L 13 AS 312/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 26 AS 843/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 13 AS 312/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 36a SGB II scheidet aus, wenn das zuständige Jobcenter lediglich mit dem Träger des Frauenhauses direkt abgerechnet hat, ohne der Leistungsberechtigen Leistungen im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II bewilligt zu haben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. Juni 2021 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.508,96 € festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist strittig, in welcher Höhe der Beklagte dem Kläger die Kosten für den Aufenthalt der D. E. und ihrer Tochter in einem Frauenhaus in Bremen erstatten muss. Hierbei ist insbesondere die Erstattung der Kosten für die psychosoziale Betreuung umstritten.

Die 1986 geborene, erwerbsfähige D. E. hielt sich seit dem 27. Juni 2017 im Bremer Frauenhaus auf und beantragte mit am 27. Juni 2017 unterschriebenem Vordruck, der laut Eingangsstempel am 4. Juni 2017 beim Kläger einging, für sich und ihre am 10. Februar 2017 geborene Tochter F. G. die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Hierbei gab sie an, zuvor in Hanau gewohnt zu haben. Die Aufnahme im Frauenhaus sei aufgrund körperlicher/psychischer Bedrohung/Misshandlung durch den Partner notwendig gewesen. Sie habe sich am Heimatort nicht sicher vor der Bedrohung gefühlt. Die Übernahme der Kosten im Frauenhaus wurde ebenfalls beantragt. Die Höhe der Kosten wurde im Antragsformular nicht angegeben, ein Vertrag mit dem Frauenhaus nicht vorgelegt. Eine Wohnungsgeberbescheinigung des Bremer Frauenhauses und eine Meldebestätigung waren beigefügt. Der Kläger gab gegenüber dem Frauenhaus Bremen Kostenzusicherungen ab. Mit Schreiben vom 5. Juli 2017 erteilte der Kläger eine Kostenzusicherung für den Zeitraum 27. Juni bis 31. Juli 2017 in Höhe von 45,91 € pro Person und machte mit Schreiben gleichen Datums gegenüber dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch geltend. Am 7. Juli 2017 sprach Frau E. bei der Arbeitsvermittlung persönlich vor, wobei ein Profiling für den Zielberuf „Helfer/in – Reinigung“ erstellt und als gemeinsames Ziel die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt festgelegt wurde. Mit Bescheiden vom 6. Juli und 3. August 2017 gewährte der Kläger Frau E. und ihrer Tochter Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 27. Juni 2017 bis 31. Dezember 2017. Die Leistungsbewilligung erfolgte - laut Bescheid vom 6. Juli 2017 - befristet für sechs Monate, da die Dauer des Aufenthaltes im Frauenhaus noch unklar sei. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Hierbei wurden im Rahmen der Bedarfsberechnung ausschließlich die Regelbedarfe sowie der Mehrbedarf für Alleinerziehende berücksichtigt. Kosten der Unterkunft und Heizung oder Betreuungskosten wurden nicht berücksichtigt. Nach Einreichung weiterer Unterlagen (Elterngeld/Unterhaltsvorschuss) erteilte der Kläger mit Schreiben vom 17. August 2017 dem Frauenhaus eine Kostenzusicherung für den Zeitraum 1. bis 31. August 2017 in Höhe des preisrechtlich genehmigten bzw. mit dem Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vereinbarten Pflegesatzes. Der Eigenanteil betrage insgesamt 83,71 €. Gleichlautende Kostenzusicherungen erfolgten nachfolgend auch für die Monate September und Oktober 2017. Mit Bescheid vom 17. August 2017 gewährte der Kläger Frau E. und ihrer Tochter ab dem 1. August 2017 0 € und hob die insoweit bereits ergangenen Bescheide wegen übersteigenden Einkommens auf. Ab August 2017 bestehe kein Leistungsanspruch beim Jobcenter mehr. Die Kosten für Unterkunft im Frauenhaus betrügen in den Monaten Juli, August, Oktober und Dezember 2017 2.846,42 € und im September und November 2017 2.754,80 €. Ab August könnten nicht mehr die vollen Kosten der Unterkunft zugesichert werden. Sie hätten diesbezüglich einen Eigenanteil von 83,71 € zu tragen. Kosten der Unterkunft und Heizung oder Kosten der psychosozialen Betreuung wurden in den Berechnungsbögen der Bewilligungsbescheide weiterhin nicht aufgeführt. Nach Anhörung hob der Kläger zudem die Bewilligungsentscheidungen für Juli teilweise und für August 2017 (nochmals) ganz auf und forderte die Überzahlung von Frau E. und der Tochter zurück.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2017 bat der Beklagte zur Prüfung des Erstattungsanspruchs um Übersendung von Unterlagen. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2017 übersandte der Kläger dem Beklagten eine Kostenaufstellung und machte einen Erstattungsbetrag von 12.417,11 € geltend. Aus der Kostenaufstellung ergab sich, dass sich von den geltend gemachten Kosten pro Tag und Person 6,23 € auf die Unterkunftskosten und 39,68 € auf die Betreuungskosten nach § 16 Abs. 2 SGB II bezogen. Der Beklagte erkannte die Kostenerstattungspflicht mit Schreiben vom 18. Dezember 2017 für den Zeitraum 27. Juni 2017 bis 17. November 2017 dem Grunde nach an. Er bat zudem um Übersendung der Bewilligungsbescheide sowie des Bewilligungsbescheides bzgl. der Betreuungskosten gem. § 16 Abs. 2 SGB II und wies hinsichtlich der psychosozialen Betreuungsleistungen darauf hin, dass diese nur übernommen werden könnten, wenn sie rechtmäßig erbracht worden seien. Hierbei sei die Erforderlichkeit der Leistungen Voraussetzung. Vor dem Hintergrund, dass Frau E. ihr im Februar 2017 geborenes Kind betreut habe, könne die Erforderlichkeit von Leistungen für die Eingliederung in das Erwerbsleben derzeit nicht nachvollzogen werden. Es wurde um Vorlage einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung gebeten. Der Kläger erläuterte seine Berechnungen und teilte mit, dass eine Eingliederungsvereinbarung nicht geschlossen worden sei, da die Leistungsbezieherin noch in Elternzeit gewesen sei. Im Hinblick auf die anschließende Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei die Notwendigkeit der psychosozialen Betreuung jedoch gegeben. Der genaue Umfang der Betreuung sei individuell und werde vom Frauenhaus festgelegt.

