L 5 KR 551/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 49 KR 499/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 551/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 12/24 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.04.2021 geändert und die Klage abgewiesen.

 

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung in der Zeit ab 01.03.2019 im Streit.

Der Kläger ist als hauptberuflich selbständiger Unternehmer seit dem 00.00.0000 bei der Beklagten freiwillig kranken- und sozial pflegeversichert. Seit 2014 ist er ehrenamtliches Mitglied des Stadtrats der Stadt I. und des Kreistags des C..

Die Beklagte setze die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung ab dem 01.03.2019 unter Berücksichtigung monatlicher beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 2.810,42 Euro fest. Dabei legte sie den Bescheid für 2017 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer des Finanzamtes I. vom 28.02.2019 (der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 30.059 Euro und Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 3.666 Euro, mithin Gesamteinkünfte in Höhe von 33.725 Euro ausweist) zugrunde und gelangte zu einer vorläufigen Festsetzung in Höhe von monatlich insgesamt 505,87 Euro (freiwillige Krankenversicherung: 393,46 Euro, Zusatzbeitrag: 19,67 Euro, soziale Pflegeversicherung: 92,74 Euro – Bescheid vom 12.06.2019).

Der Kläger widersprach der Beitragsbemessung (Schreiben vom 17.06.2019) und machte im Wesentlichen geltend, bei den berücksichtigten Einkünften aus selbständiger Arbeit handele es sich ausschließlich um Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche kommunale Mandatstätigkeiten für die Stadt I. bzw. den Hochsauerlandkreis. Diese unterlägen nicht der Kranken- und Pflegeversicherungspflicht. Hierzu vertrat die Beklagte die Auffassung, Aufwandsentschädigungen seien nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 16 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) in Verbindung mit § 3 Nr. 12 Einkommensteuergesetz (EStG) beitragspflichtig, sofern sie steuerpflichtig seien (Schreiben vom 19.06.2019). Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 05.03.2020). Bei der Verbeitragung sei das Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) zu berücksichtigen. Das sei der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen sei mithin als Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten sei. Die Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder würden steuerrechtlich als Einnahmen aus selbständiger Arbeit behandelt, weshalb sie auch Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV darstellten.

Mit seiner am 17.03.2020 vor dem Sozialgericht Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter vertiefender Wiederholung seines Vorbringens weiterverfolgt. Seine ehrenamtliche kommunalpolitische Tätigkeit sei nicht erwerbsmäßig; dementsprechend seien auch die ihm hierfür gezahlten Aufwandsentschädigungen – die keine Vergütung darstellten – nicht beitragspflichtig. Diese Auffassung folge auch der gesetzgeberischen Intention, das Ehrenamt zu stärken. Der Kläger sei seit 2014 sowohl im Kreistag des C. als auch im Rat der Stadt I. ehrenamtlich tätig. Dieses Engagement diene nicht der Finanzierung seines Lebensunterhaltes durch entsprechende Aufwandsentschädigungen. Diese stellten auch keine Vergütung für die ehrenamtliche Tätigkeit dar, sondern sollten den entstehenden Aufwand entschädigen. Fehle der Vergütungscharakter, stellten die Aufwandsentschädigungen auch kein „sonstiges Einkommen“ dar.

Der Kläger hat Jahresbescheinigungen über die im Jahr 2017 gezahlten Entschädigungen der Stadt I. vom 22.01.2018 (Aufwandsentschädigungen in Höhe von 3.446 Euro und Sitzungsgelder in Höhe von 340,20 Euro, mithin insgesamt 3.806,20 Euro, davon steuerpflichtig: 1.358,20 Euro) und des C. vom 09.02.2018 (Aufwandsentschädigungen in Höhe von 5.380,20 Euro, davon steuerpflichtig: 2.308,20 Euro) vorgelegt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 12.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 aufzuheben, soweit ab dem 01.03.2019 Krankenversicherungsbeiträge nach höheren jährlichen Einnahmen als 30.059,00 € festgesetzt worden sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten.

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung die Beitragserhebung in der sozialen Pflegeversicherung dem rechtskräftigen Ausgang des vor dem Sozialgericht Dortmund zum Aktenzeichen S 49 KR 499/20 geführten Verfahrens unterworfen (Sitzungsniederschrift vom 20.04.2021).

