L 13 AS 260/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 602/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 260/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin vom 18. November 2020 bis zum 31. Januar 2021 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Die 1999 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige und hält sich seit September 2017 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie lebte im hier streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit ihren berufstätigen Eltern, ebenfalls kroatische Staatsangehörige, zwei Brüdern und ihrem 2019 geborenen Sohn G1 in einer gemeinsamen Wohnung in M1.
Neben Kindergeld erhielt sie für ihren Sohn von dessen Vater, einem gambischen Staatsangehörigen, der über eine Aufenthaltsgestattung verfügt, Unterhalt in Höhe von monatlich 165 €. Bis Dezember 2020 bezog sie Elterngeld in Höhe von monatlich 300 €, außerdem bis November 2020 für sich selbst Kindergeld in Höhe von 204 € monatlich.
Die Eltern der Klägerin gaben bei deren erstmaliger Antragstellung unter dem 25. August 2019 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin lebe bei ihnen in der Wohnung und werde durch sie während der Schulausbildung unterstützt. Mit der Schwangerschaft hätten sie nichts zu tun. Die Unterstützung hätten sie jetzt beendet und zahlten der Klägerin keinen Unterhalt.
Seit August 2019 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bescheid vom 29. August 2019). Auf ihren Weitergewährungsantrag vom 31. Juli 2020 gewährte der Beklagte ihr und ihrem Sohn mit Bescheid vom 13. Juli 2020 für die Monate August 2020 bis Oktober 2020 Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 286 €. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass sie ab dem 18. November 2022 mit der Vollendung ihres 21. Lebensjahres ihren Arbeitnehmerstatus nicht mehr von ihren Eltern ableite und aufgefordert, für die Weiterbewilligung ab dem 1. November 2020 einen gültigen Arbeitnehmerstatus vorzulegen.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2020 gewährte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2020 bis 17. November 2020 Leistungen in Höhe von 106,74 €.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. November 2020 Widerspruch ein, mit dem sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes über den 17. November 2020 hinaus begehrte.
Am 10. Dezember 2020 stellte die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 17 AS 3178/20 ER). Sie trug vor, dass sie Mutter eines Kleinkindes sei, das ebenfalls die kroatische Staatsangehörigkeit besitze und mithin Unionsbürger sei. Der Sohn sei Enkel freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger und daher Familienangehöriger im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Da sie das alleinige Sorgerecht besitze, leite sich daraus ihr Aufenthaltsrecht ab. Aus diesem Grund sei sie auch weiterhin berechtigt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu beziehen. Da sie derzeit lediglich Kindergeld sowie Unterhaltszahlungen in Höhe von 165 € monatlich erhalte, sei ein Zuwarten im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 verpflichtete das SG den Beklagten, der Klägerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 10. Dezember 2020 bis zum 31. Juni 2021, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des noch ausstehenden Widerspruchsbescheides, zu gewähren. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) durch Beschluss vom 29. April 2021 zurück (L 9 AS 483/21 ER-B). Der Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit bis 30. Juni 2021 (vgl. hierzu zuletzt den Änderungsbescheid vom 5. August 2021, mit dem der Klägerin für Dezember 2020 Leistungen in Höhe von 586,80 €, für Januar 2021 in Höhe von 609,42 €, für Februar 2021 in Höhe von 73,50 €, für März 2021 in Höhe von 37,10 €, für April 2021 in Höhe von 45,58 €, für Mai 2021 in Höhe von 0 € und für Juni 2021 in Höhe von 434,12 € [ab Februar 2021 unter Anrechnung von Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit]).

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte aus, die Klägerin habe bis zu ihrem 21. Lebensjahr das für einen Leistungsanspruch relevante Aufenthaltsrecht von ihren Eltern abgeleitet, da diese eine Arbeitnehmereigenschaft besäßen. Ein solches Ableiten des Aufenthaltsrechts von den Eltern sei mit Erreichen der Altersgrenze nicht länger möglich. Einer Erwerbstätigkeit gehe die Klägerin nachweislich auch weiterhin nicht nach, sodass sie sich seit dem 18. November 2020 lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte. Dies begründe einen Leistungsausschluss. Ein anderweitiges Aufenthaltsrecht sei nicht ersichtlich. Insbesondere könne sie kein Aufenthaltsrecht von ihrem einjährigen Sohn ableiten.
Dagegen hat die Klägerin am 2. März 2021 Klage zum SG erhoben und im Wesentlichen ihr Vorbringen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wiederholt.