Mit geänderter Kostenaufstellung vom 12. April 2018 machte der Kläger nunmehr 1.739,52 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie 11.577,60 € Betreuungskosten geltend. Zudem wies er darauf hin, dass bisher von einem falschen Tagessatz ausgegangen worden sei. Die Betreuungskosten seien gemäß der zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Bremer Frauenhaus im August 2017 geschlossenen Vereinbarung nach § 17 SGB II gewährt worden. Hierin sei der vereinbarte Tagessatz erläutert. Es könne nicht nachvollzogen werden, warum die Betreuungskosten unrechtmäßig erbracht worden sein sollten. Der Beklagte brachte daraufhin 1.094,51 € für die Unterkunftskosten zur Auszahlung und lehnte die Erstattung der Kosten für die psychosoziale Betreuung ab. Er wies darauf hin, dass hinsichtlich der Kosten der psychosozialen Betreuung offenbleiben könne, ob diese materiell rechtmäßig gewährt worden seien, da es bereits an einer formell ordnungsgemäßen Bewilligung scheitere. Eine entsprechende Prüfung und Ermessensausübung unter Beachtung des Eingliederungsgedankens in Form eines Verwaltungsaktes durch die zuständige Behörde könne vorliegend nicht festgestellt werden. Die Entscheidung über die Betreuung müsse beim Leistungsträger liegen und nicht in der Entscheidungshoheit des Frauenhauses. Leistungen zur Erwerbsintegration könnten grundsätzlich nur erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gewährt werden, aus den Unterlagen gehe aber auch die Gewährung von Betreuungsleistungen für das minderjährige Kind hervor.

