L 9 SO 432/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 272/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 432/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Münster vom 31.08.2021 werden zurückgewiesen.

 

Die Klagen werden abgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Der Streitwert wird auf 2.500.000 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

 

Der Kläger begehrt die Erstattung von Grundsicherungsleistungen nach § 46a SGB XII für die Jahre 2013 und 2014.

 

I. Der Kläger ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die aus den Kreisen und kreisfreien Städten der früheren Provinz Westfalen und des früheren Landes Lippe gebildet wird (§§ 1, 2 LVerbO NRW). Er bewilligte zahlreichen, zuletzt von ihm in den Anlagen K 11 und K 12 zu seinem Schriftsatz vom 10.06.2024 aufgeführten Personen im Jahr 2013 Sozialhilfeleistungen in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Einrichtung. Im Jahr 2017 ersuchte er gem. § 45 SGB XII den zuständigen Träger der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung (§ 41 Abs. 3 SGB XII) für diese Leistungsempfänger zu prüfen. Auf der Grundlage der entsprechenden Feststellungen der DRV bewilligte er den Personen, bei denen die DRV nach seiner Meinung ab dem Jahr 2013 rückwirkend das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer festgestellt habe, den inkludierten Lebensunterhalt für das Jahr 2013 als Grundsicherung.

 

II. Mit Schreiben vom 22.12.2017 forderte der Kläger den Beklagten auf, an ihn 1.863.628,30 € zu zahlen. Bei in einer Anlage 1 aufgeführten Personen sei durch die DRV im Jahr 2017 rückwirkend festgestellt worden, dass diese bereits 2013 grundsicherungsberechtigt gewesen seien. Bei weiteren, in einer Anlage 2 aufgeführten Personen sei eine entsprechende Feststellung durch die DRV zu erwarten, weshalb die Forderungssumme sich für 2013 um 1.186.677,29 € erhöhen werde. Dem Schreiben war eine formularmäßige „Abrufung“ von 2.484.837,73 (100 % der nach Meinung des Klägers erbrachten Grundsicherungsleistungen) beigefügt.

 

Am 28.12.2017 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Münster gegen den Beklagten die (erste) Klage (S 20 SO 272/21) erhoben auf Zahlung der 1.863.628,30 € zuzüglich Zinsen sowie auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, „dem Kläger einen Anteil von 75% der für das Jahr 2013 kassenwirksam erbrachten existenzsichernden Leistungen für die in der Anlage K 2 zu der Klageschrift bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung und bei Erwerbsminderung vorlagen.“

 

Am 29.12.2017 hat der Beklagte bei dem BSG 1.863.628,30 € gegen die Beigeladene eingeklagt (B 8 SO 1/17 KL). Mit Beschluss vom 25.01.2018 hat das BSG das dortige Klageverfahren im Hinblick auf das hiesige Verfahren ausgesetzt. Im Übrigen hat der Beklagte die Forderung bei der Beigeladenen nicht abgerufen. Eine Zahlung der streitgegenständlichen Beträge durch die Beigeladene an den Beklagten ist nicht erfolgt.

 

Der Kläger hat seine Klage wie folgt begründet: Die Klage seien zulässig. Dies gelte auch für den Feststellungsantrag, der auf ein zukünftiges Rechtsverhältnis gerichtet sei. Das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis dafür sei gegeben. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Verjährungsregelung drohe diese im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 31.05.2016 – B 1 AS 1/16 Kl zu § 46 SGB II. In diesem Urteil sei das BSG von einer vierjährigen Verjährungsfrist als allgemeinem sozialrechtlichen Prinzip ausgegangen. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn sei die „Aufwendung“ der zu erstattenden Leistung, d.h. Leistungen, die 2013 gezahlt wurden, drohten mit Ablauf 2017 zu verjähren. Die Klage sei begründet. Erst 2017 sei bei den in der Anlage K 1 genannten Personen die Feststellung des jeweils zuständigen Rentenversicherungsträgers gem. § 45 SGB XII erfolgt, dass bereits im Jahre 2013 eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorgelegen habe, aufgrund derer die Betroffenen einen Anspruch auf Grundsicherung gem. § 41 Abs. 1, Abs. 3 SGB XII gehabt hätten. Bei den in der Anlage K 2 aufgeführten Personen sei eine entsprechende Feststellung des Rentenversicherungsträgers zu erwarten. Er habe den betroffenen Leistungsempfängern stationäre Leistungen bewilligt in Unkenntnis des Umstands, dass die darin enthaltenen Lebensunterhaltsleistungen sowohl Hilfe zum Lebensunterhalt als auch als Grundsicherung sein könnten. Nach abschließender Ermittlung des Sachverhalts und unter Beachtung der gem. § 45 SGB XII bindenden Entscheidung des Rentenversicherungsträgers habe er die Leistungen nunmehr rückwirkend als solche der Grundsicherung bewilligt. Die Auslegung von § 46a SGB XII habe parallel zu den allgemeinen Erstattungsbestimmungen zu erfolgen, so dass auch ein nachträglich festgestellter Sachverhalt beachtlich sei. Die Regelungswirkung der Bewilligungsbescheide umfasse nur die tatsächliche Leistung, nicht deren Begründung, die ohne Durchbrechung der Bestandskraft der Bewilligungsbescheide ausgetauscht werden könne. Anträge auf Grundsicherung iSd § 44 SGB XII lägen in allen Fällen vor, weil die Betroffenen Sozialhilfeanträge gestellt hätten, die auch als Grundsicherungsanträge auszulegen seien. „Zum Zwecke der Substantiierung und als Beispiel für die in beiden Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalte“ hat der Kläger einen Auszug aus der Leistungsakte des Herrn T.B. vorgelegt.

 

Der Beklagte hat auf die Klage wie folgt erwidert: Der Feststellungsantrag sei unzulässig. Zwischen der Hilfe zum Lebensunterhalt einerseits und der Grundsicherung andererseits bestünden erhebliche Unterschiede. Eine Weiterleitung sei gem. § 7 AG-SGB XII NRW ohnehin auf die Höhe der Bundeserstattung begrenzt, soweit eine solche nicht erfolge, bestehe auch kein Zahlungsanspruch des Klägers gegen ihn. Zudem hätten die Leistungsempfänger im Zeitpunkt der Kassenwirksamkeit der Leistungen 2013 keine Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten. Zu diesem Zeitpunkt habe jeweils nicht festgestanden, dass die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII vorlagen. Es habe sich auch nicht um vorläufige Leistungen gehandelt. Die Bewilligungsbescheide für 2013, die keine Grundsicherung gewährten, seien bestandskräftig. Eine rückwirkende Umbenennung der Leistungsart sei nicht zulässig. Die Bewilligungsbescheide über die Hilfe zum Lebensunterhalt würden in ihrem Wesen verändert, wenn es sich nunmehr um Grundsicherung handeln solle, weshalb auch eine Umdeutung der Bescheide nicht in Betracht käme. Die Leistungsberechtigten hätten zudem keinen Antrag auf Grundsicherung iSd § 44 SGB XII gestellt. Ein „Erstattungsanspruch des Klägers gegen sich selbst“ mit der Folge, dass in Anwendung von § 107 Abs. 1 SGB X die Hilfe zum Lebensunterhalt als Erfüllung eines Grundsicherungsanspruchs anzusehen sei, was wiederum einen Anspruch nach § 46a SGB XII eröffne, existiere nicht.

