L 9 R 2266/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 957/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2266/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 23. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.09.2016 hinaus streitig.

Der 1961 geborene Kläger absolvierte eine Berufsausbildung zum Automechaniker und arbeitete ab 1992 als Maschinenbautechniker. Ab Januar 2012 war er arbeitsunfähig. Ab 24.05.2013 bezog er Arbeitslosengeld.

Am 16.05.2013 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Beiziehung u.a. des Entlassberichts vom 04.06.2013 über die in der Zeit vom 05.03.2013 bis zum 15.04.2013 in der B1 Klinik in K1 absolvierte medizinische Rehabilitationsmaßnahme, aus der der Kläger bei der Diagnose „Anpassungsstörungen“ mit einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen sowohl für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Maschinenbautechnikers als auch für körperlich bis zu mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen wurde, holte die Beklagte ein Gutachten bei dem J1 ein. Dieser gab in seinem Gutachten vom 26.11.2013 an, der Kläger leide unter einer mittelschweren Depression, einer Anpassungsstörung sowie einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstruktur mit anankastischen Zügen. Zum Leistungsvermögen des Klägers führte J1 aus, dieser sei sowohl in seiner letzten Tätigkeit als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich leistungsfähig.

Im Anschluss an das Gutachten bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2013 bis zum 31.12.2015 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Auf den Weitergewährungsantrag des Klägers vom 22.09.2015 holte die Beklagte zunächst den ärztlichen Befundbericht des K2 vom 22.10.2015 ein, der die Diagnosen Anpassungsstörung und psychosomatischer Symptomkomplex mitteilte. Sodann holte die Beklagte ein Gutachten bei dem L1 ein. Dieser gab in seinem Gutachten vom 03.12.2015 an, bei dem Kläger bestehe eine rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht- bis mittelgradig ausgeprägt sowie anamnestisch ein schmerzhaftes Wirbelsäulensyndrom, derzeit weitgehend kompensiert. Er könne eine Simulation oder Aggravation von Beschwerden nicht ausschließen. Für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verfüge der Kläger über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen. Er empfehle die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme und die Durchführung einer konsequenten psychiatrisch- und psychopharmakologischen Behandlung.

Mit Bescheid vom 17.12.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung bis zum 31.01.2016 weiter und führte zur Begründung aus, die Weitergewährung erfolge, weil aktuelle medizinische Befunde für eine abschließende Entscheidung über den Weitergewährungsantrag fehlten.

Mit Schreiben vom 28.01.2016 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein Angebot für die Durchführung einer psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme.

Mit Bescheid vom 17.03.2016 bewilligte sie die Erwerbsminderungsrente über den 31.01.2016 hinaus bis zum Ende der Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Eine mit Bescheid vom 11.04.2016 bewilligte Rehabilitationsmaßnahme lehnte der Kläger unter Hinweis auf seine hochgradig belastete familiäre Situation ab, woraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 09.06.2016 mitteilte, sie ergänze den Bescheid vom 11.04.2016 dahingehend, dass sie mit einer Verschiebung der Rehabilitationsmaßnahme bis zum 30.09.2016 einverstanden sei. Nachdem der Kläger den Antritt der Rehabilitationsmaßnahme zunächst unter Verweis auf die hiermit zeitlich kollidierende Hochzeit seines Sohnes und sodann unter Verweis auf einen Gefängnisaufenthalt seines Sohnes ablehnte, hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 11.04.2016 über die Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme durch Bescheid vom 31.10.2016 auf. Die Rentenzahlung stellte sie mit Ablauf des 30.09.2016 ein.

Mit Bescheid vom 27.01.2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf Weitergewährung der Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.10.2016 ab. Die beim Kläger bestehenden Leistungseinschränkungen begründeten qualitative, keine quantitativen Einschränkungen.

