L 2 U 438/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 252/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 438/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Mit Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, hat das BSG für Berufskrankheiten ohne normative oder ohne nach der herrschenden medizinischen Meinung feststehende Mindestbelastungsdosis eine durchaus kritikwürdige Beweislastumkehr eingeführt.
2. Die Vermutung eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung setzt voraus, dass ein beruflicher Kontakt mit dem in der BK genannten Listenstoff stattgefunden hat und die Erkrankung durch diesen Stoff verursacht sein kann.
3. Die vom BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, vorgegebene Vermutungsregelung eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung kann nur widerlegt werden durch die positive Feststellung einer konkreten außerberuflichen Ursache von überragender Bedeutung.
4. Die bloße Möglichkeit oder auch gute Gründe für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die vermutete überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht ausschließen.

 

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat den Klägerinnen die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nummer 1108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (im Folgenden: BK 1108), also einer durch Arsen oder seine Verbindungen verursachten Erkrankung.

Der im Jahr 1960 geborene und während des Berufungsverfahrens verstorbene Versicherte, der ursprüngliche Kläger (im Folgenden: Versicherter), war verheiratet und hatte eine Tochter. Er war von 1981 bis 1997 bei der S AG in A und von 1997 bis 2013 als Glasmachermeister bei der G, in A beschäftigt.

Nach Angaben des Versicherten begannen ungefähr ab November 2012 seine gesundheitlichen Probleme: Er habe das Gefühl gehabt, dass er immer total matt und abgeschlagen gewesen sei, ab und zu habe er auch Übelkeit verspürt.

Vom 13.02.2013 bis 23.02.2013 wurde der Versicherte nach Überweisung seines Hausarztes im Bezirksklinikum M stationär behandelt. Nach dem Entlassungsbericht des Bezirksklinikums vom 23.02.2013 wurde beim Versicherten u.a. die Diagnose einer sensomotorischen, gemischten, axonal-demyelinisierenden Polyneuropathie, möglicherweise im Rahmen eines chronischen Alkoholabusus, gestellt.

In der Woche von Montag, den 23.09.2013, dem ersten Arbeitstag nach längerer urlaubs- und krankheitsbedingter Abwesenheit, bis Freitag, den 27.09.2013, verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Versicherten fortschreitend in der Weise, dass er eine schwere Arsenvergiftung mit septischem Schock und Multiorganversagen erlitt. Am Montag, den 30.09.2013, wurde der Versicherte mit Vigilanzminderung, Verwirrtheit, Parästhesien und Hauteffloreszenzen ins Kreiskrankenhaus A gebracht, wo er sich bis 08.10.2013 in intensivmedizinischer Behandlung befand. Im Urinbefund (Eingangsdatum 01.10.2013), den das Kreiskrankenhaus A am 08.10.2013 erhielt, war der Arsenspiegel mit 3.060 µg/l (Referenzbereich < 25 µg/l) massiv erhöht. Bei sich entwickelndem septischen Schock im Rahmen einer Pneumonie beidseits mit Multiorganversagen (Nierenversagen) wurde der Versicherte per Rettungshubschrauber in die Toxikologie des Klinikums I der Technischen Universität M1 (Intensivmedizin) verlegt. Der vorläufige Verlegungsbrief des Kreiskrankenhaus A vom 16.10.2013 enthielt folgende Diagnosen:
*  V. a. chronische Arsenvergiftung bei beruflicher Exposition (Glasherstellung) (T57.0),
*  septischer Schock mit Multiorganversagen (akute respiratorische Insuffizienz, akutes Nierenversagen, DIC) bei Pneumonie bds. auf dem Boden einer lmmunsuppression bei bestehender Panzytopenie (V. a. toxische Knochenmarkssuppression durch Arsen, medikamentös bedingt - Lyrica und Amitriptylin in der Vormedikation),
*  V. a. medikamentös induzierte Pankreatitis mit Aszitesbildung perihepatisch und perisplenisch,
*  Z. n. chronischem C2-Abusus, anamnestisch seit ca. März 2013 kein Alkoholabusus mehr,
*  sensomotorische gemischte axonal demyelinisierende Polyneuropathie, möglicherweise im Rahmen eines chronischen Alkoholabusus,
*  Z. n. thorakalem Herpes Zoster 05/2012,
*  Z. n. Pleuritis 08/2012.

Am 09.10.2013 zeigte das Kreiskrankenhaus A der Beklagten die Arsenvergiftung (ICD-10: T 57.0) des Versicherten als mögliche BK an.

Auf Grund der gravierend erhöhten Arsenwerte in Urin und Blut wurde im Klinikum I beim Versicherten ab 11.10.2013 eine Hämodiafiltration in Kombination mit der intravenösen Gabe des Chelatbildners DMPS begonnen. Am 22.10.2013 erfolgte die Extubation des Versicherten bei suffizienter Spontanatmung. Im Anschluss zeigte sich ein prolongiertes Delir, welches u. a. auch auf die Arsenwirkung zurückgeführt wurde. In der Folge wurde der Versicherte kontaktierbarer, wach und voll orientiert. Es zeigte sich aber nach wie vor eine sensomotorische Polyneuropathie aller Extremitäten, an den Beinen ausgeprägter als an den Armen. Im Abschlussbericht des Klinikums I vom 06.11.2013 wurden neben der toxikologischen Diagnose: "Arsen, Typ akut und chronisch, Ätiologie gewerblich, Symptomatik schwer, Giftnachweis quantitativ" folgende Nebendiagnosen genannt:
*  Toxische Wirkung von Arsen und seinen Verbindungen (T 57.0),
*  Multiorganversagen (Lunge, Leber, Niere, Hirn, Knochenmark, Kreislauf) (R 57.8),
*  Pneumonie mit septischem Schock (J18.9),
*  organisches Psychosyndrom (Arsen) (F06.08),
*  Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien (G62.2).

Am 07.11.2013 erfolgte die Verlegung in das Reha-Zentrum N, wo sich der Versicherte bis 17.01.2014 in stationärer Reha-Behandlung befand. Die ausgeprägte Polyneuropathie bestand fortlaufend und schränkte die Gehfähigkeit des Versicherten in erheblichem Maße ein.
 
Die Beklagte ließ die Verwendung von Arsen in der Glasfachschule A von ihrem Technischen Aufsichtsdienst (TAD) überprüfen. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 25.11.2013 aus, dass nach Aussage des Schulleiters der Glasfachschule A, W, für die Glasherstellung im Ausgangsgemenge seit mehr als 20 Jahren kein Arsen mehr verwendet werde. Es sei daher davon auszugehen, dass die Arsenvergiftung nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei.

Der Gewerbearzt H führte in seiner Stellungnahme vom 06.12.2013 aus, dass sich auf Grund der Aktenlage keine Hinweise auf eine berufliche Exposition gegenüber Arsen ergäben. Die Anerkennung als BK könne somit aus gewerbeärztlicher Sicht nicht empfohlen werden.

Mit Bescheid vom 23.01.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1108 ab. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Die Ermittlungen des Präventionsdienstes hätten ergeben, dass an der Glasfachschule A für die Herstellung des Glases im Ausgangsgemenge seit 20 Jahren kein Arsen mehr verwendet werde. Die Arsenintoxikation sei daher nicht ursächlich auf die Tätigkeit als Glasmacher in der Glasfachschule A zurückzuführen.

Hiergegen erhob der Versicherte mit Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten vom 07.02.2014 Widerspruch.

Mit Schreiben vom 31.01.2014 bat der Gewerbearzt B die Beklagte darum, zu prüfen, welches Glasgemenge (Glaspulver) und Stangenglas in der Glasfachschule verwendet worden seien. Es gebe eine potenzielle Arsenbelastung im Glaspulver und im Stangenglas. Die Bindung des Arsens im Glas verhindere bei entsprechender Einwirkung nicht, dass das Arsen in den Körper aufgenommen werden könne. Die Beklagte werde daher gebeten, beim Hersteller den genauen Arsengehalt des Pulvers und die Liefermengen an die Glasfachschule zu klären.

Nach entsprechender Anforderung durch die Beklagte teilte die Glasfachschule mit, dass das verwendete Glasmehl und die Glasstangen von der Fa. K bezogen würden. Die Sicherheitsdatenblätter wurden von der Beklagten angefordert und der TAD um Stellungnahme gebeten.

Parallel zum Verwaltungsverfahren der Beklagten führte die Staatsanwaltschaft D ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen gefährlicher Körperverletzung mittels Beibringung von Gift zu Lasten des Versicherten durch (Az. 5 UJs 3299/13). Eingeleitet wurde das Ermittlungsverfahren nach einer Strafanzeige gegen Unbekannt, welche am 18.10.2013 von der Ehefrau des Versicherten in anwaltlicher Vertretung gestellt worden war.

Den Akten des Strafverfahrens ist Folgendes zu entnehmen:
*  In der Strafanzeige wurde vorgetragen, dass der Versicherte bereits seit November 2012 immer wieder Beschwerden in Form von Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und einem geschwollenen Gesicht gehabt habe. Während des Urlaubs seien die Beschwerden besser gewesen, nach Rückkehr an den Arbeitsplatz immer wieder schlimmer. Am selben Ofen wie der Versicherte habe der Schmelzer P gearbeitet. Jeden Freitagnachmittag seien die Glasmacher berechtigt, zu schinden, d. h. Glas für den Eigenverbrauch herzustellen. Dies sei eine lange niederbayerische Glasmachertradition des Bayerischen Waldes. Die Tochter des P habe gegenüber einer Arbeitskollegin erwähnt, dass ihr Vater, P, das ganze Arsen zu Hause habe, damit das nicht rauskomme. Daneben sei nicht auszuschließen, dass in den Räumlichkeiten der Glasfachschule irgendwo Arsen austrete. Auch sei es möglich, dass das Arsen möglicherweise im Spind des P in der Glasfachschule gelagert worden sei.
*  Im Rahmen des von der Kriminalpolizei D durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde eine Vielzahl von Zeugen vernommen. Das Gerücht, dass der Arbeitskollege P Arsen mit nach Hause genommen habe, wohl um Schaden von der Glasfachschule abzuhalten, und der Verdacht, dass sich der Versicherte die (potenziell) tödliche Dosis Arsen selbst verabreicht haben könnte, bestätigten sich dabei nicht.
*  Bei einer rechtsmedizinischen Begutachtung des Versicherten auf Arsen (Gutachten des G/R vom 08.01.2014) ergaben sich für Arsen sehr hohe Werte.
*  Eine toxikologische Untersuchung von Arbeitsschuhen, Arbeitshandschuhen und weiteren Gegenständen (Gutachten des G1 vom 13.01.2014) belegte einen Kontakt des Versicherten mit arsenhaltigen Stäuben, weckte aber wegen der nicht auffällig hohen Arsen-Konzentration an Schuhen, Handschuhen und der Staubmaske Zweifel daran, dass der arbeitstägliche Umgang mit den Stäuben als Quelle der Arsen-Intoxikation angesehen werden könne.
*  Im Rahmen eines weiteren toxikologischen Gutachtens des G1 vom Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts vom 16.04.2014 fanden Haaranalysen und Nagelproben des Versicherten und von Arbeitskollegen statt. Dabei wurde die beim Versicherten vorliegende Arsen-Intoxikation anhand der Untersuchungen seiner Brusthaare und seines Zehennagels bestätigt. Die Analysen insbesondere der Zehennägel würden eine chronische Aufnahme von Arsen belegen. Zur Beantwortung der Frage, ob das vom Versicherten aufgenommene Arsen von den Arbeitsstoffen stammen könne, mit denen er an seinem Arbeitsplatz Umgang gehabt habe, könnten - so der Sachverständige - unter bestimmten Voraussetzungen Elementverhältnisse in Haaren und Nägeln herangezogen werden. Zu diesen Voraussetzungen würden zählen:
o Es müsse ausgeschlossen sein, dass die relevanten Elemente in nennenswertem Ausmaß aus anderen Quellen (z.B. aus der Nahrung) stammen könnten.
o Es müsse ausgeschlossen sein, dass die in den Arbeitsstoffen enthaltenen relevanten Elemente sich auf ihrem Weg in den Körper an- oder abreichern würden.
o Es müsse sichergestellt sein, dass die relevanten Elemente sich in etwa in denjenigen Verhältnissen in die Haare bzw. Nägel einlagern, in denen sie aufgenommen würden.
lm vorliegenden Fall dürften für die Elemente Arsen, Antimon und Blei die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt gewesen sein. Relevante Mengen dieser Elemente würden außerhalb des Arbeitsplatzes eines Glasmachermeisters wohl nicht aufgenommen, bei einem staubenden Granulat stimme die Zusammensetzung des aufgewirbelten Staubs sicher weitgehend mit der elementaren Zusammensetzung des Granulats überein. Die dritte Voraussetzung sei hingegen vom jeweiligen Individuum und den jeweiligen Elementen abhängig. Hier würden keine Erkenntnisse darüber vorliegen, inwieweit sich bei der Einlagerung von Metallen in Haare oder Nägel das Element-Verhältnis des aufgenommenen Materials widerspiegele. Antimon und Blei seien in den Arbeitsstoffen, an der persönlichen Schutzausrüstung und in den Haaren der Arbeitskollegen, die mit diesen Arbeitsstoffen umgehen würden, in Konzentrationen enthalten, die dem Arsen vergleichbar seien oder meist sogar höher seien als die des Arsens. ln denjenigen Asservaten hingegen, die aus dem Körper des Geschädigten stammen würden, also den Brusthaaren und den Abschnitten des Zehennagels, seien Antimon und Blei verglichen mit Arsen um mehrere Größenordnungen niedriger enthalten. Erklärbar sei dieser Befund, wenn man annehme, dass aufgrund von Besonderheiten im Stoffwechsel des Geschädigten Antimon und Blei weit weniger effizient in seine Haare und Nägel eingebaut würden, als das bei seinen drei Arbeitskollegen der Fall sei. In der Gesamtschau der Ergebnisse sei jedoch die Schlussfolgerung naheliegender, dass das Arsen im Körper des Geschädigten nicht aus den Arbeitsstoffen stamme.

Das Ermittlungsverfahren wurde anschließend eingestellt.