Der Beklagte hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.

Das SG hat am 15. Juni 2022 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten durchgeführt. Auf das Sitzungsprotokoll wird insoweit Bezug genommen.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2022 hat das SG die Klage abgewiesen.
Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 29. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe im Zeitraum vom 18. November 2020 bis zum 30. Juni 2021 — es kämen Leistungsansprüche lediglich bis zu diesem Zeitpunkt in Betracht — keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Leistungen nach dem SGB II erhielten nur Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hätten, erwerbsfähig und hilfebedürftig seien (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin. Sie sei aber nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seien Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfordere regelmäßig eine fiktive Prüfung des Grundes bzw. der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, welches die Aufenthaltsrechte von Unionsbürgern in nationales Recht umsetze, und darüber hinaus, ob ein Aufenthaltsrecht nach den gemäß § 11 Abs. 14 FreizügG/EU im Wege eines Günstigkeitsvergleichs anwendbaren Regelungen des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) bestehe (vgl. Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 30. Januar 2013— B 4 AS 54/12 R —, juris, Rn. 23). Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindere die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013— B 4 AS 54/12 R —, juris, Rn. 23).
Das Aufenthaltsrecht der Klägerin ergebe sich im streitigen Zeitraum jedoch allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.
Die Klägerin habe (erst) seit September 2017 in Deutschland gelebt und damit im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen und ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt, so dass die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht greife. Gleiches gelte hinsichtlich eines Daueraufenthaltsrechts gemäß
§ 4a Abs. 1 FreizügG/EU, welches ebenfalls einen ständigen rechtmäßigen Aufenthalt seit fünf Jahren im Bundesgebiet voraussetze. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des §  4a Abs. 2 FreizügG/EU vorlägen, wodurch die Klägerin bereits nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht begründet haben könnte, lägen ebenfalls nicht vor.
Die Klägerin sei ausweislich der vorliegenden Unterlagen seit der erstmaligen Antragstellung bei dem Beklagten im August 2019 auch nicht mehr erwerbstätig gewesen, so dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU nicht vorlägen, wonach ein Aufenthaltsrecht nach §
 2 Abs. 1 FreizügG/EU (unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht) bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt  bleibe. Ein einer Beschäftigung nachgehendes unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht habe jedenfalls in dem Zeitraum ab dem 18. November 2020, ab dem der Beklagte einen Leistungsausschluss angenommen habe, nicht bestanden. Die Klägerin könne ein Aufenthaltsrecht auch nicht aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU ableiten. Sie sei zwar eine nicht erwerbstätige Unionsbürgerin, die auch ihre Eltern und damit Familienangehörige begleite, habe im hier streitgegenständlichen Zeitraum aber nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt.
Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin ergebe sich im hier streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht mehr aus §§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 4 FreizügG/EU. Zwar sei die Klägerin als Tochter ihrer gemäß § 2 Abs. 2 Ziff. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten Eltern und damit als Verwandte in gerade absteigender Linie gemäß § 1 Abs. 2 Ziff. 3 c FreizügG/EU Familienangehörige im Sinne des FreizügG/EU. Da sie aber das 21. Lebensjahr vollendet habe, komme ein Anspruch nur noch in Betracht, wenn ihr von den Eltern Unterhalt gewährt worden wäre, was nach deren Auskunft vom 25. August 2019 nicht mehr der Fall gewesen sei.