 

Mit Beschluss vom 10.04.2018 hat Sozialgericht die Bundesrepublik Deutschland  beigeladen, die der Klage ebenfalls entgegengetreten ist. Der Feststellungsantrag sei wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Feststellungsklage und eines fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig. Die Klagen seien auch unbegründet. Art. 104a Abs. 3 GG beschränke eine Beteiligung des Bundes an den Aufwendungen der Länder auf Geldleistungen. Die Beigeladene gehe davon aus, dass die Leistungen an die Berechtigten als Sachleistung erbracht worden seien. Dies reiche für eine Erstattungspflicht nach § 46a SGB XII nicht aus. Eine wirksame Antragstellung nach § 44 SGB XII liege nicht vor und eine rückwirkende Bewilligung von Grundsicherung ohne Antrag sei rechtswidrig. Die Anträge auf Hilfe zum Lebensunterhalt seien mit der entsprechenden Bewilligung verbraucht. Ein Zahlungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten sei gem. § 7 Abs. 1 Satz 3 AG-SGB XII NRW ohnehin nicht gegeben, solange die Beigeladene noch keine Erstattung geleistet habe. Eine rückwirkende Bewilligung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel sei für die Frage, ob 2013 Grundsicherungsleistungen als Nettoausgaben kassenwirksam tatsächlich entstanden seien, nicht relevant. Die Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seien nicht zugleich als Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII anzusehen. § 19 SGB XII belege, dass beide Leistungsarten in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stünden. Die Hilfegewährung als Hilfe zum Lebensunterhalt sei gem. § 39 Abs. 2 SGB XII wirksam geworden und wirksam geblieben.

 

III. Der Kläger bewilligte den Personen, die in den Anlagen K 13 und K 14 zu seinem Schriftsatz vom 10.06.2024 aufgeführt sind, im Jahr 2014 Sozialhilfeleistungen in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Einrichtung. Im Jahr 2017 führte er auch insoweit jeweils das Verfahren nach § 45 SGB XII durch und bewilligte den Personen, bei denen die DRV nach seiner Auffassung zumindest ab dem Jahr 2014 rückwirkend das Vorliegen einer vollen Erwerbsminderung auf Dauer festgestellt worden war, den inkludierten Lebensunterhalt im Jahr 2014 als Grundsicherung.

 

Mit einem Schreiben vom 20.06.2018 rief der Kläger bei dem Beklagten eine Erstattung nach § 46a SGB XII ab, die auch „Nachmeldungen“ von im Jahr 2014 erbrachte Leistungen an eine Vielzahl in einer Anlage aufgeführter Leistungsempfänger enthielt. Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 20.06.2018 mit, die „Nachmeldungen aufgrund rückwirkender Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung oder aufgrund anderweitig nachträglich festgestellter Voraussetzungen für einen Grundsicherungsanspruch“ könnten im Erstattungsverfahren nicht berücksichtigt werden. Mit Schreiben vom 25.06.2018 korrigierte der Kläger gegenüber dem Beklagten den Mittelabruf daraufhin entsprechend.

 

Der Kläger hat am 21.12.2018 bei dem Sozialgericht Münster gegen den Beklagten eine weitere Klage (S 20 SO 238/18) erhoben auf Zahlung von 6.624.532,77 € zuzüglich Zinsen sowie auf Feststellung, dass die Beigeladene verpflichtet sei, dem Beklagten die für das Jahr 2014 kassenwirksam erbrachten existenzsichernden Leistungen für die in der Anlage K 1 zu der Klageschrift bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung und bei Erwerbsminderung im Jahr 2014 in der in Anlage K 1 jeweils aufgeführten Höhe vorlagen.

 

Das Sozialgericht hat auch zu diesem Verfahren die Bundesrepublik Deutschland beigeladen (Beschluss vom 13.03.2019). Auch in diesem Verfahren ist die „Musterakte“ T.B. übersandt worden. Die Beteiligten haben ihre zu den Ansprüchen für das Jahr 2013 geäußerten Rechtsauffassungen auch für Ansprüche für das Jahr 2014 vertreten.

 

IV. Im Verfahren S 20 SO 272/17 hat der Kläger abschließend beantragt,

 

1. festzustellen, dass die Beigeladene, handelnd durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, verpflichtet ist, dem Beklagten einen Anteil von 75 % der für das Jahr 2013 kassenwirksam erbrachten, existenzsichernden Leistungen des Klägers für die in der Anlage K 1_neu und die in der Anlage K 2_neu bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2013 in der in Anlage K 1_neu und Anlage K 2_neu jeweils aufgeführten Höhe vorlagen,

 

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 3.054.871,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage auf einen Betrag von 1.863.628,30 EUR sowie nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der insoweit geänderten Klage auf einen Betrag von 1.191.243,24 EUR zu zahlen.

 

Der Beklagte hat beantragt,

           

die Klage abzuweisen.

 

Die Beigeladene hat beantragt,

           

die Klage abzuweisen.

 

Im Verfahren S 20 SO 238/18 hat der Kläger abschließend beantragt,

 

1. festzustellen, dass die Beigeladene, handelnd durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, verpflichtet ist, dem Beklagten die für das Jahr 2014 kassenwirksam erbrachten, existenzsichernden Leistungen für die in Anlage K 1_neu und Anlage K 8 bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2014 in der in Anlage K 1_neu und Anlage K 8 jeweils aufgeführten Höhe vorlagen,

 

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 7.108.303,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage auf einen Betrag von 6.624.532,77 EUR ab Rechtshängigkeit der Klage und auf einen weiteren Betrag von 483.770,90 ab Rechtshängigkeit des erweiterten Antrags zu zahlen.

 

Der Beklagte hat beantragt,

     

die Klage abzuweisen.

 

Die Beigeladene hat beantragt,

     

die Klage abzuweisen.

 

V. Mit Urteil vom 31.08.2021 (Zustellung an Kläger am 11.10.2021) hat das Sozialgericht die Klage S 20 SO 272/17 abgewiesen. Die Klage sei teilweise unzulässig, teilweise unbegründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sei gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG eröffnet. Die zuletzt vorgenommene Klageänderung sei zulässig, weil sie jedenfalls sachdienlich iSd § 99 Abs. 1 SGG sei. Der Feststellungsantrag sei jedoch wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, soweit der Erstattungsanspruch auch Gegenstand des Klageverfahrens BSG B 8 SO 1/17 KL sei. Dem Eingreifen der Rechtswegsperre stehe nicht entgegen, dass der Kläger an jenem Verfahren nicht beteiligt sei. Ausschlaggebend sei, dass sich der Feststellungsantrag gerade auf ein Drittrechtsverhältnis beziehe und beide Beteiligte des Drittrechtsverhältnisses (Beklagter und Beigeladene) sowohl im Verfahren B 8 SO 1/17 KL als auch im vorliegenden Verfahren beteiligt seien. Eine rechtskräftige Sachentscheidung im vorliegenden Verfahren würde auch die Beigeladene binden. Unerheblich sei außerdem, dass der Beklagte des vorliegenden Feststellungsverfahrens im Verfahren B 8 SO 1/17 KL eine Leistungsklage erhoben habe. Eine anderweitige Anhängigkeit im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG sei auch gegeben, wenn im ersten Verfahren eine Leistungsklage und im zweiten eine Feststellungsklage erhoben werde. Soweit die Klage zulässig sei, sei sie unbegründet. Es komme für eine Erstattungspflicht nach § 46a SGB XII maßgeblich darauf an, ob im jeweiligen Kalenderjahr Nettoausgaben für Geldleistungen entstanden seien, die bereits in diesem Jahr als Grundsicherungsleistungen zu qualifizieren seien. Wenn die dauerhafte volle Erwerbsminderung erst rückwirkend festgestellt worden sei, entstünden keine Nettoausgaben nach § 46a Abs. 1 SGB XII, wenn und soweit derselbe Sozialhilfeträger für den zurückliegenden Zeitraum bereits Hilfe zum Lebensunterhalt erbracht habe. 