In seiner Stellungnahme vom 11.06.2014 führte der TAD aus, dass die Produkte der Fa. K (Glasmehl, Glaszapfen etc. zum Anfärben) nur in Spuren (meist <2 %) Arsen enthielten. In der Luft der Ofenhalle sei daher auch ein kleiner Anteil Arsen gemessen worden. Die Luftmessungen seien an verschiedenen Arbeitsplätzen der Glasfachschule unter einem worst-case-Szenario durchgeführt worden. Die ermittelten Konzentrationen in der Luft und in den verschiedenen Ausgangsmaterialien der Glasherstellung seien so niedrig, dass sie auch bei täglichem Umgang die derart hohe Arsenbelastung, welche beim Versicherten vorgefunden worden sei, nicht erklären könnten. Zudem müssten dann auch die Haarproben der Kollegen wesentlich höhere Werte aufweisen. Zur Frage, ob vom Versicherten diese Arsenmenge durch Inhalation am Arbeitsplatz aufgenommen worden sei, habe das Landeskriminalamt im Rahmen der parallel durchgeführten kriminaltechnischen Ermittlungen unterschiedliche Metalle, welche in den Gemengen enthalten seien, zueinander ins Verhältnis gesetzt. Die aufgenommenen Anteile von Arsen, Antimon und Blei in den Haarproben würden zwar beim Schmelzer P und den Glasmacherkollegen des Versicherten übereinstimmen. Beim Versicherten dagegen gebe es eine deutliche Abweichung zu den Kollegen, wobei hier Arsen deutlich im Vordergrund gestanden habe. Antimon und Blei seien dagegen in seinen Haarproben um mehrere Größenordnungen niedriger enthalten gewesen. Daher habe der Gutachter des Landeskriminalamts den Schluss gezogen, dass das im Körper des Versicherten enthaltene Arsen nicht aus dem beruflichen Umfeld stammen könne.

Auf der Basis dieser Einschätzung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2014 den Widerspruch des Versicherten zurück.

Gegen den Bescheid vom 23.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2014 hat der Versicherte mit Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten vom 21.08.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben.

Das SG hat sich im Rahmen eines Erörterungstermins vom 07.04.2015 Fotos vom Arbeitsplatz des Versicherten vorlegen lassen und sowohl den Versicherten als auch den Leiter der Glasfachschule, W, und den Arbeitskollegen, P, als Zeugen befragt. Hierbei hat der Versicherte angegeben, dass Ende 2012 ein Hafenwechsel stattgefunden habe. Etwa alle vier bis fünf Monate müssten die Glashäfen, d. h. die Tiegel, in denen das Glas geschmolzen werde, gewechselt werden. Zuletzt Ende 2012 sei er beim Hafenwechsel dabei gewesen. Bevor der Hafen aus dem Ofen entnommen werden könne, müssten die Abzugshauben entfernt werden. Dafür sei immer er zuständig gewesen. Beim Herunternehmen der Abzugshauben sei weißer Staub aufgewirbelt worden. Jedes Mal, wenn ein derartiger Hafenwechsel durchgeführt worden sei, sei es ihm einige Tage sehr schlecht gegangen, insbesondere habe er ein geschwollenes Gesicht gehabt. Die Jacke, welche er beim letzten Hafenwechsel Ende 2012 angehabt habe, befinde sich noch in seinem Spind. Weiter hat er angegeben, dass das Gemenge Prilox 1,7 mg Arsentrioxid pro Kilogramm Gemenge enthalte. Die zum Termin mitgebrachten Sicherheitsdatenblätter bestätigen, dass das Gemenge Arsentrioxid enthielt. Der Zeuge P hat zur Frage nach dem verwendeten Gemenge ausgeführt, dass Prilox seit September 2014 nicht mehr hergenommen werde, sie würden jetzt Glasma aus Schweden verwenden.
 
Am 13.03.2015 ist durch den TAD der Beklagten eine Probenentnahme in der Glasfachschule A erfolgt (Ofenrohre/Absauganlage, Gegenstände aus dem Spind des Versicherten, z.B. ein Geschirrtuch). Dabei ist in den Ofenrohren ein Arsenanteil von 3,56 g pro 100 g Staub ermittelt worden; auch das Geschirrtuch wies Arsenanhaftungen auf. Der Versicherte hätte - so der TAD in seiner Stellungnahme vom 15.05.2015 - eine Staubmenge von 1,96 bis 5,05 g inhalieren müssen, um eine entsprechend schwere Intoxikation wie im September 2013 zu erleiden. Aus der Sicht des TAD sei es ausgeschlossen, dass der Versicherte eine Menge von 2 bis 5 g an arsenhaltigem Staub zeitnah zur akuten Vergiftung im September 2013 inhaliert habe, zumal in den Wochen davor kein Hafenwechsel vorgenommen worden sei. Zudem sei nicht erklärbar, dass, wenn die Ursache der Erkrankung des Versicherten in der Aufnahme von kontaminierter Luft oder kontaminierten Stäuben liegen solle, bei ihm ein anderes Verhältnis zwischen Arsen, Blei und Antimon gefunden worden sei als bei den Arbeitskollegen. Es müsste auch bei ihm Antimon oder Blei in höheren Mengen nachweisbar gewesen sein, was de facto aber nicht zugetroffen habe.

Das SG hat sodann D, Leiter des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uniklinik E zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. D hat dem SG telefonisch mitgeteilt, dass eine ambulante Untersuchung entbehrlich sei. In seinem Gutachten nach Aktenlage vom 10.09.2015 hat D nach ausführlicher Darstellung der Krankheitsgeschichte des Versicherten zunächst folgende Diagnosen gestellt:
*  Arsenintoxikation,
*  sensomotorische gemischte axonal demyelinisierende Polyneuropathie unklarer Ätiologie,
*  Z.n. chronischem Alkoholabusus, fremdanamnestisch seit 03/2013 kein Alkoholkonsum mehr,
*  Z.n. thorakalem Herpes Zoster 05/2012,
*  Z.n. Pleuritis 08/2012.
Die Diagnose einer Arsenvergiftung sei - so der Sachverständige - durch die Ergebnisse der ab dem 30.09.2013 durchgeführten Messungen in Blut, Urin, Haaren und Zehennägeln des Versicherten zweifelfrei gesichert. Ob die bereits ab November 2012 beklagten Symptome ebenfalls auf eine Arseneinwirkung zurückzuführen seien, lasse sich im Nachhinein nicht mit hinreichender Sicherheit beweisen oder widerlegen. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen, dass der Versicherte im beruflichen Umfeld so hohe Arsenmengen aufgenommen habe, dass davon eine chronische oder akute Arsenvergiftung hätte herrühren können. Insbesondere im Hinblick auf die akute Vergiftung vom September 2013 sei eine entsprechende Exposition nicht nachweisbar, da der Versicherte hierzu arsenhaltigen Staub im Grammbereich hätte inhalieren müssen. Dies sei auszuschließen. Insgesamt lägen daher die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 1108 nicht vor. Die Akutvergiftung im September 2013 könne auch nicht von dem Hafenwechsel im November 2012 herrühren, weil Arsen relativ schnell verstoffwechselt werde (rd. 66 % innerhalb der ersten zwei Tage). Die Symptome, die der Versicherte zwischen November 2012 und August 2013 laut der ärztlichen Befundberichte gehabt habe, seien nicht spezifisch für eine Arsenintoxikation, hierfür könnten auch andere Ursachen in Betracht kommen. Die gemessenen Werte für Antimon und Blei lägen beim Versicherten in etwa in der gleichen Größenordnung wie bei den Glasmacherkollegen S und S1 vor. Der Kollege P (Schmelzer) weise für Antimon, Blei und auch Arsen höhere Werte auf als Herr S und Herr S1. Der Versicherte selbst weise nur für Arsen, jedoch nicht für Antimon und Blei höhere Werte in der Haaranalyse auf. Dies lege die Schlussfolgerung nahe, dass der Versicherte zusätzlich Kontakt zu Arsen gehabt habe, der bei seinen Kollegen in diesem Ausmaß nicht bestanden habe. Insgesamt betrachtet könne ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition und der erlittenen Arsenvergiftung nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden.

Mit Schriftsatz vom 20.10.2015 haben die aktuellen Bevollmächtigten die Vertretung des Versicherten angezeigt. Anschließend ist ein Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt worden.

K, Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uniklinik A1, hat im Gutachten nach § 109 SGG vom 07.03.2016 nach Untersuchung des Versicherten zunächst ausgeführt, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur BK 1108 im vorliegenden Fall im Vollbeweis vorlägen. So sei durch die Messergebnisse in Materialproben sowie in personengetragenen Messungen, außerdem in Haarproben des Versicherten eine qualitative Exposition bzw. Belastung mit Arsen im beruflichen Umfeld nachgewiesen worden. Auffällig bei diesen Messungen sei jedoch, dass in den Proben des Versicherten ein deutlich unterschiedliches Elementverhältnis zu Gunsten von Arsen vorgelegen habe, woraus geschlossen werden müsse, dass beim Versicherten eine zusätzliche Exposition gegenüber Arsen stattgefunden haben müsse. Eine spezielle Suszeptibilität des Organismus des Versicherten für Arsen bzw. dessen Kumulation sei nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand hingegen höchst unwahrscheinlich. lm Vollbeweis gesichert sei die Arsenintoxikation des Versicherten mit entsprechender Symptomatik und Beschwerden. Bezüglich des ursächlichen Zusammenhangs mit der beruflichen Tätigkeit des Versicherten müssten jedoch erhebliche Zweifel geäußert werden bzw. festgestellt werden, dass ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben sei. So hätte die berufliche Exposition ähnliche Messergebnisse bei den Kollegen mit gleicher Tätigkeit hervorbringen müssen, außerdem würden die Messergebnisse in den Materialproben nicht zu den Ergebnissen der Haar- und Blut- bzw. Urinproben des Versicherten passen. Die ermittelte vorliegende geringe Belastung im beruflichen Umfeld sei nicht geeignet, auch bei Kumulation eine derartige innere Belastung des Versicherten hervorzurufen. Außerdem sei die höhere Belastung im Rahmen eines Hafenwechsels im November 2012 keinesfalls geeignet, eine akute massive Intoxikation im September 2013 hervorzurufen. Vielmehr lasse die hohe innere Belastung des Versicherten vermuten, dass eine zusätzliche isolierte Exposition gegenüber Arsen vorgelegen haben müsse. Da nach den vorliegenden Angaben in der Glasfachschule A Arsen nicht isoliert verarbeitet werde, ergebe sich, unter der Voraussetzung, dass beruflich weiterhin keine zusätzliche Expositionsquelle ausgemacht werden könne, kein sicherer Anhalt im beruflichen Umfeld des Versicherten für eine zusätzliche Arsenbelastung. Auch ein Übertrag von Arsen in die häusliche Umgebung als zusätzliche Expositionsquelle scheide aus, da bereits im Jahre 2013 eine Belastung der Ehefrau und der Tochter des Versicherten, der Klägerinnen, nicht habe nachgewiesen werden können, die im Falle einer häuslichen Belastung ebenso wenigstens Spuren von Arsen hätten aufweisen müssen. Da eine bewusste Verabreichung von Arsen im Sinne einer gewollten Schädigung des Versicherten durch die Staatsanwaltschaft D nicht habe ermittelt bzw. erwiesen werden können, bleibe die Ursache der Arsenvergiftung des Versicherten auch jetzt unklar. Auch außerberuflich hätten sich keinerlei Hinweise für eine zusätzliche Arsenexposition ergeben. Im beruflichen Umfeld lasse sich jedoch nach den bisher bekannten Ermittlungen zur Exposition eine Einwirkungskausalität im Sinne einer Ursache der Arsenbelastung des Versicherten in der genannten Höhe, welche die Symptome einer chronischen bzw. akuten lntoxikation ausgelöst habe, nicht erbringen. Ein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehender Zusammenhang im Sinne einer gesicherten Einwirkungskausalität der beruflichen Tätigkeit und der geschilderten Beschwerden einer akuten oder chronischen Arsenvergiftung liege nicht vor. Somit ergebe sich kein Hinweis für das Vorliegen einer BK 1108.
Folgende Diagnosen hat er gestellt: Chronische und im September 2013 akute Arsenintoxikation mit am ehesten hierdurch bedingter sensomotorisch gemischter axonal demyelinisierenden Polyneuropathie sowie Zustand nach beidseitiger Pneumonie mit hierauf folgender Sepsis mit Multiorganversagen, am ehesten auf dem Boden einer Immunsuppression durch eine toxische Panzytopenie. Ausgeprägte, am ehesten reaktive Depression. Hyperlipoproteinämie.
Die vom Versicherten rezidivierend geschilderten Beschwerden in Form von Übelkeit und Erbrechen und die entsprechend vom Hausarzt dokumentierten Phasen von Gastroenteritiden oder Gastritiden seien als mögliche und wahrscheinliche Zeichen einer Arsenintoxikation zu werten. Es sei die vom Versicherten erstmals ab Ende 2012 beschriebene Symptomatik der Hände und Füße sowie Unterschenkel zu nennen, welche im Rahmen des stationären Aufenthaltes in M im Februar 2013 der Diagnose einer sensomotorischen, gemischten axonal demyelinisierenden Polyneuropathie zugeordnet worden sei, damals noch im vermeintlichen Zusammenhang mit einem chronischen Alkoholabusus, welcher jedoch weder nach Aktenlage noch nach ausführlicher Anamneseerhebung nachvollziehbar bestanden habe. Bei auch sonst fehlenden konkurrierenden Ursachen werde diese Polyneuropathie im direkten ursächlichen Zusammenhang mit der Arsenintoxikation gesehen. Die im Rahmen des akuten Geschehens im September/Oktober 2013 aufgetretenen Verwirrtheitszustände sowie die beidseitige Pneumonie bei Immunsuppression (Panzytopenie am ehesten toxischer Genese) mit anschließendem septischen Schock und Multiorganversagen seien bei entsprechend nachgewiesenen Arsenspiegeln im Blut und im Urin zu diesem Zeitpunkt mit höchster Wahrscheinlichkeit auf eine akute Arsenintoxikation zurückzuführen. Die schmerzhafte ausgeprägte Polyneuropathie beider Hände/Unterarme und Füße bzw. Unterschenkel bis zum Knie seien mit Wahrscheinlichkeit Folge sowohl einer chronischen als auch akuten Arsenvergiftung. Mittelbar sei auch die aufgrund der Beschwerden und Einschränkungen im Alltag bestehende reaktive Depression als Folge der Arsenvergiftung zu werten. Da Arsen im Körper kumuliere, würden bei ununterbrochener Exposition zunehmend höhere Arsenspiegel aufgebaut. Dies sei möglich, da die Halbwertszeit von Arsen drei Stufen aufweise. So hätten ca. 66 % eine Halbwertszeit von etwa 2 Tagen, während weitere 30 % eine Halbwertszeit von rund 9 Tagen aufweisen und die übrigen 4 % eine relativ lange Halbwertszeit mit ca. 38 Tagen aufweisen würden. Es handele sich um eine überwiegend renale Elimination. Bei einer akuten Intoxikation würden in der Regel nach einer zeitnahen Aufnahme von größeren Mengen Arsen Symptome binnen 30 bis 60 Minuten beobachtet. Jedoch sei auch bei Kumulation bei Iängerfristiger Aufnahme ein Sättigungsmechanismus denkbar, der bei Überschreitung dann auch akute Vergiftungserscheinungen zu Tage treten lasse. Hierzu sei jedoch keine verlässliche sogenannte Schwellendosis im menschlichen Organismus bekannt, da eine individuelle Empfindlichkeit (Suszeptibilität) berücksichtigt werden müsse, die hier aber ebenfalls nicht quantifiziert werden könne. Aus toxikologischer Sicht werde gerade der Tatsache, dass in den Haaren (Kopf- und Brusthaare) sowie den Zehennägeln des Versicherten zwar relativ viel Arsen, aber nur wenig Blei oder Antimon zu finden gewesen sei, extreme Wichtigkeit beigemessen. Gerade dieses Missverhältnis im Vergleich zu den Messungen der Staubproben sowie der Haare der Kollegen lasse annehmen, dass eine zusätzliche Expositionsquelle vorgelegen habe, die bis dato nicht habe ermittelt werden können. Da laut Angaben zur Expositionsermittlung Arsen zu keinem Zeitpunkt als einzelne Substanz verarbeitet worden sei, könne auch eine isolierte höhere Exposition des Versicherten hiermit nicht erklärt werden. So müsse es eine weitere Quelle einer isolierten Arsenexposition geben, die geeignet gewesen sei, eine derart ausgeprägte Intoxikation des Versicherten zu bewirken. Wo diese gelegen habe, bleibe auch jetzt offen.
Zusammenfassend hat der Sachverständige festgestellt, dass mit dem Nachweis von Arsen im Rahmen der Ermittlungen zur Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Vollbeweis gegeben seien. Mit dem Vorliegen eines typischen und ausgeprägten Krankheitsbildes und entsprechenden Nachweisen von Arsen im Körpermaterial des Versicherten sei auch eine Erkrankung durch Arsen im Vollbeweis gegeben. Ein ursächlicher Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Exposition sei aufgrund der großen Diskrepanzen der Verhältnisse der Elemente in den Blut- und Haarproben des Versicherten und den Staubproben sowie den Haarproben der Kollegen aber nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit herzustellen.

