L 2 R 1238/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 646/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1238/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. März 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.


Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In diesem Zusammenhang ist umstritten, inwieweit insbesondere die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegt, die der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs geltend macht.

Der Kläger ist 1963 geboren und arbeitete von 1991 bis 2010 als angestellter Maler. In der Zeit vom 1. November 2010 bis 15. Dezember 2016 führte er einen selbstständigen Malerbetrieb. Vom 1. Januar 2011 bis zum 31. August 2016 entrichtete er freiwillige Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Seit dem 1. September 2020 bezieht der Kläger eine Altersrente vom türkischen Sozialversicherungsträger.

Auf den Antrag des Klägers vom 27. März 2012 zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16.  Mai 2012 fest, dass ab dem 1. November 2010 keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung bestünde. Unter Hinweise führte die Beklagte insbesondere aus:
„In dem beigefügten Hinweisblatt unterrichten wir Sie über die Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des weiteren Versicherungsschutzes für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Informationen zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entnehmen Sie bitte den Merkblättern zur freiwilligen Versicherung und zur Pflichtversicherung auf Antrag für selbstständige Tätige.
Da Sie derzeit nicht kraft Gesetzes in der Rentenversicherung versicherungspflichtig sind, haben Sie die Möglichkeit, Pflichtbeiträge auf Antrag zu zahlen. Auf Antrag versicherungspflichtig sind Personen, die nicht nur vorübergehend selbstständig tätig sind, wenn sie die Versicherungspflicht innerhalb von fünf Jahren nach der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit oder dem Ende einer Versicherungspflicht aufgrund dieser Tätigkeit beantragen. [...]“


Die Beklagte hatte dem Bescheid des Weiteren ein Hinweisblatt zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowie das Merkblatt über die Pflichtversicherung auf Antrag für selbstständig Tätige beigefügt.

Am 27. März 2012 stellte der Kläger außerdem einen Antrag auf Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung (Bl. 71/72 VA).

Mit Schreiben vom 17. Juli 2013 (Bl. 71 Band II VA) teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seine freiwilligen Beiträge für die Monate August und September 2013 stoppen wolle und ab Oktober die Beiträge weiterzahlen wolle. Daraufhin beendete die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2013 (Bl. 72 VA Band II) die freiwillige Versicherung ab 1. August 2013 und teilte mit weiterem Bescheid vom selben Tag (Bl. 76 VA Band II) mit, dass der Kläger berechtigt sei, ab dem 1. Oktober 2013 freiwillig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.

Der Kläger beantragte u.a. am 5. Oktober 2017 und erneut am 23. November 2018 jeweils die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Über den Antrag vom 5. Oktober 2017 entschied die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 2018 (Bl. 331 VA) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2018 (Bl. 402 VA).
Den weiteren Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 23. November 2018 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2018 (Bl. 382 VA) ab, da der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle. Der Kläger sei seit dem 14. Februar 2017 voll erwerbsgemindert auf Dauer. Im maßgeblichen Zeitraum vom 14. Februar 2012 bis 13. Februar 2017 seien anstelle der erforderlichen 36 Kalendermonate lediglich drei Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen nachgewiesen.