 

Der Kläger hat gegen dieses Urteil am 09.11.2021 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Rechtsauffassung fest und macht ergänzend geltend, eine (teilweise) anderweitige Rechtshängigkeit in Form des Verfahrens BSG B 8 SO 1/17 KL sei nicht gegeben, da keine Beteiligtenidentität vorliege (Bezugnahme auf VG Düsseldorf Urteil vom 19.11.2018 – 1 K 18527/17). Eine rechtskräftige Entscheidung des BSG in dem genannten Verfahren würde den Kläger daher nicht binden. Die vom Sozialgericht angenommene Rechtsschutzsperre würde dazu führen, dass der Kläger seinen Anspruch prozessual nicht durchsetzen könne. Anders sei dies evtl. bei einer Beiladung des Klägers durch das BSG, die aber nicht erfolgt sei. Bei den von ihm erbrachten Leistungen handele es sich um Geldleistungen und zwar um 2013 entstandene Nettoausgaben für Grundsicherung. Die Rechtsgrundlage der Bewilligung nehme an der Bindungswirkung der Bewilligungsbescheide nicht teil. Maßgeblich für die Abgrenzung von Hilfe zum Lebensunterhalt zur Grundsicherung sei der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung, der in dem Verfahren nach § 45 SGB XII festgestellt werde. Der Kläger nimmt Bezug auf das Urteil des SG Rostock vom 09.02.2021 – S 8 SO 24/20. Hiernach sei eine förmliche Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung durch den zuständigen Träger der Rentenversicherung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung keine Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Nach dem Kenntnisstand des Jahres 2013 hätten die Voraussetzungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt vorgelegen, so dass nach dem damaligen Kenntnisstand die Leistungen als Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII rechtmäßig gewährt worden seien. Ein haushalts(verfassungs)rechtliches „Jährlichkeitsprinzip“ stehe dem nicht entgegen. Die Erstattungspflicht erfasse sämtliche tatsächlich als Grundsicherung geleisteten Ausgaben, gleichgültig wann diese angefallen seien.

 

Der Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und tritt der Berufung entgegen. Er trägt ergänzend vor, das Urteil des SG Rostock sei nicht rechtmäßig, da es dem Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB XII widerspreche. Bis zur Feststellung der der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger habe der Sozialhilfeträger keine Kenntnis von einem Grundsicherungsanspruch.

 

Die Beigeladene tritt der Berufung ebenfalls entgegen und macht ergänzend geltend, auch die zuletzt erhobene Feststellungsklage sei unzulässig. Eine Leistungsklage auf Verpflichtung des Beklagten zum Mittelabruf beim Bund sei vorrangig. Zudem bestehe zwischen dem Beklagen und dem Beigeladenen hinsichtlich der Erstattungspflicht kein Meinungsstreit, was Voraussetzung für eine Feststellungklage sei. Der Kläger habe als Kommunalverband ohnehin keine Befugnis, die Rechte eines Landes gegenüber dem Bund feststellen zu lassen. Eine mögliche Rechtsbeziehung bestehe allein gegenüber dem Land. § 7 Abs. 1 AG-SGB XII NRW begründe als landesrechtliche Regelung keine Klagebefugnis und kein Feststellungsinteresse. Die Leistungsklage sei unbegründet, es habe sich nicht um Geldleistungen gehandelt. Grundsicherungsleistungen seien 2013 nicht kassenwirksam erbracht worden, es handele sich in diesem Sinne nicht um einen bloßen Austausch der Rechtsgrundlagen. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Kassenwirksamkeit, d.h. der Zeitpunkt der Zahlung im Rechnungsjahr. Die Bewilligungen der Hilfe zum Lebensunterhalt seien bestandskräftig geworden. Die vorliegende Fallgestaltung sei daher zu unterscheiden von einer Fallgestaltung, in der eine Ablehnung von Grundsicherung angefochten worden sei und der Leistungsträger nachträglich zur Erbringung von Grundsicherung verpflichtet worden sei.

 

VI. Mit einem weiteren Urteil vom 31.08.2021 (dem Kläger zugestellt am 11.10.2021) hat das Sozialgericht auch die Klage S 20 SO 238/18 abgewiesen. Im Tatbestand des Urteils ist – abweichend vom Terminsprotokoll, das den Schriftsatz des Klägers vom 13.08.2021 als Grundlage für die gestellten Anträge bezeichnet – der Feststellungsantrag zu 1) auf eine Verpflichtung der Beigeladenen zur Zahlung an „den Kläger“ gerichtet. Die Klage sei zulässig, aber mit der Argumentation aus dem Verfahren S 20 SO 272/17 unbegründet.

 

Auch hiergegen hat der Kläger am 09.11.2021 Berufung eingelegt (ursprüngliches Aktenzeichen L 20 SO 433/21). Im Berufungsverfahren hat sich der Klageantrag zu 1) zunächst – wie erstinstanzlich – gerichtet auf die Feststellung einer Verpflichtung der Beigeladenen, dem Beklagten die für das Jahr 2014 kassenwirksam erbrachten, existenzsichernden Leistungen des Klägers für die in Anlage K 1_neu des ersten Rechtszuges und Anlage K 8 des ersten Rechtszuges bezeichneten Leistungsempfänger zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2014 vorlagen. Außerdem hat der Kläger die Klage gegen den Beklagten auf Zahlung von 7.108.303,67 € weiterverfolgt.

 

Die Beteiligten beziehen sich auf ihre Rechtsausführungen zu den Ansprüchen für das Jahr 2013.

 

VII. In einem Erörterungstermin am 27.07.2023 hat der Berichterstatter des Senats die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die vom Kläger übersandte Musterakte und die Mitteilung der DRV vom 17.10.2017 über das Prüfergebnis hinsichtlich der vollen Erwerbsminderung nicht geeignet seien zu belegen, dass dem betroffenen Leistungsempfänger von Beginn an rechtmäßig Grundsicherung zugestanden hätte. Insbesondere sei der von der DRV verwendete Satz „Die volle Erwerbsminderung besteht zumindest seit 01.04.2011“ kein Beleg dafür, dass schon im Jahr 2011 die Prognose hinsichtlich einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung rechtmäßig gewesen wäre. Zudem sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass nach vorläufiger Einschätzung eine Erstattungspflicht des Bundes nach § 46a SGB XII voraussetze, dass das Land die Mittel abgerufen hat (§ 46a Abs. 3 SGB XII) und der Klageantrag sich auch auf eine Verpflichtung des Beklagten richten müsse, die streitigen Aufwendungen bei der Beigeladenen abzurufen. Eine Feststellungsklage erscheine wegen der Gesetzesbindung der an diesem Verfahren beteiligten Verwaltungsträger als ausreichend und dürfte nicht an dem Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage scheitern. Ggfls. komme aber auch eine entsprechende Leistungsklage in Betracht dahingehend, dass der Beklagte verpflichtet wird, die Erstattung bei der Beigeladenen abzurufen und nach deren Erstattung an den Kläger auszuzahlen.