Zur Begründung seines hiergegen am 15.02.2017 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger im Wesentlichen aus, sein Gesundheitszustand habe sich nicht wesentlich gebessert. Die Beklagte holte daraufhin den ärztlichen Befundbericht des K2 vom 22.08.2017 ein, der mitteilte, der Kläger leide unter einem depressiven Erschöpfungssyndrom, einer psychogenen Belastungsreaktion und einem Überlastungssyndrom. Auch bestehe der Verdacht auf eine Anpassungsstörung. Der Kläger habe Beschwerden in Gestalt einer langjährigen psychischen Überlastung durch eine hochgradige familiäre Konfliktsituation und sei seit Jahren arbeitsunfähig. Zudem wurde die psychotherapeutische Bescheinigung des S1 vom 28.08.2017 aktenkundig, wonach der Kläger durch die Gesamtbelastung in höchstem Maß mental und psychisch angespannt sei und weder arbeits- noch berufsfähig sei. Nach Einholung der sozialmedizinischen Stellungnahme des E1 vom 27.12.2017, demzufolge keine Funktionsdefizite bestünden, die eine quantitative Leistungsminderung begründen könnten, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2018 zurück.

Zur Begründung seiner deswegen am 21.03.2018 zum Sozialgericht (SG) Ulm erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, seine psychosomatischen Beschwerden hätten sich nicht verändert.

Das SG hat Beweis erhoben zunächst durch Vernehmung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der K2 hat unter dem 06.02.2019 mitgeteilt, eine kontinuierliche hausärztliche Betreuung durch ihn habe nicht stattgefunden. Beim Kläger bestünden langjährige orthopädische Probleme, wobei insoweit Schwerpunkt ein Wirbelsäulenleiden sei sowie eine langjährige Anpassungsstörung, ein psychosomatischer Symptomkomplex und ein depressives Erschöpfungssyndrom. Aus organischer Sicht sei der Kläger in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Ob psychische Hinderungsgründe bestünden, könne er nicht beurteilen. Die J2 teilte in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 14.02.2019 mit, sie habe den Kläger wegen einer außerordentlichen psychischen Belastungssituation und orthopädischen Beschwerden an Knie, Rücken, Hals- und Lendenwirbelsäule behandelt. Aus orthopädischer Sicht sei eine leichte vollschichtige Tätigkeit eventuell vorstellbar. Über den Schweregrad der psychischen Erkrankung und deren Behandelbarkeit könne sie keine Aussage machen. Der S1 hat unter dem 19.02.2019 mitgeteilt, durch die Gesamtbelastung mit seinen beiden Söhnen, insbesondere durch die Drogenabhängigkeit des älteren Sohnes, sei der Kläger in höchstem Maß mental und psychisch angespannt. Er habe ihn deshalb zuletzt im August 2018 weder arbeits- noch berufsfähig gesehen.

Sodann hat das SG ein medizinisches Sachverständigengutachten bei der A1 eingeholt. Diese hat in ihrem Sachverständigengutachten vom 03.06.2019 mitgeteilt, auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe beim Kläger eine neurotische Störung, die nicht näher bezeichnet werden könne. Die nach dem Tod der Ehefrau diagnostizierte Anpassungsstörung bestehe nicht mehr. In seinen Alltagsverrichtungen zeige der Kläger durchaus eine hohe Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, indem er nach seinen eigenen Angaben den gesamten Haushalt versorge, sich um diverse Personen in seinem Umfeld kümmere, regelmäßig auch längere Autofahrten unternehme und diverse Anwesen pflege. Aufgrund seiner Leistungsfähigkeit sei er auch in der Lage, arbeitstäglich mindestens sechs Stunden einer bis zu mittelschweren beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

Während des Klageverfahrens hat sich der Kläger vom 25.02.2020 bis zum 06.03.2020 im Universitätsklinikum U1, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III, wegen der Diagnose „Wahnhafte Störung“ befunden (Entlassbericht des S2 vom 06.03.2020; endgültiger Arztbericht des S2 vom 18.05.2020).

Nachdem das SG daraufhin den L1 mit der Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens beauftragt hatte, hat der Kläger im Rahmen der persönlichen Vorsprache vom 17.09.2020 vor der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG erklärt, eine Begutachtung abzulehnen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Ein von der Beklagten eingeleitetes Kontenklärungsverfahren ist mangels Mitwirkung des Klägers nicht durchgeführt worden.

Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage durch Gerichtsbescheid vom 23.06.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.09.2016 hinaus, da er jedenfalls bis Mai 2019 noch über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen verfüge, was sich aus dem Sachverständigengutachten der A1 und dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten des L1 ergebe. Soweit sich der Gesundheitszustand des Klägers während des Klageverfahrens im Februar bzw. März 2020 verschlechtert habe und der Kläger unter Umständen nun die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfülle, scheitere ein Anspruch allerdings daran, dass der Kläger die für einen Rentenanspruch erforderlichen Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) letztmals für einen im Mai 2019 eingetretenen Leistungsfall erfüllt habe.

Zur Begründung seiner gegen den ihm am 02.07.2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 28.07.2022 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, es bestehe eine große familiäre Belastungssituation. Der ältere Sohn wohne noch bei ihm. Die Enkelkinder seien zwei Tage die Woche bei ihm.

Der Kläger beantragt,


die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Ulm vom 23. Juni 2022 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2018 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über den 30. September 2016 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend weist sie darauf hin, dass nach ihrer Auffassung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente letztmalig zum 31.05.2019 erfüllt gewesen seien. Im Zeitpunkt der stationären Aufnahme des Klägers im Februar 2020 hätten im verlängerten 5-Jahreszeitraum nur 27 Pflichtbeitragsmonate vorgelegen.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 23.11.2023 einen Erörterungstermin durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage des Klägers zu Recht durch Gerichtsbescheid vom 23.02.2022 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 27.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 30.09.2016 hinaus.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Danach haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
 
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (BSG, Urteil vom 08.09.2005 - B 13 RJ 10/04 R - juris, Rn. 18; Gürtner in BeckOGK, Stand 01.07.2020, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Da es sich bei der Voraussetzung der „Erwerbsminderung“ um ein positives, den Anspruch begründendes Element handelt, für das der Versicherte, vorliegend der Kläger, die objektive Fest-stellungslast trägt, geht es zu Lasten des Klägers, wenn trotz gerichtlicher Ermittlungen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass eine quantitative Leistungsreduzierung besteht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - juris, Rn. 30).

Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage liegen nicht vor. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger über den 30.09.2016 hinaus die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt. Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen.
Dies folgt für den Senat insbesondere aus dem Sachverständigengutachten der A1 vom 03.06.2019 und aus dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten des L1.

Auf dem für sein Rentenbegehren maßgeblichen Fachgebiet der Psychiatrie leidet der Kläger an einer nicht näher bezeichneten neurotischen Störung sowie unter einer rezidivierenden depressiven Störung, die zum Zeitpunkt der Begutachtung durch L1 am 01.12.2015 leicht- bis mittelgradig ausgeprägt war. Dies entnimmt der Senat dem überzeugenden und in sich stimmigen Sachverständigengutachten der A1 und dem Gutachten des L1. Soweit J1 in seinem, durch den Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten vom 26.11.2013 die Diagnose einer Anpassungsstörung mitgeteilt hat, ist diese Störung zwischenzeitlich remittiert und hat in der hier maßgeblichen Zeit ab dem 01.10.2016 nicht mehr bestanden. Hierzu hat A1 überzeugend ausgeführt, dass sich die Anpassungsstörung nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2012 entwickelt hat. Da es sich nach ihren schlüssigen und gut nachvollziehbaren Ausführungen bei einer Anpassungsstörung um einen Zustand von subjektivem Leid und emotionaler Beeinträchtigung handelt, der während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung auftritt und die Diagnose der Anpassungsstörung maximal für eine Dauer von zwei Jahren nach dem belastenden Ereignis gestellt werden kann, ist es für den Senat überzeugend, dass weder L1 noch A1 in ihren in den Jahren 2015 und 2019 erstellten Gutachten weiterhin eine Anpassungsstörung diagnostiziert haben, nachdem der Tod der Ehefrau des Klägers zu diesen Zeitpunkten mehr als zwei Jahre zurückgelegen hat.