Dass eine Erwerbsobliegenheit im unterhaltsrechtlichen Sinne erst ab dritten Jahr nach Geburt eines Kindes angenommen werden könne, spiele für den vorliegenden Fall keine Rolle. Mutmaßlich beziehe sich die Klägerin auf die Regelung des § 1570 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Regelung sei vorliegend bereits ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar, denn nach § 1570 Abs. 1 BGB könne nur ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt keinen Unterhalt verlangen. Dass der Gesetzgeber regeln wollte, dass alleinerziehende Ausländerinnen und Ausländer für die ersten drei Lebensjahre ihres Kindes von der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen seien, sei nicht ersichtlich.
Die Klägerin erhalte auch nicht aus der Sorgeberechtigung für ihren Sohn P1 ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU.
Die Klägerin könne ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU nicht vom Aufenthaltsrecht ihres Sohnes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ableiten, da insoweit die Maßgabe des § 4 FreizügG/EU zu beachten wäre, ausreichender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel aber nicht ersichtlich seien. (s.o.).
§ 11 Abs. 14 FreizügigG/EU bestimme, dass das — grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende — AufenthG auch auf Unionsbürger Anwendung finde, wenn es eine günstigere Regelung vermittele als das FreizügG/EU. Nach § 28 Abs. 1 Satz
1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe. Die Klägerin habe im hier streitgegenständlichen Zeitraum das Sorgerecht für ihren Sohn P1 — einen minderjährigen Unionsbürger — ausgeübt. Aus dieser Rechtsstellung könne sie — auch unter Berücksichtigung des in Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes – kein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ableiten.
Zwar habe P1 ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger im Sinne von § 3 Abs. 1 FreizügG/EU. Hiernach hätten Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. P1 sei Familienangehöriger der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger, der diese begleite: Zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Personen gehörten gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Die Eltern der Klägerin hielten sich als Arbeitnehmer auf.
P1 sei Familienangehöriger der Eltern der Klägerin, sprich seiner Großeltern. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3c) FreizügG/EU seien Familienangehörige die Verwandten in gerader absteigender Linie der Person oder des Ehegatten oder des Lebenspartners, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten oder denen von diesen Unterhalt gewährt werde. P1 sei Verwandter seiner Großeltern in gerade absteigender Linie, denn nach § 1589 BGB seien in gerader Linie verwandt Personen, deren eine von der anderen abstamme, damit auch Enkel von ihren Großeltern.
Er habe das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und begleite seine Großeltern im Sinne des § 3 Abs. 1 FreizügG/EU.
Hinsichtlich des Begriffes „begleiten oder ihm nachziehen" sei nach dem für die Regelungen des FreizügG/EU federführend zuständigen Bundesministeriums des Inneren in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU vom 3. Februar 2016 (AVV zum FreizügG/EU), GMBI 2016 Nr. 5, S. 86, unter Nummer 3.1.1 von Folgendem auszugehen: „Den Familienangehörigen von Unionsbürgern steht das abgeleitete Aufenthaltsrecht nur dann zu, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.
Der Begriff „begleiten oder ihm nachziehen" ist dahin gehend auszulegen, dass er sowohl die Familienangehörigen eines Unionsbürgers umfasst, die mit diesem in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, als auch diejenigen, die sich mit ihm dort aufhalten, ohne dass im letztgenannten Fall danach zu unterscheiden wäre, ob die Drittstaatsangehörigen vor oder nach dem Unionsbürger oder bevor oder nachdem sie dessen Familienangehörige wurden, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008, Rs. C-127/08 — Metock u.a.). Eine gemeinsame Wohnung ist keine zwingende Voraussetzung. Es ist vom Sinn und Zweck der Gewährung des „abgeleiteten" Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen auszugehen, nämlich der Herstellung oder Wahrung der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Unionsbürgers. Der Begriff „begleiten oder nachziehen" impliziert eine im Sinne des Ehe- und Familienschutzes schutzwürdige tatsächliche Beziehung."