Der Kläger wandte sich im Rahmen des Verwaltungsverfahrens an das Bremer Frauenhaus und bat um eine detaillierte Auflistung der erfolgten Betreuungsleistungen. Das Bremer Frauenhaus teilte mit Schreiben vom 6. März 2019 mit, dass bei der Leistungsempfängerin sowohl eine psychische und soziale als auch eine rechtliche Stabilisierung notwendig gewesen sei. Weitere Inhalte könnten aufgrund des Datenschutzes nicht mitgeteilt werden.

Der Kläger hat am 2. Mai 2019 Klage auf Zahlung von 11.577,60 € beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben, strittig waren hierbei allein die Kosten der psychosozialen Betreuung. Zur Begründung der Klage hat er insbesondere ausgeführt, dass auch die Kosten der psychosozialen Betreuung nach § 16 a Abs. 1 Nr. 3 SGB II vom zuständigen kommunalen Träger nach § 36a SGB II zu übernehmen seien. Die Freie Hansestadt Bremen schließe mit den Frauenhäusern in Bremen Vereinbarungen ab, die die Unterbringungskosten regelten. Es werde auch eine Pauschale für die Betreuung, Förderung, Anleitung und ähnliche Maßnahmen geregelt. Sobald eine Frau in das Frauenhaus einziehe, würden die Pauschalen fällig. Erst nach einer Verarbeitung der erlebten Situationen sei es möglich, die Frauen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch die mitgeflüchteten Kinder müssten das Erlebte zunächst verarbeiten. Die von den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses erbrachten Leistungen seien als kommunale psychosoziale Betreuung einzuordnen. Die notwendigen Maßnahmen würden von den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses eigenständig eingeleitet, eine jeweilige Entscheidung durch Verwaltungsakte des Klägers sei nicht erforderlich. Durch die Vereinbarung mit dem Frauenhaus sei auch sichergestellt, dass nur die Hilfestellungen erfolgten, die für die Stabilisierung der Frauen erforderlich seien. Eine Bewilligung jeder einzelnen Maßnahme sei nicht leistbar. Die übersandte Vereinbarung gelte bereits seit Jahren und sei im Sommer 2017 lediglich fortgeschrieben worden. Die psychosoziale Betreuung erfolge durch die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses und finde in enger Abstimmung mit dem persönlichen Ansprechpartner beim Kläger statt. Am 7. Juli 2017 habe ein Beratungsgespräch mit Frau E. stattgefunden und die Arbeitsaufnahme sei angestrebt worden. Seinerzeit sei eine Arbeitsaufnahme wegen der unklaren Betreuung des Kindes nicht möglich gewesen, zunächst habe eine Wohnung angemietet werden müssen. Hierbei sei die Unterstützung der Betreuerinnen im Frauenhaus notwendig gewesen. Der Kläger hat die zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Bremer Frauenhaus, Frauen helfen Frauen e.V. geschlossene Vereinbarung nach § 17 SGB II aus August 2017 sowie die vorhergehende Vereinbarung aus dem Jahr 2014 vorgelegt. Wegen des Inhalts dieser Vereinbarungen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Beklagte hat zur Klageerwiderung ausgeführt, dass Voraussetzung für eine Kostenübernahme sei, dass eine rechtmäßige Bewilligungsentscheidung des Klägers vorliege. § 16a SGB II setze tatbestandlich eine Erforderlichkeit voraus und auf der Rechtsfolgenseite eine Ermessensausübung. Die Prüfung des Anspruchs sei eine hoheitliche Aufgabe und könne nicht an einen privatrechtlich organisierten Verein übertragen werden. Nur die Leistungserbringung könne nach § 17 SGB II durch Dritte erfolgen. Eine Erstattung sei nur bei einer einzelfallbezogenen Prüfung des zuständigen Leistungsträgers möglich. Eine einzelfallbezogene Prüfung sei im vorliegenden Verfahren – auch nach Durchsicht der Verwaltungsakte des Klägers – nicht ersichtlich. Hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Vereinbarung erst nach der Aufnahme von Frau E. ins Bremer Frauenhaus geschlossen worden sei. Sie sei rückwirkend zum 1. April 2017 im August 2017 abgeschlossen worden. Ein enger Kontakt des persönlichen Ansprechpartners beim Kläger mit dem Frauenhaus ergebe sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht. Auch ein Erstgespräch mit Frau E. folge aus den Unterlagen nicht, vielmehr sei gerade nicht angekreuzt worden, dass das Gespräch stattgefunden habe. Eine Prüfung, ob die Erbringung von Betreuungsleistungen erforderlich gewesen sei, ergebe sich aus den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen ebenfalls nicht. Vielmehr habe bereits beim Erstgespräch die Aufnahme einer Beschäftigung im Fokus gestanden, nicht hingegen die vorrangige psychische Stabilisierung von Frau E..

Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 22. Juni 2021 verurteilt, an den Kläger 11.508,96 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das SG insbesondere ausgeführt, Rechtsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs sei § 36a SGB II. Erstattungsfähig seien hiernach solche Kosten, die für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus beim hierfür zuständigen kommunalen Träger verursacht worden seien. Aufwendungen für Kinder seien ebenfalls erstattungsfähig, da sie zusammen mit der Mutter Zuflucht im Frauenhaus suchten. Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit komme es darauf an, ob die Leistungen dem materiellen Recht entsprechend erbracht worden seien. Neben den Kosten der Unterkunft gehörten auch Kosten für Leistungen nach § 16a SGB II zu den erstattungsfähigen Kosten. Hier begehre der Kläger die Erstattung der Kosten für die psychosoziale Betreuung nach § 16a Nr. 3 SGB II. Der Kläger habe diese Leistungen mit Hilfe Dritter erbracht. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger keinen diesbezüglichen ausdrücklichen schriftlichen Bescheid erlassen habe. Die Bewilligung sei durch die Kostenzusicherungen erfolgt. Frau E. habe angegeben, körperliche/psychische Misshandlungen durch den Partner erlebt zu haben und sich am Heimatort vor der Bedrohung nicht sicher zu fühlen. Mit der Leistungsbeschreibung des Frauenhauses werde ausdrücklich klargestellt, dass eine Aufnahme der Frauen und ihrer Kinder nur erfolge, wenn es sich um bedrohte und misshandelte Personen handele, die Schutz und Unterstützung benötigten. Solche Leistungen habe das Frauenhaus erbracht. Dies folge aus der Antwort an den Kläger, dass eine psychische, soziale und rechtliche Stabilisierung notwendig gewesen sei. In einer u.a. durch Gewalterfahrungen, Verlust von bisherigen Bindungen und der Wohnung geprägten Situation, wie sie für Zufluchtsuchende in Frauenhäusern typisch sei, sei die Entwicklung tragfähiger beruflicher Perspektiven ohne psychische und soziale Stabilisierung nicht denkbar, erscheine jedenfalls aber in der Prognose nach allgemeiner Lebenserfahrung wenig erfolgversprechend. Es sei ohne weiteres nachvollziehbar, dass eine Stabilisierung erforderlich gewesen sei. Unter Berücksichtigung der in einem Frauenhaus bestehenden besonderen Situation, in der ein ständig präsentes niederschwelliges Angebot notwendig sei, mit dem jederzeit bedarfsgerecht auf die aktuelle Situation der betreuten Frauen und Kinder reagiert werden müsse, könnten keine überhöhten Anforderungen an die Dokumentation der einzelnen Betreuungsleistungen gestellt werden. Diese bezögen sich auch auf die Tochter. Der Kläger habe sich auch nicht allein auf die Einschätzung der Mitarbeiterinnen des Frauenhauses verlassen, sondern am 7. Juli 2017 ein Beratungsgespräch zur Eingliederung geführt und damit die vom Frauenhaus vorgenommene Einschätzung selbst überprüft. Der kommunale Träger könne sich auch der Hilfe Dritter bedienen. Das SG hat zudem weitere Ausführungen hinsichtlich der anwendbaren Vereinbarung hinsichtlich der Kosten und der nicht anzuwendenden rückwirkenden Vereinbarung gemacht. Mit Beschluss vom 3. August 2021 hat das SG den Tenor des Urteils dahingehend berichtigt, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, nachdem zuvor eine Kostentragung nur hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten vorgesehen war. 