Der hiergegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2019 (Bl. 154 VA Band II) als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 11. Februar 2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben.
Zur Begründung macht der Klägerbevollmächtigte geltend, dass der Kläger bei der Existenzgründung bei der Agentur für Arbeit bezüglich der Anwartschaftsaufrechterhaltung von Arbeitslosengeld gemäß § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag beantragt habe. In der gesetzlichen Rentenversicherung sei er im Hinblick auf die Anwartschaftsaufrechterhaltung ebenfalls vorstellig geworden. Diesbezüglich sei er auf die Entrichtung freiwilliger Beiträge anstatt Pflichtbeiträge als Selbstständiger auf Antrag gemäß § 4 Abs. 2 SGB VI verwiesen worden. Die Antragstellung nach § 4 Abs. 2 SGB VI sei das Gegenstück zu § 28a SGB III. Der Kläger sei nicht darauf hingewiesen worden, dass durch freiwillige Beiträge keine Anwartschaftserhaltung einer Rente wegen Erwerbsminderung umgesetzt werden könne. Durch die fehlerhafte Beratung sei ihm ein erheblicher Rentenschaden entstanden. Der Kläger müsse im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so gestellt werden, als wenn sich die Beklagte rechtmäßig verhalten hätte.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der Kläger im Bescheid vom 16. Mai 2012 ausdrücklich und ausführlich auf die Möglichkeit der Antragspflichtversicherung nach § 4 SGB VI und die Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des weiteren Versicherungsschutzes für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hingewiesen worden sei. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei daher ausgeschlossen. Insofern sei auch nicht substantiiert vorgetragen worden, wann und durch wen der Kläger falsch beraten worden sei.

Die Beklagte hat neben Muster der Hinweisblätter eine Aktennotiz vorgelegt, wonach der Kläger am 14. März 2012 persönlich bei der Beklagten vorstellig geworden sei (Bl. 164 SG-Akte). Diesbezüglich sei der Kläger u.a. darauf hingewiesen worden, dass er telefonisch einen Termin vereinbaren solle, wenn er eine Beratung zur selbstständigen Tätigkeit wünsche.