 

VIII. Mit Beschluss vom 01.03.2024 hat der Senat beide Verfahren verbunden.

 

Der Kläger hat die betroffenen Leistungsempfänger abschließend in den Anlagen K 11 bis K 14 aufgelistet. Er hat ein von ihm selbst erstelltes „Kurzgutachten zur Erstattungsfähigkeit von Ausgaben für Leistungen zum Lebensunterhalt bei Feststellung der Voraussetzungen nach § 41 Abs. 2 oder 3 SGB XII für rückwirkende Zeiträume“ (Anlage K 15); eine Korrespondenz zwischen ihm und der DRV Westfalen zur Auslegung der rückwirkenden Feststellungen der DRV (Anlage K 16); exemplarische Anträge auf Sozialhilfeleistungen von betroffenen Leistungsempfängern (Anlage K 10) und weitere Leistungsakten (Anlage K 9) vorgelegt.

 

Der Kläger beantragt zuletzt,

 

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils S 20 SO 272/17:

 

1. festzustellen, dass die beigeladene Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, dem Beklagten einen Anteil von 75 % der für das Jahr 2013 kassenwirksam erbrachten existenzsichernden Leistungen des Klägers für die in der Anlage K 11 und die in der Anlage K 12 bezeichneten Leistungsempfänger in Höhe von 3.054.871,54 € zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2013 in der in Anlage K 11 und Anlage K 12 jeweils aufgeführten Höhe vorlagen,

 

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei dem Beigeladenen den nach dem Antrag zu 1. zu erstattenden Betrag nachträglich abzurufen,

 

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den nach dem Antrag zu 2. abgerufenen Betrag nach Zahlung durch die Beigeladene an den Kläger weiterzureichen,

 

4. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger insgesamt 3.054.871,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage auf einen Betrag von 1.863.628,30 € sowie nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der insoweit geänderten Klage auf einen Betrag von 1.191.243,24 € zu zahlen.

 

sowie

 

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils S 20 SO 238/18:

 

1. festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, dem Beklagten die für das Jahr 2014 kassenwirksam erbrachten existenzsichernden Leistungen des Klägers für die in Anlage K 13 und Anlage K 14 bezeichneten Leistungsempfänger in Höhe von 7.108.303,67 € zu erstatten, bei denen rückwirkend festgestellt ist, dass die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2014 in der in Anlage K 13 und Anlage K 14 jeweils aufgeführten Höhe vorlagen,

 

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei dem Beigeladenen den nach dem Antrag zu 1. zu erstattenden Betrag nachträglich abzurufen,

 

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den nach dem Antrag zu 2. abgerufenen Betrag nach Zahlung durch die Beigeladene an den Kläger weiterzuleiten,

 

4. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger insgesamt 7.108.303,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag von 6.624.532,77 € ab Rechtshängigkeit der Klage und auf einen weiteren Betrag von 483.770,90 € ab Rechtshängigkeit des erweiterten Antrags zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beigeladene beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Beklagte und die Beigeladene halten die jeweiligen Anträge zu 2) und 3) als Klageänderungen für unzulässig. Die Voraussetzungen des § 99 SGG seien nicht gegeben. Für die neu gestellten Anträge sei der Senat sachlich nicht zuständig. Im Übrigen beziehen sie sich auf ihre bisherigen Ausführungen.

 

Die Beteiligten haben auf Nachfrage durch den Senat mitgeteilt, dass die streitgegenständlichen Beträge bisher nicht an die Kläger ausgezahlt und auch nicht im Rahmen einer Aufrechnung zurückgefordert bzw. verrechnet wurden.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte des Bundessozialgerichts, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässigen Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Münster sind nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Die jeweiligen Berufungsanträge zu 2) und 3) sind zulässige Klageänderungen, für die der Senat sachlich zuständig ist. Diese Feststellunganträge sind unbegründet und waren deshalb abzuweisen.

 

I. Mit den neu formulierten Feststellungsanträgen zu 1) werden nur die Anlagen als Anlagen K 11 bis K 14 neu bezeichnet. Dies stellt gem. § 99 Abs. 3 Nr. 1 SGG keine Klageänderungen dar. Soweit die ursprünglichen Leistungsanträge (Antrag zu 4) nur noch hilfsweise gestellt werden, liegt ebenfalls keine Klageänderung vor (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG). Die jeweiligen Feststellungsanträge zu 2) und 3), die erstmals auf Feststellung einer Pflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger auf Abruf der Mittel bei der Beigeladenen und deren Auszahlung an den Kläger gerichtet sind, stellen demgegenüber eine Klageänderung dar. Als Klageänderung ist es auch anzusehen, wenn im Sinne einer Klageerweiterung ein neuer Streitgegenstand geltend gemacht wird (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 99 Rn. 2a mwN). Dies ist hier der Fall, denn der Kläger verfolgt mit den jeweiligen Feststellungsanträgen zu 2) und zu 3) Ansprüche, die bislang nicht Gegenstand der Verfahren gewesen sind. Die Klageerweiterungen sind sachdienlich iSd § 99 Abs. 1 SGG. Sachdienlichkeit ist zu bejahen, wenn die Zulassung der Klageänderung dazu führt, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann, so dass ein neuer Prozess vermieden werden kann. Nicht sachdienlich ist eine Klageänderung insbesondere, wenn sie dazu führt, dass der Rechtsstreit auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird (allg. Meinung; vgl. nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 99 Rn. 10 f mwN). Die auf den rechtlichen Hinweis des Berichterstatters erfolgte Klageerweiterung bewegt sich im Rahmen des bisherigen Sach- und Streitverhältnisses und führt insbesondere keinen neuen Sachverhalt ein. Die bisherigen Prozessergebnisse konnten auch für die neuen Feststellungsanträge verwertet werden.

 

Der Senat ist für die Entscheidung über die jeweiligen Feststellungsanträge zu 2) und zu 3) auch sachlich zuständig. Der Umstand, dass die erweiterten Klageanträge erstmals im Berufungsverfahren gestellt worden sind, ändert an der sachlichen Zuständigkeit des Senats nichts. Zwar hat das BSG die sachliche Zuständigkeit des Berufungsgerichts bei einer Klageänderung im Berufungsverfahren verneint (BSG Urteile vom 23.04.2015 – B 5 RE 23/14 R, vom 18.03.2015 – B 2 U 8/13 R und vom 31.07.2002 – B 4 RA 113/ 00 R). Dieser Auffassung folgt der Senat indes nicht (ebenso mwN Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 29 Rn. 3b). Das BSG hat die Frage in weiteren Entscheidungen „dahinstehen“ lassen (BSG Urteile vom 23.01.2018 – B 2 U 4/16 R und vom 05.07.2016 – B 2 U 4/15 R). § 153 Abs. 1 SGG verweist von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen auf alle Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug, mithin einschränkungslos auch auf § 99 SGG, was für eine sachliche Zuständigkeit des LSG für einvernehmliche oder sachdienliche Klageerweiterungen im Berufungsverfahren spricht. Der Umstand, dass das Berufungsgericht dann erstinstanzlich auf Klage tätig wird, ist dem SGG nicht fremd. Dies gilt zB auch bei der Einbeziehung von Folgebescheiden nach § 96 SGG, der auch im Berufungsverfahren anwendbar ist (Haupt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. § 96 Rn 6) oder bei der Widerklage nach § 100 SGG, die ebenfalls auch im Berufungsverfahren erhoben werden kann (Guttenberger in jurisPK-SGG § 100 Rn. 21).

