L 2 SO 1323/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 1655/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1323/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. März 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten höhere Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum 1. März 2023 bis 29. Februar 2024 nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und macht die Grundgesetzwidrigkeit des „Bürgergeldgesetzes“ geltend.

Der 1958 geborenen und vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII beziehenden Klägerin gewährte der Beklagte auf deren Weiterbewilligungsantrag mit Bescheid vom 7. Februar 2023 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für den Zeitraum vom 1. März 2023 bis 29. Februar 2024 in Höhe von monatlich 801,30 €. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Grundsicherungsbedarf von 502,00 €, einen Mehrbedarf für die Warmwasseraufbereitung von 11,55 € und einen Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung von 540,70 €. Als bedarfsminderndes Einkommen brachte er vom ermittelnden Gesamtbedarf die von der Klägerin bezogene Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 258,95 € abzüglich eines Beitrags zum VdK in Höhe von 6,00 € in Abzug.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und verfolgte die Berücksichtigung eines monatlichen Regelbedarfs von 850,00 €; der bislang anerkannte Regelbedarf sei verfassungswidrig zu gering bemessen.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2023 hob der Beklagte wegen der Erhöhung der als Einkommen berücksichtigten Erwerbsminderungsrente den Bescheid vom 7. Februar 2023 teilweise für den Zeitraum vom 1. Juli 2023 bis 29. Februar 2024 auf; der monatliche Leistungsanspruch betrug nunmehr 791,77 €.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2023 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Widerspruch sei unzulässig. Aufgrund der Vielzahl der gegenüber der Klägerin ergangenen gerichtlichen Entscheidung zur Rechtsfrage, ob die Regelsatzfestsetzung verfassungsgemäß sei und insbesondere aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das die Regelleistung als verfassungsgemäß eingestuft habe, sei die von der Klägerin begehrte Rechtsposition ausgeschlossen. Es mangele ihrem Widerspruch deshalb an einer formellen Beschwer.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. August 2023 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Sie hat umfangreiche Ausführungen dazu gemacht, dass die gesetzlich festgesetzte Höhe des Regelbedarfs das Existenzminimum nichtig und verfassungswidrig zu niedrig sei. Datenmaterial und Berechnungsmethoden änderten sich jährlich und es könnten beklagtenseits veraltete Rechtsprechung sowie abgeschlossene Verfahren nicht als Begründung verwandt werden. Die Veränderungsraten für die Erhöhung der Grundsicherung nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) und Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSFV) ab 2023 bildeten auch unter Berücksichtigung der steigenden Verbraucherpreise nicht die tatsächlichen Preise für die Güter und Dienstleistungen aus den zwölf Abteilungen der Regelsatzverordnung ab und der Gesetzgeber habe nicht die bekannten Regelungs-/Finanzierungslücken geschlossen. Es bestehe ein monatlicher Regelbedarf für den Zeitraum vom 1. März 2023 bis 29. Februar 2024 in Höhe von 850,00 €. Dem seien noch die Beiträge für Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung hinzuzuaddieren.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2023 hat der Beklagte unter entsprechende Aufhebung des Bescheids vom 23. Juni 2023 für den Zeitraum 1. Januar bis 29. Februar 2024 wegen der Erhöhung des Regelsatzes ab 1. Januar 2024 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 854,17 € monatlich bewilligt.