Gemessen an diesen rechtlichen Maßstäben bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff des „Begleitens" in dem Sinne auszulegen wäre, dass der Familienangehörige mit eingereist sein müsse. Vielmehr sei ein Begleiten unter Zugrundelegung des Sinns und Zwecks der Regelung — nämlich der Wahrung der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft — so auszulegen, dass ein gemeinsames Aufhalten genüge. Dies sei vorliegend der Fall. Ungeachtet dessen, dass der Sohn der Klägerin erst nach der Einreise seiner Großeltern geboren worden sei, begleite er seine Großeltern im Sinne des § 3 Abs. 1 FreizügG/EU.
Soweit ersichtlich, existiere bisher lediglich Rechtsprechung zu der Frage, ob § 11 Abs. 14 FreizügG/EU in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht vermitteln könne. Diese Frage werde uneinheitlich beantwortet. Sie sei zudem höchstrichterlich, soweit ersichtlich, nicht geklärt. Für ein Aufenthaltsrecht hätten sich etwa das Landesozialgericht Nordrhein-Westfahlen in einem Beschluss vom 30. November 2015— L 19 AS 1713/15 B ER—, juris, Rn. 15, einem Beschluss vom 1. August 2017 — L 19 AS 1131/17 B ER —, juris, Rn. 41 und einem Beschluss vom 30. Oktober 2018 — L 19 AS 1472/18 B ER —, juris, Rn. 28 ff., sowie Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 FreizügG/EU Rn. 37, und Oberhäuser, in: NK-AusIR, 2. Aufl. 2016, FreizügG/EU § 11 Rn. 57 f., ausgesprochen. Gegen ein Aufenthaltsrecht hätten sich etwa geäußert: LSG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 — L 31 AS 1000/17 B ER -, juris, Rn. 3 ff., LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 27. Juli 2017 — L 21 AS 782/17 B ER —, juris, Rn. 43, und wohl auch Hailbronner, in: AusIR, Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand: März 2017, § 11 Rn. 38). Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hierzu sei nicht ersichtlich (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2019— 1 11/R 1710/18—, juris, Rn. 12).
Wie die Frage, ob der minderjährige Unionsbürger wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU dem sorgeberechtigten Elternteil ein Aufenthaltsrecht vermitteln könne, sei auch die Frage, ob der minderjährige Unionsbürger — wie vorliegend — wegen der Begleitung seiner Großeltern nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU dem sorgeberechtigten Elternteil ein Aufenthaltsrecht vermitteln könne, nicht geklärt. Gegen die Vermittlung eines Aufenthaltsrechts sprächen die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Urteil vom 23. September 2020 — 1 C 27/19 —, juris, aufgestellten Grundsätze, wonach ein aus Art. 21 Abs. 1 AEUV resultierendes Aufenthaltsrecht nur in Betracht komme, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich für das Kind gesorgt und dieses über die erforderlichen Existenzmittel im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt habe. Insofern habe das BVerwG ausgeführt: Berufe sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitze, müsse die Referenzperson, von der er das Recht ableite (hier das Kind), im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reiche hierfür nicht. Denn nach Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG sei für ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen erforderlich, dass die Referenzperson ihrerseits aus eigenem Recht (also nach Art. 7 Abs. 1 Buchst a bis c RL 2004/38/EG) und nicht lediglich aus abgeleitetem Recht (nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EG) freizügigkeitsberechtigt sei (BVerwG, Urteil vom 23. September 2020— 1 C 27/19—, juris, Rn. 27).
Das SG entnehme der Rechtsprechung des BVerwG den Grundsatz, dass ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht erfordere, dass die Referenzperson ihrerseits ein eigenes materielles Aufenthaltsrecht und nicht lediglich ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Nach eigener rechtlicher Überprüfung schließe sich das Gericht den vom BVerwG aufgestellten Grundsätzen an.
Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht folge vorliegend auch nicht daraus, dass die Familie der Klägerin gerade im Hinblick auf die Wahrnehmung der elterlichen Sorge unter dem besonderen grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Grundgesetz (GG) und des Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stehe. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG liege nicht vor. Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Es handele sich um ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in das ungestörte Zusammenleben in Ehe und Familie. Gegen einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG spreche, dass sich daraus kein allgemeiner Anspruch ableiten lasse, mit seiner Familie - auf Kosten der Allgemeinheit - gerade in Deutschland zu leben. Vielmehr könnten ausländische Staatsangehörige grundsätzlich darauf verwiesen werden, das Grundrecht durch ein Zusammenleben im Herkunftsland zu verwirklichen (vgl. v. Coelln in Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 24 mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 — 2 11./R 1226/83 u. a. —, BVerfGE 76, 1; BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 — 2 ByR 1169/84 —, BVerfGE 80, 81). Eine Unverhältnismäßigkeit sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Dabei sei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen seien, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2008 — 2 BvR 1830/08 —, juris Rn. 26; BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 — 2 ByR 1064/08 —, juris Rn. 14). Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass das Kind P1 im hier streitgegenständlichen Zeitraum weder in eine Schule noch in eine Kinderbetreuungseinrichtung eingegliedert gewesen sei. Auch ein regelmäßiger Kontakt zum Kindsvater sei nicht ersichtlich, wie die Klägerin in dem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vorgetragen hat. Nachteile für den Kindsvater — der zwischenzeitlich sogar die Unterhaltszahlungen eingestellt habe - seien durch eine Ausreise in das Herkunftsland der Klägerin damit nicht ersichtlich. Die Personensorge über ihr Kind könne die Klägerin im Ausland ausüben.
Ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK liege ebenfalls nicht vor. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK habe jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Neben der partnerschaftlichen Beziehung falle auch die Beziehung zu Kindern unter den Schutz des „Familienlebens" nach Art. 8 Abs. 1 EMRK (BeckOK AusIR/Hofmann, 35. Ed. 01.07.2022, EMRK Art. 8 Rn. 18). Wie bereits festgestellt, hätten die Klägerin und ihr Sohn im hier streitgegenständlichen Zeitraum das Zusammenleben zumutbar im Ausland verwirklichen können.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 10. Januar 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Januar 2023 Berufung beim LSG eingelegt.
Die Klägerin sowie ihre Kinder seien Unionsbürger. Gemäß Art 21. Absatz 1 AEUV habe jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten grundsätzlich frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Klägerin sei kein Elternteil aus einem Drittstaat.
Der EuGH habe mit Urteil vom 10. Mai 2017 (C-133/15) entschieden, dass ein Staatsangehöriger eines Nicht-EU-Landes als Elternteil eines minderjährigen Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitze, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in der Union geltend machen könne. Die Klägerin habe als EU-Bürgerin erst Recht ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Unstreitig sei sie alleine sorgeberechtigt und unstreitig sei das erste Kind 2019 geboren.
Gemäß § 28 Absatz 1 AufenthG sei dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung des Sorgerechts eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe.
Nach dem Wortlaut des § 28 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 3 AufenthG lägen dessen Voraussetzungen nicht vor, da der Sohn kroatischer Staatsangehöriger sei.
Unter Berücksichtigung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 18 AEUV sei jedoch die Vorschrift so auszulegen, dass auch minderjährige ledige Unionsbürger mit Aufenthalt in Deutschland die gleiche Rechtsstellung genössen (LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2018-L 19 AS 1472/18 B ER). Da das Kind im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht das dritte Lebensjahr vollendet habe, unterliege die Klägerin auch keiner Erwerbsobliegenheit. Aufenthaltsberechtigte Elternteile von Kleinkindern unterlägen keiner Erwerbsobliegenheit und hätten daher Anspruch auf Leistung nach dem SGB II. Unklar sei, weshalb für die Klägerin als Unionsbürgerin eine andere Regelung gelte. Insofern sei auch das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Dezember 2022 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2021 zu verurteilen, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auch für den Zeitraum vom 18. November 2020 bis 31. Januar 2021 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
                        die Berufung zurückzuweisen.

