L 2 SO 1812/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SO 1775/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1812/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.


Die Klägerin begehrt vom Beklagten höhere Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum 1. März 2022 bis 28. Februar 2023 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und macht die Grundgesetzwidrigkeit mehrerer Regelungen geltend.

Der 1958 geborenen und vom Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII beziehenden Klägerin gewährte der Beklagte auf deren Antrag vom 2. Februar 2021 mit Bescheid vom 10. Februar 2021 (Bl. 327 Verwaltungsakte - VA - Bd. 5) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 in Höhe von monatlich 716,19 € einschließlich der Kosten der Unterkunft und unter Berücksichtigung einer Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 246,77 € .
Dagegen erhob die Klägerin am 9. März 2021 Widerspruch und begehrte die Erhöhung des Regelbedarfssatzes auf mindestens 935,00 € nebst Versicherungsbeiträgen in Form von Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung.

Mit Bescheid vom 13. April 2021 (Bl. 361 VA Bd. 5) hob der Beklagte den Bescheid vom 10. Februar 2021 mit Wirkung vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 anlässlich einer Verringerung der von der Klägerin bezogenen Rente von monatlich 246,77 € auf 246,08 € teilweise auf und gewährte der Klägerin für die Zeit vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 Leistungen von monatlich 716,88 €.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2021 (Bl. 543 VA Bd. 5) hob der Beklagte den Bescheid vom 10. Februar 2021 mit Wirkung vom 1. Januar 2022 bis 28. Februar 2022 anlässlich einer Erhöhung des Regelsatzes zum 1. Januar 2022 teilweise auf und gewährte der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis 28. Februar 2022 Leistungen von monatlich 719,95 € (der Bescheid enthielt den Hinweis, dass dieser gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des schon anhängigen Widerspruchsverfahrens sei).
Dagegen erhob die Klägerin am 19. Januar 2022 Widerspruch (Bl. 553 VA Bd. 5).

Aufgrund eines Weiterbewilligungsantrags am 3. Februar 2022 gewährte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 7. Februar 2022 (Bl. 589 VA Bd. 5) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. März 2022 bis 28. Februar 2023 in Höhe von monatlich 720,23 €.
Dagegen erhob die Klägerin am 9. März 2022 Widerspruch und begehrte die Erhöhung des Regelbedarfssatzes auf 885,00 € nebst Versicherungsbeiträgen in Form von Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung (Bl. 637 VA Bd. 5).

Mit Bescheid vom 30. Juni 2022 (Bl. 633 VA Bd. 5) hob der Beklagte den Bescheid vom 7. Februar 2022 mit Wirkung vom 1. Juli 2022 bis 28. Februar 2023 anlässlich einer Erhöhung der von der Klägerin bezogenen Rente teilweise auf und gewährte der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2022 bis 28. Februar 2023 Leistungen von monatlich 707,08 €.
Dagegen erhob die Klägerin am 4. August 2022 ebenfalls Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2022 (Bl. 663 VA Bd. 5) wies der Beklagte den am 18. (richtig 19.) Januar 2022 erhobenen Widerspruch zurück. Der Widerspruch sei bereits unzulässig, da der Bescheid vom 17. Dezember 2021 entsprechend des in ihm enthaltenen Hinweises gemäß § 86 SGG Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens hinsichtlich des Bescheids vom 10. Februar 2021 in der Fassung des Bescheids vom 13. April 2021 geworden sei.

