L 12 R 60/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 49 R 178/22
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 R 60/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 21.3.2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI.

Der 1968 geborene Kläger steht nach den aktenkundigen Unterlagen unter Betreuung und ist seit Januar 2022 nach § 63 (StGB) in der H. untergebracht. Bis zum 31.10.2022 erhielt er von der Beklagten eine zunächst befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Tatsächlich wurde die Rente dann unbefristet weitergewährt.

Nachdem der Kläger sich mit mehreren Schreiben vom 11.7.2022 mit diversen Anliegen, unter anderem auch wegen des Auslaufens seiner zunächst befristet gewährten Erwerbsminderungsrente, an verschiedene Adressaten, so auch an das Sozialgericht (SG) Bremen, gewandt hatte, teilte er letzterem mit Schreiben vom 28.9.2022 erstmals mit, dass er nunmehr die Gewährung einer Waisenrente wegen des Todes seines Vaters am 4.12.2018 durch die Beklagte begehre. Diese erwiderte hierauf, dass ihr diesbezüglich bislang kein entsprechender Antrag des Klägers vorliege und somit auch keinerlei Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei. Hinsichtlich der im Folgenden von dem Kläger erneut beanstandeten Befristung seiner Erwerbsminderungsrente verwies die Beklagte auf die zwischenzeitlich erfolgte Bewilligung der Erwerbsminderungsrente auf Dauer.

Nach entsprechender Anhörung der Beteiligten wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.3.2023 ab. Mangels Durchführung des gemäß § 78 SGG erforderlichen Vorverfahrens hinsichtlich der begehrten Waisenrente sei die Klage bereits unzulässig. Insbesondere sei keine entsprechende Antragstellung gegenüber der Beklagten und somit auch kein ablehnender Verwaltungsakt erfolgt.

Gegen den ihm ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde (PZU) durch Übergabe an einen empfangsberechtigten Vertreter der Klinik am 27.3.2023 zugestellten Gerichtsbescheid  hat der Kläger mit Schreiben vom 1.6.2023, hier eingegangen am 13.6.2023, Berufung eingelegt.

Durch Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 21.6.2023 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Hierauf hat der Kläger mit undatiertem, am 4.7.2023 eingegangenen Schriftsatz geltend gemacht, dass er in der Forensik gehindert werde, Post zu verschicken und zu empfangen. Auch werde seine Post geöffnet und durch Maßnahmen so gehindert, dass er keinen Bescheid erhalten habe und daher nicht habe reagieren können.

Der Kläger beantragt,

  1. ihm hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren,
  2. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 21.3.2023 aufzuheben,
  3. die Beklagte zu verurteilen, ihm nach dem Tod seines Vaters am 4.12.2018 Waisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen.

Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß § 158 SGG ohne Sachprüfung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Rechtsmittelfrist eingelegt wurde.

Die Berufung gegen einen sozialgerichtlichen Gerichtsbescheid ist gemäß § 105 Abs. 2 SGG i.V.m. § 151 Abs. 1 und 2 SGG innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung an den Beteiligten beim Landessozialgericht oder beim Sozialgericht einzulegen. Zugestellt wird dabei von Amts wegen nach den Vorschriften der ZPO, § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG; die Berechnung der Fristen bestimmt sich nach § 64 SGG.

Der Gerichtsbescheid des SG Bremen vom 21.3.2023 ist dem Kläger nach der hierüber vorliegenden PZU am Montag, dem 27.3.2023 durch Übergabe an einen Bevollmächtigten der Forensischen Klinikeinrichtung, in welcher der Kläger untergebracht ist, rechtswirksam zugestellt worden. Diesbezüglich gilt die Regelung des § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Hiernach ist die erfolgte Ersatzzustellung an den Bevollmächtigten der Klinik ausreichend, um den Lauf der Frist in Gang zu setzen. Die Unterbringung des Klägers ist hier der Unterbringung in einer Strafvollzugseinrichtung vergleichbar. Es ist daher insoweit auch nicht notwendig gewesen, dass zunächst durch den Zusteller eine Übergabe an den Kläger persönlich versucht wird. Auch ist eine tatsächliche Abwesenheit des Klägers zum Zeitpunkt der Zustellung nicht notwendig gewesen. Der Schriftwechsel im Bereich des Strafvollzugs, hierzu gehört auch die nach § 63 StGB erfolgte Unterbringung des Klägers in der Forensischen Psychiatrie, ist nach § 33 Abs. 1 Bremisches Strafvollzugsgesetz (BremStVollzG) grundsätzlich durch die Anstalt vermittelt, so dass der Postzusteller schon aus Rechtsgründen gehindert ist, die Zustellung direkt an den Adressaten vorzunehmen. Er hat die Zustellung an den Leiter der Einrichtung oder einen dazu bevollmächtigten Vertreter zu bewirken (vgl. u.a. OVG Lüneburg, Beschluss vom 2.7.2019, 13 LA 36/19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 9.2.2023, 13a B 22.31201; VG Bremen Urteil vom 21.4.2013, 2 K 2231/21; jeweils juris). Dies ist hier erfolgt. Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es bei einer Ersatzzustellung auch nicht darauf an, ob und wie der Adressat persönlich von dem zugestellten Schriftstück, hier dem Gerichtsbescheid, Kenntnis erlangt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 63 Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 27.5.2008, B 2 U 5/07 R, juris). Der Gerichtsbescheid ist schließlich auch mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen. Ausgehend hiervon ist die Frist für die Einlegung der Berufung mit dem 27.4.2023 (Donnerstag) abgelaufen (§ 64 Abs. 2, 3 SGG). Die tatsächlich erst am 13.6.2023 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung ist daher verspätet erfolgt.

Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist gemäß § 67 SGG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 2 SGG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Vorliegend hat der Kläger, nachdem er vom erkennenden Gericht auf die versäumte Berufungsfrist hingewiesen worden war, lediglich pauschal geltend gemacht, dass er in der Forensik gehindert werde, Post zu verschicken und zu empfangen. Er habe den Gerichtsbescheid nicht erhalten und somit nicht reagieren können. Jedoch hat der Kläger in seiner am 13.6.2023 hier eingegangenen Berufungsschrift vom 1.6.2023 ausdrücklich gerade auf den maßgeblichen Gerichtsbescheid unter Angabe dessen Datums 21.3.2023 und des zutreffenden Aktenzeichens Bezug genommen. Zudem ergibt sich aus den aktenkundigen Unterlagen, dass den Kläger im Rahmen seiner Unterbringung durchaus regelmäßig die Post des SG erreicht und er hierauf auch postalisch reagiert hat, so dass hiernach einiges dafür spricht, dass er den Gerichtsbescheid entgegen seinem Vorbringen tatsächlich auch persönlich zur Kenntnis erhalten hat.

Des Weiteren muss sich der Kläger auch in diesem Zusammenhang die Regelung des § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entgegenhalten lassen, wonach der Gerichtsbescheid mit der Zustellung an den Bevollmächtigten der Klinik unabhängig von seiner persönlichen Kenntnisnahme als wirksam an ihn zugestellt gilt. Damit aber ist gemäß § 64 Abs. 1 SGG die maßgebliche Berufungsfrist in Lauf gesetzt worden, ohne dass es darauf ankommt, ob der Kläger, wie er vorträgt, den Bescheid nicht erhalten hat. Somit könnte eine verspätete Möglichkeit zur Kenntnisnahme nur hinsichtlich eines (etwaigen) zwischenzeitlichen Fristablaufs relevant sein. Dazu müssten seitens des Klägers besondere Umstände im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG hinsichtlich einer unverschuldeten derart verspäteten Möglichkeit zur Kenntnisnahme, dass er gehindert gewesen ist, die Berufungsfrist einzuhalten, hinreichend glaubhaft gemacht sein. Zu den Umständen jedoch, wann konkret ihm der Gerichtsbescheid ausgehändigt worden ist und er persönlich Kenntnis von dessen Inhalt, nämlich der von ihm mit der Berufung angefochtenen Klageabweisung hat, nehmen können, hat der Kläger keinerlei Angaben gemacht. Die pauschale Behauptung, er habe den Bescheid gar nicht erhalten, genügt insoweit vor dem Hintergrund des oben Ausgeführten nicht. Es ergeben sich schließlich auch aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte für die geltend gemachte unterbliebene oder aber eine so verspätete Aushändigung, dass es dem Kläger erst am 13.6.2023, mithin mehr als zweieinhalb Monate nach der dokumentierten Zustellung und entsprechendem Ablauf der Rechtsmittelfrist möglich gewesen ist, Berufung einzulegen.

Somit ist zum einen bereits nicht festzustellen, dass die Monatsfrist des § 67 Abs. 2 Sätze 1, 3 und 4 SGG für die Nachholung der Rechtshandlung, hier der Berufungseinlegung, eingehalten worden ist. Zum anderen sind nach Würdigung aller aktenkundigen Umstände einschließlich des Vorbringens des Klägers in seinem Schreiben vom 4.7.2023 Wiedereinsetzungsgründe, d.h. Tatsachen im Sinne von Satz 2 der Vorschrift die belegen, dass der Kläger tatsächlich ohne sein Verschulden gehindert gewesen ist, die Berufungsfrist einzuhalten, nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach alledem muss er die in den Akten dokumentierte Zustellung am 27.3.2023 gegen sich gelten lassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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