Mit Urteil vom 20.04.2021 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 12.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 05.03.2020 aufgehoben, soweit durch ihn ab dem 01.03.2019 Krankenversicherungsbeiträge nach höheren jährlichen Einnahmen als 30.059 Euro festgesetzt worden sind. Es hat ausgeführt, die an den Kläger gezahlten Aufwandspauschalen und Sitzungsgelder seien bei der Beitragserhebung nicht zu berücksichtigen gewesen, weil sie weder Arbeitseinkommen noch Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, darstellten. Zwar würden die an den Kläger gezahlten Aufwandspauschalen und Sitzungsgelder im Einkommensteuerrecht als Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 2 Nr. 3 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG) qualifiziert und stellten nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts einen Gewinn dar. Jedoch müsse der nach den Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus selbständigen Tätigkeiten herrühren; die Auslegung, welche Tätigkeiten als selbständige Tätigkeit im Sinne von § 15 SGB IV anzusehen seien, sei sozialversicherungsrechtlich und unabhängig vom Steuerrecht vorzunehmen. § 15 SGB IV könne nicht entnommen werden, dass die steuerrechtliche Qualifizierung bestimmter Einkünfte als eine der sieben Einkunftsarten des § 2 EStG auch darüber entscheide, ob i.S.v. § 15 SGB IV von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen sei. Dies ergebe sich schon daraus, dass das Einkommensteuerrecht den Begriff des "Arbeitseinkommens" nicht kenne. Eine ehrenamtliche Mandatstätigkeit stelle keine selbständige Tätigkeit dar. Denn eine selbständige Tätigkeit i.S.v. § 15 SGB IV übe nur aus, wer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwerbstätig sei. Die selbständige Tätigkeit sei geprägt durch das eigene Unternehmerrisiko (wirtschaftliche Verantwortung und Verfügungsgewalt über die Betriebseinrichtungen und Betriebsmittel), die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Diese Kriterien seien hinsichtlich der ehrenamtlichen kommunalpolitischen Mandatstätigkeit des Klägers erkennbar und offensichtlich nicht erfüllt. Tätigkeiten im Stadtrat bzw. Kreistag seien insbesondere nicht durch ein Unternehmensrisiko geprägt. Die an den Kläger gezahlten Aufwandspauschalen und Sitzungsgelder besäßen auch keinen Einnahmencharakter im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz; sie stellten lediglich einen Ersatz für entstandene Aufwendungen dar. Durch die Zahlungen von Aufwandspauschalen und Sitzungsgeldern nach der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Entschädigung der Mitglieder kommunaler Vertretungen (EntschVO NRW) würden den ehrenamtlich Tätigen entstehende Werbungskosten im Sinne des § 9 EStG ersetzt, so dass ihnen verwehrt sei, mandatsbedingte Aufwendungen als Werbungskosten geltend zu machen. Aufwandsentschädigungen für kommunale Abgeordnete dienten dazu, mandatsbedingte Mehraufwendungen abzudecken, nicht aber die normalen Aufwendungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Aufgrund des ehrenamtlichen Charakters des kommunalen Mandats sei die Aufwandsentschädigung keine Alimentation. Inwiefern die gezahlten Beträge zum Lebensunterhalt tatsächlich verbraucht würden oder verbraucht werden könnten sei aufgrund des fehlenden Einnahmecharakters nicht ausschlaggebend. Denn obgleich die Aufwandsentschädigung nicht für Fahrt- oder Reisekosten aufgewandt werden müsse, seien die genannten Zahlungen lediglich dazu bestimmt, die mit der ehrenamtlichen, d.h. grundsätzlich unentgeltlichen Dienstleistung verbundenen Beschwernisse und finanziellen Einbußen pauschal auszugleichen.