Der Versicherte hat mit Schriftsatz vom 04.04.2016 gegenüber dem SG erklären lassen, dass trotz der beiden negativen Gutachten die Klage nicht zurückgenommen werde. Dass bei der Probenentnahme durch die Kriminalpolizei bzw. durch den TAD der Beklagten relativ niedrige Arsenwerte im Staub gemessen worden seien, sei auf eine Reinigungsaktion in der Glasfachschule zurückzuführen, welche noch vor Eintreffen der Kriminalpolizei auf Veranlassung des Schulleiters durchgeführt worden sei. Dazu werde eine eidesstattliche Versicherung von S2 vom 08.11.2015 vorgelegt. Trotz dieser Räum- und Reinigungsaktion seien noch Restmengen von Arsen gefunden worden und unter Vollbeweis bewiesen. Es stehe damit fest, dass der Versicherte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung in erhöhtem Maße der Gefahr einer Arsenvergiftung ausgesetzt gewesen sei. Daher komme die Beweiserleichterung des § 9 Abs. 3 SGB VII (Sozialgesetzbuch Siebtes Buch) zum Tragen.

Im Sitzungstermin vom 04.05.2016 hat der Versicherte darauf verwiesen, dass bisher folgendes Ereignis noch zu wenig berücksichtigt worden sei: Am 27.09.2013 sei ihm der Deckel einer Trinkflasche in seinem Spind ganz weit nach hinten gefallen. Er habe sich mit dem Kopf in den Spind hineingebückt, um den Deckel zu suchen. Dabei sei seine Arbeitsjacke, die auf einem Haken gehangen habe, heruntergefallen und habe seinen Kopf bedeckt. Diese Jacke habe der Versicherte beim Hafenwechsel 2012 getragen und sei stark mit Staub kontaminiert gewesen.
 
K hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.06.2016 ausgeführt, dass es nicht wahrscheinlich sei, dass es durch den Vorfall vom 27.09.2013, als die staubbehaftete Jacke des Versicherten auf seinen Kopf gefallen sei und er die Staubaufwirbelungen eingeatmet habe, zu einer Arsenexposition in einem Umfang gekommen sei, die zu einer derart schweren Arsenvergiftung, wie sie im September/Oktober 2013 festgestellt worden sei, geführt haben könne. Die Arsenbelastung im anhaftenden Staub am Geschirrtuch im Spind sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenso nicht geeignet, bei Verwirbelungen und somit Vermischungen mit der Umgebungsluft eine inhalierbare Menge an Arsen abzugeben, die zu einer derart schweren Arsenvergiftung hätte führen können. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass der Versicherte bei dem Vorfall vom 27.09.2013 rund 2 g Staub inhaliert habe. Zudem werde der überwiegende Anteil des Staubes bereits in den oberen Atemwegen abgefangen, insbesondere im Bereich der Nase, so dass dieser Anteil für die Aufnahme in den Organismus nicht mehr zur Verfügung stehe. Ein Nachweis der Kausalität zwischen der akuten Arsenintoxikation und den beruflichen Einwirkungen sei somit nach wie vor nicht zu erbringen.

D hat sich in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01.08.2016 der Auffassung von K angeschlossen und ausgeführt, dass nach wie vor nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen sei, dass die akute Arsenvergiftung vom September/Oktober 2013 durch die staubverschmutzte Arbeitsjacke verursacht worden sei. Da die Angaben zur Resorptionsrate von Arsen in der Lunge uneinheitlich seien, sei ohnehin keine exakte Grammangabe möglich, wieviel an arsenhaltigem Staub man tatsächlich inhalieren müsse, um eine entsprechend schwere Intoxikation zu erleiden. Auch sei die Menge an Staub, die eine Person inhaliere, nicht allein abhängig von der Exposition, sondern auch von der Expositionsdauer und Atemtätigkeit. Daher könne keine definitive Aussage über die vom Versicherten tatsächlich inhalierte Menge an Staub bei dem Ereignis vom 27.09.2013 getroffen werden.

Im Schriftsatz vom 06.09.2016 hat der Bevollmächtigte des Versicherten darauf hingewiesen, dass nach dem Gutachten von K vom 07.03.2016 (dort S. 35) durchaus eine Kumulation von Arsen im menschlichen Körper denkbar sei. Auch sei im Falle einer Kumulation bei längerfristiger Aufnahme ein Sättigungsmechanismus denkbar, der bei Überschreitung akute Vergiftungserscheinungen zutage treten lasse. Hierzu sei jedoch in der medizinischen Wissenschaft keine sogenannte Schwellendosis bekannt. Die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Arsen sei verschieden, so dass man hierzu keine allgemeine Aussage treffen könne. Auch stehe fest, dass der Versicherte bereits im Vorfeld der akuten Intoxikation, d. h. die Monate davor, immer wieder Arsen in hohen Mengen aufgenommen habe, wie die Zehennagel-Analyse ergeben habe. Auf Grund der Analyse des Zehennagels und der Brusthaare bestehe kein Zweifel, dass der Versicherte nicht nur einmalig, sondern über eine längere Zeit immer wieder Arsen aufgenommen habe. Für eine Akutintoxikation sei daher keine Aufnahme von arsenhaltigen Stäuben im Grammbereich mehr nötig gewesen. Des Weiteren hat der Bevollmächtigte des Versicherten erneut darauf verwiesen, dass im Jahr 2014 eine Umstellung des Rohglasgemenges (für die Herstellung von nichtfarbigem Glas) vorgenommen worden sei. Davor sei das Gemenge Prilox verwendet worden und danach das Gemenge Glasma. Letzteres enthalte keine Arsenverbindungen mehr, während Prilox 1,7 mg Arsentrioxid pro kg Gemenge enthalten habe. Die Probenentnahmen durch W im Jahr 2015 seien daher nicht aussagekräftig, weil zwischen der ersten Probenentnahme an den Hafenöfen und der Umstellung des Gemenges mindestens drei Hafenwechsel gelegen hätten. Es werde eine erneute Beprobung und Messung aufgrund des vor Januar 2014 verwendeten Gemenges Prilox beantragt. Die Messungen vom 13.03.2015 durch den TAD spiegelten in keiner Weise die tatsächlichen Belastungen des Versicherten wider. Schon die Untersuchung des Geschirrtuches (Gewicht ca. 83 g) habe eine Anhaftung von 210 µg an reinem Arsen ergeben. Allein die Anhaftung am Geschirrtuch stelle eine mehr als tödliche Dosis dar. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass die Staubanhaftungen an der Jacke weit höher gewesen seien als die auf dem Geschirrtuch.

Mit Urteil vom 02.11.2016 hat das SG die Beklagte unter Anwendung der Beweiserleichterung des § 9 Abs. 3 SGB VII verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2014 beim Versicherten ab dem 30.09.2013 eine BK 1108 anzuerkennen.

Mit Schriftsatz vom 21.12.2016 hat die Beklagte gegen das am 23.11.2016 zugestellte Urteil des SG vom 02.11.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das SG sei - so die Beklagte - zu Unrecht vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einer BK 1108 ausgegangen. Einen allgemeinen Grundsatz, wonach in Fällen eines Beweisnotstandes Beweiserleichterungen zu gewähren seien, gebe es nicht. Bei der Rechtsvermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII handele es sich um eine Beweisregelungsvorschrift, die in Anlehnung an die Grundsätze über den Anscheinsbeweis einer Beweiserleichterung bei der Feststellung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall dienen solle. Die Vorschrift verpflichte die Unfallversicherungsträger zu prüfen, inwieweit aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse bei definierten Einwirkungen einerseits und bestimmten Krankheitsbildern andererseits typischerweise von der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auszugehen sei. Das Bestehen des Ursachenzusammenhangs werde vermutet, wenn zum einen bei dem Versicherten tatsächlich eine Listen-Erkrankung festgestellt worden sei und zum anderen der Erkrankte in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung ausgesetzt gewesen sei. Über die erheblich höhere Gefahr (§ 9 Abs. 1 SGB VII) müsse der Versicherte durch die individuellen besonderen Bedingungen einer versicherten Tätigkeit in noch weit erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung ausgesetzt gewesen sein, so dass Art, Dauer und Intensität der Einwirkung sich so gravierend gesteigert hätten, dass mit der Entstehung der BK habe gerechnet werden müssen. Erforderlich seien dabei wissenschaftliche Erkenntnisse über das Schädigungspotential von nach Art der Intensität und Dauer genau definierten Einwirkungen, die ihrer ursächlichen Bedeutung nach geeignet seien, eine rechtlich allein wesentliche Verursachung zu begründen. § 9 Abs. 3 SGB VII beinhalte somit die Klarstellung, dass Wahrscheinlichkeitsaussagen zum Kausalzusammenhang im Einzelfall bei entsprechend qualifizierten generellen Erkenntnissen über expositionsspezifische Dosis-Wirkungs-Beziehungen bzw. Risikoerhöhungen in Bezug auf definierte Krankheitsbilder aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden dürften, ohne auf positive Kriterien für den Kausalzusammenhang anhand der Beobachtung des Einzelfalls angewiesen zu sein. Typische Anwendungsfälle seien daher Krebserkrankungen mit langen Latenzzeiten, insbesondere wenn keine Brückenbefunde als individuelle Kausalitätskriterien feststellbar seien. Die Gegebenheiten bei der Ausübung der versicherten Tätigkeit, die für die Beurteilung der besonderen Bedingung und der durch sie bewirkten Gefahr in erheblich höherem Grad und Maß bestimmend gewesen seien, müssten im Vollbeweis nachgewiesen sein. Die objektive Beweislast trage der Versicherte. Die Beweiserleichterung des § 9 Abs. 3 SGB VII beziehe sich allein auf den Kausalverlauf. Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung müssten in vollem Umfang bewiesen sein. Nach den durchgeführten Ermittlungen seien jedoch weder die arbeitstechnischen noch die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen gesichert. In Anbetracht der Tatsache, dass nach den eingeholten Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen offensichtlich keine gesicherten Erfahrungsgrundsätze vorlägen, dass bei Glasmachern infolge der beruflichen Exposition gegenüber Schadstoffen regelmäßig Arsenintoxikationen aufträten, bleibe im vorliegenden Fall kein Raum für eine Beweiserleichterung im Sinne des § 9 Abs. 3 SGB VII.

Mit Schriftsatz vom 30.06.2017 ist der Versicherte den Ausführungen der Beklagten entgegengetreten. Er hat darauf hingewiesen, dass (im Jahr 2014) ein Gemengewechsel von Prilox auf Glasma stattgefunden habe und sich im Gemenge Prilox 1,7 mg Arsen pro kg Gemenge befunden habe, während sich erst im Gemenge Glasma keine messbaren Mengen Arsen mehr befunden hätten. Die Vermutungsregel des § 9 Abs. 3 SGB VII greife im vorliegenden Fall, weil andere Verursachungen als die am Arbeitsplatz auszuschließen seien.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.09.2017 darauf verwiesen, dass aufgrund der im Dezember 2013 in der Glasfachschule A durchgeführten Gefahrstoffmessungen in der Luft sowie des Ermittlungsergebnisses der Staatsanwaltschaft D mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die berufliche Tätigkeit des Versicherten nicht als Ursache für die akute Arsenintoxikation vom 30.09.2013 in Frage komme. Daher habe für die Präventionsabteilung der Beklagten auch keine Veranlassung bestanden, weitere Messungen durchzuführen oder anderweitige Materialproben zu nehmen.