Durch die bei ihm bestehenden psychiatrischen Erkrankungen ist der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit in qualitativer Hinsicht namentlich im Hinblick auf seine geistige und psychische Belastbarkeit eingeschränkt.
Die entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten des L1. Darüber hinausgehende quantitative Leistungseinschränkungen vermag der Senat nicht festzustellen.

Soweit demgegenüber der S1 in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 19.02.2019 mitgeteilt hat, er habe den Kläger zuletzt im August 2018 weder arbeits- noch berufsfähig gesehen und damit in der Sache eine quantitative Leistungseinschränkung bejaht hat, hält der Senat diese Einschätzung nicht für überzeugend. Zur Begründung seiner Leistungseinschätzung hat der S1 auf die „Gesamtbelastung“ verwiesen, die er insbesondere in der Unterstützungsleistung des Klägers gegenüber seinen beiden erwachsenen Söhnen und den Enkelkindern begründet sieht. So führt er aus, die Begleitung des älteren Sohnes erfordere im Hinblick auf dessen Drogenabhängigkeit viel Energie und Zeit. Die verbleibende Zeit werde durch die Unterstützung des jüngeren Sohnes, der Vater von zwei kleinen Kindern sei, absorbiert. Zur Überzeugung des Senats lässt sich hieraus keine quantitative Leistungseinschränkung ableiten. Zwar geht auch der Senat davon aus, dass die Betreuung der erwachsenen Söhne und der Enkelkinder viel Zeit in Anspruch nimmt. Auch ist diese vom Kläger übernommene Rolle des „Kümmerers“ nach den überzeugenden Ausführungen der A1 Ausdruck der neurotischen Störung des Klägers, die sich auf dem Boden einer altruistischen und zwanghaften Persönlichkeitsstruktur entwickelt hat. Dennoch begründet dies keine quantitative Leistungsminderung. Vielmehr hat A1 die umfangreichen Unterstützungshandlungen des Klägers als Beleg für dessen Leistungsfähigkeit gesehen und hieraus abgeleitet, dass der Kläger in der Lage ist, ohne zeitliche Einschränkungen jegliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wahrzunehmen. Dies hält der Senat für schlüssig und überzeugend, zumal die Sachverständige eine psychiatrische Erkrankung, in deren Folge sich die Unterstützungshandlungen für den Kläger als imperative Verhaltensweise darstellen, nicht festgestellt hat und sich Anhaltspunkte für ein derartiges Krankheitsbild auch im Übrigen nicht aus der Aktenlage, insbesondere nicht aus den sachverständigen Zeugenaussagen seiner behandelnden Ärzte ergeben.

Ebensowenig begründet die von L1 diagnostizierte leicht- bis mittelgradige rezidivierende depressive Störung eine quantitative Leistungseinschränkung, wie L1 überzeugend ausgeführt hat. Zur Überzeugung des Senats ist diese Erkrankung zu keinem Zeitpunkt des hier maßgeblichen Zeitraums ab dem 01.10.2016 mit einer rentenrelevanten Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers einhergegangen. Dies entnimmt der Senat auch dem Umstand, dass der Kläger bis auf die Zeit von April 2017 bis August 2018 keine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung und zu keinem Zeitpunkt eine psychopharmakologische Behandlung durchgeführt hat. Denn die fehlende Ausnutzung therapeutischer Optionen spricht gegen einen höheren Leidendruck, wie er bei schwerwiegenderen Erkrankungen zu erwarten ist. Zudem ist der Kläger in dem hier maßgeblichen Zeitraum zur Selbstversorgung und zur Versorgung seiner erwachsenen Söhne und der Enkelkinder in der Lage gewesen, was - wie bereits oben dargestellt - ebenfalls für eine erhaltene Leistungsfähigkeit spricht. Gegen schwerere Beeinträchtigungen durch die leicht- bis mittelgradige depressive Störung spricht auch der Umstand, dass A1 bis auf eine themenabhängige Subdepressivität keine depressiven Symptome festgestellt hat und vor diesem Hintergrund schlüssig auch nicht die Diagnose einer depressiven Störung gestellt hat. Hieraus schließt der Senat, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung durch A1 die rezidivierende depressive Störung remittiert war.