Gegen das der Beklagten am 10.06.2021 zugestellte Urteil hat sie am 01.07.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen. § 15 Abs. 1 SGB IV stelle die Parallelität zwischen Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht in materiell rechtlicher Hinsicht her. Maßgeblich für die Einordnung als Arbeitseinkommen sei, was nach dem Einkommensteuerrecht als Einkommen bewertet werde. Zwar seien die Begriffe (Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV und Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 18 EStG) nicht immer deckungsgleich; hier sei eine solche Diskrepanz jedoch nicht erkennbar.

Die Beklagte (Berufungsklägerin) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.04.2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger (Berufungsbeklagter) beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 20.04.2021 zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und nimmt im Wesentlich darauf, sowie auf sein bisheriges Vorbringen Bezug. Er nimmt weiter Bezug auf Rechtsprechung u.a. des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 27.04.2021 – B 12 KR 25/19 R), durch die er sich bestätigt sieht. Im Falle einer reinen ehrenamtlichen Tätigkeit (dort eines Bürgermeisters, der nicht in eine Verwaltungsorganisation eingegliedert ist) bestehe keine Sozialversicherungspflicht.

Die Beklagte hat nach Vorlage des Bescheides für 2019 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer des Finanzamtes I. vom 11.11.2021 (der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 45.399 Euro und Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 3.833 Euro, mithin Gesamteinkünfte in Höhe von 49.232 Euro ausweist) die Beiträge des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung ab 01.01.2019 unter Berücksichtigung monatlicher beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 4.102,67 Euro, in Höhe von monatlich insgesamt 738,48 Euro (freiwillige Krankenversicherung: 574,37 Euro, Zusatzbeitrag: 28,72 Euro, soziale Pflegeversicherung: 135,39 Euro) endgültig festgesetzt (Bescheid vom 23.12.2021).

Der Senat hat die Pflegekasse beigeladen (Beschluss vom 14.03.2024).

Der Kläger und die Beigeladene haben in der mündlichen Verhandlung die Beitragserhebung in der sozialen Pflegeversicherung in der Zeit ab dem 01.01.2019 dem rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens L 5 KR 551/21 unterworfen (Sitzungsniederschrift vom 21.03.2024). Der Kläger und die Beklagte haben in der mündlichen Verhandlung die Beitragserhebung in der freiwilligen Krankenversicherung (einschließlich Zusatzbeitrag) in der Zeit vom 01.01.2019 bis zum 28.02.2019 dem rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens L 5 KR 551/21 unterworfen (Sitzungsniederschrift vom 21.03.2024).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 SGG) Berufung ist begründet.

I. Streitgegenständlich ist (unter Berücksichtigung der geschlossenen Unterwerfungsvergleiche noch) die endgültige Festsetzung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung des Klägers in der Zeit vom 01.03.2019 bis 31.12.2019, soweit diese unter Zugrundelegung monatlicher Einnahmen in Höhe von mehr als 3.783,25 Euro erfolgt ist. Der Bescheid vom 12.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2020 ist insoweit durch den Bescheid vom 23.12.2021, der Gegenstand des Verfahrens geworden ist (§ 96 SGG), ersetzt worden.

II. Das Sozialgericht Dortmund hat auf die zulässig erhobene Klage zu Unrecht die Bescheide der Beklagten (teilweise) aufgehoben.

1. Nachdem der Bescheid vom 23.12.2021 Gegenstand des Verfahrens geworden ist (§ 96 Abs. 1 SGG), bedurfte es der Durchführung eines Vorverfahrens (§§ 78 Abs. 1, 83 ff. SGG) nicht.

2. Die Klage ist unbegründet; der Bescheid vom 23.12.2021 ist, insbesondere soweit die Beklagte der Beitragserhebung Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit zu Grunde gelegt hat, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, er wird hierdurch nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Beklagte hat zu Recht Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung des Klägers aus Einkünften (im Zusammenhang mit kommunalpolitischer Tätigkeit gezahlte Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder) aus selbständiger Arbeit festgesetzt. Die Berechnung und Höhe der Beiträge im Einzelnen wird vom Kläger nicht beanstandet.

a) Nach § 220 Abs. 1 Satz 1 1. HS SGB V (in der Fassung vom 12.12.2019 – a.F.) werden die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch Beiträge und sonstige Einnahmen aufgebracht; als Beiträge gelten auch Zusatzbeiträge nach § 242. Die Beiträge werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen (§ 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Versicherungspflichtige tragen die Beiträge aus dem Arbeitseinkommen allein (§ 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Soweit gesetzlich nichts Abweichendes bestimmt ist, sind die Beiträge von demjenigen zu zahlen, der sie zu tragen hat (§ 252 Abs. 1 Satz 1 SGB V – in der Fassung vom 12.12.2019 – a.F.).

Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der Fassung vom 11.07.2021 – a.F.) wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der GKV einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpVBdKK) geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds (§ 240 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V a.F.) sowie mindestens die Einnahmen berücksichtigt, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.). Angesichts dieser dem SpVBdKK verliehenen Rechtsetzungslegitimation ist lediglich zu prüfen, ob der SpVBdKK die Grenzen der ihm eingeräumten Regelungsbefugnis eingehalten hat und seine untergesetzliche Normsetzung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Verfassungsrecht verstößt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) ist der SpVBdKK durch Erlass der sowohl die Krankenkassen als auch die Versicherten bindenden „Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler – BeitrVerfGrsSz) vom 27.10.2008 (hier in der Fassung der Neunten Änderung vom 18.03.2020) dem gesetzlichen Regelungsauftrag grundsätzlich im Einklang mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht nachgekommen (BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 KR 6/20 R 11 m.w.N.).

Die Beiträge werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds bemessen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz), wobei die Beitragsbemessung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen hat (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BeitrVerfGrsSz). Als beitragspflichtige Einnahmen sind das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz). Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).

b) Die Beklagte war berechtigt, die vom Kläger aus dem Arbeitseinkommen zu zahlenden Beiträge durch Verwaltungsakt festzusetzen, denn als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung hat sie auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten im Beitragsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2014 – B 12 KR 23/12 R Rn. 20).

c) Zum Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts rechnen neben Einkünften aus Gewerbebetrieb (vgl. BSG, Urteil vom 23.09.1999 – B 12 KR 12/98 R Rn. 14 m.w.N.) auch Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Für die Zuordnung von Einnahmen zum Arbeitseinkommen ist die steuerliche Abgrenzung der Einkunftsarten maßgebend (BSG, Urteil vom 23.09.1999 – B 12 KR 12/98 R m.w.N.). Bei Anlegung dieser Maßstäbe handelt es sich bei den im Zusammenhang mit seiner kommunalpolitischen Tätigkeit in Gestalt gezahlter Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder erzielten Einnahmen des Klägers um Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Das Sozialgericht hat die Einkünfte des Klägers, die dieser im Zusammenhang mit seiner kommunalpolitischen Tätigkeit in Gestalt gezahlter Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder erzielt, zu Unrecht als nicht der Beitragserhebung zu Grunde zu legende Einnahmen angesehen.

Der Senat vermag sich der Auffassung des Sozialgerichts, § 15 Abs. 1 SGB IV – dessen Wortlaut von dem Begriff der selbständigen Arbeit in §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 18 EStG abweiche – sei einer Interpretation dahingehend zugänglich, dass nur aus originär selbständiger Tätigkeit erzielte steuerliche „Gewinne“ als Arbeitseinkommen zu berücksichtigen seien, vorliegend nicht anzuschließen.