Im Erörterungstermin am 16.12.2021 hat der damalige Berichterstatter mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage ausführlich erörtert. Dem Versicherten wurde dargelegt, dass und warum die Berufung der Beklagten wahrscheinlich Aussicht auf Erfolg habe.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 15.03.2022 hat der Versicherte nochmals umfassend vorgetragen und im Wesentlichen auf Folgendes hingewiesen:
Im Jahr 2014 sei eine Gemengeumstellung (vom Gemenge der Firma Prilox auf das Gemenge der Firma Glasma) erfolgt. Die von der Beklagten im März 2015 durchgeführte Beprobung habe daher keine Aussagekraft zur Arsenbelastung des Versicherten am Arbeitsplatz (gehabt). Bevor die Proben entnommen worden seien, habe Herr W die Hüttenmannschaft zusammengetrommelt und eine Räum- und Reinigungsaktion durchführen lassen, um Schaden von der Glasfachschule fernzuhalten. Es könne nicht nachvollzogen werden, dass bislang die Jacke im Spind des Versicherten nicht auf Arsen getestet worden sei. Dies sei vom TAD der Beklagten im Erörterungstermin am 07.04.2015 angeboten, aber nicht umgesetzt worden. Es werde daher beantragt, die Jacke des Versicherten - soweit in der Glasfachschule noch vorhanden - auf Arsen hin testen zu lassen. Es sei weiter zu untersuchen, welcher Arsenbelastung der Versicherte hier ausgesetzt gewesen sei und welche Anhaftungen hierdurch auf der Arbeitskleidung erfolgt seien. Der Versicherte habe sich aufgrund des Vorfalls (Hineinbeugen in den Spind mit herunterfallender Jacke) unverzüglich nach Hause begeben müssen, da es ihm so schlecht gegangen sei. Allein der zeitliche Zusammenhang zeige auf, dass die akute Arsenintoxikation nur über den Spind habe erfolgen können. Soweit das Gericht dem Versicherten vorhalte, dass er seinen Vortrag für eine mögliche Ursache der Arsenintoxikation im Laufe des Verfahrens mehrfach angepasst habe, so könne dies dem Versicherten nicht angelastet werden. Der Versicherte sei kein Sachverständiger, er könne den Sachverhalt lediglich so schildern, wie er ihn erlebt habe. Eine Suizidalität habe beim Versicherten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die Äußerungen des Versicherten gegenüber dem damaligen Kollegen S1 würden nicht auf eine Suizidabsicht schließen lassen. Schließlich habe die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie S ausgeführt, dass das Ausmaß der körperlichen Schädigung des Versicherten aus fachlich-neurologischer Sicht auf keinen Fall äthyltoxischer Genese sein könne. Seit 02/2013 habe der Versicherte keinen Alkohol mehr getrunken. Das Ausmaß der schweren Schädigung sei durch eine Arsenintoxikation verursacht worden, was sich aus dem Bericht der toxikologischen Abteilung der Universität M1 vom 06.11.2013 ergebe.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2022 sind der Versicherte sowie die Klägerinnen, die Ehefrau (A1) und Tochter (A2) des Versicherten, zum Alkoholkonsum des Versicherten befragt worden. Zu Protokoll ist anschließend festgehalten worden, dass der Senat nach einer Zwischenberatung zu der Einschätzung gekommen sei, dass der Versicherte seit Beginn seiner Berufstätigkeit regelmäßig täglich drei bis vier Halbe Bier konsumiert habe.

Die Klägerbevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 14.05.2022 mitgeteilt, dass die Tochter des Versicherten zusammen mit einer weiteren Person den Inhalt des Spindes des Versicherten bei der Glasfachschule abgeholt habe; darin befinde sich auch die streitgegenständliche Jacke. Der Inhalt des Spindes werde bei Frau R, L, aufbewahrt.

Der Praxisnachfolger des ehemaligen Hausarztes des Versicherten hat am 16.05.2022 mitgeteilt, dass sich in den Patientenunterlagen noch Laborwerte aus 11/2012 und 01/2013 befänden, wobei eine Bestimmung des Alkoholspiegels nicht erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 07.06.2022 hat sich die Beklagte dahingehend geäußert, dass für sie eine Untersuchung der Jacke des Versicherten nicht nötig/sinnvoll sei. Es sei nicht bekannt, wie oft die Jacke beim Hafenwechsel getragen worden, ob sie gewaschen worden und was mit ihr seit 2013 geschehen sei. Eine Untersuchung der Jacke durch die Beklagte sei daher nicht beabsichtigt.

Zu einer vom damaligen Berichterstatter mit Schreiben vom 07.07.2022 in den Raum gestellten toxikologischen-kriminaltechnischen Untersuchung der Jacke des Versicherten ist es in der Folge nicht gekommen.

Am 31.08.2022 ist der Versicherte verstorben. Die Bevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 23.12.2022 mitgeteilt, dass die Erben, die Tochter A2 und die Ehefrau A1 (Erbschein des Amtsgerichts V vom 25.10.2022), den Rechtsstreit fortsetzen würden.

Ab Januar/Februar 2023 ist die Akte im LSG nicht mehr auffindbar gewesen und erst im März 2024 vom Bundessozialgericht (BSG) zurückreicht worden, an das die Akte vermutlich versehentlich ca. ein Jahr zuvor zusammen mit einer anderen Akte geschickt worden war.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19.03.2024 ist durch den jetzigen Berichterstatter mitgeteilt worden, dass eine kriminaltechnische Untersuchung der Jacke nicht beabsichtigt sei.

Mit richterlichem Schreiben vom 05.07.2024 ist der folgende rechtliche Hinweis ergangen:
"Seit der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2022 ist mit dem Urteil des BSG vom 27.9.2023, B 2 U 8/21 R, eine Entscheidung ergangen, die möglicherweise auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung ist und die daher gegebenenfalls auch in der anstehenden mündlichen Verhandlung diskutiert werden könnte. Auch wenn diese Entscheidung - meiner Ansicht nach - zu Recht kritisiert wird (vgl. Forchert: Beweislastumkehr bei Krebserkrankungen, FD-SozVR 2024, 807732; Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2; Kranig, SGb 2024, 431-440), würde dies nicht dem entgegenstehen, die anstehende Entscheidung darauf zu stützen.

Insbesondere die Rn. 16 ff. - nach Juris - und dort besonders Rn. 31 ff. könnten für das vorliegende Verfahren von Interesse sein."

Am 12.07.2024 ist zur mündlichen Verhandlung am 14.08.2024 geladen worden.

Ein Terminsverlegungsantrag der Beklagten, für den trotz Aufforderung des Gerichts (Schreiben vom 19.07.2024) der behauptete Verlegungsgrund (Urlaub der möglichen Sitzungsvertreter) nicht glaubhaft gemacht worden ist, ist mit Beschluss des Vorsitzenden vom 01.08.2024 abgelehnt worden, nachdem zuvor mit Schreiben des Berichterstatters vom 19.07.2024 unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, auf die zu erwartende Erfolglosigkeit der Berufung hingewiesen worden war.

Die Beklagte hat anschließend mit Schreiben vom 02.08.2024 mitgeteilt, dass bei der angesetzten mündlichen Verhandlung kein Vertreter der Beklagten erscheinen werde, und sich zur Sache wie folgt geäußert:

"Nach Ansicht der Beklagten sind die im o.g. BSG-Urteil vom 27.09.2023 in Bezug auf die beruflichen Einwirkungen des Klägers gezogenen Schlussfolgerungen auf den vorliegenden Fall des J A nicht zu übertragen und können somit auch nicht zur Anerkennung einer BK 1108 (Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen) führen. Auch wird dem Bevollmächtigten der Klägerin widersprochen, wenn er in seinem Schriftsatz vom 09.07.2024 ausführt, dass andere Ursachen für die Erkrankung des Klägers positiv ausgeschlossen sind.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die im Laufe des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse vielmehr einen Zusammenhang zwischen der akuten Arsenintoxikation im September 2013 und der seit 1997 verrichteten Tätigkeit als Glasmachermeister in der Glasfachschule in A nahezu ausschließen.

Denn zum einen wird Arsen in der Glasfachschule seit über 30 Jahren, also schon lange Zeit vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit des Klägers in der Glasfachschule, nicht mehr genutzt, zum anderen hat die Beklagte bereits in ihrer Berufungsbegründung vom 14.03.2017 eingehend dargelegt, dass sowohl die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten als auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft D ergeben haben, dass der arbeitstägliche Umgang mit den Stäuben als Quelle der Arsenintoxikation nahezu ausgeschlossen ist.

Hierzu ist insbesondere auf das im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens vom Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamts erstellte toxikologische Gutachten vom 13.01.2014 zu verweisen, wonach der arbeitstägliche Umgang des Klägers mit den Stäuben als Quelle der Arsenintoxikation nahezu ausgeschlossen werden kann. Auch im Rahmen des toxikologischen Gutachtens des Landeskriminalamtes vom 16.04.2014 wurde festgestellt, dass in der Gesamtschau der Ergebnisse die Schlussfolgerung naheliegt und es wahrscheinlich ist, dass das Arsen im Körper des Klägers nicht aus den Arbeitsstoffen stammt.

In der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 15.05.2015 konnte Frau W feststellen, dass der Kläger 2-5 g arsenhaltigen Staubes beim Hafenwechsel inhalativ oder durch Verschlucken hätte aufnehmen müssen, damit die Aufnahme von Arsen am Arbeitsplatz Ursache für die Erkrankung hätte sein können. Dabei handelt es sich jedoch um eine so große Menge an Arsen (siehe Abbildung im o.g. Bericht auf Seite 3), dass dies aus technischer Sicht absolut unwahrscheinlich ist. Abgesehen davon fand im August oder September 2013 kein Wechsel der Hafenöfen statt, sodass die akute Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht mit dieser Tätigkeit in Zusammenhang stehen kann. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Kläger von 05.08.2013 bis 22.09.2013 keiner Arsenbelastung ausgesetzt gewesen ist. Er müsste dann plötzlich in dem kurzen Zeitraum von 23.09.2013 bis 27.09.2024 eine derartig hohe Menge Arsen bei seiner Tätigkeit aufgenommen haben, was jedoch aufgrund der durchgeführten Ermittlungen völlig abwegig und in keinster Weise nachvollziehbar ist.

Das Sozialgericht Landshut hat zudem zwei Sachverständigengutachten eingeholt. Der nach § 106 SGG gehörte Gutachter D führt in seinem Gutachten vom 10.09.2015 aus, dass die beim Kläger zwischen November 2012 und 30.09.2013 aufgetretenen Symptome zwar als Folge einer Arsenintoxikation auftreten können, allerdings nicht spezifisch dafür sind, sodass diese Symptome auch eine andere Ursache haben können. Auch erläutert D, wie zuvor bereits schon W und das Landeskriminalamt, dass die beim Kläger und seinen Kollegen eingeholten Messwerte den Schluss nahelegen, dass der Kläger zusätzlichen Kontakt zu Arsen hatte, der bei den Kollegen nicht bestand. Der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige K kam zu dem selben Ergebnis. Beide Gutachter sind darüber hinaus zu dem Ergebnis gelangt, dass insbesondere der von Seiten des Klägers angeführte Hafenwechsel im November 2012 die schwere Arsenintoxikation im September 2013 nicht erklären könne.

Hingewiesen werden darf auch auf das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins vor dem Bayerischen LSG in München am 16.12.2021, in welchem der Vorsitzende (B) zum einen darauf hingewiesen hat, dass der Kläger lediglich an 43 Tagen über das Jahr 2013 verteilt gearbeitet hat und deshalb nicht erklärbar ist, wie es zu der akuten Vergiftung gekommen sein soll, ohne dass der Kläger einer zusätzlichen Arsenquelle ausgesetzt gewesen ist. Zum anderen wurde festgestellt, dass der Kläger seinen Vortrag betreffend der möglichen Ursachen für die Vergiftung mehrfach angepasst habe. Darüber hinaus führte der Vorsitzende im Zusammenhang mit § 9 Abs. 3 SGB VII zu Recht aus, dass es durchaus die ernsthafte Möglichkeit einer anderen Verursachung der gesundheitlichen Beschwerden gebe. Er stellte nämlich fest, dass die beim Kläger entstandene Polyneuropathie nach der einschlägigen medizinischen Fachliteratur in zwei Drittel der Fälle durch Diabetes oder Alkoholmissbrauch verursacht wird. Von einem Alkoholmissbrauch in erheblichem Umfang muss in dem vorliegenden Fall auch ausgegangen werden, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2022 zu der Einschätzung gelangt ist, dass der Kläger seit Beginn der Berufstätigkeit regelmäßig drei bis vier Halbe Bier täglich konsumiert hat.

Das BSG stellt in seinem Urteil vom 27.09.2023 fest, dass mit den tatsächlich festgestellten versicherungsbedingten Einwirkungen durch o-Toluidin (im vorliegenden Fall wäre die Einwirkung durch Arsen ausschlaggebend) vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen ist, wenn konkurrierende Krankheitsursachen ausgeschlossen werden können und ausgeschlossen worden sind. Gerade das ist nach Auffassung der Beklagten jedoch nicht der Fall. Vielmehr steht für die Beklagte aufgrund der erfolgten Ermittlungen (insbesondere von Seiten der Staatsanwaltschaft D) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger die akute Arsenintoxikation nicht durch die Einwirkungen am Arbeitsplatz erlitten haben kann und als Ursache für die Polyneuropathie der langjährige intensive Alkoholkonsum des Klägers die weitaus wahrscheinlichere Ursache ist.

Des Weiteren führt das BSG in seinem Urteil vom 27.09.2023 sogar aus, dass für die positive Feststellung, dass eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist, die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit für die nicht beruflich bedingte Einwirkung liegt nach all den durchgeführten Ermittlungen nach Ansicht der Beklagten zweifelsfrei vor (s.o.).

Zusammengefasst vertritt die Beklagte daher die Ansicht, dass auch die Schlussfolgerungen aus dem BSG-Urteil vom 27.09.2023 (B 2 U 8/21 R) nicht zu einer anderen Bewertung des vorliegenden Falles führen können, wie sie bislang von der Beklagten festgestellt und wohl auch seitens des Senats gesehen worden ist.

Es verbleibt daher weiter bei den in der Berufungsbegründung vom 14.03.2017 gestellten Anträgen."

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 02.11.2016 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2014 abzuweisen.
 
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Beklagtenakte Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Senat konnte auch ohne ein Erscheinen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden. Der ursprünglich angeordnete Vertretungszwang ist aufgehoben worden. Der Terminsverlegungsantrag der Beklagten ist mangels der vom Gericht geforderten Glaubhaftmachung des Verlegungsgrunds am 01.08.2024 abgelehnt worden. Am 02.08.2024 hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie am Termin der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, und sich nochmals ausführlich in der Sache, insbesondere zum Hinweis des Senats auf das Urteil des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, geäußert. Eine Terminsaufhebung hat sie nicht mehr begehrt.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

Die jetzigen Klägerinnen, die bis zum Tod des Versicherten, des ehemaligen Klägers, während des Berufungsverfahrens mit ihm in einem Haushalt gelebt haben, sind sowohl Sonderrechtsnachfolgerinnen als auch Erbinnen des verstorbenen Versicherten. Das ursprünglich gegen den Versicherten geführte Berufungsverfahren ist daher gegen sie fortzuführen (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2021, B 2 U 17/19 R).

Das SG hat im Ergebnis zu Recht der Klage des Versicherten auf Anerkennung einer BK 1108 stattgegeben.