Mit (weiterem) Widerspruchsbescheid vom 11. August 2022 (Bl. 669 VA Bd. 5) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Februar 2022 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2022 zurück. Entgegen den klägerischen Ausführungen entsprächen die aktuell geltenden Regelbedarfe den gesetzlichen Regelungen und teile der Beklagte insoweit verfassungsmäßige Bedenken nicht. Es seien auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die zugesprochenen Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel SGB XII zu erhöhen seien. Das Begehren der Klägerin hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe sei bereits Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren gewesen und nach den diesbezüglich ergangenen Entscheidungen seien die gesetzlichen Regelungen zur Ermittlung des für die Klägerin maßgeblichen Regelbedarfs als verfassungskonform eingestuft worden. Auch die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Grundrente bewirke keine Erhöhung des hier maßgeblichen Regelbedarfs pauschal auf die von der Klägerin benannten 885,00 €.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2022 (Bl. 777 VA Bd. 5) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10. Februar 2021 in der Fassung der Bescheide vom 13. April 2021 und 17. Dezember 2021 zurück. Entgegen den klägerischen Ausführungen entsprächen die aktuell geltenden Regelbedarf den gesetzlichen Regelungen und der Beklagte teile insoweit verfassungsmäßige Bedenken nicht. Es seien auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die zugesprochenen Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel SGB XII zu erhöhen seien. Das Begehren der Klägerin hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe sei bereits Gegenstand mehrerer gerichtlicher Verfahren gewesen und nach den diesbezüglich ergangenen Entscheidungen seien die gesetzlichen Regelungen zur Ermittlung des für die Klägerin maßgeblichen Regelbedarfs als verfassungskonform eingestuft worden. Auch die von Bundestag und Bundesrat beschlossene Grundrente bewirke keine Erhöhung des hier maßgeblichen Regelbedarfs pauschal auf die von der Klägerin benannten 935,00 €.

Mit ihren am 12. September 2022 gegen den Bescheid vom 7. Februar 2022 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2022 (S 8 SO 1775/22) und am 17. Oktober 2022 gegen den Bescheid vom 10. Februar 2021 in der Fassung des Bescheids vom 13. April 2021 und des Bescheids vom 17. Dezember 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2022 (S 8 SO 2027/22, mit Verbindungsbeschluss vom 29. November 2022 unter dem Aktenzeichen S 8 SO 1775/22 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden) erhobenen Klagen hat die Klägerin ihr Begehren im Wesentlichen mit der Begründung weiter verfolgt, dass die gesetzlich festgesetzte Höhe des Regelbedarfes das Existenzminimum nicht decke und verfassungswidrig sei. Datenmaterial und Berechnungsmethoden änderten sich jährlich und es könnten beklagtenseits veraltete Rechtsprechung sowie abgeschlossene Verfahren nicht als Begründung verwandt werden. Die Veränderungsraten für die Erhöhung der Grundsicherung nach dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) und Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSFV) ab 2021 bildeten auch unter Berücksichtigung der steigenden Verbraucherpreise nicht die tatsächlichen Preise für die Güter und Dienstleistungen aus den zwölf Abteilungen der Regelsatzverordnung ab und der Gesetzgeber habe nicht die bekannten Regelungs-/Finanzierungslücken geschlossen. Nach der Rentenreform sollten zudem die Erwerbsminderungsrenten schrittweise angehoben werden durch eine Anhebung der Zurechnungszeit, wobei die Regelung nur für künftige Erwerbsminderungsrentner gelte und die Alt-Erwerbsminderungsrentner dadurch finanziell schlechter gestellt würden. Die Neuregelung des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) mit einer einjährigen Nachzahlungsfrist führe zu einer Erstattungslücke von drei Jahren.
Es bestehe ein monatlicher Regelbedarf für den Zeitraum vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 in Höhe von 835,00 € bzw. vom 1. März 2022 bis 28. Februar 2023 in Höhe von 885,00 € der sich wie folgt zusammensetze:



1. Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke                       200,- € / 250,- €
2. Bekleidung und Schuhe                                                      80,- € / 80,- €
3. Wohnen, Energie, Instandhaltung, Reparaturen                80,- € / 80,- €
4. Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände   100,- € / 100,- €
5. Gesundheitspflege                                                              80,- € / 80,- €
6. Verkehr, Monatskarte ab 60 (Seniorenkarte)                     45,- € / 45,- €
7. Nachrichtenübermittlungen                                                 40,- € / 40,- €
8. Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Erholungsurlaub                 80,- € / 80,- €
9. Bildung                                                                                20,- € / 20,- €
10. Beherbergungs- und Gaststättenleistungen                    40,- € / 40,- €
11. andere Waren und Dienstleistungen                                70,- € / 70,- €

Diesen Beträgen seien die Beiträge für Sterbe-, Haftpflicht, Hausrat- und Zahnversicherung hinzuzuaddieren.