Ein Anspruch des Klägers auf eine Erwerbsminderungsrente lässt sich auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass sich der Kläger ausweislich des endgültigen Arztberichts des S2 vom 18.05.2020 aufgrund der Diagnose „Wahnhafte Störung“ vom 25.02.2020 bis zum 06.03.2020 in der geschlossenen Station der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III des Universitätsklinikums U1 befunden hat. Denn selbst wenn hiermit ab dem Aufnahmetag am 25.02.2020 der Eintritt einer rentenrelevanten Verschlechterung seines psychischen Zustandes und damit eines Leistungsfalls belegt sein sollte, führt dies vorliegend nicht zu einem Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, da der Kläger die für eine Erwerbsminderungsrente erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt hat. Anspruch eine volle oder teilweise Erwerbsminderung hat nämlich nur, wer in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Gem. § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI verlängert sich der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegte Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Ausgehend vom einem Leistungsfall am 25.02.2020 umfasst der 5-Jahreszeitraum die Zeit vom 25.02.2015 bis zum 24.02.2020. In diesem Zeitraum sind 21 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Da allerdings in dem 5-Jahreszeitraum durch den Bezug der Erwerbsminderungsrente vom 01.02.2013 bis zum 30.09.2016 Zurechnungszeiten i.S.d. § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI liegen, ist der 5-Jahreszeitraum um während der Zurechnungszeit nicht mit Versicherungszeiten belegte Monate zu verlängern, vorliegend auf die Zeit vom 01.10.2013 bis zum 24.02.2020. Auch in dem verlängerten 5-Jahreszeitraum hat der Kläger nur 27 Monate mit Pflichtbeiträgen anstelle der erforderlichen 36 Pflichtbetragsmonate belegt und erfüllt damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht.

Soweit der Kläger neben den dargestellten psychischen Beschwerden auch unter orthopädischen Einschränkungen leidet, begründen auch diese keinen Rentenanspruch. Die insoweit im Vordergrund stehenden Wirbelsäulenbeschwerden gehen ausweislich der von A1 durchgeführten orientierenden körperlichen Untersuchung nicht mit wesentlichen funktionellen Einschränkungen einher, nachdem diese eine „gute Entfaltung der LWS“ beobachtet hat. Dem entspricht es, dass die Wirbelsäulenbeschwerden ausweislich der von K2 vorgelegten Befundunterlagen in der Vergangenheit lediglich durch zeitweise physiotherapeutische Behandlung therapiert wurden. Ebensowenig ergeben sich aus dem Befundbericht des G1 vom 17.05.2017 relevante Einschränkungen. Vielmehr hat sich dort die HWS bei einer Rotation von 80-0-60° und einer Neigung von 40-0-40° im Wesentlichen frei beweglich gezeigt. Dem entspricht es, dass K2 ebenso wie J2 die orthopädischen Beschwerden nicht als leistungslimitierend angesehen haben, was schließlich auch durch den Kläger selbst bestätigt wird, indem dieser gegenüber A1 angegeben hat, mit den Rückenschmerzen umgehen zu können.

Ein Rentenanspruch kann auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten
(vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 – juris, Rn. 27 ff. und zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 28 ff.). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Ausgehend hiervon liegt bei dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm zu beachtenden qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger typische Verrichtungen, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten oder Bürodienste), ausführen kann.

Auch ist der Kläger in der Lage, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen, dass er nicht viermal täglich eine Strecke von 500 m in einem Zeitaufwand von jeweils unter 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen könnte.

Dem Kläger ist somit keine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI wird vom Kläger nicht geltend gemacht und kommt vorliegend bereits deshalb nicht in Betracht, weil er nicht vor dem 02.01.1961 geboren wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG gegeben.





 

Rechtskraft
Aus
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