BKen sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, die BKV, als solche bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (sogenannte Listen-BK).

Mit der Aufnahme einer Krankheit in die Liste der BKen wird indes nur die mögliche Ursächlichkeit einer beruflichen Schädigung generell anerkannt und die Erkrankung als solche für entschädigungswürdig befunden. Für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) ist daher erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen (durch Belastungen, Schadstoffe o.ä.) auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 06.05.2021, B 2 U 15/19 R), vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 23.04.2015, B 2 U 6/13 R, vom 06.09.2018, B 2 U 10/17 R, und vom 16.03.2021, B 2 U 11/19 R). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (vgl. BSG, Urteile vom 15.05.2012, B 2 U 31/11 R, und vom 20.03.2018, B 2 U 5/16 R). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für den Leistungsfall (vgl. BSG, Urteile vom 20.03.2018, B 2 U 5/16 R, und vom 06.09.2018, B 2 U 10/17 R).

Zu den von der Bundesregierung in der Anlage 1 der BKV bezeichneten BKen zählt die vorliegend angeschuldigte Erkrankung durch Arsen. Die BK 1108 betrifft Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen. Bei der BK 1108 handelt es sich um einen offenen Berufskrankheitentatbestand, weil der Verordnungsgeber das durch Arsen verursachte Krankheitsbild offengelassen hat, ohne tatbestandliche Einwirkungsgröße, weil der Verordnungsgeber keine Mindesteinwirkungsdosis normiert hat und die medizinische Wissenschaft auch keine konkreten Grenzwerte für die Gesundheitsschädlichkeit von Arsen kennt.

Der Entscheidung des Senats liegen, ausgehend von den durchgeführten Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, zur Überzeugung des Senats folgende Tatsachen zugrunde:
*  Der Versicherte gehört infolge der von ihm der seit 1981 ausgeübten Tätigkeit als Glasmacher, zuletzt als Glasmachermeister bei der Glasfachschule in A zum versicherten Personenkreis.
*  Der Versicherte war bei seiner beruflichen Tätigkeit bis zur schweren Erkrankung im Jahr 2013 einem (chronischen) Kontakt mit Arsen ausgesetzt; dies steht ohne jeden Zweifel fest aufgrund
o der im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Versicherten verwendeten Glasgemenge, zuletzt Prilox und der Firma K, die beide - genauso wie die zuvor verwendeten Grundprodukte für die Glasherstellung - Arsenbestandteile enthalten (Sicherheitsdatenblätter, Angaben der im Verfahren befragten Personen), wobei das in Gemenge und Glasstangen enthaltene Arsen bei der Verarbeitung freigesetzt werden kann,
o der Ermittlungen des TAD der Beklagten (Stellungnahmen vom 11.06.2014 und 15.05.2015), die u.a. auf einer Auswertung der vorgelegten Sicherheitsdatenblätter der verwendeten Produkte und Analysen von Arbeitsmaterialien und des Arbeitsplatzes des Versicherten beruhen,
o der Ermittlungen im strafrechtlichen Verfahren, u.a. aufgrund Untersuchung von Arbeitsschuhen, Arbeitshandschuhen und weiteren Gegenständen, die der Versicherte bei seiner beruflichen Tätigkeit benutzt hat, und insbesondere auch der kriminaltechnischen Untersuchungen des G1 (Gutachten vom 16.04.2014), wonach nachgewiesen ist, dass beim Versicherten, ebenso wie bei seinen Arbeitskollegen, eine kontinuierliche/chronische Aufnahme von Arsen erfolgt ist.
Sofern der Schulleiter der Glasfachschule W mit der im Jahr 2013 gemachten Angabe, für die Glasherstellung im Ausgangsgemenge werde seit mehr als 20 Jahren kein Arsen mehr verwendet, anderes behauptet hat, ist dies ohne jeden Zweifel falsch. Für den Senat liegt der Eindruck nicht fern, dass dieser, möglicherweise um von der Glasfachschule Schaden abzuwenden, die tatsächliche Gefährdung verheimlichen wollte, was auch mit der vom Versicherten vorgetragenen und als Vertuschungsmanöver bezeichneten Reinigungsaktion in der Glasfachschule, die nach Bekanntwerden der Vergiftung durchgeführt worden sein soll, in Einklang zu bringen ist.
Ebenso ist die Behauptung der Beklagten im Schriftsatz vom 02.08.2024, wonach "seit über 30 Jahren" Arsen in der Glasfachschule "nicht mehr genutzt" worden sei, offenkundig falsch. Lässt sich eine gleichlautende Vermutung der Beklagten im Bescheid vom 23.01.2014 noch mit den damals als richtig zugrunde gelegten Angaben des Schulleiters der Glasfachschule W im Verwaltungsverfahren erklären, so ist es für den Senat mit einer seriösen Prozessführung nicht mehr in Einklang zu bringen, wenn die Beklagte diese nachweislich falsche Behauptung, die auch den Feststellungen ihres eigenen TAD widerspricht, auch noch am Ende des Berufungsverfahrens wiederholt.
*  Das Vorliegen von potentiell gesundheitsschädlichem Arsen setzt keine Verwendung von Arsen in Pulverform voraus. Vielmehr ist auch die Anwendung von Arsentrioxid im Glasgemenge dafür geeignet, bei der Erhitzung in Glasöfen gesundheitsschädliches Arsen oder dessen Verbindungen freizusetzen.
*  Der Versicherte hat Arsen in seinen Körper aufgenommen. Dies ist durch zahlreiche Untersuchungen zweifelsfrei nachgewiesen.
*  Die beim Versicherten im Herbst 2013 festgestellte hohe Arsenbelastung kann zwar Ausdruck einer akuten Vergiftung sein. Sie kann aber auch auf einer längerfristigen Aufnahme von Arsen beruhen, die zu einem Sättigungsmechanismus und dann zu akuten Vergiftungserscheinungen geführt hat (Gutachten des K). Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass die festgestellten hohen Arsenwerte das Ergebnis einer langfristigen Arsenbelastung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des Klägers gewesen sind.
*  Eine außerberufliche (zusätzliche?) Expositionsquelle gegenüber Arsen kann wegen der beim Versicherten festgestellten höheren Arsenbelastung gegenüber anderen Arbeitsprodukten im Vergleich zu den bei seinen Arbeitskollegen festgestellten Werten lediglich vermutet werden, ist aber nicht sicher nachgewiesen.
*  Konkrete außerberufliche Arsenbelastungen sind nicht nachgewiesen; es kann insofern allenfalls von einer abstrakten guten Möglichkeit einer außerberuflichen Belastung ausgegangen werden, also von mehr oder weniger naheliegenden Vermutungen oder Spekulationen.
*  Der Versicherte litt an einer Erkrankung, die hinreichend wahrscheinlich durch Arsen verursacht war. Dies ist die übereinstimmende Einschätzung aller Sachverständigen.

Das BSG hat mit Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, betreffend die BK 1301, ein Urteil zu einer vergleichbaren Situation wie hier getroffen. Auch wenn diese Entscheidung - zu Recht - massiv kritisiert wird (vgl. Forchert: Beweislastumkehr bei Krebserkrankungen, FD-SozVR 2024, 807732; Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2; Kranig, SGb 2024, 431-440; Freudenberg, B+P 2024, 564), sieht sich der Senat gleichwohl gezwungen, sich bei der jetzt von ihm zu treffenden Entscheidung an dieser Rechtsprechung des BSG zu orientieren, da eine andere und im Widerspruch zum Urteil des BSG stehende Entscheidung zu dem absehbaren Ergebnis einer Aufhebung durch das BSG im Rahmen einer Revision führen würde. Dies kann den Beteiligten des Verfahrens nicht zugemutet werden, zumal der Beklagten auch wegen insofern fehlender Grundrechtsfähigkeit der Gang zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verwehrt wäre.

Wegen der weitgehenden Vergleichbarkeit der BKen 1301 und 1108 - beiden BKen liegen sogenannte unbestimmte oder offene BK-Tatbestände ohne tatbestandliche Einwirkungsgröße zugrunde, da nur die zur Schädigung geeigneten Noxen genannt sind, ohne eine bestimmte Mindesteinwirkungsdosis vorzugeben - orientiert sich der Senat an dem vom BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, vorgegebenen Prüfschema, auch wenn dieses nicht unbedingt schlüssig und überzeugend erscheint, weil das BSG tatsächliche und rechtliche Fragen der Theorie der wesentlichen Bedingung vermischt, den Begriff der Wesentlichkeit mit dem der naturwissenschaftlichen Verursachung vermengt (vgl. Forchert, a.a.O.) und entgegen dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers und eine mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) bedenkliche Beweislastumkehr (vgl. Forchert, a.a.O., der annimmt, dass das BSG "die Orientierung über die eigene Terminologie verloren" hat; Näheres dazu auch unten Ziff. 3.b)bb), dort S. 37 ff. des Urteils) jedenfalls im Sinne einer Vermutungsregelung dahingehend einführt, dass bei nachgewiesener beruflicher Belastung und Vorliegen einer Erkrankung, die durch die berufliche Belastung verursacht sein kann, der rechtlich wesentliche Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung zu vermuten ist und die Vermutung (nur) durch den positiven Nachweis einer konkreten unversicherten Ursache widerlegt werden kann (s. dazu auch unten Ziff. 3.b)bb), wobei dies im Widerspruch zu dem vom BSG sonst wiederholt betonten Grundsatz steht, dass die Nichterweislichkeit einer Alternativursache allein regelmäßig nicht geeignet ist, den Nachweis eines rechtlich wesentlichen Zusammenhangs zwischen einem Gesundheitsschaden und einer potentiellen (versicherten) Ursache zu führen (für die Konstellation eines Arbeitsunfalls - BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R:
"Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl § 9 Abs 3 SGB VII)."
Wohl mit Blick auf die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) etwas relativiert für die Konstellation einer BK - BSG, Urteil vom 17.12.2015, B 2 U 11/14 R:
"Es existiert keine zwingende Regel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen regelmäßig zu einer Anerkennung der BK führen würde (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-​2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22; s zur Unfallkausalität beim Arbeitsunfall BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-​2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Andererseits ist es grundsätzlich denkbar, dass bei einem klar erkennbaren Ursache-​Wirkungs-​Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung dieser alleine für die Bejahung der Kausalität genügt, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Ursache für die Erkrankung bestehen (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-​2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; vgl zu typischen Geschehensabläufen beim Arbeitsunfall BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - SozR 4-​2700 § 8 Nr 43 RdNr 30; s auch bereits BSG vom 21.11.1958 - 5 RKn 33/57 - BSGE 8, 245, 247; Keller in Meyer-​Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 9 ff; s zum zulässigen Schluss von einer berufsbedingt erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine berufliche Ursache der aufgetretenen Infektionskrankheit, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit keine anderen, dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisiken bestanden haben <BK 3101> BSG vom 21.3.2006 - B 2 U 19/05 R - juris RdNr 16; vgl zur Verursachung von Meniskusschäden bei Bergleuten <BK 2102> BSG vom 27.11.1986 - 5a RKnU 3/85 - SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 RdNr 12). Daher ist es weder dem Gutachter noch dem erkennenden Gericht verwehrt, im Einzelfall anhand der Gesamtumstände bei Vorliegen einer für die Schadensverursachung geeigneten Einwirkung sowie einem belastungskonformen Schadensbild bei fehlenden Anhaltspunkten für eine alternative äußere oder innere Verursachung die naturwissenschaftliche Kausalität zu bejahen.").

Bei der Prüfung im Folgenden orientiert sich der Senat zur besseren Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidung exakt am Prüfungsschema des BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21, wobei weitgehend die Formulierungen des BSG aufgegriffen werden.

Im vorliegenden Verfahren ergibt die Prüfung Folgendes: Der Versicherte war bei seiner versicherten Tätigkeit als Glasmacher(meister) Arsen ausgesetzt (hierzu 1.). Er leidet an einer Erkrankung im Sinne der BK 1108 (hierzu 2.). Die Einwirkung mit Arsen hat die Krankheit auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich verursacht (hierzu 3.).

1. Der Versicherte war bei seiner beruflichen Tätigkeit Arsen ausgesetzt.

Durch seine seit 1981 ausgeübte Tätigkeit als Glasmacher, zuletzt als Glasmachermeister bei der Glasfachschule in A, gehörte der Versicherte zu dem nach dem SGB VII versicherten Personenkreis.

Die Belastung mit Arsen ergibt sich aus der Verwendung von arsenhaltigen Grundprodukten für die Glasproduktion. Diese Belastung steht unzweifelhaft fest.

2. Erkrankung im Sinne der BK 1108

Beim Versicherten liegt mit den Symptomen einer chronischen und im September 2013 nicht sicher abgrenzbaren akuten oder chronischen (zur nicht sicher möglichen Abgrenzung - Gutachten des K, S. 35: "Jedoch ist auch bei Kumulation bei längerfristiger Aufnahme ein Schädigungsmechanismus denkbar, der bei Überschreitung dann auch akute Vergiftungserscheinungen zu Tage treten lässt.") Arsenintoxikation mit dadurch bedingter sensomotorisch gemischter axonal-demyelinisierender Polyneuropathie sowie Zustand nach beidseitiger Pneumonie mit hierauf folgender Sepsis mit Multiorganversagen auf dem Boden einer Immunsuppression durch eine toxische Panzytopenie eine von der BK 1108 umfasste Erkrankung vor (vgl. Gutachten des K, S. 29). Sofern der Sachverständige die vorgenannten Diagnosen als BK-unabhängig beschrieben hat, beruht diese Beschreibung allein auf der vom Sachverständigen vorgenommenen Kausalitätsbewertung, der sich der Senat aufgrund der Rechtsprechung des BSG nicht anschließen kann (vgl. unten Ziff. 3.). Unzweifelhaft ist dem Gutachten aber zu entnehmen, dass die vorgenannten Diagnosen auf einer Arsenvergiftung beruhen; der Zusammenhang zwischen Arsenbelastung und Entstehung der vorgenannten Krankheiten ist damit im Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, wobei an dieser Stelle noch dahingestellt bleiben kann, ob die Arsenbelastung beruflich oder unversichert begründet ist.

3. Kausalität

Die berufsbedingten Einwirkungen waren für die Erkrankung des Versicherten kausal. Der Ursachenzusammenhang ergibt sich hier aus der tatsächlich festgestellten Einwirkungskausalität (vgl. oben Ziff. 1.) und dem fehlenden Nachweis einer Alternativursache, ohne dass es vorliegend auf die Einhaltung oder den Nachweis einer bestimmten Mindestexpositionsdosis ankommt.