Mit Gerichtsbescheid vom 26. März 2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei der Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2023 i.d.F. des Bescheides vom 23. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2023 über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 1. März 2023 bis zum 29. Februar 2024. Mit der hiergegen erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolge die Klägerin die Bewilligung höherer Leistungen für den vorgenannten Zeitraum unter Berücksichtigung eines monatlichen Regelbedarfs in Höhe von 850,00 € und die Anerkennung weiterer Absetzbeträge vom bedarfsmindernd berücksichtigten Renteneinkommen und die Vorlage nach Art. 100 Abs.1 Grundgesetz (GG) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Der Bescheid vom 7. Februar 2023 i.d.F. des Bescheides vom 23. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2023 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2023 bis zum 39. Februar 2024 als ihr der Beklagte bereits bewilligt habe. Die Kammer habe das Vorbringen der Klägerin dahingehend ausgelegt, dass sie höhere Leistungen für den Zeitraum vom 1. März 2023 bis zum 29. Februar 2024 begehre, obwohl sich ihr Begehren wörtlich auf höhere Leistungen für den Zeitraum „01.02.2023 bis 31.01.2024“ beziehe. Der Zeitraum vom 1. März 2023 bis zum 29. Februar 2024 liege dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde. Dem wörtlichen Antrag dagegen folgend, wäre die Klage hinsichtlich Februar 2023 bereits unzulässig, da der Beklagte hierüber nicht durch den streitgegenständlichen Bescheid entschieden habe. Ebenso hätte die Klägerin im Fall ihres Obsiegens keinen Anspruch auf höhere Leistungen für Februar 2024, da insoweit mangels Klageerhebung die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides eingetreten wäre.
Der Beklagte habe der Berechnung des Leistungsanspruchs der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum einen zutreffenden Regelbedarf nach § 42 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 27a Abs. 3 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII zugrunde gelegt. Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin im Vergleich zur Allgemeinheit ein gesteigerter Bedarf vorliegt, ergäben sich zur Überzeugung der Kammer nicht, sodass auch eine abweichende Regelbedarfsfestsetzung nach § 42 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 27a Abs. 4 SGB XII nicht in Betracht komme.
Soweit die Klägerin das Ziel verfolge, die Beiträge zur Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung zu übernehmen, bestehe hierfür keine gesetzliche Grundlage. Nach einer am Klagebegehren orientierten Auslegung wäre lediglich die einkommensmindernde Berücksichtigung der vorgenannten Versicherungsbeiträge denkbar. Die Klägerin habe jedoch während des Verwaltungsverfahrens dieses Begehren gegenüber dem Beklagten nicht geltend gemacht, sondern erstmals im Klageverfahren. Zudem habe sie nicht ansatzweise nachgewiesen, dass sie über die entsprechenden Versicherungen verfüge, geschweige denn, wie hoch die monatlichen Versicherungsbeiträge seien.
Gegen den Bescheid vom 23. Juni 2023, durch den der Beklagte wegen der Erhöhung der als Einkommen angerechneten Erwerbsminderungsrente der Klägerin die bewilligten Leistungen im Zeitraum vom 1.  Juli 2023 bis zum 29. Februar 2024 teilweise aufgehoben habe, habe die Klägerin im Klageverfahren keine Einwände vorgebracht. Die Kammer könne unabhängig hiervon keine Umstände erkennen, woraus sich die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides ergeben könnte.
Infolge der Höhe des bei der Leistungsbemessung der Klägerin berücksichtigten Regelbedarfs sei ihr menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet. Anhaltspunkte für eine verfassungswidrige Unterbemessung des Regelbedarfs ergäben sich zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin im Verwaltungs- und Klageverfahren und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung gerade auch des BVerfG hierzu nicht.
Deshalb sei das Verfahren auch nicht auszusetzen und dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen gewesen, da die Kammer nicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfsbemessung überzeugt sei. Auch der von der Klägerin benannte Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Juni 2023 zwinge zur Überzeugung der Kammer zu keiner abweichenden Beurteilung. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Verfahrensverbindung lägen zudem nicht vor. Mangels eines höheren Leistungsanspruchs für den streitgegenständlichen Zeitraum gehe der geltend gemachte Zinsanspruch ins Leere.