Der Beklagte hat am 23. Juli 2021 Berufung gegen das am 6. Juli 2021 zugestellte Urteil eingelegt. Unter Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen weist er insbesondere darauf hin, dass eine Prüfung der Notwendigkeit psychosozialer Betreuung durch den Kläger (im Rahmen des Beratungsgesprächs) nicht ersichtlich sei und die diesbezüglichen Ausführungen des SG nicht nachvollzogen werden könnten. Es sei zudem überhaupt nicht erkennbar, ob Betreuungsleistungen für das Kind erbracht worden seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Bremen vom 22. Juni 2021 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen. 

Zur Berufungserwiderung verweist er auf die angegriffene Entscheidung.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten in Höhe von 11.508,96 €. Soweit das SG die Klage im Übrigen abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig geworden, da der Kläger keine Berufung eingelegt hat.

Zutreffend hat das SG die Klage als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG als zulässig angesehen. Die Klage ist jedoch unbegründet, das Urteil des SG Bremen vom 22. Juni 2021 daher aufzuheben. Der Kläger hat keinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten. Zutreffend hat der Beklagte die Erstattung der im Zusammenhang mit der psychosozialen Betreuung der Frau E. und ihrer Tochter entstandenen und allein streitbefangenen Kosten während des Aufenthaltes im Frauenhaus Bremen abgelehnt. Das Urteil des SG Bremen war daher abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Gemäß § 36a SGB II ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger am Ort des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthalts im Frauenhaus zu erstatten, wenn eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht. Hierbei umfasst die Kostenerstattungspflicht grundsätzlich auch Leistungen der psychosozialen Betreuung nach § 16a Nr. 3 SGB II (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 190/11 R – juris). Der Kläger ist durch die Aufnahme der Frau E. und deren Tochter im Frauenhaus in seinem Bezirk zuständiger Träger geworden (§ 36 Satz 2 SGB II), der Beklagte ist der kommunale Träger am bisherigen Wohnort.

Der Beklagte ist jedoch nicht zur Erstattung der Kosten der psychosozialen Betreuung verpflichtet. Denn die Leistungen, für die Kostenerstattung verlangt werden kann, müssen nicht nur in eigener örtlicher Zuständigkeit, sondern auch im Übrigen rechtmäßig erbracht worden sein (Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, 4. Ergänzungslieferung 2024, § 36a Rn. 24). Wurden Leistungen zu Unrecht erbracht, d.h. ohne dass hierfür ein Rechtsgrund nach dem SGB II bestand, sind die hierdurch verursachten Kosten nicht vom früher zuständigen kommunalen Träger zu erstatten. Bei einer rechtswidrigen Leistungsgewährung bestand dann nämlich keine Leistungspflicht des kommunalen Trägers am Ort des Frauenhauses. Dann kann aber eine Erstattungspflicht des bisher zuständigen kommunalen Trägers auch nicht entstehen (vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 4. November 2020 – L 2 AS 3911/18 – juris Rn. 45 m. w. N.).

Vorliegend kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang das Frauenhaus psychosoziale Betreuungsleistungen für Frau E. und ihre Tochter tatsächlich erbracht hat. Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich Leistungen für die wenige Monate alte Tochter erbracht wurden, ergeben sich aus den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem Schreiben des Frauenhauses an den Kläger, allerdings nicht.

Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs können nur an die Leistungsberechtigten rechtmäßig erbrachte Leistungen sein. Denn von der Erstattungspflicht nach § 36a SGB II werden alle Leistungen erfasst, die vom kommunalen Träger nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II an die leistungsberechtigte Frau und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus rechtmäßig erbracht werden (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 190/11 R – juris Rn. 23 und Urteil vom 8. März 2023 – B 7 AS 7/22 R – juris Rn. 27). Bereits an einer Leistungserbringung an Frau E. und ihre Tochter scheitert jedoch vorliegend der Kostenerstattungsanspruch des Klägers. Denn während des dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Leistungsbezuges der Frau E. und ihrer Tochter beim Kläger hat dieser zu keinem Zeitpunkt gegenüber den Leistungsberechtigten Leistungen für deren psychosoziale Betreuung gewährt. Sämtliche Bewilligungsbescheide umfassten lediglich die jeweiligen Regelbedarfe sowie einen Mehrbedarf für Alleinerziehung. Kosten für Unterkunft und Heizung oder psychosoziale Betreuung sind den Leistungsberechtigten zu keinem Zeitpunkt gewährt worden. Der Kläger hat vielmehr mit Bescheid vom 17. August 2017 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gegenüber den Leistungsberechtigten insgesamt aufgehoben und ausgeführt, ein Anspruch gegenüber dem Jobcenter bestehe ab August 2017 nicht mehr. In solchen Fällen entfällt die Erstattungspflicht (vgl. Böttiger in: Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 36a Rn. 38). Da die Leistungen, für die von dem kommunalen Träger Kostenerstattung verlangt wird, nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II an die leistungsberechtigte Frau und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus rechtmäßig erbracht worden sein müssen, sind erstattungsfähig nur solche Aufwendungen, die einzelnen Personen zugeordnet werden können. Hier kann dahinstehen, ob der Anspruch daran scheitert, dass der Kläger keine Einzelfallprüfung dahingehend vorgenommen hat, ob - neben der Schutzgewährung durch Vorhaltung von Unterkunft und Verpflegung - eine psychosoziale Betreuung erforderlich ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Mai 2017 – L 7 AS 2262/14), denn es fehlt bereits insgesamt an einer Leistungsgewährung gegenüber den Leistungsberechtigten. Die Kostenzusicherung gegenüber dem Frauenhaus oder die Bezahlung der Rechnungen stellen keine Leistungsgewährung gegenüber den nach dem SGB II Leistungsberechtigten dar und vermögen eine solche auch nicht zu ersetzen. Hier hat der Kläger zudem gegenüber Frau E. mitgeteilt, dass diese ab August 2017 keinerlei Anspruch mehr gegen das Jobcenter habe. Dies ist mit dem nunmehr geltend gemachten Erstattungsanspruch, der auf einer Leistungserbringung an sie aufbaut, nicht in Einklang zu bringen. Wenn das Jobcenter – wie hier – lediglich direkt mit dem Träger des Frauenhauses abrechnet, ohne den Leistungsberechtigten nach dem SGB II Leistungen im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II zu bewilligen, wobei eine – hier nicht erkennbare – formlose Bewilligung ausreichen würde (vgl. Böttiger a.a.O. Rn. 37), liegt keine Gewährung von rechtmäßigen Leistungen nach dem SGB II vor. Denn § 36a SGB II regelt einen Erstattungsanspruch für an leistungsberechtigte Personen erbrachte Leistungen, nicht aber einen Erstattungsanspruch für an die Frauenhäuser aufgrund einer Vereinbarung nach § 17 Abs. 2 SGB II erbrachte Zahlungen (vgl. Aubel in: jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 36a, Stand 26. Juni 2022, Rn. 9.1; unklar insoweit hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Leistungsbewilligung BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 190/11 R – juris Rn. 24 ff.). Hieran vermag auch der Umstand, dass der Kläger aufgrund der Kostenzusicherung gegenüber dem Frauenhaus zur Zahlung verpflichtet gewesen sein könnte, nichts zu ändern, da dies einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten nicht auslöst. Die allein an das Frauenhaus adressierten Kostenzusicherungen können nicht als (formlose) Leistungsbewilligung ausgelegt werden. Dies macht auch der Kläger selbst nicht geltend, sondern er trägt ausdrücklich vor, dass eine Leistungsbewilligung nicht erfolgt und auch nicht erforderlich gewesen sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 1 und 3 S. 1 Gerichtskostengesetz.

 

Rechtskraft
Aus
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