Für die Anerkennung einer BK ist neben der Einwirkungskausalität ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Bei der BK 1108 bedeutet dies vorliegend, dass das beim Versicherten vorliegende Krankheitsbild durch Arsen verursacht worden sein muss. Insoweit gilt im BK-Recht - wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung - die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Steht hiernach die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten Stufe der Prüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (vgl. BSG, Urteile vom 16.03.2021, B 2 U 11/19 R, und vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 16, juris).

Bei BKen ohne vorgegebene Einwirkungsdosis kann ein Ursachenzusammenhang regelmäßig nicht wegen des Unterschreitens einer normativen Mindestexpositionsdosis verneint werden, wenn eine solche nicht tatsächlich nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmt werden kann (hierzu a). Vielmehr ist mit dem Vorhandensein der in der BK genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, wenn andere in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind (hierzu b). Der Annahme eines Ursachenzusammenhangs im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie steht dann allerdings entgegen, wenn im Rahmen der Prüfung der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen feststeht, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (hierzu c). Andernfalls ist die BK anzuerkennen, wenn die Einwirkung auch rechtlich wesentlich war (hierzu d) (vgl. zu allem BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 17, juris).

Vorliegend bedeutet dies Folgendes:

a) Der Ursachenzusammenhang scheitert bei der BK 1108 nicht an den arbeitstechnischen Voraussetzungen wegen Unterschreitens einer Mindestexpositionsdosis.

Der Ursachenzusammenhang im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie kann bei BKen ohne tatbestandliche Einwirkungsgrößen regelmäßig nicht wegen des Unterschreitens einer normativen Mindestexpositionsdosis verneint werden (hierzu aa). Anders als bei BKen mit tatbestandlichen Einwirkungsgrößen ist bei BKen ohne solche Einwirkungsgrößen ein Rückschluss vom Unterschreiten der Einwirkungsdosis auf das Fehlen des Ursachenzusammenhangs nicht möglich, wenn eine solche nicht tatsächlich durch den wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmt werden kann (hierzu bb). Der Ursachenzusammenhang scheitert danach bei der BK 1108 nicht an einer zu geringen Einwirkung (hierzu cc).

aa) Der Verordnungsgeber hat im Rahmen der Anlage 1 zur BKV BKen mit verschiedenen tatbestandlichen Voraussetzungen normiert. "Insgesamt finden sich nicht oder bezeichnete Krankheiten" (sic!) (Anmerkung des Senats: gemeint wohl: nicht [näher] bezeichnete oder [konkret] bezeichnete Krankheiten) "ebenso wie keine oder konkretisierende Einwirkungen" (sic!) (Anmerkung des Senats: gemeint wohl: ohne konkretisierte oder mit konkretisierten Einwirkungen) "und auch Kombinationen hieraus: Krankheiten ohne Bezeichnung mit konkretisierten Einwirkungen (...), bezeichnete Krankheiten ohne konkretisierte Einwirkungen (...), bezeichnete Krankheiten mit konkretisierten Einwirkungen (...) und bezeichnete Krankheiten mit näher definierten besonderen Einwirkungen (...)" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 20, juris). Bei BKen mit näher definierten besonderen Einwirkungen ("harten Kriterien") besteht einerseits bereits bei Nachweis dieser in der Norm selbst genannten Einwirkungsgröße eine "Tatsachenvermutung für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Einwirkung" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 20, juris). Andererseits ist aber eine Anerkennung der jeweiligen BK ausgeschlossen, wenn die normierte Einwirkungsdosis nicht erreicht wird. Hingegen sind bei BKen ohne konkretisierte Einwirkungen normative Vorgaben in Form einer Mindestdosis oder Mindestdauer der Einwirkung nicht bestimmt. Bei solchen BKen ist aufgrund der Einwirkungsintensität weder eine vergleichbare Tatsachenvermutung noch ein entsprechender Ausschluss des Ursachenzusammenhangs möglich (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 20, juris).

bb) Bei BKen ohne vorgegebene Einwirkungsintensität können bei Nachweis der berufsbedingten Einwirkung dieser Stoffe die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht allein wegen unzureichender Einwirkungen verneint werden, wenn eine Mindestexpositionsdosis auch nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht bestimmt werden kann.

Bei einer BK ohne ausreichend konkretisierte Einwirkungsdosis sind nach der Rechtsprechung des BSG die in der Definition der BK beschriebenen Einwirkungen durch Verwaltung und Gerichte unter Zuhilfenahme des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands zu konkretisieren und festzustellen, bei welcher Dosis sie nicht mehr geeignet sind, die betreffende Krankheit nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu verursachen. Bei der so vorzunehmenden Bestimmung der Mindestbelastungsdosis muss deren Wert so niedrig bemessen werden, dass im Falle seiner Unterschreitung auch in besonders gelagerten Fällen ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang ohne weitere medizinische Prüfung ausgeschlossen ist (so z.B. bei der BK 2108 mit dem hälftigen Orientierungswert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell - vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/07 R). Für BKen, bei denen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht näher bestimmt werden kann, folgt daraus, dass bei Nachweis berufsbedingter Einwirkungen die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht allein deswegen verneint werden können, weil die Einwirkungsdosis in ihrer Qualität und Quantität nicht ausgereicht haben kann, die Erkrankung zu verursachen. Dies gilt grundsätzlich jedenfalls bei sogenannten stochastischen BKen, denen keine klaren Erkenntnisse über Dosis-Wirkungs-Beziehungen zugrunde liegen und deren medizinisches Krankheitsbild typischerweise weit verbreitet ist und hinsichtlich der beruflichen Verursachung nicht mittels typischer Marker abgegrenzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 21 f., juris), wobei dies nach Ansicht des Senats erst recht gelten muss, wenn es sich um eine nur seltene Erkrankung handelt, da in einem solchen Fall - anders als bei weit verbreiteten Erkrankungen - die berufliche Verursachung bei vorliegender beruflicher Exposition schon deshalb noch näherliegend erscheint, weil eben außerberufliche Ursachen nur selten vorliegen dürften.

cc) Bei der BK 1108 ist mangels tatbestandlich vorgegebener Einwirkungsintensität einerseits und wegen unbestimmbarer Mindestexpositionsdosis andererseits ein Rückschluss von der Einwirkungsdosis auf die Verneinung des Ursachenzusammenhangs nicht möglich. Bei der BK 1108 handelt es sich - wie bei der BK 1301 - um eine BK, bei der das Erkrankungsbild nicht klar von Erkrankungen anderer Ursachen abzugrenzen ist. Symptome einer (chronischen oder akuten) Arsenvergiftung - wie z.B. Übelkeit und Erbrechen (vgl. S. 23 des Gutachtens des D, S. 33 des Gutachtens des K) - sind teilweise eher unspezifisch und können - wie z.B. die beim Versicherten diagnostizierte Polyneuropathie, die oft nach einer Vergiftung mit Arsen auftritt (vgl. S. 21 des Gutachtens des D) - auch andere Ursachen haben, ohne dass eine trennscharfe Abgrenzung möglich wäre. Konkrete oder zumindest vergleichbare arbeitsplatzbezogene Messwerte sind für den Versicherten nicht festgestellt (hierzu aaa). Die BK 1108 benennt weder im Tatbestand Einwirkungsgrößen noch ist eine Dosis-Wirkungs-Beziehung durch den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ableitbar (hierzu bbb). Der Anerkennung der BK kann daher keine zu geringe Einwirkungsdosis entgegengehalten werden (hierzu ccc) (entsprechend zur BK 1301 vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 23, juris).

aaa) Exakte Messwerte für die Tätigkeit des Versicherten liegen genauso wie Vergleichswerte nicht vor, was auch dadurch bedingt ist, dass die Arsenbelastung in den letzten Jahren der Tätigkeit des Versicherten durch die Verwendung anderer Grundstoffe für die Arbeit deutlich reduziert worden ist. Eine konkrete Einwirkungsintensität lässt sich daher nicht bestimmen, wobei ein Kontakt mit Arsen an sich unzweifelhaft feststeht.

bbb) Bei der BK 1108 handelt es sich um eine BK, die im Tatbestand keine Einwirkungsgrößen benennt und bei der Dosis-Wirkungs-Beziehungen auch nicht durch den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand belegt sind; keiner der Sachverständigen hat entsprechende Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft benannt. Anhaltspunkte dafür, dass sich seither neue Erkenntnisse ergeben hätten, gibt es nicht.

ccc) In Ermangelung eines Mindestschwellenwertes kann bei der BK 1108 keine sichere Dosis benannt werden, deren Unterschreiten von vornherein eine Verursachung des einer Arsenvergiftung zuordenbaren Krankheitsbildes durch die versicherte Einwirkung ausschließt. Sowohl dem Normtext der BK 1108 als auch dem Merkblatt zur BK 1108 kann entnommen werden, dass Kontakte mit Arsen grundsätzlich, also unabhängig von der Quantität, als gesundheitsgefährdend zu betrachten sind.

b) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1108 sind erfüllt.

Mit den tatsächlich festgestellten versicherungsbedingten Einwirkungen durch Arsen ist vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, wenn konkurrierende Krankheitsursachen ausgeschlossen werden können (hierzu aa) und ausgeschlossen worden sind (hierzu bb) - so das vom BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, zugrunde gelegte Prüfungsschema. An diesem Prüfungsschema orientiert sich der Senat auch im Folgenden, obwohl der Eindruck entsteht, dass das BSG nicht systematisch zwischen Einwirkungskausalität und haftungsbegründender Kausalität unterscheidet und vom Vorliegen der Einwirkungskausalität auf die haftungsbegründende Kausalität schließt (vgl. Kranig, a.a.O., S. 437).

aa) Ist eine Mindestexpositionsdosis weder normativ vorgegeben noch anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bestimmbar und sind andere nach aktuellem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Betracht kommende Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen, ist mit dem Vorhandensein des in der BK genannten Listenstoffs am Arbeitsplatz, hier also von Arsen, vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 32, juris).

Das BSG hat in der Vergangenheit entschieden, dass beim Fehlen konkurrierender Ursachen nicht automatisch ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung anzunehmen ist. Insbesondere hat es bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, die fehlende Feststellbarkeit von konkurrierenden Ursachen nicht für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität genügen lassen. Das BSG hat aber auch darauf hingewiesen, dass ein klar erkennbarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung zur Bejahung der Kausalität genügt, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Krankheitsursache bestehen. Wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer allein wesentlichen außerberuflichen wie z.B. einer inneren Verursachung zu verneinen ist, kommt - so das BSG - danach durchaus der Schluss in Betracht, dass eine vorhandene geeignete berufliche Einwirkung auch ein geeignetes Krankheitsbild verursacht hat. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten von BKen, denen der Verordnungsgeber auch ohne konkrete Dosis-Wirkungs-Beziehung ein hohes Gefährdungspotential beimisst, hat das BSG diese Rechtsprechung dahingehend fortgeführt, dass eine wesentliche Verursachung durch die berufliche Exposition anzunehmen ist, wenn andere Ursachen für die Erkrankung des Versicherten positiv ausgeschlossen sind. Anderenfalls - so die Begründung des BSG - würde die vom Verordnungsgeber mit der Aufnahme einer Einwirkung in die BKV getroffene Wertentscheidung unterlaufen, dass die Beteiligten von deren generellen Eignung zur Verursachung bestimmter Erkrankungen und von deren Entschädigungswürdigkeit auszugehen haben. Im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, hat das BSG dies insbesondere zu Krebserkrankungen ausgeführt, denen regelmäßig multifaktorielle Geschehensabläufe zugrunde liegen, deren Ursachen teils im beruflichen, teils im außerberuflichen Bereich liegen, ohne dass insofern eine wissenschaftlich begründete exakte Bezifferung der jeweiligen Verursachungsbeiträge möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 33, juris). Begründet hat das BSG diese Auslegung auch mit Hinweis auf § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), wonach bei der Auslegung sozialrechtlicher Vorschriften sicherzustellen sei, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 34, juris; a.A. BSG, Urteil vom 16.03.2012, B 2 U 17/19 R, das die Bedeutung von § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB I insbesondere "bei der Auslegung der Vorschriften ... des Verfahrensrechts" sieht; "denn die Verwirklichung sozialer Rechte geschehe weitgehend durch das Verwaltungsverfahren", also nicht bei der Auslegung materiellen Rechts; so auch Bayer. LSG, Urteil vom 02.03.2022, L 2 U 21/15, Rn. 55 ff., juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.09.1992, 11 RAr 73/91, wonach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB I bei der Auslegung materieller Normen erst dann Relevanz haben kann, "wenn die Auslegung nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung, dh vor allem nach Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und ihres Bedeutungszusammenhangs im Gesetzesgefüge, Interpretationsspielraum läßt.") und darauf hingewiesen, dass sich dadurch keine Diskrepanz zu BKen mit "harten Kriterien" ergebe und dies auch nicht mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung, die als Sonderentschädigungssystem im Rahmen der Sozialversicherung die Haftung des Unternehmers in den Fällen ablösen solle, in denen er wegen der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs für einen Gesundheitsschaden einstandspflichtig sei; denn erst wenn alle nach aktuellem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand in Betracht kommenden Ursachen positiv ausgeschlossen seien, könne im Rahmen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen eine berufsbedingte Verursachung angenommen werden (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 35, juris).

bb) Dafür, "dass andere, nach aktuellem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand typische Krankheitsverursachungen (...) nicht in Betracht kommen und ... als Ursache ausgeschlossen" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 36, juris) werden können, hat es das BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, ausreichen lassen, dass eine andere potentielle Ursache "nicht mehr hinreichend wahrscheinliche Ursache" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 36, juris) für die im Raum stehende Erkrankung ist. Das BSG hat in diesem Zusammenhang explizit darauf hingewiesen, dass "etwaig ‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache ... insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen [können]" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris). Das BSG verwendet daher den Begriff des Ausgeschlossenseins (von Alternativursachen) anders als im allgemeinen Sprachgebrauch offensichtlich in dem Sinne, dass von einem solchen Ausgeschlossensein schon dann auszugehen ist, wenn nicht "eine überragende Bedeutung der unversicherten außerberuflichen Ursache" positiv nachgewiesen ist (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris). Die einem Ausgeschlossensein entgegenstehenden unversicherten Ursachen müssen daher konkret benannt werden. Die bloße Möglichkeit oder auch "‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris; ähnlich BSG, Urteil vom 17.02.2009, B 2 U 18/07 R, wonach bloß "hypothetische Ereignisse" nicht als rechtlich wesentliche Alternativursachen in Betracht kommen können, sondern "der volle Beweis für das Vorliegen ... einer ... nicht versicherten Ursache geführt sein muss.").