Mit Bescheid vom 22. September 2022 (Bl. 771 VA Bd. 5) hat der Beklagte den Bescheid vom 30. Juni 2022 mit Wirkung vom 1. Oktober 2022 bis 28. Februar 2023 anlässlich einer Erhöhung der Nebenkosten auf monatlich 160,- € teilweise aufgehoben und der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2022 bis 28. Februar 2023 Leistungen in Höhe von monatlich 747,08 € gewährt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2022 (Bl. 31 VA Bd. 6) hat der Beklagte den am 4. August 2022 erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 30. Juni 2022 zurückgewiesen. Der Widerspruch sei bereits unzulässig, da der Bescheid vom 30. Juni 2022 entsprechend des in ihm enthaltenen Hinweises Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens hinsichtlich des Bescheids vom 7. Februar 2022 gemäß § 86 SGG geworden sei und durch den Widerspruchsbescheid vom 11. August 2022 abgeschlossen worden sei.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2022 (Bl. 257 VA Bd. 6) hat der Beklagte den Bescheid vom 22. September 2022 mit Wirkung vom 1. Januar 2023 bis 28. Februar 2023 anlässlich einer Erhöhung des Regelsatzes teilweise aufgehoben und der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis 28. Februar 2023 Leistungen von monatlich 801,30 € gewährt.



Die Klägerin hatte im Klageverfahren beantragt,

1. den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 7. Februar 2022 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2022 in der Fassung des Bescheids vom 22. September 2022 und des Bescheids vom 29. Dezember 2022 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. März 2022 bis 28. Februar 2023 eine monatliche Grundsicherungsrente in Höhe von 885,- € abzüglich bereits geleisteter 449,- € zuzüglich der Beiträge für eine Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung zu gewähren und die Klagesumme zu verzinsen;

2. den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Februar 2021 in der Fassung des Bescheids vom 13. April 2021 und des Bescheids vom 17. Dezember 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2022 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 eine monatliche Grundsicherungsrente in Höhe von 835,- € abzüglich bereits geleisteter 446,- € zuzüglich der Beiträge für eine Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung zu gewähren und die Klagesumme zu verzinsen;

3. festzustellen, dass die Regelbedarfsermittlungsgesetze 2021 und 2022 gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstießen und die Rechtssache nach Art. 100 GG vorzulegen;

4. festzustellen, dass die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente der Klägerin eine benachteiligende Ungleichbehandlung gegenüber der Neuregelung (Rentenpaket zum 1. Januar 2019) darstellten, die gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 80 Abs. 1 GG verstießen und die Rechtssache nach Art. 100 GG vorzulegen;

5. festzustellen, dass die Neuregelung von § 44 SGB X eine systemwidrige Ungleichbehandlung bei Erstattungsberechtigten darstelle, die gegen Art. 1 Abs. 1 und 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 80 Abs. 1 GG verstoße, der maßgebliche Erstattungszeitraum vier Jahre betrage und die Rechtssache nach Art. 100 GG vorzulegen.