aa) Seit 1995 besteht eine volle Identität zwischen dem steuerrechtlichen Gewinn und dem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitseinkommen (vgl. BT-Drucks 12/5700, S. 92); insoweit sind spezifisch sozialversicherungsrechtliche Bewertungen unzulässig. Die Parallelität zwischen dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht bezieht sich insbesondere auch auf die Zuordnung einzelner Einkünfte zum Arbeitseinkommen (vgl. Knospe in: Hauck/Noftz SGB IV, § 15 Rn. 8 m.w.N.). § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV begründet die Maßgeblichkeit des Einkommensteuerrechts für die Bestimmung des persönlichen Arbeitseinkommens dem Grunde und der Höhe nach (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2004 – B 13 RJ 13/04 R Rn. 25). Sie (die Regelung) soll der Verwaltungsvereinfachung dienen und es dem zuständigen Versicherungsträger erlauben, den steuerrechtlichen Gewinn „unverändert aus dem Steuerbescheid des Selbständigen zu entnehmen“ (vgl. BT-Drucks. 12/5700 S. 92). Dieses gesetzgeberische Anliegen ist nur zu erreichen, wenn der Versicherungsträger nicht nur an das materielle Steuerrecht, sondern vielmehr grundsätzlich auch an die Entscheidungen der Finanzbehörden und -gerichte gebunden ist (Knospe a.a.O. Rn. 9). Wortlaut und Gesetzesbegründung der Norm (§ 15 Abs. 1 SGB IV) stehen in vollem Einklang miteinander und lassen für die Begründung eines eigenen sozialversicherungsrechtlichen Begriffs des "Arbeitseinkommens aus selbständiger Tätigkeit" neben dem steuerrechtlichen Begriff der Gewinneinkünfte aus selbständiger Tätigkeit keinen Raum, d.h. auch die Grundentscheidung, ob überhaupt eine selbständige Tätigkeit vorliegt, wird nicht mehr von den Sozialleistungsträgern getroffen (BSG, Urteil vom 07.10.2004 a.a.O. Rn. 27 m.w.N.). Ungeachtet dessen, dass das Einkommensteuerrecht den Begriff des Arbeitseinkommens nicht kennt, soll damit nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung für die Frage, ob Einkommen aus selbständiger Arbeit erzielt wird, das in der Terminologie des SGB als Arbeitseinkommen bezeichnet wird, allein das Steuerrecht maßgebend sein (BSG, Urteil vom 07.10.2004 a.a.O. Rn. 27 m.w.N.). Dass der Gesetzgeber in § 15 SGB IV die sozialversicherungsrechtliche Terminologie des "Arbeitseinkommens" beibehalten hat, ändert nichts daran, dass die inhaltliche Füllung dieses Begriffs durch die entsprechenden Begriffe des Einkommensteuerrechts zu erfolgen hat. Würde man weiterhin die Richtigkeit der Zuordnung der steuerrechtlichen Einkünfte aus selbständiger Arbeit an einem eigenen sozialversicherungsrechtlichen Begriff der selbständigen Tätigkeit messen wollen, würde dies den Intentionen des § 15 SGB IV und dem darin ausgedrückten Willen des Gesetzgebers widersprechen. § 15 SGB IV kann daher nur die Bedeutung haben, dass steuerrechtlich als "Einkünfte aus selbständiger Arbeit" bewertetes Einkommen entsprechend als "Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit" anzusehen ist (BSG, Urteil vom 07.10.2004 a.a.O. Rn. 28).

Bei der Abgrenzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit von anderen auf die Erzielung von Einnahmen gerichteten Handlungen (abgesehen von einer abhängigen Beschäftigung) stellt die Rechtsprechung des BSG entscheidend auf § 15 SGB IV ab (BSG, Urteil vom 30.03.2006 – B 10 KR 2/04 R Rn. 27). Der Begriff der "selbständigen Tätigkeit" in § 15 SGB IV umfasst, wie das BSG in diesem Zusammenhang wiederholt entschieden hat, alle typischerweise mit persönlichem Einsatz verbundenen Einkunftsarten einschließlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) sowie diesen gleichgestellte Einkünfte (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2006 a.a.O.). Alle aus anderen Quellen stammenden Einkommen, wie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 EStG) und Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG), werden hiervon grundsätzlich nicht erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2006 a.a.O.; BSG vom 04.06.2009 – B 12 KR 3/08 R Rn. 13).