Das BSG kann daher, wenn es vom Ausschluss konkurrierender Krankheitsursachen spricht, ersichtlich nur so verstanden werden, dass konkurrierende Krankheitsursachen vom BSG schon dann als ausgeschlossen betrachtet werden, wenn sich nicht der Nachweis einer hinreichend wahrscheinlichen Ursächlichkeit einer nicht versicherten Ursache, deren Vorliegen im Vollbeweis erwiesen sein muss, führen lässt (vgl. Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2) - oder nicht sogar, wie dies das BSG an anderer Stelle zum Ausdruck bringt, die "überragende Bedeutung der unversicherten außerbetrieblichen Ursache" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris) bewiesen ist, wobei letztere Interpretation deshalb naheliegender ist, weil es im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (anders im Versorgungsrecht - vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R, Rn. 18, juris) nicht nur eine (einzige) rechtlich wesentliche (Mit-)Ursache geben kann, sondern mehrere, wobei eine versicherte (Mit-)Ursache nur dann nicht mehr wesentlich ist, wenn die andere(n) unversicherte(n) (Mit-)Ursache(n) überragendes Gewicht hat/haben (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 40/05 R, Rn. 10, juris). Den vom BSG mit dieser Argumentation erzeugten eklatanten Widerspruch zu dem vom BSG selbst angeführten Grundsatz, "dass beim Fehlen konkurrierender Ursachen nicht automatisch ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung anzunehmen ist (Urteil vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22)" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 33, juris) (zum vorgenannten Grundsatz vgl. auch die vom BSG selbst angeführten Urteile vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, und vom 02.04.2009, B 2 U 9/08 R), lässt das BSG ungeklärt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das BSG für BKen ohne normative oder ohne nach der herrschenden medizinischen Meinung feststehende Mindestbelastungsdosis und einem Erkrankungsbild, das auch auf anderen Ursachen beruhen kann, eine Beweislastumkehr eingeführt hat, die gerade nicht dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck kommt, entspricht (vgl. Forchert, a.a.O.), also "ein Ursachenzusammenhang nur auszuschließen sei, wenn positiv festgestellt werden könne, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen sei" (Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2). Es spricht Vieles dafür, dass das BSG mit der Vorgabe einer solchen Beweislastumkehr (in Form einer Vermutungsregelung), die als allgemeingültige Regelung über den im Einzelfall zur Verfügung stehenden Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) hinausgeht und deren Einführung Aufgabe des Gesetzgebers wäre (vgl. Hollo, Das Verfahren zur Anerkennung von Berufskrankheiten, Diss. 2018, S. 444 ff., 465; Spellbrink, SR 2015, 15; Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2), der eine solche Beweislastumkehr wiederholt abgelehnt hat, sich dabei ausdrücklich auf das Kausalitätsprinzip berufen hat, das die gesetzliche Unfallversicherung prägt, und keinen Anlass für weitergehende Beweiserleichterungen gesehen hat (vgl. BT-Drs. 18/13543, S. 13: "Vor diesem Hintergrund" - gemeint ist der dem Tatsachengericht zur Verfügung stehende Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung - "besteht in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Anlass für weitergehende Beweiserleichterungen." BT-Drs. 13/2333, S. 19 f.: "Der Vorschlag des Bundesrates beschränkt sich nicht auf eine Regelung zur Beweiserleichterungen; er schafft vielmehr eine gesetzliche Vermutung für den Ursachenzusammenhang zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung, die nur widerlegt werden kann, wenn die Wahrscheinlichkeit einer außerberuflichen Verursachung vom Unfallversicherungsträger nachgewiesen wird. Dies widerspricht dem Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung, die als Sonderentschädigungssystem im Rahmen der Sozialversicherung die Haftung des Unternehmers in den Fällen ablösen soll, in denen er wegen der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs für einen Gesundheitsschaden einstandspflichtig ist. Durch die gesetzliche Vermutung würde die Einstandspflicht der Unfallversicherung vorgegeben, der Kausalitätsgedanke als Basis des Systems zu einem Negativ-Nachweis umgekehrt. Denn im Amtsermittlungsverfahren wäre nur noch zu prüfen, ob eine außerberuflichen Verursachung festgestellt werden kann, mit der Folge, daß dann Leistungen nicht zu erbringen wären.") (vgl. auch Kranig, a.a.O.; S, 438), erneut die Bedeutung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verkannt hat (ähnlich zur Modifikation des Beweismaßstabs im Sinne der Kann-Versorgung durch das BSG auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung - hier bei der BK 2108 - durch das Urteil des BSG vom 23.04.2015, B 2 U 6/13 R: vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 26.06.2024, L 2 U 461/15, Rn. 149, juris. Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14, Rn. 72 f., juris: "Die Anwendung und Auslegung der Gesetze durch die Gerichte steht mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Einklang, wenn sie sich in den Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegt. ... Zu den Aufgaben der Rechtsprechung gehört die Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat dies seit langem anerkannt und den obersten Gerichtshöfen des Bundes die Aufgabe der Rechtsfortbildung ausdrücklich überantwortet (...). Dies belässt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, in unerwünschte Rechtsentwicklungen korrigierend einzugreifen und so im Wechselspiel von Rechtsprechung und Rechtsetzung demokratische Verantwortung wahrzunehmen (...). Richterliche Rechtsfortbildung darf hingegen nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerfGE 82, 6 <12 f.>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 Rn. 75>). Die Gerichte dürfen sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 f. Rn. 75>; 134, 204 <238 Rn. 115>)."). Gleichwohl sieht sich der Senat gebunden an die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung in Gestalt des Urteils des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R.

Unklar bleibt bei der Entscheidung des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, was das BSG unter anderen, nicht versicherten "typischen Krankheitsverursachungen" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 36, juris) versteht, die das BSG unter dem Gesichtspunkt der arbeitstechnischen Voraussetzungen (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, bis Rn. 38, juris) prüft. Denn auch unter dem Gesichtspunkt der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, ab Rn. 39, juris) stellt das BSG eine Kausalitätsprüfung dahingehend an, ob "eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 41, juris), also ob "wegen der Art oder der Lokalisation des Karzinoms, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung (Expositionszeit, Latenzzeit und Interimszeit) oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich ist" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 42, juris). "Um hier einen Ursachenzusammenhang auszuschließen, muss positiv festgestellt werden, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 41, juris). Der Grund zum einen für eine Differenzierung zwischen typischen und atypischen Krankheitsursachen und zum anderen für die vom BSG vorgenommene Prüfung der "typischen Krankheitsverursachungen" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 36, juris) unter dem Gesichtspunkt der arbeitstechnischen Voraussetzungen und der Kausalität im Übrigen unter dem Aspekt der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen erschließt sich nicht, wobei der Senat in der Folge gleichwohl dem Prüfungsschema des BSG folgt.

Die Rechtsprechung des BSG zugrunde gelegt ist festzustellen, dass im vorliegenden Verfahren unter keinem Gesichtspunkt "die positive Feststellung getroffen" werden kann, "dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 40, juris):
*  Dass der Versicherte neben der beruflichen Belastung mit Arsen auch einen außerberuflichen Kontakt mit dieser Noxe gehabt hätte, z.B. durch eine private Verwendung arsenhaltiger Materialien bei der in der Freizeit betriebenen Glasbläserei (dem Versicherten war vom Arbeitgeber gestattet, am Freitagnachmittag die Einrichtungen der Schule privat zu nutzen) oder durch das Einbringen dieses Giftstoffs in den Körper des Versicherten durch eine dritte Person im Rahmen einer Straftat (gegen Leben und Gesundheit des Versicherten) oder durch eine Einnahme durch den Versicherten selbst in suizidaler Absicht (unklar ist, ob der Versicherte einmal Selbstmordgedanken geäußert hat), betrachtet der Senat zwar aufgrund der Feststellungen der Gutachter insbesondere zu der beim Versicherten im Vergleich zu anderen Arbeitsstoffen höheren Arsenbelastung als bei seinen Kollegen als gute Möglichkeit. Nachgewiesen ist dies aber nicht.
*  Dass die Erkrankung des Versicherten mit einem erhöhten Alkoholkonsum in Verbindung steht, lässt sich nicht hinreichend wahrscheinlich machen.
*  Nachgewiesen sind damit auch nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer unversicherten Ursache und deren überragende Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris), die der Annahme einer BK entgegenstehen würde. Die "positive Feststellung ..., dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 41, juris), die den vermuteten Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Belastung mit Arsen und Erkrankung widerlegen würde, ist somit nicht möglich.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin:
Sofern das BSG in seinem Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 40, juris, darauf hingewiesen hat, dass der Anerkennung einer BK die positive Feststellung entgegenstehen würde, "dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist", wird dabei übersehen, dass der Anerkennung einer BK nicht nur eine nachgewiesene außerberufliche und damit unversicherte Belastung entgegen stehen würde, sondern auch eine versicherte berufliche Belastung, wenn sich diese auf eine Arbeitsschicht beschränken würde. Denn dann würde die Anerkennung als Arbeitsunfall in Betracht kommen, was wiederum die Anerkennung als BK ausschließen würde (s. dazu auch unten zum Thema "Hafenwechsel, ‚Jackenunfall'"). Da aber sowohl nach den Feststellungen der Gutachter und auch den eigenen Ausführungen der Beklagten derartige, mit einer Arsenbelastung verbundene Arbeitsunfälle nicht nachgewiesen sind, erübrigen sich weitere Ausführungen zu diesem Gesichtspunkt.

c) Die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK 1108 sind ebenfalls gegeben.

Lässt bei einer BK ohne normativ vorgegebene oder nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmbare Mindestdosis die Einwirkungsintensität keine negativen Rückschlüsse auf den Ursachenzusammenhang im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie zu, wie dies bei der BK 1108 der Fall ist, so würde der Annahme eines solchen Ursachenzusammenhangs gleichwohl die positive Feststellung entgegen stehen, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 40, juris).

Für die positive Feststellung, dass eine Krankheit nicht auf beruflich bedingte Einwirkungen zurückzuführen ist, genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Sie erfordert eine Prüfung des Ursachenzusammenhangs im Sinne der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen und hat zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen: zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit (s. oben 2.), zum anderen ein Schadensbild, welches - losgelöst von einer Expositionsdosis - mit der rechtlich wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest in Einklang steht. Die Feststellung fehlender Ursächlichkeit setzt daher voraus, dass aufgrund der Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich ist. Lässt sich ein solches versicherungsfremdes Schadensbild nicht feststellen, ist davon auszugehen, dass die Krankheit auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 42, juris).

Im vorliegenden Verfahren lässt sich die positive Feststellung, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen wäre, nicht treffen:
* Das Erkrankungsbild des Versicherten ist nach den Feststellungen der Sachverständigen typisch für eine Arsenvergiftung.
* Keiner der Sachverständigen hat die Ansicht geäußert, dass das Erkrankungsbild des Versicherten nicht mit einer Vergiftung mit Arsen in Zusammenhang stehen kann.

Nach alledem ergibt sich, dass beim Versicherten eine BK 1108 anzuerkennen ist. Ob sich der Anspruch auch aus der Vermutungsregelung des § 9 Abs. 3 SGB VII ergeben würde, kann dahingestellt bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 45, juris).


Der Vollständigkeit halber weist der Senat noch auf Folgendes hin:

*  Hafenwechsel, "Jackenunfall"

Sofern im Verfahren zwei Geschehnisse thematisiert worden sind, bei denen der Versicherte nach seinen Angaben einer erheblichen Staubbelastung (mit Arsen) ausgesetzt gewesen ist (November 2012: massives Einstauben des Versicherten beim Hafenwechsel. 27.09.2013: Der Versicherte habe sich in den Spind gebeugt und dabei sei seine staubige Jacke auf ihn gefallen.), sind diese Ereignisse für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung. Zum einen wäre aufgrund der zeitlichen Beschränktheit der beiden Ereignisse auf jeweils höchstens eine Arbeitsschicht (vgl. BSG, Urteile vom 11.06.1990, 2 RU 53/89, und vom 08.12.1998, B 2 U 1/98 R) von jeweils einem Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII auszugehen, nicht von einem Geschehen, das einer BK zuzurechnen wäre (vgl. zur Differenzierung zwischen Lärmschwerhörigkeit als BK 2301 und Lärmunfall als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII: BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 6/04 R). Zum anderen ist eine chronische/dauerhafte Belastung durch Arsen unabhängig von diesen beiden Geschehnisse nachgewiesen.