 

II. Die Zulässigkeit der Antragshäufung ergibt sich aus § 56 SGG.

 

III. Zutreffend hat das Sozialgericht die Eröffnung des Sozialrechtsweges sowohl für den Feststellungsantrag als auch für den Leistungsantrag bejaht. Gem. § 17a Abs. 5 GVG ist diese Frage im Berufungsverfahren ohnehin nicht mehr relevant.

 

IV. Die jeweiligen Feststellungsklagen zu 1) sind unzulässig.

 

Die grundsätzliche Zulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Hiernach kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

 

Abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts ist auch die im Verfahren S 20 SO 272/17 erhobene Feststellungklage nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (teilweise) unzulässig (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG), soweit diese sich auf den mit der Klage bei dem BSG geltend gemachten Betrag bezieht. Die Rechtswegesperre des § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG greift nur, wenn dieselbe Sache bereits bei einem anderen Gericht anhängig ist. Um dieselbe Sache handelt es sich, wenn der Streitgegenstand der Klagen identisch ist (Ziekow in Soldan/Ziekow, VwGO 5. Aufl. § 17 GVG Rn. 24). Da zum Streitgegenstand auch das geltend gemachte Begehren gehört (dazu nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 95 Rn 5 mwN) und damit auch die Frage, wer den Anspruch gegen wen geltend macht, greift das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit nur, wenn neben der Identität des Gegenstandes des Anspruchs auch die Beteiligten des Verfahrens identisch sind (VG Düsseldorf Urteil vom 19.11.2018 – 1 K 18527/17). Gegen eine (teilweise) Sperrwirkung des § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG für die vorliegende (erste) Feststellungsklage zu 1) spricht auch, dass die Rechtskraft einer Entscheidung des BSG gem. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG nur die Beteiligten des dortigen Verfahrens erfasst (in diesem Sinne auch BSG Urteil vom 15.11.2012 – B 8 SO 22/10 R), der Kläger an dem beim BSG anhängigen Klageverfahren aber nicht beteiligt ist.

 

Die Zulässigkeit der Feststellungklage scheitert auch nicht bereits daran, dass sie auf die Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses gerichtet ist. An dem Rechtsverhältnis iSd § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG muss der Kläger nicht zwingend selbst beteiligt sein, es kann sich auch um ein Rechtsverhältnis zwischen Dritten handeln. Eine solche Drittfeststellungsklage ist grundsätzlich zulässig, wenn eine Klagebefugnis gegeben ist (eingehend BSG Urteil vom 02.08.2001 – B 7 AL 18/00). Da gem. § 7 Abs. 1 Satz 3 AG SGB XII eine Verteilung und Weiterleitung der Erstattungsmittel nach § 46a Abs. 1 SGB XII auf die Höhe der Bundeserstattung beschränkt ist, wäre eine Klagebefugnis grundsätzlich auch zu bejahen.

 

Die fehlende Klagebefugnis ergibt sich aber aus der besonderen Ausgestaltung des Bund/Länderverhältnisses. Aus verfassungsrechtlichen Gründen gibt es keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen als Träger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat allein mit der Einfügung von Art. 91e GG eine auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränkte bereichsspezifische Sonderregelung geschaffen, die Abweichungen in den Verwaltungs- und Finanzierungsstrukturen zwischen Bund und Ländern ermöglicht und verfassungsrechtlich absichert. Im Verhältnis zu Art. 83 ff GG bildet die in Art. 91e GG niedergelegte Ausnahme vom Verbot der Mischverwaltung eine abschließende Sonderregelung. Zugleich ermöglicht die Regelung über die Kostentragung in Art. 91e Abs. 2 Satz 2 GG eine direkte Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunen und stellt insoweit eine Abweichung von den Grundsätzen des Art. 104a Abs. 1, Abs. 3 und 5 GG dar. Nur soweit der Regelungsgehalt des Art. 91e GG reicht, geht dieser den allgemeinen Regelungen der Finanzverfassung vor (BSG Urteil vom 25.04.2023 – B 7/14 AS 69/21 R). Im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kann der Bund hingegen Zahlungen nur an die Länder leisten. Es liegt in der Verantwortung und Zuständigkeit eines jeden Landes, die ihm zufließende Erstattungszahlung des Bundes auf die mit der Ausführung des Vierten Kapitels SGB XII von den Ländern zu bestimmenden Träger im Land aufzuteilen und an diese weiterzuleiten (BT-Drs. 17/10748 S. 13). Auf diesen Grundsätzen beruht die Ausgestaltung von § 46a SGB XII, die ausschließlich ein Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern begründet.

 

Indem Art. 91e Abs. 2 GG unmittelbare Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen herstellt, durchbricht er nur punktuell die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus der Bunderepublik Deutschland. Außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift sind die Gemeinden grundsätzlich den Ländern zugeordnet. Ihre Aufgaben und ihr Finanzgebaren werden den Ländern zugerechnet. Die strikte Trennung von Bundes- und Länderhoheit setzt sich auch im Bereich der Finanzverfassung fort (BVerfG Urteil vom 07.10.2014 – 2 BvR 1641/11 Rn. 89 ff).

 

Diese verfassungsrechtlich vorgegebene Beschränkung direkter Rechtsbeziehungen auf das Verhältnis Bund/Länder würde unterlaufen, wenn die Kommunen oder Kommunalverbände befugt wären, im eigenen Namen ein Rechtsverhältnis zwischen Bund und Land im Anwendungsbereich des § 46a SGB XII feststellen zu lassen. Diese Annahme verkürzt den Rechtsschutz des Klägers nicht unbillig, denn er kann zulässig im Verhältnis zum Beklagten dessen Pflicht zum Abruf der Mittel bei der Beigeladenen feststellen lassen. In diesem Verhältnis ist das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 46a Abs. 1 SGB XII inzident zu prüfen. Wenn sich die Beigeladene weigern würde, einem aufgrund einer rechtskräftig festgestellten Verpflichtung erfolgten Abruf Folge zu leisten, könnte der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten begehren, die Mittel nicht nur abzurufen, sondern auch gerichtlich geltend zu machen.

 

V. Die jeweiligen Feststellungsanträge zu 2) und 3) sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Sie beziehen sich unmittelbar auf ein Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Das Feststellunginteresse folgt aus § 7 Abs. 1 Satz 3 AG-SGB XII NRW. Der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungklage (dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 55 Rn. 19 f) gegenüber einer auch möglichen Leistungsklage (auf Abruf der Mittel beim Bund) steht der Zulässigkeit der Feststellungklagen zu 2) und 3) nicht entgegen, da davon auszugehen ist, dass der Beklagte als öffentlich-rechtlicher gesetzesgebundener Beteiligter sich einer entsprechenden rechtskräftigen Feststellung nicht entziehen würde (ständige Rechtsprechung; vergl. nur BSG Urteile vom 10.09.2020 – B 3 KR 11/19 R und vom 02.07.2013 – B 4 AS 74/12 R).