Er hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Streitgegenständlich ist, nachdem die Klägerin mit der Berufung lediglich Leistungen für die Zeit bis 31. Januar 2021 geltend gemacht hat, nur der Zeitraum vom 18. November 2020 bis 31. Januar 2021.
Für die Zeit ab 1. Februar 2021 dürfte im Übrigen ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin vorliegen, weil die Klägerin ab diesem Zeitpunkt offenbar nichtselbstständig beschäftigt war, so dass sie ab diesem Zeitpunkt einen endgültigen Anspruch auf Gewährung der zunächst vorläufig bewilligten Leistungen – unter Berücksichtigung des erzielten Erwerbseinkommens – haben dürfte.


Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II in der Zeit vom 18. November 2020 bis 31. Januar 2021.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige
Leistungsberechtigte).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a und b SGB II sind davon ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (Satz 3). Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde (Satz 4).

Im vorliegenden Fall ist die Klägerin als Unionsbürgerin von den Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a), b) SGB II ausgeschlossen, weil sie kein entsprechendes (Dauer-) Aufenthaltsrecht in Deutschland hat.
Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht greift, weil die Klägerin im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen und ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt hat.
Das SG hat zu Recht ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 FreizügG/EU ausgeschlossen, weil die Klägerin – wie bereits dargelegt – sich nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Voraussetzungen des §  4a Abs. 2 FreizügG/EU vorliegen, wodurch die Klägerin bereits nach drei Jahren
ein Daueraufenthaltsrecht begründet haben könnte.
Auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bzw. des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU liegen nicht vor. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU (unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht) für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibt ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Die Klägerin war jedoch nicht im hier geforderten Umfang beschäftigt. Sie hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keine Erwerbstätigkeit von mehr als einem Jahr ausgeübt und war auch vor dem streitgegenständlichen Zeitraum bzw. bis zu 6 Monate davor - nicht weniger als ein Jahr beschäftigt.

Der Einwand der Klägerin, es bestehe in den ersten drei Lebensjahren des Kindes keine Erwerbsobliegenheit, greift nicht durch. Sofern sich die Klägerin auf die unterhaltsrechtliche Regelung des 1570 Abs. 1 BGB bezieht, wonach ein geschiedener Ehegatte von dem anderen wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen kann, kann dies im vorliegenden Fall nicht dazu führen, dass alleinerziehende Ausländerinnen und Ausländer für die ersten drei Lebensjahre ihres Kindes von der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen sind bzw. ein für die Anspruchsberechtigung nach dem SGB II ausreichendes Aufenthaltsrecht fingiert werden kann. Es handelt sich hierbei um eine zivilrechtliche Regelung, die lediglich für das Verhältnis der geschiedenen Ehegatten untereinander Anwendung findet. Auch die Regelung des § 10 Abs. 3 SGB II führt im hier vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Danach ist eine Arbeit nicht zumutbar, wenn die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes oder des Kinder der Partnerin oder des Partners gefährden würde; die Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel nicht gefährdet, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege im Sinne der Vorschriften des Achten Buches oder auf sonstige Weise sichergestellt ist; die zuständigen kommunalen Träger sollen darauf hinwirken, dass erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur Tagesbetreuung des Kindes angeboten wird.
Die Klägerin hat hier schon nicht vorgetragen, dass durch die Aufnahme einer Arbeit die Erziehung ihres Kindes gefährdet wäre und dies ist auch angesichts des Umstands nicht nachvollziehbar, dass sie bereits zum 1. Februar 2021 und damit lange vor Erreichen des dritten Lebensjahres ihres Sohnes, tatsächlich eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat.