Das SG hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 22. März 2023 die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Versicherte hätten gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie erwerbsgemindert seien, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hätten und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hätten.
Nach § 43 Abs.  2 Satz 2 SGB VI seien Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande seien, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dagegen bestehe kein Rentenanspruch, wenn der Versicherte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne; dabei sei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Sei dieses Leistungsvermögen nicht erreicht, volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB X aber noch nicht eingetreten, bestehe Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Der für den Nachweis der sogenannten Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraum verlängere sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sogenannten Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungszeiten und Ersatzzeiten).
Gemäß § 43Abs. 5 SGB VI sei eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestandes eingetreten sei, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z.B. wegen eines Arbeitsunfalles) vorzeitig erfüllt sei. Nach der Sonderregelung des §  241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI seien Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt hätten, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sogenannten Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt sei oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1.  Januar 1984 eingetreten sei. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig sei, bedürfe es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.
Ausgehend von einem - zwischen den Beteiligten unstreitigen - Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung am 14. Februar 2017 erfülle der Kläger nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, weil im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 14. Februar 2012 bis zum 13. Februar 2017 lediglich drei Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten belegt seien. Auch seien keine sogenannten Aufschubzeiten im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI vorhanden, die zu einer Verlängerung dieses Fünfjahreszeitraumes hätten führen können. Auf eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren habe auch nicht nach § 43 Abs. 5 SGB VI verzichtet werden können, weil kein Tatbestand der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 SGB VI vorliege.
Der Kläger habe die erforderliche Zahl an Pflichtbeiträgen auch nicht durch die Nachzahlung von Pflichtbeiträgen nach § 197 Abs. 1 SGB VI bzw. aufgrund der Härtefallregelung nach § 197 Abs. 3 SGB VI erfüllen können, weil schon nicht ersichtlich sei, dass er maßgeblich im Fünfjahreszeitraum versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen sei (mit Hinweis auf Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 4. August 2017 - L 5 R 3297/14 -, juris Rn. 49).
Versicherungspflicht sei für die Zeit ab dem 1. November 2010 nur in Form der Pflichtversicherung auf Antrag nach § 4 Abs. 2 SGB VI in Betracht gekommen. Danach seien auf Antrag versicherungspflichtig Personen, die nicht nur vorübergehend selbstständig seien, wenn sie die Versicherungspflicht innerhalb von fünf Jahren nach der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit oder dem Ende einer Versicherungspflicht aufgrund dieser Tätigkeit beantragten. Der Kläger habe jedoch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
Eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger nachträglich zur Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI zuzulassen, ergebe sich auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Dieses von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergänzend zu den vorhandenen Korrekturmöglichkeiten bei fehlerhaftem Verwaltungshandeln entwickelte Rechtsinstitut trete - im Sinne des öffentlich-rechtlichen Nachteilsausgleichs  - ein, wenn ein Leistungsträger durch Verletzung einer ihm aus dem Sozialleistungsverhältnis obliegenden haupt- oder Nebenpflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, nachteilige Folgen für die Rechtsposition des Betroffenen herbeigeführt habe und diese Rechtsfolgen durch ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln wieder beseitigt werden könnten (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. April 2005 - B 5 RJ 6/04 R - juris Rn. 21 m.w.N.). Zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen müsse ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Versicherungsträgers komme es dagegen nicht an (BSG, Urteil vom 5. April 2000 - B 5 RJ 50/98 R - juris Rn. 18; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 4. August 2017 - L 5 R 397/14 - juris Rn. 58). Dass eine Antragspflichtverletzung im Wege des Herstellungsanspruchs herbeigeführt werden könne, sei insoweit durch die Rechtsprechung des BSG geklärt (Hinweis auf BSG, Urteil vom 16. Juni 1994 - 13 RJ 25/93 -, juris; Urteil vom 5. April 2000 - B 5 RJ 50/98 R -, juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nach Auffassung des SG nicht erfüllt, da bereits keine Pflichtverletzung der Beklagten gegeben sei. Eine mangelhafte Beratung durch die Beklagte sei nicht ersichtlich. Die Beratungspflicht nach § 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) beziehe sich auf die Rechte und Pflichten des Bürgers nach dem SGB, wobei der Gegenstand der Beratung grundsätzlich durch die Zuständigkeit des Leistungsträgers begrenzt sei (BSG, Urteil vom 26. April 2005 - B 5 RJ 6/04 R -, juris Rn. 24). Vorliegend sei der Aktennotiz der Beklagten zu entnehmen, dass der Kläger am 14. März 2012 persönlich bei der Beklagten vorstellig geworden sei (Bl. 164 SG-Akte). Diesbezüglich sei der Kläger u.a. darauf hingewiesen worden, dass er telefonisch einen Termin vereinbaren solle, wenn er eine Beratung zur selbstständigen Tätigkeit wünsche. Zudem seien dem Kläger neben einer Visitenkarte auch diverse Broschüren ausgehändigt worden. Im weiteren Verlauf habe der Kläger dann am 27. März 2012 bei der Beklagten einen Antrag zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige und zeitgleich einen Antrag auf Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung gestellt. Mit Bescheid vom 16. Mai 2012 habe die Beklagte festgestellt, dass ab dem 1. November 2010 keine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden habe und habe den Kläger sowohl im Bescheid als auch mittels dem beigefügten Hinweisblatt über die Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des weiteren Versicherungsschutzes für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und zur Pflichtversicherung auf Antrag belehrt. In diesem Zusammenhang habe die Beklagte sowohl bei der persönlichen Vorsprache am 14. März 2012 als auch in dem Bescheid vom 16. Mai 2012 sowie den beigefügten Vordrucken wiederholt darauf hingewiesen, dass die Auskunfts- und Beratungsstellen für weitere Erläuterungen bzw. Beratungen zur Verfügung stünden. Damit sei die Beklagte nach Überzeugung des SG ihrer Beratungspflicht umfassend nachgekommen.
Soweit der Kläger meine, dass sein Wunsch auf Abschluss einer Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI bereits dadurch erkennbar gewesen sei, dass er bei der Agentur für Arbeit ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gemäß § 28a SGB III beantragt habe, könne sich das SG dem nicht anschließen. In diesem Zusammenhang sei bereits zu berücksichtigen, dass das Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a SGB III die einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung von Arbeitslosengeldansprüchen und mithin alternativlos sei. Demgegenüber hätten Selbstständige im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem Wunsch auf Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes die Wahl zwischen einer Pflichtversicherung auf Antrag und der Entrichtung von Freiwilligenbeiträgen. Dabei sei auch zu würdigen, dass ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 4 Abs. 2 SGB VI regelmäßig sowohl die Entrichtung höherer Pflichtbeiträge - im Vergleich zu den Mindestbeiträgen zur freiwilligen Rentenversicherung - zur Folge habe, als auch eine Beendigung des Pflichtversicherungsverhältnisses ausscheide. Solange ein Selbstständiger eine Versicherungspflicht auf Antrag begründet habe, sei er hieran während der Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit gebunden. Die Versicherungspflicht ende nach § 4 Abs.  4 Satz 2 SGBVI erst mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen weggefallen seien. Bei Selbstständigen ende die Versicherungspflicht grundsätzlich mit dem Tag, an dem die Voraussetzungen hierfür entfielen, also z.B. wenn die selbstständige Tätigkeit aufgegeben werde oder Versicherungspflicht nach anderen Vorschriften eintrete. Sofern sich jedoch lediglich die Art der selbstständigen Tätigkeit ändere, bleibe die Versicherungspflicht bestehen (mit Hinweis auf Knorr in Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 4 SGB VI <Stand 1. April 2021>, Rn. 39). Im Rahmen des § 28a SGB III ende das Versicherungsverhältnis z.B. nach § 28a Abs. 5 Nr. 3 SGB III, wenn der Versicherte mit der Beitragszahlung länger als drei Monate im Verzug sei, mit Ablauf des Tages, für den letztmals Beiträge gezahlt worden seien. Infolgedessen sei das wirtschaftliche Risiko bei einem Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a SGB III deutlich niedriger als bei einem Versicherungspflichtverhältnis nach § 4 Abs. 2 SGB VI. Insofern gehe das SG davon aus, dass sich der Kläger damals bewusst für die flexiblere Beitragszahlung im Rahmen einer freiwilligen Rentenversicherung entschieden habe, um Zahlungen pausieren oder gar beenden zu können. Diesbezüglich sei der Verwaltungsakte auch zu entnehmen, dass der Kläger seine Beitragszahlung z.B. im August und September 2013 unterbrochen habe und die Zahlung erst ab Oktober 2013 wieder aufgenommen habe.
Dass der Kläger rückblickend aufgrund der eingetretenen Erwerbsminderung im Februar 2017 lieber die Antragspflichtversicherung in Anspruch genommen hätte, sei menschlich nachvollziehbar, aber die nunmehr fehlenden besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGBVI seien das Ergebnis seiner damals gewählten Risikoabsicherung.

Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 24. April 2023 zugestellte Urteil am 26. April 2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung macht der Klägerbevollmächtigte geltend, der Kläger habe von 1991 bis 2010 als angestellter Maler bei einer Firma gearbeitet. Vom 1. November 2010 bis 15. Dezember 2016 habe er einen selbstständigen Malerbetrieb geführt und dort im Ein-Mann-Betrieb als Maler und Tapezierer vollschichtig gearbeitet. Bei der Existenzgründung für das Gewerbe „Raumausstatter“ habe der 48-jährige Kläger bei der Agentur für Arbeit bezüglich der Anwartschaftsaufrechterhaltung von Arbeitslosengeld gemäß § 28a SGB III einen Antrag auf Versicherungspflicht auf Antrag gestellt.
In der gesetzlichen Rentenversicherung sei er ebenfalls vorstellig geworden bezüglich Anwartschaftsaufrechterhaltung wegen Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger habe im Rahmen der Statusprüfung seiner selbstständigen Tätigkeit einen Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige erhalten. Laut dem Fragebogen sei der Kläger vor der jetzigen Tätigkeit für den Auftraggeber als Arbeitnehmer tätig gewesen, siehe Ziff. 3.3 (Problematik Scheinselbstständigkeit).
Im Bearbeitungsbogen für den Sachbearbeiter vom 11. Mai 2012 stehe in Ziff. 7.2, dass eine Versicherungspflicht als selbstständig Tätiger nicht bestehe und dass auf die Versicherungspflicht auf Antrag hinzuweisen sei, (siehe Bl. 35 VA und Bl.  99 SG-Akte).
Beim späteren Eingabe- und Verfügungsbogen vom 4. September 2015 für eine freiwillige Versicherung sei kein Vermerk „Selbstständiger - Hinweis auf Antragspflichtversicherung“ erfolgt. Der Kläger sei entgegen dem oben aufgeführten Bearbeitungsbogen nicht auf die Versicherungspflicht als Selbstständiger auf Antrag hingewiesen worden.
Im Rahmen des SG-Verfahrens sei auch mit Schriftsatz vom 3. März 2022 ausgeführt worden, dass der Kläger wirtschaftlich in der Lage gewesen sei, während der selbstständigen Tätigkeit monatliche Pflichtbeiträge in entsprechender Höhe einzuzahlen.
Eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger nachträglich zur Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 SGB VI zuzulassen, ergebe sich auch aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches.
So müsse u.a. zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; auf ein Verschulden des Versicherungsträgers komme es dagegen nicht an. Allein die Übersendung von meist allgemein gehaltenen Merkblättern reiche regelmäßig nicht aus, wenn sich ein besonderer Beratungsbedarf ergeben habe (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 1991 - 12 RK 22/91 - juris Rn. 31). Demgemäß sei ein Herstellungsanspruch in ständiger Rechtsprechung des BSG bejaht worden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt seien (1.) Vorliegen einer Pflichtverletzung, die sich der Sozialleistungsträger im Verhältnis zum Berechtigten zurechnen lassen müsse, (2.) Eintritt eines rechtlichen Schadens beim Berechtigten, (3.) Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt und (4.) Möglichkeit der Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre.
Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Durch die Rechtsprechung des BSG sei geklärt, dass eine Antragspflichtverletzung im Wege des Herstellungsanspruches herbeigeführt werden könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.  März 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.  Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Das SG habe sich insbesondere eingehend mit der Frage eines Herstellungsanspruches beschäftigt und bereits im Tatbestand hierzu die Hinweise der Beklagten im Bescheid vom 16. Mai 2012 zitiert und darauf hingewiesen, dass weitere Unterlagen zum Thema Versicherungsschutz und Pflichtversicherung auf Antrag beigefügt gewesen seien. Dass der Kläger sich trotz dieser Information für eine freiwillige Versicherung entschieden habe, sei die am häufigsten genutzte Option, um die vermeintlich teurere Pflichtversicherung zu umgehen und nicht für die gesamte zukünftige Tätigkeit unwiderruflich an die Versicherungspflicht gebunden zu sein.


Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 18. August 2023 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestehe, dass der Senat die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweise, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten war Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs.1 und Abs. 3 SGG) eingelegte zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten, die für den Senat keinen Anlass zu einem anderen Verfahren gegeben hat, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat zutreffend unter Berücksichtigung der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen in den §§ 4, 43, 53, 241 SGB VI wie auch unter Beachtung der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen Fehlens der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verneint. Der Senat macht sich diese Ausführungen zu eigen, nimmt auf die Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen Bezug und sieht insoweit von der weiteren Darstellung der Gründe hier gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.
Im Berufungsverfahren ergibt sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägerbevollmächtigten nichts anderes. Wie oben schon angesprochen hat das SG überzeugend und schlüssig dargetan, dass der Kläger zum einen schon bei seiner Vorsprache am 14. März 2012 (siehe Aktenvermerk Bl. 164 SG-Akte) im Zusammenhang mit den Merkblättern (siehe hierzu auch Bl. 168 ff. SG-Akte) auch darauf hingewiesen worden sei, dass bei Nachfragen die Möglichkeit bestehe entsprechende Beratungstermine zu vereinbaren. Auch im Bescheid vom 16. Mai 2012 wie auch in den Merkblättern selbst wird ergänzend jeweils darauf hingewiesen, bei Nachfragen entsprechende Beratungstermine zu vereinbaren.