Die Klägerin hat gegen den ihr mit Postzustellungsurkunde am 28. März 2024 zugestellten Gerichtsbescheid am 27. April 2024 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Sie hat an ihrem Begehren auf Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen festgehalten und weiterhin wie bereits im Verfahren vor dem SG umfangreich dargelegt, weshalb die Regelsätze ihrer Auffassung nach verfassungswidrig zu niedrig seien. Es wird insoweit auf den ausführlichen Schriftsatz der Klägerin vom 30. Mai 2024 (Bl. 32 bis 42 bzw. 44 bis 53 LSG-Akte) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt (Nr. 1 sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. März 2024 aufzuheben und

1. unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 7. Februar 2023 i.d.F. des Bescheides vom 23. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.  Juli 2023 und des Bescheides vom 20. Dezember 2023 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum 1. März 2023 bis 29. Februar 2024 eine monatliche Grundsicherungsrente in Höhe von 850,00 € abzüglich geleisteter 449,00 € zu gewähren sowie die Klagesumme zu verzinsen und

2. festzustellen, dass das Bürgergeldgesetz, BGBl. I S. 2328, gegen Art. 1 Abs. 1, Abs. 3, 2 Abs. 1, 19 Abs. 9, 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1, 80 Abs. 1 GG verstößt und die Rechtssache nach Art.100 GG vorzulegen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand des Verfahrens ist gem. § 96 SGG auch der Bescheid vom 20. Dezember 2023, mit welchem der Änderungsbescheid vom 23. Juni 2023 ersetzt worden ist.

Der Senat hat zunächst das von der Klägerin in ihrem Berufungsschriftsatz vom 26. April 2024 zum Ausdruck gebrachte Begehren nach Antrag Nr. 1 im Rahmen der sachdienlichen Auslegung gemäß § 123 SGG bezüglich des maßgeblichen Zeitraumes in Anlehnung an den Antrag erster Instanz um einen Monat betreffend Beginn und Ende nach hinten korrigiert.

Im Übrigen hat das SG auch zutreffend auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 28 SGB XII i.V.m. dem RBEG und den §§ 28a, 40 SGB XII i.V.m. der für das jeweilige Jahr geltenden RBSFV sowie der zur Frage der Verfassungskonformität bei den Regelsätzen ergangenen Rechtsprechung des BVerfG einen Anspruch der Klägerin auf höhere Grundsicherungsleistungen für den hier streitigen Zeitraum zu Recht verneint und die Klage auch insoweit abgewiesen. Der Senat nimmt im Hinblick darauf auf die Ausführungen des SG Bezug und sieht von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGGH ab.

Der Senat gelangt des Weiteren auch nicht unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren zu einer anderen Einschätzung, denn die Klägerin wiederholt hier im Ergebnis nur ihren Vortrag aus dem Klageverfahren sowie die von ihr schon seit Jahren vertretenen Positionen, über die der Senat auch schon mehrfach in der Vergangenheit hatte entscheiden müssen. Demnach besteht auch kein Anlass für eine Vorlage nach Art. 100 Abs.1 GG und kein Anspruch auf die begehrten Zinsen.

Eine Veranlassung für den Senat, gemäß § 114 Abs. 2 SGG das Verfahren auszusetzen, besteht nicht. Die Klägerin verweist auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 6. Juni 2023; dieses Verfahren wird beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvL 2/23 geführt. Dem BVerfG sind in diesem Verfahren die Fragen zur Entscheidung vorgelegt worden, ob §  70 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) i.d.F. des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Regelung einer Einmalzahlung der Grundsicherungssysteme an erwachsene Leistungsberechtigte und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs  zur Sozialsicherung und zur Änderung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes aus Anlass der COVID-19-Pandemie vom 10. März 2021 mit Wirkung vom 1. April 2021 mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art.20 Abs.1 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist sowie, ob § 73 SGB II i.d.F. des Art.1 Nr. 5 des Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und weiterer Gesetze vom 23. Mai 2022 mit Wirkung vom 1. Juni 2022 mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs.1 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Dabei ist dem BVerfG nicht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, die hier vorliegend streitgegenständlich ist, ob nämlich die Höhe der monatlichen Regelsätze für den Regelbedarf der Klägerin verfassungsgemäß sind.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
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