 

VI. Die Feststellungsanträge sind jedoch, soweit sie zulässig sind, unbegründet. Der Beklagte ist nicht zum Abruf und zur Weiterleitung der für 2013 und 2014 vom Kläger aufgewendeten Leistungen, die den in den Anlagen K 11 bis K 14 bezeichneten Leistungsberechtigten erbracht worden sind, verpflichtet.

 

§ 46a Abs. 1 SGB XII kommt als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers nicht in Betracht, denn diese Vorschrift normiert – entsprechend der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes – einen Erstattungsanspruch allein des Landes gegen den Bund.

 

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Verpflichtung des Beklagten gegenüber dem Kläger ist § 7 AG-SGB XII NRW. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass die Erstattungsmittel aus § 46a SGB XII den Trägern zugutekommen, die die entsprechenden Aufwendungen hatten. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 AG-SGB XII NRW wird die Erstattung durch den Bund nach § 46a Abs. 1 SGB XII vom Land nach Maßgabe von § 46a Abs. 2 bis 5 SGB XII an die für die Ausführung des Vierten Kapitel des SGB XII zuständigen Träger weitergeleitet. Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 AG-SGB XII NRW ruft das Land auf Grundlage der gemeldeten Daten gemäß § 46a Abs. 3 SGB XII den Erstattungsbetrag für das laufende Quartal beim Bund ab. Der Kläger ist in Nordrhein-Westfalen als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§§ 1 Abs. 1 AG-SGB XII NRW, 5 Abs. 1a Nr. 1 LVerbO NRW) zuständig für die Sozialhilfe an Hilfeempfänger in stationären Einrichtungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AV-SGB XII in der bis zum 30.06.2015 gF iVm § 97 Abs. 4 SGB XII) und als solcher grundsätzlich hinsichtlich eines Anspruchs nach § 7 AG-SGB XII NRW aktivlegitimiert

 

Soweit § 7 Abs. 3 Satz 3 AG-SGB XII regelt, dass das Land auf Grundlage der von den Trägern gemeldeten Daten den Erstattungsbetrag für das laufende Quartal beim Bund abruft, ist die Vorschrift nicht etwa so zu verstehen, dass das Land lediglich den Abruf der Träger der Sozialhilfe an den Bund weiterleitet, ohne ihn auf seine Rechtmäßigkeit prüfen zu dürfen.

 

Nach § 46a Abs. 4 Satz 1 SGB XII, auf den § 7 Abs. 1 und 4 AG-SGB XII NRW ausdrücklich Bezug nimmt, gewährleisten die Länder die Prüfung, dass die Ausgaben für Geldleistungen der für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Träger begründet und belegt sind und den Grundsätzen für Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift hat das Land ein materielles Prüfungsrecht, ob der Abruf des Trägers der Sozialhilfe rechtmäßig erfolgt ist.

 

Der Annahme eines materiellen Prüfungsrechts der Länder steht nicht entgegen, dass die Grundsicherung gem. Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG als Bundesauftragsverwaltung durchgeführt wird. Bei der Bundesauftragsverwaltung hat der Bund gem. Art. 85 Abs. 4 GG die Aufsicht, die sich auf Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung erstreckt. Im Rahmen der Auftragsverwaltung muss daher grundsätzlich der Bund die Rechtmäßigkeitsprüfung vornehmen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 19.02.2002 – 2 BvG 2/00) liegt die Sachkompetenz aber ebenfalls beim Land. Der Bund kann sie nach eigener Entscheidung dadurch an sich ziehen, dass er das ihm zuerkannte Weisungsrecht in Anspruch nimmt. Diese Inanspruchnahme ist nicht auf Ausnahmefälle begrenzt und auch nicht weiter rechtfertigungsbedürftig. Sie ist nach Maßgabe des Art. 85 Abs. 3 GG als reguläres Mittel gedacht, damit sich bei Meinungsverschiedenheiten das hier vom Bund zu definierende Gemeinwohlinteresse durchsetzen kann. Die Sachkompetenz steht dem Land sonach von vornherein nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund zu. Allerdings steht dem Bund die auf der Sachkompetenz gründende Geschäftsleitungsbefugnis nicht per se zu; er muss die ihm zunächst nur in Form einer "Reservezuständigkeit" verliehene (potentielle) Sachentscheidungsbefugnis erst aktualisieren, indem er diese ausdrücklich oder konkludent auf sich überleitet; denn auch die Sachentscheidungsbefugnis liegt - jedenfalls zunächst - ebenfalls beim Land.

 

Eine Verlagerung der Prüfungskompetenz auf die Beigeladene ist nicht erfolgt. Das Bundesrecht weist vielmehr für die vorliegende Fallgestaltung mit § 46a Abs. 4 Satz 1 SGB XII in der bereits ab dem 01.01.2013 gF ausdrücklich den Ländern eine Prüfungs- und Gewährleistungspflicht gegenüber dem Bund zu („Die Länder gewährleisten die Prüfung, dass die Ausgaben für Geldleistungen der für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Träger begründet und belegt sind und den Grundsätzen für Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen“). Aus der Gesetzesbegründung zu § 46a SGB XII (BT-Drs. 17/10748 S. 15) ergibt sich nichts Abweichendes. Auch § 7 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 AG SGB XII NRW („Der Abruf der Erstattung erfolgt quartalsweise. Die Träger weisen innerhalb der nach § 46a Absatz 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch angegebenen Abrufzeiträume die für das jeweilige laufende Quartal bis zu diesem Zeitpunkt erbrachten Nettoausgaben gemäß § 46a Absatz 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch nach. Auf Grundlage dieser gemeldeten Daten ruft das Land gemäß § 46a Absatz 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch den Erstattungsbetrag für das laufende Quartal beim Bund ab.“) streiten nicht gegen eine Prüfungskompetenz des Beklagten. Abgesehen davon, dass diese landesrechtliche Regelung gem. Art. 31 GG die bundesgesetzlich geregelte Prüfungspflicht des Landes nicht außer Kraft setzen kann, würde eine Verneinung eines entsprechenden Prüfungsrechts den Regelungsgehalt von § 7 Abs. 3 Satz 3 AG-SGB XII NRW überdehnen.

 

Der Kläger hat daher nur dann einen Anspruch gegen den Beklagten auf Abruf der Aufwendungen beim Bund, wenn ein Erstattungsanspruch nach § 46a Abs. 1 SGB XII besteht. Dieser hat zur Voraussetzung, dass es sich um Geldleistungen handelt, Grundsicherung bewilligt wurde und die Bewilligung rechtmäßig war.

 

Bei den erbrachten Leistungen handelt es sich um Geldleistungen iSd § 46a Abs. 1 SGB XII. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Leistungen für den inkludierten Lebensunterhalt in einer stationären Einrichtung bewilligt worden sind. Bereits in § 46a Abs. 4 Satz 2 SGB XII iVm § 42 Nr. 4 SGB XII in der bis zum 31.12.2015 gF werden auch „Leistungen in einer stationären Einrichtung“ den erstattungsfähigen Geldleistungen zugeordnet. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei einer Kostenübernahme für eine stationäre Einrichtung um eine Sachleistung in Form der „Sachleistungsverschaffung“ handelt (vgl. grundlegend BSG Urteil vom 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R). Der Begriff der Geldleistung in § 10 SGB XII und § 46a SGB XII ist funktionsdifferent auszulegen und umfasst im Zusammenhang mit der Erstattung nach § 46a SGB XII auch die Leistungen in einer stationären Einrichtung (vgl. Stölting in jurisPK-SGB XII § 46a Rn. 25 ff.).