Das SG hat mit Urteil vom 21. Februar 2023 die Klagen abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die Klagen teilweise schon unzulässig und im Übrigen unbegründet seien. Die angefochtenen Bescheide seien nicht rechtswidrig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin habe gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen.
1.
Die Klage sei hinsichtlich der Feststellungsanträge zu 3. bis 5. unzulässig, da gemäß Art. 100 GG für die Feststellung hinsichtlich der behaupteten Verstöße gegen das GG das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zuständig sei, wobei gemäß den nachfolgenden Ausführungen aber auch kein Anlass für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bestehe. Im Weiteren seien die Anträge bezogen auf die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente und § 44 SGB X (Anträge zu 4. und 5.) unzulässig, da insofern vorliegend keine Verwaltungsentscheidung des Beklagten angefochten sei, die Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein könnte. Abgesehen davon, dass der Beklagte nicht der für Erwerbsminderungsrenten zuständige Sozialversicherungsträger sei, sei eine Verfassungswidrigkeit durch die Begrenzung der zum 1. Januar 2019 eingeführten Leistungsverbesserungen auf die ab diesem Stichtag neu hinzukommenden Erwerbsminderungsrentner und ein Widerspruch vor allem zum Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht ersichtlich. Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe für die Differenzierung zwischen Bestands- und Neurentnern seien sachlich nachvollziehbar und nicht willkürlich. Es entspreche einem Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, dass Leistungsverbesserungen ebenso wie Leistungskürzungen grundsätzlich nur für neu bewilligte Renten gelten würden. Der Gesetzgeber habe auch auf den erheblichen organisatorischen und finanziellen Mehraufwand bei sofortiger Einbeziehung der Bestandsrentner abstellen dürfen (vgl. auch BSG, Urteil vom 10. November 2022 - B 5 R 29/21 R -). Im Übrigen bestünden gegen die durch § 116a Nr. 2 SGB XII bewirkte Beschränkung, der in Abweichung von § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X anstelle des Zeitraums von vier Jahren einen Zeitraum von einem Jahr für eine rückwirkende Leistungserbringung anordne, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verlange das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG nur die Gewährung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen sei verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, zumal hierdurch lediglich eine nachträgliche Entschädigung, nicht jedoch eine gegenwärtige Existenzsicherung erreicht werden könne. Dies gelte erst recht, wenn, wie im Rahmen von § 44 SGB X im Regelfall, die Leistungsgewährung zunächst bestandskräftig abgelehnt worden sei. In diesem Fall sei eine vollständige Wiederherstellung des Zustands, der bestanden hätte, wenn die Leistungen nicht rechtswidrigerweise abgelehnt worden wären, auch nicht aufgrund von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 oder Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geboten. Dem Grundgesetz sei keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl. Schiller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 116a SGB XII, Rn. 57 und 60; BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 34, SozR 4-4200 § 40 Nr. 11; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 40, Rn. 47).
2.
Im Übrigen seien die Klagen unbegründet. Hinsichtlich der gesetzlichen Festlegung der Leistungshöhe sei eine Verfassungswidrigkeit und ein Anspruch auf die begehrten Leistungen nicht erkennbar. Der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt und monatliche Regelbedarf umfasse insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung (vgl. § 42, § 27a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Der Regelbedarf in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 SGB XII ergebe sich entsprechend § 28 SGB XII in Verbindung mit dem RBEG und den §§ 28a, 40 SGB XII in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden RBSFV. Die Klägerin lebe alleine und der Beklagte habe entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 Leistungen für März bis Dezember 2021 in Höhe von monatlich 446,- €, für 2022 in Höhe von monatlich 449,- € und für Januar bis Februar 2023 in Höhe von monatlich 502,- € bewilligt. Die Höhe des Regelbedarfs genüge in den streitigen Zeiträumen nach Überzeugung des SG weiterhin den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Staat habe entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins erfüllt würden, wenn einem Menschen die hierfür erforderlichen notwendigen materiellen Mittel weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus seinem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zur Verfügung stünden. Dem Gesetzgeber stehe hinsichtlich der Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zu. Da das GG selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgebe, beschränke sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich im Wege einer Gesamtschau auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei. Das SG sei überzeugt, dass die Bestimmung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf durch den Gesetzgeber im Rahmen des SGB XII grundsätzlich den Anforderungen an eine hinreichend transparente, jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigende Bemessung der Leistungshöhe genüge. Der Gesetzgeber habe die relevanten Bedarfsarten berücksichtigt, die für einzelne Bedarfspositionen aufzuwendenden Kosten mit einer von ihm gewählten, im Grundsatz tauglichen und im Einzelfall mit hinreichender sachlicher Begründung angepassten Methode sachgerecht, also im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und auf dieser Grundlage die Höhe des Gesamtbedarfs bestimmt. Es sei nicht erkennbar, dass er für die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz relevante Bedarfsarten übersehen und die zu ihrer Deckung erforderlichen Leistungen durch gesetzliche Ansprüche nicht gesichert habe. Dies gelte auch hinsichtlich der Argumentation der Klägerin, dass die Erhöhung der Regelbedarfsstufen hinter der Inflation im streitgegenständlichen Zeitraum zurückgeblieben sei. Trotz des Anstiegs der Inflation liege eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums durch die gesetzliche Höhe des Regelbedarfs (Stufe 1) jedenfalls für Leistungsbezieher, die wie die Klägerin in den Anwendungsbereich des § 144 SGB XII fallen würden, in den die Monate Mai 2021 und Juli 2022 umfassenden Bewilligungszeiträumen nicht vor. Ob bereits eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter bestehe, könne dann dahinstehen, da die Schaffung des § 144 SGB XII mit Einmalzahlungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis 30. Juni 2021 von 150,- € und für Juli 2022 von 200,- € jedenfalls eine hinreichende zeitnahe Reaktion des Gesetzgebers im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG darstelle. Mit diesen Einmalzahlungen habe der Gesetzgeber nicht die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen abgewartet, sondern die durch die Pandemie und die Inflation entstandenen zusätzlichen Kosten bei den SGB XII-Leistungen berücksichtigt. Im Übrigen habe die Klägerin nach der Erhöhung des Regelbedarfs zum 1. Januar 2023 um 53,- € monatlich entsprechend höhere Leistungen erhalten. Ein Anspruch der Klägerin auf weitere Leistungen einschließlich Beiträgen für eine Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrat- und Zahnversicherung bestehe daher nicht (vgl. auch Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg, Urteil vom 20.07.2022 - L 3 AS 1169/22 -; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 -; BVerfG, Beschluss vom 27.07.2016 - 1 BvR 371/11 - ).
Nach alledem bestehe auch kein Anlass für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG und kein Anspruch auf die begehrten Zinsen und seien die Klagen abzuweisen gewesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr mit Postzustellungsurkunde am 22. Mai 2023 zugestellte Urteil am 21. Juni 2023 per Fax Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Sie hat an ihrem Begehren auf Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen festgehalten und weiterhin wie bereits im Verfahren vor dem SG umfangreich dargelegt, weshalb zum einen die Regelsätze ihrer Auffassung nach verfassungswidrig zu niedrig seien und zum anderen auch die Regelungen zur Erwerbsminderungsrente und zur (Nachzahlungs-) Frist bei Verfahren nach § 44 SGB X verfassungswidrig seien wie auch - neu im Berufungsverfahren - die Regelung zur Darlehensgewährung in § 24 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - , wonach die Rückforderung von Darlehen mit der Regelleistung in Höhe von bis zu 10 % verrechnet werden könne, der Pfändungsfreigrenze nach § 850c Zivilprozessordnung (ZPO) widerspräche und damit gegen das Grundrecht nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verstoße. Es wird insoweit auf den ausführlichen Schriftsatz der Klägerin (Bl. 3 bis 22 Senatsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt (Nr. 1 und 2 sachdienlich gefasst, Nr. 3 wörtlich),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Februar 2023 aufzuheben und

1. unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 10. Februar 2021 in der Fassung des Bescheids vom 13. April 2021 und des Bescheides vom 17. Dezember 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2022 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 eine monatliche Grundsicherungsrente in Höhe von 835 € abzüglich geleisteter 446 € sowie

2. unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 7. Februar 2022 in der Fassung des Bescheids vom 30. Juni 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2022 in der Fassung des Bescheides vom 22. September 2022 und des Bescheids vom 29. Dezember 2022 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 1. März 2022 bis 28. Februar 2023 eine monatliche Grundsicherungsrente in Höhe von 885 € abzüglich bereits geleisteter 449 € zu gewähren sowie

3. den Überprüfungs-/Normenkontrollanträgen (Rentenreform, Nachzahlungsfrist, Pfändungsfreigrenze) stattzugeben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend und führt ergänzend aus, soweit die Klägerin ihre ursprünglichen Feststellungsanträge Nr. 3 bis Nr. 5 in der Berufung weiter verfolge, blieben diese unzulässig, da unstatthaft. Sie würden für sich genommen nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien betreffen. Im Grunde würden hier Normenkontrollbegehren vorliegen, keine Feststellungsklagen, wie die Klägerin in ihrem Berufungsantrag erneut deutlich mache. Dafür sei aber mangels Zuständigkeit des SG bzw. des LSG bzw. statthafter Klageart im sozialgerichtlichen Verfahren kein Raum.
Auch eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG wäre unabhängig von den Ausführungen des SG hierzu im Rahmen der Feststellungsanträge bereits unzulässig, da es für die Entscheidung über die Feststellungsklagen, die bereits unstatthaft seien, nicht auf die Gültigkeit eines Gesetzes bzw. der betreffenden Gesetze ankomme.
Die Klagen mit den Anträgen 1. und 2. seien demgegenüber unbegründet. Ein Anspruch auf die begehrten Leistungen bestehe nicht. Diese würden sich nicht aus dem Gesetz ergeben, ein weitergehender Anspruch wegen Verfassungswidrigkeit der gesetzlich gewährten Leistungen sei nicht erkennbar. Auch eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG erübrige sich daher.


Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 5. Dezember 2023 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestehe, dass der Senat die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweise, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten war Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs.1 und Abs. 3 SGG) eingelegte zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten, die für den Senat keinen Anlass zu einem anderen Verfahren gegeben hat, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

1.
Zutreffend hat das SG zum einen die im Klageverfahren gestellten Feststellungsanträge Nr. 3 bis Nr. 5 schon als unzulässig abgewiesen, da es hinsichtlich des Antrages Nr. 4 (Erwerbsminderungsrente) und des Antrages Nr. 5 (Neuregelung § 44 SGB X) - hier im Berufungsverfahren zusammengefasst im Antrag Nr. 3 - schon an einem Verwaltungsverfahren fehlt, das überhaupt Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein könnte, ganz abgesehen davon, dass hinsichtlich der Erwerbsminderungsrente ohnehin der Beklagte gar nicht zuständiger Sozialleistungsträger ist. Auch hinsichtlich des dortigen Feststellungsantrages Nr. 3 bezogen auf die Regelbedarfs-ermittlungsgesetze der Jahre 2021 und 2022 hat das SG zutreffend diese schon deshalb als unzulässig abgewiesen, da es zum einen nicht in die Kompetenz des SG fällt die Verfassungswidrigkeit einer Regelung festzustellen, sondern hierfür allein das BVerfG zuständig ist und zum anderen im Übrigen dies inzident im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gerichtet auf höhere Leistungen im Zusammenhang mit den Regelsätzen zu prüfen gewesen wäre. Im Übrigen wird insoweit auf die Ausführungen des SG gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe hier abgesehen.
 
Soweit die Klägerin erstmals im Berufungsverfahren (zusammengefasst hier im Antrag Nr.3) die Verfassungswidrigkeit von § 24 SGB II im Verhältnis zu § 850c ZPO rügt und deren Überprüfung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens begehrt, ist auch dieser Antrag unzulässig, da die Regelung in § 24 SGB II überhaupt nicht Gegenstand des Verfahrens hier ist und schon deshalb eine Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung einerseits und die Frage einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG andererseits in diesem Verfahren überhaupt nicht in Betracht kommen kann.


2.
Der Senat hat zunächst die von der Klägerin in ihrem Berufungsschriftsatz gestellten Anträge Nr. 1 und Nr. 2 im Rahmen der sachdienlichen Auslegung gemäß § 123 SGG bezüglich der maßgeblichen Zeiträume in Anlehnung an die Anträge erster Instanz - im Rahmen derer auch die jeweiligen Bewilligungszeiträume zutreffend angegeben waren - insoweit jeweils um einen Monat betreffend Beginn und Ende nach vorne korrigiert.

Im Übrigen hat das SG auch zutreffend auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 28 SGB XII i.V.m. dem RBEG und den §§ 28a, 40 SGB XII i.V.m. der für das jeweilige Jahr geltenden RBSFV) sowie der zur Frage der Verfassungskonformität bei den Regelsätzen ergangenen Rechtsprechung des BVerfG einen Anspruch der Klägerin auf höhere Grundsicherungsleistungen für die hier streitigen Zeiträume zu Recht verneint und die Klagen auch insoweit abgewiesen. Der Senat nimmt im Hinblick darauf auf die Ausführungen des SG Bezug und sieht von der weiteren Darstellung der der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.

Der Senat gelangt des Weiteren auch nicht unter Berücksichtigung der umfangreichen Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren zu einer anderen Einschätzung, denn die Klägerin wiederholt hier im Ergebnis nur ihren Vortrag aus dem SG-Verfahren sowie die von ihr schon seit Jahren vertretenen Positionen, über die der Senat auch schon mehrfach in der Vergangenheit hatte entscheiden müssen.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
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