bb) Die an den Kläger gezahlten Aufwandspauschalen und Sitzungsgelder werden im Einkommensteuerrecht als Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.v. § 2 Nr. 3 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG qualifiziert und stellen nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts einen Gewinn dar (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2016 – B 3 KS 1/15 R Rn. 17). Ehrenamtliche Mitglieder kommunaler Volksvertretungen unterliegen mit den ihnen gewährten Entschädigungen grundsätzlich der Einkommensteuer. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Tätigkeit der Einkunftsart „selbständige Arbeit“ nur dann zugeordnet werden, wenn sie der Erzielung positiver Einkünfte dient. Diese Voraussetzung ist jedoch auch bei der ehrenamtlichen Tätigkeit in einer kommunalen Volksvertretung erfüllt (so BFH, Urteil vom 03.12.1987 – IV R 41/85 Rn. 17: „Man kann zwar davon ausgehen, dass die Ratsmitglieder ihre Tätigkeit in erster Linie deshalb ausüben, um ihrem politischen Auftrag gerecht zu werden und die Absicht, hierfür Vergütungen zu erzielen, dabei in den Hintergrund tritt. Für die Annahme einer selbständigen Arbeit genügt es indessen, dass die Gewinnerzielungsabsicht nur ein Nebenzweck ist. Dies ist jetzt ausdrücklich in § 15 Abs 2 Satz 3 EStG für die gewerblichen Einkünfte ausgesprochen; für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit gilt nichts anderes."; siehe ebenfalls BFH, Beschluss vom 13.06.2013 - III B 156/12 Rn. 14).

Diese (einkommensteuerrechtliche) Behandlung als Einkünfte aus selbständige Arbeit führt aufgrund der steuerrechtlichen Anbindung des § 15 SGB IV dazu, dass sie (auch) als "Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit" zu bewerten sind. Dabei übernimmt § 15 SGB IV auf diese Weise nicht nur die steuerrechtliche Bewertung, wonach die im Zusammenhang mit der kommunalpolitischen Tätigkeit des Klägers gezahlten Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder als Einkünfte aus selbständige Arbeit dem Grunde nach anzusehen sind; ebenfalls übertragen werden die Steuerfreibeträge, bis zu deren Höhe die pauschalen Entschädigungen und Sitzungsgelder steuerfrei sind. Lediglich die diese Steuerfreibeträge überschießenden Beträge hat die Beklagte dem folgend vorliegend der Beitragserhebung unterworfen. Der Einordnung der von dem Kläger erzielten Einkünfte anhand der Feststellungen der Finanzverwaltung war auch zu folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist nur dann nicht auf die Feststellungen der Finanzverwaltung zurückzugreifen, wenn der Betroffene gegen die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen oder steuerrechtlichen Bewertung des Finanzamtes schlüssige und erhebliche Einwendungen erhebt (BSG, Urteil vom 30.03.2006 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Das hat der Kläger hier nicht getan. Es liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten der Feststellungen bzw. Bewertungen der Finanzbehörden oder dafür vor, dass der Kläger gerade deshalb keine Einwendungen gegen die Einordnung der Einkünfte erhoben hat, weil die (falsche) Einordnung sich für ihn nicht nachteilig auswirkt bzw. sogar günstig ist (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 29.07.2015 a.a.O. Rn. 24).

cc) Entgegen der Ausführungen des Sozialgerichts setzt die Bewertung von "Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit" (…) nicht voraus, dass eine eigene (selbständige) Tätigkeit tatsächlich (…) ausgeübt wird (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2004 a.a.O. Rn. 32). Die mit § 15 SGB IV bezweckte "volle Parallelität" von steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Beurteilung von "Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit" führt vielmehr dazu, dass Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit auch dann vorliegen kann, wenn eine eigene Tätigkeit nicht (mehr) ausgeübt wird (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2004 a.a.O. Rn. 33). Auf den tatsächlichen Einsatz von Arbeitskraft kommt es dabei ebenso wenig an (vgl. BSG vom 18.01.2018 – B 12 KR 22/16 R Rn. 13), wie auf ein tatsächlich die Tätigkeit (hier die kommunalpolitischen Tätigkeiten des Klägers im Stadtrat bzw. Kreistag) prägendes Unternehmensrisiko. Insoweit ist für die vorliegend zu beantwortende Frage unerheblich, ob – worauf das Sozialgericht zutreffend hinweist – eine ehrenamtliche Mandatstätigkeit statusrechtlich keine selbständige Tätigkeit darstellt.

d) Darauf, ob es sich bei den an den Kläger gezahlten Aufwandspauschalen und Sitzungsgeldern um sonstige Einnahmen und Geldmittel handelt, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz), kommt es nach dem Vorgesagten nicht an.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

C. Die Revision war vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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