Auch ergibt sich kein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU, weil die Klägerin im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt hat.
Die Klägerin kann auch kein Aufenthaltsrecht mehr aus §§ 2 Abs. 2 NR. 6 i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 4 FreizügG/EU ableiten, weil sie zwar als Tochter ihrer gemäß § 2 Abs. 2 Ziff. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten Eltern und damit als Verwandte in gerade absteigender Linie gemäß § 1 Abs. 2 Ziff. 3 c FreizügG/EU Familienangehörige im Sinne des FreizügG/EU ist, sie aber zwischenzeitlich das 21. Lebensjahr vollendet hat und die Eltern ihr – nach deren Aussage im Zusammenhang mit der Antragstellung – bereits seit dem ersten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II und auch im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Unterhalt mehr gewährt haben.
Zutreffend hat das SG auch dargelegt, dass die Klägerin nicht ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU aus der Sorgeberechtigung für ihren Sohn P1 ableiten kann.
Sie kann insbesondere ihr Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU nicht vom Aufenthaltsrecht ihres Sohnes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ableiten, da insoweit die Maßgabe des § 4 FreizügG/EU zu beachten wäre, ausreichender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel aber nicht vorhanden sind.
Zwar bestimmt § 11 Abs. 14 FreizügG/EU, dass das — grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende — AufenthG auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU.
Hier kommt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Betracht, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.
Die Klägerin übte im hier streitgegenständlichen Zeitraum zwar das Sorgerecht für ihren Sohn P1 aus. Bei ihm handelt es sich um einen minderjährigen Unionsbürger, der seinerseits ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger im Sine von § 3 Abs. 1 FreizügG/EU hat. Gemäß § 3 Abs. 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. P1 ist Familienangehöriger der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger, nämlich seiner Großeltern.
Zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Personen gehören gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Die Eltern der Klägerin halten sich als Arbeitnehmer auf.
P1 ist Familienangehöriger der Eltern der Klägerin, also seiner Großeltern. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3c) FreizügG/EU sind Familienangehörige die Verwandten in gerader absteigender Linie der Person oder des Ehegatten oder des Lebenspartners, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird. P1 ist Verwandter seiner Großeltern in gerade absteigender Linie, denn nach § 1589 BGB sind in gerader Linie verwandt Personen, deren eine von der anderen abstammt, damit auch Enkel von ihren Großeltern. Er hat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und begleitet auch seine Großeltern im Sinne des § 3 Abs. 1 FreizügG/EU. Der Begriff „begleiten oder ihm nachziehen" ist nach dem für die Regelungen des FreizügG/EU federführend zuständigen Bundesministeriums des Innern in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU vom 3. Februar 2016 (AVV zum FreizügG/EU), GMBI 2016 Nr. 5, S. 86, unter Nummer 3.1.1) dahingehend auszulegen, dass er sowohl die Familienangehörigen eines Unionsbürgers umfasst, die mit diesem in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, als auch diejenigen, die sich mit ihm dort aufhalten, ohne dass im letztgenannten Fall danach zu unterscheiden wäre, ob die Drittstaatsangehörigen vor oder nach dem Unionsbürger oder bevor oder nachdem sie dessen Familienangehörige wurden, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008, Rs. C-127/08 — Metock u.a.). Eine gemeinsame Wohnung ist keine zwingende Voraussetzung. Es ist vom Sinn und Zweck der Gewährung des „abgeleiteten" Aufenthaltsrechts des Familienangehörigen auszugehen, nämlich der Herstellung oder Wahrung der bestehenden familiären Lebensgemeinschaft des Unionsbürgers. Der Begriff „begleiten oder nachziehen" impliziert eine im Sinne des Ehe- und Familienschutzes schutzwürdige tatsächliche Beziehung.
Die Klägerin kann jedoch daraus - auch unter Berücksichtigung des in Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) statuierten Inländergleichbehandlungsgebotes - kein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ableiten.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen nach dem Wortlaut nicht vor, weil der Sohn der Klägerin nicht deutscher, sondern kroatischer Staatsangehöriger ist. Dem Wortlaut nach vermittelt § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG also keine günstigere Rechtsstellung als das FreizügigG/EU, soweit der Nachzug zu Unionsbürgern betroffen ist.
Eine bessere Rechtsstellung als nach dem FreizügigG/EU ergäbe sich allenfalls dann, wenn die Vorschrift in Anwendung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 18 AEUV nicht nur Anwendung für minderjährige ledige Deutsche finden würde, sondern so auszulegen wäre, dass die Klägerin als Sorgeberechtigte ihres Sohnes, welcher seinerseits als minderjähriger Unionsbürger wegen der Begleitung bzw. dem Nachzug zu seinen Großeltern freizügigkeitsberechtigt ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, ein Aufenthaltsrecht ableiten könnte.