 

Der sich für Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel SGB XII ergebende notwendige Lebensunterhalt nach § 27b SGB XII stellt eine nach § 42 SGB XII zu gewährende Geldleistung dar; sie wird nicht zur Sachleistung, weil sich die Leistungsberechtigten in einer stationären Einrichtung aufhalten. Für die Einordnung einer Leistung als Geldleistung ist es unerheblich, wenn die Geldleistung nicht an den Leistungsberechtigten, sondern an Dritte, etwa einen Einrichtungsträger, gezahlt wird (BT-Drs. 17/11055 S. 3). Soweit die Beigeladene hiergegen vorbringt, aus der Tenorierung des als Beispiel vorgelegten Bewilligungsbescheides ergebe sich nicht, dass es sich um Geldleistungen handelte, führt dies nicht zu einer abweichenden Bewertung. Aus dem Bescheid ergibt sich auch nicht, dass es sich nicht um eine Geldleistung handelte.

 

Der Erstattungsanspruch nach § 46a Abs. 1 SGB XII ist auf Ausgaben nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung) beschränkt.

 

Leistungen der Grundsicherung sind nur dann gezahlt worden, wenn ein entsprechender Bewilligungsbescheid erteilt worden ist (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 46a Rn. 23; ders., SGb 2013, 441, 446; Stölting in jurisPK-SGB XII § 46a Rn. 33). Hilfe zum Lebensunterhalt kann nicht nachträglich ohne Weiteres als Grundsicherung (im Sinne eines Austausches der Rechtsgrundlage oder einer Umdeutung iSd § 43 SGB X) angesehen werden (in diesem Sinne jedoch LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 28.11.2023 – L 8 SO 46/21). § 8 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII unterscheidet zwischen beiden Leistungen als unterschiedliche Leistungsarten. Auch § 19 Abs. 1 und Abs. 2 differenziert zwischen beiden Leistungsarten und benennt unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen. Die Leistungen Grundsicherung einerseits und die Hilfe zum Lebensunterhalt andererseits stehen zueinander in einem Exklusivitätsverhältnis, wobei die Grundsicherung vorrangig ist (§ 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII).

 

Die ursprünglichen Kostenübernahmeerklärungen des Klägers enthielten noch keine Bewilligung von Grundsicherung. Solche Bewilligungen von Grundsicherung sind nicht etwa darin zu erblicken, dass der Kläger jeweils „Sozialhilfe“ bewilligt hatte und sich die Bescheide jedenfalls nach der Einordnung des Grundsicherungsrechts in das SGB XII im Jahr 2005 so auslegen ließen, dass damit Grundsicherung bewilligt worden sei, weil nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 23.03.2021 - B 8 SO 16/19 R) der inkludierte Lebensunterhalt (z.B. Unterkunft und Verpflegung) gem. § 27b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII durch die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gedeckt werde. Denn Voraussetzung für eine entsprechende Auslegung ist zumindest, dass die Grundsicherungsberechtigung des jeweiligen Leistungsempfängers geprüft worden ist, was vorliegend bei Leistungsbewilligung nicht der Fall war.

 

Der Kläger hat, wovon er auch selbst ausgeht, den in den Anlagen K11 bis K14 genannten Leistungsberechtigten den inkludierten Lebensunterhalt erst rückwirkend für die Jahre 2013 und 2014 als Grundsicherung bewilligt, nachdem er im Jahr 2017 das Verfahren nach § 45 SGB XII nachgeholt hatte. Der Umstand allein, dass die Bewilligung rückwirkend erfolgt ist, steht einem Erstattungsanspruch nach § 46a Abs. 1 SGB XII nicht entgegen. Grundsätzlich ist eine nachträgliche Bewilligung von Grundsicherung möglich, auch wenn zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt worden ist (Stölting in jurisPK-SGB XII § 46a Rn. 34). Dies ist regelmäßig der Fall, wenn bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über das Ersuchen nach § 45 SGB XII zunächst Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt werden muss, um das Existenzminimum abzudecken. Auch in derartigen Fällen muss die Grundsicherung gem. § 44 Abs. 2 SGB XII rückwirkend ab dem Ersten des Kalendermonats bewilligt werden, in dem der Antrag gestellt worden ist. Solche rückwirkenden Ausgaben werden von dem Erstattungsanspruch erfasst, selbst wenn sie Vorjahre betreffen. § 46a Abs. 3 Satz 4 SGB XII lässt den Abruf für Nettoausgaben aus Vorjahren, für die bereits ein Jahresnachweis vorliegt, ausdrücklich zu.

 

Der Anspruch auf Erstattung der Leistungen nach § 46a Abs. 1 SGB XII setzt darüber hinaus voraus, dass die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII rechtmäßig bewilligt worden sind (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 46a Rn. 23; ders., SGb 2013, 441, 446; Stölting in jurisPK-SGB XII § 46a Rn. 36). Die Länder haben gem. § 46a Abs. 4 SGB XII zu gewährleisten, dass die Ausgaben für Geldleistungen der für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Träger begründet und belegt sind und den Grundsätzen für Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Damit kann für rechtswidrig bewilligte Leistungen kein Erstattungsanspruch gegen den Bund bestehen.

 

Die rückwirkende Bewilligung der Grundsicherung ist nicht rechtmäßig erfolgt.

 

Anspruchsvoraussetzung für die Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel ist neben dem hier nicht relevanten Alter (§ 41 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII) das Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung (§ 41 Abs. 1, Abs. 3 SGB XII). Die Frage einer Erwerbsminderung auf Dauer iSd § 41 Abs. 3 SGB XII ist eine vorausschauende Entscheidung (Prognose; dazu nur Stölting in jurisPK-SGB XII § 41 Rn. 61; Gebhardt in BeckOK SGB XII § 41 Rn.8). Solange „ex ante“ nicht feststeht, dass eine Person dauerhaft erwerbsgemindert ist, hat sie keinen Grundsicherungsanspruch. Eine geänderte Betrachtung „ex post“ vermag an der Maßgeblichkeit der Prognose „ex ante“ nichts zu ändern. Nur wenn die Prognose von Beginn an allein dahingehend rechtmäßig sein konnte, dass keine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist, kommt überhaupt eine rückwirkende Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung in Betracht (dazu BSG Urteil vom 17.02.1982 – 1 RJ 102/80).

 

§ 41 Abs. 3 SGB XII steht dabei in einem direkten Zusammenhang mit § 102 Abs. 2 SGB VI. Nach dieser Vorschrift werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Hilfe zum Lebensunterhalt ist der Anspruch für einen evtl. vorübergehenden Zustand und flankiert – wenn die Rente nicht auskömmlich ist – ggfs. eine Zeitrente, Grundsicherung ist der Anspruch für einen Dauerzustand und flankiert ggfs. eine Dauerrente. Daher sind die Rechtsfolgen beider Leistungsarten unterschiedlich (zB § 102 Abs. 5 SGB XII – Erbenhaftung nicht bei Grundsicherung; § 43 Abs. 5 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 gF: Beschränkung des Unterhaltsregresses gegenüber Kindern/Eltern nur bei der Grundsicherung; keine Bedarfsdeckungsvermutung nach § 39 SGB XII gem. § 43 Abs. 5 SGB XII; 12-monatiger Bewilligungszeitraum gem. § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nur bei der Grundsicherung). Die Feststellung, ob ein Dauerzustand vorliegt, trifft die Rentenversicherung im Verfahren nach § 45 Satz 1 SGB XII. Nach dieser bereits 2013 geltenden Vorschrift ersucht der jeweils für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Vierten Kapitel zuständige Träger den nach § 109a Abs. 2 SGB VI zuständigen Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII zu prüfen, wenn es auf Grund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten als wahrscheinlich erscheint, dass diese erfüllt sind und das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt vollständig zu decken. Der Sozialhilfeträger ist verpflichtet, den Rentenversicherungsträger einzuschalten, wenn er der Meinung ist, die betreffende Person sei dauerhaft voll erwerbsgemindert. Wenn der Sozialhilfeträger hingegen der Meinung ist, die volle Erwerbsminderung sei vorübergehend, braucht er den Rentenversicherungsträger nicht zu ersuchen, deren Dauerhaftigkeit festzustellen (Stölting in jurisPK-SGB XII § 45 Rn. 26).

