilweise aufgehoben und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gem. § 22 Abs. 1 SGB II für die Miete des Containers Nr. xxx bei der Firma A1GmbH gem. Mietvertrag Nr. xxx3 vom 2. Dezember 2023 in Höhe von 360,00 € monatlich für die Zeit vom 1. Mai 2024 bis zunächst 31. Oktober 2024, längstens bis zur rechtskräftigen Erledigung der Hauptsache gegen den Bescheid vom 30. November 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2024 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ein Zehntel ihrer außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.


Gründe


Die am 12.04.2024 beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe eingegangenen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG vom 13.03.2024 ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG form- und fristgerecht erhoben worden.

Sie ist auch im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen aber unbegründet.


Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 02.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 14.03.2019 - 1 BvR 169/19 - juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - [beide juris] jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 42).

Die Antragstellerin hat im Eilrechtsschutzverfahren verschiedene Geldleistungen geltend gemacht, nachdem sie am 01.12.2023 fluchtartig ihre Wohnung in der A2-Straße  in K1 aufgrund einer von ihr vorgetragenen Vergewaltigung durch T1 verlassen und in einem Frauenhaus unterkommen musste. Aufgrund dessen und da sie nach eigenem Vortrag keine Bekannten hierfür zur Verfügung hat, hat sie zahlreiche Umzugskartons mit Hausrat - der nach ihrem Vortrag (Schreiben vom 30.04.2024) aus Büchern, Aufsätzen, Dokumenten, Partituren und sonstige Unterlagen, Medikamenten, Geräten (wie z.B. für Asthma, Beatmung, Rücken- und Gelenke Training), Töpfen, Besteck, Kochgeräten, Pfannen, Bettbezügen, Kleidern und Schuhe und auch Klaviaturen, Noten und sonstige Unterlagen, die sie zur Ausübung ihres Berufes als Pianistin benötigt, besteht - in einem Anfang Dezember 2023 angemieteten Container der Firma A1GmbH untergebracht. Die monatliche Miete hierfür beträgt 360,00 €. Der Senat sieht auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, der Abwägung der Schutzgüter und der von der Antragstellerin mit E-Mail vom 16.05.2024 übersandten Kontoauszüge und sonstigen Unterlagen (Bestätigung der Schwester, dass diese ihr Geld geliehen habe) zumindest insoweit einen Anordnungsanspruch gem. § 22 Abs. 1 SGB II als hinreichend glaubhaft gemacht an. Die vorläufige Verpflichtung besteht erst ab Mai 2024, da erst jetzt die finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin und damit der Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit hinreichend glaubhaft gemacht worden sind.

Im Übrigen, soweit die Antragstellerin daneben im Eilrechtsschutzverfahren zahlreiche weitere Leistungen geltend gemacht hat (wie u.a. Transportkosten in Höhe von 600,00 € durch einen Transportunternehmer, für die sie zwar die Rechnung, nicht aber eine Quittung über die von ihr vorgetragene Barzahlung vorgelegt hat; Kostenübernahme für eine Unterkunft im Hotel oder AirBnB ihrer Wahl; Kosten der Erstausstattung für die Wohnung, aus der sie geflüchtet ist; Erstattung von 275,00 € aufgrund einer Einkommensanrechnung im August 2022 durch bestandkräftigen Bescheid vom 10.10.2022; Vorauszahlung der Grundsicherung bis August 2024 [bewilligt ist der Regelbedarf bis Juli 2024]; Darlehensgewährung in Höhe von 10.000,00 €; Entschädigung in Höhe von 15.000,00 €; Kosten für Postfacheinrichtung und Nachsendeauftrag in Höhe von 80,70 €, Kaution Frauenhaus in Höhe von 40,00 €; Kosten für Gerätenutzung von Laptop und Keyboard in Höhe von 5,00 € monatlich für die Zeit ab Dezember 2023) sind Anordnungsanspruch und/oder Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Was die ursprünglich fehlende Bewilligung der Beiträge zum halben Basistarif der privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Antragstellerin bei der C1 ab Januar 2024 anbelangt (vgl. Bescheid vom 04.01.2024), hat der Antragsgegner zwischenzeitlich mit Änderungsbescheid vom 23.04.2024 entsprechende Leistungen bewilligt und die Antragstellerin das Eilrechtsschutzbegehren insoweit mit Schreiben vom 30.04.2024 für erledigt erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG und resultiert aus dem Verhältnis des Obsiegens/Unterliegens der von der Antragstellerin geltend gemachten Leistungen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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