Die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, dass über die Merkblätter hinaus hier im Falle des Klägers ein besonderer Beratungsbedarf bestanden hätte, dem die Beklagte nicht genügt hätte, teilt der Senat nicht.

Nach der Rechtsprechung des BSG darf die Beklagte sich zur Erfüllung ihrer Beratungspflicht grundsätzlich auch der Übersendung von Merkblättern bedienen. Das BSG hat dieses jedoch nicht als ausreichend angesehen, wenn der Versicherte in schwierigen Fragen um Beratung gebeten und seine Unsicherheit deutlich gemacht hatte (BSG Urteil vom 7. November 1991 - 12 RK 22/91 -, juris Rn. 18 mit Hinweis auf: Urteil vom 8. Dezember 1988 - 
12 RK 7/87 - , juris Rn.19). Des Weiteren hat das BSG im Urteil vom 7. November 1991 noch darauf verwiesen, dass in der Regel die Übersendung von meist allgemein gehaltenen Merkblättern ebenso wenig ausreicht, wenn zwar kein Beratungsbegehren geäußert worden ist, sich jedoch ein besonderer Beratungsbedarf anderweitig ergeben hat. Ausreichend waren dann nach Auffassung des BSG die Merkblätter nur, wenn aus ihnen für den Versicherten im dort entschiedenen Fall die Gefahr für die Anwartschaft und das zu deren Erhalt Notwendige ohne weiteres erkennbar waren. Ausführungen hingegen, die zu Unklarheiten und Missverständnissen Anlass geben konnten, aus denen sich der richtige Rat erst unter Anwendung speziell juristischer Denkweisen oder aus der Zusammenschau getrennt stehender Abschnitte erschloss oder in denen der gebotene Rat unter einer Fülle anderer Informationen verborgen lag, waren demgegenüber unzureichend (BSG Urteil vom 7. November 1991 – 12 RK 22/91 -, juris Rn. 18).
Solche Umstände liegen jedoch zur Überzeugung des Senates hier nicht vor. Zum einen hat der Kläger an keiner Stelle einen ausdrücklichen besonderen Beratungsbedarf zum Ausdruck gebracht. Zum anderen hat der Kläger nach der Vorsprache am 14. März 2012 bereits am 27. März 2012 neben dem Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige auch seinen Antrag auf Beitragszahlung für eine freiwillige Versicherung vorgelegt. Ganz offensichtlich hatte sich damit auch kein Beratungsbedarf für den Kläger ergeben (etwa hinsichtlich der Vor- und Nachteile einer freiwilligen Versicherung bzw. der Vor- und Nachteile einer Pflichtversicherung) und folglich für die Beklagte nicht ansatzweise ein wie auch immer gearteter besonderer Beratungsbedarf aufgedrängt. Zumal auch z.B. dem Merkblatt V0025 zur Versicherungspflicht auf Antrag für Selbstständige unter Nr. 11 „Vorteile der Versicherungspflicht“ unter anderem zu entnehmen ist, dass versicherungsrechtliche Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht mehr durch freiwillige Beiträge, sondern nur durch Pflichtbeiträge erfüllt werden können, sofern vor dem 1. Januar 1984 weniger als fünf Jahre Beitragszeiten und Ersatzzeiten zurückgelegt worden sind, was bei dem erst 1963 geborenen Kläger gegeben ist (so weist der Versicherungsverlauf vom 5. April 2018 – Bl. 365 VA – lediglich für die Zeit vom 1. März 1982 bis 30. Juni 1982 vier Monate Pflichtbeitragszeit in der Türkei und im Übrigen erst ab dem 1. Juli 1991 wieder Pflichtbeitragszeiten aus).

Aus diesen Gründen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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