 

Die rückwirkende Bewilligung von Grundsicherung unter Einschaltung des Rentenversicherungsträgers ist daher nur rechtmäßig, wenn von Anfang an die Prognose einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung besteht. Diese Prognose muss nach der gesetzlichen Regelung in § 45 Satz 1 SGB XII zunächst der zuständige Träger der Sozialhilfe zum Zeitpunkt der Antragstellung aufstellen. Kommt er zu einer entsprechenden Prognose, muss er den Rentenversicherungsträger einschalten.

 

Der gesetzesgebundene Kläger hat damit durch die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt und nicht rechtzeitige Vorlage des Leistungsfalles an die DRV zur Feststellung nach § 45 SGB XII jedenfalls konkludent eine Prognose dahingehend abgegeben, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann. In dem „Musterfall“ T.B. ist von dem zuständigen Sachbearbeiter sogar eine ausdrückliche Prognose aufgestellt worden, dass sich die Leistungsminderung beheben lässt („Vor Antritt der medizinischen Reha hat Herr B. ALG II bezogen. Aus diesem Grund dürfte kein Anspruch auf Grusi nach dem SGB XII bestehen.“).

 

Der Kläger hat auch nach Durchführung des Verfahrens nach § 45 SGB XII im Jahr 2017 nicht nachgewiesen, dass - abweichend von seiner eigenen zunächst aufgestellten Prognose - in den von ihm geltend gemachten Fällen von Anfang an objektiv die Prognose einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung begründet war. Die ausdrücklich vom Kläger zur Substantiierung vorgelegte Musterakte T.B. spricht nicht für eine entsprechende Prognose. Das von der DRV verwendete Formular trifft keine Aussage dazu, ob von Beginn an von einem Dauerzustand auszugehen gewesen ist. Die Darlegungen des Klägers dazu im Schriftsatz vom 11.06.2024 mit dem beigefügten Email-Schriftwechsel des Klägers mit der DRV Westfalen (Anlage K 16) sind nicht geeignet, eine andere Einschätzung zu begründen. Abgesehen davon, dass der Kläger der DRV durch umfangreiche rechtliche Ausführungen (Email des Klägers an die DRV vom 20.10.2023) die Aussage geradezu „in den Mund gelegt“ und damit einen evtl. Beweiswert der Ausführungen der DRV (Email der DRV vom 07.03.2024) erheblich geschmälert hat, ändert auch eine abweichende Interpretation des verwendeten Vordrucks nichts daran, dass 2017 nicht ohne Kenntnis des zwischenzeitlichen Verlaufs medizinisch festgestellt werden konnte, ob 2013 und 2014 in den jeweiligen Leistungsfällen noch eine Besserungsprognose bestand. Hiervon mag es seltene medizinische Ausnahmen geben, für deren Vorliegen (jeweils im Einzelfall) aber nichts vorgebracht worden oder sonst ersichtlich ist.

 

Selbst wenn nach diesen Grundsätzen (ausnahmsweise) eine rückwirkende Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung medizinisch möglich gewesen sein sollte, müsste eine Bewilligung von Grundsicherung zudem zulässig sein. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

 

Es ist bereits zweifelhaft, ob die vom Kläger in den Anlagen K 9 und K 10 bezeichneten Leistungsanträge ganz oder teilweise als Grundsicherungsanträge ausgelegt werden können. Dies scheidet jedenfalls aus für alle Anträge, die vor Inkrafttreten des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 26.06.2001 (GSiG - BGBl. I S. 1310) am 01.01.2003 gestellt worden sind, da es diese Leistung davor nicht gab.

 

Wenn mit dem Kläger angenommen würde, dass die Anträge auf „Sozialhilfe“ im Übrigen, d.h. soweit die Zeit nach Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung betroffen ist, jeweils meistbegünstigend auch als Grundsicherungsanträge auszulegen wären, wären die Bewilligungsbescheide „Hilfe zum Lebensunterhalt“ konkludent als Ablehnungsbescheide hinsichtlich der beantragten Grundsicherung auszulegen. Denn abweichend von der vorübergehenden Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt während eines Verfahrens nach § 45 SGB XII hat der Kläger hier Hilfe zum Lebensunterhalt endgültig und ohne Vorbehalt späterer Feststellungen durch die DRV bewilligt. Die Bestandskraft einer hiernach gegebenen (evtl. rechtwidrigen) Ablehnung der Grundsicherung kann dann nur gem. § 44 SGB X und in den Grenzen des § 116a SGB XII („Für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts gilt § 44 Absatz 4 Satz 1 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt“) durchbrochen werden. D.h. bei Feststellung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung in 2017 wäre nur bis einschließlich 2016 eine nachträgliche Bewilligung von Grundsicherung möglich. Dieser Ausschlussfrist steht die Annahme des Klägers nicht entgegen, dass eine nochmalige Auszahlung der Leistungen – etwa in Anwendung des Rechtsgedankens von § 107 Abs. 1 SGB X – nicht erfolgen muss. Verfahrensrechtlich ist eine rückwirkende Bewilligung einer (vermeintlich) rechtswidrig vorenthaltenen Leistung iSd § 44 SGB X vielmehr gerade ausgeschlossen, soweit eine Auszahlung nicht mehr zu erfolgen hat (ständige Rechtsprechung, vergl. nur BSG Urteil vom 23.02.2017 – B 4 AS 57/15 R; dazu auch Baumeister in jurisPK SGB X § 44 Rn. 144 mwN).

 

VII. Auch die Hilfsanträge sind unbegründet. Die ursprünglich erhobenen allgemeinen Leistungsklagen waren gem. § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Kläger und der Beklagte sind öffentlich-rechtliche Verwaltungsträger, zwischen denen ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 3 AG-SGB XII NRW waren und sind beide Leistungsanträge aber auch als Hilfsanträge unbegründet. Die Erstattung durch den Bund ist Tatbestandsvoraussetzung für einen Zahlungsanspruch des Leistungsträgers gegen das Land. Unmittelbar auf § 46a SGB XII kann sich der Kläger nicht berufen, da – wie ausgeführt – diese Vorschrift nur die Länder, nicht aber die Kommunen oder ihre Verbände aktivlegitimiert.

 

VIII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 154 Abs. 1, Abs. 2 VwGO.

 

IX. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zugelassen.

 

X. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, §§ 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 2 GKG. Die Verbindung der Streitsachen führt nicht zu einer Erhöhung des Höchstbetrages des Streitwertes nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG (§ 39 GKG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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