Die Ausweitung der Anwendung des § 11 Abs. 14 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern wird in der Kommentarliteratur teilweise bejaht (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 13. Auflage, § 11 FreizügG/EU, Rdnr. 37 ff., a.A. Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107) und in der Rechtsprechung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 30.11.2015 – L 19 AS 1713/15 B ER -, vom 01.08.2017 - L 19 AS 1131/17 B ER -, vom 30.10.2018 - L 19 AS 1472/18 B ER -, Urteil vom 01.06.2015 – L 19 AS 1923/14 -, a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.05.2017 - L 31 AS 1000/17 B ER -, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.07.2017 – L 21 AS 782/17 B ER -, juris), allerdings existiert lediglich Rechtsprechung zu der Frage, ob die Regelung des §  11 Abs. 14 FreizügG/EU (früher: § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU) in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV dem sorgeberechtigten ausländischen Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht vermitteln kann (für ein Aufenthaltsrecht vgl. LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 30. November 2015— L 19 AS 1713/15 B ER—, juris, Rn. 15, Beschluss vom 1. August 2017 — L 19 AS 1131/17 B ER —, juris, Rn. 41, Beschluss vom 30. Oktober 2018 — L 19 AS 1472/18 B ER —, juris, Rn. 28 ff., sowie Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 FreizügG/EU Rn. 37, und Oberhäuser, in: NK-AusIR, 2. Aufl. 2016, FreizügG/EU § 11 Rn. 57; dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 — L 31 AS 1000/17 B ER -, juris, Rn. 3 ff., LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 27. Juli 2017 — L 21 AS 782/17 B ER —, juris, Rn. 43, und wohl auch Hailbronner, in: AuslR, Freizügigkeitsgesetz/EU, Stand: März 2017, § 11 Rn. 38). Jedoch ist diese Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2019— 1 BvR 1710/18—, juris, Rn. 12).

Der Senat folgt jedoch der vom LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 22. Mai 2017 – L 31 AS 1000/17 B ER - juris) vertretenen Rechtsauffassung, dass eine derart weitgehende Auslegung des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV nicht überzeugend ist und schließt sich der Begründung des LSG Berlin-Brandenburg insoweit an.

Gegen die Vermittlung eines Aufenthaltsrechts sprechen darüber hinaus auch nach Auffassung des Senats die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Urteil vom 23. September 2020 — 1 C 27/19 —, Juris, aufgestellten Grundsätze, wonach ein aus Art. 21 Abs. 1 AEUV resultierendes Aufenthaltsrecht nur in Betracht kommt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich für das Kind gesorgt wird und dieses über die erforderlichen Existenzmittel im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG verfügt hat. Insofern hat das BVerwG in seinem Leitsatz ausgeführt: „Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitze, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier das Kind), im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil eines Unionsbürgerkindes abgeleitetes Freizügigkeitsrecht reicht hierfür nicht“.
Das BVerwG hat weiter ausgeführt, nach Art. 7 Abs. 2 RL 2004/38/EG sei für ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen erforderlich, dass die Referenzperson ihrerseits aus eigenem Recht (also nach Art. 7 Abs. 1 Buchst a bis c RL 2004/38/EG) und nicht lediglich aus abgeleitetem Recht (nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/38/EG) freizügigkeitsberechtigt sei (BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – juris, Rn. 27).

Daraus lässt sich zur Überzeugung des Senats auch der Grundsatz entnehmen, dass ein aus §  11 Abs. 14 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht erfordert, dass die Referenzperson ihrerseits ein eigenes materielles Aufenthaltsrecht und nicht lediglich ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitzt.

Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht hat das SG mit zutreffender Begründung auch im Hinblick auf die Wahrnehmung der elterlichen Sorge unter Berücksichtigung des besonderen grundrechtlichen Schutzes des Art. 6 Grundgesetz (GG) und des Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verneint.
Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin an und weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht bzw. allenfalls ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche hatte, gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen war und deshalb auch gegenüber dem Beigeladenen keinen Anspruch hat.
Auch aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) kann die Klägerin keinen Anspruch ableiten, weil Kroatien nicht vom Geltungsbereich des Abkommens erfasst wird.

Schließlich besteht auch kein Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, weil die Klägerin nicht konkret ihre Ausreise plante oder zumindest eine grundsätzliche Ausreisebereitschaft hatte und hierfür zur Überbrückung Geld benötigte.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die hier streitige Frage, ob der Klägerin ein Aufenthaltsrecht gemäß § 11 Abs. 14 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV zusteht, grundsätzliche Bedeutung hat und noch
nicht höchstrichterlich geklärt ist.

 

Rechtskraft
Aus
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