*  Schreiben der Beklagten vom 02.08.2024

Ergänzend zu den obigen, dem Prüfschema des BSG folgenden Ausführungen ist zum Schreiben der Beklagten vom 02.08.2024 Folgendes anzumerken:

o Zum Einwand einer fehlenden Übertragbarkeit des Urteils des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, auf den vorliegend zu entscheidenden Fall:

Beide Fälle betreffen eine BK, bei der weder vom Verordnungsgeber eine konkrete Mindestbelastungsdosis vorgegeben worden ist noch in der medizinischen Wissenschaft eine herrschende Meinung zu einer erforderlichen Mindestbelastungsdosis besteht. Auch handelt es sich jeweils um offene/unbestimmte BK-Tatbestände wegen nicht konkretisierter Krankheitsbilder. Eine Vergleichbarkeit der BK 1108 (in der vorliegenden Entscheidung) und der BK 1301 (in der Entscheidung des BSG vom 27.09.2023) besteht, sodass die Ausführungen des BSG im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, auf den vorliegenden Fall übertragbar sind.

o Zum Einwand, dass andere Ursachen für die Erkrankung des Versicherten nicht positiv ausgeschlossen seien:

Die Beklagte hat das Urteil des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R missverstanden. Dort - Rn. 41, juris - heißt es:
"Um hier einen Ursachenzusammenhang auszuschließen, muss positiv festgestellt werden, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist."
Es ist also nach der Rechtsprechung des BSG nicht so, dass außerberufliche Ursachen positiv ausgeschlossen werden müssen, um von einem (versicherten) Kausalzusammenhang ausgehen zu dürfen. Vielmehr liegt ein Kausalzusammenhang schon dann vor, wenn außerberufliche Ursachen nicht positiv festgestellt werden können - ein zwar subtiler, aber sehr entscheidender Unterschied. Das BSG geht von einer Vermutung der BK aus, die (nur) durch den positiven Nachweis einer außerberuflichen Ursache widerlegt werden kann (vgl. auch Forchert, a.a.O.).

o Zum Einwand, dass "die im Laufe des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse vielmehr einen Zusammenhang zwischen der akuten Arsenintoxikation im September 2013 und der seit 1997 verrichteten Tätigkeit als Glasmachermeister in der Glasfachschule in A nahezu ausschließen":

Ganz abgesehen davon, dass der Begriff "nahezu" in der Terminologie der Rechtsprechung des BSG keinen Platz hat und ohnehin unpräzise und interpretationsfähig ist, hat die Beklagte auch keine andere konkrete außerberufliche Arsenbelastung aufzeigen können, sondern nur Mutmaßungen und Vermutungen aufgestellt. Das BSG hat aber im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, explizit darauf hingewiesen, dass "etwaig ‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache ... insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen [können]" (BSG, a.a.O., Rn. 37, juris), sondern die unversicherte Ursache konkret benannt werden muss. Die bloße Möglichkeit oder auch "‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen" (BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris).

o Zum Einwand, dass "Arsen in der Glasfachschule seit über 30 Jahren, also schon lange Zeit vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit des Klägers in der Glasfachschule, nicht mehr genutzt" werde und "die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten als auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft D ergeben haben, dass der arbeitstägliche Umgang mit den Stäuben als Quelle der Arsenintoxikation nahezu ausgeschlossen ist":

Dieser Einwand ist sachlich falsch und verdreht wider besseres Wissen die Tatsachen:
*   Am 13.03.2015 ist bei einer Probeentnahme durch den TAD der Beklagten in der Glasfachschule A in den Ofenrohren ein - durchaus nicht geringer - Arsenanteil von 3,56 g pro 100 g Staub ermittelt worden. Der TAD der Beklagten hat daher wiederholt bestätigt, dass bis zum Ende der beruflichen Tätigkeit des Versicherten eine Exposition gegenüber Arsen oder seinen Derivaten bestanden hat (Stellungnahmen vom 11.06.2014 und vom 15.05.2015).
*   Die Ermittlungen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren haben den Nachweis einer Arsenbelastung durch die berufliche Tätigkeit des Versicherten bis zu deren (krankheitsbedingten) Beendigung ergeben.
*   Das Glasgemenge Prilox, das nach Angaben auch des Zeugen P bis 2014, also über die schwere Erkrankung des Klägers hinaus, verwendet worden ist, enthält 1,7 mg Arsentrioxid pro Kilogramm Gemenge.
*   Auch die Glasprodukte der Fa. K, die bis zum Ende der beruflichen Tätigkeit des Versicherten verwendet worden sind, enthalten Arsen.
*   Dass die berufliche Tätigkeit als Quelle einer Arsenvergiftung "nahezu" - zum fehlenden Aussagegehalt dieses Wortes s. oben - ausgeschlossen werden könne, ist nicht nachvollziehbar, wenn berücksichtigt wird, dass die durch Laboruntersuchungen festgestellte hohe Arsenbelastung des Versicherten nicht nur auf eine akute Vergiftung, sondern auch auf eine chronische Intoxikation zurückgeführt werden kann - so der Gutachter K).
*   Dass es naheliegender sein kann, dass die Arsenvergiftung durch Stoffe außerhalb der Arbeit des Versicherten verursacht ist, steht einem Ursachenzusammenhang nicht entgegen (vgl. oben). Ob und welche anderen Ursachen es geben könnte, kann aber lediglich gemutmaßt oder vermutet werden, wobei vorliegend - auch nicht von der Beklagten - irgendwelche konkreten anderen Ursachen vermutet worden sind (s. auch oben).

o Zum Einwand, dass es nach den für das Landeskriminalamt erstellten toxikologischen Gutachten vom 13.01.2014 und 16.04.2014 "wahrscheinlich ist, dass das Arsen im Körper des Klägers nicht aus den Arbeitsstoffen stammt":

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass die Möglichkeit einer außerberuflichen Exposition mit Arsen besteht, ggf. sogar in Form einer guten Möglichkeit. Da aber schon gar keine konkrete außerberufliche Ursache für eine Beibringung von Arsen im Raum steht, sondern lediglich abstrakte und unbelegte Vermutungen einer solchen Exposition geäußert worden sind, kann dies einer positiven Kausalitätsfeststellung im Sinne einer BK 1108 nicht entgegenstehen. Das BSG hat dies im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, wie folgt formuliert:
"Soweit das LSG zu der Überzeugung gelangt, es sprächen ebenso gute Gründe für eine andere wie für die berufliche Verursachung, kann dies eine überragende Bedeutung der unversicherten außerbetrieblichen Ursache nicht begründen. Vielmehr fußt die Annahme des LSG auf einer fehlerhaften rechtlichen Schlussfolgerung von der Möglichkeit auf die Wahrscheinlichkeit. Denn das LSG konnte weder das konkrete Schicksal benennen noch dieses - im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung - feststellen. Art, Intensität und Dauer der schicksalhaften Erkrankung konnten nicht als Tatsachen festgestellt werden. Etwaig ‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen."

o Zum Einwand, dass der Versicherte beim Hafenwechsel (im November 2012) 2 bis 5 g arsenhaltigen Staubes inhalativ oder durch Verschlucken hätte aufnehmen müssen und dass es sich dabei um eine so große Menge an Arsen handeln würde, dass dies aus technischer Sicht absolut unwahrscheinlich sei, zudem im August oder September 2013 kein Wechsel der Hafenöfen stattgefunden habe, sodass die akute Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht mit dieser Tätigkeit in Zusammenhang stehen könne:

Die Beklagte verkennt zum einen schon, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um eine Arsenaufnahme beim Hafenwechsel geht, weil dies rechtlich als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, nicht als BK 1108 zu würdigen wäre. Zum anderen hat der Gutachter K, dessen Ausführungen der Senat als überzeugend erachtet, auch darauf hingewiesen, dass die beim Versicherten festgestellten hohen Arsenwerte auch Folge einer Kumulation bei Iängerfristiger Aufnahme von Arsen sein können und daher nicht zwingend auf eine akute Vergiftung infolge einer kurzfristigen Verabreichung einer hohen Arsenmenge hindeuten (S. 35 des Gutachtens des K: "Da Arsen im Körper kumuliert, werden bei ununterbrochener Exposition zunehmend höhere Arsenspiegel aufgebaut." Dies habe zur Folge, dass "bei Kumulation bei längerfristiger Aufnahme ein Sättigungsmechanismus denkbar [ist], der bei Überschreitung dann auch akute Vergiftungserscheinungen zu Tage treten lässt.").

o Zum Einwand, dass der Versicherte vom 05.08.2013 bis 22.09.2013 keiner Arsenbelastung ausgesetzt gewesen sei und er dann plötzlich in dem kurzen Zeitraum vom 23.09.2013 bis 27.09.2024 eine derartig hohe Menge Arsen bei seiner Tätigkeit aufgenommen haben müsse, was jedoch aufgrund der durchgeführten Ermittlungen "völlig abwegig und in keinster Weise" nachvollziehbar sei:

Die Beklagte geht hier fälschlicherweise davon aus, dass die im September 2013 festgestellte Arsenbelastung des Versicherten nur im Rahmen einer vergleichsweise akuten Vergiftung, also bei einer kurzfristigen Aufnahme von Arsen entstanden sein kann. Dies ist aber eine falsche Annahme, wie sich aus dem Gutachten des K ersehen lässt; die beim Versicherten festgestellten hohen Arsenwerte und akuten Vergiftungserscheinungen können auch Folge einer Kumulation bei Iängerfristiger Aufnahme von Arsen gewesen sein (s. auch oben).

o Zum Einwand, dass der nach § 106 SGG gehörte Gutachter D die zwischen November 2012 und 30.09.2013 aufgetretenen Symptome zwar als mögliche Folge einer Arsenintoxikation, allerdings nicht als spezifisch bezeichnet habe, sodass diese Symptome auch eine andere Ursache haben könnten:

Dass die Symptome auch eine andere Ursache haben können, schließt einen rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Arsenbelastung und der beim Versicherten vorliegenden Erkrankung und somit eine BK 1108 nicht aus. Denn allein die Möglichkeit einer anderen als der beruflichen Ursache steht der Anerkennung einer BK 1108 nicht entgegen. Das BSG hat dazu im Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris, Folgendes ausgeführt:
"Etwaig ‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen."

o Zum Einwand, "dass die beim Kläger und seinen Kollegen eingeholten Messwerte den Schluss nahelegen, dass der Kläger zusätzlichen Kontakt zu Arsen hatte, der bei den Kollegen nicht bestand", und dass "der Hafenwechsel im November 2012 die schwere Arsenintoxikation im September 2013 nicht erklären könne":

Dass der Versicherte einen außerberuflichen Kontakt zu Arsen gehabt haben könnte, ist eine bloße Vermutung oder Spekulation. Somit liegt keine alternative unversicherte Belastung, sondern lediglich die unbelegte Behauptung einer solchen vor. Bloße und damit unbewiesene Behauptungen sind aber rechtlich unbeachtlich. Auf die Frage, ob der Hafenwechsel die Arsenbelastung erklären kann, kommt es zudem nicht an, da Gegenstand des Verfahrens nicht der Hafenwechsel als Arbeitsunfall, sondern die BK 1108 ist (vgl. auch oben).

o Zum Einwand, "dass der Kläger lediglich an 43 Tagen über das Jahr 2013 verteilt gearbeitet hat und deshalb nicht erklärbar ist, wie es zu der akuten Vergiftung gekommen sein soll, ohne dass der Kläger einer zusätzlichen Arsenquelle ausgesetzt gewesen ist":

Die Beklagte verkennt zum einen, dass das Erkrankungsbild des Versicherten nicht zwingend auf eine akute Vergiftung zurückzuführen ist, sondern auch Ausdruck einer chronischen Intoxikation sein kann, wie dies der Gutachter K erläutert hat. Zudem verkürzt die Beklagte ihre Betrachtungsweise - wiederholt - fälschlicherweise auf die Annahme einer kurzfristig verursachten Arsenvergiftung, obwohl eine langjährige Arsenbelastung nachgewiesen ist und eine Kumulation im Rahmen einer solchen langanhaltenden Arsenbelastung nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen K zu einem Krankheitsbild führen kann, das dem einer akuten Vergiftung aufgrund einer kurzfristigen Beibringung von Arsen entspricht (vgl. oben).

o Zum Einwand, dass der damalige Berichterstatter des Senats im Erörterungstermin am 16.12.2021 darauf hingewiesen habe, "dass der Kläger seinen Vortrag betreffend der möglichen Ursachen für die Vergiftung mehrfach angepasst habe":

Der Senat in seiner aktuellen Besetzung kann eine zielgerichtete Anpassung des Aussageverhaltens des Versicherten hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen nicht erkennen. Es ist zwar zutreffend, dass der Versicherte mit dem Hafenwechsel und dem "Jackenunfall" vom 27.09.2013 erst im Laufe des Verfahrens zwei Geschehnisse erwähnt hat, bei denen er eine Arsenintoxikation vermutet hat. Ganz abgesehen davon, dass es durchaus nachvollziehbar ist, dass der Versicherte mit Blick auf den massiven Krankheitsverlauf und eine für ihn primär nicht offensichtliche Gefährdungssituation zunächst diese Geschehnisse nicht erwähnt hat, sind diese beiden Geschehnisse auch nicht entscheidungsrelevant (vgl. oben). Daraus pauschal zu schließen, dass auch sonstige Angaben des Versicherten unglaubwürdig wären, ist unzulässig, zumal es auch keine weiteren Angaben des Versicherten gibt, die entscheidungsrelevant und nicht durch andere Ermittlungen bestätigt worden wären.

o Zum Einwand, dass der damalige Berichterstatter des Senats im Erörterungstermin am 16.12.2021 darauf hingewiesen habe, "dass es durchaus die ernsthafte Möglichkeit einer anderen Verursachung der gesundheitlichen Beschwerden gebe":

Die gute Möglichkeit einer anderen Verursachung steht der Annahme einer BK 1108 nicht entgegen. Es wird insofern nochmals (vgl. oben) auf Rn. 37, juris, des Urteils des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, verwiesen, in dem das BSG Folgendes erläutert hat:
"Etwaig ‚gute Gründe' für die Annahme einer unversicherten Alternativursache können insoweit bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen."

o Zum Einwand, dass das BSG in seinem Urteil vom 27.09.2023 festgestellt habe, "dass mit den tatsächlich festgestellten versicherungsbedingten Einwirkungen durch o-Toluidin (im vorliegenden Fall wäre die Einwirkung durch Arsen ausschlaggebend) vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen ist, wenn konkurrierende Krankheitsursachen ausgeschlossen werden können und ausgeschlossen worden sind", was vorliegend nach Auffassung der Beklagten jedoch nicht der Fall sei, weil "aufgrund der erfolgten Ermittlungen (insbesondere von Seiten der Staatsanwaltschaft D) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest [steht], dass der Kläger die akute Arsenintoxikation nicht durch die Einwirkungen am Arbeitsplatz erlitten haben kann und als Ursache für die Polyneuropathie der langjährige intensive Alkoholkonsum des Klägers die weitaus wahrscheinlichere Ursache ist":

Die Beklagte stellt den Sachverhalt falsch dar; es ist zu keinem Zeitpunkt die Feststellung getroffen worden, dass der Versicherte die Arsenintoxikation "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ... nicht durch die Einwirkungen am Arbeitsplatz erlitten haben kann". Tatsächlich besteht nur die (gute) Möglichkeit, dass er sich die Arsenvergiftung außerhalb der Arbeit zugezogen hat. Wie eine solche alternative Arsenintoxikation ausgesehen haben könnte, kann aber lediglich vermutet oder spekuliert werden; konkrete Alternativen stehen nicht im Raum und sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden.

o Zum Einwand, dass nach dem Urteil des BSG vom 27.09.2023 "für die positive Feststellung, dass eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist, die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit für die nicht beruflich bedingte Einwirkung liegt nach all den durchgeführten Ermittlungen nach Ansicht der Beklagten zweifelsfrei vor":

Es kann nur erneut (vgl. oben) darauf hingewiesen werden, dass "gute Gründe" für die Annahme einer unversicherten Alternativursache bei der Kausalitätsbeurteilung als bloße Behauptung die überwiegend wahrscheinliche Ursächlichkeit der tatsächlich erfolgten beruflichen Einwirkung nicht zulässig ausschließen können (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, Rn. 37, juris).

Der Berufung hat daher keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats orientiert sich strikt am Urteil des BSG vom 27.09.2023, B 2 U 8/21 R. Dass diese Entscheidung des BSG aus den oben aufgezeigten Gründen kritikwürdig ist, in der Literatur (zu Recht) massiv kritisiert wird und auch der Senat eine Korrektur der Rechtsprechung des BSG für wünschenswert erachtet, stellt keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG dar.

 

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